Berufsbildung (E-Book)

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Zweite Revision des BBG – der abgebrochene Aufbruch

1970 tritt der SVBU mit einer grossen Tagung unter dem Schlagwort «Berufsbildung im Umbruch» an die Öffentlichkeit. Die Analyse, wonach «zu lange für zu viele zu wenig getan» worden sei, führt zur Forderung: «Die Berufsbildung ist durch Sofortmassnahmen zu verbessern sowie durch mittelfristige und langfristige Pläne auf die Erfordernisse der Zukunft auszurichten.» [1970h] Die Zeit für einen grossen Schritt nach vorn scheint reif zu sein, die Öffentlichkeit erwartet Verbesserungen, auch angeregt durch die 1968 beginnende Studentenbewegung, die Beispiele schlechter Ausbildung in Berufslehren medienwirksam recherchiert hatte. [1970j]

1970/71 werden von Behörden und Berufsverbänden Reformkonzepte präsentiert. Im Parlament werden mehr einschlägige Vorstösse deponiert als je zuvor. Sogar der Schweizerische Gewerbeverband, nach 1930 eher zu einer konservativ reagierenden Kraft geworden, verlangt Kurse zur systematischen Einführung in die Berufsarbeit und mehr Allgemeinbildung. Der Bundesrat fordert einen echten qualitativen Fortschritt und setzt eine eidgenössische Expertenkommission ein, die diesen vorbereiten soll. Sie präsentiert ihren Schlussbericht 1972. (Grübel 1972)

Nicht nur in der Berufsbildung herrscht Aufbruchstimmung. 1973 wird dem Volk einen Zusatz zur Abstimmung vorgelegt, der ein «Recht auf Bildung» verlangt. Er wird aber vom Volk abgelehnt. [1973a]

Im Zusammenhang mit dem Jom-Kippur-Krieg und der Ölpreiskrise 1973 fällt die Wirtschaft in die erste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Hoffnung, die zuständigen Behörden und Verbände sicherten Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung auf Dauer, verschwindet. Die Stimmung kippt. 1974 diskutiert man über Lehrstellenmangel und Umschulung und nicht über Modernisierung und Qualitätssteigerung.

Zwar wird das Berufsbildungsgesetz revidiert und 1978 verabschiedet. Es enthält einige Reformen von Bedeutung. Von einem Aufbruch, wie ihn 1970 breite Kreise von Politik, Gewerbe und Medien verlangt haben, kann aber nicht mehr gesprochen werden.

Rückblickend ist vor allem die Einsicht hervorzuheben, dass für besonders Begabte und für leistungsschwächere Jugendliche zusätzliche Massnahmen nötig sind. Dazu wurde die Berufsmittelschule eingeführt, Freifächer wurden aufgewertet, die Unterstützung der Vorbereitung auf die Berufslehre («Vorlehre») beschlossen sowie Stützkurse und − als heiss umstrittener Punkt − die Anlehre eingeführt. Wichtig ist auch die Stärkung der Lehrmeisterkurse und ein Obligatorium für Einführungskurse.

Mehr zu BBG 1978 in Kapitel 07, zu Leistungsschwachen und -starken in Kapitel 18 und 25

«Nicht-BIGA-Berufe»

Wie hier dargelegt, war die Gültigkeit des Berufsbildungsgesetzes während des ganzen 20. Jh. und damit auch der Wirkungskreis der Bundesbehörde eingeschränkt. Berufe wie Pflegefachfrau, Landwirt, Altenpflegerin, Briefträger, Förster, Käser, Balletttänzerin, Kondukteur, Naturheilerin, Masseur etc. fielen nicht darunter und wurden – wenig glücklich – unter dem Begriff «Nicht-BIGA-Berufe» geführt. 1985 beispielsweise umfasste die Ausbildung in Berufen mit Regelungen ausserhalb des Berufsbildungsgesetzes 16 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse in der Grundbildung. Wie Grafik 3 zeigt, verschwindet die Differenz ab 2004 weitgehend, denn ab 2004 gilt das Berufsbildungsgesetz für alle Bereiche der nichtakademischen Berufsbildung, vgl. hier.

