Jungfrauengeburt?

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Lutherische Bekenntnisschriften

Die soeben genannten Schriften Luthers, der Kleine und der Große Katechismus sowie die Schmalkaldischen Artikel, sind Teil der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Wir wenden uns nun drei weiteren Stücken aus ihnen zu, dem Augsburger Bekenntnis samt seiner Apologie und der Konkordienformel.

Das von Philipp Melanchthon verfasste Augsburger Bekenntnis (1530) übernimmt selbstverständlich die Lehre von der Jungfrau Maria und von der jungfräulichen Geburt Christi dort, wo man sich auf das altkirchliche Bekenntnis beruft. In Artikel III wird gelehrt, »daß Gott der Sohn sei Mensch geworden, geboren aus der reinen Jungfrau Maria« (BSLK: 54).

Die ebenfalls aus der Feder Philipp Melanchthons stammende Apologie des Augsburger Bekenntnisses aus dem Jahr 1531 enthält keine Ausführungen zur Jungfrauengeburt. Dagegen findet sich in Artikel XXI (»Von der Anrufung der Heiligen«) eine Kritik am Marienkult.

Mit Bezug auf eine damals gängige Absolutionsformel (»Das Leiden unseres Herrn Jesu Christi, die Verdienste der allerseligsten Jungfrau Maria und aller Heiligen sollen dir zur Vergebung der Sünden sein«) und auf ein Gebet (»Mutter der Gnaden, behüte uns vor dem Feind, nimm uns auf in der Todesstunde!«) schreibt Melanchthon:

Wie sehr wir auch zugestehen, daß die selige Maria für die Kirche betet – nimmt sie (etwa) selbst die Seelen im Tode auf, besiegt sie den Tod, macht sie lebendig? Was tut Christus, wenn das die selige Maria tut? Wenn sie auch der höchsten Ehren Würdigste ist, will sie doch nicht Christus gleichgestellt werden, sondern sie will vielmehr, dass wir ihre beispielhaften Taten im Auge haben und umfassen. Aber die Erfahrung selbst bestätigt, dass nach der öffentlichen Meinung die selige Jungfrau ganz und gar an die Stelle Christi getreten ist. Die Menschen riefen sie an, vertrauten auf ihre Barmherzigkeit, wollten durch sie Christus versöhnen, als wenn jener nicht der Versöhner, sondern nur der schreckliche Richter und Rächer wäre … Wir (aber) wissen, dass allein Christi Verdienste für uns die Versöhnung sind … Man darf also nicht darauf vertrauen, dass wir für gerecht gehalten werden durch die Verdienste der seligen Jungfrau oder der anderen Heiligen (BSLK: 322 – 323; Übersetzung des lateinischen Textes).

Die Konkordienformel aus dem Jahre 1577 macht folgende Aussage zur Jungfrau Maria:

Um dieser persönlichen Vereinigung und Gemeinschaft willen der Naturen (= der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu Christi) hat Maria, die hochgelobte Jungfrau, nicht einen pur lauteren Menschen, sondern einen solchen Menschen, der wahrhaft der Sohn Gottes des Allerhöchsten ist, geboren, wie der Engel (be)zeuget; welcher seine göttliche Majestät auch im Mutterleibe erzeiget, daß er von einer Jungfrau unverletzt ihrer Jungfrauschaft geboren; darum sie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau geblieben ist (BSLK: 1024).

Mit anderen Worten: Diese Bekenntnisschrift lehrt nicht nur die Jungfrauengeburt, sondern ebenso wie Martin Luther die Unverletztheit des Jungfernhäutchens der Maria während Zeugung und Geburt.

Maria in der römisch-katholischen Lehre

Es gibt vier auf Maria bezogene Dogmen, die für Katholiken bindend sind:

 die göttliche Mutterschaft,

 die immerwährende Jungfräulichkeit,

 die unbefleckte Empfängnis,

 die Aufnahme in den Himmel.

