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Lebensansichten des Katers Murr

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Ruhig, sprach der Abt sanft und milde, indem er Kreisler's Hand faßte, ruhig mein Sohn Johannes! – Nichts hast du gemein mit jenem Unglücklichen, den die Verirrung einer zu mächtig gewordenen Leidenschaft in das tiefste Verderben stürzte. Doch zum warnenden Beispiel mag Dir sein entsetzliches Schicksal dienen. Mein Sohn Johannes! – noch auf schlüpfrigerem Wege befindest Du Dich, als jener, drum entflieh – entflieh! – Hedwiga! – Johannes! ein böser Traum hält die Prinzessin fest in Banden, die unauflöslich scheinen, wenn ein freier Geist sie nicht durchschneidet! – Und du? —

Tausend Gedanken gingen auf in Kreisler bei diesen Worten des Abts. Er gewahrte, daß der Abt nicht allein mit allen Begebnissen des fürstlichen Hauses zu Sieghartshof, sondern auch mit dem bekannt war, was sich dort während seines Aufenthalts zugetragen. Klar wurd' es ihm, daß die krankhafte Reizbarkeit der Prinzessin wohl in seiner Annäherung eine Gefahr befürchten lassen, an die er gar nicht gedacht, und eben diese Furcht, wer anders konnte sie hegen und darum wünschen, daß er vom Schauplatz ganz abtrete, als die Benzon? – Eben diese Benzon mußte mit dem Abt in Verbindung stehen, von seinem (Kreisler's) Aufenthalt in der Abtei unterrichtet sein und so war sie die Triebfeder alles Beginnens des ehrwürdigen Herrn. Lebhaft gedachte er aller Momente, in denen die Prinzessin wirklich, wie von einer im Innern aufkeimenden Leidenschaft befangen, erschienen, aber selbst wußte er nicht, warum bei dem Gedanken, daß er selbst der Gegenstand jener Leidenschaft sein könne, es ihn erfaßte wie Gespensterfurcht. Es war ihm als wolle eine fremde geistige Macht gewaltsam in sein Inneres dringen und ihm die Freiheit des Gedankens rauben. Prinzessin Hedwiga stand plötzlich vor ihm, und starrte ihn an mit jenem seltsamen Blick der ihr eigen, aber in dem Augenblick dröhnte ein Pulsschlag ihm durch alle Nerven, wie damals, als er zum erstenmal der Prinzessin Hand berührte. Doch war ihm auch nun jene unheimliche Angst entnommen, er fühlte eine elektrische Wärme wohltätig sein Inneres durchgleiten, er sprach leise wie im Traum: Kleiner schalkischer Raja torpedo, neckst Du mich schon wieder und weißt doch, daß Du nicht ungestraft verwunden darfst, da ich aus reiner Liebe zu Dir Benediktinermönch geworden?

Der Abt betrachtete den Kapellmeister mit durchbohrendem Blick, als wolle er sein ganzes Ich durchschauen, und begann dann ernst und feierlich: Mit wem redest Du, mein Sohn Johannes?

Kreisler wurde aber wach aus seinen Träumen; es fiel ihm ein, daß der Abt, war er von allem was sich in Sieghartshof zugetragen, unterrichtet, vor allen Dingen den weitern Verlauf der Katastrophe, die ihn fortgetrieben, wissen mußte, und wohl war ihm daran gelegen, mehr davon zu erfahren.

Mit niemandem anders, erwiderte er dem Abt, skurril lächelnd, sprach ich, Hochehrwürdiger Herr, als, wie Sie ja vernommen haben, mit einer schalkischen Raja torpedo, die sich ganz unberufener Weise in unser vernünftiges Gespräch mischen und mich noch konfuser machen wollte, als ich es schon wirklich bin. – Doch aus allem muß ich ja zu meinem großen Leid gewahren, daß diverse Leute mich für eben solch' einen großen Narren halten, als den seligen Hofporträtisten Leonardus Ettlinger, der eine erhabene Person, die sich natürlicherweise aus ihm gar nichts machen konnte, nicht bloß malen wollte, sondern auch lieben und zwar so ganz ordinär, wie Hans seine Grete. O Gott! hab' ich es denn jemals an Respekt fehlen lassen, wenn ich die schönsten Akkorde griff zu schnöder Singefaselei! – Habe ich jemals unziemliche oder grillenhafte Materien aufs Tapet zu bringen gewagt von Entzücken und Schmerz, von Liebe und Haß, wenn der kleine fürstliche Eigensinn sich seltsam gebärden in allerlei wunderbaren Gemütsergötzlichkeiten, und ehrsame Leute vexieren wollte mit magnetischen Visionen? – habe ich solches jemals getan? Sagt. —