Auf die Bereiche Landwirtschaft und Gesundheitsberufe sowie auf die sog. Monopolberufe gehe ich in diesem Buch ein. Im Wissen, dass viele weitere Bereiche wie Musik, Forstwesen und Bildung, dass soziale und künstlerische Berufe etc. auch eine Darstellung verdient hätten. Teilweise fehlt der Platz zu ihrer Darstellung, teilweise das nötige Wissen … Wt

Land und milchwirtschaftliche Berufsbildung

Landwirtschaft und Forstwesen verfügen über Gesetze, in denen bis zum Inkrafttreten der BV-Revision 1999 und des darauf aufbauenden BBG 2002 auch das Bildungswesen geregelt wird, vgl. dazu hier.

Nichtärztliche Gesundheitsberufe

Pioniere in der Ausbildung in der Pflege waren religiös geprägte Gemeinschaften. Davon unabhängig entstehen Ende des 19. Jahrhunderts erste Pflegefachschulen, die jeweils mit benachbarten Spitälern zusammenarbeiten. Regelungen auf nationaler Ebene gibt es keine. 1976 beauftragen die Kantone das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) mit der Entwicklung der Umsetzung von Grundsätzen für die Aus- und Weiterbildung. Wichtigste Entwicklungsstufe ist ein 1992 in Kraft gesetztes Konzept. Es sieht vor, dass der Eintritt in die Pflegeausbildung nach zehn Schuljahren erfolgt und die Diplomausbildung in zwei Niveaus gesplittet wird, DM I mit Ausbildungsdauer von drei Jahren und DM II mit vierjähriger Ausbildung. Auf Fachrichtungen (z. B. Kinderkrankenpflege, Psychiatriepflege) wird verzichtet. Hingegen wird ein Assistenzberuf mit zweijähriger Ausbildung eingeführt.

Berufsbildung im Gesundheitswesen ist Thema von Kapitel 15, jene in Monopolberufen von Kapitel 16


Grafik 3 Lernende in BBG-anerkannten Lehrverhältnissen im Vergleich mit der Zahl aller Lernenden in der beruflichen Grundbildung

Ab 1999 wird das Ausbildungssystem dem in andern Bereichen üblichen System mit beruflicher Grundbildung nach abgeschlossener Volksschule und Diplomausbildung auf der Tertiärstufe angepasst und ab 2004 der Bundesbehörde unterstellt.

Monopolberufe

Die Einführung von Eisenbahn, Post, Telefon und Telegraf im 19. Jh. führte zur Entstehung neuer Berufe. Ihr Betrieb wird nach und nach zur Bundesaufgabe erklärt, was Monopole begründet. Später wird für Berufe, die fast nur bei solchen staatlichen oder staatsnahen Arbeitgebern eine Anstellung finden, der Begriff «Monopolberufe» geprägt. Ihre Ausbildung übernehmen die Betriebe meist selbst, teilweise aufbauend auf «Verkehrsschulen», einer bis gegen Ende des 20. Jh. existierenden Form von Handelsschulen. [1910f] Aus den Ausbildungsgängen vieler, aber nicht aller Monopolberufe wurden in den 1990er-Jahren Berufslehren nach BBG.

Sekundarstufe II und Tertiärstufe

In den 1980er- und 1990er-Jahren ändert sich nicht nur viel in der Arbeitswelt, auch im Bildungswesen bewegt sich einiges.

