Zwingli

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PFARREI IN GLARUS

In diesem europäischen Umfeld also bewegte sich der junge Zwingli. Er war noch keine 22 Jahre alt, da bewarb sich die Gemeinde Glarus, deren Pfarrer gestorben war, um seine Dienste. Man kann annehmen, dass die Empfehlung von Weesen ausgegangen war, dass Onkel Bartholomäus und der frühere Basler Lehrer Gregor Bünzli den jungen Theologen vorgeschlagen hatten. Zwingli hielt in Rapperswil seine Probepredigt, die zur Zufriedenheit ausfiel, er wanderte – oder ritt – im Sommer 1506 nach Konstanz und liess sich dort vom Bischof zum Priester weihen. So kam der Toggenburger also zu seiner ersten Pfarrstelle. Und da sollte er denn zehn Jahre bleiben. Er musste bei den Glarnern Geld aufnehmen, um die Pfründen des üblen Schmarotzers und Römergünstlings Heinrich Göldli abzugelten. Die Summe war so horrend, dass er die ganzen zehn Glarner Jahre brauchte, um die Schuld abzutragen. Er schrieb an Balthasar Stapfer in Schwyz, ohne Datum, doch es muss sich um die Zeit handeln, als er von Glarus nach Einsiedeln wechselte: «Ich habe so friedlich und freundlich bei meinen Herren in Glarus geweilt, dass ich mit ihnen nie einen Streit hatte, und ich stand drum bei meinem Wegzug in solcher Gunst bei ihnen, dass sie mir die Pfrund noch zwei Jahre lang weiter überliessen, indem sie hofften, ich werde wieder zu ihnen zurückkehren, was ich auch gern getan hätte, wenn ich dann nicht nach Zürich gekommen wäre; und als ich dann die Stelle aufgab, haben sie mir die 20 Gulden geschenkt, die ich wegen der Pfrund noch schuldig war, sie hatte mich nämlich viel über 100 Gulden gekostet. In Einsiedeln bin ich noch heute dem Herrn Verwalter und der Bevölkerung lieb und wert, und das alles beweist doch, dass ich nicht ein hässiger Mensch bin.»

Der Pfründenreiter aus Zürich machte dem jungen Toggenburger das Leben schwer, denn der liess sich von Zwingli die Stelle für viel Geld abkaufen. Er war zwar von Rom, aber weder von der Gemeinde und noch vom Bischof dafür bestellt. Zwingli zahlte die ganzen zehn Jahre an diesen Heinrich Göldli seinen Obolus. Auch das gehörte zum schmerzhaften Anschauungsunterricht über die Kirchenverhältnisse unseres jungen Geistlichen.

Das gab ihm aber auch Einsicht in die kommerzialisierten Strukturen der Organisation sämtlicher Kirchenämter. Der junge Zwingli hat am eigenen Leib erfahren, wie ein Günstling der Kurie die gesamte Kirchenorganisation ausser Kraft setzen konnte. Die Glarner wollten ihn, der zuständige Bischof hatte ihn geweiht, doch Rom und die Kurie kümmerten sich nicht einen Deut darum. Die Verkündigung von Gottes Wort war ein Geschäft.

Die Glarner erwiesen sich allerdings als grosszügig, nicht ganz so entgegenkommend waren sie mit dem Pfarrhaus, denn ihnen waren die Mängel des Hauses wohlbekannt. Doch als Zwingli 1516 seine Entlassung beantragte, boten sie ihm an, ein neues Pfarrhaus zu bauen, damit er bleibe. Der junge Seelsorger hatte zeitweise drei bis vier Kapläne, die ihn entlasteten. Die beiden Kirchen St. Fridolin und St. Hilarien wurden von ihm abwechslungsweise mit Predigten versorgt. Zwingli war darin begabt, eine Volksnähe zu praktizieren, obwohl er zeit seines Lebens ein Studiosus und ein intellektuell vielseitig interessierter Gelehrter war, dazu künstlerisch begabt in der Musikausübung auf verschiedenen Instrumenten.

