Absprachen im Strafprozess

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IV. Exkurs: Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen nach den Bestimmungen des StrEG bei Einstellung des Verfahrens nach § 153 ff

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Im Zusammenhang mit den §§ 153, 153a, 154, 154a sei eigens auf das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) hingewiesen.

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Hiernach ist auch dann, wenn ein Strafverfahren eingestellt wird, für bestimmte Strafverfolgungsmaßnahmen grundsätzlich Entschädigung zu leisten, § 2 StrEG. Welche Eingriffe neben der Anordnung von Untersuchungshaft gemeint sind, ist § 2 Abs. 2 StrEG zu entnehmen, der neben anderem die praktisch sehr bedeutsamen Maßnahmen der Sicherstellung, der Beschlagnahme, des Arrestes nach den §§ 111d und 111o sowie der Durchsuchung nennt.

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Bei Einstellungsentscheidungen nach §§ 153 ff. wird die grundsätzliche Entschädigungspflicht allerdings durch § 3 StrEG ganz erheblich eingeschränkt. Hier heißt es zum einen nur noch, dass die Entschädigung gewährt werden „kann“, zum anderen hängt auch dies vom Vorliegen von Billigkeitsgründen ab. Letztere sollen nach h.M. nur ausnahmsweise dann zu bejahen sein, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen der erlittenen Maßnahme und dem bei Einstellung des Verfahrens angenommenen Tatverdacht besteht.[39]

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Zuständig für die Entscheidung darüber, ob Entschädigung gewährt wird, ist nach §§ 8 f. StrEG das jeweilige Strafgericht. Insbesondere dann, wenn die Entschädigung ganz oder teilweise versagt wird, ist § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG, wonach unabhängig von der Anfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung insoweit stets das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zulässig ist, von Interesse. Über die Höhe der Entschädigung – so genanntes Betragsverfahren[40] – entscheiden im Streitfall die Zivilgerichte, § 13 Abs. 1 Satz 3 StrEG.

140

Gerichte sind bei Einstellungsentscheidungen nach §§ 153 ff. gelegentlich daran interessiert, dass der Betroffene von vornherein auf die Entschädigung nach dem StrEG verzichtet. Angesichts der Tatsache, dass diese nach § 3 StrEG in Fällen der Einstellung des Verfahrens in Anwendung des Opportunitätsprinzips ohnehin nur in Ausnahmefällen gewährt wird, ist damit normalerweise auch nicht der Verlust einer sonderlich relevanten Rechtsposition verbunden.[41] Deswegen kann ein kurzer Gedanke an das StrEG im Zusammenhang mit Überlegungen zur Zustimmung einer Verfahrenseinstellung oder -beschränkung, etwa nach § 153a, flankierend sinnvoll sein.

Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der Urteilsabsprache › B › V. Fristsetzung nach § 154d

V. Fristsetzung nach § 154d

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Ebenfalls nur bedingt in den Zusammenhang einvernehmlicher Verfahrensweisen gehört die „Entscheidung einer Vorfrage“ nach § 154d. Sie spielt insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht eine gewisse Rolle und soll deswegen zumindest kurz erwähnt werden.

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Die Vorschrift gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, einem Anzeigeerstatter zur Klärung einer zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfrage eine Frist zu setzen und nach fruchtlosem Verstreichen das Verfahren einzustellen. Voraussetzung ist, dass das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand hat, und dass eine zivil- oder verwaltungsrechtliche Frage für die Entscheidung über das Strafverfahren notwendig wird. Tatsächliche Aufklärungserfordernisse reichen dabei nicht aus, wie schon der Gesetzeswortlaut zeigt.

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In geeigneten Fällen kann es sinnvoll sein, die Staatsanwaltschaft, sobald der Verteidiger von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erfahren hat, auf diese Möglichkeit anzusprechen. Das ist insbesondere zu erwägen, wenn, wie dies häufig der Fall ist, von Anzeigeerstattern parallel Zivilverfahren angestrengt werden und das Strafverfahren zur Erhöhung des Drucks auf den Mandanten und vor allem auch der Beweisgewinnung dienen soll. Sinn und Zweck des § 154d ist es gerade, die Staatsanwaltschaft von solchen Instrumentalisierungen zu entlasten.[42]

Anmerkungen

[1]

Zur umfassenden Informationserlangung ist die Heranziehung der einschlägigen (Kommentar-) Literatur und Rechtsprechung unerlässlich. Im folgenden Text wird durchweg nur auf einige ausgewählte Aspekte hingewiesen, die erfahrungsgemäß im Zusammenhang mit Verständigungen im Strafprozess besonders häufig auftreten und/oder besonders häufig übersehen werden und/oder mit besonders schwer wiegenden Folgen verbunden sein können.

