50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

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Was sie da oben wohl zusammenbrauen mögen? fragte sich der Journalist neugierig und besorgt.

Eine wahnsinnige Neugierde erfaßte ihn, die Meinung des gelben Salons über die neuesten Ereignisse kennen zu lernen. Er hielt nicht viel von dem Verständnis dieser reaktionären Gruppe; allein er schwankte wieder in seinen Zweifeln; es war eine jener Stunden über ihn gekommen, in denen man bereit ist, sich selbst mit einem vierjährigen Kinde zu beraten. Nachdem er Granoux und alle anderen bekriegt hatte, konnte er nicht daran denken, in diesem Augenblicke bei seinem Vater zu erscheinen. Nichtsdestoweniger ging er hinauf und dachte, daß er ein sonderbares Gesicht machen müsse, wenn ihn jemand auf der Treppe überraschen werde. Vor der Türe der Rougon konnte er nur ein unbestimmtes Gewirre von Stimmen vernehmen.

Ich bin wahrhaftig ein Kind, sagte er sich; die Furcht raubt mir den Verstand.

Er war im Begriffe wieder hinabzugehen, als er die Stimme seiner Mutter vernahm, die jemanden hinausgeleitete. Er hatte knapp Zeit, sich unter der kleinen Stiege zu verbergen, die nach dem Dachboden des Hauses führte. Die Türe ging auf und es erschien der Marquis, begleitet von Felicité. Herr von Carnavant ging in der Regel früher nach Hause als die kleinen Rentiers der Neustadt, ohne Zweifel, um nicht auf der Straße Händedrücke austeilen zu müssen.

Ei, Kleine! sagte der Marquis auf dem Treppenflur, indem er seine Stimme dämpfte, die Leute sind noch mattherziger, als ich gedacht; bei solchen Menschen wird Frankreich immer dem gehören, der den Mut hat, es sich in die Tasche zu stecken.

Und er fügte bitter hinzu, als rede er mit sich selbst:

Die Monarchie ist für die heutigen Zeiten entschieden zu rechtschaffen geworden. Ihre Zeit ist vorüber.

Eugen hatte seinem Vater die Krise angekündigt, sagte Felicité. Der Sieg des Prinzen Louis scheint ihm sicher.

Oh, ihr könnt kühn vorwärts schreiten; in zwei oder drei Tagen wird das Land erwürgt sein. Auf Wiedersehen bis morgen, Kleine!

Felicité schloß die Türe. Aristides war in seinem dunkeln Versteck wie geblendet. Wie ein Wahnsinniger stürmte er die Treppe hinab und geraden Weges nach der Druckerei des »Unabhängigen«. Eine Flut von Gedanken wogte in seinem Schädel. Wütend beschuldigte er seine Familie, ihn betrogen zu haben. Wie? Eugen hielt seine Eltern über die Lage auf dem laufenden und seine Mutter hatte ihn niemals die Briefe seines älteren Bruders lesen lassen, dessen Ratschläge er blindlings befolgt haben würde! Zu dieser Stunde erst mußte er zufällig erfahren, daß dieser ältere Bruder den Erfolg des Staatsstreiches als sicher betrachtete. Dies bekräftigte übrigens in ihm nur gewisse Ahnungen, denen er nur wegen dieses schwachköpfigen Unterpräfekten kein Gehör geschenkt hatte. Am meisten war er über seinen Vater erbittert, den er für dumm genug gehalten hatte, um ihn für einen Legitimisten zu halten, während er sich jetzt im geeigneten Augenblicke als Bonapartist entpuppte!

Wie viele Dummheiten hat man mich begehen lassen! brummte er dahineilend. Ich sitze ordentlich in der Tinte. Ach, welche Lehre! Granoux ist mir überlegen!

