Forschen, aber wie? (E-Book)

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1.1 Einleitung

Ihre Maturaarbeit ist wahrscheinlich das erste Projekt, an dem Sie mehrere Monate selbstständig arbeiten werden. Das vorliegende Kapitel begleitet Sie von der Ideenfindung hin zur Fragestellung und bis zur Wahl der für Ihr Projekt geeigneten Methode(n). Es beschreibt, was wissenschaftliches Arbeiten heisst, und stellt Ihnen zwei unterschiedliche Vorgehensweisen vor, anhand deren neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Vielleicht haben Sie die Entscheidung über den Typus Ihrer Maturaarbeit schon getroffen.[1]

Sie planen eine Untersuchung. Beispielsweise untersuchen Sie mit einem Experiment, ob ein starkes elektromagnetisches Feld das Wachstum bestimmter Pflanzen beeinflusst. Oder Sie untersuchen den Roman «Ruhm» von Daniel Kehlmann, um die Frage zu beantworten: Wie sind die neun Geschichten über ihre Figuren, Motive und Themen verknüpft? Eine Untersuchung gibt Antworten auf eine präzise Fragestellung. Das Ziel Ihrer Untersuchung ist die Erforschung eines bestimmten, sehr eng begrenzten Ausschnitts unserer gesellschaftlichen, kulturellen oder physischen Welt. Wenn Sie dabei die wissenschaftlichen Methoden, die in diesem Buch vorgestellt werden, anwenden und sich bemühen, während des ganzen Prozesses wissenschaftlichen Anforderungen zu genügen, dann werden Sie einen Mosaikstein zum Wissensstand beitragen.

Vielleicht steht Ihnen der Sinn eher nach einem technischen Produkt. Sie wollen etwas erschaffen, eine Substanz aus anderen gewinnen oder etwas konstruieren oder programmieren. Wer beispielsweise einen Duftstoff extrahiert, ein spezielles Papier, eine Schaltung oder ein Messgerät herstellt, macht vorher diverse Studien zur genauen Analyse des Sachverhalts. Am Anfang eines technischen Produkts steht häufig eine Beobachtung (Beispiel: Ich beobachte, dass in zahlreichen Privatgärten Neophyten wachsen, deren Samen die heimische Fauna bedrohen[2] → Ich erstelle eine Beratungswebseite) oder – weit häufiger – ein Experiment, also eine Analyse (Können bei einer gemischten Farbe die einzelnen Farbanteile von einem Programm erkannt werden? → Ich programmiere eine Farbanalysesoftware). Das eigentliche Ziel Ihrer technischen Produktion ist jedoch eine Synthese, das Zusammenfügen Ihrer Erkenntnisse zu einem Produkt.

1.2 Von der Idee zur Fragestellung

Wie kommen Sie zu Ideen? Das ist die grosse Frage. Am besten beginnen Sie bei sich selbst: Was interessiert Sie besonders? Worüber möchten Sie mehr erfahren? Welche Fertigkeiten möchten Sie in die Tat umsetzen?

Verwenden Sie zur Ideensuche Kreativitätstechniken wie Brainstorming, Mindmapping, Clustering, Strukturbaum und Analogierad (vgl. Esselborn-Krumbiegel 2017, S. 37 f.[3]). Nützliche Hinweise bieten auch die Webseite maturaarbeit.net (Corthay et al.[4] 2018) und der Online-Leitfaden von Amnesty International, Greenpeace und Helvetas, der für Berufsfachschulen konzipiert wurde (2018).

Nehmen wir an, mithilfe der einen oder anderen Kreativitätstechnik sei bei Ihnen ein Thema in den Vordergrund gerückt, zum Beispiel das folgende: Auch in der Schweiz gab es früher verbotene Stadtteile, allerdings nicht wie die kaiserliche Residenzstadt in Peking, sondern riesige eingezäunte Industrieanlagen wie in Winterthur, Zürich, Baden und in vielen anderen Städten. Das Areal der Maschinenfabrik Sulzer AG Winterthur war abgeriegelt und nur für Angestellte zugänglich.

