Der Duft von Pfirsichen

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Der Duft von Pfirsichen
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DENISE HUNTER

Der Duft von Pfirsichen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anja Lerz


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-96140-083-6

© 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers First published under the title “Blue Ridge Sunrise”

© 2017 by Denise Hunter

Published by arrangement with Thomas Nelson, a division of HarperCollins Christian Publishing Inc.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Anja Lerz

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: fotolia selenit

Satz: Brendow Web & Print, Moers

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

www.brendow-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

COVER

TITEL

IMPRESSUM

TEIL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

TEIL 2

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

TEIL 3

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

KAPITEL 43

EPILOG

GRANNYS PERFEKTER PFIRSICHSTREUSEL

TEIL 1

KAPITEL 1

Niemals hätte Zoe Collins erwartet, dass sie je wieder einen Fuß auf die Straßen von Copper Creek setzen würde. Doch nun war das Einzige, was sie dazu hätte bewegen können, passiert.

Ein wenig wackelig auf ihren hohen Absätzen stieg sie aus dem dunklen Sedan. Brady, ihr Bruder, hakte sich wortlos bei ihr unter, während sie ihrem Vater über den gepflegten Friedhof folgten, der Grannys neue irdische Ruhestätte werden würde.

Sie atmete die Frühlingsluft tief ein und betrachtete die Berge und Tannenwälder, die sie umgaben. Copper Creek schmiegte sich in die hügeligen Ausläufer der Berge von Georgia. Manche mochten sagen, ein Besuch in dem Städtchen sei ein wie ein Ausflug in alte, einfachere Zeiten, aber für Zoe waren die Erinnerungen an zu Hause eine widersprüchliche Mischung aus Glückseligkeit und Jammer und Elend. Vor allem Jammer und Elend.

Ihr Freund, Kyle, war mit ihrer Tochter Gracie im Hotel geblieben. Zoes lange begraben geglaubte Trauer und ihre Schuldgefühle rangen mit dem überwältigenden Gefühl der Erleichterung darüber, endlich allein zu sein. Sie beschloss, sich auf Letzteres zu konzentrieren, und füllte ihre Lungen mit dem vertrauten süßen Duft der Heimat: Es roch nach Hyazinthen, Sonnenschein und Freiheit.

Als sie sich dem Zelt näherten, kam Zoes beste Freundin auf sie zu. Hope Daniels hatte sich kein bisschen verändert – mit ihrem dunklen, gewellten Haar und den funkelnden grünen Augen war sie immer noch eine Naturschönheit. Wenn sie lächelte, sah sie Rachel McAdams täuschend ähnlich. Aber heute war keine Spur ihres breiten Lächelns zu sehen.

Zoe löste sich von Brady, um sie zu begrüßen, und fand sich in einer Riesenumarmung wieder, wie nur Hope sie zustande brachte. Ein Teil Liebe, zwei Teile Boa Constrictor.

„Zoe.“

„Hey, Hope“, quetschte Zoe heraus.

„Es tut mir so leid, dass ich es nicht zur Trauerfeier geschafft habe.“

„Mach dir keine Gedanken. Es tut gut, dich zu sehen.“

Obwohl Hope das Rusty Nail eigentlich nur am Wochenende managte, hatte sie einspringen müssen, weil eine Grippewelle einen Teil der Angestellten aus dem Verkehr gezogen hatte. Ihre große Liebe galt dem Radio. Auf einem Lokalsender moderierte sie eine tägliche Talkshow namens „Living with Hope“, bei der Hörerinnen und Hörer anrufen und über ihre Probleme reden konnten. Dabei konnte sie ihren Abschluss in Psychologie gut gebrauchen, für den sie so hart gearbeitet hatte.

„Wie geht es dir?“

„Ganz okay, glaube ich.“

Hope ließ sie los. Zoe schaffte es, einmal tief durchzuatmen.

