Die Begleitbeistandschaft

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5. Fazit

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Alle hier behandelten nationalen Rechtsgebiete kennen Personensorge im Sinne der Aufgabenbereiche. Medizinische Angelegenheiten, Wohnungsangelegenheiten, Unterbringung etc. sind gesetzlich explizit vorgesehen. Das österreichische, deutsche und italienische Recht kennen demgegenüber keine eigenständige Personensorge im Sinne der Rechtsmacht, die das Aussenverhältnis betrifft. Die Begleitung, wie sie das schweizerische Recht im Rahmen der Begleitbeistandschaft kennt, ist in diesen gesetzgeberischen Konzeptionen nicht vorgesehen. Personensorge im Sinne der Rechtsmacht wird immer als erforderliche Arbeit zur Ermöglichung einer rechtsgeschäftlichen Handlung gesehen. Dazu gehören Kontakt aufnehmen, vertrauensbildende Massnahmen, Begleitung zum Hausarzt, um einen Behandlungsvertrag abschliessen zu können, oder das Geldeinteilen. Sie betreffen das Innenverhältnis zwischen Beistand und betroffener Person. Damit wird in diesen Ländern dem Betreuer bzw. dem Sachwalter zusammen mit dem Vertretungsmandat auch ein Grundstock erforderlicher Personensorge übergeben. Mit dieser Konzeption stellt sich insbesondere die Frage, was im Einzelfall noch zur erforderlichen Personensorge gehört und wo der Betreuer bzw. der Sachwalter ausserhalb seines Mandates tätig wird, was sozialversicherungs- und haftungsrechtliche Folgen haben kann. Im österreichischen Recht findet sich zudem eine grössere Zurückhaltung in Bezug auf die faktischen Hilfeleistungen ausserhalb der gesetzlich explizit erwähnten Konstellationen.

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Der Rechtsvergleich zu den genannten Ländern lässt keine unmittelbaren Schlussfolgerungen in Bezug auf die Begleithandlungen zu. Zwar kennt die schweizerische Lösung zum Beispiel gemäss Art. 406 ZGB durchaus auch das Handeln im Rahmen der Personensorge im Innenverhältnis; sie geht aber im Vergleich zur deutschen und österreichischen Lösung weiter, indem sie auch Begleithandlungen in Bezug auf das Aussenverhältnis umschreibt und diese damit zusätzlich verankern. Diese Unterschiede im Vergleich zu den genannten Ländern werden im Zusammenhang mit der UN-Behindertenrechtskonvention von Bedeutung sein.[405]

III. Die gesetzlichen Voraussetzungen

1. Einleitung

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Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Errichtung einer Begleitbeistandschaft stellen sich im Überblick wie folgt dar:

Hilfsbedürftige Person: Adressat ist die hilfsbedürftige Person.

Begleitende Unterstützung zur Erledigung bestimmter Angelegenheiten: Die hilfsbedürftige Person benötigt begleitende Unterstützung, damit sie bestimmte Angelegenheiten erledigen kann.

Zustimmungsbedürftigkeit: Damit die Massnahme errichtet werden kann, bedarf es der Zustimmung der hilfsbedürftigen Person.

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Diese einzelnen Voraussetzungen bedingen sich zum Teil gegenseitig und stehen zum Teil auch in Wechselwirkung zur Rechtsfolge.[406] Die Eingriffsschwelle, die Gefährdung, die Beistandschaftsart und die Rechtsmacht können kaum völlig isoliert betrachtet werden; sie beziehen sich aufeinander.[407] Diese Wechselwirkungen zeigen sich teilweise auch in der folgenden Betrachtung der einzelnen gesetzlichen Voraussetzungen.

2. Die «hilfsbedürftige Person»

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Um eine Begleitbeistandschaft anordnen zu können, wird zunächst eine hilfsbedürftige Person benötigt. Damit wird auf den Schwächezustand und die Hilfs- bzw. Schutzbedürftigkeit hingewiesen.

