Berufsbildung (E-Book)

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Übersicht über die Entwicklung
Anfänge der Berufsbildung

Seit es Kulturen gibt, stehen die Menschen vor der Frage, wie sie das Wissen und Können, das ihre Kultur ausmacht, an die nächste Generation weitergeben. Sie stehen vor der Frage, wie sie dem Nachwuchs beibringen können, wie man jagt, wie man Nahrung zubereitet und Musik macht, wie man Werkzeuge, Gefässe, Schmuck herstellt, wie man kämpft, heilt, handelt und Götter gnädig stimmt. Nach und nach entwickelten sie diesbezüglich eine gewisse Tradition: Verfahren zur Vermittlung des für das Leben notwendige Wissen und Können waren entdeckt.

Ein erstes Zeugnis von intentionaler Berufsbildung sind Regelungen in einem Gesetzeswerk der Babylonier. [–1700] Im römischen Reich existierten bereits zwei Formen von beruflicher Grundbildung, Berufslehren in Betrieben und schulorganisierte Berufsbildungen in Fachschulen. [66]

Die häufigste Form war – und ist heute noch – die Vermittlung während der Ausführung der jeweiligen Arbeit. Ein kleiner aber nach und nach wachsender Teil erwirbt das nötige Wissen und eventuell auch die erforderlichen Fertigkeiten und Verhaltensweisen in Gruppen von Lernenden, angeleitet durch eine Fachperson.

Im Mittelalter erfolgt intentionales (absichtliches) Lehren und Lernen in unseren Breitengraden in Klöstern, an den Höfen von Adligen, an Universitäten und Akademien sowie in Zusammenschlüssen von Handwerkern und Händlern, den sog. Zünften. [900a; 1100a; 1231a; 1460b]

Zünfte − Blütezeit und Niedergang

Die ersten Zeugnisse, wie die Mitglieder von Zünften ihren Nachwuchs ausbildeten (und unliebsame Konkurrenz verhinderten), stammen aus dem 12. Jahrhundert. Es wird festgelegt, wer ausbilden darf (nur «Meister»), wer als Lehrling in Frage kommt (meist nur ehelich geborene Knaben aus der Stadt), wie lange die Ausbildung bis zum ersten Abschluss dauert (oft drei Jahre), wie der Erfolg der Ausbildung gemessen wird (Lehrstück), wie die Weiterbildung erfolgt (Wanderschaft), wer einen eigenen Betrieb führen darf und vor allem: wer all diese Regeln festlegt. [1350a]

Viele der Regeln dienen nicht nur der Qualifizierung des Nachwuchses, sondern auch der Sicherstellung eines ausreichenden Einkommens durch Vermeidung von Wettbewerb. In vielen Gegenden und Branchen dürfen bestimmte Tätigkeiten nur in Städten und nur von Zunftmitgliedern ausgeübt werden. Alle Mitglieder einer Zunft haben die gleichen Produkte und Dienstleistungen anzubieten und zu den gleichen Preisen zu verrechnen.

Dies geht lange gut (aus Sicht der Zunftmitglieder), doch nach und nach entwickeln sich ausserhalb der Zünfte neue Technologien (etwa die Herstellung von Farben in chemischen Prozessen), neue Materialien werden bekannt (Kartoffeln, Glas, Gussstahl u. a.), neue Formen, Betriebe zu führen (Einsatz der doppelten Buchhaltung), neue Methoden, Güter über grosse Distanzen auszutauschen (z. B. Wagen mit Achsen aus Eisen). [1740a]


Abbildung 1 Eine Spengler-Werkstatt um 1800. Handwerkliche Arbeit erfolgte meist in Hausgemeinschaften, umfassend die Familie des Lehrmeisters, Gesellen und Lehrlinge (Was willst du einmal werden? Bilder aus dem Handwerkerleben. Berlin 1880)

Vor allem aber werden handwerkliche Verfahren immer mehr durch Arbeitsteilung optimiert und die Arbeitenden von Maschinen unterstützt. Die neuen Manufakturen und Fabriken treiben die nach herkömmlichen Methoden arbeitenden Handwerker in den Ruin [1819a]. Im 18. Jahrhundert fällt das Zunftsystem überall in Europa zusammen. [1776a]