Wie ein Wirbelwind stürmte er in die Büros des »Unabhängigen« hinein und forderte mit erregter Stimme seinen Artikel zurück. Der Artikel war schon in Spalten geordnet. Er ließ die Form auseinandernehmen und war nicht eher beruhigt, als bis er selbst den Artikel vernichtete, indem er die Lettern durcheinanderwarf wie die Dominosteine. Der Verleger sah diesem Treiben mit verblüffter Miene zu. Im Grunde war es ihm recht, denn der Artikel hatte ihm gefährlich geschienen. Aber er brauchte Stoff, wenn er wollte, daß der »Unabhängige« erscheine.

Werden Sie mir statt dessen etwas anderes geben? sagte er.

Gewiß, erwiderte Aristides.

Er setzte sich an einen Tisch und begann eine begeisterte Lobrede auf den Staatsstreich zu schreiben. Gleich in den ersten Zeilen schwor er, daß Prinz Louis die Republik gerettet habe. Doch kaum hatte er eine Seite geschrieben, als er innehielt und die Fortsetzung zu suchen schien. Sein Mardergesicht drückte lebhafte Unruhe aus.

Ich muß nach Hause gehen, sagte er endlich; ich werde Ihnen den Schluß bald schicken; im schlimmsten Falle werden Sie morgen etwas später erscheinen.

Zu Hause ging er in Gedanken verloren lange hin und her. Die Unentschlossenheit hatte sich seiner wieder bemächtigt. Warum sollte er sich ihnen so rasch anschließen? Eugen war allerdings ein gescheiter Junge, aber es war immerhin möglich, daß seine Mutter die Tragweite eines Satzes in Eugens Briefe überschätzt hatte. In jedem Falle war es besser, zu warten und zu schweigen.

Eine Stunde später kam Angela in die Druckerei gelaufen; sie schien in großer Aufregung zu sein.

Mein Mann hat sich arg verletzt, sagte sie. Als er heimkam, klemmte er sich vier Finger in der Türe ein. Unter den schrecklichsten Schmerzen hat er mir diese kleine Notiz diktiert, die er Sie im Morgenblatte zu veröffentlichen bittet.

Am folgenden Tage erschien der »Unabhängige« fast ganz mit »vermischten Nachrichten« angefüllt; an der Spitze des Blattes aber war folgende Notiz zu lesen:

»Ein bedauerlicher Unfall, der unserem ausgezeichneten Mitarbeiter Herrn Aristides Rougon zugestoßen, wird uns durch einige Zeit seiner Artikel berauben. Es wird ihm schwer fallen, unter den augenblicklichen ernsten Verhältnissen Stillschweigen zu beobachten; doch wird sicherlich keiner unserer Leser an seinen patriotischen Wünschen für das Wohlergehen Frankreichs zweifeln.«

Diese vieldeutige Notiz war von Aristides reiflich erwogen worden. Der letzte Satz konnte zugunsten einer jeden Partei ausgelegt werden. In dieser Weise sicherte sich Aristides nach dem Siege einen ungetrübten Wiedereintritt in sein Blatt durch eine Lobrede auf die Sieger.

Am folgenden Tage zeigte er sich in der ganzen Stadt mit dem Arm in der Binde. Infolge der Notiz eilte seine Mutter erschrocken herbei; doch weigerte er sich, ihr seine Hand zu zeigen und sprach zu ihr mit einer gewissen Bitterkeit, die die alte Frau sogleich aufklärte.

Es wird nichts sein, sagte sie, indem sie ihn beruhigt verließ. Du bedarfst nur der Ruhe, fügte sie einigermaßen spöttisch hinzu.

Der »Unabhängige« hatte es ohne Zweifel diesem vorgeblichen Unfall seines Redakteurs und der Abreise des Unterpräfekten zu danken, daß er nicht behelligt wurde wie die meisten demokratischen Blätter der Provinz.

Der 4. Dezember verlief in Plassans in verhältnismäßiger Ruhe. Am Abend fand eine Kundgebung des Volkes statt; doch das bloße Erscheinen der Gendarmen genügte, die Ansammlung zu zerstreuen. Eine Gruppe von Arbeitern hatte von Granoux die Mitteilung der aus Paris eingelangten Depeschen gefordert; doch dieser weigerte sich hochmütig. Die Leute zogen ab und riefen: »Es lebe die Republik! Es lebe die Verfassung!« Dann wird wieder alles ruhig. Der gelbe Salon besprach lange diesen harmlosen Spaziergang des Volkes und erklärte sich schließlich mit dem Gange der Dinge hoch befriedigt.

