Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz

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1.3 Zum Aufbau des Buches

Ziel dieses Buches ist – wir haben es erwähnt –, einen Überblick über das (beschränkte) Wissen zur Thematik der Berufsbildung für Erwachsene zu gewinnen, weiter eine Darstellung und Analyse der heutigen Situation und, darauf aufbauend, der Entwurf einer Vision als Basis für die Weiterentwicklung der Berufsbildung für geringqualifizierte Erwachsene in der Schweiz.

In Kapitel 2 klären wir die zentralen Begrifflichkeiten und Konzepte und führen in Kapitel 3 aus, wie sich die Berufsbildung für Erwachsene entwickelt hat und weshalb sie aus Sicht zentraler Akteure der Berufsbildung so wichtig ist. In unseren Ausführungen zu den Lösungsmöglichkeiten konzentrieren wir uns auf die Wege, die auf der bestehenden rechtlichen Grundlage des Bundes möglich sind. In Kapitel 4 werden diese Wege im Detail vorgestellt. Dabei dürfte deutlich werden, dass das Berufsbildungsgesetz einigen Gestaltungsraum offenlässt, der unseres Erachtens noch besser genutzt werden sollte – und dass es auch andere Wege gibt, einen vom Arbeitsmarkt anerkannten Weg zu gehen.

Schliesslich stellen wir bestehende Möglichkeiten zum Erwerb einer Berufsbildung für Erwachsene dar (Kapitel 5) und analysieren die bestehenden Herausforderungen (Kapitel 6). In den Kapiteln 7 und 8 stellen wir konkrete Programme und Angebote im In- und Ausland vor, die aus unserer Sicht über herkömmliche Ansätze hinausgehen und deshalb für die Entwicklung einer Zukunftsvision wichtig sind.

Unter dem Titel «Modell 2025» (Kapitel 10) skizzieren wir schliesslich ein System, das es aus unserer Sicht ermöglichen würde, signifikant mehr beruflich geringqualifizierte Erwachsene zu einem Berufsabschluss zu führen. Dem geht ein kurzer Überblick über die wichtigsten Grundsätze voraus (Kapitel 9), an denen sich ein solches System orientieren sollte. Das Buch schliesst mit einer Reihe von Handlungsempfehlungen (Kapitel 11), die sich an diesem Modell orientieren, die aber auch bei einer bescheideneren Zielsetzung und bei anderen Vorgehensweisen wegleitend sein dürften.

2 Begriffe und Konzepte

Viele Begriffe und Konzepte, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen, werden in der einschlägigen Literatur unterschiedlich verwendet. Wir zeigen in diesem Kapitel, wie wir sie verstehen.

In einem ersten Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem Begriff «Berufsabschluss». Wir stellen dar, welche Abschlüsse wir damit meinen, und kommen auf Funktion und Bedeutung von Zertifizierungen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu sprechen. Im zweiten Abschnitt geht es um die Personengruppe, an die sich Berufsbildungsangebote für Erwachsene richten.

In weiteren Abschnitten stellen wir Überlegungen zu drei Themenbereichen an, die im Verlauf der Studie besonders wichtig sein werden: erwachsenengerechte Didaktik, formelle Anerkennung erworbener Kompetenzen und Modularisierung in der Berufsbildung.

2.1 Berufsabschluss

Obwohl es auch für Erwachsene seit Jahrzehnten Möglichkeiten gibt, eine berufliche Grundbildung zu erwerben oder informell erworbene Kompetenzen anerkennen zu lassen, fehlt es nach wie vor an treffenden, von allen Beteiligten einheitlich verwendeten Ausdrücken für entsprechende Angebote. Man spricht (fälschlicherweise) von «Abschluss nach Art. 32 (BBV)», veraltet vom «Abschluss nach Art. 41», oder man verwendet die etwas gewundene Formulierung des «direkten Zugangs zum Qualifikationsverfahren». Die Bezeichnung «Nachholbildung» wird für Unterschiedliches genutzt, im Übrigen zuweilen als abwertend empfunden; das «Validierungsverfahren» wird teilweise auf sämtliche Formen der Berufsbildung für Erwachsene bezogen. Glücklich, wer sich mit Erwachsenen an Mittelschulen befasst: In diesem Bereich wurden mit dem «zweiten Bildungsweg», der zur «Erwachsenenmatur» führt, Begriffe gefunden, die heute geläufig sind und von allen verstanden werden. Wir hingegen sahen uns gezwungen, mit «Berufsabschluss» einen Begriff zu benutzen, der den Kernpunkt der Thematik, den Erwerb und die Anerkennung von Kompetenzen, nicht trifft und zudem an das unselige und veraltete «ausgelernt sein» erinnert.