Die Glarner Pfarrei umfasste mehrere Ortschaften, neben Glarus waren das Riedern, Netstal, Ennenda und Mitlödi. Der Hauptort Glarus umfasste rund 1300 Bewohner. Wir wissen sehr wenig über Zwinglis Tätigkeit. Es ist bei ihm kaum Kritik an der Kirche erkennbar. Noch immer las er die Messe und erteilte die Absolution. Von grösster Bedeutung ist aber die Tatsache, dass der junge Zwingli an den Italien-Feldzügen der Glarner für den Papst gegen die Franzosen in der Lombardei teilnahm.

Im Laufe der Zeit lernte er wohl seine Kirchenmitglieder kennen. Er übernahm geistliche Patenschaften für mehrere Kinder. In den zehn Jahren, die er in Glarus verbracht hat, diesem schmalen, voralpinen Tal, das durch die Produktion von Ziger von sich reden machte, bildete sich der junge Theologe intensiv weiter. Mit grossem Eifer studierte er die antiken Klassiker sowie die Kirchenväter. Da begegnete er zum Beispiel dem grossen Römer Seneca, dem Lehrer von Nero, einem reichen Mann und genialen Schreiber. Er las diese wunderlichen Sätze in der Schrift Die Kürze des Lebens von Seneca: «Jeder überstürzt sein Leben und leidet an der Sehnsucht nach dem Kommenden. Der hingegen, der jeden Augenblick zu seinem Nutzen verwendet, der jeden Tag so einteilt, als wäre er sein Leben, sehnt sich nicht nach dem folgenden Tag und fürchtet sich nicht davor. Alles ist bekannt, alles bis zur Sättigung genossen. Über das andere mag das Glück nach Belieben verfügen. Das Leben ist schon in Sicherheit. Diesem Menschen kann man noch etwas dazu geben, wegnehmen nichts.» Welch wunderbare stoische Haltung!

1513 begann Zwingli Griechisch zu lernen, konnte dann bald den Urtext des Neuen Testaments lesen, den Erasmus von Rotterdam im Jahre 1516 herausbrachte. Durch Erasmus lernte der Lernbegierige einen neuen Sinn in den biblischen Texten zu finden. Das eröffnete ihm einen neuen befreienden Zugang zur Bibel. Denn trotz der Stille des Glarner Bergtals korrespondierte Zwingli mit den gelehrten Häuptern seiner Zeit, er war bestens unterrichtet über das Erscheinen neuer Bücher. Am Ende seiner Glarner Jahre besass er als intellektueller Kopf die erstaunliche Zahl von weit über 100 Büchern. Und in seinem Nachlass umfasste seine Bibliothek 210 theologische und etwa 100 philosophische Werke.

Eines ist wohl sicher: Zwingli war stets bestrebt, sein Wissen weiterzugeben. Auf seine Initiative hin stimmte die Landsgemeinde im Jahr 1510 der Gründung einer Lateinschule zu. Man stelle sich das vor: im Jahre 1510 eine Lateinschule in Glarus! Zwingli wurde Lateinlehrer. So kam es, dass der spätere bedeutende Chronist der Eidgenossenschaft, Aegidius Tschudi, Zwinglis Schüler wurde. Wir wissen ungefähr, was Zwingli in seinen zehn Glarner Jahren gelesen und was er etwa mit seinen Schülern durchgenommen hat, es reicht von Titus Livius zu Plutarch, von Sueton zu Herodian, von Plinius zu Caesar. Und wir ahnen, dass Zwingli ein Prediger war, der aus den römischen Klassikern schöpfte für seine Predigten, obwohl wir sonst über diese Predigten herzlich wenig wissen.

