Die Begleitbeistandschaft

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3.3 Die Begleitbeistandschaft des Vorentwurfs 2003

3.3.1 Konzeption

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Gestützt auf den Vorentwurf setzte das Bundesamt für Justiz eine interdisziplinäre Expertenkommission ein, die ihre Beratungen im Februar 1999 aufnahm. Auftrag des Gremiums, welches die wichtigsten Akteure des Vormundschaftsrechtes abbildeten und 20 Personen umfasste,[276] war es, die aus gesetzgeberischer Sicht relevanten Fragen aus dem Vorentwurf 1998 zu prüfen und einen vernehmlassungsreifen Vorentwurf mit Begleitbericht vorzulegen.[277]

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Die Begleitbeistandschaft des Art. 380 VE ZGB lautete wie folgt:

Art. 380 VE ZGB A. Begleitbeistandschaft

«1 Eine Begleitbeistandschaft wird errichtet, wenn eine hilfsbedürftige Person für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht.

2 Die Erwachsenenschutzbehörde kann anordnen, dass dem Beistand oder der Beiständin Einblick in diese Angelegenheiten und Auskunft darüber zu geben ist.

3 Die Begleitbeistandschaft schränkt die Handlungsfähigkeit der verbeiständeten Person nicht ein.»

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Im Rahmen dieser Überprüfung durch die Expertenkommission wurde die gesetzliche Systematik des Vorentwurfs 1998 grundlegend überarbeitet. In Bezug auf die Beistandschaften wurden die ehemals der persönlichen Beistandschaft zugeordneten allgemeinen Voraussetzungen für alle Beistandschaften zu einem allgemeinen Teil für alle Beistandschaften. Daraus entstand ein Kapitel, das die Grundsätze für alle Beistandschaftsarten behandelte.[278]

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Mit dieser neuen Systematik verabschiedete man sich zugleich von der Konzeption, dass immer zunächst eine Beistandschaft im Bereich der persönlichen Betreuung oder Begleitung angeordnet würde und, falls es noch zusätzlich einer weiteren Massnahme bedurfte, eine weitere besondere Beistandschaft verfügte. Dieser praktische Zugang, welcher die Rechtsanwendenden beinahe automatisch auf die Subsidiarität und die Personensorge verpflichtete, wurde aufgegeben. Entsprechend wurden die Beistandschaftsarten als gleichwertige Möglichkeiten dargestellt.[279]

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Aus dieser neuen Systematik ergab sich aber auch eine neue Fragestellung. In den bisherigen Entwürfen war klar, dass die Begleitung immer über die persönliche Betreuung bzw. die persönliche Beistandschaft gewährleistet sein würde. Damit stellte sich die Frage nicht, wann im Rahmen einer Vertretungsbeistandschaft Interventionen der Betreuung oder Begleitung noch durch die Vertretungsbeistandschaft gedeckt sind oder wann spezifisch eine Begleitbeistandschaft notwendig wurde. Sobald die Beistandschaftsarten aber gleichberechtigt nebeneinanderstehen, stellt sich automatisch auch die Frage, wann bei der Vertretungs- und Mitwirkungsbeistandschaft eine Begleitbeistandschaft notwendig wird. Benötigt beispielsweise ein Beistand mit Vertretungsmöglichkeiten im Bereich Einkommen und Wohnungsangelegenheiten für ein Telefonat mit einem Wohnheim wegen einer möglichen künftigen Anmeldung eine Begleitbeistandschaft, oder ist diese durch die Vertretung noch abgedeckt? Der Bericht ExpKomm 2003 hat diese Frage erkannt, sie aber letzten Endes offengelassen: «Begleitung ist zwar der Sache nach ein Stück weit in allen Beistandschaften enthalten (vgl. Art. 393 Abs. 1 und Art. 394 Abs. 1 und 2[280]). Die besondere Massnahme ‘Begleitbeistandschaft’ kann indessen für sich allein angeordnet werden, kann aber auch mit einer Vertretungsbeistandschaft (unter Einschluss der Verwaltungsbeistandschaft) sowie mit einer Mitwirkungsbeistandschaft kombiniert werden (Art. 378 Abs. 2).»[281] Präzisierend ergänzt SCHMID zur Bestimmung des Vorentwurfs, dass eine blosse Begleitbeistandschaft dann sinnvoll sei, wenn ausschliesslich eine begleitende Unterstützung ausreichend ist und Vertretung und Mitwirkung nicht angezeigt seien.[282] Auf diese Unterscheidung wird zurückzukommen sein.[283]

