Zwingli

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UNIVERSITÄT BASEL

Von 1500 bis 1502 in Wien, von 1502 bis 1506 an der Universität Basel. Interessant ist, dass Zwingli seine Studien in Wien abgebrochen hat und in Basel sofort fortsetzte, wo er gleichzeitig neben dem Studium eine Lehrerstelle übernahm, er erbte den Posten von Gregor Bünzli, der seinerseits vor ein paar Jahren den zehnjährigen Ueli unterrichtet hatte. Zwingli war nun 18-jährig, bekleidete bereits ein Lehreramt, wohl um etwas zu den Studienkosten beitragen zu können. Ob Vater und Onkel ihn dazu berufen haben, ist anzunehmen, sicher ist es nicht.

1502 stieg er, 18-jährig, in Basel ein, 1506 schloss er dort mit dem Magister der Künste ab. Er war nun 22-jährig. Basel war seit einigen Jahren im Aufstieg zur Drucker- und Gelehrtenstadt. Johann Froben war dort der grosse Buchdrucker. Hier lebten die geistig Arbeitenden, mit denen Zwingli später regen Briefkontakt pflegte: Heinrich Loriti aus Glarus, Glarean genannt, Konrad Pellikan aus Rufach im Elsass, Wolfgang Capito aus Hagenau, und Leo Jud, der Elsässer, schliesslich mit dem Berner Nikolaus von Wattenwyl, der später im reformatorischen Prozess in Bern eine führende Rolle spielen sollte. Vor allem mit von Wattenwyl pflegte der junge Zwingli wohl lebhaften Austausch.

Offenbar hat Zwingli sich erst in den letzten zwei Jahren auf die Theologie konzentriert, obwohl er zunächst sowohl akademisch-theoretisch als auch didaktisch-praktisch tätig war. Er hat sich demnach tatsächlich als etwa 20-Jähriger für das Pfarramt entschieden. Umso überraschender ist, wie wichtig ihm stets die Philosophie und die Philologie geblieben sind. Das ganze aristotelisch-christliche Gebäude samt dessen scholastischen Kommentaren kannte Zwingli bis ins Detail. Berichte, Zeugnisse, Geschichten und Anekdoten gibt es über den Studenten Zwingli keine. Vermutungen über Konzerte, in denen Ulrich eine aktive, führende Rolle übernommen hatte, gab es einige, mehr aber nicht. Es wurde in der Biografik angestrengt lange Zeit nach Studienkollegen gesucht, die sich zu bedeutenden Zeitgenossen oder zu Freunden des Toggenburgers entwickelt hätten. Die Funde waren dürftig. Die wichtigsten Bekanntschaften waren jene mit dem Elsässer Leo Jud, der später in Zürich als Pfarrer am St. Peter ein bedeutender Mitstreiter wurde sowie mit dem Luzerner Myconius, seinem ersten Biografen.

Das geistige Klima in Basel war heiter, keineswegs nur lammfromm, was aus Myconius’ Berichten und Annahmen aufgrund des musikalischen Könnens des jungen Zwingli zu erfahren ist. Er hat sich im Münster eine grosse mahnende Synodalpredigt des Bischofs Christoph von Utenheim anhören müssen, der als Freund der Gelehrten ihnen ins Gewissen redete. Der junge Ulrich befasste sich vornehmlich mit den Schriften des Thomas von Aquin. Der Vertreter der Scholastik in Basel war Thomas Wyttenbach.

