Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage)

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Inhaltsverzeichnis Kapitel II

1.Planen – ein Ding der Möglichkeit?

2.Balance und Bewegung – didaktische Planungs- und Reflexionsaspekte

3.Aspekt A: «Heute back ich, morgen brau ich …»

3.1Bedarfsanalyse

3.2Einführung in die Bedingungsanalyse

3.3Fragen zur Analyse der Bedingungen und Voraussetzungen

3.4Teilnehmenden-Kontext und Teilnahmemotivation

3.5Fallbeispiel Bedingungsanalyse

3.6Bedingungsanalyse einer eigenen Bildungsveranstaltung

4.Aspekt B: über Wikinger, Eisberge und zu entdeckende Kontinente

5.Aspekt C: Stoff – authentisch gewoben oder verständlich serviert?

6.Aspekt D: Landkarten für die Choreographie

6.1Umgang mit Zeit

6.2Landkarte «Lehr- / Lerndimensionen»

6.3Landkarte «Unterrichtskonzeptionen»

6.4Landkarte «Sequenzierungsmodelle»

6.5Landkarte «Unterrichtsaufbau»

6.6Entgrenzung und Digital Learning

7.Aspekt E: Aus der Werkzeugkiste

7.1Einführung

7.2Methode 1: Expertentagung «Didaktische Theorien» – Materialien

7.3Methode 2: Argumentationsbilder und Konferenzspiel «Modularisierung» – Materialien

7.4Methode 3: Von Fall zu Fall – Fallbeispiele

7.5Methode 4: Das Rollenspiel

7.6Methode 5: Vorzeigen – Nachmachen

7.7Methode 6: Interaktivitätssteigerung in Plenarveranstaltungen

7.8Methode 7: Checkliste Arbeitsaufträge Selbststudium

8.Aspekt F: Curricula entwickeln – ein Analyseleitfaden

8.1Ausgangspunkte

8.2Leitfaden – zentrale Dimensionen und Leitfragen

8.3Methodische Hinweise zur Benutzung des Leitfadens

9.Aspekt G: Über Qualität und Zitronen

9.1Wozu wird evaluiert?

9.2Mögliche Evaluationsinteressen verschiedener Beteiligter

9.3Welches sind die Evaluationsstypen?

9.4Welches sind die Evaluationskriterien?

10.Exkurse

10.1Exkurs 1: Forschungsorientierung in der Weiterbildung: Mythen und Chancen

10.2Exkurs 2: Improvisierende Haltung – was wir vom Jazz lernen können

Literaturverzeichnis

Kapitel II

Planen, Gestalten und Evaluieren von Lehr-/Lernsituationen

Standards

●Sie erkennen die Grenzen von Planbarkeit und verfügen über Instrumente, «gescheiterte» Erfahrungen zu reflektieren.

●Sie sind in der Lage, Bildungsveranstaltungen nach didaktischen Kriterien und Verfahrensweisen unter Berücksichtigung von Rahmenbedingungen zu planen, reflektieren und evaluieren.

●Sie können Ihre eigenen Unterrichtskonzeptionen beschreiben, legitimieren und theoretisch begründen.

●Sie sind fähig, spezifische Methoden adäquat einzusetzen.


1.Planen – ein Ding der Möglichkeit?

«Ja, mach nur einen Plan sei nur ein grosses Licht! Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan Gehn tun sie beide nicht.»

Bert Brecht, 1975, S. 77

«Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.»

Friedrich Dürrenmatt, 1962, S. 78

Ich weiss noch genau, wie ich für meine ersten Übungslektionen in meiner Primarlehrerausbildung eine Verlaufsplanung skizzieren musste, die in drei Spalten vorstrukturiert war: in «erwartetes Schülerverhalten», «geplantes Lehrerverhalten» und «didaktischer Kommentar». Bei den ersten beiden Spalten wurden wir angehalten, diese mit konkreten Sätzen (z. B. Lehrerfragen und Schülerantworten) zu füllen.

Ich glaube zu wissen, dass diese Art von Planung dem didaktischen Konzept des so genannten «Berliner Modells» (siehe Peterssen 1998, S. 88) entnommen worden war.

Nun, was sich ereignete, können Sie sicherlich erahnen: Das erwartete Schülerverhalten stellte sich meist nicht ein, ebenso wenig liess sich das geplante Lehrerverhalten plangemäss realisieren. Von da an gab es für mich zwei Welten: die der Planung und jene der unterrichtlichen Realität.