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Im Vergleich zum Gesetzestext des VE 1998 zeigen sich fünf Teile, die bei der Begleitbeistandschaft des Art. 380 VE ZGB nicht mehr vorhanden sind:

–Der Passus «kümmert sich um ihr Wohl; er achtet den Willen der betreuten Person, im Rahmen ihrer Fähigkeiten ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten» wurden in den fünften Abschnitt betreffend die Führung der Beistandschaft verschoben, wo sie in Art. 394 Abs. 2 VE 2003 Teil der Umschreibung für das Verhältnis des Beistandes zur verbeiständeten Person bildete.

–Die Umschreibungen über das Antragsrecht und die Berücksichtigung der Interessen Dritter des Art. 101 VE 1998 wurden in den allgemeinen Voraussetzungen zur Beistandschaft des Art. 377 Abs. 2 und 3 VE 2003 untergebracht.

–Die allgemeinen Voraussetzungen einer Beistandschaft («wegen psychischer Krankheit, geistiger Behinderung, Suchtkrankheit oder anderer in der Person liegender Schwächezustände ihrer Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, wird auf Antrag der betroffenen Person oder von Amtes wegen ein Beistand bestellt.»), wie sie im VE 1998 bei der Begleitbeistandschaft aufgeführt wurden, finden sich nun neu formuliert in Art. 377 VE ZGB bei den Voraussetzungen.

–Die Aufgabenumschreibung wurde neu explizit im Gesetz verankert. Art. 379 Abs. 1 und 2 VE ZGB umschreibt, dass die Behörde entsprechend dem Schutzbedarf der betroffenen Person «die Aufgaben oder Aufgabenkreise, die im Rahmen der anzuordnenden Beistandschaft zu erledigen sind», zu definieren habe. Diese können die Personen- oder Vermögenssorge betreffen. Betrachtet man die Vorgängerkonzeptionen, so wäre auch dort eine Aufgabenumschreibung erforderlich geworden. Mit dem neuen Art. 379 VE ZGB wird diese aber explizit erwähnt. Zudem wird mit dem Verweis auf die Personen- und Vermögenssorge in der Tradition des alten Art. 367 Abs. 1 aZGB auch die Personensorge im Sinne der Aufgabenbereiche erwähnt, die gemäss Art. 378 Abs. 2 VE 2003 sodann die Begleitung, Mitwirkung und Vertretung darstellen können.[284] Damit wird hier das Bild der differenzierenden doppelten Personensorge offenbar.[285]

–Der Passus über die Handlungsfreiheit und die -fähigkeit des Art. 102 Abs. 2 VE 1998 wurde gestrichen. Der Begriff der Handlungsfreiheit findet sich im VE 1998 nirgends mehr. Darauf wird noch im Rahmen der Wirkungen zurückzukommen sein.[286]

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Hinzu kommt im Vergleich zum VE 1998 eine neue Umschreibung, worin der Kern der Handlungen der Beistandsperson liegt. Im VE 1998 war dies so formuliert: mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und sich um das Wohl der verbeiständeten Person zu sorgen. Im VE 2003 ist diese eng an Art. 308 Abs. 1 ZGB angelehnte Formulierung eigenständiger, aber auch tautologisch: Eine Begleitbeistandschaft wird errichtet, wenn eine hilfsbedürftige Person begleitende Unterstützung braucht. Materiellrechtlich ändert sich aber nichts.

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Ferner lehnt sich die Begleitbeistandschaft der Erziehungsaufsicht des Art. 307 Abs. 3 ZGB an,[287] indem die Behörde anordnen kann, dass dem Beistand Einblick und Auskunft in die massgeschneiderten Angelegenheiten zu geben ist.

