Das letzte aller Tage

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Z serii: Lindemanns #279
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Das letzte aller Tage
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Gabriella Hünnekens

Das

Letzte

aller

Tage

Wilkommen in

den Wechseljahren


Lindemanns Bibliothek, Band 279

herausgegeben von Thomas Lindemann

Umschlagsillustration:

Uwe Mayer (www.uwemayer.com)

© 2017 · Info Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck ohne Genehmigung

des Verlages nicht gestattet.

ISBN 978-3-88190-947-1

www.infoverlag.de

Gewidmet allen Frauen

und meinem mit mir meistens

geduldigen Mann

Gabriella Hünnekens, im Stauferland geboren, arbeitete als Journalistin für verschiedene Zeitschriften und Radiosender. Nach zehnjährigem Aufenthalt in Italien lebt sie wieder in Deutschland als Projekt- und Kulturmanagerin, Autorin und zunehmend als Gesundheits- und Wechseljahr-Beraterin. Durch die Wechseljahre veränderte sich ihr Leben von heute auf morgen. Von den Ärzten unverstanden und von der Literatur nur lückenhaft informiert, begann sie zu recherchieren, um diesen unausweichlichen Zustand besser in den Griff zu bekommen. Seit über zwei Jahren berät sie nun „Wechseljährige“. Die verzweifelten, unglaublichen und komischen Erfahrungen, die sie in ihrem Buch beschreibt, resultieren aus vielen Gesprächen, die sie mit Frauen „am Rande des Wahnsinns“ geführt hat.

www.das-letzte-aller-tage.de, www.wechsel-zeiten.de

Die Eintagsfliege wird bereits

zwölf Stunden nach ihrer Geburt

von ihrer Midlife-Crisis erwischt.

Das muss man sich mal klarmachen!

Loriot

Die Namen der in diesem Buch genannten, von mir aufgesuchten Mediziner, Fach-, Frauenärzte und Psychiater sind frei erfunden. Eine Übereinstimmung mit Namen lebender Personen ist rein zufällig. Sämtliche in den Text eingearbeiteten Informationen sind von mir sorgfältig recherchiert und zusammengestellt worden. Diese Infos dienen nicht zu Diagnosezwecken oder als Therapieempfehlung. Meine Ratschläge im Buch bieten keinerlei Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Suchen Sie bei unklaren oder heftigen Beschwerden unbedingt einen Arzt auf! Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie. Eine Haftung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden durch die Gesundheitstipps und Rezepte auf diesen Seiten wird ausgeschlossen.

1. Kapitel

What's up?

Mein Name ist Monika Marsch und ich schätze mal, dass ich mich mit dem Gedanken eines Coming-outs als Wechseljährige anfreunden muss. Ich war (bis vor Kurzem) in zweiter Ehe sehr glücklich verheiratet und stand (bis vor Kurzem) gefestigt im Berufsleben. Ich war (bis vor Kurzem) einen Meter siebzig groß, trug (bis vor Kurzem) Konfektionsgröße achtunddreißig und (bis vor Kurzem) Schuhgröße vierzig.

Tja, bis vor Kurzem verlief mein Leben in geregelten Bahnen. Es war vorhersehbar, es war in Ordnung und ich war gesund, munter, frohgelaunt und zufrieden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem mein Körper selbstständig anfing Dinge zu tun, die er früher nicht tat. Vor einigen Tagen habe ich ein schwarzes Haar auf meinem Brustwarzenhof entdeckt. Seit geraumer Zeit bilde ich mir ein, nach Brühwürfel zu riechen. Auf meiner Oberlippe zeichnet sich ein zarter Hauch von Schnurrbart ab. Mein zunehmend schwindendes Unterhautfettgewebe im Gesicht sorgt für faltige, der Schwerkraft folgende Züge, die ich so nicht haben möchte. Nicht nur meine Schultern beginnen auffällig schlaff nach unten zu hängen, sondern auch mein schlagartig teigig gewordener Hals. Morgens komme ich überhaupt nicht mehr in die Gänge und den ganzen Tag über fühle ich mich abgekämpft, müde und ausgelaugt.

Am Anfang dachte ich, dass das nur so eine Phase sei, dass alles in absehbarer Zeit wieder anders würde. Nur ein bisschen ausruhen und entspannen und ich bin wieder ganz die Alte. Von wegen. Jeder Tag hält neuerdings eine weitere absurde Überraschung bereit. Mein über Jahre hinweg erlangtes vertrautes Körpergefühl scheint sich nach und nach in ein peinliches Fremdheitsgefühl zu verwandeln.