Damit sei im Übrigen kein spezifisches didaktisches Modell diskreditiert. Konzeptionen von Unterricht und Unterrichtsplanung erhalten ihre Prägung durchaus von didaktischen oder pädagogischen Theorien, die es lohnen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Nur möchte ich dies hier nicht tun. Ich wende mich lieber dem Phänomen «Planung» generell und alsdann einigen Planungsaspekten zu, die in meiner praktischen Erfahrung allmählich bedeutsam wurden und gleichzeitig auch in verschiedenen didaktischen Konzeptionen auftauchen.

Mein «Fall» des gescheiterten Planers als junger Lehrerstudent scheint nicht der einzige zu sein: Während theoretischer Ausbildungen aufgebaute und «instruierte» (Berufs-)Einstellungen werden offensichtlich nach Berufseintritt im Zuge des so genannten Praxisschockes häufig relativiert (vgl. Dick 1996, S. 30), die Diskrepanzen zwischen pädagogisch-didaktischen Inhalten und dem praktischen beruflichen Handeln sind allgegenwärtig (vgl. Wahl 1991, S. 3). Zumindest bei Berufsanfängern stellt sich bezüglich Brauchbarkeit von Theorien in der Regel eine Desillusionierung ein.

Umgang mit Komplexität

Solche oben erwähnten kunstvollen überlebenswichtigen Strategien werden offensichtlich im komplexen Alltag unausgesprochen vorausgesetzt – bei kritikloser Akzeptanz, dass diese Strategien dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit folgen und Ausnahmen nur Ausnahmen sind.

Lässt sich nicht genauso behaupten, dass Widersprüchlichkeit alltäglich und somit die Regel ist, Reibungslosigkeit aber die Ausnahme dieser Regel darstellt? Somit wäre die Entstehung von Komplexität nicht als ungewollter Nebeneffekt einer geordneten oder zu ordnenden Welt zu verstehen, sondern vielmehr als Form der Welt selber?

Ausbildungssituationen sind offensichtlich unberechenbar und «kontingent», d. h., durch ein hohes Ausmass an Unbestimmtheit, Mehrdeutigkeit, Unvorhersehbarkeit und Komplexität gekennzeichnet. Generelle Merkmale komplexer Situationen und Systeme sind nach Dörner und Schaub (1995, S. 38):

●Vielzahl von Variablen

●Vernetztheit

●Eigendynamik

●Intransparenz

●Polytelie

Unter Polytelie verstehen Dörner et al. (1994, S. 21) eine Art von «Vielzieligkeit», die es notwendig macht, mehrere Ziele, die teilweise in kontradiktorischem Verhältnis zueinander stehen, zu beachten.

Gelegentlich kann paradoxerweise sogar ein Ziel B nur erreicht werden, indem Ziel A wieder aufgehoben wird.

Nachstehende Merkmale (nach Doyle in: Dick 1996, S.74 ff., vgl. auch Kap. I, 3.4) schlüsseln diese Komplexität[1] für Ausbildungssituationen nun konkreter nach verschiedenen Gesichtspunkten auf:

Multidimensionalität

In Ausbildungssituationen ist eine Vielzahl von Aufgaben zu bewältigen und es gilt, mit einer Fülle von Ereignissen klarzukommen und «fertigzuwerden».

Gleichzeitigkeit

In Ausbildungssituationen geschehen viele Dinge zur gleichen Zeit, was die Regulierung des Unterrichtsgeschehens erschwert.

Unmittelbarkeit

In Ausbildungssituationen überstürzen sich die Ereignisse oft, was schnelle Reaktionsfähigkeit erfordert. Selten bleibt Ausbildenden Zeit, Entscheidungen sorgfältig abzuwägen.

Unvorhersehbarkeit

Ausbildungssituationen nehmen oft einen unerwarteten Verlauf. Unterbrechungen, Ablenkungen etc. machen es schwer, das Unterrichtsgeschehen zu prognostizieren oder längerfristig zu planen.

Öffentlichkeit

In Ausbildungssituationen exponieren sich Ausbildende vor einem Publikum, das aus ihrem Lehrverhalten Schlüsse zieht hinsichtlich etwa der Fähigkeit, Inhalte zu vermitteln oder mit schwierigen Situationen umzugehen.

