Die Begleitbeistandschaft

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2. Supported Decision Making gemäss der Behindertenrechtskonvention

2.1 Subsitute Decision Making

2.2 Supported Decision Making

2.3 Das Spektrum von Subsitute zu Supported Decision Making

3. Ansätze und Konzepte zur Förderung des Supported Decision Making

3.1 Mehrfachbeistandschaft

3.1.1 Beschreibung

3.1.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.2 Rechtliche bzw. persönliche Assistenz

3.2.1 Beschreibung

3.2.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.3 Shared Decision Making

3.3.1 Beschreibung

3.3.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.4 Clearing Plus

3.4.1 Beschreibung

3.4.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.5 Supported Network/Trusted-Person-Ansatz

3.5.1 Beschreibung

3.5.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.6 Aufsuchende Vertrauensperson

3.6.1 Beschreibung

3.6.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.7 Familienrat-Ansatz/Circle-Network

3.7.1 Beschreibung

3.7.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.8 Peer-Group-Ansatz

3.8.1 Beschreibung

3.8.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

3.9 Choose-Get-Keep-Leave

3.9.1 Beschreibung

3.9.2 Beurteilung für die Begleitbeistandschaft

4. Einordnung der diversen Konzepte und Ansätze

5. Ausdehnung auf Menschen an der Grenze zur Urteilsunfähigkeit?

5.1 Grenzen von Supported Decision Making und Begleitbeistandschaften

5.2 Kommunikationsverhalten als Mitursache für Urteils(un)fähigkeit

5.3 Delegation von Teilaspekten der Urteilsfähigkeit an Dritte?

5.3.1 Der Begleitbeistand als Übersetzer zur Ermöglichung von Urteilsfähigkeit

5.3.2 Der Kern der Urteilsfähigkeit

5.3.3 Delegation von Teilaspekten ausserhalb des Kerns der Urteilsfähigkeit an Dritte?

6. Herausforderungen für die Begleitbeistandschaft

6.1 Herausforderung, Subsidiarität und Verhältnismässigkeit

6.2 Herausforderung Missbrauchspotenzial

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Materialien, Berichte und Stellungnahmen

1. Revision Erwachsenenschutz

2. Weitere Materialien

3. Weitere Berichte und Stellungnahmen


I. Grundlagen des Erwachsenenschutzes

1. Ziel und Zweckbestimmung des Erwachsenenschutzes

1

Natürliche handlungsfähige Personen handeln als Rechtssubjekte im Rahmen der Rechtsordnung grundsätzlich selbstständig. Diese Selbstständigkeit kann dann infrage gestellt werden, wenn eine Person einen Schwächezustand aufweist, der ihr Wohl gefährdet und zur Folge hat, dass sie wichtige Angelegenheiten nicht mehr oder nur noch unzureichend besorgen kann.[1] Hier sollen die Instrumente des Erwachsenenschutzes greifen, und zwar in zweifacher Hinsicht: Sie sollen zunächst ermöglichen, dass die schutzbedürftige Person im Rechtsverkehr als eigenverantwortliche Entscheidungsträgerin trotz ihres Schwächezustandes auftreten kann. Die Instrumente haben somit zum Ziel, die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu verwirklichen. Zudem kommt den Instrumenten des Erwachsenenschutzes – und hier insbesondere den behördlichen Massnahmen – auch die Aufgabe zu, davor zu schützen, dass sich die betroffene Person aufgrund ihres Schutzbedarfes selbst an Person oder Vermögen schädigt.[2] So kann der Erwachsenenschutz auch darin bestehen, dass eine handlungsfähige Person zu ihrem eigenen Schutz aufgrund eines hoheitlichen Aktes vom Zugang zum Rechtsverkehr rechtlich oder tatsächlich beschränkt wird.[3] Damit enthält der Erwachsenenschutz auch zentrale fremdbestimmende Elemente.