Der Toggenburger war noch nicht 20-jährig, als er sich schon didaktisch und pädagogisch betätigt hatte. Später sind mehrere Briefe von Schülern an Zwingli oder über Zwingli an uns gekommen. Es sind samt und sonders bewundernde, begeisterte und dankbare Zeugnisse von späteren Studenten. Zwingli war zwischen 22 und 32 Jahre alt, da wird ihm «väterliches Wohlwollen» bescheinigt, «weise und gütig» sei er ihnen «mit Rat und Tat zur Seite gestanden», habe auch «bei ihren Eltern als verständnisvoller Mittelsmann ihre Anliegen vertreten». Aus dem Jahr 1515 finden wir am Rand eines Erasmus-Buches folgende schöne Handnotiz von Zwingli: «Lass die Bursten, das heftige Dreinfahren! Damit bringt man die Kinder bloss zum Heulen». Immer wieder kommt uns das Bild des gütigen Lehrmeisters entgegen in den ungezählten Briefen von späteren Studenten. Was für Liebesbezeugungen! «Nie habe ich etwas so hoch geschätzt, als die Freundschaft eines solch gelehrten und gütigen Mannes geniessen zu dürfen.» Oder: «Du bist der teuerste der Lehrer und der Liebenswerteste unter den Teuersten.» Oder: «Mein ganzes Glück und all mein Wissen verdanke ich dir, und mein Schicksal hängt völlig von dir ab.» Und im Kreise seiner humanistischen Freunde galt er als führende Gestalt unter den Schweizer Humanisten, seine Brieffreunde sprachen ihn an als Humanisten, als Philosophen oder aber als Philosophen und Theologen.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde in der eidgenössischen Politik darüber gestritten, ob die Zusammenarbeit des Papstes mit dem Kaiser oder mit den Franzosen gesucht werden sollte. In wessen Dienste sollen die Glarner Söldner sich stellen? Zwingli votierte für den Papst, worauf sich dieser mit einer stattlichen Pension von 50 Gulden bedankte.

Zwingli hatte sehr viel zu tun mit Witwen und Waisen und Eltern und Geschwistern. Da kam von 1600 Teilnehmern an italienischen Feldzügen ein Viertel gar nicht mehr nach Hause, und etliche kamen als Krüppel zurück, von seelischer Verwahrlosung gar nicht zu reden.

Doch im Oktober 1515, unmittelbar nach der Schlacht von Marignano, war es aus mit der schweizerischen Grossmachtpolitik, vor allem durch die vernichtende Niederlage gegen die Franzosen. Zwingli votierte gegen den französischen Friedensschluss und für den Papst in Rom. Die Stimmung in der Eidgenossenschaft und auch in Glarus schlug zugunsten der Franzosen um. Zwinglis politische Haltung wurde unhaltbar. Er hatte zwar grossen Rückhalt in der Bevölkerung, war jedoch politisch isoliert.

Er hatte in seiner Glarner Zeit die einheimischen Söldner zweimal als Feldprediger nach Oberitalien begleitet, wo der deutsche Kaiser, der französische König und der Papst mit militärischen Mitteln um Einfluss und Macht rangen. Mal standen Schweizer auf der einen, dann auf der anderen und manchmal gar auf beiden Seiten einander feindlich gegenüber.

Das wurde für Zwingli zu seiner paradigmatischen Erfahrung und führte zu seiner ersten grundsätzlichen Einmischung in die Politik. Gerade diese Erfahrung formte den jungen Priester, Prediger und Lehrer zum eidgenössischen Patrioten.

Ja, die kriegerischen Erfolge der Schweizer waren ihre sicht- und spürbare Stärke, aber gleichzeitig auch ihre Schwäche, da halb Europa ihre Söldner begehrte. Man gewann zwar das Tessin und das Veltlin. In den südlichen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs wurden die Schweizer für ihre Freiheit beneidet. Dort hatten die «Freiheitskriege» enorme Wirkung. Andererseits hatte der Schweizer den Ruf des unbezähmbaren, anarchischen Kriegers. Die Wehrpflicht wurde zum Vorbild, doch die Reisläuferei war vornehmlich von Abenteuerlust und Habgier geprägt. Vor allem führten die zahlreichen Soldbündnisse und Soldverträge, die den Schweizer Räten fette Geldzuflüsse bescherten, schliesslich zur faktischen Abhängigkeit von ausländischen Mächten, vor allem vom französischen König und vom Papst. Die Eidgenossenschaft war weit offen für Korruption. Die Tagsatzung erliess 1503 ein Verbot für Einzelpersonen, fremdes Geld wie auch fremde Kriegsdienste anzunehmen. Sie versuchte so, das ausufernde Pensionen- und Solddienstwesen unter obrigkeitliche Kontrolle zu bringen. Durchgesetzt hat sich der Versuch nicht. Erst die Zwinglische Reformation hat für Zürich und die reformierten Stände die dringlichen Massnahmen durchgesetzt.