Diese Punkte gehe ich der Reihe nach durch und zitiere jeweils, was der im Jahre 1993 publizierte »Katechismus der Katholischen Kirche« zu den einzelnen Fragen ausführt. Zum Vergleich erfolgt im Anschluss an die einzelnen Textauszüge jeweils ein kurzer Blick auf die reformatorische Lehre des 16. Jahrhunderts und auf die der griechisch-orthodoxen Kirche der Gegenwart. Dies geschieht, um die Gemeinsamkeiten der drei großen Kirchen auszuloten.

Göttliche Mutterschaft
Katechismus der Katholischen Kirche

§ 466: … Die menschliche Natur Christi hat kein anderes Subjekt als die göttliche Person des Sohnes Gottes, die sie angenommen und schon bei der Empfängnis sich zu eigen gemacht hat. Deswegen hat das gleiche Konzil (sc. von Ephesus) verkündet, dass Maria dadurch, dass sie den Sohn Gottes in ihrem Schoß empfing, wirklich »Gottesgebärerin« geworden ist, »nicht etwa weil die Natur des Wortes beziehungsweise seine Gottheit den Anfang des Seins aus der heiligen Jungfrau genommen hätte, sondern weil der vernünftig beseelte heilige Leib aus ihr geboren wurde; mit ihm hat sich das Wort der Hypostase [Person] nach geeint, und deshalb wird von ihm gesagt, es sei dem Fleische nach geboren worden« (DS 251) (DS = Denzinger/​Schönmetzer 1976).

§ 495: In den Evangelien wird Maria »die Mutter Jesu« genannt (Joh 2,1; 19,25). Weil der Heilige Geist dazu anregt, wird sie schon vor der Geburt ihres Sohnes als »die Mutter meines Herrn« bejubelt (Lk 1,43). Der, den sie durch den Heiligen Geist als Menschen empfangen hat und der dem Fleische nach wirklich ihr Sohn geworden ist, ist ja kein anderer als der ewige Sohn des Vaters, die zweite Person der heiligsten Dreifaltigkeit. Die Kirche bekennt, dass Maria wirklich Mutter Gottes … ist.

Das heißt also, Jesus Christus war wirklicher Gott und wirklicher Mensch. Da seine Geburt als die Geburt des menschgewordenen Gottes zu betrachten sei, müsse die Mutter Jesu folgerichtig Mutter Gottes – Gottesgebärerin – genannt werden.

Diesen Beschluss des Konzils von Ephesus haben die Reformatoren nie in Frage gestellt (vgl. oben, S. 18). Er wird bis in die Gegenwart ausdrücklich auch von der griechisch-orthodoxen Kirche bekräftigt.

Der römisch-katholischen Mariologie der Gegenwart zufolge spielte Maria bei der Geburt Jesu eine aktive Rolle. Eine unwillige Empfängnis wäre eine unvollkommene Empfängnis, und diese würde eine unvollkommene Mutterschaft nach sich ziehen. Die Antwort Marias an den Engel: »Mir geschehe nach deinem Wort« (Lk 1,38), sei Ausdruck ihrer Empfängnisbereitschaft in seelischer wie auch physischer Hinsicht: Maria habe ihren Sohn Jesus zuerst mit ihrer Seele durch Glauben empfangen, bevor die Empfängnis in ihrem Mutterleib stattfand. Dies ist zweifellos eine folgerichtige Auffassung, wenn man den gerade zitierten Text Lk 1,38 wörtlich versteht. Der Engel Gabriel hatte Maria angekündigt: »Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben« (Lk 1,31). Auf die Frage der Maria, wie das angesichts ihres fehlenden sexuellen Verkehrs zugehen könne, antwortet der Engel: »Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten …« (Lk 1,35). Darauf ist Maria als »Sklavin des Herrn« (Lk 1,38) zur Empfängnis bereit, und die Geschichte nimmt ihren bekannten Verlauf.

Immerwährende Jungfräulichkeit
Katechismus der Katholischen Kirche

§ 499: Ein vertieftes Verständnis ihres Glaubens an die jungfräuliche Mutterschaft Marias führte die Kirche zum Bekenntnis, dass Maria stets wirklich Jungfrau geblieben ist, auch bei der Geburt des menschgewordenen Gottessohnes. Durch seine Geburt hat ihr Sohn »ihre jungfräuliche Unversehrtheit nicht gemindert, sondern geheiligt« (LG 57). Die Liturgie der Kirche preist Maria als die »allzeit Jungfräuliche« [Aeiparthenos] (LG = Dogmatische Konstitution über die Kirche »Lumen gentium« vom 21. Nov. 1964).

