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Lebensansichten des Katers Murr

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Hedwiga, rief sie, meine Hedwiga, ich verlasse Dich ja nicht, kein treueres Herz neigt sich zu Dir, als das meinige, aber sprich, o sprich doch nur, vertraue mir doch nur, welch eine Qual Dein Inneres zerreißt? – Mit Dir will ich klagen, mit Dir will ich weinen!

Da verbreitete sich ein seltsames Lächeln auf Hedwigas Antlitz, ein sanftes Rot schimmerte auf den Wangen, und ohne die Augen zu öffnen, lispelte sie leise: Nicht wahr, Julia, Du bist nicht in Liebe?

Seltsam fühlte sich Julia von dieser Frage der Prinzessin getroffen, als durchbebe sie ein jäher Schreck.

In welches Mädchens Brust regen sich nicht Ahnungen einer Leidenschaft, die das Hauptbedingnis scheint seiner Existenz, denn nur das liebende Weib ist dies ganz. Doch ein reiner, kindlicher, frommer Sinn läßt diese Ahnungen ruhen, ohne weiter zu forschen, ohne im lüsternen Vorwitz das süße Geheimnis enthüllen zu wollen, das nur in dem Moment aufgeht, den eine dunkle Sehnsucht verheißen. So war es mit Julia, die plötzlich ausgesprochen hörte, was sie zu denken nicht gewagt und geängstigt, als zeihe man sie einer Sünde, der sie selbst nicht klar sich bewußt, ihr eignes Innere ganz zu durchschauen sich mühte.

Julia, wiederholte die Prinzessin, Du liebst nicht? – sage es mir! – sei aufrichtig!

Wie sonderbar, erwiderte Julia, wie seltsam Du mich frägst, was kann, was soll ich Dir antworten.

Sprich, o sprich, flehte die Prinzessin! – Da ward es sonnenhell in Julias Seele und sie fand Worte, das auszusprechen, was sie deutlich erblickte in ihrem eignen Innern.

Was geht vor in Deinem Gemüt, Hedwiga, indem du mich so frägst? so begann Julia sehr ernst und gefaßt. Was ist Dir die Liebe, von der Du sprichst? Nicht wahr, man soll sich hingezogen fühlen zu dem Geliebten, mit solcher unwiderstehlichen Macht, daß man nur ist, nur lebt in dem Gedanken an ihn, daß man sein ganzes Ich aufgibt um ihn, daß er allein uns alles Sehnen, alles Hoffen, alles Verlangen, die ganze Welt dünkt? Und diese Leidenschaft soll die höchste Stufe der Seligkeit gewähren? – Mich schwindelts vor dieser Höhe, denn dem Blick hinab gähnt der bodenlose Abgrund, mit allen Schrecknissen des rettungslosen Verderbens, entgegen. Nein, Hedwiga, diese Liebe, die ebenso entsetzlich ist, als sündhaft, hat dies Gemüt nicht erfaßt, und fest will ich halten an dem Glauben, daß es ewig rein, ewig davon frei bleiben wird. Doch wohl mag es sich begeben, daß ein Mann vor allen übrigen in uns die höchste Achtung, ja, bei der männlich eminenten Kraft seines Geistes wahre Bewunderung erregt. Doch noch mehr als das, wir fühlen uns in seiner Nähe von einem gewissen, gemütlichen Wohlbehagen geheimnisvoll durchströmt, erhoben über uns selbst, es scheint, als wenn unser Geist dann erst recht erwache, als wenn uns das Leben dann erst recht leuchte, und so sind wir froh, wenn er kommt, und traurig, wenn er geht. – Nennst Du dieses Liebe? – Nun warum sollte ich es Dir nicht gestehen, daß unser verlorner Kreisler mir dies Gefühl erweckt hat, und daß ich ihn schmerzhaft vermisse.

Julia, rief die Prinzessin plötzlich auffahrend und Julien mit glühendem Blick durchbohrend, kannst Du ihn Dir denken in den Armen einer andern, ohne zu vergehn in namenloser Qual?

Hoch errötete Julia, und mit einem Ton, der erkennen ließ, wie sehr sie sich verletzt fühlte, erwiderte sie: Nie habe ich ihn mir gedacht in meinen Armen! —

Ha! – Du liebst ihn nicht – Du liebst ihn nicht! – so schrie die Prinzessin gellend auf, und sank dann wieder zurück in dem Sofa!