Beunruhigender ließen sich die Tage vom 5. und 6. Dezember an. Man bekam allmählich Nachricht von dem Aufstande der benachbarten kleinen Städte. Der ganze Süden des Bezirks griff zu den Waffen; La Palud und Saint-Martin-de-Vaulx hatten sich zuerst erhoben und die Dörfer Chavanos, Nazères, Poujols, Valqueyras, Vernoux mitgerissen. Der gelbe Salon erschrak ernstlich. Die Leute ängstigte vornehmlich die Tatsache, daß Plassans vereinsamt inmitten dieses Herdes der Empörung lag. Es war vorauszusehen, daß aufrührerische Banden die Gegend durchziehen und allen Verkehr unterbrechen würden. Granoux erzählte mit verstörter Miene, der Herr Bürgermeister sei ohne Nachrichten. Leute wußten zu erzählen, das Blut fließe in den Straßen von Marseille, und eine fürchterliche Revolution sei in Paris ausgebrochen. Der Major Sicardot war entrüstet über die Mattherzigkeit dieser Spießbürger und rief, er sei bereit, an der Spitze seiner Leute zu sterben.

Am 7. Dezember, einem Sonntag, erreichte der Schreck seinen Höhepunkt. Im gelben Salon, wo eine Art reaktionäres Komitee dauernd tagte, versammelte sich von sechs Uhr ab eine Menge schreckensbleicher, angstbebender Menschen, die leise untereinander flüsterten wie in einem Totenzimmer. Man hatte im Laufe des Tages erfahren, daß eine Bande Aufständischer, etwa dreitausend Mann stark, in Alboise, einem drei Stunden entfernten Dorfe, sich angesammelt habe. In Wahrheit wurde nur erzählt, daß diese Bande, Plassans links lassend, nach dem Hauptorte des Bezirks zu marschieren beabsichtige; allein dieser Feldzugsplan konnte ja auch geändert werden und übrigens genügte es diesen feigen Rentenbesitzern, die Aufständischen in einer Entfernung von einigen Kilometern zu wissen, damit sie sich einbildeten, daß rohe Arbeiterfäuste sie schon an der Kehle faßten. Sie hatten schon am Morgen einen Vorgeschmack von der Empörung gehabt; als nämlich die wenigen Republikaner in Plassans sahen, daß sie in der Stadt nichts Ernstliches unternehmen könnten, hatten sie beschlossen, zu ihren Brüdern in La Palud und Saint-Martin-de-Baulx zu stoßen; eine erste Gruppe war gegen elf Uhr, die Marseillaise singend und einige Fensterscheiben einwerfend, durch das römische Tor abgezogen. Herrn Granoux war ebenfalls ein Fenster eingeworfen worden, und er erzählte dieses Ereignis schreckensbleich seinen Gesinnungsgenossen.

Die Gesellschaft des gelben Salons war in lebhafter Angst. Der Major hatte seinen Diener ausgesendet, um genaueErkundigungen über den Marsch der Aufrührer einzuholen; man erwartete die Rückkehr dieses Mannes und erging sich inzwischen in erstaunlichsten Vermutungen. Die Versammlung war vollzählig; Roubier und Granoux saßen schier regungslos in ihren Sesseln und warfen einander Jammerblicke zu, während hinter ihnen die erschrockene Gruppe der Kaufleute im Ruhestande schwere Seufzer ausstieß. Vuillet schien nicht allzusehr erschrocken und dachte über die Maßregeln nach, die er ergreifen werde, um seinen Geschäftsladen und seine Person zu schützen; er erwog, ob er sich in seinem Speicher oder in seinem Keller verbergen solle, und neigte dem Keller zu. Peter und der Major schritten im Salon auf und ab und tauschten von Zeit zu Zeit eine Bemerkung aus. Der ehemalige Ölhändler klammerte sich an seinen Freund Sicardot, um bei diesem Mut zu schöpfen. Er, der seit so langer Zeit die Krise erwartete, suchte sich jetzt eine feste Haltung zu geben, obgleich die Aufregung ihm die Kehle zuschnürte. Was den Marquis betrifft, so war er geschniegelter und heiterer als je und plauderte in einem Winkel mit Felicité, die sehr aufgeräumt schien.

