Die Begleitbeistandschaft

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4.2 Die Beiratschaften (Art. 395 aZGB)

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Bei der Beiratschaft wurde die Beschränkung der Handlungsfähigkeit der schutzbedürftigen Person erforderlich, weil diese aufgrund ihres Schwächezustandes entweder von sich aus mehr oder minder unkontrolliert selbstschädigende Handlungen ausführte oder dazu verleitet wurde. Die Beiratschaften unterteilten sich in die Mitwirkungsbeiratschaft, die Verwaltungsbeiratschaft, die kombinierte Beiratschaft und die Beiratschaft auf eigenes Begehren. Sie zielten alle primär auf die Vermögenssorge ab. Personensorge war aber möglich; diese durfte aber in Bezug auf die Schutzbedürftigkeit nicht Haupt-, sondern nur Nebenwirkung sein.[139]

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Die Mitwirkungsbeiratschaft gemäss Art. 395 Abs. 1 aZGB beschränkte die Handlungsfähigkeit der schutzbedürftigen Person, indem die in Ziffer 1.–9. aufgeführten Geschäfte in jedem Falle nur gültig zustande kamen, wenn der Mitwirkungsbeirat diesen zustimmte. Er war nicht gesetzlicher Vertreter; die urteilsfähige schutzbedürftige Person musste die Geschäfte vornehmen, und der Beirat konnte diesen nur zustimmen – sei es stillschweigend, explizit, vorgängig oder nachträglich.[140]

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Bei der Verwaltungsbeiratschaft wurde der schutzbedürftigen Person die Verwaltung über ihr Vermögen mit Ausnahme der Erträgnisse und der Einkommensverwaltung[141] entzogen und dem Beirat in ausschliesslicher Kompetenz übertragen.[142] Damit wurde in diesen Aufgabenbereichen der betroffenen Person gleichzeitig die Handlungsfähigkeit entzogen.[143]

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Die kombinierte Beiratschaft vereinte die Wirkungen der Mitwirkungs- und der Verwaltungsbeiratschaft. Damit wurde einerseits das Vermögen mit Ausnahme der Erträgnisse und des Einkommens der schutzbedürftigen Person entzogen; auf der anderen Seite zudem die Handlungsfähigkeit der schutzbedürftigen Person in Bezug auf die Erträgnisse und das Einkommen der in Ziffer 1.–9. aufgeführten Geschäfte eingeschränkt.[144]

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Die Beiratschaft auf eigenes Begehren war keine eigenständige Massnahme, sondern konnte sich auf die Mitwirkungs–, die Verwaltungs- oder die kombinierte Beiratschaft beziehen. Sie wurde analog zu Art. 394, respektive Art. 372 aZGB angewendet. Folge davon war, dass die Voraussetzungen der Massnahme etwas milder beurteilt werden konnten[145] und die Verhältnismässigkeitsprüfung dazu führte, dass bereits bei geringerer Schutzbedürftigkeit eine Massnahme errichtet werden konnte.[146] Im Unterschied zur Beistandschaft auf eigenes Begehren musste dem Antrag der schutzbedürftigen Person auf Aufhebung nicht automatisch entsprochen werden. Analog zur Vormundschaft auf eigenes Begehren galt Art. 439 Abs. 3 aZGB.[147]

4.3 Die Vormundschaften (Art. 369–372 aZGB)

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Die Vormundschaften entzogen der schutzbedürftigen Person die Mündigkeit. Sie war handlungsunfähig; allenfalls war sie beschränkt handlungsunfähig, soweit sie noch urteilsfähig war.[148] Die Rechtsmacht[149] des Vormundes beinhaltete eine umfassende Personen- und Vermögenssorge sowie die Vertretung, wobei hier wiederum die höchstpersönlichen Rechte zu beachten waren.[150] Unterschieden wurden die Entmündigung wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche, diejenige wegen Verschwendung, lasterhaftem Lebenswandel, Trunksucht und Misswirtschaft, wegen Freiheitsstrafe und auf eigenes Begehren. Bei Art. 369 f. aZGB fand sich unter anderem die dauernde Fürsorge- und Beistandsbedürftigkeit als soziale Voraussetzung einer Entmündigung. Damit konnte eine Entmündigung auch im Rahmen der Personensorge erfolgen, und dem Vormund wurden in solchen Fällen insbesondere Aufgabenbereiche der umfassenden Personensorge übertragen.[151]