2.1.1 Formale und nichtformale Berufsabschlüsse

Unter «Berufsabschluss» verstehen wir Zertifikate, die formale oder nichtformale Berufsausbildungen bestätigen. Gegenüber Dritten wird damit bescheinigt, dass die zertifizierte Person über bestimmte berufliche Kompetenzen verfügt.

Dazu gehören in der Schweiz zunächst die Abschlüsse der beruflichen Grundbildung (EBA und EFZ) und der höheren Berufsbildung, die durch das Berufsbildungsgesetz (BBG) geregelt sind und sich deshalb als formale Berufsabschlüsse bezeichnen lassen. Wir rechnen jedoch auch Abschlüsse nichtformaler Ausbildungen dazu, etwa der Lehrgänge des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) für Pflegehelferinnen und Pflegehelfer oder Ausbildungen von Handelsschulen, die zu einem Bürofach- oder einem Handelsdiplom führen (→ Abschnitt 5.5). Massgebend ist für uns, dass die Ausbildung strukturiert erfolgt (also nicht einfach informell in einem Betrieb) und dass das Zertifikat durch eine Organisation (z. B. durch einen Berufsverband, eine Schule) verliehen wird. Ebenfalls zu den nichtformalen Berufsabschlüssen zählen wir staatlich anerkannte, aber nicht auf dem BBG basierende Abschlüsse. So erfordert etwa das Führen gewisser Baumaschinen ein Zertifikat der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva), das sich auf eine Verordnung des Bundes bezieht.[3]

Für dieses Buch ist die Berücksichtigung nichtformaler Berufsabschlüsse von zentraler Bedeutung: Zum einen sind viele dieser Abschlüsse trotz mangelnder staatlicher Anerkennung im Arbeitsmarkt etabliert. Zum andern handelt es sich häufig um eher niederschwellige Abschlüsse (→ z. B. Abschnitt 7.9), die in kürzerer Zeit erreicht werden und geringqualifizierten Erwachsenen oft ein erstes Erfolgserlebnis ermöglichen, das ihnen den Einstieg in anspruchsvollere Ausbildungen erleichtert.

2.1.2 Funktion von Berufsabschlüssen

Zertifikate «sind Medien der Ungewissheitsreduktion, sie erklären etwas für (relativ) gewiss» (Moser, 2003, S. 42). Sie haben dabei unterschiedliche Funktionen. Für die zertifizierte Person tragen sie zur Identitätsstiftung bei, sie begründen Ansprüche im Arbeitsmarkt und im Bildungssystem und haben eine Orientierungsfunktion. Arbeitgebern, Kunden und Behörden geben sie eine gewisse Sicherheit bei der Frage, was vom Zertifikatsinhaber erwartet werden kann (Moser, 2003, S. 42 f.).

Im Unterschied zu Abschlüssen allgemeinbildender Schulen bestätigen Berufsabschlüsse den Erwerb von Kompetenzen, die in bestimmten beruflichen Tätigkeiten vorausgesetzt werden. Die grosse Bedeutung der Handels- und Gewerbefreiheit in der Schweiz hat zur Folge, dass ein beträchtlicher Teil aller Berufstätigkeiten auch von Personen ohne einschlägigen Berufsabschluss ausgeübt werden kann und dass diese Personen – etwa im Unterschied zu Deutschland – sogar Unternehmen gründen und leiten dürfen. Je nach Branche ist der Anteil unqualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch unterschiedlich hoch: So sind im Gastgewerbe oder in der Bauwirtschaft die Anteile wesentlich höher als etwa im Versicherungswesen.

Berufsabschlüsse können jedoch Zugänge zu weiterführenden Ausbildungen eröffnen. So erlaubt ein EFZ den Übertritt in die höhere Berufsbildung (je nach Bildungsgang allerdings erst nach mehreren Jahren Berufspraxis), ein EBA den Einstieg in eine verkürzte Grundbildung in Vorbereitung auf ein EFZ.

2.1.3 Steigende Bedeutung von Zertifikaten

In jüngerer Zeit haben Berufsabschlüsse in der Arbeitswelt insgesamt an Bedeutung gewonnen. Diese Tendenz lässt sich etwa in der Maschinenindustrie beobachten, wo bis in die 1960er-Jahre eine grosse Mehrheit der Arbeitenden über keinen anerkannten Abschluss verfügte. Heute legt die Industrie viel Wert auf eine mit Zertifikaten dokumentierte Berufsbildung, unter anderem, weil sie im Rahmen von Qualitätssicherungssystemen nachgewiesen werden muss.