Als ich merkte, dass mit meinem Körper etwas nicht stimmte, war es für eine Gegenwehr auch schon zu spät. Ich war mitten drin – und zwar in den Wechseljahren. Meine Eisprünge und somit meine regelmäßigen Tage fielen mangels Eier immer spärlicher aus. Das letzte Ei aller Tage machte sich bald auf den Weg, das Ende rückte unaufhaltsam näher.

Ganz normal? Das ist so, wenn man älter wird? Mag sein. Die Sache hatte nur einen Haken: Ich hatte überhaupt keinen Plan, was in meinem Körper abging oder was es bedeutete, plötzlich ohne Hormone leben zu müssen. Ich wusste schließlich auch gar nicht, dass es überhaupt möglich sein kann, ohne Hormone dazustehen. Als es mir anfänglich körperlich und seelisch immer mieser ging, war ich Lichtjahre von dem Wort Menopause entfernt. Ja, ich hatte keine Ahnung, dass meine unzähligen Leiden und Plagen, dass alles, was ich durchmache, in Verbindung mit den Wechseljahren stand, die durch ein Totalversagen meiner Eierstöcke in Gang gesetzt wurden.

Das Einzige, was ich über die Wechseljahre wusste, war, dass man mächtig ins Schwitzen kommen kann. Dem gegenüber stand allerdings die wunderbare Aussicht, nie wieder eine Periode haben zu müssen und folglich auch endlich nie wieder schwanger werden zu können. That’s it ... Ha ha ... träum weiter!

Am Ende meiner Tage wurde ich eines Besseren belehrt. Das hätte ich jedoch schon gerne am Anfang gewusst. Ich stand plötzlich in einem Leidensabschnitt, der mehrere Ursachen auf verschiedenen Ebenen hat. Wie ich (erst viel später) erfuhr, nennt sich das Ganze das „Menopausen-Syndrom“ und gilt als sogenannte „Multi-System-Erkrankung“. Die eindeutige Hauptursache dafür ist eine biologische, das heißt eine hormonelle Veränderung.

Klar, ich erleide kein Einzelschicksal, denn gegenwärtig steht etwa jede zehnte Frau in den Wechseljahren. Davon wiederum sind Dreiviertel während dieser Menopause seelischen, psychosozialen und körperlichen Beschwerden unterschiedlicher Intensität ausgesetzt. Laut Umfrage stehen unter den körperlichen Beeinträchtigungen Hitzewallungen und kalte Schweißausbrüche an erster Stelle, die sich meist nachts äußern und mit Vorliebe Schlafstörungen mit sich bringen. Die unterschiedlichsten, überaus lästigen körperlichen Symptome werden zudem penetrant von seelischen und intellektuell-geistigen Beeinträchtigungen begleitet. Eine ausgeprägte Gemütslabilität zerrt unaufhaltsam an unserem über Jahrzehnte entwickelten, gut sitzenden Gefühlskostüm. Auch hier gibt es eine Hormon-Loser-Rangliste, deren erster Platz mit vermehrter Weinerlichkeit besetzt ist, stante pede gefolgt von anhaltenden traurigen Verstimmungen und verstärkter Ängstlichkeit mit zum Teil längeren Angstzuständen.

Am häufigsten dürfen wir Frauen in den Wechseljahren innere Unruhe, Anspannung, Nervosität, ja Reizbarkeit bis hin zur Aggressivität in unserem bislang ausgeglichenen Leben begrüßen. Zusätzliche Beeinträchtigungen sind Interesselosigkeit, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit und eine rasche körperliche, aber auch seelische Erschöpfbarkeit sowie länger anhaltende Mattigkeit.

Auch in sexueller Hinsicht gibt es Probleme. Wobei das Gemeinste dabei die gravierend schwindende Libido ist. Da helfen weder Strapse noch Sex Toys mit Pulsatoren und G-Punkt-Vibrator. Die sexuelle Lust schrumpft gleichermaßen mit den Eierstöcken und dem Selbstwertgefühl, frau verkommt ungewollt zum Neutrum. Mit Beginn der Wechseljahre läuft der Erotik-Countdown. Der Tag, an dem sich die sexuellen Aktivitäten endgültig auf dem Nullpunkt befinden, zeichnet sich in naher Ferne deutlich ab.

2. Kapitel

Der Frust mit der Lust

Der erste bewusste Groll gegen die inakzeptablen Wechseljahre machte sich in mir breit, als sich eine öde Sexwüste vor mir auftat. Schon seit längerer Zeit schlafe ich mit meinem Mann nur noch, um ihm einen Gefallen zu tun und weil ich mich schuldig fühle.

