Ich weiß nur, dass ich dich liebe

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NEUN

Als sie in Portland ankamen, war es schon spät. Einen Teil der Strecke hatte Lucy vor sich hin gedöst, froh darüber, einfach vergessen zu können. Sie mochte gar nicht an den Moment denken, wenn Zac wieder abfahren würde, und schon allein bei dem Gedanken, ihn dann nie mehr wiederzusehen, wurde ihr so eng ums Herz, dass sie kaum Luft bekam.

Sie betrachtete ihn jetzt aus dem Augenwinkel in dem Licht der Straßenbeleuchtung, die sein maskulines Profil hervorhob. Unter seinen Augenbrauen und den Wangenknochen lagen tiefe Schatten. Sein Mund war zusammengekniffen und ganz schmal. Nie wieder würde sie diesen Mund küssen, nie wieder spüren, wenn er ihr zärtlich über die Wange strich, nie wieder die Sicherheit seiner starken Umarmung erleben.

Sie hatte gedacht, vielleicht doch noch etwas Zeit schinden zu können, als Zac ihre Adresse nicht hatte ausfindig machen können, und ihn angefleht, Brad nicht noch einmal anzurufen.

Aber er hatte noch ein As im Ärmel gehabt – seine Cousine Abby, die in Indiana als Privatdetektivin arbeitete. Sie hatte nicht einmal eine Stunde gebraucht, um Lucys Adresse herauszubekommen, eine Wohnung in der Park Street 6, das lag im Stadtzentrum.

Zac fuhr jetzt von der Hauptstraße ab in ein Wohngebiet. Er lenkte den Wagen mit beiden Händen langsam durch die dunklen Straßen. Irgendwann ging das Wohngebiet in ein Geschäftsviertel über mit höheren Gebäuden und Ampeln an jeder Ecke – doch nichts von alledem kam ihr bekannt vor. Sie versuchte, sich ihre Wohnung vorzustellen, aber vergeblich. Und dann fiel ihr noch ein anderes Problem ein.

„Moment mal. Wie sollen wir denn überhaupt in meine Wohnung kommen?“, fragte sie.

Er räusperte sich und sprach dann das erste Mal seit vielen Kilometern:

„Wir finden bestimmt den Hausmeister.“

„Und was ist, wenn er nicht da ist?“

„Dann fragen wir bei den Nachbarn. Vielleicht hast du dort ja einen Schlüssel deponiert, so, wie du es auch in Summer Harbor gemacht hast.“

„Und was, wenn nicht?“ Er würde sie ja wohl nicht einfach vor der verschlossenen Tür sitzen lassen, oder?

„Abby hat mir im Laufe der Jahre ein paar Tricks beigebracht, sodass ich so ziemlich jede Tür aufbekomme.“

Er bog jetzt in die Park Street, bremste ab und fuhr so langsam, dass er die Hausnummer lesen konnte. Sie waren in dem Block mit den 300er-Nummern, also gab er wieder mehr Gas. Schon bald kamen sie in einen Abschnitt mit Reihenhäusern aus Backstein. Hohe, schmale Gebäude, die eng aneinandergebaut waren.

Plötzlich nahm er den Fuß vom Gas und schaute mit zusammengezogenen Brauen und angespanntem Mund nach vorn.

Sie folgte seinem Blick und sah eine Gruppe von Menschen, die sich an der Eingangstreppe zu einem der Häuser versammelt hatte.

„Oh nein!“, sagte er.

„Was ist denn los?“, hörte er sie von hinten.

„Gibt es einen Hinter …? Ach, ist egal.“

Als er an dem Gebäude vorbeifuhr, schauten die Leute ihrem Wagen hinterher. Ein paar von ihnen standen auf, und ein Mann schwang sich eine Kamera auf die Schulter. Lucy bemerkte einen weißen Van mit dem Namen eines Senders und einen Kleinbus mit einem unleserlichen Logo darauf.

Ein Stück weiter die Straße hinunter parkte Zac am Bordstein und stellte den Motor aus.