O, sprach Julia, o daß er wiederkehrte! – Rein und schuldlos ist das Gefühl, das ich für den teuern Mann hege in dieser Brust, und sehe ich ihn niemals wieder, so wird der Gedanke an ihn, den Unvergeßlichen, in mein Leben hineinleuchten, wie ein schöner, heller Stern. – Doch gewiß, er kehrt zurück! – Denn wie kann —

Niemals, unterbrach die Prinzessin Julien mit schroffem, schneidendem Ton, kann, darf er wiederkehren, denn wie man vernimmt, befindet er sich in der Abtei Kanzheim und wird, sich der Welt entziehend, in den Orden des heiligen Benedikt treten.

Julien kamen die hellen Tränen in die Augen, sie stand schweigend auf und begab sich an das Fenster.

Deine Mutter hat recht, ganz recht, fuhr die Prinzessin fort. Wohl uns, daß er fort ist, dieser Wahnsinnige, der sich wie ein böser Geist eindrängte in unseres Herzens Rat, der uns in unserm eignen Innern zu zerreißen wußte. – Und die Musik war das Zaubermittel, mit dem er uns umstrickte. – Nie mag ich ihn wiedersehen. —

Dolchstiche waren für Julien die Worte der Prinzessin, sie griff nach Hut und Shawl.

Du willst mich verlassen, meine süße Freundin? rief die Prinzessin. – Bleibe – bleibe – tröste mich, wenn Du kannst! – Unheimliches Grauen geht durch diese Säle, durch den Park! denn wisse – Damit führte Hedwiga Julien an das Fenster, zeigte nach dem Pavillon hin, in dem der Adjudant des Prinzen Hektor gewohnt hatte, und begann mit dumpfer Stimme: Schau dort hin, Julia, jene Mauern verbergen ein bedrohliches Geheimnis; der Kastellan, die Gärtner, beteuern, daß seit der Abreise des Prinzen niemand dort wohne, daß die Türe fest verschlossen, und doch – O schau nur hin – schau nur hin! – Siehst Du es nicht am Fenster?

In der Tat gewahrte Julia an dem Fenster, das in dem Giebel des Pavillons angebracht war, eine dunkle Gestalt, die in demselben Augenblicke wieder schnell verschwand.

Hier dürfe, meinte Julia, indem sie fühlte, wie Hedwiga's Hand krampfhaft in der ihrigen bebte, von einem bedrohlichen Geheimnis, oder gar von etwas Gespenstischem durchaus nicht die Rede sein, da es nur zu leicht möglich, daß irgend jemand von der Dienerschaft den leeren Pavillon unbefugter Weise benutze. Der Pavillon könne ja augenblicklich durchsucht und so auf der Stelle aufgeklärt werden, was es mit der Gestalt, die sich am Fenster blicken lasse, für eine Bewandtnis habe, die Prinzessin versicherte aber dagegen, daß der alte, treue Kastellan dies längst auf ihren Wunsch getan und beteuert, daß er in dem ganzen Pavillon auch nicht die Spur eines menschlichen Wesens gefunden.

Laß es dir erzählen, sprach die Prinzessin, was sich vor drei Nächten begab! – Du weißt, daß mich oft der Schlaf flieht, und daß ich dann aufzustehen, und so lange durch die Zimmer zu wandeln pflege, bis mich eine Müdigkeit überfällt, der ich mich überlasse, und es wirklich zum Einschlafen bringe. So geschah es, daß mich vor drei Nächten Schlaflosigkeit in dies Zimmer trieb. Plötzlich zitterte der Widerschein eines Lichts an der Wand vorüber, ich schaute durch das Fenster, und gewahrte vier Männer, von denen einer eine Blendlaterne trug, und die in der Gegend des Pavillons verschwanden, ohne daß ich bemerken konnte, ob sie wirklich hineingingen in den Pavillon. Nicht lange dauerte es aber, so wurde eben jenes Fenster hell und Schatten huschten inwendig hin und her. Dann wurde es wieder finster, aber durch das Gebüsch strahlte nun bald ein blendender Schimmer, der aus der Türe des geöffneten Pavillons kommen mußte. Immer mehr näherte sich der Schein, bis endlich aus dem Gebüsch ein Benediktiner-Mönch heraustrat, der in der linken Hand eine Fackel, in der rechten aber ein Kruzifix trug. Ihm folgten vier Männer, eine mit schwarzen Tüchern behängte Bahre auf den Schultern. Nur einige Schritte waren sie gezogen, als ihnen eine in einen weiten Mantel eingehüllte Gestalt entgegentrat. Sie standen still, setzten die Bahre nieder, die Gestalt zog die Tücher weg, und ein Leichnam wurde sichtbar. Mir wollten die Sinne vergehn, kaum gewahrte ich noch, daß die Männer die Bahre aufhoben und dem Mönche nacheilten auf dem breiten Seitenwege, der bald zum Park hinausführt auf die Straße nach der Abtei Kanzheim. Seit dieser Zeit läßt sich jene Gestalt am Fenster sehen, und vielleicht ist es der Spuk eines Ermordeten, der mich ängstigt.