[2]

Unten Teil 4 (Rn. 456 ff.).

[3]

Meyer-Goßner/Schmitt § 153 Rn. 1; BGHSt 47, 270.

[4]

KK-Diemer § 153 Rn. 31.

[5]

Nur das Revisionsgericht darf nicht nach § 153a verfahren; vgl. LR-Beulke § 153a Rn. 121; KK-Diemer § 153a Rn. 53.

[6]

LR-Beulke § 153 Rn. 35 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt § 153 Rn. 3.

[7]

H.M., vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt § 153 Rn. 3, § 153a Rn. 2; Beulke/Fahl NStZ 2001, 426 ff., 427.

[8]

Vgl. nur LR-Beulke § 153 Rn. 24.

[9]

Art. 6 Abs. 1 EMRK.

[10]

Vgl. z.B. BGH wistra 2007, 184 = NStZ-RR 2007, 176; BGH StraFo 2006, 379 (dort allerdings unter dem Aspekt des öffentlichen Interesses berücksichtigt) sowie KK-Diemer § 153 Rn. 12 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung.

[11]

Vgl. zum Meinungsstreit LR-Beulke § 153 Rn. 29; Beulke/Fahl NStZ 2001, 426 ff., 429; KK-Diemer § 153 Rn. 14.

[12]

Meyer-Goßner/Schmitt § 153a Rn. 7.

[13]

KK-Diemer § 153a Rn. 10.

[14]

LR-Beulke § 153a Rn. 40. Von „hoher Wahrscheinlichkeit“ ist die Rede bei Beulke/Fahl NStZ 2001, 426 ff., 428.

[15]

Ein Beispiel: Jedenfalls im Jahre 2007 war Staatsanwälten im baden-württembergischen Landesteil Baden die Einstellung von Strafverfahren wegen des Vorwurfs der betrügerischen Erlangung von Leistungen nach dem BAFöG im Ermittlungsverfahren selbst nach § 153a nur bis zu einem mutmaßlichen Schadensbetrag von bis zu 500,00 € (!) gestattet.

[16]

Vgl. hierzu auch die geradezu schulmäßige Darstellung des Vorgehens bei Einholung der Zustimmungen bei Meyer-Goßner/Schmitt § 153a Rn. 27 ff.

[17]

Ein verbreiteter, aber falscher Sprachgebrauch besteht übrigens in der Verwendung des Begriffs Geldbuße, der auch deswegen vermieden werden sollte, weil er bei den Betroffenen negative Assoziationen weckt.

[18]

Unstreitig, siehe nur § 111 OWiG sowie Meyer-Goßner/Schmitt § 243 Rn. 12 m.w.N.

[19]

Der Widerruf ist nicht ausdrücklich geregelt und ergibt sich aus einer analogen Anwendung von § 56f StGB; vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt § 153a Rn. 24 f.

[20]

Meyer-Goßner/Schmitt § 153a Rn. 42.

[21]

LR-Beulke § 153a Rn. 85. Ob das Gericht daran mitwirken muss, wenn es für die Einstellungsentscheidung zuständig war, ist streitig, bejahend LR-Beulke aaO. Rn. 83, verneinend KK-Diemer § 153a Rn. 38.

[22]

Vgl. zu Einzelheiten Meyer-Goßner/Schmitt § 153a Rn. 22a.

[23]

LR-Beulke § 153a Rn. 62.

[24]

KK-Diemer § 153a Rn. 24.

[25]

Auch die Einstellung durch das Gericht nach § 153 Abs. 2 entfaltet im Übrigen in eingeschränktem Umfang Rechtskraftwirkung; vgl. näher dazu KK-Diemer § 153 Rn. 41 f.

 

[26]

Meyer-Goßner/Schmitt § 153a Rn. 52, 54; LR-Beulke § 153a Rn. 99.

