Gespensterbuch, Zweites Bändchen

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Gespensterbuch, Zweites Bändchen
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A. Apel und F. Laun (Hgr.)

Gespensterbuch

Zweites Bändchen

Gespensterbuch

1 Apel und F. Laun (Hgr.)

Zweites Bändchen

Impressum

Texte: © Copyright by A. Apel und F. Laun (Hgr.)

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2021

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Die Todtenbraut.

Die Bräutigamsvorschau.

Der Todtenkopf.

Die schwarze Kammer.

Das Todesvorzeichen.

Der Brautschmuck.

Kleine Sagen und Märchen.

Die Todtenbraut.

Es war ein köstlicher Sommer, auch hatte seit Menschengedenken der Brunnenort keinen so zahlreichen Besuch erlebt. Aber obschon die Gesellschaftssäle sich zuweilen mit Gästen überfüllten, so wollte doch die Unterhaltung nicht immer herbeikommen. Der Adel hielt zusammen, das Militär ebenfalls, und der Bürger machte gehässige Glossen über beide. Bei so vielen Zusammenhalten mußte nothwendig dem Ganzen aller Zusammenhalt abgehen. Selbst die öffentlichen Bälle stifteten keinen innigern Verein unter den Gebildeten und konnten keinen stiften, weil auch auf ihnen der Besitzer des Bades mit Ordensband und Stern erschien und hierdurch sowohl als durch die steife Haltung seiner Familie und des vergoldeten Lakaienschwarms hinterher, die Mehrheit der Anwesenden stillschweigend in die Schranken der verschiedenen Stände zurückverwies.

Daher verloren denn auch die Versammlungen immer mehr von ihrem Umfange und angenehme Privatzirkel suchten die Geselligkeit unter sich zu erhalten, die in der öffentlichen Gesellschaft mit jedem Tage abnahm.

Eine von diesen Privatverbindungen fand sich wöchentlich ein Paar Abende in einem der Säle ein, welcher um diese Zeit leer zu stehen pflegte. Hier soupirte man und erfreute sich nachher entweder im Hause oder auf den Promenaden einer anständigen und ungezwungenen Mittheilung. Die Mitglieder dieses Vereins hatten einander schon zuvor, wenigstens dem Namen nach, gekannt. Nur der Marchese, der sich der Gesellschaft anschloß, war sowohl ihr als allen Badegästen überhaupt ein unbekannter Mensch. Der Titel Marchese schien an ihm um so seltsamer, da er, der Badeliste nach, einen durchaus nordischen mit Konsonanten dermaßen überhäuften Namen führte, daß kein Mensch ihn auszusprechen wagte. Ueberhaupt lag viel Wunderliches in seinem Wesen und Thun, auch hatte seine lange, blasse Gestalt, und sein dunkles, gebieterisches Auge so wenig Einnehmendes, daß er unfehlbar von jedermann vermieden worden wäre, wenn ihm nicht eine Menge Geschichten zu Gebote gestanden hätten, welche dem Zirkel in langweiligen Momenten zu Hülfe kamen. Nur behauptete man allgemein, daß seine Erzählungen den Glauben der Zuhörer gewöhnlich allzusehr in Anspruch nähmen.

Die Gesellschaft war eben wieder beisammen und stand dießmal in einer lästigen Stimmung von der Tafel auf. Der Ball der vorigen Nacht lag ihr noch in den Gliedern, daher der schöne Mondschein vergebens zum Spazierengehn aufforderte. Sogar zum Gespräche war man zu schwerfällig, kein Wunder, wenn der abwesende Marchese heute mehr als sonst vermißt wurde.

»Wo er nur bleiben muß!« rief die Gräfin ungeduldig.

»Zuverläßig wieder beim Faro, um die Banquiers in Verzweiflung zu setzen,« antwortete Florentine. »Blos seinetwegen sind heute Morgen zwei dieser Herren plötzlich abgereiset.«

»Ein leichter Verlust!« erwiederte man. »Für uns,« fügte Florentine hinzu, »aber nicht für den Besitzer des Bades, der das Spiel hauptsächlich darum verboten hat, damit es desto ärger getrieben werde.«

»Der Marchese sollte sich solcher Dinge enthalten!« sagte der Chevalier geheimnißvoll. »Die Spieler sind rachsüchtig und haben gemeiniglich gute Konnexionen. Wenn es wahr ist, was man sich zuflüstert, daß der Marchese in politische Händel gefährlich verwickelt seyn soll – –«

»Aber,« fragte die Gräfin, »was thut denn der Marchese den Bankhaltern?«

»Nichts weiter, als daß er auf Karten setzt, die fast allezeit gewinnen. Und wunderbar genug; wird das von ihm selbst wenig oder gar nicht benutzt, weil er stets bei dem niedrigsten Satze stehen bleibt. Desto besser jedoch befinden sich die andern Pointeurs dabei und belegen seine Karten immer dermaßen, daß die Bank gesprengt ist, ehe man eine Hand umkehrt.«

Die Gräfin wollte weiter fragen, als das Hereintreten des Marchese dem Gespräch eine andere Richtung gab.

