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Lebensansichten des Katers Murr

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Ich versprach das.“

Hätt' ich schon damals etwas gewußt von meinem großen Ahnherrn, dem gestiefelten Kater, der Ämter und Würden erlangte, dem Busenfreunde König Gottliebs, ich würde dem Freunde Ponto sehr leicht bewiesen haben, daß jede Pudelassemblee sich geehrt fühlen müsse durch die Gegenwart eines Abkömmlings aus der illustersten Familie; so mußte ich, aus der Obskurität noch nicht hervorgetreten, es aber leiden, daß beide, Skaramuz und Ponto, sich über mich erhaben dünkten. – Wir schritten weiter fort. Dicht vor uns wandelte ein junger Mann, der trat mit einem lauten Ausruf der Freude so schnell zurück, daß er mich, sprang ich nicht schnell zur Seite, schwer verletzt haben würde. Ebenso laut schrie ein anderer junger Mann, der, die Straße herab, jenem entgegenkam. Und nun stürzten sich beide in die Arme, wie Freunde, die sich lange nicht gesehen, und wandelten dann eine Strecke vor uns her, Hand in Hand, bis sie still standen und, ebenso zärtlich voneinander Abschied nehmend, sich trennten. Der, der vor uns hergeschritten, sah dem Freunde lange nach und schlüpfte dann schnell in ein Haus hinein. Ponto stand still, ich desgleichen. Da wurde im zweiten Stock des Hauses, in das der junge Mann getreten, ein Fenster geöffnet, ein bildhübsches Mädchen schaute heraus; hinter ihr stand der junge Mann, und beide lachten sehr, dem Freunde nachschauend, von dem sich der junge Mann soeben getrennt. Ponto sah herauf, und murmelte etwas zwischen den Zähnen, welches ich nicht verstand.

Warum weilst du hier, lieber Ponto, wollen wir nicht weitergehen? So fragte ich, Ponto ließ sich aber nicht stören, bis er nach einigen Augenblicken heftig den Kopf schüttelte, und dann schweigend den Weg fortsetzte.

Laß uns, sprach er, als wir auf einen mit Bäumen umgebenen, mit Statuen verzierten, anmutigen Platz gelangten, hier ein wenig verweilen, guter Murr. Mir kommen jene beiden jungen Männer, die sich so herzlich auf der Straße umarmten, nicht aus dem Sinn. Es sind Freunde, wie Damon und Pylades.

Damon und Pythias, verbesserte ich, Pylades war der Freund des Orestes, den er jedesmal getreulich im Schlafrock zu Bette brachte, und mit Kamillentee bediente, wenn die Furien und Dämonen dem armen Mann zu hart zugesetzt. Man merkt, guter Ponto, daß du in der Geschichte nicht sonderlich bewandert.