 

Für diese Entwicklung haben wir ein Zeugnis von ungeahnter Strahlkraft aus dem Jahr 1510, eine starke poetische Leistung: «Uolrich Zwingli, Priesters fabelisch Gedicht von eim Ochsen und etlichen Tieren, ietz louffender Dinge begrifflich» (was heissen soll, sich mit gegenwärtigen Vorkommnissen befassend). Also eine hochaktuelle Dichtung zu grundsätzlichen Fragen der Zeit und der Eidgenossenschaft. Natürlich praktizierte der junge Geistliche hier eine Fähigkeit, die er in der Ausbildung sowohl in Wien als auch in Bern bei Lupulus gelernt hatte.

DER PATRIOT

Das Fabelgedicht von 184 Zeilen in Deutsch kursierte auch in lateinischer Fassung, in 99 Zeilen. Der Autor schickte das Gedicht seinem Freund Glarean nach Köln zur Begutachtung. Der erwiderte mit vielen Komplimenten über die «Eleganz deines feinen Lateins» und fügte hinzu: «Auch andere gelehrte Männer haben deine Schrift zu sehen bekommen und ihr mit mir Beifall gezollt.» Es ist zu vermuten, dass Zwingli an einen Druck des Gedichtes dachte, denn er wollte vor allem sein Volk vor der lauernden Gefahr warnen mit seinem Kassandraruf. Der Autor schien sich dann vor einer Veröffentlichung zu scheuen, er wurde vorsichtig, denn die Tendenz des Werkes war klar, ja sie war in einigen Passagen scharf. Vermutlich haben ihn einige Bekannte gewarnt, als Pfarrer in Glarus mit einem solchen Pamphlet an die Öffentlichkeit zu gehen, es könnte Missfallen und Ablehnung auslösen.

Er beschränkte sich also darauf, seine Fabel ausschliesslich in geschlossenen Kreisen vorzulesen und sonst in Abschriften unter Freunden zirkulieren zu lassen. Damit aber verzichtete er auf eine breite Wirkung, er nahm dem Kassandraruf gleich selbst die ganze Kraft und Wucht und Schärfe. Sein Thema war: Die Eidgenossenschaft gehört den Eidgenossen. Jene Herren, die das Land in Kriege anderer Länder hineinziehen, die junge Männer gegen fette Pensionen an fremde Mächte verkaufen, die schaden dem Vaterland. Darum Hände weg vom Blutgeld der Pensionen! Die Reisläuferei junger Schweizer, vor allem Innerschweizer, trieb dem Höhepunkt entgegen. Die Schweizer Krieger galten seit einigen Jahrzehnten als unbesiegbar, sie wurden vom Papst, vom französischen König und vom deutschen Kaiser schmeichelnd umworben. Im Jahr 1510 machte der Papst mit der eidgenössischen Tagsatzung sogar eine Art Freundschaftspakt.

Im August 1510 zogen 6000 junge Schweizer über den Gotthard in die Lombardei, dabei waren auch 458 Glarner, sie alle waren aufgebrochen, um dem Pontifex zu Hilfe zu eilen. Doch kaum waren sie südlich der Alpen, brachten sie in Erfahrung, dass es nicht um den Schutz des Heiligen Vaters ging, sondern darum, die französischen Truppen aus Norditalien zu vertreiben. Also ein äusserst schwieriger Krieg. Denn die Schweizer Herrenklasse kassierte von den Franzosen in allen Landesteilen grosszügige Pensionen, die französischen Gulden flossen reichlich in die Alpentäler zu den geldgierigen Herren. Das war ein widersprüchliches und schmerzhaftes Kriegstreiben. Weder mit dem Papst noch mit dem französischen König durfte man es sich verderben! Die Schweizer waren in der Klemme. Zogen sie sich zurück, war das ein Vertragsbruch gegenüber dem Papst, befolgten sie den Wunsch des Heiligen Vaters, verdarben sie es sich mit ihren französischen Geldgebern.

Zwingli befasste sich mit dem Hauptübel, der verbreiteten Korruption. Durch sie waren die Schweizer Landesherren auf Gedeih und Verderb an die Franzosen gebunden. In seiner Fabel ist der Löwe der Kaiser, mit dem Leoparden meint er Frankreich, das Füchslein ist Venedig und der prächtige Muni steht für die kraftstrotzende Schweiz. Da gibt es aber noch die schweizerischen Anhänger der Franzosenpartei, die Geldbezüger, dargestellt als schlaue Katzen. Der Papst ist in seiner Fabel der Hirte. Sich selbst, den wachsamen Prediger, sieht er als Hofhund, der über das Wohl des Volkes wacht. Mit dem Hüter meint er die Tagsatzung und mit dem Geissbock schliesslich die Bürger im Lande, die wahren Patrioten, die sich weigern, von fremden Herren Pensionen anzunehmen, denn Pensionengelder untergraben die Freiheit.