»Endlich!« riefen einige zugleich.

»Wir haben uns heute,« sagte die Gräfin, »vorzüglich nach Ihrer Unterhaltung gesehnt, und heute grade lassen Sie so lange auf sich warten.«

»Ich hatte eben eine Hauptexpedition vor, die mir auch trefflich gelungen ist. Morgen wird hoffentlich keine einzige Bank mehr im ganzen Bade existiren. Ich bin von Spielzimmer zu Spielzimmer gegangen, und es fehlt an Postpferden, um die ungehaltenen Banquiers fortzubringen.«

»Können Sie uns Ihre wunderbare Kunst zu gewinnen nicht mittheilen?« fragte die Gräfin. »Schwerlich, meine Gnädige. Eine glückliche Hand gehört dazu, sonst nichts.«

»Aber,« versetzte der Chevalier lächelnd, »so glücklich, wie die Ihrige, ist mir doch in meinem Leben keine Hand vorgekommen.«

»Bei Ihrer Jugend, lieber Chevalier, mag Ihnen wohl noch manches künftig erst vorkommen.« Hierbei fixirte der Marchese den jungen Mann so scharf, daß dieser sagte:

»Wollen Sie mir etwa gar die Nativität stellen?«

»Nur heute nicht, Chevalier,« fiel ihm die Gräfin in's Wort. »Wer weiß, ob Ihr künftiges Leben sich zu einer unterhaltenden Geschichte qualifizirt, wie der Marchese uns schon seit ein Paar Tagen eine versprochen hat.«

»Unterhaltend habe ich wohl nicht gesagt?«

»Wenigstens eine mit ungewöhnlichen Ereignissen, und solche gehören dazu, um uns der Lethargie zu entziehen, worein wir heute versunken sind.«

»Ich will mich nicht weigern,« sprach der Marchese. »Doch möchte ich zuvor wissen, ob schon jemandem unter Ihnen die wunderliche Sage von der Todtenbraut bekannt ist?«

Kein Mensch erinnerte sich davon gehört zu haben.

Ein ungeduldiges Husten der Gräfin und mehrerer machte, daß der Marchese, der noch etwas vorausschicken zu wollen geschienen hatte, ohne weitere Einleitung also anfing:

Schon längst hatte ich den Grafen Globoda auf seinen Gütern besuchen wollen. Wir waren fast in allen Gegenden Europa's zusammengetroffen, hier von dem glücklichen Leichtsinne der Jugend, dort von der heitern Ruhe der spätern Jahre begleitet. Wir waren alt geworden und sehnten uns beide die gemeinschaftlich durchlebte Vergangenheit durch den Zauberspruch der Erinnerung aus dem Grabe hervorzulocken. Zugleich lag mir daran, den Wohnsitz meines Freundes in Augenschein zu nehmen, der in einer, seiner Beschreibung nach, überaus romantisch gelegenen Burg bestand, die seine Vorfahren vor vielen Jahrhunderten erbaut und ihre Nachkommen mit so treuer Sorgfalt unterhalten hatten, daß sie noch ihr ganzes, trotziges Ansehen behauptete, ja sogar durchaus bewohnbar geblieben war. Der Graf pflegte den größten Theil des Jahres mit den Seinigen hier zu verleben, und nur den Winter in der Residenz zuzubringen. Das wußte ich; daher bedurfte es keiner Vorbereitung, und ich überraschte ihn einmal Abends mit Sack und Pack grade in der jetzigen Jahreszeit. Ich staunte über die bunte, glückliche Natur, die dem braunen Felsenneste zu Füßen lag.

