Die Begleitbeistandschaft

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

88

Die Frage ist in Bezug auf die Vermögenssorge auch deshalb relevant, weil sich mit der Abgrenzung die Betreibungsfähigkeit klärt. Dort, wo zum Beispiel die Handlungsfähigkeit gemäss Art. 394 Abs. 2 ZGB in Bezug auf die Vermögensverwaltung beschränkt ist und gleichzeitig in Bezug auf die Wohnungsangelegenheiten nicht, kann die verbeiständete Person durchaus zulasten ihres Vermögens Mietverträge abschliessen, wohingegen das Vermögen beim Abschluss weiterer Vermögensanlagen auch betreibungsrechtlich geschützt wäre, weil diesbezüglich die Handlungsfähigkeit beschränkt ist.[228]

89

Die Praxis scheint sich dieser Abgrenzungsproblematik insofern anzunähern, als dass sie sicherlich dort eine spezifischere Massschneiderung vorsieht, wo die Massschneiderung im Geschäftsverkehr (teilweise) nicht akzeptiert wird, so z. B. im Zusammenhang mit der Vertretung gegenüber Sozialversicherern und Banken. In solchen Fällen erfolgt sodann eine (unüblich) spezifische Massschneiderung der Aufgaben und nicht lediglich der Aufgabenbereiche gemäss Art. 391 Abs. 1 ZGB. Damit finden sich nicht selten relativ weite unspezifische neben äusserst spezifischen Aufgabenumschreibungen.

6.4 Fazit

90

Aus der Begriffsgeschichte der Personensorge zeigt sich, dass sich die Auslegung dieses Begriffs deutlich an der gesetzlichen Systematik anlehnt. Diese führte im alten Recht zu einer Unterscheidung von tatsächlicher Personensorge und Personensorge als Aufgabenbereich. Dieser doppelten Personensorge kam im alten Vormundschaftsrecht deshalb keine wesentliche Bedeutung zu, weil einerseits das Massnahmensystem wenig Flexibilität zuliess und deshalb die Rechtsmacht im Grundsatz klar zugewiesen war. Andererseits war die Unterscheidung vielleicht auch weniger bedeutsam, weil die Massnahmen stärker auf Vermögenssorge ausgerichtet waren und die Personensorge eher als Nebeneffekt der Massnahme verstanden wurde.

91

Mit dem revidierten Recht und den flexibilisierten Beistandschaftsarten wurde aber diese Unterscheidung bedeutsamer, denn es zeigten sich aufgrund der unbesehenen Übernahme der Begrifflichkeiten aus dem vorrevidierten Recht Unstimmigkeiten. Mit der hier auf KAUFMANN zurückgehenden Unterscheidung der Personensorge im Sinne der Aufgabenbereiche und im Sinne der Rechtsmacht dürften diese Unstimmigkeiten geklärt werden und das im alten Recht schon bestehende Konzept der doppelten Personensorge klarer hervortreten.

92

In Bezug auf die Reichweite der Personensorge in Abgrenzung zur Vermögenssorge ist ein zurückhaltender Massstab zugunsten der Personensorge anzuwenden. Einkommens- und Vermögensverwaltung als eigenständige Aufgabenbereiche beziehen sich weitgehend auf die laufenden Bedürfnisse bzw. den Lebensalltag der schutzbedürftigen Person.


I. Die Revision

1. Revisionsbedarf und Revisionsziele

93

Das alte Vormundschaftsrecht blieb mit Ausnahme des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1978 über die fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) seit Inkrafttreten des Schweizerischen Zivilgesetzbuches am 1. Januar 1912 bis zur Revision praktisch unverändert.[229] Im Laufe der Zeit drifteten in diesem Rechtsbereich zunehmend Rechtsnormen und Rechtswirklichkeit auseinander.[230] Dies war besonders auffällig im starren, unflexiblen Massnahmensystem zu beobachten und damit in der Unmöglichkeit, dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz nachzukommen, aber auch in der auf Laien aufbauenden Behördenorganisation, der fehlenden Regelung der (medizinischen) Zwangsmassnahmen, in der strengen persönlichen Haftung der vormundschaftlichen Organe, im lückenhaften Verfahrensrecht sowie in der rechtstatsächlichen Veränderung vom privaten zum professionalisierten Mandatsträger.[231] Ausdruck der Revisionsbedürftigkeit waren aber auch die seit den 1960er-Jahren diesbezüglich erschienenen über 50 Aufsätze und Abhandlungen.[232] Damit verbunden war eine gesellschaftliche Verlagerung der Werte für Menschen mit einem Schwächezustand von einer eher fremdbestimmenden zu einer selbstbestimmenden Haltung und teilweise damit verbunden die Rechtsentwicklung in Europa, namentlich der Europäischen Menschenrechtskonvention und der darauf beruhenden Rechtsprechung.[233]

