Eine mysteriöse Entführung

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Eine mysteriöse Entführung
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Gabriele Schillinger

Eine mysteriöse Entführung

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Einleitung

Der Unfall

Endgültig zerrüttet

Ein neuer Schritt im Leben

Die Entführung

Die Verhaftung

Flucht

Die Verhandlung

Das weite Meer

Eine neue Spur

Impressum neobooks

Einleitung

Eine mysteriöse Entführung

Thriller

von

Gabriele Schillinger

Nachdenklich blickte Helene aus dem Fenster. Die kleine Wohnung war nicht ihre erste Wahl gewesen.

Zwanzig Jahre war sie mit Karl verheiratet, nun gingen sie getrennte Wege.

Als sie sich kennen lernten, waren beide noch sehr jung gewesen. Später gründeten sie gemeinsam eine Spedition, die sich im Laufe der Jahre gut entwickelte. Der Betrieb lief auf Karls Namen und obwohl Helene voll mitarbeitete, war sie aus Kostengründen nur Teilzeit angemeldet.

Als Helene schwanger wurde, beschlossen sie zu heiraten. Alles schien so zu laufen wie sie es sich wünschten. Mit der Vergrößerung der Spedition wuchs das Einkommen und jeder wartete gespannt auf den neuen Erdankömmling. Dann passierte es, Helene bekam Blutungen und verlor ihr Baby.

Ed, ein treuer Mitarbeiter und Freund setzte sich zu Helene an den Schreibtisch. Er wunderte sich, weshalb sie nach diesem Schicksalsschlag arbeitete anstelle sich zu Hause auszukurieren. Er nahm sie tröstend in den Arm. Ed schmerzte es, Helene derart traurig zu sehen, denn er mochte sie mehr, als er sollte. Immerhin war sie Karls Ehefrau, deshalb verbarg er es so gut es ging. Helene war zudem seine Vorgesetzte.

Am Nachmittag wurden die Unterleibsschmerzen schlimmer und so fuhr Helene dann doch lieber Heim. Sie nahm eine Schlaftablette und verbrachte den restlichen Tag im Bett. Es war eine schwierige Zeit, aber Karl half seiner Frau durch dieses Tief. Doch auch er hatte sehr mit dem Verlust ihres Babys zu kämpfen.

Ein Jahr später war es wieder soweit. Helene holte sich einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke. Ungeduldig wartete das Paar auf das Ergebnis. Als sie erfuhren, dass sie erneut ein Baby erwarteten, freuten sie sich. Der Arzt meinte, es wäre alles soweit in Ordnung. Hoffnungsvoll verkündeten sie die Neuigkeit ihren Mitarbeitern. Wochen vergingen und Helene konnte es kaum erwarten endlich ein Bäuchlein zu sehen. Karl begann das Kinderzimmer umzugestalten, denn er dachte, es würde Unglück bringen es so zu lassen. Immerhin hatte er es zuvor für das verstorbene Baby eingerichtet. Liebevoll platzierte er einen Teddybär auf das Kopfkissen. Die vorherigen Spielsachen brachte er in ein Waisenhaus. Er wusste nur zu gut, wie es dort war und wie sehr die Kinder neue Kuscheltiere brauchen konnten.

Ed kam ins Büro um sich die Fahrpläne für das Wochenende zu holen. Helene saß am Schreibtisch und starrte vor sich hin. Auf die Frage, ob alles soweit gut war, reagierte sie nicht. Da entdeckte er ihre blutverschmierten Hände und wusste gleich, was geschehen war. Er rief sofort einen Rettungswagen. Als Karl im Krankenhaus ankam, informierte man ihn von einer erneuten Fehlgeburt. Die Ärzte mussten Helene etwas zur Beruhigung geben, deshalb schlief sie noch einige Zeit bis ihr Ehemann mit ihr reden konnte. In ihren Gesichtern war große Verzweiflung zu erkennen. Beide dachten kurz daran, auf zu geben und es nicht noch einmal zu versuchen. Der Schmerz war groß.

Wie beim ersten ungeborenen Kind, gab es auch für dieses eine Beerdigung. Die Gräber lagen gleich nebeneinander und die Eltern hofften, den leeren Grabplatz nebenan nicht mehr in Anspruch nehmen zu müssen.

Die Trauerzeit dauerte diesmal länger, doch sie gaben die Hoffnung nicht auf. Einmal wollten sie es noch versuchen. Dann war es soweit.