Geschichtlichkeit

In Ausbildungssituationen treffen sich Lehrende und Lernende teilweise in zeitlich ausgedehntem Rahmen. Einzelne Ereignisse stehen in einem übergreifenden Kontext und haben unter Umständen langfristige Auswirkungen.

Planungsverhalten kann und muss sich somit ausnehmend unterschiedlich präsentieren:

«Manchmal ist es notwendig, genau zu analysieren, manchmal sollte man nur grob hingucken. Manchmal sollte man sich also ein umfassendes, aber nur holzschnittartiges Bild von der jeweiligen Situation machen, manchmal hingegen sollte man den Details viel Aufmerksamkeit widmen. Manchmal sollte man viel Zeit und Energie in die Planung stecken, manchmal sollte man genau dies bleiben lassen. Manchmal sollte man sich seine Ziele ganz klar machen und erst genau analysieren, was man eigentlich erreichen will, bevor man handelt. Manchmal aber sollte man einfach loswursteln. Manchmal sollte man mehr ganzheitlich, mehr in Bildern denken, manchmal eher analytisch. Manchmal sollte man abwarten und beobachten, was sich so tut; manchmal ist es vernünftig, sehr schnell etwas zu tun.» (Dörner 2017, S. 317)

Geplante Handlungen existieren somit nur im Rahmen einer modellhaften Wirklichkeit, das Ausführen der Handlung konfrontiert den Handelnden mit der Realität des menschlichen Seins. Reelle Handlungen sind keineswegs pure Durchführung von ausgedachten Plänen.

 

Hermann Forneck präzisiert dazu: «Professionelles Handeln kann immer nur bezogen auf extrem unterschiedliche, indifferente institutionelle, gesellschaftliche und organisatorische sowie in sich kurzfristig wandelnden Kontexten eingebettete Situationen adäquat sein. In diesen existiert keine kausale Gestaltungsmöglichkeit, da in diesen Situationen Menschen interagieren» (Forneck 2001, S. 12).

Indem wir handeln, werden wir uns sozusagen fremd, erfahren uns «ungeplant». Diese «Fremdheit unser selbst» kann Anlass werden, um uns und unser Verhalten besser kennenzulernen. Reflexion und Selbsterkenntnis sind demnach eine «produktive» Konsequenz des unvermeidlichen Scheiterns unserer reellen Handlungen.

Die komplexen Bedingungen der Anwendung von (Ausbildungs-)Wissen fehlen meist in diesem Wissen. Darum braucht es die sogenannte «reflexive Kompetenz» (vgl. auch Kap. I, 3.6).

Die Professionalität von Ausbildungsberufen zeigt sich infolgedessen nicht an der Form des Wissens, sondern im Umgang damit in komplexen Situationen.

Die Analyse des eigenen Handelns in komplexen Situationen im Sinne der Selbstreflexion zeigt, inwiefern eigene Vorstellungen von Realität zutreffen. Und dieses wiederholte Üben von Antizipation und Reflexion lässt uns schliesslich tendenziell Situationen adäquater einschätzen – was voraussichtlich seine Zeit dauert.

Vielleicht belebt es den didaktischen Mythos, dass Menschen linear verändert werden können, weil reelle Situationen unbestimmt sind, überfordernd wirken und Geduld sowie «langer Atem» nicht umsonst relevant sind.

Oelkers führt dazu aus: «Die neue wird wahrgenommen als die patente Lösung, für diese Erwartung muss die heterogene und widerständige Praxis zu einem innovativen Bild zusammengezogen werden» (Oelkers 1997, S. 16).

Latent dogmatische, appellative und moralische Doktrinen prägen scheinbar didaktische und methodische Konzepte seit jeher (vgl. Künzli 1998), Bourdieu wies auf einen «scholastischen Trugschluss» (1993) hin. Diesen Trugschluss widerspiegeln zudem viele Konzepte zur Ausbildung von Ausbildenden (gerade in Kompetenz- und Zielformulierungen, vgl. Kap. I, 2.3).

In ihrer versprechenden Form wecken und unterstützen sie wiederum irrationale (Heils-)Erwartungen bei Lernenden.

«Die Teilnehmenden sind in der Lage, humorvoll zu intervenieren», las ich letzthin in der Zielformulierung eines Tageskurses.