In der Schweiz beginnt diese Entwicklung mit der Ablösung der alten Eidgenossenschaft durch die Helvetik 1798. Die Handels- und Gewerbefreiheit wird in Ansätzen mit der ersten Bundesverfassung 1848 und als Grundrecht mit derjenigen von 1874 realisiert. [1848a; 1874a]

Mehr zu den Zünften in Kapitel 01

Konkurrenzfähigkeit durch Qualifizierung der Arbeitenden

Mit der Auflösung der Zünfte verschwindet die Sicherung des Nachwuchses, also die Ausbildung von Handwerkern und Händlern. Neue Transportmittel und die Entstehung grosser Unternehmen, die den Willen und die Kraft haben, neue Märkte zu erschliessen, führen zum Anwachsen des überregionalen, später des internationalen und ab dem Aufkommen von Dampfschiffen (ab 1860) auch des interkontinentalen Handels. Ab 1850 ist Weizen aus den USA billiger zu haben als einheimischer, sodass die Landwirte vom Ackerbau auf Vieh- und Milchwirtschaft umstellen müssen. Die industrielle Herstellung von Bekleidung und anderen Gütern führt zum Niedergang vieler Gewerbebetriebe. [1850c; 1850d]

In den 1880er-Jahren verlangt das Gewerbe vom Bund, mittels Zollschranken Importe abzuwehren um die einheimische Produktion von Gewerbe und Landwirtschaft zu schützen. Damit sind die Industrie und der Grosshandel nicht einverstanden, weil sie um ihre Exportmöglichkeiten fürchten. 1884 einigt man sich darauf, statt Zollschranken zu errichten die Qualifizierung der Arbeitenden zu fördern und so die internationale Konkurrenzfähigkeit des Gewerbes sowie der Land- und Milchwirtschaft zu heben. Mit zwei Bundesbeschlüssen wird die Ausrichtung von Beiträgen an die Kosten von beruflichen Bildungsanstalten in Gewerbe und Landwirtschaft, die berufliche Weiterbildung und die Ausbildung von Lehrkräften für berufliche Schulen ermöglicht. Diese Unterstützung wird durch weitere Bundesbeschlüsse 1891 auf die Ausbildung von jungen Kaufleuten und 1895 auf diejenige «des weiblichen Geschlechts» ausgeweitet.

Vertiefung des Themas in Kapitel 03

Basisausbildung als Voraussetzung für die Berufsbildung

Konkurrenzfähigkeit über berufliche Qualifizierung verbessern – das ist nur möglich, wenn die Qualifizierung auf einem Mindestmass an Kulturtechniken, insbesondere an Lesen, Schreiben und Rechnen, aufbauen kann und damit auf dem Schulbesuch der Kinder. [1750a]


Abbildung 2 Albert Anker, im Kanton Bern wohnhaft, malte «Die Dorfschule» 1848 (Kunstmuseum Basel)

Mit der Revision der Bundesverfassung 1874 werden die Kantone verpflichtet, für einen «genügenden Primarunterricht» zu sorgen, der obligatorisch zu besuchen ist. Die einen betrachten einen sechsjährigen Besuch der «Elementarschule» als «genügend», andere verlangen als Minimum die Ergänzung durch weitere zwei oder drei Jahre Teilzeitunterricht (ein bis drei Tage pro Woche), woraus sich nach und nach die «Fortbildungsschulen» entwickeln. [Fortbildungsschulen]

Die Umsetzung des Schulobligatoriums stösst in manchen Regionen auf Widerstand, in andern Regionen entwickelt sich langsam die Einsicht, dass für die Vorbereitung auf Berufsbildung und Erwerbsleben zusätzlich zur Primarschule eine Ergänzung von zwei oder drei Jahren vorteilhaft ist. [1882g] Neben den bereits bestehenden Gymnasien als Vorbereitung auf Akademien und Hochschulen entstehen «Industrieschulen», «Kunstschulen», «Handelsschulen», deren Unterstufen nach der Primarschule, also ab dem Alter von 12 Jahren, besucht werden können und die auf Berufslehren und höhere Schulen, z. B. höhere Handelsschulen, vorbereiten.