2.1 Natürliche volljährige Person

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Schon der Begriff der Vermögenssorge könnte darauf hindeuten, dass Adressaten des Erwachsenenschutzrechtes nicht ausschliesslich natürliche Personen sind. Das alte Vormundschaftsrecht hat dies durchaus so verstanden. So war in Art. 393 Ziff. 4 aZGB bis zum 1. Januar 2008[408] eine Verwaltungsbeistandschaft vorgesehen, bei einer Körperschaft oder Stiftung, solange die erforderlichen Organe mangeln und nicht auf andere Weise für die Verwaltung gesorgt ist. Ferner kannte das vorrevidierte Recht auch Art. 393 Ziff. 5 aZGB, der ebenfalls eine Verwaltungsbeistandschaft vorsah, bei öffentlicher Sammlung von Geldern für wohltätige und andere dem öffentlichen Wohle dienenden Zwecke, solange für die Verwaltung oder Verwendung nicht gesorgt ist. Dieser Artikel wurde per 1. Januar 2006 ins Stiftungsrecht in Art. 83d ZGB eingefügt. Bei beiden gesetz­gebe­rischen Anpassungen bestand das Bestreben darin, dass sich der Erwachsenenschutz auf natürliche Personen beschränkt.[409]

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Folglich soll grundsätzlich nur eine natürliche Person Adressatin einer Kindes- und Erwachsenenschutzmassnahme sein. Massgeblich für die Frage, ob eine natürliche Person besteht, ist Art. 31 ZGB und die dazugehörige Rechtsprechung und Literatur.[410] Dieser Grundsatz findet, soweit ersichtlich, nur im Falle des nondum conceptus eine Abweichung, bei dem gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung «in analoger Weise» Art. 544 Abs. 1bis ZGB angewendet werden soll.[411] Materiell geht es weniger um eine Abweichung vom Grundsatz, dass nur natürliche Personen gemäss Art. 31 ZGB Gegenstand des Kindes- und Erwachsenenschutzes sind, sondern vielmehr um die analoge Anwendung des Kindes- bzw. Erwachsenenschutzrechts auf erbrechtliche Fragestellungen.

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Adressaten einer Erwachsenenschutzmassnahme können somit ausschliesslich natürliche volljährige Personen sein.

2.2 Schwächezustände

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Die natürliche volljährige Person muss gemäss Gesetzeswortlaut von Art. 393 ZGB hilfsbedürftig sein. Damit wird auf den Schutzbedarf hingewiesen, der wiederum auf einem Schwächezustand gründet. Mit anderen Worten wird hier auf die grundlegenden Voraussetzungen einer Beistandschaft des Art. 390 ZGB verwiesen. Die Voraussetzung des Schwächezustands hat zum Zweck, dass nicht jede Hilfs- und Schutzbedürftigkeit zu einer behördlichen Massnahme führt, sondern nur solche, welche auf einem Schwächezustand basieren.[412] Zur Beurteilung des Schwächezustandes bedarf es in aller Regel einer Einschätzung einer Fachperson.[413]

2.2.1 Das Verhältnis von psychischer Störung und geistiger Behinderung zu den Begrifflichkeiten im vorrevidierten Recht

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Die vorrevidierten Begriffe der «Geistesschwäche» und der «Geisteskrankheit» wurden ersetzt durch die Schwächezustände gemäss Art. 390 Ziff. 1 und Ziff. 2 ZGB, welche sich auch in Art. 16 ZGB und Art. 333 ZGB finden. In der Lehre wird beinahe ausschliesslich der Versuch unternommen, diese alten Begriffe in Bezug zu den neuen Begrifflichkeiten zu setzen, insbesondere, dass geistige Behinderung mit der Geistesschwäche und Geisteskrankheit mit der psychischen Störung korreliert.[414] Dies suggeriert auch die Botschaft zum Erwachsenenschutz.[415] Geisteskrankheit lag im vorrevidierten Recht dann vor, «wenn bei einem Menschen auf die Dauer psychische Störungen bzw. psychische Symptome und Verlaufsweisen auftreten, die einen stark auffallenden Charakter haben, und die einem besonnen Laien den Eindruck uneinfühlbarer, qualitativ tiefgehend abwegiger, grob befremdender und daher prinzipieller Störungszeichen machen»[416] im Unterschied zur Geistesschwäche, die «dem Laien den Eindruck noch einigermassen einfühlbarer, im wesentlichen bloss quantitativer Abweichungen machen».[417] Die Begriffe Geisteskrankheit und –schwäche waren dem Sprachgebrauch des Alltags entnommen.[418] Die Botschaft zum revidierten Erwachsenenschutz präzisiert aber auch die Begriffe, indem sie psychische Störung als «die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie, d. h. Psychosen und Psychopathien, seien sie körperlich begründbar oder nicht, sowie Demenz, insbesondere Altersdemenz»[419] versteht. Damit weist der Gesetzgeber darauf hin, dass nicht mehr der Alltagsgebrauch ausschlaggebend ist, sondern die entsprechenden Krankheitsbilder der Psychiatrie, wie sie im für die Schweiz vor allem Anwendung findenden ICD 10[420] oder aber im DSM V[421] klassifiziert sind.[422] Wenn aber diese fachliche Perspektive ausschlaggebend ist, ist eine Bezugnahme auf die alltagssprachlichen Begriffe kaum mehr möglich. Damit hat sich die Ausgangslage im Vergleich zum vorrevidierten Recht verändert.[423] Dies war auch möglich, weil sich die Klassifikationssysteme in der Psychiatrie im Wesentlichen auf die soeben genannten zwei Systeme konsolidiert haben. Wenn psychiatrische Störung als Fachbegriff zu verstehen ist, so dürfte dies im Sinne der Kohärenz auch für die geistige Behinderung gelten. Letztere ist als im Gesetz explizit genannter Teil der psychischen Störungen im weiteren Sinne gemäss ICD 10 aufzufassen und findet sich dort unter dem Begriff «Intelligenzminderung» F 70–79. Damit ergibt sich aus der rechtlichen Terminologie ein Oberbegriff, nämlich sämtliche im ICD 10 aufgeführten psychischen Störungen als psychische Störungen im weiteren Sinne, die sich unterteilen in geistige Behinderung[424] und psychische Störung im engeren Sinne.[425]