3.3.2 Vorbilder

128

Vorbild der neuen Bestimmung verblieb wie im VE 1998 Art. 308 Abs. 1 ZGB[288] und, wie oben aufgezeigt, in Bezug auf Art. 102 Abs. 2 VE 2003 Art. 307 Abs. 3 ZGB.[289]

3.3.3 Spezifische Voraussetzungen

129

Im Rahmen der neuen Systematik des VE 2003 wurden die allgemeinen Voraussetzungen nicht mehr bei der Begleitbeistandschaft aufgeführt. Es verbleibt die tautologische Formulierung der «begleitenden Unterstützung».

3.3.4 Wirkungen

3.3.4.1 Allgemein

130

Die Rechtswirkung ist weiterhin Unterstützung in Abgrenzung zur Vertretung und zu Mitwirkungskompetenzen, welche die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person nicht einschränkt.[290] Insofern ändert sich im Vergleich zu den bisherigen Konzeptionen nichts. Im Bericht ExpKomm 2003 wird die Aufgabe der Beistandsperson genauer umschrieben. Auch wenn die betroffene Person selbst handelt, schaue ihr die Beistandsperson dabei über die Schulter und unterstütze und begleite sie. Die betroffene Person könne sich dieser Kontrolle nicht entziehen. Zwar sei die Massnahme vorab für konstruktiv mitarbeitende verbeiständete Personen gedacht; diese Kontrolle ermögliche es aber im Einzelfall,[291] eine einschneidendere Massnahme überflüssig zu machen.[292] Diese Ausführungen, die notabene allgemein zur Begleitbeistandschaft erfolgten und nicht Art. 380 Abs. 2 VE 2003 kommentierten, umschreiben den minimalen Eingriffscharakter jeder Beistandschaft. In der Literatur zur Sozialen Arbeit spricht man auch vom doppelten Mandat, nämlich dasjenige zugunsten der Klientschaft und dasjenige gegenüber dem Auftraggeber.[293] Es handelt sich um eine behördliche Massnahme, der man sich nicht entziehen kann. Fraglich ist sicherlich, wie viel Kontrolle bei wenig kooperativer Klientschaft – insbesondere bei sich entziehenden Personen – möglich ist. Die Umschreibung, die beinahe ausschliesslich das kontrollierende Moment umfasst, kann als Wechsel in Bezug auf die Aufgabenumschreibung der Beistandsperson bzw. bei deren Haltung in der Mandatsführung verstanden werden[294]: Weniger die Unterstützung, die Begleitung oder die bisher zu wenig im Gesetz erscheinende Personensorge im Sinne der Rechtsmacht sind mehr Thema, sondern die Kontrolle.

 

3.3.4.2 Handlungsfreiheit und Handlungsfähigkeit (Art. 380 Abs. 3 VE 2003)

131

Wie oben bereits ausgeführt, wurde der Begriff der Handlungsfreiheit nicht mehr im Gesetz genannt. Im Bericht wird explizit zu Art. 380 Abs. 3 VE 2003 erwähnt, dass sich die betroffene Person «die Begleitung, die gesprächsweise Einmischung und insbesondere die Ausübung des Auskunftsrechts analog zu Artikel 308 Abs. 1 ZGB aber gefallen lassen» muss.[295] Daraus lässt sich zunächst ableiten, dass die Expertenkommission das Auskunftsrecht auch aus Art. 308 Abs. 1 ZGB und nicht ausschliesslich aus Art. 307 Abs. 3 ZGB abgeleitet hat.[296] Des Weiteren wird durch diese Kommentierung auch ersichtlich, dass sich die betroffene Person ohne Einschränkung der Handlungsfähigkeit trotzdem Handlungen der Beistandsperson in den Worten von Art. 381 Abs. 3 VE 2003 «gefallen lassen muss.»[297] Inwiefern damit die Handlungsfreiheit eingeschränkt wird, hängt wohl letztlich davon ab, wo die Eintrittsschwelle für die Beschränkung der Handlungsfreiheit angesetzt wird. Darauf wird zurückzukommen sein.[298]