Die vier Fakultäten waren hierarchisch aufgebaut: zuunterst die philosophische, damals die artistische genannt, die zweite Etage bildeten die medizinische und auf gleicher Ebene die juristische Fakultät, und darüber thronte die theologische. Durch das ganze Mittelalter stand die Theologie, also das Lehrgebäude der grossen Theologen und Kirchenväter, zuoberst, die Theologie bekämpfte und beeinträchtigte die Philosophie, die sich erst langsam zu behaupten begann. Zwingli soll sich kritisch über den Schul- und Lehrbetrieb geäussert haben, er habe viel Ballast mitschleppen müssen, der ihm später nichts genützt habe, erzählt Myconius. Er war immerhin Zeitgenosse, so konnte er behaupten, es sei im Studium alles durcheinander gelaufen: Weltweisheit, Gott, Philosophie mit eitlem Geschwätz, Unwissenheit und Ruhmsucht, eine gesunde Lehre habe dort niemand bekommen. Und das alles habe der junge Zwingli erkannt und kritisch hinterfragt, um seinen Verstand für künftige Auseinandersetzungen zu schärfen. Uns stehen leider keine Belege zur Verfügung für eine solche Annahme. Den frühesten Biografen ist nicht in jedem Falle zu vertrauen, schon gar nicht blind zu glauben, eine altbekannte Erfahrung, denn in der Regel standen diese ersten Berichte der dargestellten Figur so nahe, dass Glorifizierung oder aber Unkenntnis oft nicht weit weg waren. Vielleicht hat Zwingli irgendwann bei Gelegenheit mal eine solche Bemerkung gemacht, und Myconius, der sie aufgeschnappt hat, versetzte sie flugs in die Studentenzeit, wo sie ein ganz anderes Gewicht bekommen hat.

Zwinglis Lehrer wie Wölfflin in Bern oder Wyttenbach in Basel waren Vertreter des «alten Weges». Gleichwohl hat Zwingli schon 1508 das Priesterzölibat, die Messe und den Ablass in die Kritik genommen. Zwingli lebte in der Zeit, in welcher die Gegensätze langsam aufgehoben wurden. Trotzdem, die Diskrepanzen waren damit nicht aus der Welt geschafft. Aber es war möglich, beide theologischen Richtungen – den alten scholastischen Weg, die «via antiqua», und den neuen Weg, die «via moderna» – ins Studium aufzunehmen. Der alte basierte auf Thomas von Aquin, der neue auf Wilhelm von Ockham. Zwingli jedenfalls besetzte beide Schulrichtungen und bereicherte so sein Wissen, öffnete seinen Horizont und verabschiedete sich vom Dogmatismus. Denn Zwingli war ein Eklektiker, und das ein Leben lang. Seine Devise «Prüfet alles und behaltet das Gute» hat ihn sein ganzes Leben begleitet.

NEUER UND ALTER WEG

Die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich der reformatorische Geist in Zwinglis Bewusstsein zu regen begonnen UND ALTER hat, ist gewiss ziemlich bedeutend. Myconius macht WEG den Versuch, diesen Beginn mitten in das studentische Leben zu versetzen, was nicht nur reichlich übertrieben, sondern eigentlich erfunden ist. Als der junge Theologe 22-jährig die Universität verliess und in Glarus seine erste Priesterstelle antrat, war sogar seine theologische Bildung, wie Oskar Farner festhält, noch ein Torso. Dass er jedoch so intensiv und mit Liebe die antiken Philosophen und Dichter studierte, machte ihn gewiss zu einem aussergewöhnlichen Anwärter auf eine Pfarrei. Aber das Hauptgewicht im Studium lag gleichwohl auf der Scholastik, nicht, wie in mancher Biografie vorschnell behauptet wird, auf dem Humanismus. Eine Art Erasmianer wurde Zwingli erst im Laufe seiner Glarner Zeit durch intensive Lektüre römischer und griechischer Philososophie und vor allem durch Erasmus’ Herausgabe des Neuen Testaments.

Die Studentenzeit durchlebte er im Spannungsfeld von «via moderna» und «via antiqua», zwischen «neuem» und «altem» Weg, und er wird in beiden Richtungen unterrichtet worden sein, denn die beiden Lehren standen mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander. Der «alte Weg» postulierte die Einheit von philosophischer und theologischer Weltanschauung. Der «neue Weg» hingegen trennte Glauben und Wissen und behauptete die Unbeweisbarkeit der theologischen Wahrheiten. Zentrum des «alten Weges» war Paris, seine Anhänger waren vor allem die Universitäten in den südlichen Gebieten des Reichs. An erster Stelle stand da Tübingen. Von so enormer Wichtigkeit war dieser Richtungsstreit für den jungen Zwingli nicht, denn seine Entwicklung bewegte sich in den ersten Jahren seiner seelsorgerischen Tätigkeit in Glarus entschieden dem Humanismus eines Erasmus entgegen.