Doch sprachst Du, mein Johannes! unterbrach ihn der Abt, einst von der Liebe des Künstlers —

Kreisler starrte den Abt an, dann rief er, indem er die Hände zusammenschlug und den Blick aufwärts richtete: O Himmel! Das also! – Schätzbare Leute, sprach er dann weiter, indem jenes skurrile Lächeln auf dem Antlitz wieder die Oberhand gewann und dabei die innere Wehmut die Stimme beinahe erstickte, schätzbare Leute allzumal, habt Ihr denn nicht jemals irgendwo, sei es auch auf ordinären Brettern, den Prinzen Hamlet zu einem ehrlichen Mann, Güldenstern geheißen, sagen gehört: Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen? – Wetter! – das ist ja ganz mein Kasus! – Warum belauscht Ihr den harmlosen Kreisler, wenn der Wohllaut der Liebe, der in seiner Brust verschlossen, Euch nur mißtönt? – O Julia! —

Der Abt schien, plötzlich von etwas ganz Unerwartetem überrascht, vergebens Worte zu suchen, während Kreisler vor ihm stand und ganz verzückt in das Feuermeer schaute, das im Abend emporgewogt.

Da erhoben sich die Glockentöne von den Türmen der Abtei und zogen, wunderbare Stimmen des Himmels, durch das golden leuchtende Abendgewölk.

Mit euch will ich ziehen ihr Akkorde! rief Kreisler, indem er beide Arme weit ausbreitete. Von euch getragen soll sich aller trostlose Schmerz emporrichten zu mir und sich selbst vernichten in meiner eignen Brust und eure Stimmen sollen wie himmlische Friedensboten es verkünden, daß der Schmerz untergegangen in der Hoffnung, in der Sehnsucht der ewigen Liebe.

Die Abendhora, sprach der Abt, wird eingeläutet, ich höre die Brüder kommen. Morgen, mein lieber Freund, sprechen wir vielleicht weiter von manchen Begebnissen in Sieghartshof. —

Ei, rief Kreisler, dem nun erst wieder einfiel, was er von dem Abt zu wissen verlangt, ei, hochehrwürdiger Herr, ich will viel erfahren von lustiger Hochzeit und dergleichen! – Prinz Hektor wird doch nun nicht zaudern, die Hand zu ergreifen, nach der er schon aus der Ferne gelangt? Dem herrlichen Bräutigam ist doch nichts Arges widerfahren?

Da verschwand alles Feierliche aus des Abts Antlitz und er sprach mit dem gemütlichen Humor, der ihm sonst wohl eigen: Nichts ist dem herrlichen Bräutigam geschehen, mein ehrlicher Johannes, aber seinen Adjutanten soll im Walde eine Wespe gestochen haben. Hoho! erwiderte Kreisler, eine Wespe, die er mit Feuer und Dampf vertreiben wollte!

Die Brüder traten in den Korridor und —

(M. f. f.) – böse Feind und sucht den guten Bissen einem ehrlichen harmlosen Kater recht vor dem Maule wegzuschnappen? – Nicht lange dauerte es nämlich, so erhielt unser gemütlicher Verein auf dem Dache einen Stoß, der ihn erschütterte zum gänzlichen Verfall. – Jener böse, alles katzliche Behagen verstörende, Feind erschien uns nämlich in der Gestalt eines gewaltigen wütenden Philisters, namens Achilles. Mit seinem Homerischen Namensvetter war er in weniger Hinsicht zu vergleichen, man müßte denn annehmen, daß des letzteren Heldentum vorzüglich auch in einer gewissen unbehilflichen Tappigkeit und in groben topfhohlen Redensarten bestanden. Achilles war eigentlich ein gemeiner Fleischerhund, stand aber in Diensten als Hofhund, und der Herr, bei dem er in Dienst getreten, hatte ihn, um sein Attachement an das Haus zu befestigen, anketten lassen, so daß er nur des Nachts frei umher laufen konnte. Mancher von uns bedauerte ihn sehr, trotz seines unleidlichen Wesens, er aber ließ sich den Verlust seiner Freiheit gar nicht zu Herzen gehen, da er töricht genug war, zu vermeinen, die schwer lastende Kette gereiche ihm zur Ehre und Zierde. Achilles fand sich nun zu seinem nicht geringen Verdruß durch unsere Konvivia in der Nacht, wenn er umherlaufen und das Haus beschützen sollte gegen jede Unbill, im Schlafe gestört und drohte uns als Ruhestörern Tod und Verderben. Da er aber seiner Unbehilflichkeit halber nicht einmal auf den Boden, geschweige denn auf das Dach kommen konnte, so machten wir uns aus seinen Drohungen auch nicht das allermindeste, sondern trieben unser Wesen so nach wie vorher. Achilles nahm andere Maßregeln; er begann den Angriff gegen uns, wie ein guter General manche Schlacht, mit verdeckten Angriffen und dann mit offenbarer Plänkelei.