3.3.4.3 Einblick und Auskunft geben (Art. 380 Abs. 2 VE 2003)

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Im Lichte der Begleitbeistandschaft, die auch oder vorab Kontrolle beinhalten soll, passt sodann auch Art. 380 Abs. 2 VE 2003. Die Behörde kann in Anlehnung an Art. 307 Abs. 3 ZGB explizit anordnen, dass der Beistandsperson Einblick und Auskunft in die massgeschneiderten Angelegenheiten zu geben ist. Damit soll es möglich sein, dass die Beistandsperson bei der Krankenkasse nachfragen kann, ob die Prämien bezahlt sind, oder Auskünfte von der Bank erhalten, jeweils ohne dass eine Bevollmächtigung durch die betroffene Person notwendig wäre.[299] Es zeigt sich auch hier in der Tendenz eine andere Massnahme: Die persönliche Betreuung stand zunächst ganz in der Tradition von Art. 308 Abs. 1 ZGB. Es ging um Unterstützung mit Rat und Tat sowie um tatsächliches Einwirken auf das schutzbedürftige System ohne die Möglichkeit, vertretungs- oder mitwirkungsweise einzugreifen. Kooperation war das Schlüsselwort für eine gelingende Mandatsführung. Im VE 2003 kommt hier ein neuer Zugang für die Mandatsführung hinzu: Nicht mehr nur Unterstützung, sondern auch Kontrolle gehört dazu, gegebenenfalls mit der Möglichkeit, Drittstellen zu kontaktieren. Der allgemeine Hinweis auf die Kontrolle im Sinne des «über die Schultern Schauens» dürfte vermutlich wenig Neues bedeuten. Beistandspersonen haben immer darum besorgt zu sein, nach ihren Möglichkeiten zu prüfen, ob die Massnahme wirkt, also zu evaluieren, ob die Interventionen, hier die Begleitung, etwas zum Positiven verändert.[300] Insofern bedeutet der Fokus vielleicht weniger eine Veränderung in Bezug auf die Massnahme, als er vielmehr im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu verstehen ist. In diesen Jahren um die Jahrtausendwende nehmen Ideen zur zusätzlichen Kontrolle der Bedürftigen zu.[301]

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In Bezug auf das oben erwähnte doppelte Mandat können aber derartige Aussagen in den Materialien die Grundkonzeption beeinflussen. Gerade in Bezug auf Haftungsfragen könnte sich durch die Stärkung der Kontrolle und damit den Auftrag der Behörde die Gewichtung im Verhältnis zu den Sorgfaltspflichten hinsichtlich der schutzbedürftigen Person verändern.[302]

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Noch deutlicher wird diese tendenzielle Rollendiffusion der Beistandsperson, wenn man bedenkt, dass die Aufsichtsstelle bzw. –person des Art. 307 Abs. 3 ZGB nicht ein eigenständiges Handeln wie das eines Beistandes ermöglicht, sondern dass die Aufsichtsperson «verlängerter Arm der Behörde» ist und ihr vorab beobachtende und rapportierende Aufgaben zu Handen der Behörde zukommt.[303] Damit hätte der Beistand kaum mehr einen eigenständigen Wirkungskreis,[304] und die privatrechtliche Begründung des Erwachsenenschutzes würde in Bezug auf die Begleitbeistandschaft nahezu vollständig ausgehöhlt.[305]

3.3.5 Fazit

135

Mit der neuen Systematik hat es mannigfaltige formale, aber auch inhaltliche Veränderungen gegeben. Die Begleitbeistandschaft wurde mit den übrigen Beistandschaftsarten in dieselbe Hierarchiestufe zurückgestuft. Die Personensorge in Bezug auf die Rechtsmacht hat nicht mehr diese grundlegende Funktion im Sinne einer Grundmassnahme. Damit wurde das Verhältnis der Personensorge im Sinne der Rechtsmacht zu den anderen Beistandschaftsarten unklarer.

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Der Aufgabenbereich der Begleitbeistandschaft wurde um Kontrollaufgaben und –optionen ergänzt, wodurch die Aufgaben und die Rolle der Beistandsperson unklarer wurden. Der Hinweis auf die Beschränkung der Handlungsfreiheit wurde im Gesetzestext gestrichen und die Diskussion, wie eingreifend die Massnahme ist und wo die Schwelle für die Handlungsfreiheit ist, demgegenüber nicht weiter fortgeführt.