[27]

Vgl. z.B. OLG Karlsruhe Justiz 2000, 403; Meyer-Goßner/Schmitt § 153a Rn. 57.

[28]

Nach § 492 ff. wird jedoch ein länderübergreifendes staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister (sog. „SISY“) geführt, das unter anderem auch die Art der Verfahrensbeendigung und damit auch Einstellungen nach § 153 und § 153a erfasst. Staatsanwaltschaften können auf diesem Wege also bei zukünftigen Verfahren Kenntnis von zuvor – etwa bei vergleichbaren Vorwürfen – bereits erfolgten Einstellungen gegen Auflagen nehmen. Nach Meyer-Goßner/Schmitt § 492 Rn. 1 sollen so gerade „ungerechtfertigte wiederholte Einstellungen gegen Auflagen nach § 153a“ ausgeschlossen werden. Darauf hat der Verteidiger natürlich ebenfalls hinzuweisen: Die Akzeptanz eines beispielsweise von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Vorgehens nach § 153a bedeutet damit, dass eine solche Einstellung in zukünftigen Verfahren schwieriger zu erreichen sein wird – eine Information, die gerade für Mandanten, die auf Grund beruflicher oder privater Umstände (etwa wiederholte anonyme Anzeigen eines geschiedenen Ehepartners) in Zukunft mit weiteren, insbesondere ungerechtfertigten Vorwürfen rechnen müssen, wesentlich sein kann und vor einer etwa primär ökonomisch motivierten Akzeptanz einer Einstellung nach § 153a bei gleichzeitigem Bestreiten der Vorwürfe in der Sache sorgfältig bedacht werden sollte.

[29]

Vgl. aber zu § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 oben Rn. 123.

[30]

Dazu ausführlich in Teil 4 (Rn. 431 ff.).

[31]

Allerdings umfasst bei Einstellungen nach § 153 Abs. 2 die beschränkte Rechtskraftwirkung auch zuvor nach § 154a behandelte Tatvorwürfe, vgl. KK-Diemer § 153 Rn. 42 m.w.N.

[32]

BGHSt 30, 165.

[33]

Das wird allerdings von der Literatur – zu Recht – bestritten: Wiederaufnahme durch die Staatsanwaltschaft allenfalls bei Vorliegen sachlicher Gründe, vgl. etwa LR-Beulke § 154 Rn. 35.

[34]

BGHSt 37, 10 = wistra 1990, 235 = StV 1990, 295 = NStZ 1990, 399; kritisch hierzu Weigend JR 1991, 257 ff.

[35]

Vgl. nur BGH StV 2000, 656 = StraFo 2001, 18; BGH wistra 2000, 419 = NStZ 2000, 594; BGHSt 30, 197; BGHSt 30, 147.

[36]

BGHSt 50, 40 ff.

[37]

§ 257c Abs. 2 Satz 1 nimmt gerade Bezug auf „sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren“, hierzu näher Rn. 309 ff.

[38]

BGH Urt. v. 12.3.2008 – 3 StR 433/07 (= BGHSt 52, 165).

[39]

Meyer-Goßner/Schmitt Anhang 5, StrEG, § 3 Rn. 2 m.w.N.

[40]

Meyer-Goßner/Schmitt Anhang 5, StrEG, § 10 Rn. 1 m.w.N.

[41]

Hinzu kommen erfahrungsgemäß erhebliche Einschränkungen und Schwierigkeiten selbst dann, wenn Entschädigung dem Grunde nach gewährt wird. In Haftfällen werden nach § 7 Abs. 3 StrEG pauschal 25 € pro angefangenem Tag gezahlt. Materielle Schäden sind zwar nach § 7 Abs. 1 StrEG voll zu ersetzen. Die Zivilgerichte legen hier aber häufig außerordentlich strenge Maßstäbe an (vgl. z.B. OLG Rostock MDR 2006, 812; OLG Karlsruhe Urt. v. 20.1.2005 – 12 U 334/04; OLG München Urt. v. 11.1.2004 – 1 U 4066/04).

[42]

Meyer-Goßner/Schmitt § 154d Rn. 1 m.w.N.

Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der Urteilsabsprache › C. Diversion im Jugendstrafrecht

C. Diversion im Jugendstrafrecht[1]

Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der Urteilsabsprache › C › I. Überblick

I. Überblick

144

Auch im Jugendstrafrecht erfährt das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO, § 2 Abs. 2 JGG) durch die §§ 45, 47 JGG eine Einschränkung. Hier spricht man allgemein von „Diversion“. Die praktische Bedeutung der Diversion ist enorm. Nach Schätzungen werden bundesweit ca. 70% aller jugendstrafrechtlichen Fälle auf diese Weise beendet.[2] Die Kenntnis dieser Vorschriften ist für den in Jugendsachen tätigen Verteidiger somit unerlässlich.

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Bei der Diversion stehen – anders als im Rahmen der §§ 153 ff. – weniger verfahrensökonomische Aspekte im Vordergrund. In §§ 45, 47 JGG kommt vielmehr der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des am Erziehungsgedanken orientierten Jugendstrafrechts zum Ausdruck. Förmliche Jugendstrafverfahren und strafrechtliche Sanktionen sollen weitestgehend vermieden werden, wenn in anderer Form angemessen (und vor allem zeitnah) auf Normverstöße junger Menschen reagiert werden kann.

146

Wie die §§ 153 ff. setzen auch die §§ 45, 47 JGG im Grundsatz[3] ein konsensuales Vorgehen voraus. Der Verzicht auf die Durchführung eines förmlichen Jugendstrafverfahrens ist vom Vorliegen eines übereinstimmenden und in irgendeiner Form zum Ausdruck gebrachten Willens der Verfahrensbeteiligten abhängig. Soweit das Gesetz nicht ohnehin ein Zusammenwirken zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht voraussetzt (§§ 45 Abs. 3; 47 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 JGG), macht es jedenfalls ein Geständnis des Beschuldigten zur Voraussetzung der Einstellung (§§ 45 Abs. 3, 47 Abs. 1 Nr. 3 JGG). Oder aber es setzt hierfür voraus, dass der Jugendliche (bzw. Heranwachsende) Auflagen oder Weisungen erfüllt (§§ 45 Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 JGG) bzw. bei der Realisierung erzieherischer Maßnahmen mitwirkt (§§ 45 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 JGG) – was beides von Seiten des Staates nicht rechtlich erzwungen werden kann.

147

Für den Verteidiger bieten diese Vorschriften vielfältige Möglichkeiten, im Rahmen von Verständigungsgesprächen auf eine Einstellung des Verfahrens hinzuwirken. Relevant ist dies nicht nur in Strafverfahren gegen Jugendliche. Die Diversionsvorschriften gelten auch für Heranwachsende, wenn auf sie das materielle Jugendstrafrecht Anwendung findet (§§ 109 Abs. 2, 105 Abs. 1 JGG)[4]. Ob dies der Fall ist, kann nach den Grundsätzen, die der BGH vor Inkrafttreten des VerstG aufstellte, nicht Gegenstand einer Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten sein. Die Anwendung des Jugendstrafrechts sei – so die Argumentation des BGH – bei Vorliegen der Tatbestände §§ 105 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 JGG zwingend vorgeschrieben; zwingend vorgeschriebene Rechtsfolgen seien einer Vereinbarung nicht zugänglich[5]. Hieran hat das Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren nichts geändert, so dass vom Fortgelten dieser Rechtsprechungsregel auszugehen ist.

Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der Urteilsabsprache › C › II. Unterschiede zwischen §§ 153, 153a und §§ 45, 47 JGG

II. Unterschiede zwischen §§ 153, 153a und §§ 45, 47 JGG

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Im Vergleich zu den §§ 153 ff. weisen die §§ 45, 47 JGG einige Abweichungen auf, die bei der Beratung nicht aus dem Blick verloren werden dürfen und die hier schlagwortartig zusammengefasst werden sollen:

Unterschiede zwischen §§ 153, 153a und §§ 45, 47 JGG


Abweichend von § 153 Abs. 1 S. 1 setzt § 45 Abs. 1 JGG für die Einstellung wegen Geringfügigkeit im Vorverfahren keine Zustimmung des Gerichts voraus.
Abweichend von den §§ 153 ff. sind die §§ 45, 47 JGG schließlich nicht nur auf Vergehen, sondern auch auf Verbrechen im materiellen Sinn (§ 12 Abs. 2 StGB) anwendbar.