4.4 Die Personensorge im Rahmen der altrechtlichen personengebundenen Massnahmen

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Zusammenfassend waren bereits im altrechtlichen System vormundschaftliche Massnahmen zur Personensorge punktuell oder relativ ausgeprägt möglich, auch wenn dies nicht immer explizit aus dem Gesetzestext ersichtlich war. Grenze dieser zuweilen kreativen Auslegungen von Lehre und Rechtsprechung zugunsten einer funktionierenden Praxis war, dass mit der Anreicherung der Personensorge nicht ein Rechtsinstitut umgestaltet werden durfte. Eine solche Auslegung begünstigte, dass Personen- und Vermögenssorge nicht trennscharf zu unterscheiden waren und in Wechselwirkungen standen.[152]

5. Fazit: Die Personensorge im rechtshistorischen Rückblick

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Dieser kurze rechtsgeschichtliche Rückblick hat aufgezeigt, dass unzureichende Vermögenssorge über weite Strecken der Entwicklung ein Grundkriterium des Fürsorgebedarfs war. In dieser Allgemeinheit wurde es zwar erst im Vernunftrecht benannt, findet sich aber de facto bereits im römischen und im gemeinen Recht.[153] Die eigentliche Personensorge entwickelte sich im Erwachsenenschutzrecht als Abbild des Erziehungsgedankens aus der Vormundschaft über Minderjährige und findet erst spät mit dem Zivilgesetzbuch von 1907 ausdrücklich Eingang ins Gesetz. Aber auch das Zivilgesetzbuch von 1907 ist auf Vermögenssorge ausgerichtet und behandelt die Personensorge eher als Nebenerscheinung. Durch Auslegung wurde aber das typenfixierte und –gebundene Massnahmensystem mit Personensorge angereichert – gerade auch deshalb, weil eine Wechselwirkung zwischen Personen- und Vermögenssorge besteht bzw. die beiden Bereiche nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden konnten.

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In Bezug auf den Schutzzweck zeigt sich, dass ursprünglich vorab Interessen der Familien, Dritter und der Allgemeinheit mindestens mitentscheidend für die Anordnung einer Massnahme waren. Diese Fremdinteressen blieben trotz der zunehmenden Ausrichtung auf das Wohl der hilfs- und schutzbedürftigen Person über weite Strecken auch noch bis in das Zivilgesetzbuch von 1907 spürbar.[154]

6. Die Entwicklung des Begriffs der Personensorge im Vormundschaftsrecht und im revidierten Erwachsenenschutzrecht
6.1 Die Personensorge

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Der Gedanke der Fürsorge ist im Kern dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Trotzdem finden sich – vor allem im Familienrecht – fürsorgerische Überlegungen durchaus auch im Privatrecht, wo gerade im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes dem Staate fürsorgerische Aufgaben zukommen.[155] Die persönliche Fürsorge bzw. die Personensorge als eigenständiger Teil der erwachsenenschutzrechtlichen Tätigkeit hat sich – wie oben aufgezeigt[156] – aus dem Kindesrecht und hier insbesondere der Vormundschaft über Minderjährige herauskristallisiert.[157]

6.2 Der Begriff der Personensorge im früheren Vormundschaftsrecht

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Das schweizerische Recht kennt nicht ein eigentliches Konzept der Personensorge. Der Begriff ist organisch gewachsen. Dabei finden sich durchaus unterschiedliche Interpretationen und Entwicklungsstränge. Um ihn genauer zu verstehen, werden im Folgenden wichtige Stationen der Begriffsentwicklung im alten Vormundschaftsrecht dargestellt und diese für die Bedeutung im revidierten Recht beigezogen.