Gleichviel, fuhr der Pudel fort, aber die Geschichte von den beiden Freunden weiß ich sehr genau, und will sie dir erzählen mit allen Umständen, so wie ich sie zwanzigmal von meinem Herrn erzählen hörte. Vielleicht wirst du neben Damon und Pythias, Orestes und Pylades, als drittes Paar, Walter und Formosus nennen. Formosus ist nämlich derselbe junge Mann, der dich beinahe zu Boden getreten, in der Freude, seinen geliebten Walter wiederzusehen. – Dort in dem schönen Hause mit den hellen Spiegelfenstern wohnt der alte steinreiche Präsident, bei dem sich Formosus durch seinen leuchtenden Verstand, durch seine Gewandheit, durch sein glänzendes Wissen, so einzuschmeicheln wußte, daß er dem Alten bald war, wie der eigene Sohn. Es begab sich, daß Formosus plötzlich all' seine Heiterkeit verlor, daß er blaß aussah und kränklich, daß er in einer Viertelstunde zehnmal aus tiefer Brust aufseufzte, als wolle er sein Leben aushauchen, daß er, ganz in sich gekehrt, ganz in sich verloren, für nichts in der Welt mehr seine Sinne aufschließen zu können schien. – Lange Zeit hindurch drang der Alte vergebens in den Jüngling, daß er ihm die Ursache seines geheimen Kummers entdecken möge; endlich kam es heraus, daß er bis zum Tode verliebt war in des Präsidenten einzige Tochter. Anfangs erschrak der Alte, der mit seinem Töchterlein ganz andere Dinge im Sinne haben mochte, als sie an den rang- und amtlosen Formosus zu verheiraten, als er aber den armen Jüngling immer mehr und mehr hinwelken sah, ermannte er sich und fragte Ulriken, wie ihr der junge Formosus gefalle, und ob er ihr schon etwas von seiner Liebe gesagt? – Ulrike schlug die Augen nieder, und meinte, erklärt habe sich der junge Formosus zwar gar nicht gegen sie, aus lauter Zurückhaltung und Bescheidenheit, aber gemerkt habe sie wohl längst, daß er sie liebe, denn so was sei wohl zu bemerken. Übrigens gefalle ihr der junge Formosus recht wohl, und wenn sonst dem nichts im Wege stände, und wenn der Herzenspapa nichts dagegen habe, und – kurz, Ulrike sagte alles, was Mädchen bei derlei Gelegenheit zu sagen pflegen, die nicht mehr in der ersten vollsten Blüte stehen, und fleißig denken: Wer wird der sein, der dich heimführt? – Darauf sprach der Präsident zum Formosus: Richte dein Haupt auf, mein Junge! – Sei froh und glücklich, du sollst sie haben, meine Ulrike! und so wurde Ulrike die Braut des jungen Herrn Formosus. Alle Welt gönnte dem hübschen bescheidenen Jüngling sein Glück, nur einer geriet darüber in Gram und Verzweiflung, und das war Walter, mit dem Formosus ein Herz und eine Seele aufgewachsen. Walter hatte Ulriken einigemal gesehen, auch wohl gesprochen, und sich in sie verliebt, vielleicht noch viel ärger, als Formosus! – Doch ich rede immer von Liebe und verliebt sein, und weiß nicht, ob du, mein Kater, schon jemals in Liebe gewesen bist und also dies Gefühl kennst? Was mich betrifft, lieber Ponto, erwiderte ich, glaube ich nicht, daß ich schon geliebt habe oder liebe, da ich mir bewußt bin, noch nicht in den Zustand geraten zu sein, wie ihn mehrere Dichter beschreiben. Den Dichtern ist nicht allemal ganz zu trauen, nach dem was ich aber sonst darüber weiß und gelesen habe, muß die Liebe eigentlich nichts anders sein, als ein psychischer Krankheitszustand, der sich bei dem menschlichen Geschlecht als partieller Wahnsinn darin offenbart, daß man irgendeinen Gegenstand für etwas ganz anders hält, als was er eigentlich ist, z. B. ein kleines dickes Ding von Mädchen, welche Strümpfe stopft, für eine Göttin. Doch fahre nur fort, geliebter Pudel, in deiner Erzählung von den beiden Freunden Formosus und Walter. —

Walter, so sprach Ponto weiter, stürzte dem Formosus an den Hals und sprach unter vielen Tränen: Du raubst mir das Glück meines Lebens, aber daß Du es bist, daß Du glücklich wirst, das ist mein Trost, lebe wohl, mein Geliebter, lebe wohl auf ewig! – Darauf lief Walter in den Busch, wo er am dicksten war, und wollte sich totschießen. Es unterblieb aber, weil er in der Verzweiflung vergessen hatte, das Pistol zu laden, er begnügte sich daher mit einigen Ausbrüchen des Wahnsinnes, die jeden Tag wiederkehrten. Eines Tages trat Formosus, den er in vielen Wochen nicht gesehen, ganz unvermutet zu ihm herein, als er eben vor Ulrikens Pastellgemälde, das unter Glas und Rahmen an der Wand hing, auf den Knien lag und gräßlich lamentierte. – Nein, rief Formosus, indem er den Walter an seine Brust drückte, ich konnte Deinen Schmerz, Deine Verzweiflung nicht ertragen, Dir opfere ich gern mein Glück. – Ich habe Ulriken entsagt, ich habe den alten Vater dahin gebracht, daß er Dich zum Eidam annimmt. – Ulrike liebt Dich, vielleicht ohne es selbst zu wissen. – Bewirb Dich um sie, ich scheide. – Lebe wohl! – Er wollte fort, Walter hielt ihn fest. Es war diesem, als läge er im Traum, er glaubte an alles nicht früher, als bis Formosus ein eigenhändiges Billett des alten Präsidenten hervorzog, worin es ungefähr hieß: Edler Jüngling! Du hast gesiegt, ungern lasse ich Dich, aber ich ehre Deine Freundschaft, die dem Heroismus gleicht, von welchem man in den alten Skribenten lieset. Mag Herr Walter, der ein Mann ist von löblichen Eigenschaften und ein schönes einträgliches Amt hat, sich um meine Tochter Ulrike bewerben; will sie ihn ehelichen, so habe ich meinerseits nichts dagegen. – Formosus verreiste wirklich, Walter bewarb sich um Ulriken, Ulrike wurde wirklich Walters Frau. – Der alte Präsident schrieb nun nochmals an Formosus, überhäufte ihn mit Lobsprüchen und fragte, ob es ihm vielleicht Vergnügen machen würde, nicht etwa als Entschädigung, denn er wisse wohl, daß es in solchem Fall keine gebe, sondern nur als ein geringes Zeichen seiner innigen Zuneigung dreitausend Taler anzunehmen. Formosus antwortete, der Alte kenne die Geringfügigkeit seiner Bedürfnisse, Geld mache, könne ihn nicht glücklich machen, und nur die Zeit ihn trösten über einen Verlust, an dem niemand schuld sei als das Schicksal, welches in der Brust des teuren Freundes die Liebe zu Ulriken entzündet, und nur dem Schicksal sei er gewichen, von irgendeiner edlen Tat daher gar nicht die Rede. Übrigens nehme er das Geschenk unter der Bedingung, daß der Alte es einer armen Witwe, die da und da mit einer tugendhaften Tochter in trostlosem Elende lebe, zuwende. Die Witwe wurde ausfindig gemacht und erhielt die dem Formosus zugedachten dreitausend Reichstaler. Bald darauf schrieb Walter dem Formosus: Ich kann nicht mehr leben ohne Dich, kehre zurück in meine Arme! – Formosus tat es und erfuhr, als er gekommen, daß Walter seinen schönen einträglichen Posten aufgegeben, unter der Bedingung, daß Formosus, der sich längst einen ähnlichen gewünscht, ihn erhalte. Formosus erhielt den Posten wirklich und geriet, rechnete man die getäuschte Hoffnung rücksichts der Heirat mit Ulriken ab, in die behaglichste Lage. Stadt und Land erstaunte über den Wettstreit des Edelmuts beider Freunde, ihre Tat wurde als Nachklang aus einer längst vergangenen schöneren Zeit vernommen, als Beispiel aufgestellt eines Heroismus, dessen nur hohe Geister fähig.