Der Drang vieler Biografen, den jungen Zwingli geistig zurechtzustutzen und ihn einer Schule zuzuordnen, ist zum Scheitern verurteilt, zu eigenständig war der Toggenburger Bauernsohn, intellektuell zu neugierig. Ein paar Jahre später liess er einen Blick in seine Haltung tun: «Nie habe ich mich im Laufe meiner Studien einem Lehrer und einer Lehre so angeschlossen, dass ich mich deswegen von den andern abgewandt und das zurückgewiesen hätte, was diese an Wert und Klarheit jenen voraus hatten. Ich habe die Gesamtheit aller Weisen und Formen, die jemals gelebt haben, als ein Gastmahl angesehen, zu welchem jeder seinen Beitrag zu liefern das Recht und die Pflicht hat.» Zwingli hätte auch sagen können: Nie war ich Dogmatiker.

Er äusserte sich auch folgendermassen: «Nie hat bei mir Platos Glanz und Erhabenheit so viel gegolten, dass ich darüber Aristoteles mit seiner Schärfe, seiner Klarheit und seinem Wissen gering geschätzt hätte. Vielmehr habe ich das eine Mal diesem, das andere Mal jenem den Vorzug gegeben, und zwar aus keiner andern Ursache, als weil keiner alles weiss, und weil, was jeder weiss, überall dem allgemeinen Besten dienen soll.»

Und an einer anderen Stelle sagte er: «Die Wahrheit ist für mich, was die Sonne für die Welt. Wie wir diese überall, wo sie aufgeht, freudig annehmen und durch sie zur Arbeit uns ermuntern lassen, so sehnt sich auch der Geist nach dem Lichte der Wahrheit und freut sich, wenn es ihm irgend entgegen strahlt.»

An anderer Stelle sagte er, er habe «von Kind auf die Sophisterei verachtet». Es ist denn tatsächlich früh sichtbar, wie dieser Bergler eine Weite seines Geistes beweist, und dazu eine Reichhaltigkeit des Wissens und eine Ungebundenheit und Offenheit, sodass er in mancher Charakterisierung als Eklektiker bezeichnet wurde. Zwingli war kein Mann, dessen Horizont an der nächsten Felswand seine Grenze fand.

Thomas Wyttenbach aus Biel, der vielleicht wichtigste Lehrer Zwinglis in Basel, war wohl der Erste, der frühe Ideen, die zum reformatorischen Denken führten, in den Geist des Studenten einpflanzte. In der Auseinandersetzung mit Luther erwähnt Zwingli viel später den Gelehrten Wyttenbach und dessen Polemik gegen den päpstlichen Ablass, welcher nicht aus der Heiligen Schrift zu begründen sei, woraus nun nicht zu schliessen ist, dass Zwingli schon als Student sich über diese Frage im Klaren gewesen war. Es sagt mehr über Wyttenbach aus, der schon zwölf Jahre vor Luther auf diesen zentralen Punkt der Kritik an der alten Kirche hingewiesen hat. Es war auch Wyttenbach, der seine Studenten zum Erlernen der griechischen Sprache ermuntert hat, um das Evangelium in den Urtexten lesen zu können. Der junge Zwingli plagt sich denn jahrelang mit dem Studium des Griechischen herum, in Glarus, dann in Einsiedeln, und auch noch in Zürich.