6.2.1 EUGEN HUBER (1893, 1914)

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Der Schöpfer des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, EUGEN HUBER, sah die Personensorge als Gegenpart von Vermögensverwaltung und Vertretung.[158] Die Definition der Personensorge leitete er aus dem Verhältnis von Minderjährigen und Sorgeberechtigten ab. «Die Fürsorge für die Person des Mündels besteht im Allgemeinen darin, dass der Vormund pflichtig ist, für die geistige und körperliche Wohlfahrt des Vögtlings nach Kräften Sorge zu tragen. Dafür ist der Vogt berechtigt, von dem Vögtling Achtung und Gehorsam zu verlangen.»[159] HUBERS Begriff der Personensorge gilt gleichermassen für das Kindes- und das Erwachsenenschutzrecht. Für den Erwachsenenschutz grenzt er die Personensorge – mit Verweis auf das bernische Zivilgesetzbuch – auf den Schutzzweck ein: «Bei gebrechlichen Personen sorgt er [der Vormund; Anmerkung DR] für ihre anständige Verpflegung, und Verschwender sucht er zu einer regelmässigen Lebensart anzuhalten.»[160] Grenzen der Personensorge des Vormundes finden sich – mit Verweis auf das bündnerische Recht – beispielsweise in der zwangsweisen Unterbringung in Heilanstalten oder unter «besonderer polizeilicher und korrektioneller Aufsicht»,[161] welche der Genehmigung der Vormundschaftsbehörde bedürfen.[162] Neben dieser Personensorge des Vormundes im Rahmen seiner amtsgebundenen Tätigkeit findet sich dieselbe auch im Rahmen der zwangsweisen Unterbringung.[163]

 

6.2.2 HANS HEFTI (1916)

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Nach HEFTI ist die Personensorge umfassend, hat sich aber auf den Schutzzeck zu beschränken. Diese Subsidiarität ergibt sich aus Art. 406 aZGB, wobei die notwendige Personensorge nicht auf Vertretungshandlungen beschränkt ist, sondern sämtliche «persönlichen Angelegenheiten [umfasst; Ergänzung DR], die in der Lebensführung des Entmündigten vorkommen, wie z. B. die Art seiner Bekleidung, Ernährung, Vergnügungen etc.; ebenso erstreckt sie sich auf gehörige Aufsicht, auf die erforderliche Pflege und Sicherung des Interdizierten».[164]

6.2.3 JOSEPH KAUFMANN (1924)

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JOSEPH KAUFMANN beschreibt im Berner Kommentar die Personensorge für Minder- und Volljährige inhaltlich gleich wie EUGEN HUBER, als Sorge für dessen geistige und körperliche Wohlfahrt,[165] wobei er die Bestimmungen der Art. 405 f. aZGB nur als Hauptregeln der Personensorge versteht. Personensorge sei mit Bezug auf Art. 367 Abs. 1 aZGB umfassender, weil dort der Mandatsträger die «gesamten persönlichen Interessen zu wahren»[166] hat. Eine weitere gewichtigere Differenz zu HUBER zeichnet sich ab in Bezug auf die der alten Gesetzessystematik inhärente Gegenüberstellung von Vermögensverwaltung, Personensorge und Vertretung. Diese war wie folgt gestaltet:

B.Fürsorge und Vertretung

I.Fürsorge für die Person (Art. 405 ff. aZGB)

II.Vertretung (Art. 407–412 aZGB)

C.Vermögensverwaltung (Art. 413 f. aZGB)

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Während HUBER die Vertretung und die Vermögensverwaltung der persönlichen Fürsorge gegenüberstellt, sah die alte Gesetzessystematik vor, dass Fürsorge und Vertretung zusammen der Vermögensverwaltung gegenübergestellt waren. Diese Diskrepanz löst KAUFMANN, indem er die Gegensätze in den Gesamtzusammenhang von Art. 367 aZGB stellt. «Nach Massgabe von Art. 367 Abs. 1 ZGB ist zunächst zu unterscheiden zwischen der Wahrung der persönlichen und der Wahrung der vermögensrechtlichen Interessen. In beiden Richtungen ist aber gleichzeitig zu unterscheiden zwischen der tatsächlichen Fürsorge und der rechtsgeschäftlichen Tätigkeit, der Vertretung im weiteren Sinne».[167] Art. 405 f. aZGB umschreiben folglich vorab die tatsächliche Fürsorge für die Person, und Art. 407 ff. aZGB beziehen sich somit auf Angelegenheiten der Personensorge wie auch der Vermögenssorge.[168] Damit ist im Rahmen der Personensorge tatsächliches Handeln und Vertretungshandeln möglich.