In der Tat, begann ich, als Ponto schwieg, nach allem, was ich gelesen, müssen Walter und Formosus edle kräftige Menschen sein, die in treuer Aufopferung für einander nichts von deiner gerühmten Weltklugheit wissen.

Hm, erwiderte Ponto hämisch lächelnd, es kommt darauf an! – Ein paar Umstände, von denen die Stadt keine Notiz genommen, und die ich zum Teil von meinem Herrn erfahren, teils selbst belauscht habe, sind noch nachzuholen. – Mit der Liebe des Herrn Formosus zu der reichen Präsidententochter muß es doch nicht so arg gewesen sein, wie der Alte glaubte, denn im höchsten Stadium dieser tötenden Leidenschaft unterließ der junge Mann nicht, nachdem er den Tag über verzweifelt, jeden Abend eine hübsche niedliche Putzmacherin zu besuchen. Als Ulrike nun aber seine Braut worden, fand er bald, daß das engelsmilde Fräulein das eigne Talent besaß, sich bei schicklicher Gelegenheit plötzlich in einen kleinen Satan zu verwandeln. Außerdem kam ihm aus sicherer Quelle die verdrießliche Nachricht zu, daß Fräulein Ulrike in der Residenz, was Liebe und Liebesglück betrifft, ganz besondere Erfahrungen gemacht, und nun ergriff ihn plötzlich ein unwiderstehlicher Edelmut, vermöge dessen er die reiche Braut dem Freunde abtrat. Walter hatte sich in seltsamer Verwirrung in Ulriken, die er an öffentlichen Orten im höchsten Glanz aller Toilettenkünste gesehen, wirklich verliebt, und Ulriken ihrerseits war es ziemlich einerlei, wer von beiden sich ihr als Gemahl anheftete, Formosus oder Walter. Dieser hatte auch wirklich ein schönes einträgliches Amt, bei dessen Verwaltung aber solche krause Streiche gemacht, daß er der Entsetzung binnen weniger Zeit entgegensehen mußte. Er zog es vor, früher zugunsten seines Freundes den Abschied zu nehmen und so durch einen Akt, der alle Kennzeichen der edelsten Gesinnung trug, seine Ehre zu retten. Die dreitausend Taler wurden in guten Papieren einer alten, sehr anständigen Frau eingehändigt, die zuweilen die Mutter, zuweilen die Muhme, zuweilen die Aufwärterin jener hübschen Putzmacherin vorstellte. Bei diesem Geschäft erschien sie in doppelter Gestalt. Erst bei dem Empfang des Geldes als Mutter, dann, als sie das Geld überbrachte und einen guten Tragelohn empfing, als Aufwärterin des Mädchens, die du kennst, lieber Murr, da sie eben erst mit dem Herrn Formosus zum Fenster hinausschaute. – Übrigens wissen beide, Formosus und Walter längst, auf welche Weise sie sich in edelmütiger Gesinnung überboten, sie haben sich, um wechselseitigen Lobeserhebungen auszuweichen, lange vermieden, und deshalb waren ihre heutigen Begrüßungen, als der Zufall sie auf der Straße zusammenführte, so herzlich. —