„Oh, ich habe dich so vermisst“, sagte ihre Freundin. „Fünf Jahre sind viel zu lang – und kaum ein Anruf“, schimpfte sie. „Aber macht nichts. Ich spare mir die Gardinenpredigt für einen besseren Zeitpunkt auf.“

„Das mit deinem Feingefühl wird immer besser. Gut gemacht.“

„Nicht wirklich. Wart‘s nur ab.“ Hopes Blick huschte zum Zelt hinüber. „Also, wo ist denn jetzt dieser süße kleine Engel, den ich endlich mal zu fassen bekommen will? Es ist wirklich ein einziges Elend, wenn man sich mit Facebook und Instagram begnügen muss.“

„Ich habe gedacht, eine Beerdigung sei vielleicht ein bisschen verwirrend für eine Vierjährige. Außerdem wollte ich auch nicht, dass sie Dad ausgerechnet hier kennenlernt, also habe ich sie bei Kyle gelassen.“ „Ich kann nicht glauben, dass du immer noch mit dem zusammen bist.“

Zoe legte den Kopf schief. „Und du wunderst dich, warum ich nie anrufe. Kyle war für uns da, Hope.“

„Lass uns später darüber reden. Angemessener Zeitpunkt und so.“

„Ich kann es kaum erwarten.“ Zoes Augen wanderten zum Zelt. „Ich finde es grässlich, dass ich nicht bei den Vorbereitungen helfen konnte. Wir konnten einfach nicht früher aus Nashville weg.“

Hope presste die Lippen zusammen. Offenbar unterdrückte sie den Impuls, einen weiteren Gedanken zu äußern. „Nun ja … du weißt ja, wie deine Großmutter war. Sie hatte schon alles soweit geregelt, Gott sei ihrer Seele gnädig. Viel war gar nicht zu tun. Wie geht es denn Brady heute? An dem Tag, als sie gestorben ist, war er völlig fertig.“

 

Zoe betrachtete ihren Bruder, der jetzt unter dem Zelteingang stand. Der schwarze Anzug passte gut zu seiner großen, stattlichen Erscheinung und den kurzen, dunklen Haaren. Er plauderte mit ihrem Vater, und sie versuchte, die beiden nicht um ihr entspanntes Verhältnis zueinander zu beneiden. Seit sie weggegangen war, hatte Zoe nur noch sporadischen Kontakt mit Brady gehabt – und mit allen anderen eigentlich auch.

Granny. Jetzt war es zu spät. Die Schuld drückte sie schwer. Aber sie schüttelte das Gefühl ab.

„Wie macht sich Brady seit der Scheidung?“, fragte Zoe.

Hope zuckte die Schultern. „Wie es zu erwarten war, glaube ich. Ich weiß nicht, wie er je mit dieser Frau zurechtkommen konnte, aber den kleinen Sam liebt er auf jeden Fall sehr. Alle zwei Wochen darf er ihn am Wochenende haben, weißt du.“

Während Zoes Abwesenheit hatte Audrey Brady verlassen und ihm zweifellos das Herz gebrochen. Noch eine Person, die sie im Stich gelassen hatte.

„Er wollte das Sorgerecht, aber Audrey ist dagegen vorgegangen und hat gewonnen. Ich könnte schwören, dass sie das nur aus Trotz gemacht hat.“

Nach allem, was Zoe über Audrey wusste, stimmte das womöglich. Aber sie wollte nicht mehr über ihren Bruder nachdenken. Das Thema kam einem Bereich zu nahe, den sie unbedingt vermeiden wollte.

„Wie geht es dem Hof, jetzt, wo Granny nicht mehr da ist?“, fragte sie.

„In den letzten paar Jahren hat sie kaum noch selbst die Aufsicht darüber geführt. Sie hat sich um die Einzelhändler gekümmert, aber davon abgesehen ist der Laden quasi wie von selbst gelaufen. Kein Wunder, bei all der Hilfe, die sie hatte.“ Hope öffnete den Mund, als wollte sie noch etwas hinzufügen, biss sich aber auf die Lippe.

Zoe schloss die Augen und konnte die Pfirsiche beinahe riechen, so kurz vor der Ernte. Konnte die samtweiche Haut spüren und das saftige, süße Fruchtfleisch schmecken. In ihrer Kindheit hatte sie jede freie Stunde auf der Plantage verbracht. Dort war es schöner gewesen als zu Hause, besonders, nachdem ihre Mama gestorben war. Sie hätte vor ihrer Abreise gerne noch ein paar stille Stunden dort verbracht. Schade, dass Kyle es so eilig hatte, nach Nashville zurückzukehren.