§ 500: Man wendet manchmal dagegen ein, in der Schrift sei von Brüdern und Schwestern die Rede. Die Kirche hat diese Stellen immer in dem Sinn verstanden, dass sie nicht weitere Kinder der Jungfrau Maria betreffen.

§ 501: Jesus ist der einzige Sohn Marias. Die geistige Mutterschaft Marias aber erstreckt sich auf alle Menschen, die zu retten Jesus gekommen ist: »Sie gebar einen Sohn, den Gott zum ›Erstgeborenen unter vielen Brüdern‹ (Röm 8,29) gesetzt hat, den Gläubigen nämlich, bei deren Geburt und Erziehung sie in mütterlicher Liebe mitwirkt« (LG 63).

Diese Ausführungen setzen voraus:

a) Maria war eine Jungfrau vor der Empfängnis Jesu, und die Empfängnis geschah ohne männliche Befruchtung und daher ohne die Beschädigung des Jungfernhäutchens der Maria vor der Geburt.

b) Maria blieb jungfräulich während der Geburt Jesu: In dem Prozess der Geburt, als das Kind durch die natürlichen Kanäle des Leibes Marias hindurchging und auf die Welt kam, blieb ihr Jungfernhäutchen unbeschädigt. Die Verfasser des Katechismus bestreiten in § 499 ausdrücklich, dass durch die Geburt Jesu die Jungfräulichkeit Marias gemindert worden sei. Sie machen folglich auch eine biologische Aussage.

Dies entspricht einem breiten Konsens innerhalb der heutigen römisch-katholischen Theologie. So heißt es in einem kürzlich erschienen Beitrag:

Die kirchliche Lehre definiert nicht die Art und Weise des Geburtsvorganges, bestimmt aber mit hinreichender Deutlichkeit die Unversehrtheit der physischen Integrität. Eingeschlossen ist dabei mit der Lehrentscheidung der Lateransynode (sc. aus dem Jahr 649 n. Chr.) der wunderbare Charakter des Vorganges. Andernfalls würde die Rede von der Jungfräulichkeit in der Geburt zu einer Leerformel, die keinen Inhalt mehr angibt und bei der nächsten Revision des Katechismus zu entsorgen wäre (Hauke 2007 : 130)

 

Diese Ausführungen richten sich offenbar gegen den berühmten römisch-katholischen Theologen Karl Rahner, demzufolge das kirchliche Dogma nicht die Unverletztheit von Marias Hymen zum Inhalt habe, sondern auf das subjektive Erleben ziele: Die »subjektive erlebnishafte Seite der Geburt war bei Maria anders als bei den anderen Menschen« (Rahner 1962 : 202). Rahner findet mit seiner Position unter den heutigen Lehrstuhlinhabern an römisch-katholischen Fakultäten nur noch wenig Unterstützung.

c) Maria hatte keine anderen Kinder außer Jesus; und obwohl sie mit Joseph verheiratet war, hatte sie keinen geschlechtlichen Verkehr mit ihm.

Die Reformatoren stimmten dem Dogma von der immerwährenden Jungfräulichkeit zu (vgl. oben, S. 17 – 19). Ebenso die griechischorthodoxe Kirche. Für sie ist der Mutterleib der Gottesgebärerin ein heiliger Tempel.

Unbefleckte Empfängnis

Die Lehre von der unbefleckten Empfängnis bezieht sich nicht auf die Geburt Jesu, wie fälschlicherweise oft angenommen wird, sondern auf die Geburt Marias durch ihre Mutter »Anna«. Maria, die den Gottessohn zur Welt bringen soll, muss bereits ohne Sünde empfangen worden sein – so die innere Logik dieses Lehrsatzes, der erst seit dem 14. Jahrhundert allmählich anerkannt wurde.