 

In dem Augenblick entstand ein fürchterlicher Lärm. Die Menschen liefen durcheinander, schrien Feuer! – Feuer! Reiter sprengten durch die Straßen – Wagen rasselten. – Aus den Fenstern eines Hauses, unfern von uns, strömten Rauchwolken und Flammen. – Ponto sprang schnell vorwärts, ich aber in der Angst kletterte eine hohe Leiter hinauf, die an ein Haus gelehnt, und befand mich bald auf dem Dache in voller Sicherheit. Plötzlich kam mir —

(Mak. Bl.) – ganz unvermutet über den Hals, sprach Fürst Irenäus, ohne Anfrage des Hofmarschalls, ohne Vorwort des diensttuenden Kammerherrn, beinahe – ich sag' Euch das unter uns, Meister Abraham, bringt es nicht etwa unter die Leute – beinahe unangemeldet – keine Liverei in den Vorzimmern. Die Esel spielten Brausebart im Vestibule. Spielen ist ein großes Laster. Schon in die Türe getreten erwischte ihn der Tafeldecker, der zum Glück gerade durchging, beim Rockschoß und fragte, wer der Herr sei, und wie er ihn dem Fürsten servieren solle. Aber er hat mir wohl gefallen, es ist ein ganz artiger Mensch. Sagtet Ihr nicht, daß er sonst nichts weniger gewesen wäre, als ein purer simpler Musikant? – sogar von einigem Stande? —

Meister Abraham versicherte, daß Kreisler allerdings sonst in ganz anderen Verhältnissen gelebt, die es ihm sogar vergönnt an der fürstlichen Tafel zu speisen, und daß nur der verwüstende Sturm der Zeit ihn aus diesen Verhältnissen vertrieben. Übrigens wünsche er aber, daß der Schleier den er über die Vergangenheit geworfen, unverrückt liegen bleiben möge.

Also, nahm der Fürst das Wort, von Adel, vielleicht Baron – Graf – vielleicht gar – Nun man muß nicht zu weit gehen in träumerischer Hoffnung! – Ich habe ein Faible für dergleichen Mysterien! Es war eine schöne Zeit nach der französischen Revolution als Marquis Siegellack fabrizierten und Comtes Nachtmützen strickten von Filet, und nichts sein wollten als simple Monsieurs, und man sich erlustigte auf dem großen Maskenball. – Ja, was den Herrn von Kreisler betrifft! – Die Benzon versteht sich auf so etwas, sie rühmte ihn, sie empfahl mir ihn, sie hat recht. An der Manier den Hut unter dem Arm zu halten, erkannte ich gleich den Mann von Bildung von feinem geläuterten Ton.

Der Fürst setzte noch einiges Lob über Kreisler's äußere Erscheinung hinzu, so daß Meister Abraham überzeugt war, sein Plan müsse gelingen. Er hatte nämlich im Sinn, den Herzensfreund dem eingebildeten Hofstaat einzuschieben als Kapellmeister, und ihn so in Sieghartsweiler festzuhalten. Als er nun aber auf's neue davon sprach, erwiderte der Fürst ganz entschieden, daß daraus ganz und gar nichts werden könne.

Sagt selbst, fuhr er dann fort, Meister Abraham, ob es möglich sein würde den angenehmen Mann in meinen engeren Familienkreis zu ziehen, wenn ich ihn zum Kapellmeister, und so zu meinem Offizianten mache? – Ich könnte ihm eine Hofcharge verleihen, und ihn zum Maître de Plaisirs oder des Spectacles machen, aber der Mann versteht die Musik aus dem Grunde, und ist auch, wie Ihr sagt, im Theaterwesen wohl erfahren. Nun weiche ich aber nicht ab von dem Grundsatz meines höchst seligen in Gott ruhenden Herrn Vaters, der immer behauptete, besagter Maitre müsse um des Himmels willen sich auf die Sachen, deren Maitre er repräsentiere, nicht verstehen, da er sich sonst gar zu sehr darum bekümmere, und sich viel zu sehr für die Menschen, die dabei beschäftigt, als da sind Schauspieler, Musikanten u. s. w., interessiere. – Also dafür behalte Herr von Kreisler die Maske des fremden Kapellmeisters, und schreite damit hinein in die inneren Gemächer des fürstlichen Hauses nach dem Beispiel eines hinlänglich vornehmen Mannes, der vor einiger Zeit in der freilich verwerflichen Maske eines schnöden Histrionen die auserlesensten Zirkel mit den anmutigsten Faxen amüsierte.