Ja, ich fühle mich schuldig, weil ich meinem Mann gegenüber überhaupt kein Verlangen mehr verspüre. Also gab ich mich heute wieder einmal notgedrungen seiner Zärtlichkeit hin, die ich nur als unnötige Berührungen empfand, in der eigennützigen Hoffnung, mein schlechtes Gewissen dadurch beruhigen zu können.

Mit dem plötzlichen Verschwinden meiner Lust verschwanden logischerweise auch meine herrlichen Orgasmen. Von einem Tag auf den anderen hatte ich gegenüber körperlichem Kontakt nur noch negative Empfindungen und eine Frage tat sich auf: Sex? Wozu? Mein Mann allerdings hatte offensichtlich dennoch seine Freude an mir. Er genoss mich, bewegte sich gut wie immer, versuchte mich anzutreiben, zu locken, aber meiner Vagina ist das alles ziemlich egal. Ist die überhaupt noch da?

„Komm Baby, komm!“, stöhnte er lustvoll hinter mir. Keine Chance, mein Lieber, dachte ich, ich komme nicht. Ich kann nämlich nicht mehr kommen. Gewissermaßen scheine ich seit unserem letzten Sex frigide geworden zu sein. Na prima, jetzt weiß ich endlich, wie sich Frigidität anfühlt. Nur, wollte ich das wissen? Noch vor wenigen Wochen konnte ich meine Libido kaum bremsen. Und jetzt: kein Gefühl. Kein verwirrender Rauschzustand. Kein Verlangen. Keine Euphorie. Kein Fünkchen Begehren. NICHTS! Was zum Teufel war nur los mit mir?

Ich starrte auf die weiße Wand vor mir und ertappte mich beim Versuch, die Holzfasern der grobkörnigen Raufasertapete zu zählen, während mich mein Mann im Doggy Style durchs Bett stieß. Der hat’s gut, dachte ich. Der Sex mit mir macht ihm mal wieder richtig Spaß.

 

Hoffentlich kommt er bald. Ups ... Oh nein! Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal zu den Frauen gehören würde, denen so etwas in den Sinn kommt. Und jetzt ist es mir passiert ... O Gott! Mein Mann stöhnte lauter und lauter und noch lauter und kam. Endlich! Lautlos krochen Tränen über meine Wangen.

„Schatz, das war gut“, sagte mein Mann ganz glückselig. „Hat es dir auch gefallen?“

Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und brach in lautes Schluchzen aus. Hemmungslos heulte ich drauflos.

Mein Mann erschrak. „Liebling, was ist denn? Hab ich dir wehgetan? Süßes, schau mich an, was ist denn?“

„Nein, nein, alles in Ordnung“, plärrte ich.

„Aber was ist denn dann?“ Hilflos sah mein Mann mich an.

„Ich hab ... ich kann ... ich bin ... huhuhuhuhu ...“, erneut schüttelten mich die Tränen und ich spürte, wie sich Rotzblasen unter meiner Nase bildeten.

Liebevoll putzte mir mein Mann mit dem Handrücken die Nase, zog mich in seine Arme und wiegte mich behutsam wie ein Baby hin und her. Diese zärtliche Geste veranlasste mich dazu, geradewegs weiterzuheulen. Ich konnte einfach nichts dagegen tun. Ich war machtlos. Auch dieser, mir mittlerweile bekannte Zustand der haltlosen Flennerei war mir zum ersten Mal vor ein paar Wochen aufgefallen. Was passiert mit mir?

„Jetzt beruhigst du dich erst mal und dann sagst du mir, was du auf dem Herzen hast.“

Ich konnte noch nicht reden, erst eine gefühlte Ewigkeit später versiegten meine Tränen. Mein klagendes Schluchzen ging in ein hoffnungsloses Wimmern über.

„So. Willst Du mir jetzt sagen, was dich bedrückt?“ Mein Mann hielt meinen Kopf zwischen seinen Händen fest und sah mir in die Augen. „Jetzt nicht wieder von vorne anfangen. Du hast schon alles nassgeheult. Ist in deinem Kopf überhaupt noch Gehirnwasser drin?“, sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger an meine Stirn. „Hört sich hohl an“, grinste er frech, um mich aufzumuntern.

„Ich spüre dich nicht.“ Resignierend zuckte ich mit den Achseln. „Ich bin da unten gefühllos“, ich schnaufte. „Zum Sexkrüppel bin ich geworden.“ Schon wieder fingen meine Mundwinkel zu zucken an.