Die freundschaftliche Aufnahme, welche ich fand, konnte mir den stillen Harm nicht verschleiern, der auf den Gesichtern des Grafen und seiner Gemahlin und Tochter, der schönen Libussa, lagerte. Ich vernahm auch gar bald, daß man noch immer die Zwillingsschwester der letztern nicht vergessen konnte, deren irdische Ueberreste nun bereits ein Jahr lang in der Kirche beigesetzt waren. Libussa und Hildegarde waren einander so ähnlich und durch nichts zu unterscheiden gewesen, als durch ein kleines Mahl in Form einer Erdbeere an dem Nacken der Verstorbenen, deren Zimmer mit allem Zubehör noch im vorigen Zustande gelassen und von der Familie zuweilen besucht wurde, wenn die Sehnsucht nach der seligen Hildegarde sich einen Festtag bereiten wollte. Libussa und sie hatten nur Ein Herz und Einen Sinn gehabt. Die Aeltern konnten sich daher nicht überzeugen, daß hier eine Trennung auf lange Zeit möglich sei, und fürchteten sehr, ihre geliebte Libussa werde ihnen auch noch entzogen werden.

Ich that, was ich konnte, die achtungswürdigen Menschen durch ergötzliche Scenen des vergangenen Lebens zu zerstreuen, und ihre Gedanken auf fröhlichere Gegenstände zu leiten. Auch hatte ich die Freude, daß mein Bestreben nicht ohne allen Erfolg blieb. Bald genossen wir die mit der ganzen Pracht des Sommers geschmückte Gegend, bald sannen wir in den verschiedenen Gemächern der wirklich wunderbar erhaltenen Burg über das kräftige Thun und Treiben der verschwundenen Geschlechter nach, aus denen der Bildersaal noch eine Reihe von ehrwürdigen Schatten aufbewahrte.

Eines Abends, nachdem der Graf mit mir manches über die Zukunft vertraut gesprochen, und unter andern den Wunsch Libussen, die, wiewohl erst im sechzehnten Jahre, schon eine Menge Bewerber abgewiesen, glücklich verheirathet zu sehen, mir zu erkennen gegeben hatte, trat der Gärtner außer Athem in's Zimmer, mit der Nachricht, daß sich ein Gespenst unten sehen lasse, welches unfehlbar der alte Burgkaplan seyn müsse, der ein Jahrhundert früher erschienen wäre. Mehrere vom Gesinde folgten dem Gärtner auf dem Fuße und die bleichen Gesichter aller bestätigten die Schreckenspost.

 

»Ihr werdet euch wohl noch vor dem eigenen Schatten fürchten!« erwiederte der Graf und schickte sie mit dem Bedeuten fort, daß sie ihn wenigstens mit dergleichen Mährchen verschonen möchten. »Es ist erschrecklich,« sagte er nachmals zu mir, »wie weit der Aberglaube dieser Menschen geht und daß ihn niemand bei der Wurzel herausziehen kann. Da schleppt man sich schon seit Jahrhunderten mit der Sage, daß von Zeit zu Zeit ein vormaliger Burgkaplan um das Schloß herumgehe, auch wohl in der Kirche Messe lese und dergleichen mehr. Diese Fabel hat nun, seitdem ich Burgbesitzer bin, ziemlich geruht, aber sterben kann so was nicht, wie ich merke.«

In diesem Augenblicke ward fremder Besuch in der Person des Duca di Marino angekündigt.

»Duca di Marino!« der Graf entsann sich nicht, jemals einen dieses Namens gekannt zu haben.

»Ich bin ziemlich vertraut mit der Familie gewesen,« antwortete ich, »und habe erst vor Kurzem der Verlobung eines jungen Marino zu Venedig beigewohnt.«

Das Hereintreten des nämlichen würde mir jetzt seine noch angenehmere Erscheinung gewesen seyn, wenn ihn nicht meine Anwesenheit so sichtbar erschüttert hätte.

»Nun,« sagte er nach den gewöhnlichen Eintrittshöflichkeiten wieder ziemlich gewandt, »nun da ich Sie finde, lieber Marchese, erkläre ich mir leicht den Umstand, daß man mich hier in der Gegend zu nennen wußte. Wenn ich schon die dumpfe Stimme nicht kenne, die meinen Namen unten am Schloßberge dreimal sehr vernehmlich aussprach und ein lautes Willkommen hinzufügte, so merke ich doch jetzt, daß sie von Ihnen hergerührt haben müsse, und schäme mich des Schauers, der mich dabei anwandelte.« Ich versicherte ihn, daß ich kein Wort von seiner Ankunft vor dem Anmelden gewußt, auch von meinen Leuten ihn gewiß keiner gekannt habe, weil der Kammerdiener, der mich nach Italien begleitet, nicht mit hierher gekommen sei. Uebrigens, fügte ich hinzu, würde es bei der heutigen Dunkelheit wohl überhaupt schwierig genug seyn, selbst die bekannteste Equipage zu erkennen.