„Was ist denn los? Ist das das Haus, in dem ich wohne?“

Doch er antwortete nicht, sondern schaute zu ihr nach hinten in die Dunkelheit und erklärte: „Folgendes machen wir jetzt: Wir gehen sehr schnell an ihnen vorbei, und du bleibst immer ganz nah bei mir und sagst nichts. Kein Wort, kapiert?“

„Glaubst du etwa, dass die meinetwegen da sind?“

Er stieß einen sehr langen Seufzer aus und antwortete: „Dein Verlobter muss der Polizei Bescheid gesagt haben, dass du wiederaufgetaucht bist. So etwas wird dann meistens veröffentlicht. Du bist als vermisst gemeldet, hast dein Gedächtnis verloren, und außerdem bist du Audrey Lovetts Großnichte. Das ist wahrscheinlich Sensation genug. Bist du bereit? Wir müssen schnell sein.“

Nein! Himmel, nein, sie war nicht bereit! Aber Zac war schon ausgestiegen und kam um den Wagen herum, um ihr herauszuhelfen.

Er öffnete die Tür von außen und nahm sie beim Arm. Sie hatte weiche Knie und schwankte leicht, als sie schnurstracks auf den Pulk von Menschen zugingen. Ihr Herz raste, sie bekam kaum Luft und klammerte sich an Zacs Arm fest, weil sie ihn als Stütze brauchte.

Als sie näher kamen, drehten sich die Reporter zu ihnen um und kamen mit Mikrofonen und Kameras bewaffnet auf sie zu. Blitzlichter blendeten sie, sodass sie blinzeln musste und sich an Zac drängte, der seinen Arm um sie legte und sie an sich zog.

Und dann war die Meute auch schon bei ihnen.

„Stimmt es, dass Sie Ihr Gedächtnis verloren haben, Lucy?“

„Wo sind Sie gewesen, Lucy?“

„Was können Sie uns über Ihren Unfall sagen?“

„Wer ist der Mann bei Ihnen, Lucy?“

„Kein Kommentar“, knurrte Zac nur, zog seine Schultern ein und ging einfach durch die Gruppe der Journalisten hindurch.

Lucy musste beinah rennen, um mit ihm Schritt zu halten, und als sie die Eingangstreppe erreichten, stolperte sie neben ihm die Stufen hinauf.

„An was können Sie sich erinnern, Lucy?“

„Wie ist Ihre Prognose?“

„Wieso sind Sie von Ihrer Hochzeit weggelaufen?“

„Sie werden ,die Ausreißerbraut‘ genannt. Möchten Sie dazu etwas sagen?“

Sie schlüpfte rasch zur Tür hinein ins Haus und ging schnurstracks zur Treppe. Hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss und sperrte alle weiteren Fragen aus. Zac blieb ganz nah bei ihr, als sie einen Treppenabsatz hinaufgingen und dann noch einen.

Oben angekommen, war sie völlig außer Atem.

„Was ist mit dem Hausmeister?“, fragte sie ihn keuchend.

Er holte zwei kleine Werkzeuge aus der Tasche und antwortete: „Wir gehen gleich zu Plan C über.“

Lucy schaute die Treppe hinunter zum Eingang, während er mit dem Schloss beschäftigt war, weil sie Angst hatte, die Reporter würden die Tür eindrücken. Die Fragen der Leute verfolgten sie. Wie lange sie dort draußen wohl noch ausharren würden? Ob sie jetzt hier in dem Haus festsaß?

Ausreißerbraut?

„Vielleicht sollten wir doch lieber den Hausmeister holen. Sein Name und die Telefonnummer stehen bestimmt bei den Briefkästen unten.“

Zac hielt einen Moment inne, schaute dann zu ihr hoch und fragte: „Du erinnerst dich an die Briefkästen?“

„Nein … das habe ich nur vermutet.“

Die Enttäuschung über ihre Antwort war ihm deutlich anzumerken. Er machte sich wieder mit seinem Werkzeug an die Arbeit und brummte: „Ich habe es sowieso gleich geschafft.“

Ein paar Minuten später war die Tür tatsächlich auf. Sie betraten die Wohnung, in der es nach neuem Teppichboden und Zitrone roch. Zac schloss die Tür hinter ihnen und ruckelte am Türknauf.