Die dritte Schwangerschaft schien gut zu verlaufen. Das Kleine in ihren Bauch entwickelte sich prächtig. Karl bestand darauf, dass sich seine Frau schonte und die Arbeit im Betrieb reduzierte.

Er verwöhnte seine Frau wo es nur ging. Frühstück am Bett, Blumen als Zeichen seiner Liebe, und wenn sie mitten in der Nacht Lust auf etwas Saures hatte, bekam sie es sofort. Karl war wirklich liebevoll. Helene hatte ein wenig mit hormonellen Gefühlsschwankungen zu kämpfen, doch ihr Ehemann hatte Verständnis dafür. Die Mitarbeiter wurden erst informiert, als Helene im vierten Monat schwanger war und langsam ein Bäuchlein wuchs.

Beim Arzt erfuhren sie das Geschlecht des Babys. Karl konnte es kaum fassen, er würde einen Sohn bekommen. Glücklich fuhr er Helene nach Hause. In der Firma erzählte Karl ganz stolz, dass sie einen Sohn erwarteten, der dann einmal den Betrieb übernehmen könnte. Das Personal war über seine Pläne für das noch Ungeborene belustigt und lächelte ihn lediglich mit zustimmendem Nicken an. Nur Ed war ein wenig neidisch. Was würde er blos für ein Kind mit Helene geben. Trotzdem steckte Karls Euphorie etwas an und die beiden alberten, wie sie das Büro für den Juniorchef umbauen würden.

Karl legte jeden Abend sein Ohr an Helenes Bauch, um dem wilden Treiben ihres Sohnes zu lauschen. Es war Zeit, sich einen Namen für ihn auszusuchen, was nicht so einfach war. Es dauerte eine Weile, bis einer gefunden wurde, der ihnen beiden gefiel.

Dann stand es fest, der Junge sollte Gabriel und mit zweitem Vornamen Karl heißen.

Erneut kamen die Spielsachen ins Waisenhaus, doch diesmal sollten sie erst kurz vor Gabriels Geburt ersetzt werden.

Der Unfall

Als Helene im sechsten Monat schwanger war und gerade mit dem Einkauf nach Hause fuhr, übersah ein Lkw-Fahrer seinen Nachrang. Er prallte Helene mit großer Geschwindigkeit in die Fahrerseite. Die Feuerwehr musste die eingeklemmte Frau aus dem Auto schneiden. Helene war nicht bei Bewusstsein. Mit schweren Verletzungen wurde sie ins Krankenhaus gebracht. Eine Notoperation rettete ihr das Leben, eine weitere ihre Beine. Es war Glück, dass sie den Unfall überlebte.

Helene musste aufgrund ihrer großen Schmerzen in ein Koma versetzt werden. Ein Arzt teilte Karl inzwischen den Tod des Babys mit und dass Helene in Zukunft keine Kinder mehr bekommen konnte. Die Verletzungen im Bauchraum waren zu schwer und die Ärzte mussten ihr, um die inneren Blutungen in Griff zu bekommen, die Gebärmutter entfernen.

Obwohl Karl froh war, seine Frau bei dem Autounfall nicht verloren zu haben, lag diese Nachricht schwer auf seiner Seele. Als Helene aus dem Koma erwachte, musste er ihr die schlechte Nachricht vorsichtig beibringen. Karl legte seinen Kopf in Helenes Handfläche und sie weinten beide. Er murmelte immer wieder: „Wir schaffen das, wir schaffen das, …“.

Einen Monat später durfte Helene endlich wieder nach Hause. Karl kam, um sie abzuholen. Während der Autofahrt herrschte Stille. Es war einfach nicht mehr wie zuvor.

Karl sperrte die Haustüre auf, stellte seiner Frau die Tasche ins Wohnzimmer, küsste sie auf die Stirn und ging wieder. Helene schaute ihm traurig nach. Wollte er einem Gespräch über die Zukunft aus dem Weg gehen, oder konnte er Helenes Nähe nicht ertragen?

Das Haus fühlte sich irgendwie fremd an. Früher war es immer ein Ort der Geborgenheit und Wärme, doch nun strahlte es Kälte und Leere aus. Helene ließ sich weinend auf das Sofa fallen.