Bildungsgänge und Bildungsabschlüsse werden vermehrt miteinander verglichen, auch international. Ein Mittel dazu ist die Übernahme der «International Standard Classification of Education (ISCED)» zur Beschreibung und statistischen Erfassung des Bildungswesens. Dieses System, entwickelt von der UNESCO und in den 1980er-Jahren von der Schweiz übernommen, teilt Bildungsmassnahmen einer von sechs Stufen zu, vgl. Grafik 4. Für die Berufsbildung sind die Stufen «3-Sekundarstufe II» und «5-Tertiärstufe I» von besonderer Bedeutung: Berufslehren von drei oder vier Jahren werden Stufe 3B zugeordnet, kürzere der Stufe 3C. Die höhere Berufsbildung und die Fachhochschulen der Stufe 5B.

Berufliche Grundbildung − Teil der Sekundarstufe II?

Gemäss der UNESCO-Klassifikation ISCED ist diese Frage klar mit Ja zu beantworten. Die Bildungspolitik tut sich damit aber schwer. Gymnasien und Berufslehren richten sich zwar an die gleiche Altersgruppe, aber von Herkunft und Zielsetzung unterscheiden sie sich stark. Sie unterstehen bis heute unterschiedlichen Rechtssystemen und unterschiedlichen Finanzierungsregelungen.

Ein erster Versuch, beide Systeme als Teil eines Ganzen zu verstehen, hängt mit dem beschriebenen Aufbruch der Bildungspolitik in den 1970er-Jahren zusammen. Mit der Verfassungsrevision 1973 (Recht auf Bildung, siehe hier) wollte der Bundesrat erreichen, «dass die Berufsbildung einen gleichwertigen Platz neben allen andern Ausbildungsrichtungen einnimmt und somit auch die gleiche Förderung verdient wie diese». (Bbl 1972 I, 427) − aber wie beschrieben, diese Verfassungsrevision scheiterte in der Volksabstimmung.

Ein anderer Ansatz kommt aus der Arbeits- und Berufspädagogik: Für den Erfolg in der Arbeitswelt sind oft nicht bestimmte Kenntnisse erforderlich, sondern Qualifikationen wie Kommunikationsfähigkeit oder Problemlösungskompetenz, damals «Schlüsselqualifikationen» genannt. In den 1980er-Jahren wird Fachleuten deutlich, dass selbst die Grenzen zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung immer unschärfer werden, beispielsweise beim Erwerb von Fremdsprachen.


ISCED-97
0Vorschule
1Primarstufe
2Sekundarstufe I
33A3B3CSekundarstufe IIallgemeinbildend (> 2 Jahre)berufsbildend (3−4 Jahre)berufsbildend (1−2 Jahre)
4Zweitausbildung nichttertiäre Stufe
55A5BTertiärstufe Iwissenschaftsorientiertberufsorientiert
6Tertiärstufe II

Grafik 4 ISCED Version 97

1992 ergreift die Schweizerische Konferenz der kant. Erziehungsdirektoren (EDK), die sich während Jahrzehnten kaum um die Berufsbildung gekümmert hatte, die Initiative, «einen ständigen und konstruktiven Dialog unter diesen Bildungswelten» zu etablieren (EDK 1996, 5), was eine gewisse Annäherung bringt.

 

Mehr zur Sekundarstufe II in Kapitel 28

Wichtiger − vor allem für Jugendliche und Eltern − ist aber die Tatsache, dass die Wege aus der Sekundarstufe II in die Tertiärstufe durchlässig wurden: Seit 2005 ist es möglich, mit Berufslehre und Berufsmaturität ohne grösseren Zeitverlust auch an Hochschulen zu studieren und mit einem Mittelschulabschluss zu ähnlichen Bedingungen in die höhere Berufsbildung überzutreten.

Dynamische Entwicklung in der Tertiärstufe

Bereits bei den Zünften geht es nicht nur um die berufliche Grundbildung (Berufslehre), sondern auch um Weiterbildung (Wanderschaft) und zudem um das, was wir heute als Höhere Berufsbildung bezeichnen, die Vorbereitung auf die Meisterprüfung. Diese Dreiteilung wird ins erste Bundesgesetz übernommen: Berufslehre − Weiterbildung − Meisterprüfungen und sie strukturiert auch heute noch diesen Teil des Bildungswesens.