Diese Entwicklung hat zur Folge, dass Personen ohne staatlich anerkannte Ausbildung auf Sekundarstufe II signifikant stärker von Arbeitslosigkeit betroffen und somit armutsgefährdet sind als der Bevölkerungsdurchschnitt. Entsprechend ist es auch aus sozialpolitischer Perspektive entscheidend, dieser Bevölkerungsgruppe den Zugang zum Erwerb von Kompetenzen und Abschlüssen zu ermöglichen (→ Abschnitt 3.2).

Zweifellos haben wir es hier mit einem sich selbst verstärkenden Prozess zu tun: Die ständige Höhergewichtung von Ausweisen führt einerseits zu einer steigenden sozialen Nachfrage nach Abschlüssen, andererseits zu einer Entwertung zunächst des Erfahrungslernens und schliesslich selbst von einzelnen beruflichen Abschlüssen. In diesem Sinne vertritt eine Studie von Avenir Suisse die Auffassung, dass sich auch mit einem EFZ die Teilhabe in der sozialen Mitte der Bevölkerung nicht mehr langfristig sichern lässt (Schellenbauer & Müller-Jentsch, 2012). Der schweizerische Mittelstand ist somit – gemäss dieser These – zunehmend auf Weiterbildungen und auf Ausbildungen auf Tertiärstufe angewiesen, um im Arbeitsmarkt zu bestehen und sozial nicht abzusteigen.

 

2.1.4 Zur Ungleichwertigkeit formal gleichwertiger Abschlüsse

Formal eigentlich gleichwertige Abschlüsse haben auf dem Arbeitsmarkt nicht zwingend den gleichen Wert: Allgemein bekannt ist, dass ein Bachelor- oder Master-Titel einer angesehenen Hochschule mehr wert ist als ein vergleichbarer Abschluss einer unbekannten Schule, dass (mindestens in der Schweiz) Abschlüsse staatlicher Schulen meist höher bewertet werden als solche privater Schulen. Ähnliches gilt auch für die Berufsbildung: Eine Lehre in einem angesehenen, bekannten Unternehmen wird höher gewertet und ist deshalb auch begehrter als eine im gleichen Beruf in einem unbekannten Kleinbetrieb. Dies ist ein Grund, weshalb das Arbeitszeugnis des Lehrbetriebs, das zusammen mit dem staatlichen Ausweis anlässlich des Lehrabschlusses abgegeben wird, oft mindestens so wichtig ist wie der Ausweis selbst.

In unserem Zusammenhang ist auf die Gefahr hinzuweisen, dass Berufsbildungsabschlüsse, die nicht auf dem Weg der regulären Grundbildung erworben wurden, nicht als gleichwertig eingestuft werden. Dies zeigt sich etwa beim Validierungsverfahren: Es führt zwar zu einem anerkannten Abschluss (EFZ/EBA). Weil aber keine Abschlussprüfung abgelegt wird und weil dies auch im Notenausweis ersichtlich ist, wird die Gleichwertigkeit von den Betrieben und den OdA zum Teil angezweifelt. Ähnliches gilt für die verkürzte Grundbildung: Manche erwachsene Lernende bezweifeln, dass sie den gleichen Wert hat wie eine reguläre Grundbildung – selbst wenn die Verkürzung im Notenausweis nicht sichtbar wird.

2.2 Beruflich geringqualifizierte Erwachsene

Wir konzentrieren uns in diesem Buch auf Erwachsene ab 25 Jahren ohne Berufsabschluss oder mit einem Abschluss, der seinen Wert in der Arbeitswelt verloren hat. Personen zwischen 18 und 25 Jahren – oft als «junge Erwachsene» bezeichnet – sind Adressaten eigener (bereits recht verbreiteter) Bemühungen und Programme, unter anderem, weil sie anderen Rechtsnormen unterstehen.

Wir verwenden die Umschreibung «geringqualifiziert», wie dies in der Literatur üblich ist. Dabei verkennen wir nicht, dass Betroffene oft über grosse Lebens- und auch Arbeitserfahrung verfügen. Oft fehlt es auch nicht an den beruflichen Kompetenzen, was fehlt, ist lediglich der Abschluss, weshalb Betroffene in den Statistiken oft als Personen ohne nachobligatorischen Abschluss bezeichnet werden.

Zu der von uns betrachteten Gruppe gehören auch Berufswechsler (Quereinsteiger), wenn das Fehlen eines zeitgemässen Berufsabschlusses sie daran hindert, längerfristig am Erwerbsleben teilzuhaben.