„Nun mach mal langsam, Liebling.“ Mein Mann wiegte mich immer noch hin und her. „Sch, sch, sch ... entspann dich.“

„Schatz, ich ...“

„Alles gut, mein Liebling. Beruhige dich.“

„Nein, ich muss dir was sagen“, setzte ich erneut an.

„Sch ... Alles wird gut. Sei ganz ruhig“, flüsterte mein Mann wiegenderweise.

„Scha-hatz, mir wird so langsam schle-hecht. Wenn du mich weiter so auf deinen Knien hin- und herschaukelst, kommt mir die Pasta hoch!“

Ich bremste meinen Mann beim Wiegen aus. Kroch von seinem Schoß und fluchte lauthals los. „Verdammt! Das kommt hundertprozentig von diesen Scheißpillen, die mir mein Frauenarzt verschrieben hat. Ich bring ihn um. Ich hab’s doch gleich gewusst, dass ich auf die Hormone so reagiere. Das war mir doch schon klar, als ich den Beipackzettel las!“

Ich rannte ins Badezimmer, zerrte die Pillenschachtel wütend aus dem Arzneischrank, donnerte stampfend ins Schlafzimmer zurück und warf meinem Mann die Schachtel auf seine nackten Schenkel.

„Da, lies!“, herrschte ich ihn an.

„Jetzt?“, fragte mein Mann verblüfft.

„Ja, jetzt“, befahl ich.

Geduldig entfaltete mein Mann den Beipackzettel und gemeinsam lasen wir laut vor:

Eine zyklisch (mit Einnahmepause) einzunehmende Hormonkombination mit zwei weiblichen Geschlechtshormonen (Estrogen und Gestagen) zur Hormonersatzbehandlung. Anwendungsgebiet: Zur Hormonersatzbehandlung bei Beschwerden durch einen Mangel an dem weiblichen Geschlechtshormon Estrogen bei Frauen nach der letzten Periodenblutung (Menopause).

„Schau dir das an!“ Ich schnaubte wie ein Ochse durch die Nase und tippte mit dem Zeigefinger aufgeregt auf dem Wort Menopause rum. „Ich bin doch noch gar nicht in der Menopause. Ich habe doch noch meine Periode. Ich bin doch keine alte Frau in den Wechseljahren. Verschreibt mir dieser blöde Typ einfach so ein Zeug und ich nehme das auch noch brav ein ... was bin ich doof!“ Meine Empörung war grenzenlos.

Nach dem Anwendungsgebiet lasen wir über Wechselwirkungen, besondere Vorsicht bei der Einnahme von ..., dann kamen die Risiken, Anzahl der zusätzlichen Brustkrebsfälle, Venösen Thromboembolien ... und dann die Nebenwirkungen:

Häufig, gelegentlich, selten ... Infektion der Atmungsorgane, Überempfindlichkeitsreaktionen, allergische Reaktionen, Libidoveränderungen, Stimmungsschwankungen einschließlich Ängstlichkeit und depressiven Verstimmungen ...

„Hah! Da steht‘s!“, rief ich triumphierend.

„Libidoveränderungen“, las ich laut vor. „Siehst du“, wieder tippte ich wild mit meinem Finger rum, dieses Mal auf dem Wort Libidoveränderungen.

„Jetzt sei doch mal ruhig und lass mich weiterlesen. Du fuchtelst ständig mit deinem Finger rum! So kann ich ja gar nichts lesen.“

Es fiel mir unglaublich schwer, keinen Ton zu sagen, während mein Mann den Beipackzettel wieder aufmerksam studierte. Er las weiter laut vor:

Gedächtnisstörung, Benommenheit, Schwindel, Sehstörungen, Schlafstörungen, Herzjagen, -klopfen, Krampfadern, Hämorrhoiden, Herz-Kreislaufstörungen, Thrombose, Übelkeit, Erbrechen, Blähungen, Bauchschmerzen, Verstopfung, Verdauungsstörungen, Gallengangsentzündungen, Gallenblasenentzündungen, Leberfunktionsstörungen, Akne, vermehrter Talgfluss, Juckreiz, Jucken der Haut, Haarausfall, Hitzewallungen, Kraftlosigkeit, Ödeme, Schmerzen im Beckenbereich...

Die „Informationen für die Anwenderin“ waren fünfundfünfzig Komma fünf Zentimeter lang und mindestens zweiundfünfzig Komma drei davon gehörten den Nebenwirkungen.