„Du brauchst ein besseres Schloss.“

Sie betrat jetzt das Wohnzimmer und schaute sich die schicke fremde Einrichtung an. Die Wände waren taubengrau gestrichen, auf dem Boden lag weißer Teppichboden. Das anthrazitfarbene Ledersofa sah aus, als wäre es zum Bestaunen da und nicht, um darauf zu sitzen, und an der Wand hingen ein hübschgerahmter Blumendruck von Georgia O’Keefe und eine Skyline von einer Stadt – Portland, nahm sie an. Es war eine hübsche Wohnung, aber ganz anders, als er es bei ihrem Geschmack erwartet hätte.

Sie spürte Zacs Anwesenheit, als er den Raum betrat. „Nett hier. Kommt dir irgendwas bekannt vor?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist doch alles gar nicht mein Stil, Zac. Und außerdem kann ich mir so etwas gar nicht leisten. Bist du sicher, dass das hier meine Wohnung ist?“

„Wenn nicht, dann wären doch nicht all die Journalisten hier.“

„Klar, da hast du recht.“ Sie hoffte, dass ihr Hirn bald wieder richtig funktionierte.

Er ließ den Blick durch den Raum schweifen und sagte: „Vielleicht hast du es ja möbliert gemietet.“ Dann ging er zu einem Tisch hinüber, während sie weiterging in einen kleinen Flur, von dem ein hübsches Schlafzimmer und ein schickes Bad mit einer großen Wanne abgingen. In der Tür zum Bad blieb sie stehen, und ihr Blick fiel auf ihre rote Dose mit Haarfestigerschaum und die vertraute Haarbürste. Sie nahm beides in die Hand und entdeckte dann auch noch ihre Reinigungsmilch.

Zac tauchte in der Tür auf, und sein Blick ging zu den Gegenständen in ihren Händen. Sie spürte, wie sie rot wurde, und legte die Sachen mit zitternden Händen einzeln wieder auf den marmornen Waschtisch.

Du drehst langsam durch, Lucy.

„Ich habe auch ein paar Sachen gefunden“, sagte er und hielt einige Briefumschläge hoch. „Post. Sieht aus wie Kontoauszüge, ein paar Rechnungen und ein Gehaltsscheck.“

„Ein Gehaltsscheck? Von wem denn?“, fragte sie.

„Irgendetwas, das sich Vacasa nennt.“

Sie nahm den Scheck und runzelte die Stirn. Sie hatte von dieser Firma noch nie etwas gehört. Und auch der Betrag auf dem Scheck gab ihr Rätsel auf. Selbst wenn es nur ein Wochengehalt war, reichte es nicht, um sich eine Wohnung wie diese leisten zu können.

„Ich versteh das alles nicht“, sagte sie nur kopfschüttelnd.

„Wahrscheinlich hast du noch einen Zweitjob gehabt. Lass uns mal nachschauen, ob wir irgendwo Autoschlüssel finden.“

 

Sie folgte ihm durch einen winzigen Essbereich zurück ins Wohnzimmer und dann in die Küche. Vielleicht hatte ja Brad die Wohnung bezahlt. Aber sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass sie sich von einem Mann hatte aushalten lassen – doch alles andere ergab keinen Sinn.

„Bingo“, sagte Zac in dem Moment, nahm eine Lederhandtasche, die sie nicht kannte, vom Küchentresen und gab sie ihr.

„Aber wieso sollte denn meine Handtasche hier sein?“, fragte sie. „Hätte ich die nicht auf jeden Fall mitgenommen?“

Auf diese Frage reagierte er nur mit einem Achselzucken.