Julia war geneigt, den ganzen Vorgang, wie ihn Hedwiga erzählte, für einen Traum, oder, stand sie in der Tat wach am Fenster, für das täuschende Spiel der aufgeregten Sinne zu halten. Wer sollte, wer konnte der Tote sein, den man unter solchen geheimnisvollen Umständen aus dem Pavillon forttrug, da niemand vermißt worden, und wer mochte daran glauben, daß dieser unbekannte Tote noch spuken solle in der Behausung, aus der man ihn fortgebracht? Julia äußerte dieses alles der Prinzessin und fügte noch hinzu, daß jene Erscheinung am Fenster auch wohl auf optischer Illusion beruhen, auch wohl gar ein Scherz des alten Magikers, Meister Abraham sein könne, der ja oft sein Wesen treibe mit solchem Spiel und vielleicht dem leeren Pavillon einen gespenstischen Einsassen gegeben habe.

Wie, sprach die Prinzessin, die ihre ganze Fassung wiedergewonnen, sanft lächelnd, wie man doch gleich mit der Erklärung bei der Hand ist, geschieht das Wunderbare, Übernatürliche! – Was den Toten betrifft, so vergissest Du das, was sich in dem Park begab, ehe Kreisler uns verließ. – Um Gott, rief Julia, sollte denn wirklich eine gräßliche Tat begangen sein? – Wer? – von wem? —

Du weißt ja, Mädchen, daß Kreisler lebt, fuhr Hedwiga fort. Aber auch er lebt, der in Liebe ist zu Dir – Sieh mich nicht so erschrocken an! – Solltest Du das nicht längst ahnen, was ich Dir sagen muß, damit Dir es klar werde, was, länger verborgen, Dich verderben könnte? – Prinz Hektor liebt Dich, Dich Julia, mit all der wilden Leidenschaft, die seiner Nation eigen. Ich war, ich bin seine Braut, Du aber, Julia, bist seine Geliebte. Die letzten Worte betonte die Prinzessin auf eine eigne scharfe Weise, ohne übrigens jenen besonderen Accent hineinzulegen, der dem Gefühl innerer Kränkung eigen.

O ewige Macht, rief Julia heftig, indem ihr die Tränen aus den Augen stürzten, Hedwiga, willst Du denn meine Brust zerreißen? – Welcher finstre Geist spricht aus Dir! – Nein, nein, gern will ich es leiden, daß Du aller bösen Träume halber, die Dich verstörten, an mir Ärmsten Rache nimmst, aber nie werde ich an die Wahrheit dieser bedrohlichen Phantome glauben! – Hedwiga! – besinne Dich doch nur, Du bist ja nicht mehr die Braut des entsetzlichen Mannes, der uns erschien, wie das Verderben selbst! Nie kehrt er zurück, niemals wirst Du sein!

 

Doch, erwiderte die Prinzessin, doch! – Fasse Dich nur, Mädchen! – Nur dann, wenn die Kirche mich mit dem Prinzen verbunden, löst sich vielleicht das ungeheure Mißverständnis des Lebens, das mich elend macht! – Dich rettet des Himmels wunderbare Fügung. – Wir trennen uns, ich folge dem Gemahl, Du bleibst! – Die Prinzessin verstummte vor innerer Bewegung, auch Julia war keines Wortes mächtig, beide fielen sich schweigend, in Tränen zerfließend, an die Brust!

Man meldete, daß der Tee serviert sei. Julia war aufgeregter, als es ihr besonnenes, ruhiges Gemüt zuzulassen schien. Es war ihr unmöglich, in der Gesellschaft zu bleiben, und die Mutter erlaubte ihr gern, nach Hause zu gehen, da die Prinzessin sich ebenfalls nach Ruhe sehnte.

Fräulein Nannette versicherte auf Befragen der Fürstin, daß die Prinzessin den Nachmittag und Abend sich sehr wohl befunden, indessen mit Julien durchaus allein sein wollen. So viel sie im Nebenzimmer beobachten können, hätten beide, die Prinzessin und Julia sich allerlei Geschichten erzählt, auch Komödie gespielt und bald gelacht und bald geweint.