Katechismus der Katholischen Kirche

§ 491: Im Laufe der Jahrhunderte wurde sich die Kirche bewusst, dass Maria, von Gott »mit Gnade erfüllt« (Lk 1,28), schon bei ihrer Empfängnis erlöst worden ist. Das bekennt das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, das 1854 von Papst Pius IX. verkündigt wurde: »… dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch die einzigartige Gnade und Bevorzugung des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeglichem Makel der Urschuld unversehrt bewahrt wurde« (DS 2803).

§ 492: Dass sie »vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an im Glanz einer einzigartigen Heiligkeit« erstrahlt (LG 56), kommt ihr nur Christi wegen zu: Sie wurde im »Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes auf erhabenere Weise erlöst« (LG 53). Mehr als jede andere erschaffene Person hat der Vater sie »mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch [die] Gemeinschaft mit Christus im Himmel« (Eph 1,3). Er hat sie erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit sie in Liebe heilig und untadelig vor ihm lebe.

§ 493: Die ostkirchlichen Väter nennen die Gottesmutter »die Ganzheilige« [Panhagia]; sie preisen sie als »von jedem Sündenmakel frei, gewissermaßen vom Heiligen Geist gebildet und zu einer neuen Kreatur gemacht« (LG 56). Durch die Gnade Gottes ist Maria während ihres ganzen Lebens frei von jeder persönlichen Sünde geblieben.

Die Reformatoren zeigten sich der Lehre der unbefleckten Empfängnis gegenüber spröde, da es nicht in der Schrift enthalten sei. Auch Maria fiel nach ihrer Auffassung unter die Erbsünde.

Die griechisch-orthodoxe Kirche kennt zwar das Fest der Empfängnis der Anna (9. Dezember); jedoch liegt bei ihr die Betonung nicht auf der »unbefleckten Empfängnis«, sondern darauf, dass die Eltern der Maria, »Joachim« und »Anna«, trotz ihres hohen Alters Leben hervorbringen konnten. Zudem sieht die griechisch-orthodoxe Kirche Maria auch ganz auf der Seite der Menschen, die sterben müssen, weil sie gesündigt haben.

Aufnahme in den Himmel
Katechismus der Katholischen Kirche

§ 966: »Schließlich wurde die unbefleckte Jungfrau, von jedem Makel der Erbsünde unversehrt bewahrt, nach Vollendung des irdischen Lebenslaufs mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein, dem Herrn der Herren und dem Sieger über Sünde und Tod« (LG 59). Die Aufnahme der heiligen Jungfrau ist eine einzigartige Teilhabe an der Auferstehung ihres Sohnes und eine Vorwegnahme der Auferstehung der anderen Christen.

Als Kurztext heißt es

§ 974: Nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes wurde die heiligste Jungfrau Maria mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen, wo sie schon an der Auferstehungsherrlichkeit ihres Sohnes teilhat und so die Auferstehung aller Glieder seines Leibes vorwegnimmt.

Das Dogma der Aufnahme Marias in den Himmel wurde am 1. November 1950 von Papst Pius XII. verkündet. Am Ende seiner Bulle heißt es:

… wir verkündigen, erklären und definieren, dass es ein göttlich offenbartes Dogma sei, dass die unbefleckte Gottesgebärerin, die immerwährende Jungfrau Maria, nachdem sie ihr irdisches Leben beendet hat, mit Körper und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde (DS 3903).

Der Leib Marias ist demnach sofort nach Abschluss ihres Lebens in den Himmel versetzt worden. Auf welche Weise das geschehen sein soll, wird nicht ausgeführt. Selbst der Tod Marias bleibt unerwähnt.

Gemäß dem Wortlaut der Bulle erfolgt die Aufnahme in den Himmel einfach nach der Beendigung des Erdenlebens. Auf dieser Grundlage schließen manche Theologen, Maria sei überhaupt nicht gestorben. Andere meinen, sie sei zwar gestorben, ihr Leichnam aber nicht verwest und nach der Auferweckung vom Tode sofort wieder mit der Seele vereinigt worden (vgl. Børresen 1988 : 79 – 80).