Nein, natürlich nicht, denn sie hatte sicher zu ihrem Brautkleid passend ein kleines weißes Täschchen dabeigehabt. Und wahrscheinlich einen kleinen Koffer oder eine Reisetasche, denn schließlich hatte sie sich ja für die Hochzeit umziehen müssen.

Ausreißerbraut.

Doch sie schob diesen Gedanken weg, während sie den Inhalt der Handtasche durchging. „Wahrscheinlich ist mein Wagen doch gar nicht hier“, sagte sie im selben Moment, als ihre Finger auf die gezackten Ränder von Schlüsseln stießen. Sie zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, an dem drei Schlüssel und die Fernentriegelung für einen Buick hingen.

Aber sie fuhr einen Mini Cooper und hatte noch nie den Luxus einer Fernentriegelung gehabt. Wieder runzelte sie die Stirn und sagte: „Das sind bestimmt nicht meine.“

„Ich wette, sie gehören dir“, widersprach er.

Dann ging er zum Fenster und spähte erst durch die geschlossenen Gardinen, bevor er sie ein ganz kleines Stückchen zurückzog. „Die Reporter sind immer noch da.“

Sie trat hinter ihn, sodass sie seinen würzigen Duft riechen konnte und einmal tief einatmete, um ihn in Erinnerung zu behalten.

Zac richtete die Fernentriegelung jetzt auf die Straße hinaus, drückte dann auf den Kopf, und bei einer Buick-Limousine, die ein Stück die Straße hinunter geparkt war, leuchteten kurz die Scheinwerfer auf.

„Bingo“, sagte er nur und gab ihr die Schlüssel zurück.

Ihre Blicke begegneten sich, während das Licht der Deckenlampe auf sein gutaussehendes Gesicht fiel. Ob er sie wirklich allein hier zurücklassen würde und sie ihn dann für immer verloren hätte?

Wie konnte das alles nur passieren, Gott? Ich liebe ihn doch so sehr.

Er räusperte sich jetzt und rieb sich mit der einen Hand den Nacken. „Vielleicht solltest du in der Handtasche nachschauen, ob nicht auch ein Handy drin ist. Es müssten eigentlich unsere Nummern und ebenso die SMS gespeichert sein. Vielleicht hilft dir das ja, dich wieder zu erinnern.“

„Mein Handy war nicht in der Tasche“, erklärte sie.

„Klar. Wahrscheinlich hast du es bei dir gehabt, als du gestürzt bist. Du solltest morgen früh noch mal in dem Lokal anrufen und nachfragen, ob es dort gefunden wurde.“

Sie nickte nur abwesend, denn sie erinnerte sich nicht einmal mehr an den Namen des Lokals und hatte auch keine Ahnung, wo es war. Sie würde deshalb also noch einmal Brad anrufen müssen, ob es ihr gefiel oder nicht. Vielleicht konnte er ihr ja auch sagen, ob sie eine gute Freundin hatte, damit sie jetzt nicht so allein war. Und so traurig.

„Was glaubst du, was sie damit gemeint haben, Lucy?“, fragte Zac und unterbrach sie in ihren Gedanken. Sie schaute ihm in die silbrigen Augen und kostete die Zärtlichkeit in seinem Blick aus. „Was meinen die mit ,Ausreißerbraut‘?“

Sie riss sich von seinem Blick los, weil er sie unruhig machte. Er hatte so eine Art, ihr das Gefühl zu geben, sie völlig zu durchschauen, bis tief in ihr Innerstes hinein. Irgendwie musste er sie ja geliebt haben.

„Woher soll ich denn das wissen?“, antwortete sie.

„Ach ja“, sagte er fast entschuldigend, rückte etwas von ihr weg und steckte die Hände in die Hosentaschen. Sein Blick wanderte noch einmal durch die unpersönlich, fast steril wirkende Wohnung und dann wieder zurück zu ihr.

„Dann wäre ja so weit alles geklärt, oder? Ich mache mich mal wieder auf den Weg.“

Als sie ihn zur Wohnungstür brachte, schlug ihr Herz zum Zerspringen, und sie spürte einen so heftigen Adrenalinstoß, dass nicht nur ihr Herz raste, sondern auch ihre Arme und Beine zitterten.