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In Bezug auf die konkreten Aufgaben im Bereich der Personensorge fordert KAUFMANN massgeschneiderte Personensorge: «Vormund und Vormundschaftsbehörde müssen individualisieren und sich von jeder Schablone freihalten.»[169] Darin enthalten ist auch mit Verweis auf das deutsche BGB – wie bei HEFTI – die Subsidiarität: «So vielseitig an sich die Fürsorgetätigkeit des Vormundes sein kann, so hat er sich doch auf die Zwecke der Vormundschaft zu beschränken.»[170] KAUFMANN sieht die Hauptaufgabe nicht nur in der Förderung des persönlichen Wohls des Mündels, sondern auch im Schutz von direkt bedrohten Dritten mit Bezugnahme auf Art. 369 f. aZGB.[171] Hierzu zählt er (Nach–)Erziehung, gesundheitliche Fürsorge und die Unterbringung in einer Anstalt.

6.2.4 HEDWIG OETTLI (1941)

62

Die Personensorge beziehe sich nach OETTLI auf alle persönlichen Aufgabenbereiche, die rechtlich zulässig sind.[172] Sie definiert diese persönlichen Angelegenheiten in Abgrenzung zur Vermögenssorge. Es sei darunter alles zu verstehen, «was die Person des Entmündigten betrifft, mit Ausnahmen der rein vermögensrechtlichen Angelegenheiten.»[173] Darunter fiele die Sorge für den Unterhalt des Mündels und seiner Familie, die Sorge für das gesundheitliche Wohl und für die «moralisch sittliche Entwicklung».[174] Ferner bestimmt sich der Inhalt der Personensorge wie bei HANS HEFTI auch bei HEDWIG OETTLI massgeblich nach dem Grund und dem Zweck der Massnahme.[175] Durch diesen Schutzzweck werde aber der Umfang der persönlichen Fürsorge nicht beschränkt, da der Zweck der Massnahme nur die Richtung und das Ziel weise, nicht aber beschränke. Als Grenze formuliert sie die Selbstbestimmung: «Das Interesse des Mündels aber besteht sowohl in einer angemessenen persönlichen Fürsorge, als auch in der Gewährung einer angemessenen Freiheit, die den Verhältnissen des einzelnen Falls angepasst ist.»[176] Die Schutzaufgaben des Vormundes seien subsidiär, also nur dort anzuwenden, wo die schutzbedürftige Person Unterstützung benötige.[177]

6.2.5 AUGUST EGGER (1948)

63

Wie bereits HANS HEFTI und HEDWIG OETTLI verweist auch AUGUST EGGER insbesondere auf den Zusammenhang des Massnahmegrundes, also des Schutzbedarfs, und die sich daraus ergebenden ergänzenden Aufgabenbereiche im Bereich der persönlichen Fürsorge. Die Nacherziehung sieht auch EGGER als möglichen Aufgabenbereich, wobei er sich hier im Unterschied zu KAUFMANN zurückhaltender zeigt, indem die schutzbedürftige Person dort entscheiden soll, wo sie zu einer vernünftigen Entscheidung fähig und willig sei.[178] Als Aufgabenbereiche sieht er Beruf und Gewerbe, Wirtshausverbot, Gesundheitspflege, Anstaltsunterbringung an.[179]

6.2.6 BERNHARD SCHNYDER/ERWIN MURER (1984)

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SCHNYDER/MURER nehmen KAUFMANNs Auslegung auf und führen diese aus: Mangelnde Handlungsfähigkeit kann sich immer nur auf die Vermögens- oder die Personensorge beziehen. Man könne zwar von drei Schwächezuständen sprechen (mangelnde Handlungsfähigkeit, Schwächezustand in der Vermögensverwaltung, Schwächezustand in der Person); geschützte Rechtsgüter seien aber immer die Person oder das Vermögen. Man könne auch von drei Aufgaben des Vormundschaftsrechts sprechen, nämlich Vertretung, Personensorge und Vermögenssorge. Diese würden sich aber immer nur auf den Personen- oder Vermögensbereich beziehen. Strenggenommen gäbe es auch nicht zwei geschützte Rechtsgüter, sondern nur eines: die Person.[180]

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Im Bereich der Personensorge unterscheiden sie wie KAUFMANN in Vertretungshandeln und sog. «reine persönliche Fürsorge».[181]

6.2.7 CHRISTOPH CAVIEZEL (1988)

66

CAVIEZEL geht wie SCHNYDER/MURER von einer Wechselbeziehung zwischen Vermögens- und Personensorge aus, wo jeweils wie bei KAUFMANN auch Vertretung möglich ist. Unter Bezugnahme auf ein Bundesgerichtsurteil[182] kommt er aber zum Schluss, dass «überall dort, wo durch vormundschaftliche Massnahmen jemandem Hilfe gewährt werden soll, die Vermögenssorge in den Dienst der persönlichen Fürsorge gestellt werden muss.»[183] Daraus könnte abgeleitet werden, dass es eine persönliche Fürsorge im weiteren Sinne gibt, welche den Schutzbedarf aufzeigt und sich unterteilt in persönlicher Fürsorge im engeren Sinne und Vermögenssorge.