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Auch in diesen Abweichungen zu den §§ 153 ff., die in größerem Umfang eine Einstellung des Strafverfahrens aus Opportunitätsgründen ermöglichen, kommt letztlich der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Ausdruck.

Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der Urteilsabsprache › C › III. Zu den einzelnen Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 45, 47 JGG

III. Zu den einzelnen Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 45, 47 JGG

1. Übersicht

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Die §§ 45, 47 JGG normieren – jeweils parallel – drei nach der Eingriffsintensität abgestufte Arten der Verfahrenseinstellung. Neben einer folgenlosen Einstellung (§§ 45 Abs. 1; 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JGG) als „günstigste“ Lösung[8] sieht das Gesetz auf der zweiten Stufe eine Einstellung im Hinblick auf ergriffene bzw. zumindest eingeleitete erzieherische Maßnahmen vor (§§ 45 Abs. 2; 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 JGG). Beim sog. formlosen jugendrichterlichen Erziehungsverfahren (§§ 45 Abs. 3; 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 JGG) als dritte Einstellungsmöglichkeit kann die Einstellung nach der Erfüllung von Auflagen oder Weisungen erreicht werden. Welche Art der Verfahrenseinstellung im konkreten Fall in Betracht kommt, hängt maßgeblich von der Schwere des Tatvorwurfs ab. Während die Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153, 153a jeweils an ein bestimmtes Maß an Schuld anknüpfen,[9] findet bei §§ 45, 47 JGG insoweit also eine norminterne Differenzierung nach der Schuldschwere statt. Da sich die Voraussetzungen jeweils im Wesentlichen decken, werden die einzelnen Einstellungsmöglichkeiten der §§ 45, 47 JGG im Folgenden gemeinsam behandelt.

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Auskunft darüber, welches Verfahren sich für welche Art der Diversion eignet, geben die sog. Diversionsrichtlinien[10]. Neben den allgemeinen bundeseinheitlichen Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz (RiJGG)[11] finden sich auch auf Länderebene – teilweise sehr detaillierte – Vorschläge für die Handhabung der §§ 45, 47 JGG in der Praxis.[12] Diese Leitlinien wenden sich nicht nur an den Jugendstaatsanwalt, sondern ausdrücklich auch an die Gerichte.[13] Die Kenntnis der Richtlinien ist nützlich, wenn auf das Vorliegen der dort aufgestellten Voraussetzungen im konkreten Fall hingewiesen werden kann. Ein Abweichen von den Richtlinien ist zu Gunsten des Beschuldigten natürlich immer möglich, wenn hierfür tragfähige Gründe vorliegen.

 

2. Einstellung wegen Geringfügigkeit, §§ 45 Abs. 1; 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JGG

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§§ 45 Abs. 1; 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JGG ermöglichen die Einstellung, „wenn die Voraussetzungen des § 153“ vorliegen. Unter dieser Voraussetzung benötigt der Jugendstaatsanwalt im Vorverfahren für die Einstellung keine Zustimmung des Gerichts. Ein Geständnis des Beschuldigten ist bei den §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JGG (ebenso wie bei §§ 153, 153a) prinzipiell nicht erforderlich.

153

Was die Voraussetzungen des § 153 betrifft (geringe Schuldschwere, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung), kann an dieser Stelle auf die entsprechenden Ausführungen zu § 153 verweisen werden.[14] Im Jugendstrafrecht sind nach den Diversionsrichtlinien die geringe Schuld und das Fehlen des öffentlichen Interesses in der Regel bei erstmals auffälligen Jugendlichen und bei jugendtypischem Fehlverhalten mit nur geringen Folgen („leichte Straftaten“[15]) anzunehmen. Eine Anwendung kommt aber auch bei bereits auffälligen Jugendlichen in Betracht, etwa im Hinblick auf die Verschiedenheit der Tatvorwürfe und den Zeitablauf. Wichtig ist, ob bereits die Entdeckung der Tat und das Ermittlungsverfahren hinreichend erzieherische Wirkung entfaltet hat, so dass weitere Maßnahmen entbehrlich erscheinen.[16] Voraussetzung der Anwendung der §§ 45 Abs. 1; 47 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JGG ist freilich stets, dass überhaupt ein hinreichender Tatverdacht besteht und keine Prozesshindernisse vorliegen. Wie auch bei § 153, geht eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 der Diversion selbstverständlich stets vor.