Verschiedene Spitze, denen Achilles zuweilen die Ehre antat, mit ihnen zu spielen, indem er sie mit seinen ungeschickten Tatzen handhabte, mußten nämlich auf sein Geheiß, sobald wir unsern Gesang begannen, dermaßen bestialisch bellen, daß wir keine vernünftige Note verstehen konnten! – Noch mehr! – Bis auf den Dachboden drangen einige dieser Philisterknechte und trieben, ohne sich mit uns, wenn wir ihnen die Krallen zeigten, auf irgendeinen offnen ehrlichen Kampf einlassen zu wollen, solch einen fürchterlichen Lärm mit Schreien und Bellen, daß, wurde erst nur der Hofhund in seinem Schlaf gestört, jetzt der Herr des Hauses selbst kein Auge zudrücken konnte und, da der Zeterspektakel gar nicht enden wollte, die Hetzpeitsche ergriff, um die Tumultuanten über seinem Haupte zu vertreiben.

– O Kater, der du dieses liesest, ist dir, trägst du wahren männlichen Sinn in der Brust, hellen Verstand im Kopf, hast du keine verwöhnte Ohren, ist dir, sage ich, denn jemals etwas abscheulicher, widriger, verhaßter und dabei erbärmlicher vorgekommen, als das kreischende, gellende durch alle Tonarten dissonierende Gebelle in Harnisch geratener Spitze? – Diese kleinen wedelnden, schmatzenden sich niedlich gebärdenden Kreaturen, nimm dich für sie in acht Kater! trau ihnen nicht. Glaube mir, eines Spitzes Freundlichkeit ist gefährlicher, als die hervorgestreckte Kralle des Tigers! – Schweigen wir von bittren Erfahrungen, die wir in dieser Hinsicht leider! nur zu oft gemacht und kehren wir zurück zu dem ferneren Verlauf unsrer Geschichte.

Also wie gesagt, der Herr ergriff die Peitsche, um die Tumultuanten vom Boden zu vertreiben. Was aber geschah! die Spitze schwanzwedelten dem erzürnten Herrn entgegen, leckten ihm die Füße und stellten ihm vor, wie aller Zeterlärm nur seiner Ruhe wegen erhoben, unerachtet er eben dadurch aus aller behaglichen Ruhe gekommen. Gebellt hätten sie bloß um uns, die wir allerlei unduldsamen Unfug trieben auf dem Dache mit Singen von Liedern in allzuhell klingenden Tonarten u. d. zu verjagen. Der Herr ließ sich leider durch der Spitze geschwätzige Beredsamkeit um so mehr dahin bringen, alles zu glauben, als der Hofhund, den er darum zu befragen nicht unterließ, in dem bittern Haß, den er wider uns im Innern trug, es bestätigte. Uns traf nun die Verfolgung! – Überall wurden wir vertrieben, von Hausknechten mit Besenstielen, mit geworfenen Dachziegeln, ja! überall waren Schlingen und Fuchseisen aufgestellt, in die wir uns verfangen sollten, und leider! wirklich verfingen. Selbst mein lieber Freund Muzius fiel ins Malheur, das heißt in ein Fuchseisen, welches ihm die rechte Hinterpfote jämmerlich zerquetschte!

 

So war es um unser fröhliches Zusammenleben geschehen, und ich kehrte zurück unter den Ofen des Meisters, beweinend in tiefer Einsamkeit das Schicksal meiner unglücklichen Freunde. —

– Eines Tages trat Herr Lothario, der Professor der Ästhetik in meines Herrn Zimmer und hinter ihm her – sprang Ponto herein.

Gar nicht zu sagen vermag ich, welch ein unangenehmes unheimliches Gefühl mir Ponto's Anblick verursachte. War er auch geradezu selbst weder Hofhund noch Spitz, so gehörte er doch zu dem Geschlecht, dessen üble feindselige Gesinnung mein Leben in der lustigen Katzburschen-Gesellschaft verstört hatte, und war schon deshalb mir mitsamt aller Freundschaft, die er mir erwiesen, dennoch zweideutig. Überdem schien mir in Ponto's Blick, in seinem ganzen Wesen etwas Übermütiges, Verhöhnendes zu liegen und ich beschloß daher, ihn lieber gar nicht zu sprechen. Leise, leise schlich ich weg von meinem Kissen, und war mit einem Satz im Ofen, dessen Türe gerade offen stand, die ich hinter mir anzog.