2. Erwachsenenschutz als Teil des Sozialrechts

2

Die schweizerische Rechtsordnung kennt kein Gebiet, das sich «Sozialrecht» nennt. «Sozial» ist letztlich jede Rechtsnorm, da sie Ausdruck des sozialen Kontexts der Gesellschaft ist. Dennoch gibt es Rechtsgebiete, die den Begriff «sozial» tragen, wie Sozialhilfe, Sozialversicherungen etc. Die Begrifflichkeit ist unscharf, und die älteren unterschiedlichen Definitionsversuche haben die sozialpolitische Zwecksetzung als Gemeinsamkeit, weil die Definitionen massgeblich von der sozialpolitischen Literatur geprägt sind.[4]

3

Anknüpfungspunkt des Sozialrechts waren in der Vergangenheit vielfach soziale Spannungen in der Bevölkerung, so insbesondere im Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht. Es ging darum, die damit verbundenen persönlichen und gesellschaftlichen Risiken gerade für unterprivilegierte Bevölkerungsschichten abzufedern. Später kamen Massnahmen hinzu, die unabhängig von einer Schichtzugehörigkeit bestanden, wie Mieterschutz, Opferhilfe Konsumentenschutz. Die dafür ursächlichen sozialen Problemlagen konnte der Einzelne nicht ohne die Mithilfe des Staates verändern respektive verbessern.[5] Sozialrechtliche Massnahmen beinhalten solche zur Gewährleistung «der als notwendig erachteten Lebensbedürfnisse der Daseinsfürsorge und –vorsorge gerade dort, wo sie aufgrund der tatsächlichen Situation (z. B. Wohnungsmarkt) nicht mehr gewährleistet sind. Was zu diesen Lebensbedürfnissen gehört, ergibt sich aufgrund einer gesellschaftlich wandelbaren Wertung. Sozialrecht ist somit Ausdruck des verfassungsmässig verankerten Sozialstaatlichkeitsprinzips (z. B. Art. 12, 19, 29 Abs. 3, 41, 111 f. BV)».[6] Sozialrecht versteht sich nach dieser Auffassung als Querschnittsmaterie zwischen öffentlichem und Privatrecht und umfasst sämtliche rechtlichen Normen, «welche die für die Lebensbewältigung notwendige Teilhabe ermöglichen sollen und zugleich Ausdruck einer besonderen sozialstaatlichen Zielsetzung sind, also auf soziale Absicherung, sozialen Ausgleich, Schutz, Teilhabe und Chancengleichheit ausgerichtet sind.»[7]

 

4

Gemäss dieser Definition gehören zum Sozialrecht neben den klassischen Bereichen Sozialhilfe–, Sozialversicherungs– und Eingriffssozialrecht auch das Bildungs- und Gesundheitsrecht. Damit ergibt sich eine Ausweitung der Begrifflichkeit von sozialpolitischen auf sozialstaatliche Massnahmen. Diese erscheint angezeigt, weil sich das Gesundheits- und Bildungsrecht häufig mit den klassischen Bereichen des Sozialrechts überschneiden. So beinhaltet das Sozialversicherungsrecht auch gesundheitsrechtliche Fragestellungen, das Kindesschutzrecht findet sich auch im Bildungsrecht etc. Gleiches gilt auch für das revidierte Erwachsenenschutzrecht, in dem diverse Bestimmungen zum Gesundheitsrecht zu finden sind.[8]

3. Erwachsenenschutzrecht als Eingriffssozialrecht

5

Eingriffssozialrecht bezieht sich auf zwei Aspekte: zunächst als Eingriff in die verfassungsmässig geschützten Grundrechte im Bereich des Sozialrechts. Daneben rekurriert der Begriff auch auf Eingriffe im Sinne einer Verwaltungstätigkeit, nämlich auf die Eingriffsverwaltung. Dieser letztere Aspekt wird weiter unten ausgeführt.[9]