 

Schon als Student, aber auch als junger Theologe war er ein grosser Leser. Er hatte Zeit seines Lebens ein Netz von Freunden, Informanten und Anregern, die ihn mit Neuerscheinungen versorgten oder auf sie aufmerksam machten. Was an wichtigen Werken Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts erschienen war, das fand sich nach dem Tod des Reformators in seiner Bibliothek, sodass man annehmen kann, dass er einiges davon schon als Student in Basel besorgt hatte. Da waren vor allem die Werke von Homer, Demokrit, Plutarch, Cicero, Caesar, Livius, Seneca, Plinius, Tacitus, des Satirikers Lukian, natürlich Aristoteles, Demosthenes, Horaz, Josephus, Duns Scotus. Und dann vor allem einer seiner Lieblingsautoren, der Florentiner Pico della Mirandola, den er in seinen Schriften oft erwähnte, den er auch verehrte.

Solche Vorläufer der Reformation gab es in Europa Dutzende, in mehreren Ländern und Kulturen, selbstverständlich, denn die Reformation fiel ja nicht plötzlich 1517 oder 1519 vom Himmel auf Deutschland und die Eidgenossenschaft nieder. Da gab es ein breites, grosses Feld von mannigfaltigen Früchten, da gab es Dutzende Gelehrte, die an den Missständen kratzten und immer wieder Irrwege aufzeigten und fruchtbare Vorarbeiten leisteten. Ulrich Zwingli aber war ganz gewiss weit und breit derjenige, der diese frühen Früchte der Entwicklung am begierigsten und am aufmerksamsten beobachtete. Pico della Mirandola und Marsilio Ficino, dessen Lehrer, waren ganz wichtige Adressen, ihre Schriften nahmen in Zwinglis Studierstube zu allen Zeiten wichtige Plätze ein. Die Verehrung Mirandolas durch den jungen Geistlichen Zwingli ging in Glarus fast nahtlos in jene des Erasmus von Rotterdam über.

EUROPÄISCHE PERSPEKTIVEN

Bevor wir uns Zwinglis Zeit als Pfarrer in Glarus zuwenden, wollen wir einen Blick auf das politische und religiöse Umfeld in Europa werfen, in dem er seine reformatorischen Ideen entwickelte.

Der Papst war im frühen 16. Jahrhundert nicht nur Oberhaupt der Kirche, sondern auch Machtpolitiker, der eigene und familiäre Interessen verfolgte. Julius II. (1503–1513) war im Kriegswesen sehr bewandert. Leo X. (1513–1521), ein Sohn des Hauses Medici in Florenz, war ein Förderer der Künste und der Wissenschaften, aber als wirklicher Vorsteher der Christenheit galt er nicht. Er liebte das Spiel und die Jagd.

1506 begann Donato Bramante mit dem Neubau des Petersdoms, der damit finanziert wurde, dass vor allem im Reich überall dem Volk das Geld aus den Taschen gezogen wurde.

Der Papst beanspruchte für sich, den Kaiser krönen zu dürfen. Dies wurde vom Kaiser und von den Kurfürsten aber zunehmend kritisiert. Der Kaiser stand, obwohl nach der Tradition eher Primus inter Pares als wirkliches Oberhaupt, über den anderen Königen und Fürsten und gab sich als Beschützer des christlichen Glaubens.

Auf dem Kaiserthron hatten sich die Habsburger installiert. Auf Maximilian I. folgte dessen Enkel Karl V. Seine Wahl zum König des Heiligen Römischen Reiches war nicht ohne Nebengeräusche verlaufen. Am 28. Juni 1519 kamen die deutschen Kurfürsten in Frankfurt zusammen. Es wurde lange verhandelt. Der französische König hatte für sich werben lassen. Das Haus Habsburg unternahm gewaltige finanzielle Anstrengungen, um die Krone an den jungen Karl zu bringen. Die Kurfürsten wurden mehrfach bestochen. Der Stimmenkauf kostete die Habsburger gegen eine Million Gulden, die aber brachte zum grössten Teil die Firma Fugger auf. Nur Friedrich der Weise von Sachsen liess sich nicht bestechen. Schliesslich wurde Karl I. als Karl V. einstimmig zum deutschen König gewählt. Er zählte bei seiner Wahl 19 Jahre. Geboren war er in Gent in den Niederlanden, dort galt er als Spanier, in Spanien als Deutscher. Seine Muttersprache aber war französisch, des Deutschen war er nicht kundig.