Und da Ihr gewissermaßen, rief der Fürst dem Meister Abraham, der sich fortbegeben wollte, zu, den Chargé d'affaires des Herrn von Kreisler zu machen scheinet, so will ich es Euch nicht verhehlen, daß nur zwei Dinge mir nicht recht an ihm gefallen wollen, die vielleicht mehr Gewohnheiten sind, als wirkliche Dinge. – Ihr versteht schon, wie ich das meine. – Fürs erste starrt er mir, wenn ich mit ihm spreche, geradezu ins Antlitz. Ich habe doch konsiderable Augen, kann fürchterlich daraus blitzen, wie weiland Friedrich der Große, kein Kammerjunker, kein Page wagt es aufzuschauen, wenn ich den entsetzlichen Blick auf ihn schießend frage, ob das mauvais sujet schon wieder Schulden gemacht, oder den Marzipan aufgefressen, aber der Herr von Kreisler, den mag ich anblitzen, wie ich will, er macht sich gar nichts daraus, sondern lächelt mich an auf eine Weise, daß – ich selbst die Augen niederschlagen muß. Dann hat der Mann eine solche besondere Art zu sprechen, zu antworten, das Gespräch fortzuführen, daß man zuweilen ordentlich glaubt, das, was man selbst gesagt, sei eben nicht sonderlich gewesen, man wäre gewissermaßen ein Be—. Beim St. Januar, Meister, das ist ganz unausstehlich, und Ihr müßt dafür sorgen, daß Herr von Kreisler sich diese Dinge oder Gewohnheiten abgewöhne.

Meister Abraham versprach zu tun, was Fürst Irenäus von ihm verlangte, und wollte aufs neue davon, da erwähnte der Fürst noch des besonderen Widerwillens, den Prinzessin Hedwige gegen den Kreisler geäußert, und meinte, daß das Kind seit einiger Zeit von seltsamen Träumen und Einbildungen geplagt werde, weshalb der Leibarzt die Molkenkur zum nächsten Frühjahr angeraten. Hedwiga sei nämlich jetzt auf den sonderbaren Gedanken geraten, daß Kreisler dem Tollhause entsprungen, und allerlei Unheil anrichten werde bei nächster Gelegenheit.

Sagt, sprach der Fürst, sagt Meister Abraham, ob der vernünftige Mann wohl nur die mindeste Spur der Geisteszerrüttung an sich trägt? Abraham erwiderte, daß Kreisler zwar ebensowenig verrückt sei, als er selbst, jedoch sich zuweilen etwas seltsam gebärde, und in einen Zustand gerate, der beinahe dem des Prinzen Hamlet zu vergleichen, dadurch aber nur um so interessanter werde. – Soviel wie ich weiß, nahm der Fürst das Wort, war der junge Hamlet ein vortrefflicher Prinz aus einem alten angesehenen Regentenhause, der sich nur zu Zeiten mit der sonderbaren Idee herumtrug, daß sämtliche Hofleute sich auf das Flötenblasen verstehen sollten. Hohen Personen steht es wohl an, auf Seltsames zu verfallen, es vermehrt den Respekt. Was bei dem Mann ohne Rang und Stand eine Absurdität zu nennen, ist bei ihnen bloß die angenehme Kapriole eines ungemeinen Geistes, welche Staunen erregen muß, und Bewunderung. – Herr von Kreisler sollte fein im geraden Wege bleiben, will er aber durchaus den Prinzen Hamlet imitieren, so ist das ein schönes Streben nach dem Höhern, vielleicht veranlaßt durch seine überwiegende Neigung zu den musikalischen Studien. Man mag es ihm verzeihen, wenn er bisweilen sich wunderlich betragen will. —

Es schien, als wenn Meister Abraham heute nun einmal nicht aus dem Zimmer des Fürsten kommen sollte; denn wiederum rief der Fürst ihn zurück, als er schon die Türe geöffnet, und verlangte zu wissen, woher der seltsame Widerwille der Prinzessin Hedwiga gegen den Kreisler wohl rühren möge. Meister Abraham erzählte die Art, wie Kreisler der Prinzessin und Julien zum erstenmal im Park zu Sieghartshof erschienen und meinte, daß die aufgeregte Stimmung, in der der Kapellmeister damals gewesen, auf eine Dame von zarten Nerven wohl habe feindlich wirken müssen.

Der Fürst gab mit einiger Heftigkeit zu erkennen, wie er hoffe, daß Herr von Kreisler nicht wirklich zu Fuße nach Sieghartshof gekommen, sondern daß der Wagen hier oder dort im breiten Fahrwege des Parks gehalten, da nur gemeine Abenteurer zu Fuße zu reisen pflegten.