In den nachfolgenden Tagen vermied Karl weiterhin, lange mit seiner Frau alleine in einem Raum zu sein. Manchmal blieb er sogar die ganze Nacht über weg. Seine Abwesenheit begründete er mit Arbeit. Es wäre zurzeit einfach viel zu tun und manche Geschäftsleute bevorzugten beim Abendessen über diverse Vertragsinhalte zu reden. Da dies zwar die Abende erklärte jedoch nicht die Nächte, vermutete Helene, eine andere Frau hinter sein Fernbleiben. Bald darauf bemerkte sie unbekannte Damendüfte auf seiner Kleidung.

Als sie Karl damit konfrontierte, stritt er es nicht ab. Er meinte, dass sie derzeit ihren Ehepflichten nicht nachkommen konnte und er die Lücke mit anderen Frauen füllen musste. Obwohl er Helene versicherte, sie nicht weniger als zuvor zu lieben und er die Frauen nur für sein sexuelles Verlangen hatte, konnte sie dies nicht willigen. Karl legte aber noch nach. Er machte seiner Frau klar, dass er sie nicht um Erlaubnis fragen würde. Er hätte sie lediglich informiert, damit sie sich keine Sorgen machte, wenn er nachts nicht nach Hause kam.

Helene konnte es nicht fassen. Kränkte sie mehr das Wort „Ehepflichten“, oder weil er erwartete, sie würde seine Seitensprünge so einfach tolerieren? Helene verstand schon, dass er Bedürfnisse hatte, doch sollten Eheleute Entscheidungen dieser Art nicht vorher miteinander besprechen?

 

Helene verfiel in eine schlimme Depression.

Sie lag den ganzen Tag über im Bett, hatte keine Lust mehr aufzustehen. Nachts geisterte sie im Haus herum und überlegte, was ihr Ehemann gerade machte. Dann kamen die Vorwürfe, weil sie damals hochschwanger mit dem Auto einkaufen fuhr. Obwohl sie den Autounfall nicht verursacht hatte, gab sie sich trotzdem die Schuld daran. Ebenso stellte sie ihr ganzes Dasein in Frage und schließlich sehnte sie sich nach dem Tod.

Der Hausarzt machte sich Sorgen, verschrieb ihr Tabletten gegen die Depression und beauftragte Karl, einen Termin bei einem Gesprächstherapeuten auszumachen. Anfangs ging man von einer Hormonstörung aus, die noch von der abrupt beendeten Schwangerschaft her rührte, doch nachfolgende Untersuchungen bestätigten dies nicht.

Es lag an Karls Verhalten, seinen Frauengeschichten, die sachlichen Begegnungen mit ihm und der dominante Vertrauensmissbrauch. All dies nagte, neben dem Verlust des Babys, an Helenes Zustand. Die Therapeutin versuchte ihr bewusst zu machen, dass Karl bislang immer ihr Fels in der Brandung war und sie sich zu sehr darauf verließ, dass es immer so sein würde. Sein Verhalten nach der letzten Fehlgeburt war zwar nicht richtig, aber auch er litt unter den vielen Rückschlägen. Erst nach vielen Therapiestunden realisierte Helene, dass sie ihren Ehemann nie mehr so zurückbekommen würde, wie er einmal war.

Mit dem Schicksalsschlag fiel ein Verhaltensschalter bei ihm hinunter, der nicht mehr aufzuheben war.

Immer wieder war sie am Rande ihrer Kräfte, lag Lebensverneinend den ganzen Tag lang im Bett. Dann wiederum strotzte sie vor Energie, wollte alles ändern, bis sie erneut leer in den Raum starrte. Selbst der Kontakt zu Freunden gestaltete sich als kompliziert. Helene weinte viel und mit diesem Zustand konnten die meisten nicht gut umgehen. Bald stellte sich heraus, dass ihre Freunde eher Bekannte waren, die sich vor Schicksalsschlägen anderer gerne abwanden.

Endgültig zerrüttet

Helene bekam Karl kaum mehr zu Gesicht, denn entweder war er in der Firma oder bei einer seiner Liebschaften. Ab und zu kam Ed vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Er brachte sie zu Arztterminen, ging einkaufen und hielt Helene fest, wenn sie vor Kummer weinte. Er war der einzige, der sich als Freund bewährte. Helene vertraute Ed all ihre Sorgen an, selbst über Karls Verhalten sprach sie mit ihm.

Mancher würde denken, es wäre die ideale Gelegenheit seine Liebe zu gestehen, doch Ed wollte die Situation nicht ausnutzen. Beziehungen, die aus Kummer entstehen, gingen meist in Brüche, also würde er noch abwarten. Es lag ihm fern ein Trostpflaster zu sein, welches nach Abheilen der Wunde wieder weggeworfen wird.