„Möchtest du vielleicht noch etwas trinken?“, fragte sie ihn.

„Es ist schon spät, und ich habe noch eine lange Fahrt vor mir“, antwortete er nur.

„Vielleicht noch etwas für unterwegs? Ein bisschen Eistee?“ Eistee hatte sie bestimmt im Haus.

„Nein danke.“

Sie folgte ihm und kämpfte gegen den verrückten Drang an, ihn am Hemd zu packen und zurückzuzerren. Oder einen Satz zu machen und die Wohnungstür zu blockieren.

Aber er liebte sie nicht mehr, wollte nichts wie weg und zurück in sein Lucy-loses Leben in Summer Harbor. Und was hatte sie? Eine Wohnung, die sie nicht kannte, in einer fremden Stadt, einen Verlobten, an den sie sich nicht erinnern konnte, und, ach ja, eine Horde Klatschreporter vor ihrer Haustür. Sie spürte, wie Panik in ihr aufstieg, und hatte einen dicken Kloß im Hals.

Zac war jetzt an der Wohnungstür angekommen und öffnete sie, drehte sich dann noch einmal zu ihr um und sah sie mit seinen kühlen, stahlgrauen Augen an.

Offenbar war ihr anzusehen, wie ihr gerade zumute war, denn sein Blick wurde ein ganz klein wenig weicher. „Du schaffst das schon, Lucy. Du weißt jetzt, wo du arbeitest, du hast deinen Wagen und auch Geld und deinen … Verlobten.“

Ich liebe ihn aber nicht, sondern ich liebe dich.

„Ich habe dir seine Telefonnummer auf den Tisch gelegt. Du solltest ihn anrufen. Er hilft dir bestimmt dabei, alles zu klären.“

Doch sie registrierte gar nicht, was er sagte, sondern starrte ihn nur an und flehte innerlich, dass er bliebe. Wieso wurde sie eigentlich von allen verlassen? Was stimmte nicht mit ihr?

Wieder stieg Panik in ihr auf, und sie hörte ihr Blut im Rhythmus ihres Herzschlags in ihren Ohren rauschen. Nicht betteln, Lucy. Bettele ihn nicht an.

Das Weiche in seinem Blick verschwand wieder, und er sah sie kalt an. Sein Kinn sah hart und entschlossen aus und sein Mund verkniffen. Sosehr sie sich wünschte, er möge sie noch ein letztes Mal in die Arme schließen – wahrscheinlich würde es sich anfühlen, als umarmte sie eine Marmorstatue. Und sie glaubte nicht, dass sie eine weitere Zurückweisung würde ertragen können.

„Denk daran, sofort wieder hinter mir abzuschließen“, sagte er mit belegter Stimme. „Mach’s gut, Lucy.“

Ihre Lippen bebten, sodass sie sich darauf beißen musste und ihm nur einmal ganz kurz zunicken konnte. Mehr schaffte sie nicht.

Und dann war er weg. Die Tür fiel ins Schloss wie schon bei so vielen anderen vor ihm.


ZEHN

Zac stieß die Eingangstür von Lucys Apartmenthaus auf und drängte sich durch die Meute der Paparazzi.

„Wo ist Lucy?“, rief jemand.

„Verraten Sie uns, wer Sie sind?“

„Wo ist sie seit Samstag gewesen?“

„Sind Sie der Grund, weshalb sie Brad vorm Altar hat stehenlassen?“

Zac schwieg verbissen zu diesem Bombardement von Fragen, den Blick starr geradeaus gerichtet. Rasch legte er den Weg vom Haus zu seinem Truck zurück und war froh über die Stille, die ihn umgab, als er wieder im Wagen saß.

Die Reporter standen immer noch am Eingang zu Lucys Haus. Er war ihnen offenbar nicht wichtig genug, dass sie ihn verfolgten, aber bei Lucy war das eine andere Sache.

Das ist nicht dein Problem.