Dieses Dogma findet keine Zustimmung in der griechisch-orthodoxen Kirche, die am 15. August das Fest »Entschlafen der Gottgebärerin« begeht. Die Reformatoren hatten gegenüber der Lehre von der Aufnahme Marias in den Himmel ebenfalls Vorbehalte (vgl. Scheffczyk 2002 : 800).

Maria in der römisch-katholischen Frömmigkeit

Die Steigerung der Würde von Jesu Mutter innerhalb der römischkatholischen Kirche ist besser zu verstehen, wenn man die Marienfrömmigkeit stärker berücksichtigt. An Gewicht kaum zu überschätzen sind die vielfachen »Erscheinungen« der Maria, von denen es aber keine wissenschaftlichen Dokumentationen gibt (vgl. dazu allgemein Rahner 1958). Wir befinden uns hier von vornherein auf schwankendem Boden.

Im Folgenden zitiere ich relativ ausführlich aus den Schilderungen zweier Frauen, Elisabeth von Schönau und Anna Katharina Emmerich. Ihre Beschreibungen von Erscheinungen Marias sind nämlich genauer als die zumeist nur kurzen Berichte anderer Zeuginnen.

Die Marienerscheinungen vor Elisabeth von Schönau

Elisabeth von Schönau (1129 – 1164) empfing nicht nur viele Christuserscheinungen, sie hatte auch zahlreiche Marienvisionen. Sie trat im Alter von zwölf Jahren in das Benediktinerkloster Schönau ein. Elisabeth war oft krank, und ihre Ekstasen wurden häufig von schmerzhaften Anfällen begleitet. Ihr Bruder, Ekbert von Schönau, hat ihre Aufzeichnungen zusammengestellt und dabei, wie sich an einigen Stellen zeigt, auch eigene Gedanken einfließen lassen.

In einer ihrer Visionen sah Elisabeth die Auferstehung Marias aus dem Grab und ihre Aufnahme in den Himmel:

In dem Jahr, in dem mir vom Engel des Herrn das Buch der Gotteswege verkündigt wurde, an dem Tag, an dem die Kirche die Oktav der Aufnahme unserer Herrin feiert, war ich zur Stunde des Gottesdienstes in der Entrückung des Geistes, und es erschien mir nach ihrer Art jene, meine Trösterin, die Himmelsherrin.

Da fragte ich sie, wie ich von einem unserer Älteren vorher ermahnt worden war, und sagte: »Meine Herrin, möge es deiner Wohlwollenheit gefallen, uns zu würdigen, darüber Auskunft zu geben, ob du nur im Geiste in den Himmel aufgenommen wurdest oder auch im Fleische.«

Dies aber sagte ich deshalb, weil, wie man spricht, sich darüber in den Büchern der Väter nur mit Zweifel Geschriebenes findet.

Und sie sagte mir: »Was du fragst, kannst du noch nicht wissen. Es wird aber so sein, dass durch dich dies geoffenbart werden wird.«

Daher wagte ich während des ganzen Zeitraumes dieses Jahres nicht, darüber entweder von dem Engel, der mir vertraut ist, noch von ihr, wenn sie sich mir zeigte, etwas weiteres zu erfragen. Es legte mir aber jener Bruder (= Ekbert), der mich zu dieser Nachforschung drängte, einige Gebete auf, mit denen ich von ihr die Offenbarung erlangen sollte, die sie mir versprochen hatte. Und als nach Ablauf eines Jahres das Fest ihrer Himmelfahrt wiedergekommen war, war ich durch eine vieltägige Krankheit schwach, und wie ich zur Zeit des Gottesdienstes im Bett lag, kam ich mit heftiger Anstrengung in eine Entraffung des Geistes. Und ich schaute an einem weit entfernten Ort ein mit viel Licht umflossenes Grab und etwas wie eine Frauengestalt darin, und herum stand eine große Menge von Engeln. Und nach einem Augenblick wurde sie aus dem Grab aufgerichtet, und zugleich mit jener Menge der Dabeistehenden wurde sie in die Höhe erhoben. Und als ich aufblickte, siehe, da kam ihr von der Himmelshöhe ein über alle Vorstellungen verklärter Mann entgegen, der in der Rechten ein Kreuzzeichen trug, an dem auch eine Fahne erschien. Ich erkannte, dass er der Herr und Heiland selbst war und eine unendliche Menge von Engeln mit ihm. Und sie so froh empfangend, brachten sie sie mit großem Chorgesang in die Himmelshöhe hinweg. Und nachdem ich dies so erblickt hatte, schritt meine Herrin nach kurzer Zeit zur Lichtpforte, in der ich sie üblicherweise sehe, blieb stehen und zeigte mir ihre Verklärung.