Es dauerte zwei Jahre bis sich Helenes Zustand langsam besserte. Karls nächtliche Ausflüge waren nicht gerade förderlich für die Erholung seiner Frau. Sie fühlte sich nach wie vor von ihm in Stich gelassen, womit sie auch Recht hatte.

Als Helene wieder kräftig genug war, verlangte sie von Karl die Scheidung. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass er nicht einwilligte. Niemals wollte er die Trennung. Er schrie seine Frau an und erinnerte sie an ihre Verpflichtung die sie mit der Heirat einging. Eine Scheidung kam für ihn nicht in Frage. Für ihn war es eine Verbindung bis in den Tod.

Helene schaute ihn mit aufgerissenen Augen an. Wann war ihr Ehemann blos so verrückt geworden? Hatten doch weder er noch sie wirklich etwas von dieser Ehe. Alles, was sie verband, war bereits verloren gegangen.

Ed meinte, sie sollte beharrlich sein. Irgendwann käme die Zeit, in der Karl wieder vernünftig denken konnte und in die Scheidung einwilligte. Zumindest hoffte er darauf.

Einige Zeit später fand Helene heraus, dass Karl eine seiner Liebschaften schwängerte. Er hielt nicht hinter den Berg damit, meinte, warum Helene sich derart darüber aufregte, sie konnte ihm ja kein Kind mehr schenken. Sie sollte einfach sein außereheliches Kind akzeptieren. Wie stellte er sich blos ein weiteres Zusammenleben vor?

Karl erwartete, dass sich seine Ehefrau mit ihm freute, immerhin wurde er Vater. Merkte er nicht, wie abartig sie sein Verhalten empfand?

Monate danach stand er plötzlich mit einen Baby am Arm im Wohnzimmer. Er erzählte Helene von seinem Plan, das alleinige Sorgerecht einzuklagen und dann könnte sie den Kleinen als ihr eigenes Kind adoptieren. Helene war fassungslos. Dachte er wirklich, das würde ihre Ehe wieder in Ordnung bringen? War das etwa die ganze Zeit über sein Plan?

Obwohl Helene über den Vorschlag geschockt war, wollte sie darüber nachdenken.

So viel wie an diesem Abend hatten die beiden schon lange nicht mehr miteinander geredet.

Nächsten Tag machten sich die ersten Zweifel breit. Helene bemerkte, dass sie Überwindung zu groß war. Das Kind konnte zwar nichts für die Umstände, aber sie würde es nie wie ein eigenes lieben können. Zudem war viel zwischen ihr und Karl passiert. Sie konnte ihm einfach nicht verzeihen.

Karl klagte währenddessen das alleinige Sorgerecht ein. Die leibliche Mutter war alleinstehend und arbeitslos. Er sah sich bereits als Gewinner. Dem Richter erzählte er, dass Helene und er das Kind gemeinsam aufziehen würden. Helene dementierte dies jedoch, was das Gerichtsverfahren ins Stocken brachte.

Karl begann erneut täglich den Bogen zu überspannen und was schließlich das Fass zum Überlaufen brachte, war, als eine fremde Frau mit einem kleinen Kind vor der Türe stand.

Sie wollte Karl sprechen, weil er für sein Kind zahlen sollte. Also ein zweites Kind war Helene dann wirklich zu viel, sie reichte die Scheidung ein.

Karl stürmte mit dem Brief vom Anwalt in der Hand ins Haus. Er drohte, Helene zu zerstören, wenn sie den Antrag nicht sofort zurückziehen würde. Sie tat es dennoch nicht.

Die Streitereien vor Gericht zogen sich drei Jahre hin. Helene schöpfte bei ihren Therapiegesprächen Kraft für diese schwierige Zeit.

Inzwischen hatte Karl drei Kinder von unterschiedlichen Frauen. Da er gerade in Scheidung mit Helene lebte, waren die Anträge auf das alleinige Sorgerecht chancenlos. Er redete auf seine Frau ein, dass er nur mit den Frauen schlief, um ein Kind für sie gemeinsam zu haben. Er meinte doch wirklich, er hätte es für seine Ehefrau getan. Langsam zweifelte Helene gänzlich an Karls noch übrig gebliebenem Verstand.