Meister Abraham meinte, daß man zwar das Beispiel eines tapfern Offiziers vor Augen habe, der von Leipzig nach Syrakus gelaufen, ohne sich ein einziges Mal die Stiefel versohlen zu lassen, was aber den Kreisler betreffe, so sei er überzeugt, daß ein Wagen wirklich im Park gehalten. – Der Fürst war zufrieden. —

Während sich dies im Gemach des Fürsten begab, saß Johannes bei der Rätin Benzon vor dem schönsten Flügel, den jemals die kunstreiche Nannette Streicher gebaut, und begleitete Julien das große leidenschaftliche Rezitativ der Klytämnestra aus Glucks Iphigenia in Aulis. —

Gegenwärtiger Biograph ist leider genötigt, seinen Helden, soll das Porträt richtig sein, als einen extravaganten Menschen darzustellen, der, vorzüglich was die musikalische Begeisterung betrifft, oft dem ruhigen Beobachter beinahe wie ein Wahnsinniger erscheint. Er hat ihm schon die ausschweifende Redensart nachschreiben müssen, daß, „als Julia sang, aller sehnsüchtige Schmerz der Liebe, alles Entzücken süßer Träume, die Hoffnung, das Verlangen, durch den Wald wogte und niederfiel wie erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche, in die Brust horchender Nachtigallen.“ Kreislers Urteil über Julias Gesang scheint hiernach eben nicht von sonderlichem Wert. Versichern kann aber bemeldeter Biograph bei dieser Gelegenheit dem günstigen Leser, daß Julias Gesang, den er, dem Himmel sei's geklagt, niemals selbst hörte, etwas Geheimnisvolles, etwas ganz Wunderbares, in sich getragen haben muß. Ungemein solide Leute, die sich erst seit kurzer Zeit den Zopf wegschneiden lassen, die, nachdem sie einen tüchtigen Rechtsfall, eine malitiös merkwürdige Krankheit, oder einen jungen Ankömmling von Straßburger Pastete, gehörig erprobt, der Umgang mit Gluck, Mozart, Beethoven, Spontini im Theater nicht im mindesten aus der schicklichen Seelenruhe brachte, ja solche Leute haben oft versichert, daß, sänge das Fräulein Julia Benzon, ihnen ganz absonderlich zu Mute würde, sie könnten gar nicht sagen, wie. Eine gewisse Beklommenheit, die ihnen denn doch ein unbeschreibliches Wohlbehagen errege, bemächtige sich ihrer ganz und gar, und oft kämen sie auf den Punkt, Narrenstreiche zu machen, und sich zu gebärden, wie junge Phantasten und Versmacher. Anzuführen ist auch ferner, daß einmal, als Julia bei Hofe sang, Fürst Irenäus vernehmlich ächzte, und als der Gesang geendet, geradezu losschritt auf Julien, ihre Hand an den Mund drückte und dabei sehr weinerlich sprach: bestes Fräulein! – Der Hofmarschall wagte zu behaupten, Fürst Irenäus habe der kleinen Julia wirklich die Hand geküßt, und dabei wären ihm ein paar Tränen aus den Augen getröpfelt. Auf Anlaß der Oberhofmeisterin, wurde aber diese Behauptung, als ungeziemend, und dem Wohl des Hofes zuwider, unterdrückt.

Julia, einer vollen metallreichen, glockenreinen Stimme mächtig, sang mit dem Gefühl, mit der Begeisterung, die aus dem im Innersten bewegten Gemüt hervorströmt, und darin mochte wohl der wunderbare, unwiderstehliche Zauber liegen, den sie auch heute übte. Der Atem jedes Zuhörers stockte, als sie sang; jeder fühlte seine Brust beengt von süßem, namenlosem Weh, erst ein paar Augenblicke, nachher als sie geendet, brach das Entzücken los im stürmischen ungemessensten Beifall. Nur Kreisler saß da, stumm und starr, zurückgelehnt in den Sessel: dann stand er leise und langsam auf, Julia wandte sich zu ihm mit einem Blick, der deutlich fragte: war es denn auch wohl so recht? – Errötend schlug sie aber die Augen nieder, als Kreisler, die Hand aufs Herz legend, mit zitternder Stimme lispelte: Julia! und dann mit gebücktem Haupte mehr schlich als ging hinter den Kreis, den die Damen geschlossen.