Das Schulsystem ist Thema von Kapitel 02

Zwei Wege der beruflichen Grundbildung

Die Bundesbeschlüsse haben offen gelassen, wie die Berufsbildung zu gestalten ist. Man beschliesst, an bestehenden Strukturen und Praktiken anzuknüpfen. Von alters her [66a] gibt es dazu zwei Wege:

Ausbildung durch Mitarbeit

Der eine Weg ist die Ausbildung durch Mitarbeit, beim Gewerbe realisiert als Berufslehre, in der Industrie bis ins 20. Jahrhundert meist als Anlernung. In der Landwirtschaft geschieht sie durch die Tätigkeit auf dem elterlichen Hof, in der «kommerziellen Bildung» durch Volontariate im Handel, bei vielen jungen Frauen durch Mitarbeit im elterlichen Haushalt oder in fremden Haushalten.

Wovon ist die Rede?

Der Begriff «Berufliche Grundbildung» wurde mit dem BBG 2002 eingeführt, nachdem im BBG 1978 von «Grundausbildung» die Rede war. Wie im nebenstehenden Kapitel ausgeführt wird, versteht man darunter Berufslehren und Ausbildungen in Lehrwerkstätten und Fachschulen, soweit sie zu einem ersten anerkannten berufsqualifizierenden Abschluss führen, in der Regel zum eidg. Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder zum eidg. Berufsattest (EBA).


Abbildung 3 Die «Sanitätsfachschule» um 1930, damals eine der Abteilungen der heutigen Technischen Fachschule Bern, bis 2014 bekannt unter dem Namen «Lehrwerkstätten der Stadt Bern» [1888a] (TFB, 2013)

Die Neuerung, die sich bei diesem Ansatz durchsetzt, besteht in der Ergänzung der praktischen Ausbildung in den Betrieben durch begleitenden berufskundlichen Theorieunterricht, wie ihn Sonntags-, Zeichen- und Handwerkerschulen in Ansätzen seit Jahrzehnten anbieten. [1751a; 1751c; 1780a] Mit den Bundesbeschlüssen wird er ab 1884 die Aufgabe von Fortbildungsschulen: Viele der allgemeinen Fortbildungsschulen, bei denen es um Repetition und Vertiefung der Basisausbildung ging, entwickeln sich weiter zu berufsorientierten Schulen, den gewerblichen, landwirtschaftlichen, kommerziellen und hauswirtschaftlichen Fortbildungsschulen.

 

Ausbildung in Schulen

Der andere Weg ist die schulische Ausbildung in Fachschulen, Ackerbauschulen, Lehrwerkstätten, Handelsschulen, Töchterschulen. Erste Fachschulen entstehen in Genf 1817 (Graveurschule) und 1824 (Uhrenmacherschule), Ackerbauschulen ab 1806 in Kreuzlingen, private Handelsschulen bereits im 18. Jahrhundert.

Die Attraktivität von Fachschulen im 19. Jahrhundert hat viel mit der hohen Qualität französischer (kunst-)gewerblicher Produkte zu tun. Im Streben nach Macht und Reichtum fördert Frankreich bereits im 17. und 18. Jahrhundert die Wirtschaft und präsentiert deren Produkte ab 1851 an «Weltausstellungen» dem Publikum aus dem In- und Ausland. [Ausstellungen] Besucher aus der Schweiz müssen feststellen, dass französische Produkte den eigenen qualitativ überlegen sind. Dies führt zur Frage nach der Ausbildung französischer Facharbeiter. Es stellt sich heraus, dass dazu in den vorangegangenen Jahrzehnten verschiedene «Écoles des Arts et Métiers» gegründet worden sind.