 

Endlich ward geläutet. Die Herren erschraken, als hätten sie einen Flintenschuß gehört. Während Felicité hinausging, um zu öffnen, herrschte Grabesstille in dem Salon; die bleichen, angstvollen Gesichter wandten sich der Tür zu. Der Diener des Majors erschien auf der Schwelle; er war völlig außer Atem und rief seinem Herrn zu:

Herr Major! In einer Stunde werden die Aufständischen hier sein!

Das wirkte wie ein Donnerschlag, Alle fuhren schreiend empor und streckten die Hände gen Himmel. Es währte einige Minuten, bis man sich verständlich machen konnte. Man umdrängte den Boten und bestürmte ihn mit Fragen.

Tausend Teufel, jammert doch nicht so! schrie der Major. Ruhe, oder ich stehe für nichts!

Alle sanken auf ihre Sessel zurück und stießen schwere Seufzer aus. Jetzt erst konnte man einige Einzelheiten erfahren. Der Bote war dem Trupp der Aufständischen bei Tulettes begegnet und hatte sich beeilt, zurückzukehren.

Es sind mindestens dreitausend, meldete er. Sie marschieren in Bataillonen wie die Soldaten. Ich glaube, auch Gefangene bei ihnen gesehen zu haben.

Gefangen! schrien die entsetzten Spießbürger.

Ohne Zweifel, sagte der Marquis mit seiner dünnen Stimme; man hat mir erzählt, daß sie die Leute verhaften, die wegen ihrer konservativen Gesinnungen bekannt sind.

Bei dieser Nachricht erreichte die Bestürzung des gelben Salons ihren Höhepunkt. Einige Bürger erhoben sich und erreichten verstohlen die Türe; sie dachten wohl, es sei die höchste Zeit, ein sicheres Versteck zu suchen.

Die Kunde von den Verhaftungen, welche die Aufständischen bewerkstelligten, schien Felicité zu erschrecken. Sie zog den Marquis beiseite und fragte ihn:

Was machen denn diese Leute mit ihren Gefangenen?

Sie schleppen sie als Geiseln mit sich, erwiderte Herr von Carnavant.

Ah! rief die Alte mit eigentümlicher Betonung.

Sie beobachtete mit nachdenklicher Miene die seltsame Schreckensszene in ihrem Salon. Allmählich drückten sich die Spießbürger; bald blieben nur Vuillet und Roudier, denen die Nähe der Gefahr einigen Mut wiedergab. Auch Granoux blieb in seinem Winkel sitzen; seine Beine wollten ihn nicht tragen.

Meiner Treu, mir ist's lieber so, sagte der Major, als er die Flucht der übrigen Anhänger sah. Diese Feiglinge ärgerten mich schon zu sehr. Seit zwei Jahren reden sie davon, daß sie alle Republikaner der Gegend erschießen lassen wollen und würden heute nicht den Mut haben, eine Rakete um zwei Sous vor ihnen abzubrennen.

Er nahm seinen Hut und wandte sich zur Türe.

Kommen Sie, Rougon, die Zeit drängt! sagte er.

Felicité schien auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Sie warf sich zwischen die Türe und ihren Gatten, der sich übrigens nicht sonderlich beeilte, dem schrecklichen Major zu folgen.

Ich will nicht, daß du gehest! schrie sie, eine tiefe Verzweiflung heuchelnd. Ich werde niemals zugeben, daß du mich verläßt. Die Halunken würden dich töten!…

Der Major blieb verwundert stehen.

Verdammt! brummte er; jetzt fangen gar die Weiber an zu winseln… Kommen Sie, Rougon!