94

Daraus leiten sich die wesentlichen Reformziele ab. Diese waren[234]:

–ein flexibles Massnahmensystem, das dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entspricht («massgeschneiderte Massnahmen»)

–Förderung der Selbstbestimmung und Entlastung des Staates durch die Instrumente der eigenen Vorsorge sowie die gesetzlichen Vertretungsrechte (Art. 360 ff. ZGB)

–professionalisierte Behörden

–Regelung von Zwangsmassnahmen auf Bundesebene (bewegungseinschränkende Massnahmen und medizinische Massnahmen ohne Zustimmung)

–Schutz von Urteilsunfähigen in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen

–Verankerung der wesentlichen Verfahrensgrundsätze im Bundesrecht

2. Die Revision der behördlichen Massnahmen

95

Ein Revisionsziel war es, wie soeben aufgezeigt, das typenfixierte und typengebundene, unflexible Massnahmensystem des alten Vormundschaftsrechts durch ein flexibleres, dem Anspruch an das Verhältnismässigkeitsprinzip entsprechendes System zu ersetzen. Daraus sind die sogenannten «massgeschneiderten Massnahmen» entstanden.

96

Das revidierte Erwachsenenschutzrecht nennt als behördliche Massnahme zunächst die Beistandschaft, die – wie bereits erwähnt – in verschiedene Beistandschaftsarten unterteilt wird, nämlich die Begleitbeistandschaft, Vertretungsbeistandschaft, Mitwirkungsbeistandschaft und umfassende Beistandschaft. Gesetzessystematisch gehören auch die Mandatsführung, die mitwirkungsbedürftigen Geschäfte und die Beschwerdemöglichkeiten sowie die fürsorgerische Unterbringung zum Titel behördliche Massnahmen. Die Aufgabenbereiche der Beistandschaften werden gemäss der jeweils vorliegenden Schutzbedürftigkeit im Einzelfall massgeschneidert und die Kompetenzen der Beistände festgelegt.[235] Je nach Schutzbedürftigkeit und erforderlicher Rechtsmacht kann eine Beistandschaft in einem Aufgabenbereich begleitende Unterstützung bieten (Begleitbeistandschaft), dem Beistand in konkurrierender oder ausschliesslicher Kompetenz Vertretungsmöglichkeiten übertragen (Vertretungsbeistandschaft), die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts von der Zustimmung des Beistandes abhängig sein (Mitwirkungsbeistandschaft) – oder aber es besteht die Notwendigkeit, dass eine Person bei besonderer Hilfsbedürftigkeit umfassend vertreten oder betreut werden muss (umfassende Beistandschaft).[236] Ergänzt werden diese personen– respektive amtsgebundenen Massnahmen von der fürsorgerischen Unterbringung, welche vorsieht, dass bei Vorliegen eines gesetzlich definierten Schwächezustandes und damit verbundener Schutzbedürftigkeit – die darin besteht, dass die Betreuung oder Behandlung nicht mit weniger weit eingreifenden Mitteln erfolgen kann – die schutzbedürftige Person in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden muss.[237]

97

Neben den verschiedenen Formen der Beistandschaften und der fürsorgerischen Unterbringung sieht das revidierte Gesetz auch behördliche Massnahmen vor, bei denen auf eine Beistandschaft verzichtet wird, obwohl ein Schwächezustand und ein Schutzbedarf bestehen würde.[238] Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Erwachsenenschutzbehörde in relativ übersichtlichen Situationen anstelle einer Beistandschaft selbstständig das Erforderliche anordnet oder eine Zustimmung erteilt, wenn die Behörde selbst einer Drittperson einen Auftrag für einzelne Aufgaben direkt erteilt oder eine geeignete Person oder Stelle bezeichnet werden kann, die für bestimmte Bereiche Einblicke oder Auskünfte geben muss (Aufsichtsstelle oder Aufsichtsperson).[239]