In derselben Stunde war der Engel des Herrn bei mir, … und ich sagte zu ihm: »Mein Herr, was bedeutet diese große Vision, die ich schaute?«

Und er sagte: »Gezeigt wurde dir in dieser Vision, wie sowohl im Fleisch als auch im Geist unsere Herrin in den Himmel aufgenommen wurde« (Übersetzung nach Dinzelbacher 1989 : 101 – 103).

Später berichtet Elisabeth, Maria habe ihr gesagt, alle Apostel des Herrn seien bei ihrem Begräbnis dabei gewesen: »Alle waren da und übergaben mit großer Ehrerbietung meinen Leib der Erde« (Dinzelbacher 1989 : 105).

Die Marienerscheinungen vor Anna Katharina Emmerich

Die Erscheinungen Marias vor der seit Dezember 1812 stigmatisierten Augustinernonne Anna Katharina Emmerich (1774 – 1824) erlangten durch die literarische Bearbeitung von Clemens Brentano (1778 – 1842) Berühmtheit und wirken bis heute. Anna Katharina Emmerich erzählt, wie sie die junge Maria und ihre Mutter »Anna« geschaut habe:

Als ich gestern abend zu Nacht gebetet hatte und kaum eingeschlafen war, trat eine Person an mein Bett, und ich erkannte in ihr eine Jungfrau, die ich schon früher oft gesehen hatte. Sie sprach ganz kurz zu mir: Du hast heute viel von mir gesprochen, nun sollst du mich auch sehen, damit du dich nicht in mir irrest. – Ich fragte sie aber: »Habe ich auch wohl zuviel geredet?«

Da erwiderte sie kurzweg: »Nein!« und verschwand. – Sie war noch im jungfräulichen Stande, war schlank und anmutig; sie hatte den Kopf mit einer weißen Kappe bedeckt, welche im Nacken, zusammengezogen mit einem Zipfel endigend, niederging, als seien ihre Haare darin verschlossen. Ihr langes, sie ganz bedeckendes Kleid war von weißlicher Wolle, die anschließenden Ärmel erschienen nur um die Ellbogen etwas kraus gebauscht. Hierüber trug sie einen langen Mantel von bräunlicher Wolle wie von Kamelhaaren.

Kaum hatte ich mich mit Rührung über diese Erscheinung gefreut, als plötzlich in ähnlicher Kleidung eine bejahrte Frau mit etwas gebeugterem Haupte und sehr eingefallenen Wangen vor mein Lager trat, sie war wie eine schöne, hagere, etwa 50 Jahre alte Jüdin. – Ich dachte schon: »Ei, was will denn die alte Judenfrau bei mir?« Da sprach sie zu mir: »Du brauchst nicht zu erschrecken, ich will mich dir nur zeigen, wie ich gewesen bin, da ich die Mutter des Herrn geboren, damit du dich nicht irrst.« Ich fragte sogleich: »Ei, wo ist denn das liebe Kindlein Maria?« Und sie erwiderte: »Ich habe sie jetzt nicht bei mir.« – Da fragte ich weiter: »Wie alt ist sie denn jetzt?« Und sie antwortete: »Vier Jahre«; und ich fragte abermals: »Habe ich dann auch recht geredet?« Und sie sprach kurz: »Ja!« Ich aber bat sie: »Oh, mache doch, dass ich nicht zuviel sage!« Sie antwortete nichts und verschwand.

 

Nun erwachte ich und überdachte alles, was ich von der Mutter Anna und der Kindheit der heiligen Jungfrau gesehen, und alles ward mir klar, und ich fühlte mich ganz glückselig. Am Morgen wieder entschlummert, sah ich ein neues, sehr schönes und zusammenhängendes Bild. Ich glaubte es nicht vergessen zu können, aber der kommende Tag fiel mit so vielen Störungen und Leiden über mich, dass ich nichts mehr davon übrig habe (Emmerich 1992 : 72 – 73).