»So weiß ich wahrlich nicht!« rief der Duca mit Befremden, und der durchaus ungläubige Graf sagte galant, daß die Stimme mit dem: Willkommen! wenigstens die Gesinnungen des Hauses ausgesprochen hätte.

Noch ehe ein Wort von dem Zwecke dieses Besuches verlautet war, bat mich Marino um ein Gespräch unter vier Augen und vertraute mir dabei, daß er wegen der Komtesse Libussa gekommen sei. Er wolle, wenn er ihren Beifall nicht verfehle, ohne Weiteres den Grafen um ihre Hand angehen.

»So ist also die Gräfin Apollonia, ihre Verlobte, ein Raub des Todes geworden?« fragte ich.

»Darüber ein ander Mal,« sprach er.

Aus dem tiefen Seufzer, der seine Worte begleitete, zog ich den Schluß, daß sich die Braut unfehlbar der Untreue, oder einer andern schweren Vergehung gegen den jungen Mann schuldig gemacht haben mochte, und glaubte anstehen zu müssen, seinem empfindlich verletzten Herzen durch weitere Erwähnung wehe zu thun.

Da er mich inzwischen zum Vermittler bei dem Grafen für seine Wünsche verlangte, so führte ich ihm das Bedenkliche einer Verbindung zu Gemüthe, die blos geschlossen werde, um damit das bittre Andenken an eine frühere und unfehlbar geliebtere auszulöschen. Aber er äußerte, daß er weit entfernt sei, auf solchen Mißbrauch der schönen Libussa zu denken, und daß er sich ganz glücklich fühlen würde, wenn er sie seinem Vorhaben nicht zuwider fände.

Der Enthusiasmus, mit dem er von ihr redete, stillte auch wirklich meine anfängliche Besorgniß und ich versprach ihm, den Grafen Globoda auf seinen Wunsch vorzubereiten, auch ihm über des Duca Familie und Güter die nöthige Auskunft zu geben. Doch erklärte ich zugleich, daß ich übrigens die Sache durch meinen Rath nicht beschleunigen würde, weil ich den ungewissen Ausgang fremder Ehen niemals auf meine Schultern zu nehmen pflegte.

Der Duca war damit zufrieden. Dabei nahm er mir, die, meines damaligen Erachtens, ganz unschuldige Zusage ab, seine frühere Verlobung unerwähnt zu lassen, weil er im Gegenfalle zu sehr verdrüßlichen Auseinandersetzungen genöthigt seyn würde. –

Die Absichten des Duca gelangen über Erwarten schnell. Das funkelnde Auge des wohlgewachsenen braunen Mannes bahnte seiner Liebe den Weg zu Libussens Herzen. Sein angenehmes Geschwätz versprach der Gräfin Mutter einen unterhaltenden Schwiegersohn und die ökonomischen Kenntnisse, die er gelegentlich zeigte, ihrem Gemahl eine zweckmäßige Unterstützung in seinen gewöhnlichen Geschäften. Denn daß der Duca sein Vaterland ganz verlassen werde, das war in den ersten Tagen schon ausgemacht.

Marino betrieb seine sichtlichen Vortheile über die Familie sehr eifrig, und seine Verlobung mit Libussen überraschte mich eines Abends, als ich sie noch gar nicht so nahe glaubte. Ueber Tafel kam gelegentlich die Rede auf diejenige Verlobung, deren ich unmittelbar vor dem ersten Eintreten des Duca in die Zimmer des Schlosses erwähnt hatte. Die alte Gräfin fragte, ob der Held jener Verlobung mit dem heute Verlobten nahe verwandt gewesen sei?