98

Mit der Kombinationsmöglichkeit der Beistandschaftsarten gemäss Art. 397 ZGB wird es möglich, dass je nach Schutzbedürftigkeit Aufgabenbereiche und Kompetenzen umschrieben werden können, die passgenau den Bedarf an Hilfe aufzeigen. Sie sind nicht mehr überschiessend, aber auch nicht mehr zu schwach, um ausreichende Hilfe im Einzelfall zu gewährleisten. Damit wird dem Anspruch an die Verhältnismässigkeit Genüge getan. Wie genau im Einzelfall masszuschneidern ist, wird letztlich die Rechtsprechung zu entscheiden haben. Es stellt sich hier die Frage des Individualisierungsprinzips, also der Abgleich zwischen den Interessen der Aufsicht durch die Behörde, des Geschäftsverkehrs und der Verantwortlichkeit und den Interessen an einer handhabbaren Mandatsführung.[240]

 

3. Die Revision im Hinblick auf die Begleitbeistandschaft

99

Wie bereits im rechtshistorischen Zugang aufgezeigt, gewährleistete das Vormundschaftsrecht auch Schutz im Bereich Personensorge.[241] Suchte man aber genauer nach Anhaltspunkten in den gesetzlichen Bestimmungen, so waren die eher rar.[242] Ziel war demnach auch, dass das revidierte Recht vermehrt diesen «Personenschutz» berücksichtigte und zwar «einerseits in der Betonung der Bedeutung der persönlichen Fürsorge bei allen vormundschaftlichen Massnahmen, andererseits in der möglichst genauen Umschreibung dessen, wie weit die Kompetenzen eines Amtsträgers oder einer Behörde mit Bezug auf die persönliche Lebensgestaltung eines Betreuten gehen».[243] Die Aufwertung der Personensorge wurde im Expertenbericht 1995 als zweiter materieller Grundentscheid für das neue Recht bezeichnet.[244] Dieses Grundanliegen der Expertengruppe, bestehend aus Prof. Dr. iur. BERNHARD SCHNYDER, Prof. Dr. iur. MARTIN STETTLER und Prof. CHRISTOPH HÄFELI (fortan als Expertengruppe 1995 bezeichnet), hat sich im Laufe der Revisionsgeschichte verändert.[245] Deshalb werden im Folgenden die Entwicklungsstadien nachgezeichnet.

3.1 Die persönliche Betreuung gemäss der Expertengruppe 1995 und deren Vorbilder

3.1.1 Konzeption

100

Die Expertengruppe 1995 wollte, wie soeben erwähnt, die Personensorge stärken. Dies sollte so weit gehen, dass die Personensorge im Sinne der Rechtsmacht als zentraler Leuchtturm der Beistandschaftsarten verstanden werden sollte. Die persönliche Betreuung sollte die erste Stufe der Massnahmen sein, und alle weiteren Beistandschaftsarten sollten, «als solche verstanden werden, die (zusätzlich) zur persönlichen Betreuung hinzutreten.»[246] So wurde die Betreuung Volljähriger unterteilt in die persönliche und die besondere Betreuung.

101

Der Vorschlag für den Gesetzestext zur persönlichen Betreuung lautete wie folgt:

Art. 1 Persönliche Betreuung

«1 Einer volljährigen Person, die wegen psychischer Krankheit, geistiger Behinderung, Suchtkrankheit oder anderer in der Person liegender Schwächezustände ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, wird auf Antrag der betroffenen Peron oder von Amtes wegen ein Betreuer/eine Betreuerin bestellt.

2 Dabei sind auch die Betroffenheit der Familie und der Schutz Dritter angemessen zu berücksichtigen.

3 Der Betreuer/die Betreuerin steht der betreuten Person mit Rat und Tat zur Seite und kümmert sich um ihr Wohl; er/sie achtet den Willen der betreuten Person, im Rahmen ihrer Fähigkeiten ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

4 Die persönliche Betreuung hat keinen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit und die Handlungsfreiheit der betreuten Person.»

102

Diese persönliche Betreuung war also als zentraler Grundtatbestand ausgestaltet. Art. 1 beinhaltete in Abs. 1 und 2 die allgemeinen Voraussetzungen für die Errichtung einer Beistandschaft, die systematisch in der geltenden Fassung separat den Beistandschaftsarten vorangestellt wurden.[247] Die besondere Betreuung als weitere Massnahmeart referenzierte nur noch auf Art. 2 Abs. 1:

Art. 2 Abs. 1 Besondere Betreuung; im Allgemeinen:

«1 Soweit erforderlich, wird zusätzlich zur persönlichen Betreuung auf Antrag der betroffenen Person oder von Amtes wegen eine besondere Betreuung angeordnet; diese besteht in der Verwaltung, Mitwirkung und Vertretung.»