„Ich hätte nie gedacht, dass es ausgerechnet ihr Herz sein würde“, sagte Zoe.

„Ja, das stimmt. Sie wirkte fit wie ein Turnschuh. Gerade letzte Woche noch kam ich in die Scheune, und da stand sie hoch oben auf einer Fünf-Meter-Leiter. Ich habe sie gefragt: ‚Was machst du denn da oben, Granny Nel?‘, und sie antwortete: ‚Ich wechsele eine Glühbirne.‘ ‚Komm bloß da runter‘, habe ich gesagt, ‚du bist ja vier Meter hoch über dem Boden!‘ Und sie antwortete: ‚Was die perfekte Höhe ist, um diese Glühbirne auszuwechseln.‘“

Zoe grinste wehmütig. „Klingt ganz nach ihr.“

Reue wütete in ihr wie eine Sturmflut im Frühling. Zoe war von zu Hause weggegangen, weil sie geglaubt hatte, sie hätte Granny und alle anderen enttäuscht. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass ihr Weggang selbst die größte Enttäuschung überhaupt sein würde. Die Reue drohte, sie in die Tiefe zu ziehen, aber sie kämpfte darum, an der Oberfläche zu bleiben. Das tat sie häufig in letzter Zeit. Eines Tages würde sie den Kampf verlieren.

Hope drückte Zoes Unterarm. „Hey. Jetzt reicht es aber mit den traurigen Augen. Granny Nel hätte nicht gewollt, dass du ihretwegen heulst.“

Zoe blinzelte die Tränen weg und schaute von Hope zu den Autos, die immer noch eintrafen. Sie ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen, während Hoffnung und Grauen in ihr um die Oberhand rangen. Schnell wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu.

„Du hast recht. Erzähl mal, was hier so los ist. Wie geht es dir? Was habe ich verpasst?“

„Ach, du kennst doch Copper Creek. Hier ändert sich nicht viel. Ich mache immer noch meine Radiosendung und arbeite am Wochenende im Rusty Nail.“

„Du bist viel zu bescheiden. Ich habe im Internet einen Artikel gesehen, in dem stand, dass ,Living with Hope‘ immer beliebter wird. Du hast einen Preis gewonnen, oder?“

Hope antwortete mit einem Schulterzucken. „Ich liebe, was ich tue. Aber das ist nur ein Lokalprogramm.“

„Nicht mehr lange. Du bist auf einem guten Weg, meine Liebe.“

„Das werden wir sehen. Aber wie steht’s bei dir?“ Hope stupste sie mit dem Ellbogen in die Seite. „Vorprogramm für richtig coole Bands und so.“

Kyles Band, Brevity, war die Vorgruppe für einige berühmte Künstler gewesen. Das war schon etwas Besonderes gewesen, vor so einem großen Publikum aufzutreten.

„Na ja, ich bin ja nur Backgroundsängerin.“

„Also bitte! Dein Gesang ist umwerfend. Weißt du was, Last Chance spielt morgen Abend im Rusty Nail. Mit denen solltest du ein paar Lieder singen.“

„Oh, so lange bleiben wir aber gar nicht. Nach der Beerdigung fahren wir wieder.“

Hope schaute überrascht. „Machst du Witze? Du bist doch gestern Abend erst angekommen. Ich habe fast fünf Jahre darauf gewartet, dass du mal wieder vorbeischaust.“

„Tut mir leid. Wir haben einen Auftritt, für den wir zurückmüssen.“ Und so schön es auch war, wieder mit Hope zu reden und sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen − es gab auch andere Leute, die sie weit weniger gerne sehen wollte.

Die Nachzügler trudelten im Zelt ein, eine kleine Gruppe von Menschen in gedeckten Farben. Es war beinahe an der Zeit, anzufangen.

Sie drückte Hopes Hand. „Ich muss los. Wir reden später.“

Sie wandte sich um, strebte über den unebenen Weg zum Zelt und wäre beinahe gestolpert, als ihr Blick auf die Person fiel, nach der sie Ausschau gehalten hatte.