»Ziemlich,« antwortete ich der Verschwiegenheit eingedenk, die ich dem jungen Manne, der jetzt einen sehr verlegenen Blick auf mich warf, am ersten Abende zugesagt hatte. »Nun aber, lieber Duca,« fuhr ich fort, »nennen Sie mir auch die Person, welche Ihre Aufmerksamkeit auf die liebenswürdige Komtesse Libussa hingeleitet, und ob ein Portrait, oder was sonst, Sie veranlaßt hat, eine Ihrem Geschmacke so durchaus zusagende Schönheit in diesem entfernten Schlosse zu vermuthen und aufzusuchen? Denn wenn ich nicht ganz irre, so äußerten Sie gestern, daß Sie noch ein halbes Jahr unstät in der Welt hätten herumschwärmen wollen, als auf einmal – ich glaube in Paris – sich Ihr Plan geändert und Sie Ihre Reise, bestimmt und einzig und allein der reizenden Komtesse Globoda wegen, hierhergerichtet hätten.«

»In Paris, ja!« antwortete der Duca. »Sie haben ganz recht gehört. Ich ging mir die köstliche Gemäldegallerie des Museums zu beschauen. Aber kaum hinein, gleiten meine Blicke von der leblosen Schönheit ab, und vereinigen sich auf einer Dame, deren ungewöhnliche Reitze durch einen Zug von Schwermuth gleichsam verklärt wurden. Nur mit Zagen erkühne ich mich ihr zu nahen, und mich immer dicht hinter ihr zu halten, ohne jedoch den Muth zur Anrede zu haben. Ich folgte auch nachher, als sie die Gallerie verließ, und nahm ihren Diener auf die Seite, um mich nach dem Namen zu erkundigen. Er nannte ihn, fügte jedoch auf meinen Wunsch, mit dem Vater der Schönen Bekanntschaft zu machen, zugleich hinzu, daß dies schwerlich in Paris würde geschehen können, weil man in Begriff stehe, diese Stadt und überhaupt Frankreich zu verlassen.«

»Ein Augenblick wird sich doch wohl finden!« sage ich hierauf, und sehe mich mich nach der Dame um. Sie war jedoch, vermuthlich in der Meinung, daß der Bediente ihr auf dem Fuße folge, immer weiterschritten und mir gänzlich aus dem Auge gekommen. Indem ich nun ihre Spur überall zu verfolgen suchte, hatte sich auch der Bediente von mir verloren.

»Und wer war die Dame?« fragte Libussa verwundert.

»Wer? So sollten Sie in der That mich damals in der Bildergallerie gar nicht bemerkt haben?«

»Ich? – Meine Tochter?« riefen die Komtesse und ihre Eltern zugleich.

»Ja wohl, Sie! Der Bediente, den Sie zu meinem Glücke in Paris zurückgelassen hatten, und den ich Abends wie meinen Engel unverhofft wieder fand, hat mir das Uebrige mitgetheilt, so daß ich nach einer kurzen Reise in meine Heimath den Weg hierher sicher antreten konnte.«

»Was wir da hören!« sagte der Graf Globoda zu seiner vor Erstaunen verstummten Tochter. »Libussa« fügte er, zu mir gekehrt, erklärend hinzu, »Libussa ist noch nicht aus ihrem Vaterlande gekommen, und auch ich habe Paris seit siebzehn Jahren und länger nicht gesehen.«

Der Duca blickte Vater und Tochter so befremdet an, wie sie ihn, und die Unterhaltung würde ganz eingeschlafen seyn, wenn ich nicht einen neuen Gesprächsfaden angefangen und fast allein ausgesponnen hätte.

Nach Tische nahm der Graf den Duca an ein Fenster, und ob ich schon ziemlich ferne davon stand, und meine ganze Aufmerksamkeit an den neuen Kronleuchter zu verschwenden schien, so vernahm ich doch das ganze Gespräch.

»Was,« fragte Globoda sehr ernst und mißbilligend, »was kann Sie zu der wunderlichen Erfindung der Galleriescene in Paris bewogen haben, die, meines Erachtens, zu gar nichts in der Welt zu führen vermochte? Wenn Sie den Anlaß zu Ihrer hiesigen Bewerbung verschweigen wollten, so durften Sie das nur gradeheraus sagen. Und hatten Sie auch gegen das letztere irgend ein Bedenken, so gab es ja tausend Umgehungen der Antwort, und Sie brauchten gar nicht die Wahrscheinlichkeit so zwecklos zu mißhandeln.«

»Herr Graf,« erwiederte der Duca beleidigt, »ich schwieg vorhin über Tische, weil ich glauben mußte, Sie hätten Ursache, die Reise Ihrer Tochter nach Paris geheim zu halten. Aus bloßer Diskretion schwieg ich. Aber die jetzige Seltsamkeit nöthigt mich, bei meinem Worte fest stehen zu bleiben, und es, daferne Sie die Sache nicht fallen lassen wollen, vor jedermann zu behaupten, daß Frankreichs Hauptstadt der Ort gewesen ist, wo ich die Komtesse Libussa zum ersten Male gesehen habe.«