103

Damit war die persönliche Betreuung, wie von der Expertengruppe vorgesehen, zentraler Dreh- und Angelpunkt für die Beistandschaftsarten.[248] Sie wurde gleichberechtigt zur besonderen Betreuung mit Vertretungs–, Verwaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten gesehen. Dies entsprach auch dem Grundsatz der Subsidiarität. Indem man zunächst die persönliche Betreuung prüfte, stellte man sich automatisch die Frage, ob eine solche nicht ausreichend wäre, um den Schutzbedarf angemessen zu beheben bzw. ob es noch einer besonderen Betreuung bedurfte.[249] So musste auch bei Letzterer nicht mehr geprüft werden, inwiefern dort eine weitere Betreuung notwendig sei. Diese war über die persönliche Betreuung bereits abgedeckt.[250]

104

Bei der persönlichen Betreuung war die Massnahme primär auf die Rechtsmacht im Sinne der oben aufgezeigten doppelten Personensorge[251] ausgerichtet. Dort, wo Personensorge auch als Aufgabenbereich im Sinne der Vertretung bzw. Mitwirkung notwendig wurde, war die besondere Betreuung vorgesehen.[252] Weil sich die persönliche Betreuung somit auf die Rechtsmacht bezog, war sie zugleich die schwächste Massnahme in der Stufenfolge der Beistandschaften. Als subsidiär schwächste Form der Beistandschaften und zugleich als erste Beistandschaftsart war sie somit als zentraler Ausgangspunkt konzipiert.

3.1.2 Vorbilder

105

Ein Vorbild für diese Massnahme war insbesondere die Erziehungsbeistandschaft des Art. 308 Abs. 1 ZGB.[253] Demnach unterstützt die Beistandsperson das familiäre System mit «Rat und Tat». Die Massnahme beinhaltet in Bezug auf die Rechtsmacht einzig das tatsächliche Einwirken auf das Familiensystem; eine eigentliche Vertretungsbefugnis fehlt – sie ist eine vertretungslose Hilfestellung.[254]

106

Ein weiteres Vorbild war gemäss der Expertengruppe die Beistandschaft auf eigenes Begehren gemäss Art. 394 aZGB. Dies sei ein «Vorläufer im weiteren Sinne».[255] Inwiefern diese Massnahme ein Vorbild war, ergibt sich nicht aus dem Bericht. Dies erscheint auch nicht ganz nachvollziehbar. Die Beistandschaft nach Art. 394 aZGB war zwar als niederschwellige Massnahme insofern konzipiert, als sie eines Antrags der betroffenen Person bedurfte; in Bezug auf die Rechtsmacht war sie demgegenüber überaus weitgehend. Sie umfasste wie oben aufgezeigt eine umfassende Vermögens- und Personensorge.[256] Diese Konzeption ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht vergleichbar mit der persönlichen Betreuung. Zum einen entsteht die Massnahme nicht ausschliesslich auf Antrag der betroffenen Person, sondern gegebenenfalls auch ex officio.[257] Zum anderen war sie in Bezug auf die Rechtsmacht beschränkt auf Personensorge im Unterschied zur Beistandschaft auf eigenes Begehren nach Art. 394 aZGB, welche auch oder vorab die Vertretung beinhaltete.

3.1.3 Spezifische Voraussetzungen

107

Die Voraussetzungen sind ähnlich formuliert wie im revidierten Art. 390 ZGB. Deshalb wird auf diese konkreten Voraussetzungen an dieser Stelle nicht eingegangen.[258] Die Massnahme hat keine weiteren Voraussetzungen. Sie kann auf Antrag hin oder aber auch von Amtes wegen angeordnet werden; Letzteres – wie noch aufzuzeigen sein wird – im Unterschied zum geltenden Recht. Damit war wie bei den Beistandschaften gemäss Art. 392 f. aZGB gewährleistet, dass auch schutzbedürftige Personen ohne oder gegen ihren Willen unter eine Beistandschaft der persönlichen Betreuung gestellt werden konnten.[259] Dies war im alten Recht nur möglich, wenn aufgrund der Prognose zu erwarten war, dass die betroffene Person sich trotz einer anfänglich gegen den Willen angeordneten Beistandschaft mit dieser abfindet und mit dem Beistand, soweit erforderlich, kooperiert.[260]