Cruz Huntley hatte noch nie besser ausgesehen. Sein frisches weißes Hemd bildete einen schönen Kontrast zu seiner puerto-ricanischen Hautfarbe, und die Anzugsjacke betonte seine breiten Schultern. Genau in dem Moment sah er auf. Der Blick aus seinen dunklen Augen durchbohrte sie förmlich.

Ihr Herz schlug wie eine Basstrommel in ihrer Brust, während sie seinem Blick einen langen, schmerzhaften Moment lang standhielt. Erinnerte er sich an die letzte Beerdigung, die sie zusammen besucht hatten? Und an alles, was sonst an jenem Tag geschehen war?

Seine Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln.

Sie riss sich los. Fixierte den weißen Sarg, der im Zelt aufgebaut war. Konzentrierte sich auf die Farbexplosion des Blumenschmucks, der auf dem Sarg arrangiert war. Schüttelte sich Cruz aus den Gedanken. Daran würde sie heute nicht denken. Mal davon abgesehen, dass sie ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Mal davon abgesehen, dass er ihr einmal das Herz gestohlen hatte – nur, um es anschließend gründlich zu brechen.

Du bist ein dummes Gör, Zoe.

Im Zelt setzte sie sich auf einen Stuhl zwischen ihren Bruder und Dad. Sie versuchte, die Kälte, die ihr Vater ausstrahlte, zu ignorieren. Im Beerdigungsinstitut hatte sie versucht, ihn zur Begrüßung zu umarmen, aber er war in ihren Armen nur steif geworden. Sie war zurückgewichen. Seine Zurückweisung traf sie wie ein Stachel, der sich immer weiter in sie bohrte.

Dad war noch nie Grannys größter Fan gewesen. Seine Schwiegermutter war für seinen Geschmack viel zu munter gewesen und hatte Zoes Streben nach Unabhängigkeit nur bestärkt. Das war immer schon ein Streitpunkt zwischen den dreien, was nach dem Tod von Zoes Mutter nur schlimmer geworden war.

Aber sie würde jetzt nicht über der Beziehung zu ihrem Dad brüten. Heute ging es um Granny. Darum, sie zu ihrer letzten Ruhe zu betten.

Zoe leerte ihre Lungen und ließ den Gedanken sacken. Ließ zu, dass der Schmerz in ihrer Brust anschwoll, bis er sich nach außen Bahn brach. Als spürte er die Welle des Schmerzes, die sie überkam, drückte Brady ihre Hand. Sie drückte zurück.

Granny ist nicht mehr da.

Der Gedanke traf sie wie ein Vorschlaghammer, als Pastor Jack nach vorne ging, um ein paar letzte Worte zu sagen. Ihre Großmutter war nicht mehr da. Und mit ihr war auch die Liebe weg, die Zoe selbst aus der Ferne noch begleitet und gestärkt hatte.

Irgendwie fühlte sich das unwirklich an. Irgendwie hatte sie gedacht, Granny würde sie alle überdauern. Aber nichts hielt für immer. Nicht einmal die Liebe.

KAPITEL 2

Weniger als fünf Jahre waren vergangen, seit Zoe ihn verlassen hatte, aber Cruz war sich nicht sicher, ob er sie auf der Straße erkannt hätte. In sich zusammengesackt, saß sie zwischen ihrem Bruder und ihrem Vater auf der Seite zum Grab hin unter dem Zeltdach. Ihr Haar, einst rotbraun, war jetzt blond, und ihre Naturlocken waren zu geschmeidigen Wellen gezähmt worden, die im Märzwind flatterten.

Cruz ging um die Grabsteine herum und gesellte sich zu der immer größer werdenden Gruppe der Besucher. Nachdem die Arbeit ihn länger aufgehalten hatte als geplant, war er verspätet zur Trauerfeier gekommen und hatte in der Kirche ganz hinten gesessen. Er hatte der Familie noch nicht sein Beileid ausgesprochen.

Einen Augenblick später begann Pastor Jack mit dem Bestattungsgottesdienst. Er sprach laut, damit seine Stimme auch diejenigen ganz hinten in der Menschenmenge erreichte. Nellie Russel war ein Liebling der ganzen Stadt gewesen. Eine resolute Frau mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Immerhin hatte sie ihm eine Chance gegeben, nicht wahr? Wo andere dachten, er sei nur einer von den vielen Verlierern aus dem falschen Stadtteil. Er hatte sie geliebt wie seine eigene Großmutter.