»Wenn ich Ihnen nun aber nicht nur alle meine Leute, sondern auch alle meine Unterthanen zu Zeugen bringe, daß Libussa noch niemals die vaterländischen Gegenden verlassen hat?«. »So werde ichs immer an meinen Augen und Ohren Zeugen behalten, welche mir nicht weniger gelten.«

»Es ist sehr räthselhaft, was Sie sagen!« fuhr der Graf gemäßigter fort. »Ihr Ernst dabei überzeugt mich indessen, daß Sie selbst im Irrthume befangen gewesen sind, und unfehlbar eine andere Person für meine Tochter angesehen haben. Verzeihen Sie daher meine vorige Aufwallung.«

»Eine andere Person! – So habe ich nicht allein eine andere Person für Ihre Tochter angesehen; sondern auch der Bediente, dessen ich bereits gedachte, und der mir alles in diesem Schlosse grade so beschrieb, wie ich es finde, ist ein anderer gewesen.«

»Liebster Marino, dieser Bediente muß nothwendig ein hier bekannter Betrüger seyn und Ihnen, Gott weiß warum, eine Libussen ähnliche Dame, für meine Tochter aufgeschwatzt haben.«

»Ich scheue mich, Herr Graf, Ihnen gradezu zu widersprechen. Aber wahrlich, es sind Libussens Züge selbst gewesen, die meine Phantasie seit der Scene in Paris mit der ängstlichsten Treue aufbewahrte!«

Globoda schüttelte bedeutend den Kopf, und Marino fuhr fort: »Noch mehr! Doch vergeben Sie mir, daß ich mich jetzt in der Nothwendigkeit glaube, einer Sache zu gedenken, die sonst nicht über meine Lippen gekommen seyn würde. Als ich in der Gallerie hinter der Dame stand, hatte sich das Tuch um ihren Nacken ein wenig verschoben, und ich ward recht deutlich ein Maal in der Gestalt einer kleinen Erdbeere an dem sonst wunderschönen Nacken gewahr.« »Was ist das wieder?« rief der Graf erblassend. »Sie scheinen mich zu dem Glauben an sehr seltsame Dinge gewöhnen zu wollen.«

»Nur die einzige Antwort jetzt: Befindet sich dieses Zeichen an Libussens Nacken?«

»Nein!« sagte Globoda, den Neuverlobten anstarrend.

»Nicht?« rief dieser heftig erschrocken.

»Nein! aber Libussens, ihr ganz ähnliche, Zwillingsschwester hat diese Erdbeere vor länger als einem Jahre mit in die Gruft genommen.«

»Und doch sind es nur wenig Monate, daß ich diese Gestalt in Paris gesehen habe!« sagte der Duca, und die Gräfin und Libussa, die ängstlich in der Ferne stehend gar nicht wußten, was sie von der augenscheinlichen Bedeutung des Gespräches denken sollten, traten näher.

Globoda verscheuchte sie jedoch sogleich wieder mit einer herrischen Miene, zog dann den Duca noch weiter in den Winkel des Fensters, und setzte das Gespräch so heimlich fort, daß auch ich kein Wort mehr vernehmen konnte.

Niemand wußte, was es zu bedeuten habe, als noch in dieser Nacht der Graf Befehl gab, den Sarg der verstorbenen Hildegarde in seiner Gegenwart zu eröffnen. Bevor es geschah, theilte er mir in der Kürze das schon Erzählte mit, und stellte es in meinen und des Duca Willen dabei zu seyn. Der letztre dispensirte sich indessen hiervon unter der Aeußerung, daß ihm schon der Gedanke daran großen Schauer verursache, weil er seine Scheu vor todten Leichnamen am wenigsten in der Nacht zu bezwingen vermöge.

 

Der Graf bat ihn hierauf um Stillschweigen in Rücksicht der Galleriescene gegen jedermann, und daß er besonders das zarte Gemüth seiner Braut mit den nähern Umständen verschonen möchte, wie sehr sie auch wegen Entdeckung des auffallenden Gespräches, welches sie zusammen gehabt, vielleicht in ihn dränge.