Die Rivalitäten zwischen dem Kaiser, den stärksten Fürsten im Reich und dem französischen König hatten sich schon unter den Vorgängern von Franz I. und Karl V. verschärft. In den oberitalienischen Kriegen waren die beiden Mächte aufeinandergeprallt. Wie der Kaiser sah sich auch der König von Frankreich als führender Beschützer des Christentums. Er nannte sich Allerchristlicher König. Der englische Herrscher galt als Verteidiger des Glaubens. Der spanische Monarch gab sich den Titel Allerkatholischste Majestät.

Um seinem Anspruch als westliches Oberhaupt des Christentums gerecht zu werden, kämpfte Karl V. erbittert gegen die Osmanen, litt aber dauernd unter Geldknappheit und war beim Bankhaus Fugger gewaltig verschuldet. Zudem versuchte er immer wieder die Reichsverwaltung zu reformieren. Das gelang schon deswegen nicht, weil das Reich keine eigenen Behörden besass.

Die Reichsfürsten sowie die grossen europäischen Länder protestierten wiederholt und sehr heftig gegen die ständigen Geldsammlungen Roms. Der englische Monarch Heinrich VIII. bekam ein Viertel der in England gesammelten Summe. Der französische König Franz I. erhielt ebenfalls seinen eher bescheidenen Anteil. Kaiser Karl V. bezog ein Darlehen vom Papst. Aber alle Länder waren jahrelang ausgepresst worden und wütend. Nur das Reich war strukturell zu schwach, hoffnungslos zersplittert, darum wurden die deutschen Länder erbarmungslos ausgesaugt. Daran hatte das Augsburger Bankhaus Fugger – als Geldeintreiber – starken Anteil.

Der Bettelmönch Johann Tetzel, der sich seit dem Jahr 1500 ausschliesslich dem Ablasshandel gewidmet hatte und dadurch in den deutschen Ländern sehr berühmt geworden war, wurde jeweils an den Stadttoren von frommen Bürgern mit Musik und Fahnen und Kerzen empfangen, die Ablassbulle lag bei der Prozession auf einem Goldkissen. Tetzel erzählte, der Papst habe mehr Macht als alle Apostel, alle Engel und alle Heiligen zusammen, der Papst sei gleich Christus.

Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, war kein Ablassgegner, er hatte in der Wittenberger Schlosskirche 19 000 Heiligenreliquien zusammengetragen. Die in Sachsen gesammelten Ablassgelder für einen Kreuzzug gegen die Türken verwendete Friedrich schliesslich für den Ausbau der Universität Wittenberg. Und Tetzel hielt eine Brandrede gegen Luther.

Am 31. Oktober 1517 um die Mittagszeit hatte Martin Luther, zu der Zeit durchaus noch ein guter Katholik, seine 95 Thesen am Portal der Wittenberger Schlosskirche gegen den Ablass angeschlagen.

Am Pranger stand seit Jahren die verschwenderische Hofhaltung der Kirchenfürsten, die Korruption in der Kurie, die Sittenlosigkeit Papst Alexanders VI., die Heftigkeit Julius II., und die Sorglosigkeit Leos X. Die Kirchenreform scheiterte zum x-ten Mal. Das alles geschah etwa zur gleichen Zeit mit der Entdeckung Amerikas, der Wiederentdeckung der Antike, der Erfindung des Buchdrucks, der Ausbreitung der Bildung und der Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Die Reformation wäre ohne diese neue Technik, den Buchdruck, die Verbreitung geistiger Erkenntnisse, gar nicht möglich gewesen. Luther und Zwingli gehörten zu den Ersten, welche die neue Erfindung zur vollen Wirkung brachten.

In der Welt der Gelehrten dominierte der Humanismus. Der grösste damalige deutsche Theologe – Martin Luther – war vom humanistischen Gedankengut aber kaum beeinflusst. Zwar führte Luther mit Erasmus von Rotterdam ein Streitgespräch in schriftlicher Form über den freien Willen. Aber er hatte mit der Haltung des Erasmus wenig gemein.