Der Gottesdienst war kurz, aber herzlich, und als er vorbei war, wartete Cruz, bis er an der Reihe war, der Familie zu kondolieren. Sein bester Freund, Brady, schien sich ganz gut zu halten; er akzeptierte die Beileidsbekundungen mit stoischem Lächeln und festem Handschlag. Das war ein harter Schlag für ihn, so kurz nach der Scheidung von Audrey.

Trotzdem war es Zoe, die immer wieder seinen Blick auf sich zog. Das Kinn gesenkt, die Augen niedergeschlagen. Zahm war das Wort, das einem in den Sinn kam. Nein, er hätte sie auf der Straße nicht erkannt. Was war mit seiner Löwin passiert? Seiner Leona? Er hatte das dumme Gefühl, dass er es eigentlich wusste.

Mit den Fingerknöcheln wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sein Beschützerinstinkt erwachte. Wo war Kyle jetzt? Er sollte hier sein und ihre Hand halten. Das Trio war gestern in einem roten Mustang angekommen. Diese Neuigkeit hatte die Buschtrommeln zum Dröhnen gebracht: Die Rückkehr von Lokalheld und Lokalheldin war Tratschmaterial vom Feinsten.

Während die Leute nach und nach beiseitegingen, rückte er langsam, mit wild schlagendem Herzen, zur Spitze der Schlange auf. Fast fünf Jahre war es her, dass sie ihn gegen einen Traum eingetauscht hatte. Dass sie weggegangen und sein armseliges Schuljungenherz gebrochen hatte.

Sie war immer noch eine Schönheit mit ihrer makellosen Haut und der schlanken Figur. Sie hatte immer noch diese langen Beine, in die sie aber inzwischen hineingewachsen war. Sie war nicht mehr das schlaksige Fohlen von damals.

Genau in dem Moment schwangen ihre Wimpern nach oben, und der Blick aus ihren grünen Augen landete direkt auf ihm. Ein Volltreffer. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde ihr Gesichtsausdruck weich, teilten sich ihre Lippen.

Sein Herz zog sich zusammen, während ihm ein Dutzend Bilder durch den Kopf schossen. Zoe, die aus dem Fenster seiner Beifahrertür hing, das rote Haar wie eine stolze Flagge im Wind. Wie sie vom hohen Ufer von Sutter’s Bend sprang und ihr Freudenschrei die schwüle Sommerluft durchdrang. Wie sie ihm auf den Rücken sprang und sie über die Obstwiesen rannten, wo ihr Lachen wie das schönste Lied der Welt klang.

Er blinzelte die Erinnerungen weg und mit ihnen das Gefühl der Orientierungslosigkeit, das ihn kurz überwältigte, als Zoe wieder in sein Blickfeld kam.

In ihren Augen schienen jetzt die Rollos unten zu sein, und ihre Wimpern streiften ihre Wangenknochen, während sich auf ihren Lippen ein verkniffenes Lächeln bildete. Sie nahm die Beileidsbekundungen entgegen und machte Smalltalk.

Und dann war er an der Reihe.

Sie wandte sich ihm zu. Ihre Augen sprühten Funken, und ihr Kinn reckte sich. „Hallo, Cruz.“

Ah, da war sie, seine Leona. Warum sie allerdings sauer auf ihn zu sein schien, war ihm schleierhaft. Er ließ die Vergangenheit links liegen, während er ihre Hand umschloss. „Mein allerherzlichstes Beileid, Zoe. Sie war wirklich eine ganz besondere Frau.“

 

„Ja, das war sie.“ Ihre Stimme war wie Samt, weich und sanft, ihr Südstaatenakzent kaum noch hörbar. Ihre Augen wanderten überallhin, nur auf ihn fielen sie nicht.

Sie zog ihre Hand aus seiner.

„Granny Nel hat dich sehr geliebt, weißt du. Sie hat die ganze Zeit von dir gesprochen. Sie war sehr stolz auf dich.“ Er erwähnte nicht, wie sehr es ihn geschmerzt hatte, so häufig Zoes Namen hören zu müssen. Und das meist auch noch in einem Atemzug mit dem von Kyle.