Daraus könnte zum Beispiel das Thema «Der Wandel von der umzäunten Industrieanlage zum trendigen Stadtquartier» gewählt werden, falls Sie diese Entwicklung interessiert. Dieses Thema ist aber sehr weitläufig, und deshalb muss es eingegrenzt werden.


Abbildung 1.1: Sulzer-Areal aus 100 Meter Höhe, 1934, Foto Walter Mittelholzer (1894–1937)

Alle betreuenden Lehrpersonen verlangen eine Eingrenzung des Themas. Von Ihnen wird das vielleicht eher als schmerzlicher Prozess erlebt. Die Notwendigkeit zur Konzentration auf eine eng begrenzte Fragestellung hat zum einen damit zu tun, dass Sie limitierte Ressourcen haben – zeitlich und finanziell.[5] Und zum andern möchte die Lehrperson Sie in eine echte Forschungssituation hineinführen. Denn wenn es Ihnen gelingt, auf eine spezifische Fragestellung zu fokussieren, dann ist die Chance gross, dass Sie erstens einen Prozess durchmachen, wie er sich in der «echten» Forschung ergibt, und dass Sie zweitens einen Mosaikstein zum Wissen und Verstehen innerhalb des gewählten Themas beitragen können.

Eine gute Zwischenstation bei der Themenfindung ist die Beantwortung von einigen «W-Fragen»: Was genau möchte ich machen? Wo möchte ich in die Tiefe gehen, wo möchte ich etwas ausloten? Warum tue ich es genau so und nicht anders? Je nach Forschungsgegenstand helfen weitere W-Fragen, das Thema einzugrenzen: Wann? (untersuchter historischer Zeitraum); Wie? (Methode, fachliches Verfahren) (vgl. ebenda[6], S. 63).

Die Fragen nach dem «Was?» und dem «Wann?» drängen im Beispiel «neues Stadtquartier» zur Entscheidung, ob der Niedergang der Maschinenindustrie oder die ersten Schritte zum Aufbau eines neuen Stadtteils im Zentrum stehen.

Mit der Antwort auf die Frage nach dem «Wo?» bestimmen Sie, ob zum Beispiel Sulzer in Winterthur, Escher-Wyss in Zürich oder Brown, Boveri & Cie. in Baden zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden soll. Wenn Ihr Wohnsitz in einer dieser Städte liegt oder in einer Stadt, die ähnliche Grossindustrieanlagen hatte, dann wird die Entscheidung leichter, denn je näher Sie sich an den Wissensquellen zu Ihrer Fragestellung befinden, desto einfacher kommen Sie an Informationen heran (Untersuchungsgegenstand, Archive, Personen und so weiter).

Das Thema in die Nähe rücken

Ihre Chancen, zu nützlichen Informationen zu kommen, sind grösser, wenn Sie lokale oder personelle Bezüge knüpfen können. Klären Sie ab, ob Ressourcen wie Archive, Laborräumlichkeiten oder Expertinnen und Experten zugänglich sind.

Im Bereich der Naturwissenschaften gibt es manchmal noch eine weitere Möglichkeit, ein komplexes Thema zu erarbeiten.

In vielen Entwicklungsländern wird den Menschen empfohlen, das mikrobakteriell verschmutzte Wasser, das ihnen häufig als einziges Trinkwasser zur Verfügung steht, in PET-Flaschen abzufüllen und diese Flaschen auf einem heissen Wellblechdach einige Stunden an die pralle Sonne zu legen (vgl. Wikipedia, Stichwort «SODIS»).[7] In diesem Zusammenhang könnte es für Sie vielleicht interessant sein, die antibakterielle Wirkung der UV-Bestrahlung auf einen bestimmten Krankheitserreger zu untersuchen.

Das Thema «Wasserreinigung durch UV-Bestrahlung» durchläuft anschliessend den gleichen Prozess der thematischen Fokussierung durch die «W-Fragen». Bei der Frage nach dem «Wie?» liegt es auf der Hand, dass Sie als Erstes mit Ihrer Biologielehrperson in Erfahrung bringen, ob ein derartiges Untersuchungsvorhaben mit den Mitteln, die Ihnen in der Schule zur Verfügung stehen, überhaupt durchführbar ist. Weiter gilt es abzuklären, ob Sie eine Chance haben, von einem speziellen Forschungsinstitut unterstützt zu werden, beispielsweise von der eawag aquatic research.[8]

Betreuende Lehrperson und Forschungsinstitute anfragen

Gemeinsam mit der betreuenden Lehrperson finden Sie die passende Kombination der anzuwendenden Verfahren, und vielleicht kann sie Ihnen − falls gewisse Untersuchungen nicht im Schullabor durchgeführt werden können − den Weg zu einem Forschungsinstitut ebnen.