Dies erinnerte mich an Europareisen mit der Überschrift «Europe in three days – Pope included».

Dennoch wäre es spannend zu ergründen, inwiefern es traditionsgemäss zur pädagogischen Aufgabe gehört, Humor zu vermeiden …

Fitness per Post

Mit seiner Körpergestalt unzufrieden und der Hänseleien überdrüssig, belegte Mulla Nasrudin eines Tages einen Fernkurs im Bodybuilding.

Als er mit den Lektionen fertig war, schrieb er an die Akademie: «Ich bin nun mit dem Kurs zu Ende gekommen. Bitte schickt die Muskeln.»

(Aus: Fischer 1993, S. 109)

Paradoxerweise existieren unzählige vereinfachende Ratgeber zum Umgang mit Komplexität. Der Markt für die Sehnsucht nach Vereinfachung blüht; zum Glück bleiben lernfähige Menschen mitunter unbelehrbar.

« ‹Wo der Baum der Erkenntnis steht, ist immer das Paradie s , so reden die ältesten und die jüngsten Schlangen.»

Nietzsche 1988, S. 83

Lehrende sind gezwungen, in Sekundenschnelle Situationen zu identifizieren und wirksame Handlungsweisen auszuwählen. Wahl (1995, S. 61) nennt diese Kompetenzen «Situationsauffassung» und «Handlungsauffassung». In dieser Schnelligkeit (und erst recht bei emotionaler Belastung) müssen sie sich eher an eigenen «subjektiven Theorien» (vgl. Kap. I, 3.5) als an wissenschaftlichen Ausbildungsinhalten orientieren.

Routinierte Experten («reflective practicioners» nach Dewey 1933 und Schön 1983, in: Dick 1996, S. 96 ff., vgl. Kap. I, 3.6) ziehen im Sinne eines methodischen Repertoires einzelne oder mehrere Register und halten sich dabei nicht an klischeehafte Automatismen, sondern an eine Art von «knowing in action» (nach Schön 1983, in: Herzog 1999, S. 359); jeder neue «Registerzug» weitet den Handlungsspielraum aus, indem er durch Analogien und Vergleiche mit anderen Situationen handlungsrelevantes Wissen verdichtet.

Bei wenig erfolgreichem Handeln bleiben oft eigene Vorstellungen als «veraltete» Prozesse und Strukturen aktiv, obwohl «besseres» Wissen bereits verfügbar wäre.

Interessant ist, dass Erfolg offensichtlich Selbstreflexion unnötig macht, was jedoch gefährlich ist, da unter gewissen Umständen eine als erfolgreich erfahrene Problemlösung in einer anderen Situation plötzlich zum Misserfolg führt.

Misserfolg wiederum stellt in der Regel das eigene Selbstbild auf die Probe, was wiederum einen weiteren Misserfolg verursachen könnte (vgl. «Teufels-/Engelskreis», Kap. IV, 2.12).

Ein mit mir befreundeter Lehrer genoss an seinem Wohn- und Arbeitsort über Jahrzehnte hinweg einen ausserordentlich guten professionellen Ruf: Kinder, Eltern und Behörden mochten ihn und respektierten ihn als kompetente Fachperson.

In den wenigen Arbeitsbegegnungen, welche ich mit ihm hatte, fiel mir seine Souveränität im Umgang mit schwierigen Situationen und Kindern auf; offensichtlich wurden ihm auch meist die schwierigsten Schüler zugeteilt, ohne dass ihn dies zu stören oder gar zu belasten schien. Was mir aber auch auffiel, war, dass er über seine offensichtlichen Kompetenzen nicht sprechen konnte. Auf Fragen wie «wie machst du das?» reagierte er in der Regel hilflos und antwortete etwa «einfach so». Diese Bescheidenheit machte ihn wiederum v.a. bei den Eltern seiner Schüler als unlehrmeisterhaftes «Naturtalent» nur noch sympathischer.

Nach 30 Dienstjahren erhielt er eine neu zusammengesetzte Schulklasse (seine elfte), mit der er vom ersten Tag an massive Schwierigkeiten hatte. Die explosive multikulturelle Mischung der Gruppe verhinderte ihm den Zugang zu den Kindern, Gewalt und Disziplinprobleme waren an der Tagesordnung.