6

Zivilrechtlicher Erwachsenenschutz ist nach schweizerischem Rechtsverständnis nicht nur Sozialrecht, sondern – insbesondere bei den behördlichen Massnahmen gemäss Art. 388 ff. ZGB – auch Eingriffssozialrecht. Anknüpfungspunkt des behördlichen Erwachsenenschutzrechtes ist die Handlungsfähigkeit, die faktisch oder rechtlich beschränkt werden kann.[10] Die einzelne Person ist vor Eingriffen in die Rechtsstellung insbesondere durch das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) geschützt.[11] Dieses bewahrt das Individuum vor Eingriffen des Staates – insbesondere in die körperliche Integrität, in die Bewegungsfreiheit und in die geistige Unversehrtheit.[12] Daneben können weitere Grundrechte tangiert sein. Aufgrund der sich potenziell überschneidenden Schutzbereiche des Grundrechtsrechts auf Privatsphäre nach Art. 13 BV und der geistigen Unversehrtheit als Teil des Grundrechts auf persönliche Freiheit greift Erwachsenenschutz je nach Konzeption des Verhältnisses dieser Grundrechte zueinander mehr oder minder – auch überschneidend – in das Grundrecht auf Privatsphäre ein.[13] Zusätzlich werden auch das Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 7 BV) und das Recht auf Ehe (Art. 14 BV) genannt.[14]

7

Dieser grundrechtliche Schutz gilt nicht allumfassend. Gemäss Art. 36 BV können Grundrechte eingeschränkt werden, sofern eine gesetzliche Grundlage besteht, der Eingriff durch ein öffentliches Interesse bzw. durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig ist,[15] das heisst geeignet sowie erforderlich und in einem angemessenen Verhältnis von Eingriffszweck und Eingriffswirkung steht. Zudem ist der Kerngehalt der jeweiligen Grundrechte unantastbar und darf nicht verletzt werden.[16]

8

Die behördlichen Massnahmen des Erwachsenenschutzes bieten eine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in die obgenannten Grundrechte. Sie sind angesichts des Eingriffs ausreichend bestimmt und in einem Gesetz im formellen Sinne verfasst.[17] Das öffentliche Interesse ist sozialpolitischer Natur und hat Wohl und Schutz der betroffenen Person zum Inhalte.[18] Mit einer Interessenabwägung im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung kann das Spannungsverhältnis zwischen angeordneter Betreuung und Freiheit bzw. Selbst- und Fremdbestimmung austariert werden.[19]

9

Demgegenüber wird in der deutschen Literatur die These vertreten, dass die Betreuungen (d. h. die Beistandschaften des deutschen Rechts) weitgehend kein Eingriffssozialrecht darstellen würden. Wenn man davon ausgehen könne, dass Sinn und Zweck der Massnahmen auf die altruistisch geprägte Teilhabe am Geschäftsverkehr bzw. am gesellschaftlichen Leben abzielen würden, dann werde mit der Massnahme nicht in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen, sondern diese würden verwirklicht. Die Betreuung ermögliche die gleichberechtigte Teilhabe. So sei es auch Aufgabe der Betreuungsperson, die betreute Person vor unangemessenen staatlichen Eingriffen zu schützen. Nur dort, wo die eigenverantwortliche Entscheidung des Grundrechtsträgers missachtet würde, gehe es um grundrechtlich relevante Eingriffe. Damit würde aber die Betreuungsperson – zumindest nach deutschem Recht – seine Kompetenzen überschreiten.[20] Dementsprechend seien weder die Betreuung noch die einzelnen Handlungen der Betreuungsperson grundrechtlich relevant.[21] Trotzdem bestehe latent die Gefahr, dass die Betreuungsperson im Einzelfall potenziell in die Grundrechte eingreife – insbesondere dort, wo es um irreversible Eingriffe im Bereich der Tathandlungen gehe. Deshalb hätten die materiellen und verfahrensrechtlichen Regeln freiheitssichernde Funktion, und die Betreuungsperson tue gut daran, ihr Verhalten an den grundrechtlichen Voraussetzungen auszurichten.[22] Daraus kann geschlossen werden, dass selbst hier die Anordnung der Massnahme und auch die Handlungen der Betreuungsperson grundrechtsähnlich im Sinne eines «vorbeugenden Grundrechtsschutzes»[23] erfolgen sollten.