6.2.8 BARBARA CAVIEZEL-JOST (1988)

67

CAVIEZEL-JOST betrachtet die persönliche Fürsorge aus der Perspektive der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Persönliche Fürsorge bestehe in der «Für-Sorge» für einen Menschen, weil dieser eine Schwäche habe, die sich im persönlichen Bereich seines Lebens so auswirke, dass er nicht mehr für sich selber sorgen könne, sondern eben auf Fürsorge anwiesen sei.[184] Die Fürsorge gehe weiter als ein blosser «Bei-Stand», «bei dem noch mit einer grösseren Selbsthilfe-Fähigkeit des Betroffenen gerechnet werden kann.»[185] Bei dieser Definition werden die bisherigen Überlegungen zum Zusammenhang von Massnahmegrund und –zweck sowie Selbstbestimmung mit der Personensorge hergestellt.

6.2.9 STEFAN MÜLLER (1996)

68

STEFAN MÜLLER knüpft an die am Wortsinn orientierte Definition von CAVIEZEL-JOST implizit an, weist aber auf ein zusätzliches Kriterium hin. «Persönlich» im Rahmen der persönlichen Fürsorge meine nicht nur die Sichtweise im Hinblick auf den Schutzbedarf und Schutzzweck, sondern weise auch auf die persönliche Verantwortung des Mandatsträgers hin. Es gehe «um das Bemühen einer Person um das Wohlergehen einer anderen Person.»[186] Damit wird herausgehoben, dass es sich um eine unmittelbare, direkt von Menschen veranlasste Intervention handeln muss. Personensorge kann nach diesem Verständnis bspw. nicht einem Computer überlassen werden.

69

MÜLLER verweist zudem auf die Wechselbeziehung zwischen Personen- und Vermögenssorge und weist auch in der Tradition KAUFMANNs darauf hin, dass Personensorge auch durch Vertretungshandeln erfolgen kann.[187]

6.2.10 HANS MICHAEL RIEMER (1997)

70

RIEMER nimmt die Aufgabenteilung von MURER/SCHNYDER auf und spricht von drei Kreisen von Aufgaben des Mandatsträgers: der persönlichen Fürsorge, der Vertretung in allen Rechtsgeschäften und der Verwaltung des Mündelvermögens.[188] Er geht davon aus, dass im Rahmen der Personensorge auch Vertretung zulässig ist, womit er sich wohl an die Unterscheidung von KAUFMANN anlehnt.[189] Zur persönlichen Fürsorge zählt RIEMER alle für die Person wesentlichen Belang, so Ausbildung, Beruf, Unterkunft, psychische und physische Gesundheit bzw. entsprechende Behandlung etc.[190] Der Umfang der Personensorge ergebe sich nach dem Alter, dem Massnahmegrund und dem Grad der Hilfsbedürftigkeit.[191]

6.2.11 KURT AFFOLTER (1998)/CHRISTOPH HÄFELI (2005)

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AFFOLTER definiert Personensorge in der Tradition von HEFTI als «behördlich angeordnete persönliche Fürsorge für Menschen, welche nicht in der Lage sind, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu besorgen und schutzbedürftig sind».[192] HÄFELI knüpft vorab an die Definition von MURER/SCHNYDER an.[193] Beide fokussieren die Personensorge im Rahmen der Mandatsführung und betonen deutlich den Vorrang der Selbstbestimmung und der persönlichen Ressourcenstärkung (Empowerment).[194] AFFOLTER setzt hier neben den Schutz des Betroffenen ein zweites Ziel: Das Ziel der Personensorge in der Mandatsführung sei, dass auch die persönliche Entfaltung und Förderung von Hilfsbedürftigen ermöglicht werde.[195] Es gehe um Hilfe zur Selbsthilfe, also mitunter darum, schutzbedürftige Menschen soweit wie möglich zu befähigen, wiederum soweit wie möglich eigenständig ihr Leben zu gestalten.

