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Ritter Gluck

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Schon war ich in der Nähe des Brandenburger Tores, als ich in der Dunkelheit eine lange Figur hinschreiten sah und alsbald meinen Sonderling wiedererkannte. Ich redete ihn an:

«Warum haben Sie mich so schnell verlassen?»

«Es wurde zu heiß, und der Euphon fing an zu klingen.»

«Ich verstehe Sie nicht!»

«Desto besser.»

«Desto schlimmer, denn ich möchte Sie gern ganz verstehen.»

«Hören Sie denn nichts?»

«Nein.»

«– Es ist vorüber! – Lassen Sie uns gehen. Ich liebe sonst nicht eben die Gesellschaft; aber – Sie komponieren nicht – Sie sind kein Berliner.» —

«Ich kann nicht ergründen, was Sie so gegen die Berliner einnimmt? Hier, wo die Kunst geachtet und in hohem Maße ausgeübt wird, sollt ich meinen, müßte einem Manne von Ihrem künstlerischen Geiste wohl sein!»

«Sie irren! – Zu meiner Qual bin ich verdammt, hier, wie ein abgeschiedener Geist, im öden Raume umherzuirren.»

«Im öden Raume, hier, in Berlin?»

«Ja, öde ist’s um mich her, denn kein verwandter Geist tritt auf mich zu. Ich stehe allein.»

«Aber die Künstler! die Komponisten!»

«Weg damit! Sie kritteln und kritteln – verfeinern alles bis zur feinsten Meßlichkeit; wühlen alles durch, um nur einen armseligen Gedanken zu finden; über dem Schwatzen von Kunst, von Kunstsinn, und was weiß ich – können sie nicht zum Schaffen kommen, und wird ihnen einmal so zu Mute, als wenn sie ein paar Gedanken ans Tageslicht befördern müßten: so zeigt die furchtbare Kälte ihre weite Entfernung von der Sonne – es ist lappländische Arbeit.»

«Ihr Urteil scheint mir viel zu hart. Wenigstens müssen Sie die herrlichen Aufführungen im Theater befriedigen.»

«Ich hatte es über mich gewonnen, einmal wieder ins Theater zu gehen, um meines jungen Freundes Oper zu hören – wie heißt sie gleich? – Ha, die ganze Welt ist in dieser Oper! Durch das bunte Gewühl geputzter Menschen ziehen die Geister des Orkus – Alles hat hier Stimme und allmächtigen Klang – Teufel, ich meine ja Don Juan! – Aber nicht die Ouvertüre, welche Prestissimo, ohne Sinn und Verstand abgesprudelt wurde, konnt ich überstehen; und ich hatte mich bereitet dazu durch Fasten und Gebet, weil ich weiß, daß der Euphon von diesen Massen viel zu sehr bewegt wird und unrein anspricht!»

«Wenn ich auch eingestehen muß, daß Mozarts Meisterwerke größtenteils auf eine kaum erklärliche Weise hier vernachläßigt werden, so erfreuen sich doch Glucks Werke gewiß einer würdigen Darstellung.«

«Meinen Sie? – Ich wollte einmal Iphigenia in Tauris hören. Als ich ins Theater trete, höre ich, daß man die Ouvertüre der Iphigenia in Aulis spielt. Hm – denke ich, ein Irrtum; man gibt diese Iphigenia! Ich erstaune, als nun das Andante eintritt, womit die Iphigenia in Tauris anfängt, und der Sturm folgt. Zwanzig Jahre liegen dazwischen! Die ganze Wirkung, die ganze wohlberechnete Exposition des Trauerspiels geht verloren. Ein stilles Meer – ein Sturm – die Griechen werden ans Land geworfen, die Oper ist da! – Wie? hat der Komponist die Ouvertüre ins Gelag hineingeschrieben, daß man sie wie ein Trompeterstückchen abblasen kann, wie und wo man will?»

«Ich gestehe den Mißgriff ein. Indessen, man tut doch alles, um Glucks Werke zu heben.»

«Ei ja!» sagte er kurz, und lächelte dann bitter und immer bittrer. Plötzlich fuhr er auf und nichts vermochte ihn aufzuhalten. Er war im Augenblicke wie verschwunden, und mehrere Tage hinter einander suchte ich ihn im Tiergarten vergebens. – —

*

Einige Monate waren vergangen, als ich an einem kalten regnichten Abende mich in einem entfernten Teile der Stadt verspätet hatte und nun nach meiner Wohnung in der Friedrichsstraße eilte. Ich mußte bei dem Theater vorbei; die rauschende Musik, Trompeten und Pauken, erinnerten mich, daß gerade Glucks Armida gegeben wurde, und ich war im Begriff hineinzugehen, als ein sonderbares Selbstgespräch, dicht an den Fenstern, wo man fast jeden Ton des Orchesters hört, meine Aufmerksamkeit erregte.

«Jetzt kommt der König – sie spielen den Marsch – o paukt, paukt nur zu! – ’s ist recht munter! ja ja, sie müssen ihn heute elfmal machen – der Zug hat sonst nicht Zug genug. – Ha ha – maestoso – schleppt euch, Kinderchen. – Sieh, da bleibt ein Figurant mit der Schuhschleife hängen. – Richtig, zum zwölften Mal! und immer auf die Dominante hinausgeschlagen. – O ihr ewigen Mächte, das endet nimmer! Jetzt macht er sein Kompliment – Armida dankt ergebenst. – Noch einmal? – Richtig, es fehlen noch zwei Soldaten! Jetzt wird ins Recitativ hineingepoltert. – Welcher böse Geist hat mich hier festgebannt?»