Noch bevor Sie die genaue Fragestellung formulieren oder das Ziel festlegen, das Sie mit Ihrer technischen Produktion erreichen möchten, empfiehlt es sich, den Blick nochmals zu weiten. Das wird anhand des folgenden Beispiels erklärt.

Die Sängerin Joan Baez setzt sich in ihren Liedern und in ihren politischen Aktivitäten pointiert gegen die Rassendiskriminierung und für den Pazifismus ein (vgl. ihre Webseite: www.joanbaez.com und die Anleitung im Literaturverzeichnis unter Baez, Joan).

Falls Sie nun als Maturaarbeit einige ihrer Lieder auf pazifistische Aussagen hin analysieren wollen, dann müssten Sie sich die Frage stellen, ob Sie die Haltung von Joan Baez zuerst breit zu erfassen versuchen, damit Ihnen kein wichtiger Aspekt entgeht, oder ob Sie schon gezielt auf einige Songs eingehen wollen. Eine anfängliche Breite und eine Fokussierung erst im zweiten Schritt ist in den meisten Fällen vorzuziehen.


Abbildung 1.2: Joan Baez 2018

Sie gehen vom Kern Ihrer Idee aus und fragen sich, welche Bereiche Sie unbedingt einbeziehen müssen und welche Sie vorerst weglassen können. Dieses sorgfältige Abwägen des Untersuchungsbereichs bewahrt Sie einerseits davor, etwas zu vergessen, das unabdingbar zu Ihrer Idee gehört, und andererseits davor, sich in Nebenthemen zu verlieren.

 

Nach dieser Ausweitung und der anschliessenden Eingrenzung kommt nun eine zweite Fokussierung, in der Sie die Fragestellung formulieren. Die Fragestellung ist Ihr Kompass während der ganzen Arbeit. So wie Sie sich auf einer Trekkingtour nur mit Kompass oder GPS ausgerüstet in ein grosses Waldgebiet hineinwagen, brauchen Sie auch für Ihre Forschungsarbeit eine zentrale Fragestellung, damit Sie nie vom Weg abkommen und das Ziel sicher erreichen (vgl. Alagöz-Bakan, Knorr & Krüsemann 2015, S. 74).

Arbeiten des Typs «Untersuchung» haben immer eine Fragestellung. Bei Arbeiten des Typs «technische Produktion» übernimmt ein Anforderungskatalog diese Funktion.

Nun geht es darum, die Fragestellung in einer These oder Hypothese zu konkretisieren. In den Wissenschaften, in denen Erfahrungen der Menschen und ihre Werke im Zentrum stehen, beispielsweise in der Geschichts-, Literatur- und Kunstwissenschaft, spricht man von einer These im Sinn einer Ausgangsbehauptung, die im Verlauf der Forschungsarbeit untermauert wird. In den Sozialwissenschaften wie Psychologie, Soziologie und Pädagogik wird – je nach Ansatz – der Begriff «These» oder auch «Hypothese» verwendet, in den Naturwissenschaften spricht man durchwegs von einer Hypothese.

Nach dem Abschluss dieses Konkretisierungsschritts unterziehen Sie Ihr bisheriges Gerüst einer SMART-Analyse. Die Abkürzung umfasst die fünf folgenden Ansprüche (vgl. Umbach 2014, S. 8, und Wikipedia, Stichwort «SMART»).