2.2.1 Grosse Unterschiede innerhalb dieser Gruppe

Die Personen, um die es geht, unterscheiden sich in vielen Belangen erheblich. Wir beschreiben im Folgenden die wichtigsten Unterschiede und typisieren sieben verschiedene Gruppen.

Bereits erworbene Kompetenzen

Beruflich geringqualifizierte Erwachsene in der Berufsbildung unterscheiden sich bezüglich der berufsspezifischen Fachkompetenzen, die sie im Laufe ihres Lebens bereits erworben haben. Einige arbeiten schon lange in einem bestimmten Berufsfeld und haben sich dabei viel von dem angeeignet, was in einer einschlägigen beruflichen Grundbildung vermittelt wird. Was ihnen vor allem fehlt, ist die Anerkennung ihres Könnens und ein entsprechender Ausweis. Bei anderen geht es hingegen darum, die vorgeschriebenen Fachkompetenzen noch zu erwerben.

Markante Unterschiede zeigen sich auch bei den überfachlichen Kompetenzen. In der Schweizer Berufsbildung spricht man heute von Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen, wobei zu den Sozialkompetenzen auch die Kommunikationsfähigkeit gezählt wird.[4] Die einen haben viele Jahre eine mehr oder weniger anspruchsvolle Arbeit ausgeübt und dabei Arbeitstugenden (in schweizerischer Ausprägung) und andere überfachliche Kompetenzen erworben. Anderen fehlen solche Kompetenzen weitgehend, beispielsweise, weil sie in einer andern Kultur aufgewachsen sind, aus ungünstigen Familienverhältnissen stammen, viele Jahre lang mit einer Sucht oder einer Krankheit gekämpft haben oder weil sie in Flüchtlingslagern oder Asylunterkünften lebten.

Grosse Unterschiede bestehen letztlich im Bereich der Allgemeinbildung. Viele Berufswechsler haben bereits in einer früheren Berufslehre den allgemeinbildenden Unterricht (ABU) besucht. Andere sind eingewandert und wissen erst wenig über die schweizerische Gesellschaft. Die einen verfügen über die vorausgesetzten Grundkompetenzen (Lokalsprache, Mathematik, Informationstechnik), anderen fehlen beispielsweise die Sprachkompetenzen, die für einen Berufsabschluss erwartet werden.

Lebenssituation

Am leichtesten fällt eine Berufsausbildung dann, wenn jemand nur für sich selbst sorgen muss, vielleicht noch – oder wieder – im Elternhaus wohnt und über ausreichend Mittel verfügt, um seinen Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten zu bestreiten. Erwachsene müssen jedoch neben der Ausbildung häufig eine Familie ernähren oder Familienangehörige betreuen. Die Nähe zur Familie (Eltern, aber auch Ehepartner) kann indessen auch eine Quelle finanzieller Unterstützung sein.

Entscheidend ist weiter der Wohnort: Es kann den Alltag stark belasten, wenn die besuchten Bildungseinrichtungen – Lehrbetrieb, Berufsfachschule usw. – schwer zu erreichen sind. Kommt noch eine physische oder psychische Schwächung hinzu (z. B. als Folge einer früheren Krankheit oder traumatischer Erlebnisse), kann die Belastung leicht die Ressourcen erwachsener Lernender übersteigen.

Motive

Erwachsene, die einen Beruf erlernen, erhoffen sich davon eine Verbesserung ihrer Situation oder mindestens deren Stabilisierung. Im Einzelnen, so zeigen unsere Befragungen, können mit der Aufnahme einer Ausbildung sehr verschiedene Motive verbunden sein (→ Tabelle 2-1).

Tabelle 2-1 Mögliche Motive für eine Ausbildung aus Sicht von Erwachsenen


Äussere LebensumständeKrankheit, Unfall, eine Allergie oder Veränderungen am Arbeitsmarkt zwingen zu einem Berufswechsel.
Sicherheit Vielen erwachsenen Lernenden ist bewusst, dass ein fehlender Berufsabschluss das Risiko erhöht, immer wieder stellenlos und/oder von Sozialhilfe abhängig zu werden.
VerdienstVom Erwerb eines anerkannten Abschlusses wird ein deutlich höheres Einkommen erwartet.
AnsehenMan will sich selbst oder der Umwelt beweisen, dass man in der Lage ist, einen Berufsabschluss zu erwerben.
Berufliches FortkommenEin eidgenössisches Fähigkeitszeugnis ist oft eine Voraussetzung, wenn man sich um ein Kadertätigkeit bemüht oder in eine Ausbildung auf Tertiärstufe einsteigen will.
Erfüllende, sinnvolle TätigkeitEs wird nach einer Tätigkeit gesucht, die mehr innere Befriedigung verspricht.