Nach einem Jahr Ringen und Kämpfen sank das Selbstvertrauen des Lehrers tief, im Lichte der Umwelt «versagte» er zusehends, man munkelte in der Elternschaft etwas von «Burn-out» oder «älter werden»; der vormals langjährige Erfolg war schnell vergessen.

Und: Besagter Lehrer konnte nicht erklären, was nicht funktionierte, «es» ging einfach nicht mehr, was bisher immer gegangen war, Analyse- und Reflexionsinstrumente fehlten ihm vollständig. Er stand vor einem psychischen Zusammenbruch.

Nun, «er schaffte die Kurve» knapp wieder. Dies mit Hilfe einer zweijährigen Begleitung zur Unterstützung und Reflexionshilfe sowie einer neuen Portion Respekt vor eventuellen weiteren Überraschungen.

Ich erinnere mich, wie gespannt und unsicher er seine nächste neue Klasse übernahm …

Glücklicherweise wird er seinem alten Ruf wieder gerecht und vermag nun sogar zusehends seine erfolgreichen Strategien zu erklären.

Nachbearbeitung: Professionalisierung durch bewältigte Hürden

Hürden und zu meisternde komplexe Situationen sind meist im Moment des Geschehens alles andere als angenehm. Einige unbewältigte Situationen werden jedoch aus der Retrospektive mit Distanz und Reflexion zu einem begleitenden Kompass und zu Wegweisern in der beruflichen Professionalisierung – hier lässt sich von «produktivem Scheitern» (vgl. Thomann 2007) sprechen. Andere unbewältigte Situationen dagegen hinterlassen eher ein dumpfes Gefühl, versperren sich nach wie vor einer Erklärung und Einordnung.

Ersteres entspricht dem Hoffnungsprogramm der Professionalisierung: Bewältigte Schwierigkeiten dienen durch ihre Analyse wiederkehrend dazu, eigene Kompetenzen aufzubauen und zu erweitern, reine Routinebildung reicht hierfür nicht aus. Das «dumpfe Zweite» lässt sich hoffnungsvoll als «noch nicht verarbeitet», pessimistisch als eigenes Versagen oder eben als zu akzeptierendes Scheitern bezeichnen.

Der Verarbeitung im Nachhinein könnte dann die Funktion zukommen, aus früherem Scheitern etwas Nützliches und Gutes zu machen, damit wir wieder ruhig und zuversichtlich in die Zukunft sehen können – dieser Prozess kann als Lernen bezeichnet werden.

Erzählen als nachbereitende Bewältigung und Professionalisierung

Das Scheitern selbst lässt sich schlecht präventiv simulieren, weil der Ursprung der Simulation meist die Furcht vor dem Ernstfall repräsentiert. Wird das Beherrschen von Scheitern versprochen, entsteht eine Paradoxie: Wir sind nicht fähig, das eigene Scheitern zu prognostizieren, «vorzufühlen» und damit in den Griff zu kriegen.

Das reflexive Erzählen und Austauschen hingegen von Scheitergeschichten, von Schwierigkeiten, von Pannen, Fehlern und Misserfolgen gibt schwierigen Erfahrungen eine «Stimme», lässt Muster erkennen.

Solche Reflexion erfolgt meist kasuistisch, entlang von Fällen, von Praxisgeschichten, Ereignissen, Analogien und Metaphern und ist erst durch vertrauensbildende Massnahmen möglich. Indem «wirkliche» Geschichten erzählt werden, bildet sich die Mehrdeutigkeit der Realität optimal ab. Dies erweitert den «Möglichkeitssinn» und macht Erzählende und Zuhörende zu produktiven reflexiven Miterlebenden und Interpretierenden von Geschehenem.

Solche Reflexionsarbeit benötigt Distanz zur eigenen Tätigkeit, Selbstwahrnehmung, Selbstkritik als produktives Zweifeln sowie Motivation und Lust an erweiternder professioneller Veränderung.

Der Bildungsalltag bietet zahlreiche Möglichkeiten des Erzählens, ob assoziativ, spontan oder in strukturierten Gefässen wie der kollegialen Praxisberatung (siehe Kapitel VI, 12.).

Konsequenzen für Weiterbildungskonzepte

Wenn eine Kompetenz wie die im Umgang mit Unvorhersehbarem nicht oder nur marginal schulbar wäre, könnte dieser Umstand ganze Aus- und Weiterbildungskonzepte samt ihrer Organisationen in Frage stellen.