„Und Schluss!“, keifte ich, riss meinem Mann den Beipackzettel aus der Hand und zerknüllte ihn. Mir war nicht mehr nach Weiterlesen.

„Weißt du was? Die hier genannten Nebenwirkungen waren doch der Grund, warum ich überhaupt zum Frauenarzt ging“, sagte ich wütend.

Mir fielen wieder all die verkehrten Dinge ein, die sich zunehmend und unaufhaltsam in mein Leben drängten. „Ich wollte doch meine Müdigkeit loswerden, die Schlafstörungen, die geschwollenen Beine und Finger, den Haarausfall, Akne, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Vergesslichkeit und meine zunehmenden Depressionen.“ Und meine Aggressionen, dachte ich im Stillen.

„Stopp, stopp, stopp,“ unterbrach mich mein Mann, „das ergibt doch alles keinen Sinn! Du nimmst synthetische Ersatzhormone in der Hoffnung, deine körperlichen Beschwerden loszuwerden, die allerdings in gleichem Maße wiederum als Nebenwirkungen auftreten ...? Was soll das denn?“

„Genau! Wie kann man Frauen, ob nun Wechseljahre oder nicht (in denen ich übrigens mit meinen schlappen sechsundvierzig Jahren noch gar nicht sein kann!), überhaupt solche Pillen andrehen? Wer verantwortet das denn?“ Wütend stand ich auf.

„Ach Schatz, jetzt reg dich doch nicht so auf.“

„Ich soll mich nicht so aufregen? ICH soll mich nicht so aufregen?! Ich soll mich nicht so aufregen???” Ich japste nach Luft. „Weißt du überhaupt, was es bedeutet, keinen Orgasmus mehr zu bekommen? Keine Lust auf Sex zu haben? Dich nicht mehr in mir zu spüren ... das ist alles so furchtbar ... so schrecklich ... so gemein.“ Und schon wieder stürzte mir eine Träne die Wange hinab.

Was kann ich auch plötzlich oft und viel heulen! Früher, also bevor dieser ganze Wahnsinn begann, konnte ich nie so lange am Stück weinen. Ein paar Tränen und die Seele fühlte sich wieder ausgeglichen an. Und jetzt? Nicht enden wollende Sturzbäche. So viele Tränen in mir, aus mir heraus.

Dazu fällt mir eine Szene aus dem Film „Marrakesch“ ein, in dem Kate Winslet eine Londoner Hippiefrau spielt, die auf Sinnsuche mit ihren beiden Töchtern durch Marokko reist. Als Kate weinte, tröstete sie ein einheimischer Begleiter mit den Worten: „In Marokko sagt man, Tränen kommen aus der Erinnerung, sie sind ein Geschenk Gottes.“

Und was sagt man in Deutschland dazu? Wie kommen plötzlich so irrsinnig viele Erinnerungen in meinem Kopf und warum beschenkt mich Gott seit ein paar Wochen so unglaublich reich? Mein Leben empfand ich bislang als reich genug. Mit meinem Mann, Michael, war ich seit zehn Jahren in zweiter Ehe die zufriedenste und glücklichste Ehefrau der Welt.

Vor meiner zweiten Ehe hatte ich vier ernst zu nehmende Beziehungen. Einen Monat vor meinem achtzehnten Geburtstag wurde ich von dem ersten dieser vier entjungfert. Vor meiner unspektakulären Entjungferung (und auch weiterhin danach) war mir Sex ein Graus und machte mir Angst. Vielleicht heiratete ich deswegen schon mit einundzwanzig Jahren? (Um all den anderen Männern, die mit ihren Sexbegierden auf mich lauerten, zu entkommen?) Diese Ehe hielt keine zwei Jahre, was soll ich sagen ...

Noch nicht mal geschieden, stürzte ich mich in die dritte ernst zu nehmende Beziehung, die meine Ehe toppte, da sie immerhin knapp vier Jahre hielt. Noch während der Trennung aus dieser Beziehung war mir schon der vierte Mann in meinem Leben wichtiger als der dritte und der zweite und der erste. Sieben Jahre lang lebte ich mit dem Vierten an meiner Seite, bis auch diese Liebe unvermutet aufgebraucht war. Trotz der Befürchtung, als Mittdreißigerin nie wieder im Leben einen passenden Partner zu finden, beendete ich diese Beziehung. Mit einer beängstigenden Gewissheit, nie wieder einen Mann zu finden, trat ich seit Beginn meiner sexuellen Aktivitäten mein erstes Singleleben an.