Die lieben Mädchen, sprach der Hofmarschall leise. Die aimable Prinzessin, das liebe Mädchen! verbesserte der Fürst, indem er den Hofmarschall mit großen Augen anblitzte. Dieser wollte in der Bestürzung über den entsetzlichen Fehlgriff ein ziemliches Stücklein Zwieback, das er sattsam in Tee getränkt, auf einmal hinunterschlucken. Das blieb ihm aber in der Kehle stecken, und er brach aus in ein fürchterliches Husten, so daß er schnell den Saal verlassen mußte, und nur dadurch gerettet werden konnte vom schnöden Erstickungstode, daß der Hoffurier im Vorsaal mit geübter Faust ein wohlgesetztes Paukensolo ausführte auf seinem Rücken.

Nach zwei Unschicklichkeiten, deren er sich schuldig gemacht, fürchtete indessen der Hofmarschall noch die dritte zu begehen, er wagte es daher nicht, zurückzukehren in den Saal, sondern ließ sich bei dem Fürsten mit plötzlich ihm angewandelter Krankheit entschuldigen.

Durch des Hofmarschalls Abwesenheit wurde aber die Whistpartie zerrissen, wie sie der Fürst gewöhnlich zu spielen pflegte.

Als nun die Spieltische geordnet, war alles in gespannter Erwartung, was der Fürst in diesem kritischen Fall tun werde. Der tat aber nichts, als daß er, da auf seinen Wink die übrigen sich zum Spiel gesetzt hatten, die Hand der Rätin Benzon faßte, sie zum Kanapee führte, und Platz nehmen hieß, indem er selbst sich ihr zur Seite hinsetzte.

Unlieb wäre es mir doch gewesen, wenn der Hofmarschall erstickt wäre am Zwieback, sprach er dann sanft und leise, wie immer zur Benzon. Doch schien er Abwesenheiten des Geistes zu haben, wie ich es schon oftmals bemerkt, daß er die Prinzessin Hedwiga ein Mädchen nannte, und würde daher im Whist miserabel gewesen sein. – Überhaupt, liebe Benzon, ist es mir heute recht erwünscht und angenehm, statt des Spiels mit Ihnen hier in der Einsamkeit einige Worte vertraulich zu wechseln, wie sonst. Ach – wie sonst! Nun Sie kennen mein Attachement für Sie, geliebte Frau! Nie kann es aufhören, ein fürstliches Herz ist jedesmal ein treues, sobald nicht unabwendbare Verhältnisse ein anderes gebieten.

Bei diesen Worten küßte der Fürst der Benzon viel zärtlicher die Hand, als es Stand, Alter und Umgebung zu erlauben schienen. Die Benzon versicherte mit vor Freude funkelnden Augen, daß sie längst den Moment ersehnt, mit dem Fürsten vertraulich zu reden, da sie ihm so manches mitzuteilen habe, was ihm nicht unangenehm sein werde.

Erfahren Sie, gnädigster Herr, sprach die Benzon, daß der Geheime-Legationsrat auf's Neue geschrieben, daß unsere Angelegenheiten plötzlich eine günstigere Wendung genommen, daß —