Denn diese Konzepte und Organisationen rühmen sich nicht selten damit, adäquate Hilfsmittel gegen Hilflosigkeit anzubieten. Einschlägige Kompetenzprofile etlicher Weiterbildungslehrgänge versprechen souveräne Beherrschung komplexer Phänomene. Dies entspricht häufig einem klar postulierten Bedarf: Gerade Teilnehmende in Führungs- oder Didaktikkursen formulieren meiner Erfahrung nach häufig das (durchaus legitime) Bedürfnis, im Rahmen der Weiterbildung Mittel und Instrumente zu erhalten, um schwierige und komplexe Situationen in ihrer Praxis zu kontrollieren.

Leider erschwert diese instrumentelle und kategorielle Orientierung nicht selten die Entwicklung der Fähigkeit, diagnostisch aktuelle oder vergangene komplexe Situationen zu analysieren. Schnelles Einordnen verhindert die differenzierte Diagnose – bei allem Verständnis für diesen Prozess, weil gerade Scheitererfahrungen mit starken Emotionen verbunden sind und die Analysekompetenz bei emotionaler Betroffenheit eingeschränkt ist.

Was lässt sich nun trotzdem zu möglichen Planungsstrategien für komplexe Situationen sagen?

●Feste gültige Regeln (wie: «Wer wagt, gewinnt») gibt es nicht für alle Problemsituationen.

●Planen als Entwurf von reellen Handlungen kann als «Synthese eines Weges durch ein Labyrinth von Möglichkeiten hin zum erwünschten Ziel» (Dörner 1995, S. 41) bezeichnet werden.

●«Internes Probehandeln» kann nicht im Sinne eines naiven Planungsoptimismus davon ausgehen, dass alles reibungslos vonstatten geht.

●Planung geschieht leider häufig hypothesenbestätigend statt problemgeleitet. Individuelle Erinnerungsspuren und spekulative Vorwegnahmen erschweren es so, Planung zu modifizieren.

●Einer der bedeutsamsten Planungsfehler ist (nach Dörner 1995, S. 42) die «Rumpelstilzchen-Tendenz» («Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind!»): Im Sinne einer Dekonditionierung werden Bedingungen weggelassen, obwohl reale Handlungen immer nur unter bestimmten Umständen Erfolg haben können. Denken Sie etwa an Bedingungen, die man als «hidden curriculum» (heimlicher Lehrplan) oder «hidden agenda» bezeichnet (vgl. Zinnecker 1975) oder an vorgegebene institutionelle Rahmenbedingungen wie Räumlichkeiten, curriculare Vorgaben etc. als bedingende Einflussfaktoren (vgl. auch «Bedingungsanalyse» in diesem Kapitel, 3.).

 

●Gelegentlich ist Planung wirklich falsch am Platz. In nicht planbaren Situationen zu planen kann sich schlimmer auswirken, als wenn man gar nicht plant.

●Wichtigster Planungsfaktor ist meines Erachtens die analysierte Erfahrung eigenen Verhaltens in komplexen Situationen.

Demnach lassen sich zahlreiche praktische Aspekte von Unterricht (z. B. die Teilnehmer/innen) nicht verplanen und viele Widerborstigkeiten nicht vorhersehen; zumindest besitzt jede Planung den Charakter von Vorläufigkeit.

Wobei pragmatisch zu bedenken ist, dass Planung nicht nur eine Steuerungsfunktion zukommt. Vielmehr beruhigt sie auch das «schlechte Gewissen» von Lehrenden und verschafft – zumindest vorläufig – Sicherheit (siehe auch Kühl 2015); ebenso wenig ist die Legitimationsfunktion für kontrollierende und qualifizierende Instanzen zu unterschätzen: Wer sichtbar plant, arbeitet.