Grafik 5 Entwicklung der Tertiärstufe

Die Meisterprüfungen wurden zu einem Teil der höheren Fachprüfungen, vgl. Grafik 5. Bereits 1909 definierte der SKV die «Fachprüfung für Buchhalter», die heute als älteste Höhere Fachprüfung ausserhalb der Meisterprüfungen gilt. [1909d] 1962 kommen die «Berufsprüfungen» dazu, die etwas weniger hohe Anforderungen stellen und bis Ende des Jahrhunderts viermal häufiger abgelegt werden als die Höhere Berufsprüfung.

Bereits 1874 ist in Winterthur das erste Technikum gegründet worden als Schule auf mittlerem Niveau zwischen Berufslehre und Hochschulen. Nach und nach entstanden weitere Technika, später auch Abendtechnika. Ab 1963 heissen sie «Höhere Technische Lehranstalten», ab 1978 «Ingenieurschulen» und ab 2007 sind es Teile von Fachhochschulen. Damit gehören sie nicht mehr zur höheren Berufsbildung, sondern zu den Hochschulen.

Dabei ist eine neue Lücke entstanden, eine Lücke zwischen der Berufslehre und der Ingenieurausbildung. Eine Lücke, die seit 1970 durch die «Technikerschulen» geschlossen wird, die ihrerseits seit 1978 zusammen mit anderen Schulen auf gleichem Niveau als «Höhere Fachschulen» bezeichnet werden.

Berufsbildung an Hochschulen

«Gute Studentinnen und Studenten studieren ein Fach, weil sie es interessant finden, nicht um damit ihre Brötchen zu verdienen.» Diese Behauptung traf wohl bis weit ins 20. Jh. hinein für manche Studierende zu und hat für einige Fakultäten immer noch seine Richtigkeit. Aber «schon immer» gab es neben den «artes liberales» auch die «artes mechanicae», die im Hinblick auf deren Anwendung im Erwerbsleben studiert wurden, zum Beispiel Medizin und Jurisprudenz.

Seit der Aufklärung, seit die Bedeutung von «Wissen» für die Bewältigung der täglichen Aufgaben immer wichtiger wird, nimmt die Zahl der Berufe zu, die an Hochschulen erlernt werden, und es entstehen neue Hochschulen. Ein Beispiel ist die 1855 gegründete «Polytechnische Hochschule», ab 1911 als Eidgenössische Technische Hochschule bezeichnet.

Aus Höheren Fachschulen werden Hochschulen

Ein grosser Schub in dieser Entwicklung findet in den 1990er-Jahren statt: Wie oben erwähnt, werden gewisse Höhere Fachschulen und die Lehrerbildungsanstalten zu Hochschulen.

Wie es Deutschland bereits 1968 entschieden hatte, beschliessen 1991 der Bund und die Kantone, aus Höheren Fachschulen eine neue Form von Hochschulen zu bilden, die Fachhochschulen. Anlass dafür sind Vorstösse seitens der Technika, Diskussionen in der Europäischen Gemeinschaft um Angleichung der Abschlüsse, Kritik der OECD und weitere «internationale Bezüge» (Gonon 1998). Anlass sind zudem der Rückgang der Zahl der Lehrverträge nach 1985 (siehe hier) und der Nachwuchsbedarf der Wirtschaft.

Damit eine Schule international als Hochschule anerkannt wird, müssen einige Bedingungen erfüllt sein, u. a. bezüglich der Vorbildung der Studierenden. Die «Berufsmaturität» wird eingeführt und die 1968 geschaffene Berufsmittelschule 1993 dazu erkoren, auf sie vorzubereiten.

Eine Hochschule betreibt auch Forschung. Der Leistungsauftrag der höheren Fachschulen wird deshalb um «angewandte Forschung und Entwicklung» ergänzt. Eine Hochschule braucht eine gewisse Grösse. Die 58 Höheren Fachschulen der Bereich Technik, Wirtschaft und Gestaltung werden zu sieben regionalen Fachhochschulen zusammengelegt.