Der Kirchner kam inzwischen mit der Laterne, und wir, der Graf und ich, folgten ihm. Unterwegs sagte Globoda leise zu mir: »Kaum ist es möglich, daß ein Betrug bei dem Tode meiner geliebten Kindes stattgefunden haben sollte. Die Umstände sind mir allzugenau bekannt. Auch können Sie leicht ermessen, Marchese, daß unsre älterliche Liebe die Verblichene gewiß nicht dem Entsetzen eines allzu frühen Begräbnisses exponirt haben würde. Aber gesetzt, es wäre geschehen, und die Habsucht hätte den Sarg geöffnet und zu ihrem Schrecken eine Wiederauflebende gefunden, so läßt sich doch gar nicht denken, daß die geliebte Tochter, statt in den Schooß ihres Hauses zurückzukehren, in ein fernes Land geflüchtet sein sollte. Selbst dann läßt es sich nicht denken, wenn man annimmt, daß sie gezwungen worden sei, sich aus der Gegend zu entfernen, weil immer tausend Wege zur Rückkehr geblieben wären. Indessen,« fügte der Graf hinzu, »meine Augen sollen mich überzeugen, daß der Sarg ihre heiligen Reste wirklich verschließt. – Ueberzeugen!« rief er bald darauf klagend und so laut, daß der Kirchner sich umsah.

Hierdurch aufmerksam geworden sprach der Graf ganz leise: »Wie konnte ich in dem Wahne stehen, daß noch eine Spur von den Zügen meines Kindes aufzufinden seyn, daß die gierige Verwesung die holde Gestalt unversehrt lassen würde! Kehren wir um, Marchese. Denn wer sagt mir, wenn ich sie auch wirklich erblicke, daß es kein fremdes Gerippe ist, nur hingelegt, um ihren Platz unwürdig auszufüllen?«

Wirklich wollte er schon das Aufschließen der Kirche verhindern, vor der wir just anlangten. Doch äußerte ich, daß ich in seiner Lage mich zwar schwerlich zu dem Gange entschlossen hätte, man indessen, da der Schritt einmal angefangen sei, ihn ja wohl auch vollenden und sehen könne, ob dem Leichname vielleicht etwas von dem Schmuck fehle, den man ihn in den Sarg gegeben. Ich fügte hinzu, daß mancher Erfahrung nach, die Verwesung ihre Rechte nicht in allen Särgen sogleich geltend mache.

Diese Vorstellung wirkte. Er drückte mir die Hand, und wir folgten dem Kirchner, der übrigens, aus seinem Erbleichen und Zittern zu schließen, zu nächtlichen Abentheuern dieser Art wenig aufgelegt seyn mochte.

Ich weiß nicht, ob jemand aus der Gesellschaft irgend einmal gegen Mitternacht in einer Kirche vor der eisernen Thür des unterirdischen Grabgewölbes gestanden hat, um die Reihen von zinnernen Behältnissen der Ueberreste eines angesehenen Hauses in Augenschein zu nehmen. Aber gewiß ist es, daß in solchen Momenten das Rasseln der Schlösser einen eigenen bedeutenden Eindruck macht, daß man das Aufknarren der Thüre wie einen Frevel fürchtet, und wenn nun der schwarze Eingang offen dasteht, der Fuß den Schritt hinein gern um einige Augenblicke verzögert.

Mehr als mancher wurde der Graf von dieser Bangigkeit betroffen, das sagte ein Seufzer aus der Tiefe seiner Brust. Indessen that er sich Gewalt an, warf aber, so viel ich bemerkte, keinen Blick auf die blanken Särge der übrigen Todten, sondern hielt sich allein an den Sarg seines Kindes, welchen er auch selber eröffnete. »Sagte ich es nicht?« rief ich, als die Leiche wirklich noch so sehr die Züge ihrer Zwillingsschwester trug, daß ich den Erstaunten an dem Kusse verhindern mußte, den er ihr auf die Stirne drücken wollte.

»Keine Störung der Verblichenen!« sprach ich, und wendete alle Mühe an, ihn baldigst aus dem schaurig wiederhallenden Gewölbe des Todes an die lebendige Luft zurückzubringen.

Die im Schlosse Gebliebenen fanden wir in einer unangenehmen Spannung. Beide Frauen hatten dem Duca wegen des Vorganges sehr zugesetzt und sein Berufen auf das angelobte Schweigen nicht für Entschuldigung gelten lassen. Jetzt suchten sie uns, aber ebenfalls umsonst, ihrer Wißbegierde günstig zu machen.