 

6.3 Die doppelte Personensorge im revidierten Recht

6.3.1 Auslegung der massgebenden Bestimmungen

72

Die Ausgestaltung der Möglichkeiten und Grenzen der Personensorge im alten Vormundschaftsrecht ergab sich nicht zuletzt aufgrund der Auslegung der entsprechenden Gesetzesartikel, namentlich von Art. 367 Abs. 1 und Art. 406 aZGB. Dementsprechend ist analog das revidierte Erwachsenenschutzrecht relevant für die aktuelle bzw. aktualisierte Definition der Personensorge. So ergibt sich aufgrund der Pflicht zur persönlichen Mandatsführung gemäss Art. 405 Abs. 1 ZGB sowie der Pflicht zur Herstellung eines Vertrauensverhältnisses gemäss Art. 406 Abs. 2 ZGB, dass der Hinweis von MÜLLER[196] auf die persönliche Verantwortung des Mandatsträgers klargestellt und durch die revidierten Bestimmungen obsolet wird. Mandatsführung muss unabhängig von Vermögenssorge oder Personensorge persönlich sein.

73

Aus der Zwecksetzung des Erwachsenenschutzes wie auch aus der Begriffsgeschichte der Personensorge ergibt sich ferner allgemein, dass Personensorge individualisiert und unter Berücksichtigung des Schutzzweckes, der Selbstbestimmung bzw. der Subsidiarität und des Schutzbedarfes zu erfolgen hat. Sie soll zudem persönliche Entfaltung und Förderung ermöglichen.

74

Betrachtet man das revidierte Recht, so ist Art. 391 Abs. 2 ZGB massgebend, der die Aufgabenbereiche im Erwachsenenschutzrecht beleuchtet. Er besagt, dass die Aufgabenbereiche die Personensorge, die Vermögenssorge oder den Rechtsverkehr betreffen. Daraus ist zunächst ersichtlich, dass die Begrifflichkeiten an das alte Vormundschaftsrecht anknüpfen. Vertretung wird durch Rechtsverkehr ersetzt, inhaltlich aber wie Vertretung definiert, indem man darauf verweist, dass es um rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen geht, die den Bereich der Vermögens- und Personensorge betreffen können.[197]

75

Das vorrevidierte Recht hat zudem nicht zwischen der Personensorge in Bezug auf die Aufgabenbereiche oder in Bezug auf die Rechtsmacht unterschieden. Das rührt insbesondere daher, dass es für die Personensorge im Sinne der Rechtsmacht gar keine eigenständige Massnahme gab, sondern der Fokus auf Vertretungs- und Mitwirkungshandeln beruhte. Mit der Begleitbeistandschaft hat sich dies grundlegend verändert, da sie begleitende Unterstützung als Rechtsmacht vorsieht.[198] Für die Begrifflichkeiten erscheint es daher angezeigt, zwischen Anforderungen im Rahmen der Aufgabenbereiche und der Rechtsmacht zu unterscheiden.[199]

6.3.2 Die Personensorge im Sinne von Aufgabenbereichen

76

Personensorge kann zunächst in Bezug zu den Aufgabenbereichen gesetzt werden. Art. 391 ZGB betrifft die sog. Massschneiderung der Aufgabenbereiche durch die Erwachsenenschutzbehörde. Im Sinne der Komplementarität nach Art. 388 Abs. 2 ZGB[200] soll eine Beistandschaft nur angeordnet werden, wenn eine Schutzbedürftigkeit besteht, die auf einem Schwächezustand basiert.[201] Ansonsten ist der betroffenen Person so viel Selbstbestimmung wie möglich zu belassen.[202] «Der Schwächezustand muss dazu führen, dass bei der betroffenen Person die Fähigkeit zur Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes in Bezug auf die zu erledigenden Angelegenheiten ausgeschlossen oder derart beeinträchtigt ist, dass eigenverantwortliches Entscheiden nicht mehr möglich oder zumindest erschwert ist.»[203] Massgeblich dabei ist der Bedarf, der aufgrund der Ausrichtung auf das Wohl der betroffenen Person und durch den ordre public objektiviert und der unter besonderer Berücksichtigung der subjektiv geäusserten oder aufgrund der bisherigen Lebensführung erkennbaren Wünsche und des Willens einer schutz- und hilfsbedürftigen Person eruiert wird.[204] Somit geht es auf der behördlichen Ebene darum, dass ein möglicher Schutzbedarf aufgrund eines Schwächezustandes erkannt und mit einer verhältnismässigen Massnahme behoben oder zumindest gemildert wird. Zum Teil wird auch von der Schliessung für die betroffene Person nachteiliger «Betreuungslücken»[205] gesprochen.