Ich ziehe nun nach Siebert (2009, S. 12) die drei Planungsdimensionen in Betracht:

●Curriculare Planung (Auswahl von Inhalten, Lernzielen nach vorgegebenen Richtlinien, Lernzeiten und -orten …)

●Vorüberlegung möglicher inhaltlicher und methodischer Alternativen/Varianten im Blick auf Vorkenntnisse, Art und Grösse von Teilnehmer(gruppen)

●Mentale Einstellung der Lehrperson auf Überraschungen

Bemerken Sie, dass die erste Dimension im Sinne unseres Berufsauftrages in ihrer Festlegung meist unumgänglich ist? Die zweite Dimension muss uns im Sinne der Teilnehmendenorientierung (siehe auch «didaktischer Planungs- und Reflexionsaspekt A» in diesem Kapitel) als erwachsenenbildnerisches Primat beschäftigen und wird deshalb in meinen späteren Ausführungen eingehend behandelt. Die dritte Dimension erscheint uns zwar von hoher Bedeutung, ist aber nicht ganz so einfach zu üben und zu operationalisieren.

Trotz aller Schwierigkeiten erachte ich das Antizipieren von Handlung und Realität, den Arbeitsentwurf als Modell von Realität mit integrierter Risikoanalyse und dessen Überprüfung durch die Realität im Sinne einer sich zirkulär und nicht linear entwickelnden Professionalität als unabdingbar.

Dennoch wird der planerische «Allmachtsanspruch» immer wieder enttäuscht und dies kann zu Resignation führen.

Planen kann sicherlich scheitern, deswegen aber problemvermeidend nicht mehr zu planen wäre verheerend; Ambivalenz ist auszuhalten und Improvisation besitzt ohne kreativ nutzbare Ausgangslage keine Chance (siehe auch die Aussagen zu «Improvisation» am Ende dieses Kapitels).

Vielleicht hilft es, sich immer wieder bewusst in sogenannten «emergency rooms» einer Vielzahl von heterogenen Problemsituationen in komplexer Unbestimmtheit auszusetzen, um durch Probehandeln in möglichst authentischer Umgebung sich selber und sein Verhalten kennenzulernen.

Ich hoffe, verdeutlicht zu haben, dass Planung nach meinem Verständnis weder linear noch technokratisch zu verstehen ist und Unterrichtsvorbereitung nur einen kleinen Teil der Planungsarbeit darstellt. Leider legitimiert gerade schriftliche Unterrichtsvorbereitung «Unterrichtsarbeit» oft zu sehr, indem «Arbeit» schwarz auf weiss sicht- und messbar wird.

Zudem bin ich der Überzeugung, dass «nachbearbeitende» Reflexion zentraler Bestandteil von Planung ist, weil «Vorbereitung» stets auf «Bearbeitung» in der Gegenwart und «Nachbearbeitung» von reellen Geschehnissen fusst.

«Vorbereitung» würde ich lieber durch «Vorbearbeitung» ersetzen, da vorgängiges Entwickeln von Alternativen, Entwerfen und Verwerfen von Szenarien, Eindenken und -fühlen in Situationen und Menschen eher bearbeitenden als bereitstellenden Charakter hat.

Folgende Reflexionsthesen – welche anzunehmen, zu verwerfen oder zu diskutieren sind – mögen Ihnen Hinweise zu Ihrem Planungsverhalten, Ihrer «Vorbearbeitung» von Ausbildungssituationen geben.

Reflexionsthesen «Planung»:

Zu welcher Art von Planungs- (und Planungs-Vermeidungs-)Strategien tendiere ich? (leicht verändert aus Wahl et al. 1995, S. 126/127)

●Ich plane recht genau, nehme auch mögliche Fragen und Einwände der Teilnehmer/innen vorweg. Das gibt mir mehr Sicherheit.

●Ich plane nur wenige wichtige Punkte, damit Raum für Spontaneität und Improvisation bleibt.

●Die sachliche Vorbereitung ist das Wichtigste. Der Rest findet sich.

●Im Grunde lohnt es sich gar nicht zu planen. Es kommt doch immer anders, als man denkt.

●Ich schiebe die Planung immer auf bis «zum letzten Drücker».

●Ich lasse mich von tausend Dingen von der Vorbereitung ablenken.

●Meist nehme ich eine schon fertig ausgearbeitete Planung. Da steht alles Wichtige drin.

●Manchmal vergesse ich einfach, mich auf den Unterricht (Vortrag, Seminar) vorzubereiten.

●Die besten Einfälle kommen mir unmittelbar vor oder während des Unterrichts.

●Eine genaue Planung hilft mir, den roten Faden nicht zu verlieren.

●Wenn ich mich wirklich gut vorbereitet habe und es trotzdem schiefgeht, ärgere ich mich ganz besonders.