Nein, nein! fuhr die Alte fort, eine immer größere Angst zur Schau tragend; er soll Ihnen nicht folgen: ich werde mich an seinen Rock klammern.

Sehr überrascht von dieser Szene, beobachtete der Marquis neugierig Felicité. War das dieselbe Frau, die soeben so heiter geplaudert hatte? Welche Komödie spielte sie? Peter aber tat, als wolle er trotz dem Widerstände seines Weibes mit aller Gewalt gehen.

Du sollst nicht gehen! wiederholte die Alte und faßte ihn am Arme.

Dann sagte sie zum Major:

Wie können Sie an Widerstand denken? Jene sind dreitausend und Sie bringen nicht hundert mutige Männer zusammen! Sie werden sich ganz unnütz abschlachten lassen.

Das ist unsere Pflicht, sagte Sicardot ungeduldig.

Felicité brach in Tränen aus.

Wenn sie ihn töten, wenn sie ihn zum Gefangenen machen, fuhr sie fort, indem sie ihren Gatten fest anschaute; mein Gott, was soll denn aus mir werden, allein in dieser verlassenen Stadt?

Aber glauben Sie denn, rief der Major, daß wir weniger eingesperrt werden, wenn wir den Aufständischen gestatten, ruhig in die Stadt einzudringen? Ich schwöre Ihnen, daß nach Verlauf von nur einigen Stunden der Bürgermeister und alle städtischen Beamten im Loch sitzen werden, von Ihrem Gatten und den regelmäßigen Gästen dieses Salons nicht zu reden.

Der Marquis glaubte ein flüchtiges Lächeln auf den Lippen Felicités zu sehen, während sie mit entsetzter Miene entgegnete:

Sie glauben?…

Bei Gott, ja, fuhr Sicardot fort; die Republikaner sind nicht so dumm, daß sie ihre Feinde in ihrem Rücken lassen. Morgen sind alle Beamten und gutgesinnten Bürger aus Plassans verschwunden.

Bei diesen Worten, die sie in sehr geschickter Weise herbeigeführt hatte, ließ Felicité den Arm ihres Gatten fahren. Peter machte Miene, wegzugehen. Dank seiner Gattin, deren geschickte Taktik ihm übrigens entging und von deren geheimem Einverständnis er keine Ahnung hatte, war ihm plötzlich ein ganzer Feldzugsplan enthüllt worden.

Wir müssen die Sache überlegen, ehe wir einen Entschluß fassen, sagte er dem Major. Meine Frau hat vielleicht nicht ganz unrecht, wenn sie uns beschuldigt, daß wir die Interessen unserer Familien außer acht lassen.

Nein, gewiß, Ihre Frau hat nicht unrecht, rief Granoux, der die Schreckensrufe Felicités mit dem Entzücken des Feiglings vernommen hatte.

Der Major stülpte sich den Hut auf den Kopf und sagte entschieden:

Ob recht oder unrecht, was liegt daran? Ich bin Kommandant der Nationalgarde, ich sollte schon auf dem Bürgermeisteramte sein. Gesteht wenigstens, daß ihr Angst habt und mich verlaßt. Guten Abend denn!

Er legte die Hand an die Klinke, als Rougon ihn mit lebhafter Gebärde zurückhielt.

Hören Sie mich, Sicardot, sagte er.

Und er zog ihn in einen Winkel, weil er sah, daß Vuillet die breiten Ohren spitzte.

Hier erklärte er ihm mit leiser Stimme, daß es ein Gebot der Vorsicht sei, hinter den Aufständischen einige energische Männer zurückzulassen, die in der Stadt die Ordnung wiederherstellen könnten. Weil der tollkühne Kommandant dabei beharrte, seinen Posten nicht verlassen zu wollen, machte er sich selbst erbötig, sich an die Spitze der Reservetruppen zu stellen.

Geben Sie mir, sagte er, den Schlüssel der Scheune, wo Sie die Gewehre und den Schießbedarf in Verwahrung haben, und geben Sie fünfzig Leuten von unseren Anhängern den Befehl, sich nicht zu rühren, bis ich sie rufe.