Im Haus wurde es immer unerträglicher. Karls Kinder füllten die Räume mit lautem Geschrei. Ständig krabbelte ihr ein kleines um die Beine und wollte sich hochziehen. Der Geruch von vollen Windeln biss in der Nase. Helene versuchte die Kinder nicht zu beachten. Schließlich mochte sie Kinder, wenn sie ihr ins Herz schlichen, würde sie vielleicht weich und hätte zu wenig Kraft für den Scheidungskrieg. Es dauerte nicht lange und die dazugehörigen Mütter saßen im Wohnzimmer. Sie zickten sich gegenseitig an, stritten wer das klügste Kind hatte und zu welchem sich Karl am stärksten hingezogen fühlte.

Am liebsten wäre Helene aus dem Haus ausgezogen. Die Rechtsanwältin jedoch riet ihr davon ab, weil sie ansonsten alle Rechte auf das Haus verlieren könnte. Also blieb ihr nichts anderes übrig als sich vorwiegend in ihrem Zimmer aufzuhalten.

Vor Gericht bestritt Karl Helenes volle Mitarbeit am Unternehmen und dass sie die Firma damals mit ihm aufgebaut hatte. Weil sie zur Gründung der Spedition noch nicht verheiratet waren und die offiziellen Dinge nur auf Karls Namen liefen, fiel Helene schließlich um jegliche Firmenansprüche um. Karl setzte alle Hebel in Bewegung, um Helene zum Rückzug des Scheidungsantrages zu zwingen. Irgendwann reichte es dem Richter und er sprach das Urteil aus. Karl war verpflichtet Helene Unterhalt zu zahlen und ihr eine Wohnung zu organisieren. Abfindung bekam sie keine, weil sie offiziell lediglich als Teilzeitkraft beschäftigt war, da musste sich der Richter leider nach den vorliegenden Fakten richten.

Da Karl immer noch daran festhielt, Helene das Leben schwer zu machen, suchte er eine Bleibe von der er genau wusste, dass sie sich nicht wohl fühlen würde. Er war sicher, sie könnte nicht ohne ihn überleben, war sogar davon überzeugt, sie würde eines Tages vor seiner Türe stehen und ihn anflehen, wieder nach Hause kommen zu dürfen. Im Notfall müsste er halt nachhelfen …

Ein neuer Schritt im Leben

Nachdenklich blickte Helene aus dem Fenster. Die kleine Wohnung war nicht ihre erste Wahl gewesen. Ein runtergekommener Wolkenkratzer in einen Vorort, den sie zuvor noch nie betreten hatte. Zwei alte Aufzüge, welche nicht nur ständig kaputt waren, sondern auch schmutzig. Manchmal hatte Helene sorge, sie könnte sich darin eine Krankheit holen, doch sie musste 18 Stockwerke hoch, was zu Fuß sehr anstrengend war. Bei der Wohnungstüre war ein Spalt, durch den sie das Licht im Stiegenhaus sehen konnte. Wenn jemand vorbeiging und gerade eine Zigarette rauchte, qualmte der Geruch durch den Schlitz. Die Nachbarn waren laut. Ein Paar stritt ständig, schien sich Dinge nachzuwerfen und dann gab es eine hörbare Versöhnung. Auf der anderen Seite der Wohnung schrie die ganze Nacht ein Baby, oberhalb hüpften mehrere Kinder rücksichtslos herum und unter ihr wohnte ein junger Mann mit einem eigenwilligen, viel zu lauten Musikgeschmack. Ganz zu schweigen von seinem stets offenen Fenster aus dem sich Cannabisgeruch schlich.

Also alles zusammen eine richtig ungemütliche Wohnung …

Helene musste vorsichtig sein, damit sie nicht wieder in eine Depression fällt. Der Richter verpflichtete Karl auch ihre Therapiestunden zu zahlen, solange sie notwendig waren. Obwohl ihm die Zahlung widerstrebte, überwies er zuverlässig das Geld.