 

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Daraus ist zu schliessen, dass die Begriffspaare «Geisteskrankheit» und «Geistesschwäche» nicht mit den Begriffspaaren «psychische Störung im engeren Sinne» und «geistige Behinderung» so in Verbindung gebracht werden können, dass «psychische Störung im engeren Sinne» eigentlich «Geisteskrankheit» im altrechtlichen Sinne und «geistige Behinderung» «Geistesschwäche» bedeuten würde. Es sind zwei Begriffspaare, die nur bedingt aufeinander Bezug nehmen können.

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Eine psychische Störung im weiteren Sinne wird gemäss DSM V wie folgt charakterisiert:

«Eine psychische Störung ist als Syndrom definiert, welches durch klinisch bedeutsame Störungen in den Kognitionen, der Emotionsregulation oder des Verhaltens einer Person charakterisiert ist. Diese Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychologischen, biologischen oder entwicklungsbezogenen Prozessen, die psychischen und seelischen Funktionen zugrunde liegen. Psychische Störungen sind typischerweise verbunden mit bedeutsamen Leiden oder Behinderung hinsichtlich sozialer oder berufs-/ausbildungsbezogener und anderer wichtiger Aktivitäten. Eine normativ erwartete und kulturell anerkannte Reaktion auf übliche Stressoren oder Verlust, wie z. B. der Tod einer geliebten Person sollte nicht als psychische Störung angesehen werden. Sozial abweichende Verhaltensweisen (z. B. politischer, religiöser oder sexueller Art) und Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft sind keine psychischen Störungen, es sei denn, der Abweichung oder dem Konflikt liegt eine der oben genannten Dysfunktionen zugrunde.»[426] Damit dürfte nach der hier vertretenen Auffassung eine Anlehnung an den alltäglichen Sprachgebrauch nicht mehr angezeigt sein.[427]

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Geht man davon aus, dass sich diese Begrifflichkeiten aus dem medizinischen Fachbereich ableiten lassen, stellt sich die Frage, wer die Definitionsmacht und Auslegungshoheit über diese Begriffe innehat. Die im Gesetz aufgeführten Schwächezustände sind grundsätzlich Rechtsbegriffe und unterliegen der Definitionsmacht und Auslegungshoheit der Rechtswissenschaften.[428] Wo sich die Begrifflichkeit jedoch mit der medizinischen Terminologie deckt, wie bei der geistigen Behinderung und der psychischen Störung,[429] ist – nach der hier vertretenen Auffassung – die rechtsanwendende Instanz daran gebunden, was aber in der Lehre umstritten ist,[430] weil ablehnende Lehrmeinungen, wie oben aufgezeigt, zu Unrecht davon ausgehen, dass Geisteskrankheit mit psychischer Störung und Geistesschwäche mit geistiger Behinderung in Bezug zu setzen sei. Die Frage erscheint nicht von grosser Bedeutung, da der faktische Handlungsspielraum der Behörde kaum vorhanden ist, soweit ein medizinischer Bericht oder ein medizinisches Gutachten nach den Regeln der Kunst erstellt wurde.