Still, beste Frau, unterbrach sie der Fürst, nichts von Regierungsgeschäften! Auch der Fürst trägt Schlafröcke, und setzt eine Nachtmütze auf, wenn er beinahe erdrückt von der Last des Regierens, sich zur Ruhe begibt, wovon freilich Friedrich der Große, König von Preußen eine Ausnahme machte, der, wie es Ihnen als einer belesenen Frau bekannt sein wird, auch im Bette einen Filzhut aufsetzte. Nun, ich meine, daß auch der Fürst immer zu viel von dem in sich trägt, was – nun! was eben, wie die Leute sagen, das sogenannte bürgerliche Verhältnis, Ehe, Vaterfreuden usw. begründet, um sich diesen Gefühlen ganz zu entschlagen, und es ist mindestens pardonabel, wenn er sich ihnen überläßt in Augenblicken, da der Staat, die Vorsorge für den gehörigen Anstand am Hofe und im Lande nicht sein ganzes Selbst in Anspruch nimmt, – Gute Benzon! solche Augenblicke sind die jetzigen; fertig liegen sieben Unterschriften in meinem Kabinett, und nun lassen Sie mich den Fürsten ganz vergessen, lassen Sie mich hier beim Tee ganz Hausvater sein – der deutsche Hausvater vom Freiherrn von Gemmingen! Lassen Sie mich von meinen – ja, von meinen Kindern reden, die mir solchen Kummer verursachen, daß ich oft in eine ganz unschickliche Gemütsunruhe verfalle. Von Ihren Kindern soll die Rede sein, gnädigster Herr? sprach die Benzon mit spitzem Tone. Das heißt also, von dem Prinzen Ignaz und von der Prinzessin Hedwiga! – Sprechen Sie, gnädigster Herr, sprechen Sie, vielleicht kann ich Rat und Trost geben, wie Meister Abraham. – Ja, sprach der Fürst weiter, ja Rat und Trost, der möchte mir manchmal von nöten sein. – Sehn Sie, gute Benzon, was zuerst den Prinzen betrifft, so bedurfte er freilich nicht besonderer Geistesgaben, die die Natur denjenigen zuzuteilen pflegt, die sonst ihres Standes halber obskur und fühllos bleiben würden, aber etwas mehr esprit wäre ihm doch zu wünschen, er ist und bleibt ein – Simple! – Sehn Sie nur, da sitzt er und baumelt mit den Füßen und spielt eine falsche Karte aus nach der andern, und kichert und lacht wie ein Knabe von sieben Jahren! – Benzon! entre nous soit dit, nicht die Kunst des Schreibens, insofern sie ihm nötig, ist ihm beizubringen; sein fürstlicher Name sieht aus wie eine Eulenkralle. Ewige Barmherzigkeit, was soll daraus werden? Neulich wurde ich in meinen Geschäften gestört durch abscheuliches Gebelle vor meinem Fenster, ich schaue heraus, um den unangenehmen Spitz fortjagen zu lassen, und was muß ich erblicken! Sollten Sie es glauben, gute Frau! Es ist der Prinz, der wie wahnsinnig laut bellend hinter dem Gärtnerburschen herspringt. – Sie spielen mitsammen Hase und Hund! – Ist wohl nur einiger Verstand darin, sind das fürstliche Passionen? – Kann der Prinz wohl jemals zu der geringsten Selbständigkeit kommen?

Darum ist es nötig, erwiderte die Benzon, daß der Prinz alsbald vermählt werde, und eine Gemahlin erhalte, deren Anmut, deren Liebreiz, deren klarer Verstand seine schlafenden Sinne weckt und die gutmütig genug ist, sich ganz zu ihm hinabzuneigen, um ihn dann allmählich zu sich heraufzuziehen. Diese Eigenschaften sind dem weiblichen Wesen, das dem Prinzen angehören soll, unerläßlich, um ihn aus einem Seelenzustande zu retten, der, mit Schmerz spreche ich es aus, gnädigster Herr! zuletzt in wirklichen Wahnsinn ausarten kann. Eben daher dürfen auch nur diese seltenen Eigenschaften entscheiden, und der Stand nicht in allzustrengen Betracht kommen.

Niemals gab es Mesalliancen in unserm Hause, sprach der Fürst, indem er die Stirn runzelte, lassen Sie ab von einem Gedanken, den ich nicht billigen kann. Immer war und bin ich noch bereit, sonst Ihre Wünsche zu erfüllen! —

Daß ich nicht wüßte, gnädigster Herr! erwiderte die Benzon mit scharfem Ton. – Wie oft mußten gerechte Wünsche schweigen chimärischer Rücksichten halber! Aber es gibt Ansprüche, die aller Verhältnisse spotten. —

Laissons cela, unterbrach der Fürst die Benzon, indem er sich ausräusperte und Tabak nahm. Nach einigen Augenblicken des Stillschweigens fuhr er fort: Noch mehr Kummer als der Prinz, macht mir die Prinzessin. Sagen Sie, Benzon, wie war es möglich, daß uns eine Tochter von dieser seltsamen Gemütsart, noch mehr von dieser absonderlichen Krankhaftigkeit, die selbst den Leibarzt in Verlegenheit setzt, geboren werden konnte? Hat sich die Fürstin nicht immer einer blühenden Gesundheit erfreut, hat sie zu mystischen Nervenzufällen inkliniert? Bin ich selbst nicht, was Leib und Seele betrifft, ein robuster Fürst gewesen? Wie kommen wir zu dem Kinde, das, gestehen muß ich es zu meinem bittern Leidwesen, mir oft – ganz verrückt erscheint, alles fürstlichen Anstandes los und ledig? – Auch mir ist der Organismus der Prinzessin unbegreiflich, erwiderte die Benzon. – Die Mutter ist sich immer klar, verständig, von jeder zu heftigen, verderblichen Leidenschaftlichkeit frei gewesen. – Die letzten Worte sprach die Benzon dumpf und leise vor sich hin, indem sie den Blick niedersenkte. Sie meinen die Fürstin, fragte der Fürst mit Accent, da es ihm nicht anständig schien, daß dem Worte: Mutter, nicht das Prädikat: Fürstin hinzugefügt war.