Herr Lothario sprach nun mit dem Meister so manches, was meine Teilnahme um so weniger erregte, als ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den jungen Ponto gerichtet hatte, der, nachdem er recht stutzermäßig ein Liedchen trällernd, im Zimmer herumgetänzelt, auf die Fensterbank gesprungen war, zum Fenster hinausschaute, und wie es Fanfarons zu tun pflegen, jeden Augenblick vorübergehenden Bekannten zunickte, auch wohl gar ein wenig blaffte, gewiß, um die Blicke vorübergehender Schönen seines Geschlechts auf sich zu ziehen. – An mich schien der Leichtsinnige gar nicht zu denken, und unerachtet ich, wie gesagt, ihn gar nicht zu sprechen wünschte, so war es mir doch gar nicht recht, daß er nicht nach mir fragte, gar keine Notiz von mir nahm.

Ganz anderer und wie es mich bedünken wollte, viel artigerer und vernünftigerer Gesinnung war der ästhetische Professor, Herr Lothario, der, nachdem er sich überall im Zimmer nach mir umhergeschaut, zu dem Meister sprach: Aber wo ist denn Euer vortrefflicher Monsieur Murr! —

Es gibt für einen ehrlichen Katzburschen keine schnödere Benennung, als das fatale Wort: Monsieur, indessen muß man von Ästhetikern in der Welt viel leiden, und so verzieh ich dem Professor die Unbill.

Meister Abraham versicherte, daß ich seit einiger Zeit meine eignen Gänge gehabt und vorzüglich nachts selten zu Hause gewesen, wovon ich denn müde und ermattet geschienen. Soeben habe ich auf dem Kissen gelegen und er wisse in der Tat nicht, wohin ich eben jetzt so schnell verschwunden.

Ich vermute, Meister Abraham, sprach der Professor weiter, daß Euer Murr – Doch ist er auch hier irgendwo versteckt und lauscht? – Laßt uns doch einmal ein wenig nachsehen.

Leise zog ich mich in den Hintergrund des Ofens, aber man kann denken, wie ich die Ohren spitzte, da nun von mir die Rede. – Der Professor hatte vergebens alle Winkel durchsucht zu nicht geringer Verwunderung des Meisters, der lachend rief: In der Tat, Professor, Ihr tut meinem Murr unglaubliche Ehre an!

Hoho, erwiderte der Professor, der Verdacht, den ich gegen Euch, Meister! hege, wegen des pädagogischen Experiments, vermöge dessen ein Kater zum Dichter und Schriftsteller wurde, kommt mir nicht aus der Seele. Gedenkt Ihr nicht mehr des Sonetts, der Glosse, die mein Ponto Eurem Murr recht unter den Pfoten weggeraubt? – Doch dem sei wie ihm wolle, ich nutze Murrs Abwesenheit, um Euch eine schlimme Vermutung mitzuteilen und Euch recht dringend zu empfehlen, achtsam zu sein auf Murrs Betragen. – So wenig ich mich sonst um Katzen bekümmere, doch ist es mir nicht entgangen, daß manche Kater, die sonst gar artig und manierlich waren, jetzt plötzlich ein Wesen annehmen, das gegen alle Sitte und Ordnung gröblich anstößt.