Abbildung 10 Gegen die Revisionen 1963 und 1978 wurde das Referendum ergriffen, 1978 seitens des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SSA Zürich)

Regelungen von Bund und Kantonen

1995 wird die gesetzliche Grundlage zur Schaffung der Fachhochschulen von den eidg. Räten angenommen, 1997 nehmen die sieben Fachhochschulen den Unterrichtsbetrieb auf.

Das alles betrifft die Schulen derjenigen Bereiche, die der Bund steuert, also Technik, Wirtschaft, Gestaltung. Höhere Fachschulen in den Bereichen soziale Arbeit, Gesundheit, Hauswirtschaft und angewandte Psychologie unterstehen den Kantonen. Unter der Leitung der Erziehungs- und der Sanitätsdirektorenkonferenz (EDK und SDK) werden sie vorbereitet, Teil der sieben Fachhochschulen zu werden, wozu das Fachhochschulgesetz 2005 angepasst wird.

Aber damit ist diese Reformwelle noch immer nicht abgeschlossen: 1999 hat die Schweiz die Deklaration von Bologna unterschrieben und sich damit verpflichtet, bei den Hochschulen eine zweistufige Studienstruktur einzuführen. Aus den Fachhochschulabschlüssen werden 2005 Bachelor-Abschlüsse. Für eine Minderheit der Studierenden (gedacht waren 10 Prozent) werden forschungsorientierte Masterstudiengänge eingeführt.

Mehr zur höheren Berufsbildung und zu den Hochschulen in den Kapiteln 29 und 30

1980er- und 1990er-Jahre

Am 1. Januar 1980 trat die 1978 verabschiedete Version der BBG in Kraft. Am 9. März 1998 beginnen die Arbeiten an der nächsten Revision des Gesetzes. Dazwischen ist in der Schweizer Berufsbildung mehr geschehen als in den 50 Jahren davor.

Zwei Revisionen der Bundesverfassung wirken sich aus: 1981 wird sie durch den Gleichstellungsartikel ergänzt. Es dauert zwar 15 Jahre, bis er in einem Gesetz umgesetzt wird, doch in der Zwischenzeit tut sich in der Berufsbildung bereits einiges, unter anderem im Rahmen der Weiterbildungsoffensive, siehe hier. 1999 wird die Regelungskompetenz des Bundes auf alle Bereiche der nichtakademischen Berufsbildung ausgeweitet, was sehr viel verändert, siehe hier.

Frauen in der Berufsbildung, thematisiert in Kapitel 17

Grosse Auswirkungen haben auch die Veränderungen in der Arbeitswelt. Die Schweiz erlebt in diesen zwanzig Jahren zwei Rezessionen mit einer Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 6 Prozent und dazwischen eine Hochkonjunktur mit grossem Arbeitskräftemangel. Gleichzeitig veränderten sich die Strukturen der Wirtschaft: Von 1975 bis 1995 sinkt der Anteil der Arbeitenden im Sekundärsektor von 40 Prozent auf 27 Prozent. Die Hälfte aller Uhrenfirmen schliessen als Folge des Aufkommens elektronischer Uhren. Die Fusion von SSIH und ASUAG steht für den Start eines neuen Aufschwungs, realisiert durch Elektronik, neue Fertigungstechnik und neues Marketing. [1983h]


Abbildung 11 Akademische Bildung als Basis für die Erwerbstätigkeit (Wandbild in der ETHZ)

Numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen und die Automatisation verändern die Arbeitsprozesse in der MEM-Industrie tiefgreifend: Unter den Schlagwörtern «lean production» und «just in time production» revolutionieren japanische Formen der Arbeitsorganisation weite Teile der Industrie. Die Arbeitenden bekommen mehr Gestaltungsspielraum bei der Arbeit, müssen aber mehr Verantwortung für deren Resultate übernehmen. [1990d] Dies stellt neue Anforderungen an sie, auf die besonders die MEM-Industrie mit neuen Ausbildungskonzepten reagiert, siehe hier.