Wen sonst sollte ich meinen, erwiderte die Benzon gespannt.

Hat mich nicht der letzte fatale Zufall der Prinzessin um den Erfolg meiner Bemühungen, und die Freude ihrer baldigen Vermählung, meinen Wünschen gemäß, gebracht? sprach der Fürst weiter. – Denn, gute Benzon, entre nous soit dit, der Prinzessin plötzliche Katalepsie, die ich bloß einer starken Erkältung zuschreibe, war wohl lediglich schuld an der plötzlichen Abreise des Prinzen Hektor. – Er will abbrechen und – juste ciel! selbst muß ich es gestehen, ich kann es ihm nicht ganz verdenken, so daß, verböte nicht ohnehin der Anstand jede weitere Annäherung, schon dieses mich, den Fürsten, abhalten müßte, jetzt noch Schritte zu tun zur Erfüllung eines Wunsches, den ich freilich sehr ungern und nur notgedrungen aufgebe. Recht werden Sie mir nämlich geben, geliebte Frau, daß es immer etwas Ängstliches hat mit einer Gemahlin, die solchen wunderlichen Zufällen unterworfen. Kann eine solche fürstliche und zugleich kataleptische Gemahlin nicht mitten in der glänzendsten Cour davon erfaßt werden, automatisch dastehen und sämtliche, würdige Anwesende zwingen, es ihr nachzutun und regungslos zu bleiben? – Freilich kann man wohl auch eine, von einer allgemeinen Katalepsie befallene Cour, sich als die feierlichste und erhabenste denken, die es in der Welt nur geben mag, da die leiseste Verletzung der nötigen Würde auch dem Leichtsinnigsten unmöglich. Doch ein Gefühl, das mich eben in solchen hausväterlichen Augenblicken, wie die jetzigen, hier beim Spiel befällt, läßt es mich bemerken, daß ein solcher Zustand der Braut, dem fürstlichen Bräutigam einiges fröstelnde Grauen erregen kann, und darum – Benzon! Sie sind eine liebenswürdige, verständige Frau, fänden Sie vielleicht eine Möglichkeit, die Sache mit dem Prinzen zu realisieren, irgend ein Mittel —

Es bedarf dessen gar nicht, gnädigster Herr! unterbrach die Benzon lebhaft den Fürsten. Nicht der Prinzessin Krankheit trieb den Prinzen so schnell fort, ein anderes Geheimnis ist hier im Spiele, und in dieses Geheimnis ist der Kapellmeister Kreisler verflochten.

Wie, was sagen Sie, Benzon? der Kapellmeister Kreisler? rief der Fürst erstaunt! So sollte es doch wahr sein, daß er —

Ja, gnädigster Herr, sprach die Rätin weiter, ein Zwiespalt zwischen ihm und dem Prinzen Hektor, der vielleicht geschlichtet werden sollte auf zu heroische Weise, war es, der den Prinzen entfernte. —

Zwiespalt, unterbrach der Fürst die Benzon, Zwiespalt – geschlichtet – heroische Weise: – Der Schuß im Park – der blutige Hut! – Benzon! es ist ja unmöglich – der Prinz – der Kapellmeister! – ein Duell – ein Renkontre, beides ist ja undenkbar! —

So viel, gnädigster Herr, ist gewiß, fuhr die Benzon fort, daß Kreisler auf der Prinzessin Gemüt nur zu mächtig einwirkte, daß jene seltsame Angst, ja, jenes Entsetzen, das sie erst empfand in Kreislers Gegenwart, sich gestalten wollte zur verderblichen Leidenschaft. Möglich, daß der Prinz scharf genug sah, dies zu gewahren, daß er in Kreisler, der ihm von Anfang an entgegen trat, mit feindlicher, verhöhnender Ironie, einen Widersacher fand, den er sich vom Halse schaffen zu müssen glaubte, und daß hieraus sich eine Tat erzeugte, die freilich nur dem blutigen Haß des gekränkten Ehrgefühls, der Eifersucht verziehen werden darf, und die, Dank sei der ewigen Macht, nicht gelang. Ich gestehe, daß dies alles die schnelle Abreise des Prinzen nicht erklärt, und daß, wie gesagt, noch ein dunkles Geheimnis waltet. Der Prinz floh, wie mir Julia erzählt, entsetzt vor einem Bilde, das Kreisler bei sich trug und ihm vorzeigte. – Nun, mag dem sein, wie ihm wolle, Kreisler ist fort und der Prinzessin Krisis ist vorüber! – Glauben Sie mir, gnädigster Herr, blieb Kreisler, so flammte die heftigste Leidenschaft für ihn auf in der Prinzessin Brust, und sie wäre lieber gestorben, als daß sie dem Prinzen ihre Hand gegeben hätte. Alles hat sich jetzt anders gestaltet, bald kehrt Prinz Hektor zurück, und die Vermählung mit der Prinzessin endigt alle Besorgnisse.