Zwei Systeme im Wettbewerb

Wie gesagt − die Bundesbeschlüsse legen nicht fest, wie die berufliche Qualifizierung erfolgen soll. Im Gewerbe entwickelte sich in den 1890er-Jahren eine rege Diskussion, ob dem schulischen Weg via Vollzeitausbildungen an Fachschulen und Lehrwerkstätten oder eher dem betrieblichen Weg im Lehrbetrieb mit begleitendem Theorieuntericht an berufsorientierten Fortbildungsschulen den Vorzug gegeben werden soll. Nach Studienreisen und verschiedenen «Enquêtes» [1882a] fordern 1887 massgebende Mitglieder des Schweizerischen Gewerbevereins die Einrichtung von Lehrwerkstätten zur Hebung der Konkurrenzfähigkeit des einheimischen Handwerks. 1895 wird aber zugunsten der Meisterlehre entschieden: Der Schweizer Gewerbeverein beschliesst, die Einrichtung von Lehrwerkstätten nur noch als Ergänzung zur Meisterlehre zu unterstützen, beispielsweise wenn es an fähigen Meistern zur Ausbildung des Nachwuchses fehlt. Als Grund für den Entscheid zuungunsten der Lehrwerkstätten werden die grossen Kosten dieser Einrichtungen für die Öffentlichkeit und die Lehrlinge selbst erwähnt.

Die Diskussion um den besseren Weg zur Vermittlung einer beruflichen Grundbildung flackert immer wieder etwas auf, wobei sich die Argumente nicht stark verändern. In den 1970er-Jahren, als die Berufslehre heftig kritisiert wird und es an Lehrstellen mangelt, wird die Diskussion um die beiden Wege zum Inhalt emotionaler Debatten zwischen «links» und «rechts». In politischen Vorstössen, die in mehreren Volksinitiativen gipfeln, wird die Ergänzung der von den Arbeitgebern dominierten Betriebslehre durch staatlich geregelte und finanzierte Lehrwerkstätten gefordert. Das Stimmvolk lehnt diese Forderungen durchwegs ab.

Inzwischen erstarkt − unbesehen von der grossen Politik − eine neue Entwicklung: In der Westschweiz ist ab 1967 von einer «formation mixte entreprise-école» die Rede. Im Kanton Genf wird 1969 die «apprentissage combiné» gesetzlich geregelt. Bundesrat Brugger erwartet 1971 «die Weiterentwicklung der Meisterlehre zur ‹kombinierten Lehre›». Bei der Revision 1978 ist von der Ablösung des dualen Systems durch ein «triales» die Rede. (Bundesrat 1977, 683)

Mehr zu Berufs- und Fachschulen im 18. und 19. Jh. in Kap. 21, zu Berufsschulen im 20. Jh. in Kap. 22

Für die Industrie ist die kombinierte Lehre nichts Neues: In der Industrie werden seit Jahrzehnten ein oder zwei Jahre (betriebsinterne) Lehrwerkstätte mit zwei bis drei Jahren Lernen in der Produktion kombiniert. 1978 werden die im BBG 1963 erstmals erwähnten «Einführungskurse» obligatorisch erklärt, jedoch mit der Möglichkeit, sich davon zu befreien (Art. 16 BBG 1978). In den 1990-er Jahren entstehen zuerst in Genf, später auch im Tessin und in der Deutschschweiz Einrichtungen, in denen im ersten Lehrjahr Theorie und Praxis vermittelt wird, bevor die Lernenden dann ihre Ausbildung in einem Betrieb fortsetzen. [Basislehrjahr] Anderseits lassen manche öffentlichen Lehrwerkstätten die Lernenden im letzten Lehrjahr in Betrieben arbeiten.

Die berufsorientierten Fortbildungsschulen werden Anfang des 20. Jahrhunderts in Berufsschulen umbenannt und 2004 in Berufsfachschulen. Da es in diesem Buch in erster Linie um die Entwicklung im 20. Jahrhundert geht, verwende ich meist den Begriff «Berufsschule» Wt

Kurz − es kommt zu Mischformen zwischen der klassischen Meisterlehre und der schulisch organisierten Ausbildung. Im BBG 2002 wird festgehalten, dass die Betriebslehre «in der Regel» an drei Lernorten stattfindet: Berufsschule, Lehrbetrieb und einem «dritten Lernort», in dem nicht Aufträge der Kunden die Strukturierung des Lernens bestimmen, sondern didaktische Überlegungen.