Besser gelang es ihnen am andern Tage mit dem Kirchner, der heimlich herbeigeholt wurde, und der wenigsten so viel sagte, als er wußte. Dadurch aber spannte er ihre Neugier nur höher auf das Gespräch, welches die Veranlassung zu dem Todtenbesuche gegeben. –

Ich meines Orts sann während des ganzen noch übrigen Theils der Nacht über die Erscheinung nach, welche Marino in Paris gehabt hatte. Ich kam auf Vermuthungen, die ich jedoch anstand dem Grafen mitzutheilen, weil dieser an der Verbindung einer höhern Welt mit der unsrigen gänzlich zweifelte und über diesen Punkt auch gar keine Lehre annahm. Unter solchen Umständen war es mir angenehm, daß die Sache, wenn auch nicht in Vergessenheit gerieth, doch nur noch zuweilen in flüchtige Anregung kam.

Etwas anderes aber fing an große Besorgnisse in mir zu erwecken. Aus dem fortdauernden Ausweichen des Duca mit mir auch unter vier Augen von seiner frühern Verlobten zu sprechen, und aus der Verlegenheit, welche sich seiner bemeisterte, sobald ich die Rede auf den vormaligen Anschein ihrer guten Eigenschaften brachte, so wie aus manchem andern, mir nicht mehr erinnerlichen Umstande, zog ich den Schluß, daß Marino's Treue gegen die Gräfin Apollonia in der That durch das Anschauen der schönen Erscheinung in der Gemäldegallerie zum Wanken gekommen, daß Apollonia, weil er der Versuchung nachgegeben, von ihm verlassen worden, und ohne Zweifel ganz schuldlos an der Auflösung des feierlichen Bündnisses mit ihm seyn möge.

Da ich bei dieser Lage der Dinge für die treffliche Libussa wenig Glück aus der Verbindung mit Marino hervorgehen sah, so entstand der Wunsch in mir, dem Neuverlobten, dessen Hochzeit schon nahe war, baldmöglichst die Maske vom Gesicht zu nehmen, und ihn reuig der Verlassenen zurückzusenden.

Es fand sich auch einesmals, wie ich glaubte, gute Gelegenheit zu einem Versuche dieser Art. Wir saßen nach dem Souper noch bei Tische, und es kam die Rede darauf, daß das Unrecht meistens schon in dieser Welt seine Strafe erhalte. Ich äußerte, daß ich hiervon die auffallendsten Beispiele erlebt hätte und die Gräfin Mutter und Libussa drangen besonders auf Mittheilung eines dieser Beispiele.

»Dann,« sagte ich, »müssen Sie mir auch erlauben, einer Geschichte zu gedenken, die Ihnen meines Erachtens am nächsten liegt.« »Uns?« fragten die Damen, indem ich einen Blick auf den Duca warf, welcher, schon seit mehrern Tagen mißtrauisch gegen mich, ihn mit dem bleichen Gesichte des bösen Gewissens empfing.

»So denke ich wenigstens!« war meine Antwort. »Wenn nur Sie, lieber Graf, mir verzeihen, daß das Uebersinnliche sich abermals in meine Geschichte verwebt hat.«

»Recht gern,« versetzte er lächelnd. »Auch will ich meine Verwunderung, daß Ihnen so viel dergleichen begegnet ist, und mir noch gar nichts, völlig zu bezwingen suchen.«

Es entging mir nicht, daß der Duca ihm seinen Beifall zuwinkte, doch ließ ich ihn ruhig gewähren und antwortete dem Grafen: »Nicht jeder hat vielleicht Augen zu sehen!«

»Das muß seyn!« lächelte er ferner.«

»Und,« flüsterte ich ihm hieraus bedeutend zu, »die so ganz unversehrte Gestalt im Sarge war doch auch keine von den gewöhnlichsten Erscheinungen!«

Er stutzte, und ich fuhr sogleich leise fort: »Uebrigens erlaubt sie recht gut eine natürliche Deutung, und es wäre zwecklos Ihnen dies abstreiten zu wollen.«

»Wir kommen ganz von der Sache ab!« sagte hierauf die Gräfin mit einigem Unwillen, und winkte mir. Ich fing daher ohne weiteres Säumen an: »Der Schauplatz meiner Anekdote ist Venedig.«

»Da sollte ich ja wohl auch davon wissen können!« rief der Duca argwöhnisch.

»Vielleicht. Doch hat man die Sache mit Absicht möglichst geheim gehalten. Auch trug sie sich vor anderthalb Jahren zu, wie Sie Ihre Reisen schon angetreten hatten.