 

Sehn Sie, rief der Fürst zornig, die Insolenz des schnöden Musikanten! – In ihn will die Prinzessin sich verlieben, seinetwegen die Hand des liebenswürdigsten Prinzen ausschlagen! – Ah, le coquin! – Nun verstehe ich Euch, Meister Abraham, erst ganz! – Ihr sollt mir den fatalen Menschen vom Halse schaffen, daß er niemals wiederkehrt. —

Jede Maßregel, sprach die Rätin, die der weise Meister Abraham deshalb etwa vorschlagen dürfte, würde überflüssig sein, da das Erforderliche deshalb schon geschehen ist. Kreisler befindet sich in der Abtei Kanzheim, und wie mir der Abt Chrysostomus schreibt, wird er wahrscheinlich sich entschließen, der Welt zu entsagen, und in den Orden zu treten. Die Prinzessin hat dies schon erfahren von mir zur günstigen Stunde, und daß ich dabei keine sonderliche Gemütsbewegung der Prinzessin gewahrte, bürgt mir dafür, daß die bedrohliche Krisis wie gesagt, schon vorüber.

Herrliche, liebenswürdige Frau! nahm der Fürst das Wort, welches Attachement beweisen Sie mir und meinen Kindern! Wie sorgen Sie für das Wohl, für das Beste meines Hauses?

Wirklich? sprach die Benzon mit bittrem Tone, tue ich das? Konnte, durfte ich immer für das Wohl Ihrer Kinder sorgen?

Die Benzon legte auf die letzten Worte einen besonderen Nachdruck, der Fürst sah schweigend vor sich nieder, und spielte mit den Daumen der zusammengefalteten Hände. Endlich murmelte er leise: „Angela! – noch immer keine Spur? – ganz verschwunden?“

So ist es, erwiderte die Benzon, und ich fürchte, daß das unglückliche Kind das Opfer irgend einer Schändlichkeit geworden ist. Man wollte sie in Venedig gesehen haben, aber gewiß war dies ein Irrtum. – Gestehen Sie es, gnädigster Herr! es war grausam – entsetzlich, daß Sie Ihr Kind von der Brust der Mutter reißen ließen, es in ein trostloses Exil verbannten! – Diese Wunde, die mir Ihre Strenge schlug, werde ich niemals verschmerzen!

Benzon, sprach der Fürst, habe ich Ihnen, dem Kinde nicht ein ansehnliches Jahrgehalt ausgesetzt? – konnte ich mehr tun? Mußte ich nicht, blieb Angela bei uns, jeden Augenblick befürchten, daß unsre foiblesses verraten werden und auf unangenehme Weise die anständige Ruhe unseres Hofes zerstören konnten? – Sie kennen die Fürstin, gute Benzon! Sie wissen, daß sie manchmal besondere Grillen hat. —

Also Geld, nahm die Benzon das Wort, ein Jahrgehalt soll die Mutter entschädigen für allen Schmerz, für alle Trauer, für alle bittre Klage um das verlorne Kind? – In der Tat, gnädigster Herr! es gibt eine andere Art für sein Kind zu sorgen, die die Mutter besser zufriedenstellt, als alles Gold! —

Die Benzon sprach diese Worte mit einem Blick, mit einem Ton, der den Fürsten in einige Verlegenheit setzte.

Vortreffliche Frau, begann er betreten, warum diese seltsame Gedanken! – Glauben Sie denn nicht, daß mir ebenfalls das spurlose Verschwinden unserer lieben Angela sehr unangenehm, sehr fatal ist? Es muß ein artiges, schönes Mägdlein geworden sein, da es von hübschen scharmanten Eltern geboren. Aufs neue küßte der Fürst der Benzon sehr zärtlich die Hand, die sie aber schnell wegzog und mit funkelndem, durchbohrendem Blick dem Fürsten ins Ohr flüsterte: Gestehen Sie es, gnädigster Herr, Sie waren ungerecht, grausam, als Sie darauf bestanden, daß das Kind entfernt werden müsse. Ist es nicht Ihre Pflicht, den Wunsch nicht zurückzuweisen, dessen Erfüllung ich gutmütig genug, wirklich für einigen Ersatz all meines Leid's ansehen will?