Ende 1499 schmiedete die Tagsatzung mit dem französischen König ein Soldbündnis. Schweizer Söldner marschierten in die Lombardei ein und unterstützten Ludwig XII. bei der Einnahme von Mailand. Als Lohn bekam die Eidgenossenschaft die Herrschaft Bellinzona. Doch weit gewichtiger als dieser Lohn war der Verlust an Menschen; Tausende lagen auf den Schlachtfeldern, nach Hause kamen Krüppel, Seuchen und sittliche Verwahrlosung überzogen das Land. Die Tagsatzung verbat plötzlich die Teilnahme an Soldkriegen. Doch für wie lange? So zeichnete Zwingli in seinem Fabelgedicht die gesamte europäische Politik:

Garten des Friedens, du Alphof, von dir will ich singen und sagen.

Wache dir halten hier stotzige Berge, dort rauschende Bäche.

Und in dem Grünklee stapft grasend der braunrote Jungstier, breit das Gehörn, kraushaarig die Stirn und vom Kinn und vom Halse niederhangend zur prallen Brust die fettschweren Wammen – Bild der wonnig genugsamen Kraft!

Und wenn Durst ihn dann ankam, schlürfte schnaubend das Tier vom eiskalten Rinnsal.

Doch heimlich bittere Galle ins Süsse zu mengen gefiel dem Vergönner, welcher beargwöhnt jedweden und hasst, der vom Glücke geliebt ist.

Und so gibt er ihm bei gar pfiffigen Hütern, die sollten anreisen helfen und fertig es bringen, was jener erlistet.

Schritt auf Schritt aber folgte dem Stier der wachsame Hofhund, wittert den Anschlag der Feinde und kündet ihn ihm, seinem Freunde:

«Siehst du den Zugriff der wendigen Bestien kommen?

So stampfen sie wuchtig zusammen!

Wir dürfen des Beistandes derer gewiss sein, welche als schützende Geister um unsere Heimat sich sorgen.

Ihnen soll man aufs Neue sich weihen mit gläubigem Herzen.»

Brüllend, dass man erzittert, so brechen ins Twing nun die Leuen, ihrer gleich mehr als nur einer ihr Glück zu versuchen verlangt sie.

Aber blutige Köpfe sie tragen nach Hause, und also unüberwindlich erhebt sich der sieghafte Stier über alle.

Da sie denn weder mit Wort noch mit Anhieb etwas erzwecken, legt man sich jetzt auf heimliche Kniffe und ködert den Meuder.

Fetteste Braten versprechen sie ihm, schau, Fisch und Geflügel!

Locken damit den Stier, den steinigen Hof zu verlassen:

«Komm doch auf fremdes Erdreich und hol’dir dort grössere Ehre!»

Schleicht nun zuerst mit viel Schmeicheln der scheckige Parder zur Stelle, ködernd die Katzen alsbald mit Miet und Gaben gar reichlich.

Dawider bellet der Hund und kanns doch mit allen nicht wehren.

Sind schon die Katzen im Garn, so umgarnt das Geld auch den Jungstier.

Und mit schädlicher List wird jetzt und mit heimlichem Raunen, wie und wohin der Schlächter ihn will, der Muni gezogen.

Diesem war voll der Bauch von der ungewohnten Speise kackte er dann den gewaltigen Mist, so liess man ihn liegen.

«Lasst doch, ihr Katzen, vom hochfeinen Frass!

Wer mag denn ertragen euer Geschiss, das widerlich stinkt wie gewendeter Rosskot!»

Nein, sie mögens nicht lassen, der Gier verfallen, und listig narrt dann den Stier, dass er schweige, der pfiffige Wächter, wirft im geheimen den Mist in die Grube, und weg der Gestank ist. Schimpft nur über den Frass – wenn der Stier bloss nachher wie vorher ziehn und verführen sich lässt in sein Elend, mitten in Schlachten!