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Das Bundesgericht hat sich in BGer 5A_617/2014 vom 1. Dezember 2014 zur Frage geäussert. Es geht davon aus, dass – im Einklang mit der herrschenden Lehre – die bisherige Rechtsprechung zur Geisteskrankheit und Geistesschwäche auch auf die neuen Begrifflichkeiten angewendet werden kann. Es handle sich dementsprechend auch um Rechtsbegriffe, die nicht mit den medizinischen Begriffen zu verwechseln seien. Auch wenn hilfsbedürftige Menschen häufig an einer psychischen Störung leiden würden, sei rechtlich allein massgebend, welches Schutzbedürfnis daraus resultiere.[431] Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen, weil das Bundesgericht mit dem Schutzbedarf zu begründen versucht, weshalb der Schwächezustand ein rechtlicher Begriff sein sollte. Schwächezustand und Schutzbedarf gemäss Art. 390 Abs. 1 ZGB sind aber genau zu unterscheiden. Der Schwächezustand ist – wie oben aufgezeigt – die Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein für das Erwachsenenschutzrecht relevantes Schutzbedürfnis besteht. Der Schutzbedarf ergibt sich – wie das Bundesgericht richtig erwähnt – aus dem Schwächezustand. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, ob es sich bei der «psychischen Störung» bzw. der «geistigen Behinderung» um einen rechtlichen oder medizinischen Begriff handelt.

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Gleiches dürfte gelten, wenn mit der unterschiedlichen Perspektive argumentiert wird, nämlich, dass Erwachsenenschutz auf die Schutzbedürftigkeit ausgerichtet sei, wohingegen medizinische Konzepte vorrangig therapeutische Ziele verpflichtet seien.[432] Nach dem hier vertretenen Verständnis ist der Schwächezustand ein Ausgangspunkt und eine Einschränkung für die Anwendung des Erwachsenenschutzrechts. Nicht allein eine wie auch immer geartete Schutzbedürftigkeit ist ausreichend, sondern nur eine, die sich auf einen Schwächezustand bezieht.[433] Der Schwächezustand ist deshalb wichtig, aber auch nur beschränkt. Das Recht soll ausschliesslich (aber immerhin) Menschen betreffen, die aufgrund eines Schwächezustandes schutzbedürftig sind. Entsprechend kann der Schwächezustand durchaus auch isoliert betrachtet werden und muss sich nicht bereits auf einen Schutzbedarf beziehen.[434] Er ist die Voraussetzung, damit der Schutzbedarf thematisiert wird.

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Diese hier vertretene Auffassung ist insbesondere dogmatischer Natur und hat wenig praktische Auswirkungen. Dies vor allem, weil der Auffangtatbestand des «ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustandes» gemäss Art. 390 Ziff. 1 den rechtsanwendenden Instanzen die Möglichkeit offen lässt, über dieses Kriterium weitere Schwächezustände zu berücksichtigen, die nicht zwingend in einem derartigen medizinischen Konnex stehen.[435] Gleiches gilt für die Anwendung von Art. 16 ZGB, der eine ähnliche generalklauselartige Umschreibung enthält. Die präzise Unterscheidung der geistigen Behinderung und der psychischen Störung ist zudem in Bezug auf die Beistandschaft nicht von Bedeutung, da das Begriffspaar – im Unterschied zur fürsorgerischen Unterbringung[436] – immer gemeinsam Erwähnung findet.[437]

2.2.2 Geistige Behinderung (Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB)

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Unter geistiger Behinderung werden «angeborene oder erworbene Intelligenzdefekte verschiedener Schweregrade» verstanden.[438] Wie soeben aufgezeigt, geht es um die Intelligenzminderung gemäss ICD 10 F 70–79, die formal – gemäss ICD – auch zu den psychischen Störungen im weiteren Sinne zählen.[439] Die geistige Behinderung basiert auf einer verzögerten oder unvollständigen Entwicklung der geistigen Fähigkeiten. Hierzu gehören:

–die leichte Intelligenzminderung mit Intelligenzquotient (IQ) 50–69 (F70)

–die mittelgradige Intelligenzminderung mit IQ 35–49 (F71)

–die schwere Intelligenzminderung mit IQ 20–34 (F72)

–die schwerste Intelligenzminderung mit IQ unter 20 (F73)

–sonstige Intelligenzminderung (F78)

–nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung (F79).

Die geistige Behinderung wird mittels standardisierter Intelligenztests festgestellt.[440] Wie auch die psychische Störung hat sie nicht zwangsläufig Urteilsunfähigkeit im Rechtssinne zur Folge.[441]

2.2.3 Psychische Störung (Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB)

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Psychische Störungen umfassen gemäss Botschaft «die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie».[442] Wie oben dargelegt,[443] lehnt sich diese Definition an die psychiatrischen Klassifikationen DSM V und ICD 10 an. In Europa verwendet man in aller Regel die ICD-Kataloge. Daraus ergeben sich folgende psychische Störungen (mit Ausnahme der Intelligenzminderung bzw. der geistigen Behinderung [F 7][444]):


F0: Organische, einschliesslich symptomatischer psychische Störungen;
F1: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen;
F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen;
F3: Affektive Störungen;
F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen oder Faktoren;
F5: Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen oder Faktoren;
F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen;
F8: Entwicklungsstörungen;
F9: Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend;
F99: Nicht näher bezeichnete psychische Störungen.