Ed hatte Helene beim Umzug geholfen. Da sie, außer persönlichen Dingen, nichts aus dem Haus mitnahm, ging es eher um den Transport der neuen Möbel und deren Aufstellung. Am letzten Tag bestellten sie chinesisches Essen und tranken eine Flasche Rotwein dazu. An diesem Abend wollte Ed sein Glück versuchen. Er zog Helene vorsichtig an sich und küsste sie. Doch Helene erwiderte nicht, schob ihn zur Seite ohne Gewalt anzuwenden. Ed war ihr zwar ans Herz gewachsen, aber nur als guter Freund oder Bruder, nicht als Liebhaber. Insgeheim hatte sie schon lange Angst vor diesem Augenblick, denn ihr entgingen seine Gefühle für sie nicht. Die beiden schauten sich mit Tränen in den Augen an. Jeder von ihnen wusste, dass ab diesem Zeitpunkt keine normale Freundschaft mehr möglich war. Ed kippte sein Glas Wein aus, umarmte Helene noch einmal und ging. Obwohl nun alle Möbel in der Wohnung waren, wirkte der Raum unendlich leer. Helene sackte auf das Sofa, schlug sich die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich. Ed gab ihr in schwierigen Zeiten viel Halt. Warum musste er sich nur in sie verlieben?

Die Tage vergingen langsam, der Fernseher lief nahezu rund um die Uhr. Beim Blick aus dem Fenster waren lediglich Unmengen kaputter Dächer zu sehen. Freundinnen waren keine mehr in Helenes Leben, die hatte Karl in den letzten Ehejahren alle vergrault. Immer, wenn eine zu Besuch war, kam er ihnen viel zu nahe. Die einen sprangen dann entweder mit ihm ins Bett oder ließen sich nicht mehr blicken. Andere wiederum entfernten sich während Helenes depressiver Phase. Und Ed … er fehlte ihr.

Helene hatte die eigene Familie nie kennen gelernt. Ihre Mutter hatte sie als Baby bei einem Kinderheim vor die Türe gelegt. Bald darauf starb sie selbst an einer Überdosis Heroin. Vater hatte sie keinen angegeben und ihre Drogensüchtigen Freunde konnten auch keine Auskunft über den Erzeuger geben. Alle Nachforschungen, den Erzeuger zu finden, verliefen im Sand. Wahrscheinlich schwängerte sie damals einer ihrer Freier. Helenes Mutter bot angeblich öfter ihren Körper für Geld an, um sich Drogen kaufen zu können.

Karls Eltern starben beide bei einem Flugzeugabsturz. Da sich in der Familie niemand fand, der ihn aufnehmen wollte, kam er im Alter von fünf Jahren in die gleiche Kindereinrichtung wie Helene. Die Tatsache, keine Familie zu haben, war einer der Gründe, weshalb sie sich von Anfang an gut verstanden. Viele der anderen Kinder hatten noch Eltern. Sie wurden denen aus unterschiedlichen Gründen zwar weggenommen, aber einige kamen immer wieder zu Besuch. Anfangs fühlten sie sich als Bruder und Schwester, doch mit dem Alter bemerkten sie, wie sehr sie sich voneinander angezogen fühlten. Als sie 18 Jahre alt wurden suchten sie eine gemeinsame Wohnung. Das Lehrgeld war nicht sonderlich hoch, aber eine kleine Unterkunft ging sich aus. Karl war bisher Helenes einziger Mann in ihren Leben.

 

Um sich mehr leisten zu können, organisierten sie sich ein Fahrrad und fuhren am Wochenende Botengänge aus. Bald konnten sie den Führerschein finanzieren und ein gebrauchtes Auto kaufen. Karl führte nun größere Pakete aus. Dann folgten ein Lieferbus und schließlich ein Klein- LKW. Die Aufträge wurden immer mehr, sodass Karl seinen Job als Büromitarbeiter kündigte und sich selbständig machte. Helene kündigte ebenfalls ihre Arbeitsstelle, um im gemeinsamen Betrieb die Buchhaltung und die Koordinierung der Aufträge zu übernehmen. Das war der Beginn der Spedition, welche nun mit mehreren Sattelschleppern auch Länderübergreifend belieferte.

Nun saß Helene nichts tuend in dieser kleinen Wohnung, in der sie sich trotz des Lärms der Nachbarn sehr einsam fühlte.

Sie musste sich unbedingt eine Beschäftigung suchen. Ein Job musste her.

Bald darauf bewarb sie sich auf mehrere Zeitungsinserate. Leider kamen viele Absagen zurück. Die einen meinten, sie wäre überqualifiziert, ein anderer wiederum bemängelte ihre Ausbildung, oder die längere Zeit im Krankenstand. Dann kam überraschend ein Anruf, in dem man sie bat, zu einem Bewerbungsgespräch zu kommen.

Nervös stand sie vor dem Spiegel. Was zog man bei einem solchen Treffen überhaupt an?