Schwerter verschluckt er und duldet sämtliche Proben, damit er hundertfach schlau den Panther kann rühmen, die Schlange kann nähren.

Nachdem der Kaiser und der Franzose sich überworfen haben, rüstet Maximilian ein Heer auf, um gegen Ludwig XII. vorzugehen. Er versucht, die Eidgenossen von dem Bündnis mit Frankreich zu trennen, hat jedoch zu wenig Finanzmittel, den Schweizern materiellen Ersatz zu bieten.

Sieht das der Leu und mag dem Betörer den Zuzug nicht gönnen, zieht jetzt den Schwanz ein und glättet die Mähne und schleicht zu dem Stiere, flehend ihn an, mit ihm ins heilige Bündnis zu treten.

Aber der Meuder sich sträubt, auf dieses Werben zu hören, mag nicht verlieren die Gaben des Panthers, so schüttelt den Kopf er:

«Nein doch! Gefährlich es würde, dem Mägerling Glauben zu schenken!

Ist er auch König und oberster Kaiser wie kann er uns stillen Hunger und Gier, wenn er selber nichts hat und uns nur wird verheeren?»

Zeigt sich gefügig der Stier solchem Warnen, verschmäht denn also Werben und Freundschaft des Leuen, und leer trollt sich dieser von hinnen, wütet im heimlichen Busen:

«Wart, falscher Bursche, dir will ich!»

Die Ereignisse folgen sich fast stündlich. Maximilian und Ludwig sehen sich wieder in einem Boot. Venedig mischt sich machtlüstern ein, kriecht dann aber vor dem Papst zu Kreuze. Der Papst, im Gedicht als Hirte, sichert sich nun den Beistand der Eidgenossen, denn das Bündnis mit Frankreich war vertraglich am Ende.

Und gleich rennt nun der Leu zur Höhle des Panthers, von welchem eben noch hundertfach Unrecht, Verachtung und Schändung er hatte.

Grosses Bedauern und Klagen und Feilschen um kräftige Hilfe!

Und es gelingt, dass der Leu und der scheckige Panther nun schliessen stahlharten Bund zum Entsetzen und Zittern für alle die Stolzen.

Ohne Verzug berennen sie jetzt das ängstliche Füchslein, beissen es, setzen ihm zu und wollen zur Grube es stürzen.

In der Verzweiflung indes und übel zerrissen dann kriecht es auf dreien Beinen zum Nachbarn, dem Hirten, und zeigt ihm die Wunden, zeigt ihm den blutigen Kopf und erbittet listig die Hilfe.

Alsbald, verspricht es beteuernd, soll rückerstattet nun werden, was es an Hühnern jemals geraubt. Das jammert den Hirten.

Mag übertölpelt der Fuchs ihn auch haben, er wills jetzt vergessen, leistet ihm Beistand und – macht nun den Stier zum dritten im Bunde.

In der Eidgenossenschaft übernimmt der Walliser Kardinal Schiner die leidenschaftliche und listige Vertretung der politischen Interessen der Kurie. Der Papst sei in Gefahr, so argumentiert Schiner an der Tagsatzung. In Wirklichkeit richtet sich das Bemühen des Papstes einzig und allein gegen den französischen König Ludwig XII., den er aus Italien vertreiben will. Die Eidgenossenschaft ist hinters Licht geführt.

«Wohlbekannt dürfte dir sein», so sprach der Hirt zum Stiere, «wie viel biedere Treue mir deine Väter erwiesen.

Denke an sie, sei gewarnt, dass ich dich entartet nicht finde!

Weisst du doch, hast es erfahren, wie greulich der Leu und der Panther mir meine Herde zerfetzen, die Schafe mir plündern und kläglich schlachten, zerreissen und heimlich mir rauben.

Ein argloses Lamm nur wollen sie scheinen. Wohlan, solcher Tücke mich zu erwehren, will ich die fletschenden Zähne, wenn du willst mittun, erstumpfen!», schmeichelt den kläffenden Schmeichlern der Hofhund und rät voller Freude:

«Nimmermehr lasse den Stier seinen Freund, den Hirten, im Stiche!

Führt nur er das Gespann, so haben die Feinde das Murren.»