Aus dem «Nebeneinander» oder sogar «Gegeneinander» ist ein «Miteinander» im Entstehen, allerdings nur auf der didaktischen Ebene. Faktoren wie die Bestimmung der Zahl der Ausbildungsplätze und damit der Bildungsmöglichkeiten der Jugendlichen bleiben klar in der Hand der Lehrbetriebe.

Berufslehre versus Lehrwerkstätte – siehe Kapitel 27

Kaufmännische Berufsbildung

Die Entwicklung der kaufmännischen Berufsbildung unterscheidet sich stark von derjenigen der gewerblich-industriellen, um die es bisher in erster Linie ging. Treibende Kraft Ende des 19. Jh. sind nicht Arbeitgeberverbände, sondern die Kaufleute selbst. Sie bilden ab 1861 lokale «Vereine junger Kaufleute», deren wichtigste Aufgabe das Angebot von Weiterbildungsmöglichkeiten ist. [1861b]

Vom Bund ab 1891 unterstützt, entwickeln sich daraus die kaufmännischen Fortbildungsschulen, ab 1930 kaufmännische Berufsschulen genannt, ab 2002 kaufmännische Berufsfachschulen und im Volksmund immer «KV-Schulen». Sie werden auch heute noch in vielen Kantonen von kaufmännischen Vereinen («KV») getragen, aber von der öffentlichen Hand finanziert wie andere Berufsschulen.

Ziel der Bildungsbemühungen der «jungen Kaufleute» ist letztlich der soziale Aufstieg in den unteren Mittelstand, genauer in die Schicht der Angestellten. (König, Siegrist 1981, 214) Entsprechend hiess die Ausbildung ja bis 2003 «kaufmännischer Angestellter/kaufmännische Angestellte» und nicht «Kaufmann» bzw. «Kauffrau».

Wie in andern Bereichen der Berufsbildung gibt es zwei Wege der Grundbildung: Der betrieblich organisierte Weg besteht aus der praktischen Ausbildung (früher im ungeregelten Volontariat), begleitet vom Besuch der kaufmännischen Berufsschule. [1882f] Als schulischer Weg entstehen im 19. Jahrhundert in den meisten Städten drei Jahre dauernde «höhere Handelsschulen», die sich an Jugendliche ab 15 Jahren richten. [Handelsschulen] Viele von ihnen werden Abteilungen von Kantonsschulen und nennen sich «Handelsmittelschulen» oder «Töchterschulen». Bis 2003 bereiten sie auf ein in der Bundesgesetzgebung definiertes Diplom vor, einige Zeit auch auf eine kaufmännische Maturität. Heute endet eine erfolgreiche Ausbildung bei beiden Wegen mit dem Fähigkeitszeugnis Kauffrau/Kaufmann EFZ, allenfalls ergänzt durch eine kaufmännische Berufsmaturität. [BMS]

Die Dominanz der Arbeitnehmer, vertreten durch den Schweizerischen Kaufmännischen Verein (heute KV-Schweiz) und die von ihnen geführten Schulen bleibt bis Ende des 20. Jahrhundert erhalten, was sich neben der Trägerschaft der Schulen und der Konzeption der Abschlussprüfungen in der Konzentration der Ausbildung auf eine theorielastige berufliche Allgemeinbildung zeigt, ohne die in Industrie und Gewerbe übliche präzise Definition der praktischen Ausbildung. Die für einzelne Branchen (Reisebüros, Notariate, Textilhandel etc.) notwendigen Berufskenntnisse werden im Rahmen von Kursen (heute im Rahmen der überbetrieblichen Kurse) vermittelt. Dies erlaubt den Verzicht auf die Definition unterschiedlicher kaufmännischer Berufe, wie sie beispielsweise in Deutschland üblich ist.