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Daraus lässt sich schliessen, dass die vorgenommenen Änderungen – wie z. B. die allgemeinen Voraussetzungen voran zu stellen – durchaus im Gesamtkontext der Revision sinnvoll sind. Die erwähnten problematischen Punkte zeigen jedoch, dass die sich aus der Veränderung ergebenden konzeptionellen Fragen in den Materialien nur sehr rudimentär bzw. gar nicht beantwortet wurden. Dies dürfte dann mitunter auch die Grundlage dafür gewesen sein, wie sich der weitere gesetzgeberische Prozess gestaltete.

3.4 Das Vernehmlassungsverfahren und dessen Ergebnisse

138

Am 25. Juni 2003 eröffnete das Eidgenössische Justiz- und Polizeitdepartement im Auftrage des Bundesrates das Vernehmlassungsverfahren. Bis Mitte März 2004 haben das Bundesgericht, 25 Kantone, 6 politische Parteien und 42 Organisationen zum Vorentwurf 03 Stellung genommen.[306] Die Vernehmlassungsantworten zur Begleitbeistandschaft haben diese teilweise richtiggehend zerzaust; die Ablehnung derselben war breit abgestützt.[307] Sie sei unnötig, bzw. es sei auf darauf zu verzichten.[308] Einzelne Kantone waren auch überaus deutlich in der Wortwahl: Die Begleitbeistandschaft «bleibe toter Buchstabe»,[309] sei gar eine «Totgeburt»,[310] «sei absolut überflüssig».[311] Inhaltlich wurde kritisiert, dass:

–die Begleitbeistandschaft andere Einrichtungen und Angebote der privaten und staatlichen Hilfe konkurrenziere,[312]

–der Begleitbeistand keine Kompetenzen habe,[313]

–die Anwendung unklar sei,[314]

–die Begleitbeistandschaft zu einer unnötigen Erhöhung der Massnahmenzahl und damit verbunden der –kosten führe[315] und

–der Datenaustausch insbesondere mit den Banken einer genügenden gesetzlichen Grundlage bedürfe.[316]

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Diese ablehnende Haltung zeigte sich teilweise auch in der Lehre.[317]

Positiv zur Massnahme äusserte sich einzig der Kanton Genf[318] neben einigen Interessenorganisationen;[319] für eine Organisation stellte die Begleitbeistandschaft sogar ein «unverzichtbares Element des neuen Massnahmensystems dar, ohne dessen Einführung die konsequente Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzipes scheitern müsste».[320]

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In den Vernehmlassungsantworten zeigten sich vorab folgende Ideen für eine Änderung der Begleitbeistandschaft:

Ergänzung mit der Zustimmung.[321] Die Argumentation lautete in der Regel wie folgt: Da die Kooperation entscheidend sei, müsse folglich die Zustimmung zur Massnahme auch zwingend sein.

Zurück zum System des VE 1998.[322] Vorgeschlagen wurde, dass die Begleitbeistandschaft wieder als Grundmassnahme analog zum Vorschlag im VE 98 ausgestaltet würde.

Anderer Name. Der Name Beistandschaft könnte hinderlich bzw. stigmatisierend wirken. Deshalb sei er zu ändern.[323]

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Der Grund hinter dieser deutlichen Ablehnung ist darin zu sehen, dass die Massnahme sehr niederschwellig angelegt war, indem der Beistand keine Vertretungskompetenzen hatte und sich dadurch die Massnahme nur teilweise von sogenannten freiwilligen privaten und öffentlichen Dienstleistungsangeboten abgrenzen lässt. Die Ablehnung erfolgte aber auch, weil die Anwendung offenbar nicht klar war. Dies könnte auch an dem im Bericht der Expertenkommission 2003 ungeklärten Verhältnis von Kontrolle und Unterstützung liegen.[324]

3.5 Die Begleitbeistandschaft im bundesrätlichen Entwurf (Art. 393 Entwurf ZGB)

3.5.1 Konzeption

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Trotz dieser Kritik im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wurde die Begleitbeistandschaft beibehalten. Sie wurde aber überarbeitet und neu formuliert:

Art. 393 E ZGB A. Begleitbeistandschaft

«1 Eine Begleitbeistandschaft wird mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet, wenn diese für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht.