Statt wie sonst sich demütig zu biegen und zu schmiegen, stolzieren sie trotzig daher und scheuen sich gar nicht, durch funkelnde Blicke, durch zorniges Knurren, ihre ursprüngliche wilde Natur zu verraten, auch wohl gar die Krallen zu zeigen. So wenig sie auf ein bescheidenes, stilles Betragen achten, ebensowenig ist ihnen daran gelegen, was das Äußere betrifft, als gesittete Weltleute zu erscheinen. Da ist an kein Putzen des Bartes, an kein Glänzendlecken des Fells, an kein Abreißen der zu lang gewordenen Krallen zu denken; zottig und rauh, mit struppigem Schweif rennen sie daher, allen gebildeten Katzen ein Greuel und Abscheu. Was aber vorzüglich tadelnswert erscheint und nicht geduldet werden darf, sind die heimlichen Zusammenkünfte, die sie zur Nachtzeit halten und dabei ein tolles Wesen treiben, welches sie Gesang nennen, unerachtet dabei nichts vernehmbar als ein widersinniges Geschrei, dem es an schicklichem Takt, ordnungsmäßiger Melodie und Harmonie gänzlich mangelt. Ich fürchte, ich fürchte, Meister Abraham, daß Euer Murr sich auch auf die schlechte Seite gelegt hat und teilnimmt an jenen unanständigen Belustigungen, die ihm nichts einbringen können, als tüchtige Prügel. – Es sollte mir leid tun, wenn alle Mühe, die Ihr auf den kleinen Grauen verwandt, umsonst wäre und, er sich, trotz aller Wissenschaft, zu dem gewöhnlichen, wüsten Treiben gemeiner, liederlicher Kater herabließe. – Als ich mich, meinen guten Muzius, meine hochherzigen Brüder verkannt sah, auf so schnöde Weise, entfloh mir unwillkürlich ein Schmerzenslaut. Was war das, rief der Professor, ich glaube gar, Murr sitzt doch versteckt im Zimmer! – Ponto! Allons! – Such, such!“ – Mit einem Satz war Ponto herunter von der Fensterbank und schnüffelte im Zimmer umher. Vor der Ofentüre blieb er stehen, knurrte, bellte, sprang herauf. – Er ist im Ofen, das hat keinen Zweifel! so sprach der Meister und öffnete die Türe. Ich blieb ruhig sitzen und blickte den Meister mit klaren, glänzenden Augen an. Wahrhaftig, rief der Meister, wahrhaftig, da sitzt er ganz hinten im Ofen. – Nun? – bequemt Er sich hervorzukommen? – Ob er hinaus will!

So wenig ich auch Lust hatte, meinen Versteck zu verlassen, so mußte ich doch wohl dem Befehl des Meisters gehorchen, wollte ich es nicht auf Gewalt gegen mich ankommen lassen und dabei den kürzeren ziehen. Langsam kroch ich daher hervor. Kaum war ich aber an das Tageslicht gekommen, als beide, der Professor und der Meister, laut riefen: Murr! – Murr! wie siehst du aus! – Was sind das für Streiche! —

Freilich war ich über und über voller Asche und kam noch hinzu, daß wirklich mein Äußeres seit einiger Zeit merklich gelitten, so daß ich mich in der Schilderung, die der Professor von schismatischen Katern gemacht, wiedererkennen mußte, so konnte ich mir freilich die erbärmliche Figur, in der ich erschien, wohl denken. Verglich ich nun eben meine erbärmliche Figur mit der meines Freundes Ponto, der in seinem stattlichen, glänzenden, schön gekräuselten Pelz in der Tat ganz hübsch anzusehen, so erfüllte mich tiefe Scham, und ich kroch still und betrübt in den Winkel.

Ist das, rief der Professor, der gescheute, sittige Kater Murr? der elegante Schriftsteller, der geistreiche Dichter, der Sonette schreibt und Glossen? – Nein, das ist ein ganz gemeiner Katz, der sich in Küchen auf den Herden herumtreibt und sich auf sonst weiter nichts versteht, als Mäuse zu fangen in Kellern und auf Böden! – Hoho! sag' mir doch, mein sittiges Vieh, ob du bald zu promovieren verlangst oder gar das Katheder zu besteigen als Professor der Ästhetik? – In der Tat, ein netter Doktorhabit, in den du dich geworfen! —

So ging es fort in verhöhnenden Redensarten; was konnt' ich tun, als, wie es bei derlei Fällen, nämlich: wenn ich ausgehunzt wurde, meine Sitte war, die Ohren dicht ankneifen an den Kopf.

Beide, der Professor und der Meister, schlugen zuletzt eine helle Lache auf, die mir das Herz durchbohrte. Beinahe noch empfindlicher war mir aber Ponto's Betragen. Nicht allein, daß er durch Mienen und Gebärden den Hohn seines Herrn teilte, so bewies er auch durch allerlei Seitensprünge offenbar seine Scheu sich mir zu nahen, wahrscheinlich fürchtete er seinen schönen, reinen Pelz zu beschmutzen. Es ist nichts Geringes für einen Kater, der sich solcher Vortrefflichkeit bewußt ist, als ich, von einem stutzerhaften Pudel dergleichen Verachtung dulden zu müssen.