Natürlich war sie schon oft bei Firmenbesprechungen dabei, oder präsentierte vor dem Personal verschiedene Firmenerneuerungen, doch diesmal ging es um sie. In die Rolle eines Mitarbeiters zu schlüpfen war wahrhaft eine Herausforderung. Sie wollte sich weder dominant, noch wie ein kleines Mäuschen präsentieren, aber wie wirkte man einfach nur entschlossen?

Da stand sie nun vor einem großen Pharmaziegebäude. Helene kannte die Firma bereits, denn sie war Kunde der Spedition. Hoffentlich würde sich dieser Umstand nicht als Nachteil herausstellen. Das Gespräch verlief überraschend gut. Obwohl der Personalchef genau wusste, wer Helene war, sprach er diese Tatsache nicht an.

So wie es schien, suchten sie jemanden mit genau den Fähigkeiten, die Helene mitbrachte. Noch vor Ort bekam sie eine Zusage und in ein paar Wochen sollte sie mit ihrer Arbeit dort beginnen. Helene war sehr erleichtert, niemand gab ihr das Gefühl nur wegen Karl, oder aus Mitleid die Stelle bekommen zu haben.

Es war ein tolles Gefühl wieder gebraucht zu werden. Beschwingt ging sie durch eine Einkaufsstraße. Spontan entschied sie sich mit einem Kleid zu belohnen. Ihre positive Laune steckte auch andere an und der Verkäufer schien förmlich mit ihr zu flirten.

Als sie auf den Lift wartete um in ihre Etage zu gelangen gesellte sich eine weitere Mieterin vom Haus zu ihr. Es dauerte wieder einmal ewig, bis der Aufzug seinen Weg zum Erdgeschoss fand. Die Wartezeit veranlasste die beiden ein wenig zu Plaudern. Wie sich herausstellte wohnten sie im gleichen Stockwerk. Die Frau stellte sich als Barbara vor und bemerkte Helenes gute Laune. Freudig erzählte sie von ihrem Bewerbungsgespräch. Kurz bevor sie ihre Wohnungstüren aufgeschlossen hatten, schlug Barbara spontan vor, dass sie die Jobzusage eigentlich gebührlich feiern sollten. Nach kurzer Überlegung stimmte Helene dem zu. Später machte sie sich dann mit einer Flasche Wein auf zu ihrer Nachbarin. Es entwickelte sich zu einem netten Abend mit überraschend guten Gesprächen. Nie hätte Helene gedacht in diesem seltsamen Haus auf eine derart interessante Frau zu treffen. Barbara war intelligent und verfügte über ein großes Allgemeinwissen. Zudem hatte sie ihr Herz an der richtigen Stelle. Sie lachten, grübelten und spotteten über ihre Exmänner. Es tat einfach gut mit jemandem ausgelassen zu reden und das, ohne sich verstellen zu müssen.

Leicht angetrunken taumelte sie wieder in ihre Wohnung. Die Sonne würde bald aufgehen, also zog sie die Fenster zu und legte sich zufrieden ins Bett.

Am Nachmittag weckte sie das Läuten vom Telefon. Benommen nahm sie ab und bereute es in der Sekunde. Karl war in der Leitung. Dieser Anruf sollte ihm bestätigen, dass es Helene schlecht ging und sie ohne ihn nicht zu Recht kam. Obwohl die Scheidung schon einige Zeit rechtskräftig war, dachte er noch immer, seine Exfrau würde bald wieder an seiner Seite sein. Einen Mann wie Karl verließ man nicht einfach. Dachte er.

Schadenfroh fragte er nach der viel zu kleinen Wohnung und wie sie die langen Tage so ganz alleine verbrachte.

Helene nahm ihm schnell den Wind aus den Segeln. Sie erzählte, wie schön ihr Heim doch war, trug extra dick auf um ihn zu ärgern. Auch von der Jobzusage erzählte sie und wie sehr sie sich auf die neue Herausforderung freute.

Karl jedoch lachte, meinte frech, Helene würde die Arbeit in dem fremden Betrieb nie bewältigen können, weil sie niemals richtig gearbeitet habe.

Helene spürte die Wut in ihr aufsteigen, war jedoch noch viel zu müde, um darauf zu reagieren und beendete spontan das Telefongespräch. Karl war entrüstet, sie hatte einfach aufgelegt. Hatte er doch eine depressive, frustrierte Helene erwartet. Jedoch nicht mit ihrem Zynismus und selbstsicheren Stimme. War da vielleicht ein anderer Mann im Spiel? Könnte er sie etwa verlieren?