Benzon, erwiderte der Fürst noch kleinlauter als zuvor, gute, herrliche Benzon, kann denn unsere Angela nicht wiedergefunden werden? Ich will Heroisches tun für Ihre Wünsche, teure Frau. Ich will mich dem Meister Abraham anvertrauen, mich mit ihm beraten. – Es ist ein vernünftiger erfahrner Mann; vielleicht kann er helfen.

O, unterbrach die Benzon den Fürsten, o des weisen Meisters Abraham! Glauben Sie denn, gnädigster Herr, daß Meister Abraham wirklich aufgelegt ist, für Sie etwas zu unternehmen, daß er Ihnen, Ihrem Hause getreulich anhängt? Und wie sollte er im Stande sein, etwas herauszubringen über Angela's Schicksal, nachdem in Venedig, in Florenz, alle Nachforschungen vergeblich geblieben sind und, was das Schlimmste ist, ihm jenes geheimnisvolle Mittel geraubt wurde, dessen er sich sonst bediente, um das Unbekannte zu erforschen.

Sie meinen sein Weib, die böse Zauberin Chiara, sprach der Fürst.

Sehr fraglich möchte es sein, erwiderte die Benzon, ob die vielleicht nur inspirierte, mit höheren, wunderbaren Kräften begabte Frau, diesen Namen verdient. Auf jeden Fall war es ungerecht, unmenschlich, dem Meister das geliebte Wesen zu rauben, an dem er hing mit ganzer Seele, ja, die ganz ein Teil seines Ich's war.

Benzon, rief der Fürst ganz erschrocken, Benzon, ich verstehe Sie heute nicht! – Mir schwindelts im Kopfe! Waren Sie selbst nicht dafür, daß das bedrohliche Geschöpf, vermöge dessen der Meister bald alle unsere Verhältnisse beherrschen möchte, entfernt werden möchte? Billigten Sie nicht selbst mein Schreiben an den Großherzog, in dem ich vorstellte, daß, da jede Zauberei im Lande längst verboten, Personen, die in dieser Art beeigenschaftet ihr Wesen trieben, nicht geduldet werden dürften und Sicherheits halber ein wenig eingesperrt werden müßten? Geschah es nicht aus purer Schonung gegen den Meister Abraham, daß der mysteriösen Chiara nicht der offne Prozeß gemacht, sondern daß sie in aller Stille aufgegriffen und fortgeschafft wurde, wohin weiß ich nicht einmal, da ich mich darum nicht weiter bekümmert? – Welch' ein Vorwurf kann mich hier treffen?

Verzeihung, gnädigster Herr, erwiderte die Benzon, aber es ist doch in der Tat der Vorwurf des wenigstens übereilten Verfahrens, der Sie wohl mit Recht trifft. – Aber! – erfahren Sie es gnädigster Herr! Meister Abraham ist davon unterrichtet, daß seine Chiara weggeschafft wurde auf Ihren Anlaß. Er ist still, er ist freundlich, aber glauben Sie nicht, gnädigster Herr, daß Haß und Rache brütet in seinem Innern, gegen den, der ihm sein Liebstes raubte auf Erden! Und diesem Mann wollen Sie vertrauen, wollen ihm Ihr Inneres erschließen? – Benzon, sprach der Fürst, indem er sich die Schweißtropfen von der Stirne wegtrocknete, Benzon! Sie alterieren mich sehr – ganz unbeschreiblich möcht' ich sagen! – Barmherziger! Kann ein Fürst so aus der Contenance gebracht werden? Muß beim Teufel – Gott ich glaube gar, ich fluche, wie ein Dragoner hier beim Tee! – Benzon! warum sprachen Sie nicht früher! – Er weiß schon alles! – Im Fischerhäuschen, gerade als ich ganz außer mir war über der Prinzessin Zustand, da floß mir das Herz, der Mund über. Ich sprach von Angela, entdeckte ihm – Benzon, schrecklich ist es! – j'étois – un – Esel! – Voilà tout! —

Und er erwiderte? So fragte die Benzon gespannt.

Beinahe ist es mir so, sprach der Fürst weiter, als habe der Meister Abraham zuerst angefangen von unserm früheren Attachement zu sprechen, und wie ich ein glücklicher Vater sein können, statt daß ich nun ein malheureuser sei. – So viel ist aber richtig, daß, als ich meine Beichte geendet, er lächelnd erklärte, wie er schon längst alles wisse und hoffe, daß sich vielleicht in ganz kurzer Zeit aufklären werde, wo Angela geblieben. – Mancher Trug würde dann vernichtet werden, manche Täuschung zerrinnen. —