 

Mit Mühe hatte die Rätin Benzon Prinzessin Hedwiga dahin vermocht, in der Abendgesellschaft zu erscheinen, wo sie den Kapellmeister Kreisler antreffen mußte. Sie gab nur nach, als die Rätin ihr sehr ernsthaft vorstellte, wie kindisch es sein würde, einen Mann zu meiden, bloß weil er nicht zu den, auf eine Art und Weise, wie Scheidemünze ausgeprägten, zu rechnen, sondern sich in freilich hin und wieder bizarrer Eigentümlichkeit darstelle. Zudem habe Kreisler auch Eingang gefunden bei dem Fürsten, und unmöglich würd' es daher sein, den seltsamen Eigensinn durchzuführen.

Prinzessin Hedwiga wußte sich den ganzen Abend über so geschickt zu drehen und zu wenden, daß Kreisler, dem es, harmlos und gefügig, wie er war, wirklich galt, die Prinzessin zu versöhnen, alles Mühens unerachtet, sich nicht ihr nähern konnte. Den geschicktesten Manövres wußte sie zu begegnen mit schlauer Taktik. – Desto mehr mußte der Benzon, die das alles bemerkt, es auffallen, als die Prinzessin jetzt plötzlich den Kreis der Damen durchbrach, und geradezu losschritt auf den Kapellmeister. So tief in sich versunken stand Kreisler da, daß erst die Anrede der Prinzessin, ob er allein denn keine Zeichen, keine Worte habe, für den Beifall, den Julia errungen, ihn aus dem Traume weckte.

„Gnädigste,“ erwiderte Kreisler mit einem Ton, der die innere Bewegung verriet, „nach der bewährten Meinung berühmter Schriftsteller haben die Seligen statt des Worts nur Gedanken und Blick. – Ich war, glaub' ich, im Himmel!“

„So ist, erwiderte die Prinzessin lächelnd, unsere Julia ein Engel des Lichts, da sie vermochte, Ihnen das Paradies zu erschließen. – Jetzt bitte ich sie aber, auf einige Augenblicke den Himmel zu verlassen, und einem armen Erdenkinde, wie ich es nun einmal bin, Gehör zu geben.“ —

Die Prinzessin hielt inne, als erwarte sie, daß Kreisler etwas sage. Da dieser sie aber schweigend anschaute, mit leuchtendem Blick, schlug sie die Augen nieder, und wandte sich rasch um, so daß der leicht umgeworfene Shawl von den Schultern hinabwallte. Kreisler faßte ihn im Fallen. Die Prinzessin blieb stehen. Lassen Sie uns, sprach sie dann mit unsicherm, schwankendem Ton, als ringe sie mit irgendeinem Entschluß, als würd' es ihr schwer, es herauszusagen, was sie im Innern beschlossen – lassen Sie uns von poetischen Dingen ganz prosaisch reden. Ich weiß, Sie geben Julien Unterricht im Gesange, und ich muß gestehen, daß sie seit der Zeit in Stimme und Vortrag unendlich gewann. Das gibt mir die Hoffnung, daß Sie imstande wären, selbst ein mittelmäßiges Talent, wie das meinige, zu heben. – Ich meine daß —

Die Prinzessin stockte hocherrötend, die Benzon trat hinzu, und versicherte, daß die Prinzessin sich selbst großes Unrecht tue, wenn sie ihr musikalisches Talent mittelmäßig nenne, da sie das Pianoforte vorzüglich spiele, und recht ausdrucksvoll singe. Kreisler, dem die Prinzessin, in ihrer Verlegenheit, auf einmal über alle Maßen liebenswürdig erschien, ergoß sich in einen Strom freundlicher Redensarten, und schloß damit, daß ihm nichts Glücklicheres begegnen könne, als wenn die Prinzessin es vergönne, ihr beizustehen im Studium der Musik mit Rat und Tat.

Die Prinzessin hörte den Kapellmeister an mit sichtlichem Wohlgefallen, und als er geendet, und der Benzon Blick ihr die seltsame Scheu vor dem artigen Mann vorwarf, da sprach sie halbleise: ja, ja, Benzon, Sie haben recht, ich bin wohl oft ein kindisches Kind! – In demselben Augenblick faßte sie, ohne hinzublicken, nach dem Shawl, den Kreisler noch immer in den Händen hielt, und den er ihr nun hinreichte. Selbst wußte er nicht, wie es sich begab, daß er dabei der Prinzessin Hand berührte. Aber ein heftiger Pulsschlag dröhnte ihm durch alle Nerven, und es war, als wollten ihm die Sinne vergehen. —

Wie ein Lichtstrahl, der durch finstere Wolken bricht, vernahm Kreisler Juliens Stimme. „Ich soll, sprach sie, noch mehr singen, lieber Kreisler! man läßt mir keine Ruhe. – Wohl möchte ich das schöne Duett versuchen, das Sie mir letzthin gebracht. Sie dürfen das, nahm die Benzon das Wort, meiner Julie nicht abschlagen, lieber Kapellmeister – fort an den Flügel!“