10

Für die schweizerische Rechtsordnung erscheint diese Auffassung nur bedingt zutreffend. Zwar ermöglicht die altruistisch geprägte Beistandschaft die Teilhabe an der Gesellschaft bzw. am Rechtsverkehr. Daneben besteht aber die Aufgabe des Beistandes auch darin, die betroffene Person vor selbstschädigenden Handlungen zu schützen.[24] Damit verbunden sind im Einzelfall mehr oder minder starke Kontrolle bzw. auch Fremdbestimmung. Im Unterschied zum deutschen Recht kann bzw. muss der Beistand durchaus auch gegen den Willen einer urteilsfähigen Person entscheiden. So können nach schweizerischem Recht auch Beistandschaften gegenüber urteilsfähigen Personen angeordnet werden. Bei der Begleit- oder Mitwirkungsbeistandschaft ist die Urteilsfähigkeit sogar Voraussetzung der Massnahmeerrichtung, und trotzdem rechtfertigt der Schutz diesen Eingriff.[25] Folglich handelt es sich beim behördlichen Erwachsenenschutz potenziell massgeblich um Fremdbestimmung,[26] und die schweizerische Lehre und Rechtsprechung gehen von einem Grundrechtseingriff bei Beistandschaften aus.[27] Hinzu kommt die faktische und rechtliche Nähe des Erwachsenenschutzes zum Verwaltungsrecht und dort die Zuordnung zur Eingriffsverwaltung.[28]

11

Im Rahmen des revidierten Erwachsenenschutzrechtes gehören primär die behördlichen Massnahmen zum Eingriffssozialrecht. Daneben finden sich aber auch weitere Bereiche des revidierten Rechts, die dem Eingriffssozialrecht zuzuordnen sind, wie z. B. das Einschreiten der Erwachsenenschutzbehörde beim Vorsorgeauftrag (Art. 368 ZGB) oder bei bewegungseinschränkenden Massnahmen (Art. 385 ZGB). Inwieweit die Begleitbeistandschaft aufgrund ihres Zustimmungserfordernisses auch dazu gehört, wird weiter unten beim Grundrechtsverzicht vertiefend erörtert.[29]

4. Erwachsenenschutzrecht als Teil des Personen- und Familienrechts

12

Zivilrechtlicher Erwachsenenschutzrecht ist formal Privatrecht.[30] Es findet sich im zweiten Titel des Zivilgesetzbuches im Familienrecht, und zwar in der dritten Abteilung mit dem Titel Erwachsenenschutz respektive ehemals Vormundschaft. Privatrechtlich geprägt sind im revidierten Recht insbesondere die Bestimmungen über die eigene Vorsorge, also die Patientenverfügung gemäss Art. 370 ff. ZGB, der Vorsorgeauftrag gemäss Art. 360 ff. ZGB sowie die gesetzlichen Vertretungsrechte gemäss Art. 374 ff. ZGB. Sie sind allesamt nicht von Amtes wegen durchsetzbare Regeln für Rechtsbeziehungen unter Privatpersonen, bei denen im Konfliktfall die Erwachsenenschutzbehörde entscheidet.[31] Ebenso unterliegen die schutzbedürftigen Personen nicht dem direkten staatlichen Zugriff.

13

Der vom Staat eingesetzte, mit einer gewissen Unabhängigkeit ausgestattete Beistand handelt Dritten gegenüber privatrechtlich für die schutzbedürftige Person.[32] Auch die Bestimmungen, welche die Handlungsfähigkeit respektive die Einschränkung der Handlungsfähigkeit konkretisieren, gehören dem Privatrecht an. Sie ergänzen das Handlungsfähigkeitsrecht des Personenrechts.[33] Hiervon ausgeschlossen sind einzig behördliche Massnahmen, welche die Handlungsfähigkeit nicht berühren, wie die fürsorgerische Unterbringung und die Begleitbeistandschaft,[34] aber auch die Vertretungsbeistandschaft ohne Beschränkung der Handlungsfähigkeit.[35] Deshalb ist der Verweis auf den Zusammenhang von Handlungsfähigkeitsrecht und Erwachsenenschutz nicht in jedem Fall ausreichend. Erwachsenenschutz hat entsprechend eine weitergehende Aufgabe, als lediglich Mankos im Handlungsfähigkeitsrecht zu überbrücken.