Zoe blinzelte schnell und verschränkte die Arme vor dem Bauch. „Danke, dass du das sagst.“

„Brady hat mir gar nicht erzählt, dass du kommst.“

„Er wusste es noch nicht sicher.“

Cruz spürte, wie die Schuld an ihm nagte. Sie und ihr Bruder waren einst so eng miteinander gewesen. Es war Cruz‘ Schuld, dass nun ein Keil zwischen ihnen war. Seine Schuld, dass auch zwischen ihm und Brady ein Keil gewesen war. Es hatte Monate gedauert, ihre Freundschaft zu kitten, nachdem Zoe weggegangen war.


Seit der Sekunde, in der sie ihn verlassen hatte, hatte Zoe sich davor gefürchtet, Cruz wiederzusehen. Was nicht erklärte, warum sich ihr Herz bei seinem Anblick zusammenzog oder wie es kam, dass seine Berührung ihr einen Schauder über den Arm jagte.

„Wie ist es dir ergangen, Zoe?“

Sie hatte den rauen Klang seiner Stimme vergessen, vergessen, wie er ihr Innerstes zum Schwingen brachte.

„Gut. Ganz gut soweit.“ Sie wollte die bernsteinfarbenen Sprenkel in seinen braunen Augen wiedersehen, aber sie war gut darin geworden, den Blickkontakt mit Männern zu meiden. „Und du? Wie geht es dir?“

„Nicht schlecht. Nicht schlecht.“

„Das freut mich.“

Wenn es einen Preis für die langweiligste Unterhaltung des Jahres gab, waren sie die absoluten Favoriten.

„Gratuliere zu deinem ganzen Erfolg“, sagte er.

Sie fühlte sich nicht erfolgreich. Alles, was sie erreicht hatte, hatte sie einen hohen Preis gekostet. Und inzwischen war sie sich nicht mehr sicher, ob es das wert gewesen war. „Danke.“

Sie fragte sich, ob er sie je gegoogelt oder auf den Seiten der Band in den sozialen Medien über sie gelesen hatte. Gott wusste, dass sie sich dazu zwingen musste, nicht nach ihm zu suchen. Das hätte Kyle herausgefunden, und dann hätte es tierischen Ärger gegeben.

„Was hast du denn so gemacht?“, fragte sie.

„Entschuldigung, Zoe“, sagte Joe Connelly, der näher trat.

Angesichts der willkommenen Unterbrechung atmete sie die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte.

„Es tut mir sehr leid, dass ich Sie unterbreche, aber ich habe einen Termin um 14 Uhr.“ Mit seinem penibel gebügelten Anzug und dem haarscharfen Scheitel sah Joe von Kopf bis Fuß aus wie der Anwalt, der er war. „Wir müssen noch einen Termin vereinbaren, um das Testament durchzusprechen.“

„Oh“, sagte Zoe. „Ich fürchte, wir fahren bereits heute ab. Ich muss zu einer Veranstaltung zurück. Ich dachte, Brady könnte sich vielleicht einfach um alles kümmern?“

Joe zog eine Grimasse und warf einen Blick auf die Uhr. „Sie sollten wirklich dabei sein. Hören Sie, ich habe um 16 Uhr noch eine Lücke im Kalender. Würde Sie das zu sehr unter Druck setzen? Ich weiß ja, dass Sie Zeit mit Ihrer Familie verbringen wollen.“

Sie hatte vorgehabt, Gracie ihrem Dad vorzustellen – nicht, dass der sie darum gebeten hätte. „Das passt mir gut. Ich sage Brady Bescheid. Danke, Joe.“

Er nahm ihre Hand. „Ihre Großmutter hat Sie sehr geliebt, Zoe. Daraus hat sie nie einen Hehl gemacht.“

Dumm nur, dass Zoe ihr diese Liebe nie wirklich gedankt hatte. Hinter ihren Augen begann es zu brennen, und ihre Kehle schnürte sich zu. „Danke.“

Mit einem letzten Nicken verabschiedete er sich.

Und erst da fiel ihr auf, dass auch Cruz gegangen war. Er war so schnell und leise verschwunden wie seine Liebe zu ihr.