Sicardot willigte schließlich in diese Vorsichtsmaßnahmen ein. Er vertraute dem Rougon den Schlüssel der Scheune an; er sah ein, daß für den Augenblick jeder Widerstand nutzlos sei, aber er wollte dennoch mit seiner Person einstehen.

Während dieser Unterredung flüsterte der Marquis mit schlauer Miene einige Worte in das Ohr Felicités; ohne Zweifel beglückwünschte er sie zu ihrer List. Die Alte konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Als sie sah, wie Sicardot ihrem Gatten zum Abschiede die Hand reichte und sich zum Gehen anschickte, rief sie ihm mit verstörter Miene zu:

Sie verlassen uns wirklich?

Niemals wird ein alter Soldat Napoleons sich durch den Pöbel einschüchtern lassen, erwiderte er.

Er war schon auf dem Flur, als Granoux ihm nachschrie:

Wenn Sie aufs Rathaus gehen, verständigen Sie den Bürgermeister von den Vorgängen. Ich eile nach Hause, um meine Frau zu beruhigen.

Felicité hatte sich zum Ohr des Marquis geneigt und flüsterte ihm mit geheimer Freude zu:

Meiner Treu, es ist mir lieb, wenn der Major sich fassen läßt. Er ist gar zu tollkühn.

Mittlerweile hatte Rougon den Granoux wieder in den Salon zurückgeführt. Roudier, der aus seinem Winkel die ganze Szene still beobachtet und mit energischen Zeichen seine Zustimmung zu den vorgeschlagenen Vorsichtsmaßnahmen ausgedrückt hatte, trat jetzt zu ihnen. Als der Marquis und Vuillet sich ebenfalls erhoben hatten, sprach Peter:

Da wir allein sind unter friedfertigen Leuten, schlage ich Ihnen vor, daß wir uns verbergen, um der sicheren Haft zu entgehen und dann frei zu sein, wenn wir die Stärkeren sind.

Granoux mußte sich zurückhalten, um ihm nicht um den Hals zu fallen; Roudier und Vuillet atmeten wieder auf.

Ich werde Ihrer demnächst wieder bedürfen, meine Herren, fuhr der Ölhändler mit wichtiger Miene fort; uns ist es eben vorbehalten, die Ordnung in Plassans wieder herzustellen.

Zählen Sie auf uns! rief Vuillet mit einer Begeisterung, die Felicité beunruhigte.

Die Zeit drängte. Die seltsamen Verteidiger von Plassans, die sich verbargen, um ihre Stadt besser verteidigen zu können, beeilten sich, ihre Schlupfwinkel aufzusuchen.

Als Peter mit seiner Frau allein geblieben war, empfahl er ihr, nicht den Fehler zu begehen, das Haus zu verrammeln, und wenn man nach ihm fragen sollte, zu antworten, daß er eine kleine Reise unternommen habe. Als sie die Unwissende spielte und einigen Schrecken heuchelte, erwiderte er ihr auf ihre Frage, was denn vorgehe, in schroffem Tone:

Das geht dich nichts an, laß mich unsere Angelegenheiten allein führen, es ist besser so.

Einige Minuten später eilte er durch die Banne-Straße. Auf der Promenade Sauvaire angekommen, sah er eine Bande bewaffneter Arbeiter aus dem alten Quartier hervorbrechen, welche die Marseillaise sangen.

Alle Wetter! es war die höchste Zeit, dachte er. Die Stadt erhebt sich.

Er beschleunigte seine Schritte nach dem römischen Tor zu. Hier trat ihm kalter Schweiß auf die Stirne, als er sah, mit welcher Langsamkeit der Torwart ihm öffnete. Kaum auf der Heerstraße angelangt, bemerkte er beim Mondlicht am andern Ende der Vorstadt die Aufständischen heranziehen, deren Gewehre im Mondschein blinkten. Im Laufschritt erreichte er das Sankt-Mittre-Gäßchen, und hier betrat er das Haus seiner Mutter, wo er seit vielen Jahren nicht gewesen.