Doch jetzt hatte er wieder das Bild von Lucys Gesicht vor Augen, als er gegangen war.

Sie war gespenstisch blass gewesen und hatte Panik im Blick gehabt. Entschlossen schob er das Bild von sich und fuhr los, aber sein Herz schlug wie wild, und er hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch.

Sie ist eine erwachsene Frau. Sie kommt schon zurecht.

Als er ein paar Minuten später auf dem Highway war, gab er Gas und schaltete das Radio ein. Es lief ein klagender Countrysong, und er suchte rasch einen anderen Sender mit heiterer Musik.

Lucy war wieder dort, wo sie hingehörte, und er auf dem Weg zurück in die Normalität. Auch wenn seine eigene Normalität nicht gerade berauschend war, konnte er damit leben. Das tat er ja schließlich schon, seit sie weg war. Scherben aufzukehren war nie besonders schön, und auch wenn sie eine weitere Kerbe in seinem Herzen hinterlassen hatte, nun … es würde schon wieder heilen. Irgendwann. Er hatte ganz vergessen, wie anziehend er ihren Südstaatenakzent immer gefunden hatte, ihre blauen Augen und das schöne Gefühl ihrer kleinen Hand in seiner großen.

Aber als sie sich vorhin in der Wohnung umgeschaut hatte, die ihr offenbar völlig fremd war, hatte sie wie schützend die Arme um ihre Mitte geschlungen und unendlich verloren gewirkt.

Sie hat doch ihren Verlobten. Der wird ihr schon beistehen.

Er musste aufhören, sich Gedanken um Lucy zu machen. Also drehte er das Radio lauter und versuchte, sich mit der Countrymusic abzulenken.

Inzwischen war es schon fast elf Uhr abends, Zeit für die Spätnachrichten. Ob sie wohl Lucys Geschichte bringen würden und schon bald die ganze Stadt über ihr Privatleben Bescheid wusste?

Warum sind Sie von Ihrer eigenen Hochzeit weggelaufen, Lucy? Sie werden ,die Ausreißerbraut‘ genannt.

Er runzelte die Stirn, während er vor sich auf die Straße starrte und die Worte der Reporter wie Soldaten durch seinen Kopf marschierten. Ob es wohl stimmte, was sie gesagt hatten? War sie deshalb allein in dem Lokal gewesen, wo sie gestürzt war? Hatte sie zum zweiten Mal einen Bräutigam am Altar stehengelassen? Der Kerl tat ihm fast ein bisschen leid.

Aber ein wenig beruhigte ihn dieser Gedanke auch, denn wenn er nicht der Einzige war, den sie hatte sitzenlassen, dann konnte es ja nicht nur an ihm liegen – nicht an ihnen –, sondern das Problem lag bei ihr.

Doch er schalt sich sofort für diesen Gedanken, denn es ging hier doch jetzt gar nicht um ihn, sondern es ging um Lucy.

Lucy, die keinen Verlobten mehr hatte.

Und wieso hatte der Typ am Telefon eigentlich nicht einmal erwähnt, dass Lucy ihn am Tag der Hochzeit hatte sitzenlassen? Das war schließlich eine nicht ganz unwesentliche Information. Und Zac wusste doch so gut wie nichts über den Mann. Die Tatsache, dass er mit Lucy verlobt gewesen ist, bedeutete ja nicht automatisch, dass er ein grundehrlicher Mensch war. Und da sie ihn noch nicht sehr lange gekannt haben konnte, war doch auch nicht auszuschließen, dass er ein richtiger mieser Typ sein konnte. Vielleicht hatte sie ihn ja deshalb abserviert.

Und wenn er etwas vor ihr geheim gehalten hatte, wie konnte sie dann wissen, dass er ihr nicht noch jede Menge andere Lügen auftischte – besonders jetzt, da sie sich an die letzten sieben Monate ihres Lebens nicht mehr erinnern konnte? Sie war jedenfalls zurzeit unglaublich angreifbar und verletzlich.

Und dann lässt du einfach zu, dass er ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist?