Der Professor geriet nun mit dem Meister in ein weitläuftiges Gespräch, das sich nicht auf mich und auf mein Geschlecht zu beziehen schien und von dem ich eigentlich wenig verstand. Doch so viel vernahm ich wohl, daß davon die Rede war, ob es besser sei, dem oftmals wirren, ungezügelten Treiben exaltierter Jugend mit offner Gewalt entgegenzutreten, oder es nur einzugrenzen auf geschickte, unbemerkbare Weise und Raum zu geben der eignen Erkenntnis, in der sich jenes Treiben alsbald selbst vernichtet. Der Professor war für die offene Gewalt, da die Gestaltung der Dinge zum äußern Wohl es fordere, daß jeder Mensch, alles Widerstrebens unerachtet, so zeitig als möglich in die Form gepreßt werde, wie sie durch das Verhältnis aller einzelnen Teile zum Ganzen bedingt werde, da sonst sogleich eine verderbliche Monstruosität entstehe, die allerlei Unheil verursachen könne. – Der Professor sprach dabei etwas von Pereatbringen und Fenstereinwerfen, welches ich aber durchaus nicht verstand. – Der Meister meinte dagegen, daß es mit jugendlichen, exaltierten Gemütern so gehe, wie mit Partiell-Wahnsinnigen, die der offne Widerstand immer wahnsinniger mache, wogegen die selbst errungene Erkenntnis des Irrtums radikal heile und nie einen Rückfall befürchten lasse.

Nun, rief der Professor endlich, indem er aufstand und Stock und Hut ergriff, nun, Meister, was die offne Gewalt gegen exaltiertes Treiben betrifft, so werdet Ihr mir doch insofern recht geben, daß sie da schonungslos eintreten muß, wenn jenes Treiben verstörend hineingreift in das Leben und so ist es nun, wieder auf Euern Kater Murr zurückzukommen, denn doch recht gut, daß, wie ich höre, tüchtige Spitze die verwünschten Kater auseinander getrieben haben, die so bestialisch sangen und dabei wunder sich große Virtuosen dünken.

Wie man es nimmt, erwiderte der Meister, hätte man sie singen lassen, vielleicht wären sie das geworden, was sie sich irrtümlicherweise schon zu sein dünkten, nämlich: in der Tat gute Virtuosen, statt daß sie jetzt vielleicht an der wahren Virtuosität zweifeln ganz und gar.

Der Professor empfahl sich, Ponto sprang hinterdrein, ohne mich einmal, wie er doch sonst mit vieler Freundschaft getan, eines Abschiedsgrußes zu würdigen.

Ich bin selbst bisher unzufrieden gewesen mit deinem Betragen, Murr, wandte sich nun der Meister zu mir, und es ist Zeit, daß du einmal wieder ordentlich und vernünftig wirst, damit du wieder zu besserm Ruf gelangest, als in dem du jetzt zu stehen scheinst. Wäre es möglich, daß du mich ganz verstündest, so würde ich dir raten, immer still, freundlich zu sein, und alles, was du beginnen magst, ohne alles Geräusch zu vollbringen, denn auf diese Weise erhält man sich den guten Ruf am besten. – Ja, ich würde dir als Beispiel zwei Leute zeigen, von denen der eine jeden Tag still für sich allein im Winkel sitzt, und so lange eine Flasche Wein nach der andern trinkt, bis er in völlig trunknen Zustand gerät, den er aber vermöge langer praktischer Übung so gut zu verbergen weiß, daß ihn niemand ahnet. Der andere trinkt dagegen nur dann und wann in Gesellschaft fröhlicher, gemütlicher Freunde ein Glas Wein; das Getränk macht ihm Herz und Zunge frei, er spricht, indem seine Laune steigt, viel und eifrig, doch ohne Sitte und Anstand zu verletzen, und eben ihn nennt die Welt einen leidenschaftlichen Weintrinker, während jener geheime Trunkenbold für einen stillen, mäßigen Mann gilt. Ach, mein guter Kater Murr! Kenntest du den Lauf der Welt, so würdest du einsehen, daß ein Philister, der stets die Fühlhörner einzieht, es am besten hat. Aber wie kannst du wissen, was ein Philister ist, unerachtet es wohl in deinem Geschlecht auch dergleichen genug geben mag.

Bei diesen Worten des Meisters konnte ich mich im Bewußtsein der vortrefflichen Katerkenntnis, die ich mir durch des wackern Muzius Belehrungen sowohl, als durch eigne Erfahrung erworben, eines lauten, freudigen Prustens und Knurrens nicht erwehren.

 

Ei Murr, mein Kater! rief der Meister laut lachend, ich glaube gar, du verstehst mich, und der Professor hat recht, der in dir einen besonderen Verstand entdeckt haben will, und dich gar fürchtet, als seinen ästhetischen Nebenbuhler?