3.1.4 Wirkungen

108

Der Beistand hat bei der persönlichen Betreuung der schutzbedürftigen Person mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und kümmert sich um ihr Wohl. Dabei hat er auf ihre Fähigkeiten, Wünsche und Vorstellungen der Lebensgestaltung Rücksicht zu nehmen.[261] In Bezug auf die Wirkungen wird in Art. 1 Abs. 4 erwähnt, dass die persönliche Betreuung keinen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit und die Handlungsfreiheit hat. Dass eine vertretungslose Unterstützung keinen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit hat, dürfte unumstritten sein. Demgegenüber stellt sich die Frage, ob sie auch keinen Einfluss auf die Handlungsfreiheit habe. Dabei scheint sich – wie noch aufzuzeigen sein wird[262] – der Begriff der Handlungsfreiheit im Laufe der Revision verändert zu haben. Der Expertenbericht setzt hier eine relativ hohe Eintrittsschwelle für die Einschränkung der Handlungsfreiheit voraus. Er vertritt die Auffassung, dass selbst die Verwaltung im Rahmen der besonderen Betreuung die Handlungsfreiheit, aber auch die Handlungsfähigkeit nicht einschränke,[263] auch wenn sich die betroffene Person die Handlungen des Betreuers anrechnen lassen müsse.[264] Die Verwaltung beinhaltet nach der Vorstellung der Expertengruppe die Einkommens- und bzw. oder die Vermögensverwaltung in konkurrierender Kompetenz mit der betroffenen Person. Beistandsperson und betroffene Person können vertretungsweise handeln.[265]

109

Wenn die Expertengruppe nun davon ausgeht, dass auch bei einer Vertretungskompetenz ohne Beschränkung der Handlungsfähigkeit die Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt wird, dann ist es zunächst einmal nachvollziehbar, dass die Handlungsfreiheit bei der persönlichen Betreuung auch nicht eingeschränkt sein kann. Handlungsfreiheit ist somit nach dieser Auffassung in der Nähe der Beschränkung der Handlungsfähigkeit verortet.

110

Demgegenüber findet sich die einheitliche Auffassung im revidierten Recht, dass bei einer Vertretungsbeistandschaft ohne Beschränkung der Handlungsfähigkeit die Handlungsfreiheit eingeschränkt ist.[266] Der Wandel der Begrifflichkeit basiert – wie noch aufzuzeigen sein wird – auf dem Vorentwurf von 1998.

3.2 Die persönliche Beistandschaft des Vorentwurfs 1998

3.2.1 Konzeption

111

Anlässlich einer Tagung vom 11./12. September 1995 wurde der Expertenbericht 1995 diskutiert. Darauffolgend wurden die Verfasser des Expertenberichts 1995, Prof. Dr. iur. BERNHARD SCHNYDER, Prof. Dr. iur. MARTIN STETTLER und Prof. CHRISTOPH HÄFELI, mit der Ausarbeitung eines Vorentwurfes mit Begleitbericht beauftragt. Die Kurzkommentare des Begleitberichts stammten von Prof. Dr. iur. BERNHARD SCHNYDER.[267] Die Expertengruppe wurde teilweise ergänzt durch eine Expertengruppe bestehend aus der späteren Präsidentin der Expertenkommission, Dr. iur. RUTH REUSSER, ferner aus Prof. Dr. iur. THOMAS SUTTER und Dr. iur. DIETER FREIBURGHAUS.[268]

112

Unter dem Titel Persönliche Beistandschaft erschienen folgende Artikel:

Art. 101 VE 98: Voraussetzungen

«1 Einer mündigen Person, die wegen psychischer Krankheit, geistiger Behinderung, Suchtkrankheit oder anderer in der Person liegender Schwächezustände ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, wird auf Antrag der betroffenen Person oder von Amtes wegen ein Beistand bestellt.

 

2 Dabei sind auch die Betroffenheit der Familie und der Schutz Dritter angemessen zu berücksichtigen.»

113

Art. 102 VE 98: Inhalt

«1 Der Beistand steht der verbeiständeten Person mit Rat und Tat zur Seite und kümmert sich um ihr Wohl; er achtet den Willen der verbeiständeten Person, im Rahmen ihrer Fähigkeiten ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

2 Die persönliche Beistandschaft hat, unter Vorbehalt der Bestimmungen über die Zustimmung der Behörde, keinen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit und die Handlungsfreiheit der verbeiständeten Person.»