Die Schweizer Söldner sind inzwischen in Chiasso angelangt. Die Franzosen verbauen im Verbund mit den kaiserlichen Kräften den Schweizern den Weiterzug und drohen mit Krieg. Es wird endlich klar, um was es geht.

Aber den Katzen ist solches im Grund und Herzen zuwider; rückwärts sie lauern zum Schläuling, dem Panther, und sinnen nach Ausflucht.

Stutzt jetzt der Stier und schielt auf die Seite, doch nur eine Weile, schreitet dann weiter, vom Stachel des Hirten getrieben.

Sehens der Panther und Löwe, die heiteren Brüder, und alsbald stürmen sie mächtig heran und drohen mit knirschenden Zähnen:

 

Schreckhafter Krieg sei dem Stiere gewiss, wenn er bleibe im Bündnis und er vom Hirten nicht lasse.

So steht es mit dem Stier jetzt – was machen?

Die Moral von der Geschichte: Man mische sich nicht in fremde Händel! Der Stier beziehungsweise Muni gehört auf seine Weide, er gehört weder dem französischen König noch dem Deutschen Kaiser, auch nicht dem Papst. Also bleibe im Lande und nähre dich redlich!

Da war ein Geissbock zur Stelle, der sprach zu sich selber die Worte:

«Wunder nimmt es mich nur, ob jetzt der Stier nicht – O Jammer! – Prügel bekommt.

Oder wird der Stab des Hirten ihn schirmen? Werden der Leu und der Panther die Treue sich halten gar lange? Wird der Gefleckte uns wieder beschenken? Dann hast du vom Hirten Zorn und Verachtung. Wohin du nur siehst, gespannt sind die Netze bloss noch die Waffe blutigen Krieges wird sie durchhauen.

Lasst mich in Frieden!

Ich grase den Grünklee, verschmähe die Gaben. Nehmt nur Geschenke – ihr werdet erfahren: das Leben verwahrlost!»

Der junge Zwingli hat nicht nur ein fundiertes Wissen über die Zusammenhänge der politischen Mächte, wie sie funktionieren, was ihre Interessen sind, und wie sie sich zur Schweiz verhalten. Er durchschaut die Hintergründe, die Winkelzüge, die «Bestechungen» durch Pensionen sowie die verborgenen politischen Lügen der grossen Herren, denen die Schweizer nicht nur einmal zum Opfer fielen. Er muss als Leutpriester in Glarus jede Möglichkeit ausgenutzt haben, zu Informationen sowie zu Geschichten zu kommen, sei es durch reisende Kaufleute, durch heimkehrende Reisläufer oder vor allem durch Teilnehmer an den Tagsatzungen. Es gab ja keine Bulletins, keine Zeitungen, keine Agenturen. Wer sich mit den Vorgängen und Problemen der Zeit auseinandersetzen wollte, der musste alles ausschöpfen, was ihm an mündlichen Berichten zur Verfügung stand.

Verblüffend ist ebenso, wie früh und engagiert Ulrich Zwingli sich mit dem Zustand seines Vaterlandes befasste, wie klar seine Haltung und Position zu den haarsträubenden Problemen des Landes sich geformt haben, obwohl er noch immer ein Anhänger des Papstes war und sich seine Katholizität noch in keiner Weise aufgeweicht hat. Die Tagsatzung hat mehrmals über die Jahre den Solddienst verboten, davon war der Papst aber immer ausgenommen, ohne dass sich Zwingli daran gestört hätte. Er gibt dem Hofhund in seinem vaterländischen Gedicht eine äusserst wichtige Rolle, der Hund nimmt die Rolle des Geistlichen ein, der wachsam ist, der bellt, wenn Gefahr in Sicht ist. Er hat also schon da, 26-jährig, vom Amt des Geistlichen eine Auffassung und Haltung, die es ihm verbietet, zu schweigen, sich zu ducken, sich zu verdrücken, wenn Verführer sich im Land ausbreiten. Dieser Mann ist schon ganz früh nicht nur ein äusserst kritischer Geist mit fundierter Bildung, er ist ein politischer Zeitgenosse, ein politischer Kopf, und es drängt ihn, die Vorgänge zu analysieren und seine Analyse seiner Umwelt mitzuteilen. Wir können davon ausgehen, dass er die Haltungen und Ansichten auch in seine Kanzelreden eingeflochten hat. Auffallend ist vor allem auch, dass in dem grossen Fabelgedicht nicht der geringste konfessionelle Ton oder Gedanke angeschlagen wird. Selbst in der Moral von der Geschichte am Ende kommt nichts Derartiges auf.