2 Die Begleitbeistandschaft schränkt die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person nicht ein.»

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Mit dieser Neuformulierung wurde der Auftrag entfernt, dem Beistand gemäss Art. 380 Abs. 2 VE 03 Auskunft und Einblick zu gewähren. Der Absatz wurde neu bei Art. 392 Abs. 1 Ziff. 3 E ZGB eingefügt, bei dem die Aufsichtsperson bzw. –stelle eine Möglichkeit darstellt, um auf eine Beistandschaft zu verzichten. Damit hat sich eine Unklarheit, welche die Stellung und die Rolle der Beistandsperson unklar gemacht hatte, im Gesetzestext gelöst. Der Verweis auf die Kontrollaufgabe hatte aber weiterhin Bestand.[325] Die verbeiständete Person bestimmt bei der Begleitbeistandschaft grundsätzlich selbstständig, welche Daten bzw. Informationen die Beistandsperson einholen kann und darf.[326]

144

Demgegenüber hat der Gesetzgeber aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse die Begleitbeistandschaft von der Zustimmung der betroffenen Person abhängig gemacht.

 

3.5.2 Vorbilder

145

Mit der Verschiebung von Art. 380 Abs. 2 VE 2003 zu Art. 392 E ZGB war Art. 307 Abs. 3 ZGB kein Vorbild bei der Begleitbeistandschaft mehr.

146

Trotz grundsätzlicher Beibehaltung der Konzeption der Begleitbeistandschaft des VE 2003 wird in der Botschaft nicht mehr auf die Vorbildfunktion von Art. 308 Abs. 1 ZGB hingewiesen. Vielmehr findet sich dort (erneut)[327] der Verweis auf Art. 394 aZGB mit der Erklärung, dass bei beiden Massnahmen die betroffene Person einverstanden sein müsse. Dies ist zutreffend, aber gleichzeitig der einzige gemeinsame Nenner, der sich im Übrigen auch mit der Vormundschaft auf eigenes Begehren und der Beiratschaft auf eigenes Begehren des alten Rechts deckt. Neben dieser auf den Antrag Bezug nehmenden verfahrensrechtlichen Anknüpfung hat die Begleitbeistandschaft des Entwurfes weiterhin materiellrechtlich eine ausgeprägte Nähe zur Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 ZGB.

147

Der Bundesrat argumentiert in seiner Botschaft, dass die Massnahme vor allem deshalb auf Kritik gestossen sei, weil sie auch ohne Einwilligung der betroffenen Person hätte angeordnet werden können.[328] «Zum Teil wurde gefordert, auf die Begleitbeistandschaft zu verzichten, zum Teil wurde verlangt, die Massnahme der Zustimmung der hilfsbedürftigen Person zu unterstellen».[329] Deshalb schlage der Bundesrat im Hinblick auf die grosse Verbreitung der Beistandschaft auf eigenes Begehren des Art. 394 aZGB die zweite Lösung vor.

148

Betrachtet man die Vernehmlassungsergebnisse, so scheinen diese Schlussfolgerungen keineswegs zwingend zu sein. Die Vernehmlassungsergebnisse haben primär ergeben, dass die meisten Kantone (17 Kantone) die Massnahme als nicht sinnvoll und damit als unnötig betrachten. Neun der 17 ablehnenden Kantone sahen eine Schwierigkeit dieser Massnahme darin, dass sie in Konkurrenz zu anderen Institutionen und Dienstleistungsanbietern stehe. Die Massnahme von einer Zustimmung der betroffenen Person abhängig zu machen, forderten demgegenüber nur drei dieser Kantone.[330]

149

Daraus zu schliessen bzw. zu suggerieren, dass das fehlende Erfordernis einer Zustimmung der betroffenen Person die Hauptursache der ablehnenden Haltung im Vernehmlassungsverfahren war, ist nach der hier vertretenen Auffassung konstruiert. Vielmehr ist zu vermuten, dass die Analyse ungenau erfolgt ist.[331] Vielleicht kann dieser weniger zutreffenden Argumentation zumindest zugutegehalten werden, dass sie möglicherweise dazu geführt hat, dass die Begleitbeistandschaft überhaupt noch in der bundesrätlichen Botschaft Aufnahme fand.[332]