SpezifischSind Ihre Fragestellung und Ihre (Hypo-)These (Maturaarbeitstyp «Untersuchung») oder Ihr Ziel (Maturaarbeitstyp «Technische Produktion») präzise und eindeutig formuliert?
MessbarKönnen Sie am Schluss eindeutig feststellen, ob Ihre Fragestellung beantwortet ist, ob Ihre (Hypo-)These zutrifft oder verworfen werden muss oder ob Sie mit Ihrem Produkt das Ziel erreicht haben?
Akzeptiert/AnsprechendWird Ihr Konzept von der betreuenden Lehrperson akzeptiert? Halten Sie das Thema für wissenschaftlich interessant, und liegt es Ihnen wirklich am Herzen? Erreichen Sie das Bestmögliche, indem Sie die Anforderungen der Schule, Ihr persönliches Interesse und Ihre Leistungsbereitschaft miteinander kombinieren?
RealistischSind Sie realistisch, und haben Sie Ihre Zielsetzung Ihren Fähigkeiten, Ihrer Ausrüstung und Ihrem Zeitrahmen entsprechend gewählt?
TerminiertHaben Sie den Erstellungsprozess der ganzen Arbeit vom Abgabetermin her rückwärts geplant und sich Meilensteine (Zwischenziele) gesetzt?

1.3 Die passende Methode finden

Sie haben sich Vorwissen zu Ihrem Thema verschafft, es eingegrenzt, eine Fragestellung entwickelt und sie in einer (Hypo-)These konkretisiert beziehungsweise einen Anforderungskatalog definiert. Mit der SMART-Analyse haben Sie überprüft, ob Sie die von der Schule geforderten Rahmenbedingungen einhalten und ob sie mit Ihren eigenen Zielen in Einklang zu bringen sind. Nun geht es darum, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen und dann die geeignete Methode für Ihr Vorhaben zu finden.

1.3.1 Sich vorbereiten: recherchieren, bewerten und vernetzen

Durch Ihre Vorträge, Projekt- und Semesterarbeiten sind Sie im Recherchieren und im Umgang mit Quellen schon geübt. Kapitel 2 gibt Ihnen weitere Inputs. Es werden Fragen besprochen wie «Wo suchen?» (im Metabibliothekskatalog, in Datenbanken, in Zeitschriften); «Wie suchen?» (mit Platzhaltern, mit Operatoren); «Wie bewerten?» (Glaubwürdigkeit und Aktualität von Internetseiten); «Wie erstelle ich ein Rechercheprotokoll?» und «Soll ich ein Literaturverwaltungsprogramm einsetzen?».

Weiter sollten Sie sich vergewissern, ob Sie den Umgang mit Quellen korrekt und dem wissenschaftlichen Standard entsprechend handhaben: Sie betten Ihre Arbeit in den wissenschaftlichen Kontext ein und sorgen durch Quellenverweise für Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Sie beachten den wissenschaftlichen Ehrenkodex, Sie kennen den Unterschied zwischen direktem und indirektem Zitieren, und Sie können ein Literaturverzeichnis erstellen.

Sorgen Sie durch das Durcharbeiten von Kapitel 2 dafür, dass Sie im Suchen von Informationen, in deren Bewertung und deren Integration in Ihren Text auf dem neuesten Stand sind und den Kopf frei haben für die Bearbeitung Ihres Themas. Durch die Vernetzung mit der Welt der Wissenschaften schaffen Sie die Voraussetzungen, damit Sie in Ihrem Projekt etwas Neues herausfinden und dadurch Ihre Fähigkeiten in Bezug auf wissenschaftliches Arbeiten unter Beweis stellen können.

1.3.2 Ortsgebundene Daten erheben – beobachten – experimentieren

Die drei Methoden «Datenerhebung im Gelände», «verhaltensbiologische Beobachtung» und «naturwissenschaftliche Experimente» lassen sich anhand des Beispiels der Rothirsche erklären. Alle drei Methoden legen eine statistische Auswertung nahe.

Das Rotwild verursacht durch den sogenannten Wildverbiss enorme Schäden im Wald. Bevorzugte Bäume werden durch die Rothirsche auf der Höhe ihres Geweihs fast komplett geschält (vgl. Amt für Landschaft und Natur 2017). Wenn Sie solche Schäden fotografieren wollen, dann sollten Sie auch die Koordinaten festhalten, denn jeder Schaden tritt an einem bestimmten Ort auf.