Anfangs war ich noch ziemlich orientierungslos. Aber ich war nie so verzweifelt, um mir einen Hund, eine Katze, einen Vogel oder eine Partnergeräusche-CD, so nach dem Motto „85 Minuten Zweisamkeit“, kaufen zu müssen. Auf wundersame Weise lernte ich nämlich schnell wieder auszugehen, zu tanzen, zu lachen und zu staunen – am meisten über Männer. Kurz vor meinem sechsunddreißigsten Geburtstag lernte ich meinen jetzigen Mann Michael kennen und mit ihm den besten Sex aller Zeiten. Ich war stolz auf meinen Körper, der mir mühelos Orgasmen schenkte. Herrlich. Was geht da eigentlich in einem Frauenkörper vor sich, wenn er einen Orgasmus bekommt?

Nun, der Orgasmus besteht aus vier Phasen. Logischerweise beginnt er mit der Erregungsphase. Küssen und Berührungen starten meist das Kopfkino und können (wenn man nicht durch Kindergeschrei oder anderen Stress zu sehr abgelenkt wird) Lust auf Sexualität auslösen. Wenn also – ganz besonders bei uns Frauen – der Kopf frei ist, beginnt unser Körper jetzt schon, sich durch oben genannte Aktivitäten auf den Orgasmus vorzubereiten. Ein deutliches Anzeichen sexueller Erregung ist das Feuchtwerden der Vagina. Durch das Anfassen, Fummeln und Küssen entsteht ein Reiz, und die Scheidenwände beginnen eine Flüssigkeit abzusondern. Gleichzeitig weiten sich die inneren zwei Drittel der Vagina und sie färbt sich dunkelrot. Durch das Anschwellen der Schamlippen wird die Öffnung der Scheide quasi disponibel und des Mannes bestes Stück hat freie Bahn. Während die Schamlippen anschwellen, nimmt auch die Klitoris an Größe und Umfang zu, was sie besonders empfindlich macht. Und zwar aus gutem Grund, nämlich zur Steigerung der Lust. Der Blutdruck steigt, die Pulsfrequenz erhöht sich und die Muskeln im Körper beginnen zu kontrahieren. Wenn Frauen jetzt ihre Beckenbodenmuskulatur (auch Liebesmuskel genannt) einsetzen, kann das Erregungsgefühl enorm erhöht werden. Für Frauen, die zur Gruppe der Warum-komme-ich-so-schwer-zum-Orgasmus gehören, wäre es vielleicht nützlich, diesen Muskel mit gezielten Übungen zu trainieren.

Leider helfen ein „Liebesmuskel-Training“ und vieles andere mehr bei manchen Frauen auch nicht weiter. Die Statistik sagt nämlich, dass jede vierte Frau selten oder nie einen Orgasmus hat. Auch kann man nicht immer den Partner oder die Situation davon abhängig machen. Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass die weibliche Fähigkeit zum Orgasmus auch anlagebedingt ist. (Auch blöd.)

Aber zurück zu unserem Orgasmus. Nachdem wir jetzt also schon eine (hoffentlich) ganze Weile bei der Sache sind, erklimmen wir die zweite Stufe, die Plateauphase. Dieser Moment der äußerst lustvollen Anspannung bleibt so lange stabil, bis der Orgasmus erreicht wird. Da sich während dieser Phase die zuvor vergrößerte Klitoris zurückzieht, kann sie nicht mehr stimuliert werden. Ist aber auch gar nicht so wichtig, weil sich nämlich das äußere Drittel der Vagina mit Blut füllt, was diese wiederum verengt und den Penis fest umschließt. Irgendein Wissenschaftler hat sich für diesen Zustand einen lustigen Namen ausgedacht: die „orgastische Manschette“ (ich muss bei diesem Wort immer an die weißen Manschetten denken, die meine Mutter früher auf die Gänsekeulen beim Festtagsbraten gesteckt hat). Weiter mit unserer Frauenmanschette. Unser Scheideneingang ist von Muskelringen umgeben, die wir mehrmals jeden Tag aktivieren, nämlich beim Pinkeln. Hierbei kommt ganz besonders der PC-Muskel (Musculus pubococcygeus) zum Einsatz und liegt bei Frauen und Männern zwischen Scham- und Steißbein. Wenn dieser Muskel während des Liebesspiels durch Anspannen eingesetzt wird, kann man sich selbst und auch seinem Partner nur Gutes tun.