Doch Zwingli befasst sich zwei Jahre später, in einem grösseren Feldzugsbericht 1512, wieder mit der Reisläuferei der Eidgenossen in die Lombardei. Es ist nicht klar, ob das Dokument ein Erlebnisbericht ist, das heisst, die Zwingli-Forschung streitet, ob der Autor dabei war als Feldprediger oder ob er wiedergibt, was ihm erzählt wurde. Allerdings ist die Reportage so detailliert, so anschaulich und teilnehmend geschildert, dass kaum daran zu zweifeln ist, so kann nur ein Zeuge berichten.

Jedenfalls, der Papst hatte sich inzwischen mit Spanien und Venedig in der Heiligen Liga zusammengeschlossen, um nach wie vor die Franzosen aus Italien zu vertreiben. Der Bericht von Zwingli ist farbig, teils geradezu lustig. Eine grundlegende kritische Haltung im Geiste seiner Fabel ist hier kaum vorhanden, wohl weil der Verfasser die Taten seiner Eidgenossen im Interesse des Papstes begriff. Der Wortführer für die Sache Roms ist der Walliser Kardinal Schiner, der den Dienst am Christentum gegen den französischen König ins Zentrum rückte. Nach Schiner ging es um die Angelegenheiten der Kirche und um die Ordnung in Italien. Das war natürlich eine Verschleierung der politischen Realität.

Von Schiners umsichtigem politischen Interesse im Lande erzählt der Autor Emanuel Stickelberger: wie Kardinal Schiner Zwingli in Glarus besuchte, wie er vorher in der Wirtschaft die Bauern und Handwerker mit Bewunderung von Zwingli sprechen hörte, wie er ihn aufsuchte, im Garten bei einer Musikprobe aufstöberte, wie er dann ein abendliches intensives Gespräch unter Humanisten mit dem Landpfarrer führte, über die Kirche, über Gott und die Welt, über den Papst, die Franzosen und die Kronenfresser, die Glarner Pensionäre, über die griechischen und lateinischen Dichter und Philosophen. Der Papstfreund Schiner warb um den aussergewöhnlichen Geistlichen, wollte ihn für die päpstlichen Interessen gewinnen, als Werkzeug für die Pläne des Heiligen Stuhles in Rom.

Seit mehr als 100 Jahren waren die Eidgenossen auf der ganzen Linie siegreich, wo sie an einem Krieg teilnahmen. Sie galten in Europa als Musterkrieger. Der Zwingli-Biograf Oskar Farner spricht in diesem Fall von «Kriegs-Theologie in fragwürdigem Sinne». Denn der Glarner Kirchherr sei «völlig hineingerissen in das Kraftgefühl der Grossmachtpolitik, wie sie die Eidgenossen nunmehr eingeschlagen haben». Vergessen schienen das grosse kritische Gedicht über die Mächte in Europa und sein Aufruf nach Bescheidenheit der Eidgenossenschaft.

Natürlich, der Kurie war die Parteinahme des Glarner Kirchherrn hoch willkommen, sie belohnte den jungen Geistlichen mit einer päpstlichen Pension. Der Hauptmann des Glarner Haufens bot ihm in Pavia ein Landgut an, in welches er sich ein Jahr oder länger hätte zurückziehen können. Zwingli dachte aber nicht daran, sein Hirtenamt zu verlassen. Auch die Franzosen boten ihm ein Jahrgeld an, doch hat er es ausgeschlagen. Die päpstliche Pension schlug Zwingli erst 1520 definitiv aus, als er bereits in Zürich war.

Nun, Geschenke des Kaisers und des Papstes waren nach allgemeiner Sitte erlaubte ehrenvolle Auszeichnungen. Darum betrafen die Verbote von Pensionsgeldern nur solche von Fürsten. Zwingli selbst sagte darum 1526, er sei sein Leben lang von Pensionsgeldern unbefleckt geblieben, ausser von päpstlichen. Deswegen fühlte er sich nicht zur Entschuldigung ermahnt.