Typisierte Gruppen von Erwachsenen

Unter Berücksichtigung der beschriebenen Faktoren, der Anforderungen an die Ausbildung und der heutigen Praxis schlagen wir die folgende Gruppierung der Adressaten von beruflicher Bildung für Erwachsene vor:

Personen mit wenig Berufserfahrung: Personen, die noch nie oder seit längerer Zeit nicht mehr regelmässig gearbeitet haben und die von der Sozialhilfe aufgefordert (und unterstützt) werden, im ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, ferner immigrierte Personen ohne Abschluss und ohne Arbeitserfahrung in einer mit der Schweiz vergleichbaren Arbeitswelt.

Personen ohne einschlägige Fachkompetenzen: Personen, die aus langjähriger Berufstätigkeit zwar über personale und soziale, nicht jedoch über spezifische Fachkompetenzen verfügen.

Personen mit ausländischen Abschlüssen: Immigrierte Personen mit guter Ausbildung in ihrer Heimat, die keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit finden, weil ihre Ausbildung schweizerischen Verhältnissen nicht entspricht und/oder in der Schweiz nicht anerkannt ist.

Personen mit einschlägigen Fachkompetenzen: Personen mit langjähriger Erfahrung in einem Berufsfeld ohne Abschluss (früher «Angelernte» genannt), die sich in ihrer gegenwärtigen Tätigkeit weiterentwickeln und dazu einen Abschluss erwerben wollen.

Berufswechslerinnen und Berufswechsler (Quereinsteiger): Personen, in der Regel mit einem Erstabschluss der beruflichen Grundbildung und in fester Anstellung, die einen neuen Beruf erlernen wollen.

Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger: Personen, die nach langem Unterbruch, insbesondere nach einer Familienphase, wieder ins Arbeitsleben einsteigen wollen, mehrheitlich im gleichen Berufsfeld.

Personen in Umschulung: Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen oder infolge Umschichtungen im Arbeitsmarkt gezwungen sind, einen neuen Beruf zu erlernen, und dabei in der Regel mit Leistungen aus einer Sozialversicherung unterstützt werden.

2.3 Erwachsenengerechte Didaktik

Eine Ausbildung in der Schule, in einem Betrieb oder an einem anderen Lernort erzeugt nur dann Wirkung, wenn sie sich inhaltlich und methodisch an der Zielgruppe orientiert.

Oft wird argumentiert, dass sich Erwachsene als Zielgruppe der Berufsbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) nicht derart unterscheiden, dass es eine spezielle Didaktik für Erwachsene brauchen würde. Wir schliessen uns dieser Argumentation im Grundsatz an.

Dennoch soll Unterricht (wie alle Ausbildungsprozesse), der sich an Erwachsene richtet, einige Punkte besonders beachten:

•Erwachsene über 25 Jahre verfügen über mehr Lebenserfahrung als Jugendliche und junge Erwachsene. Vor diesem Hintergrund können sie besser beurteilen, was für sie wichtig ist und was nicht. Dass die Lerninhalte für Arbeitsalltag und Privatleben relevant sind, ist bei Erwachsenen noch wichtiger als sonst schon in der Berufsbildung (Dinkelaker & Kraus, 2012, S. 4).

•Das Lernen «auf Vorrat», das Jugendliche in der Tendenz eher tolerieren, ist für viele Erwachsene in der beruflichen Grundbildung sehr schwierig und senkt die Motivation.

•Schliesslich sind viele Erwachsene an möglichst zügigem Lernen interessiert und auch darauf angewiesen, weil ihre Mehrfachbelastung eine effiziente Einteilung der zeitlichen Ressourcen erfordert.

Betrieben fällt die Ausrichtung an den individuellen Voraussetzungen erwachsener Lernender vergleichsweise leichter als Schulen, denn bei der Arbeit sind sie meist mit Erwachsenen zusammen. Gleichzeitig verlangt die Ausbildung von Erwachsenen von den Berufsbildnern eine andere Einstellung, vor allem wenn die Lernenden gleich alt oder älter sind als die Lehrenden. Zudem besteht die Gefahr, dass erwachsene Lernende zu oft in Bereichen eingesetzt werden, in denen sie bereits über Fachkompetenzen verfügen, und die Ausbildung in jenen Bereichen zu kurz kommt, die ihnen weniger vertraut sind.