77

Für die Personensorge werden folgende generelle Aufgabenbereiche umschrieben, die je nach Schutzbedarf genauer gefasst werden müssen:[206]

–Wohnungsangelegenheiten

–Angelegenheiten, welche die Gesundheit betreffen

–Angelegenheiten, welche die Bildung und berufliche Ausbildung betreffen

–Angelegenheiten zur persönlichen Inklusion bzw. Exklusionsvermeidung, z. B. wegen sozialer Isolation, Ernährung, Bekleidung

–Postverkehr

–Aufenthaltsbestimmungsrecht, wobei dieses zwangsweise nur mit einer fürsorgerischen Unterbringung durchgesetzt werden kann.[207]

6.3.3 Die Personensorge im Sinne der Rechtsmacht

78

Mit der Anordnung einer entsprechenden Beistandschaft auf der Basis von Schwächezustand und Schutzbedarf werden gleichzeitig Hauptaufträge für die Beistandsperson umschrieben. Im Sinne der doppelten Massschneiderung[208] sind nicht nur die Aufgabenbereiche zu umschreiben, sondern es werden auch die Beistandschaftsarten[209] und damit automatisch auch die Rechtsmacht bestimmt. Es stellt sich somit die Frage, welche Mittel im Rahmen des jeweiligen Aufgabenbereiches der Beistandsperson übertragen werden sollen bzw. müssen, damit diese dem Schutzbedarf ausreichend begegnen kann. Es geht bei der Rechtsmacht im erwachsenenschutzrechtlichen Kontext somit um die Übertragung von Kompetenzen von der betroffenen Person auf den Beistand durch die Behörde.[210]

79

Die Literatur zum alten Vormundschaftsrecht hat unterschieden zwischen tatsächlichem und Vertretungshandeln, das sich jeweils auf die Personensorge, Vermögenssorge oder Vertretung beziehen kann.[211] Damit entstand bereits im Grundsatz altrechtlich eine Matrix, dass also auch im Bereich Personensorge oder Vermögenssorge jeweils tatsächliches Handeln und Vertretungshandeln möglich wurde. Diese Möglichkeiten wurden aber deutlich durch das wenig flexible Massnahmensystem eingeschränkt.

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Im revidierten Recht findet sich ein ausgeprägt flexibles Massnahmensystem, das eine schon im altrechtlichen System angelegte Unterscheidung entfalten lässt. Die Beistandschaftsarten lassen folgende Varianten einer Rechtsmacht zu:

–Begleitung[212]

–Vertretung

–Mitwirkung

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Begleitung wird in der Literatur zum revidierten Recht nicht selten als Personensorge bezeichnet, z. B. als Beratung, Betreuung, Vermittlung, Pflege, Unterstützung,[213] und steht in Opposition zur Vertretung, aber auch zur Mitwirkung. Dies steht durchaus in der Tradition von AFFOLTER und HÄFELI, die ebendiese Perspektive in der Mandatsführung fokussieren. Wie unten noch eingehend aufgezeigt wird, meint Begleitung im Sinne der Rechtsmacht eine umfassende Hilfestellung; es geht um psychosoziale Hilfe und hier insbesondere um Methoden der Sozialen Arbeit.[214]

6.3.4 Die doppelte Personensorge

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Personensorge kann sich somit auf die Aufgabenbereiche oder auf die Rechtsmacht beziehen.[215] Man kann deshalb auch von doppelter Personensorge sprechen. Dabei stehen die beiden Formen der Personensorge in Bezug zu einander. Mit KAUFMANN[216] kann sich die Trias Begleitung/Personensorge, Vertretung und Mitwirkung nun auf die Personensorge und die Vermögenssorge und neu auch auf den Rechtsverkehr als Aufgabenbereiche beziehen. Der Rechtsverkehr wird üblicherweise primär mit der Vertretung im Sinne der Rechtsmacht gleichgestellt.[217] Dort finden sich auch die grössten Überschneidungen zwischen Vertretung und Rechtsverkehr; so ist doch Vertretungshandeln jeweils auf den Rechtsverkehr ausgerichtet. Deshalb dürfte der Rechtsverkehr als Aufgabenbereich nur relevant werden, wenn der Aufgabenbereich nicht Personen- und Vermögenssorge betrifft oder nicht spezifisch zur Personen- oder Vermögenssorge zugeordnet werden kann.[218] Damit ergibt sich folgende Matrix:

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Aufgabenbereiche/ Rechtsmacht Personensorge Vermögenssorge Rechtsverkehr
Begleitung (Personen­sorge) z. B. Beratung in Bezug auf medizinische Fragen z. B. Beratung in Bezug auf die Vermögensanlage z. B. Beratung in Bezug auf ein ­spezifisches verwaltungsrechtliches Verfahren
Vertretung z. B. Vertretung in Wohnungsangelegenheiten z. B. Vertretung in Bezug auf die Rentenverwaltung z. B. Vertretung in einem solchen verwaltungsrechtlichen Verfahren
Mitwirkung z. B. Zustimmung zum Kauf von Perlen bei einer entsprechend kaufsüchtigen Person z. B. Zustimmung zu einem Vergleich in einem spezifischen Verfahren

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Aus dieser doppelten Personensorge von Aufgabenbereich und Rechtsmacht findet automatisch eine Klarstellung der Begrifflichkeiten statt. In der bisherigen Literatur – insbesondere zum revidierten Recht – findet sich eine Vermischung der Ebenen, indem Personensorge teilweise im Sinne der Aufgabenbereiche[220] und teilweise im Sinne der Rechtsmacht[221] verstanden wird, was zu Missverständnissen geführt hat.[222]

6.3.5 Die Reichweite der Personen- bzw. der Vermögenssorge

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Ungeklärt ist demgegenüber weitgehend die Reichweite der Personensorge bzw. implizit auch der Vermögenssorge in Bezug auf die Aufgabenbereiche. Es geht damit um die Frage, wo die Grenzen der Personensorge bzw. der Vermögenssorge zu ziehen sind. Die Schwierigkeit der Abgrenzung von Rechtsverkehr und Vermögenssorge bzw. Personensorge wurde bereits oben erörtert.[223]

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Die Frage der Reichweite wird zum Teil auch im revidierten Recht in der Tradition von OETTLI lediglich formal abgegrenzt, indem darauf hingewiesen wird, dass Personensorge das sei, was nicht der Vermögensverwaltung zuzuordnen sei.[224] Damit wird man dem neuen Recht nach der hier vertretenen Auffassung nicht gerecht, ist die Frage doch zentral für die Massschneiderung.

87

Vermögenssorge ist eine Querschnittsmaterie. Beinahe sämtliche Handlungen, die sich auf eine Person beziehen, haben vermögensrechtliche Auswirkungen oder können als solche betrachtet werden. Daraus könnte man ableiten, dass in den meisten Fällen ein Aufgabenbereich Einkommens- und/oder Vermögensverwaltung ausreichend wäre. Der Gesetzgeber hat aber vorgesehen, dass auch die Personensorge masszuschneidern ist. Fraglich ist somit, wann es zusätzlich zur Massschneiderung innerhalb der Vermögenssorge einer Massschneiderung in der Personensorge bedarf. Die Frage kann im Rahmen dieser Arbeit nicht in extenso beleuchtet werden. Anhaltspunkte für eine Massschneiderung im persönlichen Bereich sind Art. 408 ZGB, der in Abs. 2 die Kompetenzen im Rahmen der Vermögensverwaltung beispielhaft und relativ restriktiv formuliert,[225] sowie der (weitgehende) Konsens in den obig erwähnten Aufgabenbereichen[226] im Rahmen der Personensorge. Daraus kann abgeleitet werden, dass der Fokus der Vermögenssorge auf die laufenden Bedürfnisse analog zu Art. 166 Abs. 1 ZGB, die Vermögensanlage und die Schuldenabbezahlung und weitere vergleichbare kleinere vermögensrechtliche Geschäfte beschränkt ist.[227] Spezifischere Angelegenheiten mit finanziellen Auswirkungen wären im Sinne der Massschneiderung separat zu erwähnen.