Abbildung 1.3: Schälschäden durch Rotwild im Białowieża-Nationalpark, Polen

Ortsgebundene Daten werden nicht nur in ihrer Anzahl oder in ihrem Ausmass festgehalten, sondern häufig auch auf einer Karte eingezeichnet. Diese Darstellung erlaubt es Ihnen, räumliche Muster zu erkennen. In einer Langzeitstudie mit den kartografisch festgehaltenen Schäden wäre es möglich, die Veränderung der Flora durch den Wildverbiss zu erforschen – wegen des ausgedehnten Zeitraums allerdings kein Maturaarbeitsthema. Mit der Methode der Datenerhebung im Gelände können Sie noch vielerlei andere Zusammenhänge kartografisch und – statistisch ausgewertet – in Diagrammen darstellen und so sichtbar machen.

Im Herbst ist das Röhren der Hirschstiere von Weitem zu hören, was es möglich macht, sich gute Beobachtungsposten für die Untersuchung des Brunftverhaltens der Rothirsche auszusuchen. Die einzelnen Elemente des Brunftverhaltens – das Schieben, Vorrücken, seitliche Abdrängen und so weiter – gehen allerdings manchmal so schnell, dass es ratsam ist, zuerst ein Beobachtungsprotokoll anhand eines Films über das Brunftverhalten zu erstellen und die brunftspezifischen Bewegungen mit Buchstaben zu codieren.[9]


Abbildung 1.4: Kämpfe der Hirschstiere in der Brunftzeit

Dann kann man vor Ort mit dem Feldstecher das Geschehen beobachten und die Codes mit Zeitangabe auf dem Beobachtungsprotokoll notieren. Es ist ratsam, nur so nahe heranzugehen, wie die Stiere die beobachtende Person weder riechen noch sehen können, denn sonst wird das Geschehen auf unvorhersehbare Weise beeinflusst, was bei einer Beobachtung nach Möglichkeit zu vermeiden ist.

In manchen Wäldern sind die Rothirsche so zahlreich, dass der Wildverbiss zu grossen Waldschäden führt. Die betroffenen Gemeinden müssen Strategien entwickeln, um ihren Jungwald zu schützen. Hirschsichere Zäune müssen allerdings zwei Meter hoch sein, und sie sind entsprechend teuer (vgl. Nemestothy 2016). In Zusammenarbeit mit dem Forstbetrieb einer betroffenen Gemeinde könnten Sie ein Experiment durchführen: Eines der Jungwaldgehege wird in den Winterwochen, in denen die Hirsche wegen einer dichten Schneedecke wenig Futter finden und die Einzäunung des Jungwalds zu wenig hoch aus der Schneedecke herausragt, mit geeigneten Massnahmen (Erhöhung der Zäune, Bewegungsmelder mit Pfeiftönen oder anderes) geschützt, das andere nicht. Durch diese Einflussnahme wird Ihre Beobachtung mittels Fotofallen zu einem Experiment, denn Sie greifen ins Geschehen ein und verändern eine Bedingung. Mit solchen Experimenten, bei denen jeweils nur ein einziger Faktor verändert wird, kann man Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erforschen.

1.3.3 Erhobene Daten mittels Statistik auswerten

Bei den meisten Projekten, die einen Sachverhalt quantitativ untersuchen, werden die erhobenen Daten statistisch ausgewertet. Mit den Mitteln der beschreibenden Statistik verschaffen Sie sich Einsicht in die Struktur der Daten (Welche Werte kommen am häufigsten vor? Wie gross sind die Abweichungen vom Mittelwert? und so weiter) und stellen sie in Diagrammen zusammenfassend dar. Die schliessende Statistik verhilft Ihnen dazu, die Unsicherheit bei einem Schluss von einer kleinen Stichprobe auf eine grosse Menge von Merkmalsträgern mittels der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu beziffern, sodass Sie Ihre Hypothese mit einer berechenbaren Sicherheit verwerfen oder bestätigen können.