Abbildung 4 Büro des Verbandes Schweizerischer Kosumvereine Basel, um 1912. Frauen ziehen in Büros ein -- zur Bedienung der Schreibmaschinen, die um die Jahrhundertwende populär werden (SSA, Gretler) [1900l]

Anfang des 20. Jahrhundert trennt sich die Ausbildung des Detailhandels von derjenigen der Kaufleute. [1912h] Der Detailhandel entwickelt aber ein ähnliches Ausbildungssystem: Die Ausbildungsrichtungen unterscheiden sich durch die Vermittlung einer spezifischen «Warenkunde» statt durch die Definition unterschiedlicher Berufe.

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung – vgl. Kapitel 12

Landwirtschaftliche Berufsbildung

Im 18. Jahrhundert beginnen Intellektuelle sich für die Weiterentwicklung der Landwirtschaft zu interessieren. Es entstehen erste, aber vorerst kurzlebige Bildungsinstitutionen. Die ersten heute noch existierenden landwirtschaftlichen Fachschulen werden in den 1850er-Jahren gegründet. In Winter- oder in Jahreskursen vermitteln sie jungen Bauern theoretisches und teilweise auch praktisches Wissen. Bald bereiteten sie auch auf den Eintritt in die landwirtschaftliche Abteilung des Polytechnikums vor. [Landwirtschaft]

Das Interesse der Bauern hält sich aber in Grenzen, bildet doch die Abwesenheit junger Kräfte auf dem Hof während zwei bis drei Wintern oder ein bis zwei Jahren ein grosses Hindernis, wenn auch die ab 1884 fliessende Unterstützung der Schulen durch den Bund wenigstens die Schulkosten reduziert.

Ab Mitte des 19. Jahrhundert werden in vielen Kantonen Fortbildungsschulen eingerichtet, siehe hier. In ländlichen Regionen entwickelt sich ein Teil davon zu landwirtschaftlichen FBS, die wie die gewerblichen ab 1884 vom Bund unterstützt werden. Erste Elemente sind aber mancherorts auch bereits Inhalte der Oberstufe der Volksschule, parallel zum hauswirtschaftlichen Unterricht für Mädchen.

Wie der Schweizerische Gewerbeverband die praktische Ausbildung durch die Propagierung von Lehrverträgen und Lehrabschlussprüfungen fördert, so propagiert der Schweizerische Landwirtschaftliche Verband ab den 1920er-Jahren eine landwirtschaftliche Berufslehre. Während Jahrzehnten umfasst diese Grundbildung zwei Stufen (siehe hier):

• zwei Jahre Tätigkeit auf verschiedenen Bauernhöfen, den Besuch einer landwirtschaftlichen FBS, die «Lehrlingsprüfung», anschliessend

• den Besuch des Jahreskurses oder von zwei Winterkursen, gefolgt von der Fähigkeitsprüfung.

Es entwickelt sich auch eine höhere Berufsbildung (Betriebsleiterkurse, Agro-Techniker) und Studiengänge an Fachhochschulen.

Zu beachten: «Bildung» wird im landwirtschaftlichen Bildungswesen breiter gefasst als in anderen Bereichen der Berufsbildung: Das Vereinsleben wird gefördert, und Beratung wird als Bildungsmassnahme aufgefasst, Forschungsstationen und Mustergüter werden ins Bildungswesen einbezogen. [1946h]

Neben der Aus- und Weiterbildung für Landwirte entstehen auch für landwirtschaftliche Spezialberufe, insbesondere für milchwirtschaftliche Berufe, ab 1886 Fachschulen und später auch Berufslehren. Ab 1914 entstehen zudem weitere, in erster Linie hauswirtschaftlich orientierte Ausbildungsgänge für Bäuerinnen, vgl. hier. 2002 wurde der ganze Bereich dem Berufsbildungsgesetz unterstellt und strukturell der gewerblich-industriellen Berufsbildung angepasst.

Mehr zur landwirtschaftlichen Berufsbildung in Kapitel 13