 

Nachdem nun alle Muskeln und Nerven in unserem Körper bis aufs Äußerste angespannt sind, zünden wir Stufe drei, die Orgasmusphase (Ohh Yeah!). Als Erstes zuckt unsere orgastische Manschette ruckartig (zwischen drei und fünfzehn Mal unter einer Sekunde), dann zuckt unsere Gebärmutter rhythmisch und gleichfalls unser Po-Schließmuskel und dann zuckt und vibriert und rauscht und donnert und hüpft und brodelt und jauchzt unser ganzer Körper. Keine Frage, dass dieser Aufruhr für unseren Körper wohltuend anstrengend ist. Deshalb atmen wir mit bis zu vierzig Zügen in der Minute, man kann es auch hecheln oder japsen nennen. Wenn sich dann unser Körper allmählich wieder beruhigt, kommen wir in die vierte Phase, die sogenannte Rückbildungsphase. Das zuvor angesammelte Blut in unserem Scheidengang verteilt sich wieder gerecht auf den ganzen Körper, die Schamlippen schwellen ab und lassen dadurch die Klitoris wieder aus ihrem Versteck kommen. So funktioniert also das Körper-Wunder-Feuerwerk namens Orgasmus.

Und darauf soll ich jetzt für den Rest meines Lebens verzichten müssen? Das will ich aber nicht!

Rückblickend begann für mich mit Ende dreißig die beste Phase meines Lebens, ich startete mit einem herrlichen Körpergefühl in meine persönliche nächste Runde. Die ersten Fältchen um meine Augen erschreckten mich nicht, sondern machten mich sicherer und erfüllten mich mit einer nie dagewesenen Souveränität. Ich hatte endlich meinen eigenen, persönlichen Rhythmus gefunden. Zudem hatte ich das Gefühl, mich mit all meinen Defiziten abgefunden zu haben. Ich stand zu meinen Schwachstellen ... bis auf meine Körbchengröße fünfundsiebzig A (ich wiederhole: fünfundsiebzig A! Wer hat das schon, außer zwölfjährigen Teenagern?).

Ich bin mir sicher, dass ich die erste Kundin in Deutschland war, die einen Wonderbra besaß. Der erste, wahnsinnig teure Wonderbra wurde bereits 1964 in Amerika kreiert. Allerdings erreichte er erst Mitte der Neunziger in Deutschland seine Berühmtheit. Ich weiß noch genau, wie überaus erfreut ich war, als ich von dieser derartigen Brustvergrößerung ohne Operation erfuhr. Zuvor war ich lange Jahre der verzweifelste Teenager auf der ganzen Welt. Meine Brüste wollten und wollten einfach nicht wachsen. Mit vierzehn war ich immer noch flach wie ein Brett mit zwei Erbsen drauf. Und die dummen Sprüche der bescheuerten Jungs, wie zum Beispiel: Die sieht aus wie Schneewittchen, kein Arsch und kein Tittchen, trugen zumindest nicht zu meiner Erheiterung bei. Wenn man jung ist, ist man doch so unglaublich verletzlich und unsicher.

Die blöden Bemerkungen veranlassten mich dazu, in die Offensive zu gehen. Von meinem schwer verdienten Taschengeld bestellte ich mir eine superteure Creme. Die entdeckte ich in einer Anzeige in der Illustrierten „Neue Revue“. Meine Eltern kauften damals jede Ausgabe und versteckten sie immer. Aber ich fand sie immer (Merke: Vor Kindern und Teenagern bleibt im eigenen Haus kein Geheimnis unentdeckt!). Erst viel später war mir klar, warum die Zeitschrift versteckt wurde. Das Herumliegen der Illustrierten wäre meinen Eltern vor uns Kindern unzweifelhaft ganz schön peinlich gewesen. Denn Oswald Kolle, einer der größten deutschen Aufklärer, auch Sex-Papst genannt, schrieb für die „Neue Revue“ jahrelang sexuelle Aufklärungsserien, und da ging es manchmal ganz schön zur Sache. Was allerdings meine heimlich bestellte Creme aus dieser Zeitschrift anbelangte, so ging gar nichts. Das kräftige Einmassieren der Creme in die Brust sollte zur Vergrößerung derselben führen. Das einzige Ergebnis waren schmerzende Brustwarzen und Oberarmmuskeln, die sich vom andauernden Massieren stark ausprägten und unverhältnismäßig meinem restlichen Körper gegenüber verhielten. Also blieb ich zunächst weiterhin unglücklich wie zuvor. Bis ER, viele Jahre später, endlich in Deutschland angekommen war: Tadaa! Der Wonderbra!