Zur Bestätigung, daß dem wirklich so sei, gab ich ein sehr klares, wohltönendes Miau von mir und sprang ohne weiteres dem Meister auf den Schoß. Nicht bedacht hatte ich indessen, daß der Meister gerade seinen Staatsschlafrock von gelbem, großgeblümtem, seidenem Zeuge angezogen, den ich notwendigerweise beschmutzen mußte. Mit einem zornigen: Will Er wohl! schleuderte der Meister mich so heftig von sich, daß ich überpurzelte, und ganz erschrocken die Ohren ankneifend, die Augen zudrückend, niederduckte auf den Fußboden. Gepriesen sei aber die Gutmütigkeit meines guten Meisters! Nun, sprach er freundlich, nun, nun, Murr, mein Kater! so böse war es nicht gemeint! – Ich weiß es, deine Absicht war gut, du wolltest mir deine Zuneigung beweisen, aber das tatst du auf täppische Weise, und geschieht dieses, so fragt man freilich den Henker was nach der Absicht! – Nun, komm nur her, kleiner Äscherling, ich muß dich putzen, damit du wieder aussiehst, wie ein honetter Kater! —

Damit warf der Meister den Schlafrock ab, nahm mich in die Arme und ließ es sich nicht verdrießen, mir mit einer weichen Bürste den Pelz rein zu bürsten und dann die Haare mit einem kleinen Kamm glänzend zu kämmen.

Als die Toilette geendet und ich bei dem Spiegel vorüberspazierte, erstaunte ich selbst, wie ich so plötzlich ein ganz anderer Kater worden. Ich konnt' es gar nicht unterlassen, mich selbst behaglich anzuschnurren, so schön kam ich mir vor und nicht leugnen mag ich, daß in dem Augenblick sich große Zweifel gegen die Anständigkeit und Nützlichkeit des Burschenklubs in mir regten. Daß ich in den Ofen gekrochen, schien mir ein wahrer Barbarismus, den ich nur einer Art Verwilderung zuschreiben konnte, und nicht einmal nötig war daher die Warnung des Meisters, der mir zurief: Daß Er mir nur nicht wieder in den Ofen kriecht!

In der folgenden Nacht war es mir, als vernehme ich an der Türe ein leises Kratzen und ein furchtsames Miau! das mir sehr bekannt vorkam. Ich schlich heran und fragte, wer da sei? – Da erwiderte (ich erkannte ihn sogleich an der Stimme) der wackere Senior Puff: Ich bin es, trauter Bruder Murr, und habe dir eine höchst betrübte Nachricht zu bringen! – O Himmel, was —

(Mak.-Bl.) – großes Unrecht getan, meine liebe süße Freundin. – Nein! mehr bist du mir als das, meine treue Schwester! Ich habe dich nicht genug geliebt, dir nicht genug vertraut. Erst jetzt öffnet sich dir meine ganze Brust, erst jetzt, da ich weiß —

Die Prinzessin stockte, ein Tränenstrom stürzte ihr aus den Augen, aufs neue drückte sie Julien zärtlich an ihr Herz.

Hedwiga, sprach Julie sanft, hast Du mich denn nicht sonst mit ganzer Seele geliebt, trugst Du denn jemals Geheimnisse in Dir, die Du mir nicht vertrauen wolltest? – Was weißt Du, was hast Du erst jetzt erfahren! Doch nein, nein! kein Wort weiter, bis diese Pulse wieder ruhig schlagen, bis diese Augen nicht mehr so düster glühen. —

Ich weiß nicht was Ihr alle wollt, erwiderte die Prinzessin plötzlich zur Empfindlichkeit gereizt. Krank soll ich noch sein und nie fühlte ich mich kräftiger, gesünder. Der seltsame Zufall, der mich traf, hat Euch erschreckt, und doch mag es sein, daß solche elektrische Schläge, die den ganzen Organismus des Lebens in's Stocken bringen, mir gerade nötig und nützlicher sind, als alle Mittel, die eine blöde, dürftige Kunst in unglückseliger Selbsttäuschung darbietet. – Wie er mir fatal ist, dieser Leibarzt, der die menschliche Natur zu handhaben vermeint wie ein Uhrwerk, das man abstäuben, aufziehen muß. – Grauenhaft ist er mir mit seinen Tropfen, mit seinen Essenzen. – Von diesen Dingen soll mein Wohl abhängig sein? – So wäre ja das Leben hienieden eine entsetzliche Neckerei des Weltgeistes. —

Und eben diese Überspannung ist der Beweis, unterbrach Julie die Prinzessin, daß Du noch krank bist, meine Hedwiga, und Dich viel mehr schonen solltest, als Du es wirklich tust.