Die Vorgänge im Himmel nach der Geburt der Maria hat Anna Katharina Emmerich folgendermaßen »gesehen«:

Im Augenblicke, als das neugeborene Kind Maria auf den Armen der heiligen Mutter Anna ruhte, sah ich es zugleich im Himmel vor dem Angesichte der allerheiligsten Dreifaltigkeit dargestellt und von unbeschreiblicher Freude aller himmlischen Heerscharen begrüßt. – Da erkannte ich, dass ihr alle ihre Seligkeiten, Schmerzen und Geschicke auf eine übernatürliche Weise bekannt gemacht wurden. Maria ward von unendlichen Geheimnissen unterrichtet, und doch war und blieb sie ein Kind. Dieses ihr Wissen können wir nicht verstehen, weil unser Wissen auf dem Baume der Erkenntnis gewachsen ist. Sie wusste alles dieses, wie ein Kind die Brust seiner Mutter weiß, und dass es an ihr trinken soll. Als mir die Anschauung verschwand, wie das Kind Maria so durch die Gnade zum Himmel unterrichtet ward, hörte ich es zum ersten Male weinen (Emmerich 1992 : 92).

Die Vision von der Geburt Jesu:

Ich sah den Glanz um die heilige Jungfrau immer größer werden, das Licht der Lampe, welches Joseph angezündet hatte, war nicht mehr sichtbar. Sie kniete in einem weiten, gürtellos um sie her ausgebreiteten Gewande, das Angesicht gegen Morgen gewendet, auf ihrem Ruheteppich.

In der zwölften Stunde der Nacht ward sie im Gebete entzückt. Ich sah sie von der Erde emporgehoben, so dass ich den Boden unter ihr sah. Sie hatte die Hände auf der Brust gekreuzt. Der Glanz um sie her mehrte sich, alles, selbst das Leblose, war in freudiger innerer Bewegung, das Gestein der Decke, der Wände, des Bodens der Höhle ward wie lebendig in dem Lichte. – Nun aber sah ich die Decke des Gewölbes nicht mehr, eine Bahn von Licht öffnete sich über Maria bis in den höchsten Himmel mit steigendem Glanze.

In dieser Lichtbahn war eine wunderbare Bewegung von Glorien, die sich durchdringend und nähernd deutlicher in der Form himmlischer Geisterchöre erschienen. – Die heilige Jungfrau aber, in Entzückung emporgetragen, betete nun zur Erde niederschauend ihren Gott an, dessen Mutter sie geworden war, der als ihr neugeborenes hilfloses Kind vor ihr an der Erde lag.

Ich sah unseren Erlöser als ein leuchtendes, ganz kleines Kind, das mit seinem Lichte allen umgebenden Glanz überstrahlte, auf dem Teppich vor den Knien der heiligen Jungfrau liegen. Es war mir, als sei es ganz klein und werde vor meinen Augen größer. Alles dieses aber war nur eine Bewegung von so großem Glanze, dass ich nicht bestimmt sagen kann, wie ich es gesehen.

Die heilige Jungfrau war noch eine Zeitlang so entzückt, und ich sah, wie sie ein Tuch über das Kind legte, aber sie fasste es noch nicht an und nahm es noch nicht auf. Nach einer geraumen Zeit sah ich das Jesuskind sich regen und hörte es weinen, da war es, als komme Maria zu sich, und sie nahm das Kindlein, welches sie mit dem darübergedeckten Tuche einhüllte, von dem Teppich auf und hielt es in den Armen auf ihre Brust. Sie saß nun und verhüllte sich ganz mit dem Kinde in ihrem Schleier, und ich glaube, Maria säugte den Erlöser. Da sah ich um sie her ganz menschlich gestaltete Engel vor dem Kinde anbetend auf dem Angesicht liegen.

Es mochte wohl eine Stunde nach der Geburt sein, als Maria den heiligen Joseph rief, der noch im Gebete lag (Emmerich 2002 : 226 – 27).