Mit offenem Mund stand ich vor dem Schaufenster des damals einzigen Miederfachgeschäfts in der Stadt. Überaus verführerische, pralle Dekolletés prangten auf den mit Schleifchen versehenen Lack-Schächtelchen. Kleinbrüstige Frauen, die sich gemeinsam mit mir die Nase am Schaufenster plattdrückten, konnten kaum die entzückten Schreie unterdrücken. Endlich konnte man einen kleinen Busen pimpen und mit dieser Mogelpackung die volle Aufmerksamkeit auf das männliche Objekt der Begierde lenken! Endlich war es so weit, dass großbusige Frauen nicht mehr das Alleinrecht auf eindeutige Blicke der Männer – die zwar ausschließlich von niederen Instinkten herrühren, aber dennoch essenziell für eine Frau sind – gepachtet hatten. Mit Freuden täuschte ich fortan die Männerwelt und sammelte meine Erfahrungen.

Mein Verstand reifte und mein Körper folgte. Mit Ende dreißig schien ich also nun unbesiegbar geworden zu sein. Dieses Wissen, dieses wunderbare Gefühl, war Teil meines erfüllten Sexlebens. Mit Stolz kann ich sagen, ein erfülltes Sexleben zu haben ... Ich korrigiere mich: gehabt zu haben. So wie es sich anfühlt, scheint für mich nun unmissverständlich Schluss damit zu sein. Mit sechsundvierzig Jahren! Weil ich mutmaßlich in den Wechseljahren bin, weil ich prämeno- oder peri- oder menopause oder was auch immer. Stehen meine Hormone und mein sexuelles Verlangen miteinander in Verbindung?

Dass Sexualität für uns Frauen ein überaus wichtiger Teil unseres Lebens ist, steht doch außer Frage. Jedoch ist es nachgewiesen, dass es bei einigen Frauen während der blöden Wechseljahre zum Verlust und somit zum Frust mit der Lust kommt. Ich bin der beste Beweis dafür! Nach wie vor sind angeblich jedoch die Ursachen für den Verlust unserer „Libido“ umstritten. Nicht nur in den Wechseljahren, sondern auch nach einer Entfernung der Eierstöcke oder der Gebärmutter beklagen Frauen einen Verlust der Libido. Die Gebärmutter produziert zwar keine Hormone, aber durch ihre Entnahme werden die Eierstöcke schlechter durchblutet, wodurch die Hormonproduktion mehr und mehr abnimmt. Da frage ich mich doch, ob das nicht ein eindeutiger Hinweis darauf ist, dass der Verlust der Libido mit den schwindenden Hormonen in den Wechseljahren zu tun hat (aber ich bin ja nicht der Arzt hier).

Sexualität ist und bleibt natürlich auch für Frauen bis ins hohe Alter ein wichtiges Thema. Allerdings kommt es bei manchen Frauen schlagartig schon um die vierzig zum Verlust des sexuellen Verlangens. Kein Wunder, dass sich so manche Frau nach langjähriger Ehe und mit Noch-Teenagern im Haus am Frühstückstisch plötzlich fragt, wer dieser Mann da gegenüber ist. Mit der Feststellung mangelnder Lust auf diesen Mann gegenüber sind dann nicht nur Eheprobleme programmiert, sondern leiden ganz besonders das seelische Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl der Betroffenen. Untersuchungen, die man in mehreren europäischen Ländern durchführte, ergaben, dass Frauen unter dem Verlust ihrer Libido teilweise sogar mehr leiden als an anderen wechseljahresbedingten Beschwerden.

Was bei Männern allgemein bekannt und akzeptiert ist, wird für Frauen oftmals unter den Teppich gekehrt, nämlich dass auch sie sexuelle Interessen und Bedürfnisse bis ins hohe Alter hinein haben. Erfreulicherweise ist es nachgewiesen, dass Frauen nach den Wechseljahren sexuell genuss- und orgasmusfähig bleiben (wie gnädig die Natur doch ist). Nach Umfragen bleibt für einen Großteil der Frauen ein befriedigendes Sexualleben auch im Alter wichtig. Allerdings nimmt ihre Lust auf den klassischen Geschlechtsverkehr zunehmend ab. Während sich zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahr die meisten noch mehrmals im Monat Sex wünschen, möchte die Hälfte aller Frauen jenseits der Siebzig gar keine sexuelle Beziehung mehr. Viele Frauen bevorzugen dann stattdessen andere Formen sexueller Stimulierung und zeigen beispielsweise mehr Interesse am Händchenhalten und Bussi-Bussi-Austausch mit dem Partner.