Auch Du willst mir weh tun! So rief die Prinzessin, sprang hastig auf und eilte ans Fenster, das sie öffnete und hinaus schaute in den Park. Julia folgte ihr nach, umschlang sie mit einem Arm, und bat mit der zärtlichsten Wehmut, daß sie doch wenigstens den rauhen Herbstwind scheuen und sich die Ruhe gönnen möge, die der Leibarzt für so heilsam geachtet. Die Prinzessin erwiderte indessen, daß sie sich gerade durch den kalten Luftzug, der zum Fenster hereinströme, erquickt und gestärkt fühle.

Recht aus dem innigsten Gemüt heraus sprach nun Julia von der letztvergangenen Zeit, in der ein finster, bedrohlicher Geist gewaltet, und wie sie alle innere Kraft aufbieten müssen, um nicht verstört zu werden von so mancher Erscheinung, die ihr ein Gefühl erregt, dem sie kein anderes gleichstellen könne, als die wahre, tötende Gespensterfurcht. Dahin rechnete sie vorzüglich den geheimnisvollen Zwiespalt, der sich zwischen dem Prinzen Hektor und Kreisler erhoben, und der das Entsetzlichste ahnen lassen, denn nur zu gewiß sei es, daß der arme Johannes fallen sollen von der Hand des rachsüchtigen Italieners, und nur, wie Meister Abraham versichere, durch ein Wunder gerettet worden.

Und dieser furchtbare Mann, so sprach Julia, er sollte Dein Gemahl werden? – Nein, – nimmermehr! Dank der ewigen Macht! Du bist gerettet! Niemals kehrt er zurück. Nicht wahr, Hedwiga? Niemals!

Niemals, erwiderte die Prinzessin mit dumpfer, kaum vernehmbarer Stimme. Dann seufzte sie auf aus tiefer Brust und sprach leise weiter wie im Traume: Ja dieses reine Himmelsfeuer soll nur leuchten und wärmen, ohne mit verderblichen Flammen zu vernichten und aus der Seele des Künstlers leuchtet die zum Leben gestaltete Ahnung – sie selbst – seine Liebe hervor! So sprachst Du hier an dieser Stelle. —

Wer sprach so? rief Julia ganz bestürzt. – An wen dachtest Du, Hedwiga?

Die Prinzessin fuhr mit der Hand über die Stirne, als müsse sie sich besinnen auf die Gegenwart, der sie entrückt. Dann wankte sie von Julien unterstützt, zum Sofa, auf dem sie sich ganz erschöpft niederließ. Julia, um die Prinzessin besorgt, wollte die Kammerfrauen herbeirufen, Hedwiga zog sie aber sanft nieder auf den Sofa, indem sie leise lispelte: Nein, Mädchen! – Du, Du allein sollst bei mir bleiben, glaube ja nicht, daß mich etwa Krankheit erfaßt. – Nein, es war der Gedanke der höchsten Seligkeit, der zu mächtig wurde, der diese Brust sprengen wollte, und dessen Himmelsentzücken sich gestaltete wie tötender Schmerz. Bleibe bei mir, Mädchen, Du weißt es selbst nicht, welch einen wunderbaren Zauber Du über mich zu üben vermagst! – Laß mich schauen in Deine Seele, wie in einen klaren, reinen Spiegel, damit ich mich selbst nur wiedererkenne! – Julia! oft ist es mir, als käme die Begeisterung des Himmels über Dich, und die Worte, die wie Liebeshauch über Deine süßen Lippen strömten, wären trostreiche Prophezeiung. Julia! – Mädchen, bleibe bei mir, verlasse mich nie – nie!

Damit sank die Prinzessin, indem sie Julias Hände festhielt, mit geschlossenen Augen zurück in den Sofa.

Wohl war Julia an Augenblicke gewöhnt, in denen Hedwiga geistig krankhafter Überspannung erlag, doch fremd, ganz fremd und rätselhaft war ihr der Paroxysmus, wie er sich eben jetzt zeigte. Sonst war es eine leidenschaftliche Verbitterung, die, erzeugt von dem Mißverhältnis des innern Gefühls mit der Gestaltung des Lebens, beinahe bis zum Gehässigen sich steigernd, Julias kindliches Gemüt verletzte. Jetzt schien Hedwiga, wie sonst niemals, ganz aufgelöst im Schmerz und namenloser Wehmut, und dieser trostlose Zustand rührte Julien in eben dem Grade, als ihre Angst stieg um die geliebte Freundin.