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Zu den psychischen Störungen gehören somit – wie vom Gesetzgeber ausdrücklich erwähnt[445] – auch Demenz (ICD–10 F00–F03) sowie Suchterkrankungen (z. B. Alkoholabhängigkeit, ICD–10 F10). Wie bei der geistigen Behinderung hat eine psychische Störung nicht automatisch Urteilsunfähigkeit zur Folge.[446]

2.2.4 «Ähnlich in der Person liegende Schwächezustand» (Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB)

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Neben diesen beiden medizinisch geprägten Schwächezuständen findet sich auch ein Auffangtatbestand, nämlich der «ähnlich in der Person liegende Schwächezustand». Damit sollen vergleichbare Zustände abgedeckt werden, die nicht den medizinisch geprägten Schwächezustände zuordenbar sind.[447] Gemäss der Botschaft geht es «um extreme Fälle von Unerfahrenheit oder Misswirtschaft sowie seltene Erscheinungsformen körperlicher Behinderung, z. B. schwere Lähmung oder Verbindung von Blindheit und Taubheit».[448] Der Schwächezustand muss in der Person selbst liegen und darf nicht bloss auf äusseren Umständen beruhen.[449] Diese Auffangnorm ist – auch gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung – mit der gebotenen Zurückhaltung anzuwenden,[450] weil sie sonst auch für moralische Umerziehung und Disziplinierung bzw. unangepasstes eigensinniges oder dissoziales Verhalten Raum lassen könnte,[451] was bei korrekter Anwendung nicht mit dem Normzweck und dem öffentlichen Interesse übereinstimmt.

 

2.2.5 Vorübergehende Urteilsunfähigkeit bzw. Abwesenheit (Art. 390 Abs.1 Ziff. 2 ZGB)

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Neben diesen in Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB genannten finden sich auch in Ziff. 2 noch zwei weitere Schwächezustände, die weniger häufig vorkommen und auch für die Begleitbeistandschaft weniger bedeutsam sind. Es geht um die vorübergehende Urteilsunfähigkeit, die aber doch von einer gewissen Dauer sein muss, damit überhaupt eine Beistandschaft sinnvoll wird,[452] und die örtliche Abwesenheit. Es ist kaum vorstellbar, dass bei solchen Schwächezuständen begleitende Unterstützung im Sinne einer Begleitbeistandschaft ausreicht, weil – wie noch aufzuzeigen sein wird – die Begleitbeistandschaft kein Vertretungshandeln vorsieht,[453] eine urteilsfähige Person voraussetzt, die selbst handelt[454] und auch urteilsfähig und erreichbar für die Zustimmung zur Massnahme[455] sein muss. Deshalb wird hier auf eine eingehende Erörterung verzichtet.

2.2.6 Beurteilung der Schwächezustände für die Begleitbeistandschaft

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Die Schwächezustände des Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB fokussieren primär die psychische Erkrankung und die geistige Behinderung. Somatische Erkrankungen fallen nur ausnahmsweise darunter. Dies hängt mit der Überlegung zusammen, dass somatisch erkrankte Personen durchaus in der Lage sind, sich selbst Hilfe organisieren zu können. Die Schwächezustände gemäss Art. 390 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB sind bei den Beistandschaften eher die Ausnahme, weil es sich um (vorübergehende) Konstellationen handelt, in welchen grundsätzlich auch die Betroffenen Hilfe hätten organisieren können, dies aber nicht oder unzureichend gemacht haben. Demgegenüber nicht von einer Beistandschaft abgedeckt sind Situationen, in denen sich urteilsfähige Menschen ohne Schwächezustand keine Hilfe organisieren wollen.

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Für die Begleitbeistandschaften stehen die Schwächezustände gemäss Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB im Vordergrund. Unter Berücksichtigung der Rechtsmacht und der Zustimmungsbedürftigkeit der Massnahme geht es in aller Regel um Menschen, die urteilsfähig sind für die Zustimmung und für selbstständige Handlungen im jeweiligen Aufgabenbereich, die aber Begleitung, Beratung oder Unterstützung benötigen (Schutzbedarf), weil sie an einer psychischen Störung, einer geistigen Behinderung oder einem ähnlichen Schwächezustand, wie z. B. qualifizierter Unerfahrenheit,[456] leiden.

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