Kreisler keines Wortes mächtig saß am Flügel, schlug die ersten Akkorde des Duetts an, wie von einem seltsamen Rausch betört und befangen. Julia begann: Ah che mi manca l'anima in si fatal momento. – – Es ist nötig zu sagen, daß die Worte dieses Duetts nach gewöhnlicher italischer Weise ganz einfach die Trennung eines liebenden Paars aussprachen, daß auf momento natürlicherweise sento und tormento gereimt war, und daß es wie in hundert andern Duetten ähnlicher Art, auch nicht an dem Abbi pietade o cielo und an der pena di morir fehlte. Kreisler hatte indessen diese Worte in der höchsten Aufregung des Gemüts, mit einer Inbrunst komponiert, die beim Vortrage jeden, dem der Himmel nur passable Ohren gegeben, unwiderstehlich hinreißen mußte. Das Duett war den leidenschaftlichsten dieser Art an die Seite zu stellen, und da Kreisler nur nach dem höchsten Ausdruck des Moments, und nicht darnach strebte, was eben ganz ruhig und bequem von der Sängerin aufzufassen, in der Intonation ziemlich schwer geraten. So kam es, daß Julia schüchtern, mit beinahe ungewisser Stimme, begann, und daß Kreisler eben nicht viel besser eintrat. Bald erhoben sich aber beide Stimmen auf den Wellen des Gesanges wie schimmernde Schwäne, und wollten bald mit rauschendem Flügelschlag emporsteigen zu dem goldnen, strahlenden Gewölk, bald in süßer Liebesumarmung sterbend untergehen in dem brausenden Strom der Akkorde, bis tief aufatmende Seufzer den nahen Tod verkündeten und das letzte Addio in dem Schrei des wilden Schmerzes, wie ein blutiger Springquell herausstürzte aus der zerrissenen Brust.

Niemand befand sich in dem Kreise, den das Duett nicht tief ergriffen, vielen standen die hellen Tränen in den Augen, selbst die Benzon gestand, daß sie selbst im Theater bei irgendeiner gut dargestellten Abschiedsszene Ähnliches noch nicht empfunden. Man überhäufte Julien und den Kapellmeister mit Lobsprüchen, man sprach von der wahren Begeisterung, die beide beseelt, und stellte die Komposition vielleicht noch höher, als sie es verdiente.

Der Prinzessin Hedwiga hatte man während des Gesanges die innere Bewegung wohl angemerkt, unerachtet sie bemüht war, ruhig zu scheinen, ja durchaus jede Teilnahme zu verbergen. Neben ihr saß ein junges Ding von Hofdame mit roten Wangen, zum Weinen und Lachen gleich aufgelegt, der raunte sie allerlei in die Ohren, ohne daß es ihr gelang, irgend andere Antwort zu erhalten, als einzelne Wörter, in der Angst der höfischen Konvenienz ausgestoßen. Auch der Benzon, die an der andern Seite saß, flüsterte sie gleichgültige Dinge zu, als höre sie gar nicht auf das Duett, die, nach ihrer strengen Manier, bat aber die Gnädigste, die Unterhaltung aufzusparen bis nach geendetem Duett. Jetzt aber sprach die Prinzessin, im ganzen Gesicht glühend, mit blitzenden Augen, so laut, daß sie die Lobsprüche der ganzen Gesellschaft übertönte. „Es wird mir nun wohl erlaubt sein, auch meine Meinung zu sagen. Ich gebe zu, daß das Duett als Komposition seinen Wert haben mag, daß meine Julie vortrefflich gesungen hat, aber ist es recht, ist es billig, daß man im gemütlichen Zirkel, wo freundliche Unterhaltung oben anstehen soll, wo wechselseitige Anregungen Rede, Gesang, forttreiben sollen, wie einen zwischen Blumenbeeten sanft murmelnden Bach, daß man da extravagante Sachen auftischt, die das Innere zerschneiden, deren gewaltsamen zerstörenden Eindruck man nicht verwinden kann? Ich habe mich bemüht, mein Ohr, meine Brust zu verschließen dem wilden Schmerz des Orkus, den Kreisler mit unser leicht verletzliches Inneres verhöhnender Kunst in Tönen aufgefaßt hat, aber niemand war so gütig, sich meiner anzunehmen. Gern will ich meine Schwäche Ihrer Ironie preisgeben, Kapellmeister, gern will ich gestehen, daß der üble Eindruck Ihres Duetts mich ganz krank gemacht hat. – Gibt es denn keinen Cimarosa, keinen Paesiello, deren Kompositionen recht für die Gesellschaft geschrieben sind?