Helene setzte sich auf die Bettkante. Ihr Kopf brummte und die Augen waren trotz langem Schlaf schwer offen zu halten. Sie war anscheinend nichts mehr gewohnt, ob es Barbara auch so ging?

Trotz erfrischender Dusche und starkem Kaffee war dieser Tag gelaufen. Einzig der Fernseher und eine kuschelige Sofadecke begleiteten sie bis zum erneuten schlafen gehen.

Am nächsten Morgen ging alles wieder besser. Der Eiskasten wollte gefüllt werden, also begab sich Helene zum Supermarkt. Da sie genug Zeit zur Verfügung hatte spazierte sie durch jeden Gang, was zur Folge hatte, dass sie mehr in den Einkaufswagen packte als vorgesehen.

Wieder zu Hause entdeckte sie einen Zettel den jemand unter der Türe durchgeschoben hatte. Er war von Barbara. Sie bat Helene einmal kurz bei ihr vorbei zu schauen. Nachdem die Einkäufe verstaut waren begab sie sich zu ihrer Nachbarin. Barbara brauche lange, bis sie endlich die Türe öffnete. Der Grund war ein verstauchter Knöchel. Da sie es am Vormittag eilig hatte, bereits spät dran war, und nicht auf den Aufzug warten wollte nahm sie hurtig die Stufen. Sie übersah, dass jemand im Stiegen Aufgang etwas verschüttet hatte und stürzte. Dabei verdrehte sie sich den Fuß, der auch sofort anschwoll.

Nun war Helene froh mehr eingekauft zu haben als geplant, denn sie kochte am Abend gleich für zwei. Nach dem Essen erzählte sie Barbara von Karls Telefonanruf.

Helene fühlte sich bei ihrer neuen Freundin sehr wohl. Sie konnte mit ihr über alles reden und einfach sein wie sie war. Mit jedem Glas Wein wurde die Stimmung heiterer und der Exmann gab Nahrung für viele Lachanfälle. Bevor sie wieder ging, brachte sie Barbara noch eine Decke, damit ihr auf der Couch nicht kalt wurde. Barbara zog Helene näher an sich und küsste sie auf den Mund. Helene erstarrte kurz, woraufhin sich Barbara schnell entschuldigte. Nachdem noch kurz geklärt wurde, dass die Beziehung lediglich eine Freundschaft bleiben sollte, endete der Abend. Helene war ihrer Nachbarin nicht böse. Sie vermutete bereits ihre Neigung zu Frauen. Da sie mit Barbara noch nicht so lange befreundet war, wie mit Ed, könnte eine Freundschaft noch immer funktionieren. Zudem war Ed verliebt in Helene, bei Barbara waren es blos die Hormone. Andererseits könnte durchaus schon Zeit für unverbindlichen Sex sein, aber dann besser mit jemand Fremdes.

Es war ein besonderer Tag. Helenes erster Arbeitstag. Hin und hergerissen zwischen Freude auf die neuen Aufgaben und Angst, den Anforderungen nicht zu entsprechen, meldete sich ein nervöser Magen. Das Frühstück würde heute wohl nicht über einen Bissen Brot hinausgehen.

Aufgeregt stand sie vor dem Kleiderkasten, der zwar nicht so voll wie früher war, aber noch genug, um nicht zu wissen, was sie anziehen wollte. Endlich fiel die Entscheidung auf eine dunkle, elegante Hose und eine helle Bluse, da läutete das Telefon. Sofort dachte Helene an einen erneuten Kontrollanruf von Karl. Wütend nahm sie den Hörer ab. Am anderen Ende war jedoch nicht Karl, sondern ihr neuer Vorgesetzter. Er teilte sein Bedauern mit, aber er musste Helene für den Job kurzfristig absagen. Tatsächlichen Grund gab er keinen an, doch schien die Entscheidung von einer Gehaltsstufe über ihm zu kommen.

Helene war bestürzt. Verwirrt schaute sie den Telefonhörer an, aus dem nur noch das Freizeichen erklang.

Die Aussicht auf eine Arbeitsstelle hatte sie motiviert ein neues Leben zu beginnen. Nun brach alles über sie zusammen. Was war blos los mit ihr? Warum lief ihr Leben so?

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