3.5.3 Spezifische Voraussetzungen

150

Trotz dieser soeben erwähnten Ungenauigkeiten bzw. Vermischung der Argumente hat der Bundesrat die Zustimmung der betroffenen Person als Voraussetzung für eine Begleitbeistandschaft vorgesehen. Damit kann die Massnahme gemäss dem Entwurf nicht mehr von Amtes wegen angeordnet werden.[333] Infolgedessen, dass dieser Teil des Entwurfes in Kraft getreten ist, wird zu diskutieren sein, was bei einer schutzbedürftigen Person anzuordnen ist, wenn sie die Zustimmung nicht erteilt, ob im Einzelfall für eine in Bezug auf die Zustimmung urteilsunfähige Person keine Begleitbeistandschaft verfügt werden kann und inwiefern ein Teil der Personensorge im Sinne der Aufgabenbereiche immer auch in der Vertretungs- und Mitwirkungsbeistandschaft enthalten sind.[334]

3.5.4 Wirkungen

151

In Bezug auf die Wirkungen finden sich keine spezifischen neuen Ausführungen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Begleitbeistandschaft die niedrigste Stufe der Beistandschaftsarten ist und nur bei kooperationswilligen Personen infrage kommt, die froh seien, wenn eine Person ihnen unterstützend zur Seite stehe.[335] Es wird aufzuzeigen sein, ob die Hypothese, dass Adressaten dieser Massnahme ausschliesslich kooperationswillige Personen sind, zutreffend ist.[336]

152

In Bezug auf die Übersetzung des Gesetzestextes in die französische und italienische Sprache fällt auf, dass die Massnahme im italienischen Gesetzestext ähnlich der italienischen Sachwalterschaft[337] «amministrazione di sostegno» genannt wird und damit vom Begriff der Beistandschaft («curatela») abweicht. Damit wird suggeriert, dass es sich bei dieser Beistandschaft um Verwaltungsangelegenheiten handelt. Diese Einschränkung spiegelt sich aber nicht im weiteren Gesetzestext wider, welcher offen gehalten ist («Se la persona bisognosa di aiuto necessita di un sostegno per provvedere a determinati affari …»). Insofern dürften aus dieser abweichenden Übersetzung keine besonderen materiellen Hinweise auf die Wirkungen der Begleitbeistandschaft abzuleiten sein. Möglich ist, dass der Gesetzgeber mit dieser Übersetzung darauf hinweisen wollte, die Begleitbeistandschaft sei die schwächste Form der Beistandschaftsarten, oder dass sich der Gesetzgeber an der italienischen Terminologie für die Sachwalterschaft («amministrazione di sostegno») orientiert hat. Die italienische Sachwalterschaft wird in Art. 404 ff. Codice Civile Italiano geregelt und in der südtirolischen deutschen Fassung als «Sachwalterschaft» bezeichnet.[338] Diese Übersetzung korrespondiert aber wiederum nicht mit der Sachwalterschaft des Art. 89b ZGB, der in der italienischsprachigen Fassung mit «il commissario» übersetzt wird. Folglich bleibt unklar, inwiefern die Anlehnung an die Terminologie des Codice Civile Italiano für die Wirkung der Begleitbeistandschaft relevant ist. Darauf wird folglich zurückzukommen sein.[339]

153

Ferner ist bemerkenswert, dass der Begriff der Handlungsfreiheit erneut auftaucht, obwohl er im Bericht der Expertenkommission VE 2003 keine Erwähnung mehr findet, sowie, dass man gemäss jenen Ausführungen eher davon ausgehen konnte, die Handlungsfreiheit werde durch eine Begleitbeistandschaft berührt. In der Botschaft des Bundesrates findet sich demgegenüber erneut der Passus, dass die Begleitbeistandschaft die Handlungsfähigkeit und –freiheit nicht einschränkt.[340] Die Handlungsfreiheit findet ausschliesslich noch bei der Begleitbeistandschaft Erwähnung; bei den anderen Beistandschaftsarten wird sie nicht mehr thematisiert. Es wird im Rahmen der Wirkungen der Massnahme zu diskutieren sein, welche der verschiedenen Zugänge, die sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses ergeben haben, die zutreffendste ist.[341]