Abbildung 12 Mit der Einführung des IBM PC erobert die «Elektronische Datenverarbeitung» auch die Büros. Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Diktiermaschinen und Buchhaltungsmaschinen werden abgelöst (Keystone Press/Alamy Stock Foto)

Informations- und Kommunikationstechnik als neue Möglichkeit und neue Anforderung

Die Miniaturisierung der Elektronik führt zu neuen Möglichkeiten der Datenverarbeitung. In zwei «Impulsprogrammen» 1978−1982 und 1983−1987 wird die Informationstechnologie an Hochschulen und an Ingenieurschulen gefördert und die Ausbildung von Softwareingenieuren durch die Schaffung der «Softwareschule Schweiz» ermöglicht. [1978e] 1981 wird breiten Kreisen bewusst, dass Computer und Datenverarbeitung auch ihre eigene Tätigkeit verändern werden, denn in diesem Jahr bringt IBM mit massiver Werbung den «PC» auf den Markt.

An den kaufmännischen Berufsschulen wird 1974 «EDV» zum obligatorischen Schulfach. Die Träger der gewerblich-industriellen Berufslehren folgen erst zehn Jahre später: 1984 wird Computertechnik Teil der Elektronikerausbildung. [1967e; 1984c] Zu dieser Zeit wird auch deutlich, das IKT-Kenntnisse zu den Basisqualifikationen gehören: 1985 werden die Berufsschulen angewiesen, allen Lehrlingen in zwanzig Lektionen die Grundlagen der IT zu vermittelt, wozu das BIGA ein multimediales Unterrichtsprogramm entwickeln lässt. [1985a]

Mehr zur IKT in der Berufsbildung in Kapitel 26, zur Weiterbildung in Kapitel 31

«Weiterbildungsoffensive»

Die oben erwähnten Veränderungen der Arbeitswelt verlangen nach Weiterbildung der Arbeitenden. Im Jahr 1989, noch während der Hochkonjunktur, schlägt der Bundesrat «Sondermassnahmen zugunsten der beruflichen und universitären Weiterbildung sowie zur Förderung neuer Technologien im Fertigungsbereich (CIM)» vor, um den Mangel an Schweizer Fachkräften zu mildern. [1990b] Im Rahmen der sogenannten Weiterbildungsoffensive werden für die berufliche Weiterbildung 150 Mio. Fr. vorgesehen, verteilt auf sechs Jahre. Damit sollten in erster Linie die Höheren Fachschulen (Ingenieurschulen) gefördert werden. Erwähnt werden aber auch die Weiterbildung gelernter Berufsleute (Vorbereitung auf Berufs- und Höhere Fachprüfungen), die Weiterbildung von Lehrpersonen an Berufsschulen, die Nachholbildung für Ungelernte und der Wiedereinstieg von Frauen. [1990b]

Massnahmen für Stellenlose

Bildung wird bereits in den 1930er-Jahren und dann wieder nach dem «Ölschock» 1973 als Hilfsmittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit eingesetzt. Unter anderem wird ab 1983 ein modulares System zur Förderung von Informatikkenntnissen realisiert. [1983c] Auf dieser Basis und auf Massnahmen zur Standortbestimmung werden ab 1991, zu Beginn der zweiten grossen Arbeitslosigkeit des Jahrhunderts, Bildungsmassnahmen im breiten Stil angeboten, basierend auf Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Träger sind grossenteils neu geschaffene Bildungsinstitutionen. Die etablierten Anbieter von beruflicher Aus- und Weiterbildung (Berufsschulen, Lehrwerkstätten, Handelsmittelschulen) beteiligten sich wenig daran. Es entsteht ein eigenes Bildungssystem mit wenig Kontakten zur Berufsbildung nach BBG, was der Durchlässigkeit abträglich ist. (Wiebel 1997) [BG-Arbeitsmarkt; AMM]