●Von einem überzeugenden Einstieg hängt alles ab. Der Rest läuft dann von selbst.

●Das Entscheidende lässt sich nicht planen: Persönliche Ausstrahlung und Atmosphäre kann nur in der Situation selbst entstehen.

●Bei der Planung verzettele ich meine Energie oft auf Details und verliere das eigentliche Ziel aus den Augen.

●Ich lehne mich gern an vorhandene Unterlagen an. Das führt dazu, dass ich die Planung nicht wirklich eigenständig gestalte.

«Man soll das Jahr nicht mit Programmen beladen wie ein krankes Pferd Wenn man es allzu sehr beschwert, bricht es zu guter Letzt zusammen.

Je üppiger die Pläne blühen, um so verzwickter wird die Tat. Man nimmt sich vor, sich zu bemühen, und schliesslich hat man den Salat!

Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen. Es nützt nichts, und es schadet bloss, sich tausend Dinge vorzunehmen. Lasst das Programm! Und bessert euch drauflos!»

Erich Kästner 1969

2.Balance und Bewegung – didaktische Planungs- und Reflexionsaspekte

In folgender Mobile-Darstellung (leicht verändert nach Knoll 2007, S. 36) finden Sie ausgewählte bewegliche Elemente und Einflussfaktoren von Unterricht und Ausbildung, die sich jeweils in subtilem Gleichgewicht oder gelegentlich eben nicht «im Lot» befinden – die Grösse der Elemente spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Vermeintlich kleine Veränderungen können durchaus bedeutsame Wirkungen zeigen und nicht immer intendierte Bewegungen auslösen.

Vernetztheit und Eigendynamik schaffen so ein komplexes System.

BALANCE UND BEWEGUNG


nach Knoll 2007, S. 37

Reflexionsfragen

«Vor- und Nachbearbeitung von Bildungsveranstaltungen» (leicht verändert nach Knoll 2007, S. 37)

Untersuchen Sie eine Bildungsveranstaltung, die Sie entweder als Teilnehmende erlebt oder als Leitende vorbereitet und durchgeführt haben. Benutzen Sie als Hilfsmittel zur Analyse die Mobile-Grafik. Notieren Sie zu den einzelnen Elementen (Einflussfaktoren), was Sie im Blick auf die untersuchte Veranstaltung wissen oder vermuten.

●Welche Einflussfaktoren erweisen sich im Nachhinein als besonders bedeutsam? Welche Elemente beeinflussen einander sichtbar?

●Bei welchen Einflussfaktoren lässt sich bewusstes Entscheidungs- und Gestaltungshandeln erkennen oder vermuten?

●Welche Einflussfaktoren wirken sich eher ungeplant aus oder wurden möglicherweise gar nicht vorbedacht?

●Was hätte bei einzelnen Einflussfaktoren anders gemacht werden können, um eine bessere Gesamtbalance der Veranstaltung zu erreichen?

●Wie empfanden Sie das Verhältnis von Planungsumsetzung und situativer Gestaltung?

Im Folgenden werde ich sieben Planungs- und Reflexionsaspekte, die ich für Unterrichtsvor- und -nachbearbeitung als relevant erachte, künstlich isolieren und einzeln beleuchten.

Dabei subsummiere ich die Elemente «Gruppe», «Leitung» und «Rahmenbedingungen» (siehe Mobile) vor allem unter den Aspekt A (siehe unten). Wir beschäftigen uns später spezifischer mit den Themen «Gruppe» und «Leitung» (siehe Kap. III), die Thematik «Institution» (oder «Organisation») als Rahmenbedingung für Lehr-/Lernprozesse behandelt Kapitel VII eingehend. Neben den «üblichen» Planungskategorien (Ziele, Inhalte, Gestaltung/Methoden, B bis E siehe auch Mobile) habe ich mich für einen zusätzlichen etwas übergeordneten entschieden, die curriculare Planung eines Angebotsprogrammes (siehe F).

Als letzter – im wahrsten Sinne des Wortes «nachträglicher» – Aspekt erscheint unter G die «Evaluation».

Ich genüge einem etwaigen Anspruch auf Vollständigkeit nicht: So fehlen in meinen Ausführungen etwa unter Aspekt D Angaben zum Umgang mit Medien und Hilfsmitteln. Ich verweise hier auf einschlägige Fachliteratur.