In den Kapiteln 4, 5 und 8, in denen Methoden zur Erhebung von statistisch auswertbaren Daten erklärt werden, verweisen wir auf die entsprechenden Abschnitte des Statistik-Kapitels 6. Die eigentliche Auswertung der Beispiele aus den genannten Kapiteln, meist in der Form von Hypothesentests, sind im Statistik-Kapitel unter «Fallbeispiele» angefügt. Und das Besondere ist, dass Sie die komplexen Berechnungen nicht selbst durchführen müssen, denn Sie lernen, mit einem Statistikprogramm umzugehen.

1.3.4 Unsere Mitmenschen beobachten und befragen

Das Verhalten und Erleben von Menschen zu erforschen, erfordert eigene Methoden und hat mit besonderer Umsicht zu geschehen. Kapitel 7 zeigt Ihnen drei mögliche methodische Zugänge auf: Sie können Menschen beobachten, Sie können sie befragen, oder Sie können sie – in eine Kontrollgruppe und eine Experimentalgruppe eingeteilt – dazu anregen, einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu erforschen.

Sie spielen zum Beispiel in einer Volleyballmannschaft mit und interessieren sich dafür, wie die Mannschaft als Ganzes oder einzelne Teammitglieder Niederlagen verarbeiten. Mittels einer systematischen Beobachtung, am besten gleich nach dem verlorenen Spiel, erfassen Sie, welche Verarbeitungsmechanismen von der Mannschaft angewandt werden. Wenn Sie hingegen in Erfahrung bringen wollen, welche Verhaltensweisen die einzelnen Spielerinnen oder Spieler als förderlich respektive hinderlich für den weiteren Erfolg der Mannschaft einschätzen, dann führen Sie eine Befragung mit einem Fragebogen durch.

Eine dritte Möglichkeit ist ein sozialwissenschaftliches Experiment: Sie überzeugen eine Mannschaft davon, anerkannte sportpsychologische Elemente im Sinn eines Mentaltrainings anzuwenden, die helfen, eine Niederlage wegzustecken. Eine zweite Mannschaft, die sogenannte Kontrollgruppe, erhält diese Informationen nicht. Der Vergleich der beiden Mannschaften erlaubt gewisse Rückschlüsse auf die Wirksamkeit des angewandten Mentaltrainings.

Das Experimentieren mit Menschen ist an hohe ethische Standards geknüpft. Wenn Sie die einhalten, haben Sie die Voraussetzungen für ein interessantes und ethisch korrektes Experiment geschaffen. Allerdings haben die Versuchspersonen ein Anrecht darauf zu wissen, was Sie machen und warum Sie das machen. Manchmal können Sie es ihnen jedoch erst im Nachhinein sagen, um die Situation nicht zu verfälschen.

Bei einer Meinungsbefragung wird eine relativ kleine Stichprobe von Personen mittels Fragebogen zu verschiedenen Themen befragt – online oder in persönlichen Interviews. Anhand der ausgewerteten Resultate der Stichprobe kann auf die ganze Personengruppe geschlossen werden, dies aber nur unter bestimmten Bedingungen. Eine Befragung, zum Beispiel zum Thema «Wie müsste der Informatikunterricht an den Mittelschulen ausgebaut werden?», ergibt nur dann brauchbare Resultate, wenn die Stichprobe aus Personen mit den gleichen Merkmalen besteht, wie sie in der Gesamtgruppe vorkommen. Wenn Sie diese Gesetzmässigkeit beachten, können Sie von der Meinung von beispielsweise 60 befragten Mittelschülerinnen und -schülern auf die Meinung aller 800 Schülerinnen und Schüler Ihres Schulhauses schliessen, und dies mit einer erstaunlich tiefen Fehlerquote.

 

Sie fragen sich beispielsweise, welche Auswirkungen die Einführung von künstlicher Intelligenz auf Bankangestellte haben wird. Allerdings finden Sie dazu kaum Fachliteratur. Sie führen deshalb mit einer Person aus dem höheren Kader ein sogenanntes Experteninterview durch. Damit kommen Sie zu Hintergrundwissen und erhalten eine Einschätzung der derzeitigen Situation. Eine andere Zielsetzung verfolgen Sie, wenn Sie zu dieser Fragestellung Interviews mit den Betroffenen, den Bankangestellten, durchführen. Es geht dann vielleicht vor allem um deren Zukunftsängste. Entsprechend führen Sie die Interviews auf eine ganz andere Art durch.