Die Humanisten getrauten sich, scheinbar unverrückbare Wahrheiten infrage zu stellen. Konrad Celtes fragte provokant: «Lebt die Seele nach dem Tod weiter?» Und: «Gibt es wirklich einen Gott?» Eoban Hesse, ebenfalls ein Humanist, schrieb Liebesbriefe von Magdalena an Jesus. Mutianus Rufus gab seinen Schülern zu bedenken, «die Satzungen der Philosophen höher als die der Priester zu schätzen». Seelenmessen hielt er für wertlos, das Fasten für ausgesprochen unangenehm, die Ohrenbeichte für deprimierend. Die anständigen Griechen und Römer seien Christen gewesen, ohne es zu wissen.

Wohl der sanfteste Gelehrte der Zeit war Johannes Reuchlin. Er war der grosse Hebräist der humanistischen Epoche, 1491 wurde er Professor der hebräischen Sprache an der Universität Heidelberg. Und ausgerechnet diesem Mann wurde sehr übel mitgespielt. Aber er wurde, ohne es zu wollen, zum Helden der deutschen Renaissance und des Humanismus. 1508 veröffentlichte der ehemalige Jude Johannes Pfefferkorn, inzwischen zum Katholizismus konvertiert, den Judenspiegel, der die Juden aufforderte, Christen zu werden. Pfefferkorn verlangte die Unterdrückung aller hebräischen Schriften. Das Verbot und die Verbrennung der hebräischen Bücher wurden allgemein gutgeheissen. Reuchlin war allein auf weiter Flur. Er nannte Pfefferkorn einen Esel ohne Verständnis für diese Literatur.

Pfefferkorn gab nun einen Handspiegel mit der Behauptung heraus, Reuchlin sei von den Juden gekauft worden. Papst Leo X. liess mehrere Gutachten über diesen Sachverhalt erstellen. Inzwischen wurde von Pfefferkorn bei der Inquisition ein Verfahren eingeleitet. Das bischöfliche Gericht in Speyer plädierte jedoch unerwartet für Reuchlin auf Freispruch. Andererseits liessen mehrere Universitäten Reuchlinsche Schriften verbrennen. Die ganze Prominenz des Humanismus setzte sich für den Gelehrten ein: Erasmus, Pirckheimer, Peutinger, Oekolampad, Hutten, Mutianus, Eoban Hesse, sogar Luther und Melanchthon. Ganze 53 Städte veröffentlichten proreuchlinsche Erklärungen.

1515, im Jahr der Schlacht von Marignano, gaben drei Humanisten ein sensationelles Buch heraus: Die Dunkelmännerbriefe. Sie gingen in die Literaturgeschichte der Satire ein, ein brillantes Briefwerk. Die Gelehrten Europas lachten sich fast tot, als sie diese fingierten Briefe lasen. Das Buch war eine Art Bestseller. Briefe, die Eoban Hesse, Crotus Rubeanus und Ulrich von Hutten an die reaktionären Theologen in Köln geschrieben haben, in denen die Argumentation zum Schreien war, in einem leicht verblödeten Latein, in geschraubter Scholastik, in dämlichem Stil, inhaltlich die Hauptthemen der Reformation betreffend: Reliquien, der Papst, der Ablasshandel. Nun verbot Leo X. dieses Buch, verurteilte Reuchlin, 65-jährig, zum Tragen der gesamten Kosten. Er verschwand aus der Öffentlichkeit.

Es gab noch eine weitere sehr wichtige Veränderung: die Rolle der Ritter in der Gesellschaft. In der neuen Welt war kein Platz mehr für sie, diese Schicht wurde aus der Gesellschaft herausgespült, und zwar sang- und klanglos. Der grosse und mächtige Ritter Franz von Sickingen und der jüngere Ulrich von Hutten waren eigentlich lebendige Anachronismen. Die Ritterschaft war untergegangen, aufgrund von wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen. Der Boden hatte aufgehört, der entscheidende Besitz zu sein. An seine Stelle trat der bewegliche Besitz: das Geld.