Sein Herz schlug jetzt schneller, und sein Atem ging in kurzen Stößen.

Tu’s nicht, Mann. Fahr nicht zurück.

Er packte das Lenkrad fest mit beiden Händen und wünschte, er hätte jetzt seinen Vater anrufen können. Der hatte nämlich die Fähigkeit gehabt, schnell und sicher den Kern einer Sache zu erkennen und deutlich zu machen, worum es eigentlich ging. Er hätte gewusst, was Zac jetzt tun sollte. Aber er war nicht mehr da, und Zac musste allein entscheiden.

Lucy gehörte nicht nach Summer Harbor, und sie hatte ihm schon einmal das Herz gebrochen. Daran hatte ihn Beau gestern Abend noch einmal erinnert, als er kurz vorbeigeschaut hatte, und danach in regelmäßigen Abständen per SMS. Er hatte Zac gedrängt, Lucy so schnell wie möglich wieder nach Portland zu bringen, denn er wusste, dass sie Zacs Kryptonit war.

Aber dann sah er wieder ihr Gesicht vor sich, als er gegangen war. Ihre Lippen hatten gebebt, und sie hatte Tränen in den Augen gehabt, als sie ihm die letzten Worte zugeflüstert hatte.

 

Im Grunde war ihm klar, dass er es einfach nicht fertigbrächte, sie dort allein zu lassen. Er schlug einmal heftig mit der flachen Hand aufs Lenkrad und dann noch einmal. Blöd, dumm …

Dann wechselte er auf die rechte Spur, fuhr bei der nächsten Ausfahrt wieder vom Highway ab und hoffte, dass er nicht gerade den größten Fehler seines Lebens machte.


Als es an der Tür klopfte, sprang Lucy vor Schreck auf, und ihr Herz begann wieder zu rasen. Hatten es die Reporter jetzt doch irgendwie geschafft, ins Haus zu gelangen? Als sie vor ein paar Minuten Zac hinterhergeschaut hatte, waren sie jedenfalls noch vorm Haus gewesen.

Vielleicht war es ja auch Brad, ihr Verlobter, der irgendwie erfahren hatte, dass sie wieder da war.

Hoffentlich nicht, denn sie fühlte sich im Moment wirklich nicht in der Lage, mit ihm fertig zu werden.

Sie ging durch das Wohnzimmer und den kleinen Flur, um durch den Spion zu schauen. Sie brauchte ja nicht zu öffnen. Sie legte also nur ganz leicht die Fingerspitzen an die Tür, beugte sich dann vor und machte große Augen, als sie Zac dort stehen sah. Er schaute zu Boden und sah extrem angespannt aus.

Zac! Ihr war völlig egal, weshalb er noch einmal zurückgekommen war, und sie war so froh, ihn zu sehen, dass sie heftiges Herzklopfen bekam und mit zitternden Händen die Tür öffnete.

Er fixierte sie mit seinem Blick, in dem irgendetwas aufblitzte – war es Zorn oder Frust?

Sie sah ihn an, um vielleicht einen Hinweis in seiner Miene zu finden, weshalb er zurückgekommen war, aber sein Blick war undurchdringlich.

Ihr Mund war ganz trocken vor Aufregung, und die Worte blieben ihr im Hals stecken. Hoffnung brach sich Bahn.

„Pack ein paar Sachen“, sagte er schließlich schroff. „Und beeil dich.“

Überrascht atmete sie aus und fragte: „Nimmst du mich mit nach Hause?“

„Du kommst mit mir“, sagte er angespannt. „Aber nur, bis dein Gedächtnis wieder da ist.“

Die Anspannung, von der sie gar nicht gewusst hatte, wie stark sie war, fiel von ihr ab, und stattdessen erfasste sie ein heiteres, beinah schwindelerregendes Gefühl. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, und presste sich eine Hand auf ihr pochendes Herz.

„Komm, mach schon“, sagte er knapp. „Diese Geier sind immer noch da draußen, und ich möchte heute Nacht wenigstens noch etwas Schlaf bekommen.“

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