114

Aus dieser Neuformulierung ist im Vergleich zum Expertenbericht ersichtlich, dass die Grundkonzeption beibehalten wurde. Verändert wurde die – anlässlich der erwähnten Tagung kritisierte[269] – Terminologie. Aus der persönlichen Betreuung wurde die persönliche Beistandschaft. Daneben wurden die Inhalte auf zwei Artikel aufgeteilt. Das mag durchaus als sinnvoll erscheinen, hat aber auch den Nachteil, dass die Grundmassnahme nicht mehr so kompakt als Leuchtturm der Beistandschaften erscheint. Hinzu kam ferner lediglich der Verweis auf die Mitwirkung der Behörde bei besonderen Geschäften.

3.2.2 Vorbilder

115

Vorbild der persönlichen Beistandschaft war nach wie vor die Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 ZGB in Bezug auf die Formulierung von 102 Abs. 1 VE 98 auch das deutsche Betreuungsrecht.[270] Die Beistandschaft auf eigenes Begehren wurde nicht mehr als Vorbild genannt.

3.2.3 Spezifische Voraussetzungen

116

Aufgrund der kaum nennenswerten inhaltlichen Veränderungen finden sich auch in Bezug auf die spezifischen Voraussetzungen keine Veränderungen. Die Massnahme konnte weiterhin auf Antrag oder von Amtes wegen angeordnet werden.

3.2.4 Wirkungen

117

Auch in Bezug auf die Wirkungen findet sich im Gesetzestext keine Veränderung zum Expertenbericht 95. Neu wird aber im Bericht bei jeder Massnahme wiederum auf das Verhältnis zur Handlungsfähigkeit und Handlungsfreiheit hingewiesen. Auffällig ist beim Vorentwurf, dass Handlungsfähigkeit und Handlungsfreiheit jeweils gemeinsam auftreten und die Auswirkungen immer dieselben zu sein scheinen.[271] Besonders eindrücklich erscheint dies wiederum bei der Verwaltungsbeistandschaft des Art. 104 VE 98, wo in Abs. 2 vermerkt ist, dass die Verwaltung die Handlungsfähigkeit und die Handlungsfreiheit der verbeiständeten Person nur insofern einschränkt, als sie sich die Handlungen des Beistands anrechnen bzw. gefallen lassen muss. Damit wird nicht zwischen Handlungsfreiheit und –fähigkeit unterschieden. Die Handlungsfähigkeit ist nach altrechtlichem wie neurechtlichem Verständnis hier nicht tangiert; die Handlungsfreiheit schon. Im Bericht findet sich hier erstmals eine Definition der Handlungsfreiheit. Es gehe «um die persönliche Freiheit der betroffenen Person, um die Freiheit also, diese oder jene Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, ihr Leben so oder anders zu gestalten.»[272] In Bezug auf die Verwaltungsbeistandschaft kommt der Bericht zu dem Schluss, dass nach dieser Definition die Handlungsfreiheit der verbeiständeten Person nicht berührt sei, wobei faktisch doch Schranken der Handlungsfreiheit bestünden, weil sich die verbeiständete Person die Handlungen des Beistandes anrechnen lassen müsse.[273] Daraus wird nicht klar ersichtlich, welchen Stellenwert und welche Schwelle der Handlungsfreiheit zukommt.

118

Ferner ist unter Bezugnahme auf die oben ausgeführte doppelte Personensorge die persönliche Beistandschaft auf die Rechtsmacht ausgerichtet. Hier klärt der Bericht, dass es denkbar sei, dass der persönliche Beistand der betroffenen Person auch in Vermögensangelegenheiten beisteht.

119

Unklar verblieb wohl insbesondere aufgrund einer wenig geglückten Formulierung das Verhältnis der Grundmassnahme (persönliche Beistandschaft) zur besonderen Beistandschaft.[274] Inhaltlich dürfte sich aber auch hier im Vergleich zum Expertenbericht 1995 nichts geändert haben, sodass hier wie dort die persönliche Beistandschaft die immer anzuordnende Basismassnahme wäre, die allenfalls durch besondere Beistandschaften zu ergänzen wäre.[275]