14

Erwachsenenschutzrecht ergänzt zwar in Bezug auf die Beschränkung der Handlungsfähigkeit das Personenrecht; Anknüpfungspunkt ist jedoch ein anderer: Beim Erwachsenenschutzrecht wird die Anordnung behördlicher Massnahmen in jedem Fall auf eine Schutzbedürftigkeit zurückgeführt, die auf einem Schwächezustand basiert.[36] Dabei kann die (teilweise) fehlende Urteilsfähigkeit durchaus einen Schwächezustand begründen. Dies ist aber nicht zwingend, da selbst unter umfassender Beistandschaft stehende Personen urteilsfähig sein können.[37] Damit zeigt sich, dass Erwachsenenschutz auch gegenüber urteilsfähigen Menschen möglich ist. Diese Perspektive deutet demnach eher auf einen öffentlich-rechtlichen Bezug hin.[38] Trotzdem gehen Lehre und Rechtsprechung davon aus, dass das Verhältnis der Beistandsperson zur verbeiständeten Person überwiegend privatrechtlich geprägt ist.[39]

15

Die inhaltliche Begründung, weshalb Erwachsenenschutzrecht dem Familienrecht zugeordnet wird, findet sich in seiner historischen Nähe zum Familienrecht. Die Massnahmen des Erwachsenenschutzes wurden massgeblich von denjenigen über Minderjährige und gegenüber den damals nicht selbstständigen Frauen abgeleitet.[40] Dies zeigt sich insbesondere bei der Vermögens- und der Personensorge, bei denen die Bestimmungen über die Erziehung Minderjähriger Vorbild für die Normen im Erwachsenenschutz waren.[41]

 

5. Erwachsenenschutzrecht als Teil des Verwaltungsrechts

16

Erwachsenenschutzrecht wird als Mischgebilde von privatem und öffentlichem Recht gesehen.[42] Dort, wo es rechtstheoretisch öffentliches Recht darstellt, ist es in der Regel Verwaltungsrecht.[43]

17

Die grundrechtlichen Überlegungen zum Eingriffssozialrecht[44] schaffen eine besondere Nähe zum Verwaltungsrecht. Fragt man nach der Wirkungsweise der Verwaltungstätigkeit oder danach, mit welchen Mitteln und in welchem Mass die Verwaltungshandlung zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben beiträgt,[45] so wird üblicherweise zwischen Leistungs- und Eingriffsverwaltung unterschieden.[46] Im Rahmen der Leistungsverwaltung gewährt der Verwaltungsträger Privaten staatliche, insbesondere wirtschaftliche und soziale Leistungen, namentlich Sach–, Geld- oder Dienstleistungen. Die Verwaltung tritt hier fördernd und unterstützend auf. Typische Bereiche sind die Sozialversicherungen, die Sozialhilfe sowie die Förderung der Landwirtschaft.[47] Demgegenüber liegt Eingriffsverwaltung vor, wenn Rechte und Freiheiten von Privaten beschränkt werden bzw. in diese Rechte und Freiheiten eingegriffen wird. Dem Bürger werden Verpflichtungen oder Belastungen auferlegt; dieser muss die Einschränkungen seiner Freiheit gemäss dem öffentlichen Interesse dulden. Der Verwaltungsträger tritt befehlend bzw. hoheitlich auf und begründet entsprechende Rechtsverhältnisse in der Regel mit Verfügungen.[48] Die Unterscheidung in Leistungs- und Eingriffsverwaltung fokussiert die Wirkung der eingesetzten Massnahmen: «Der Blick richtet sich darauf, wie das Verwaltungshandeln beim Adressaten ‹ankommt› – ob als Belastung oder Begünstigung.»[49] Die Kategorisierung ist nicht trennscharf auseinander zu halten und somit typologisch, da beide Elemente durchaus auch in Kombination auftreten können (z. B. Sozialhilfe und Kürzung der Sozialhilfe).[50]

18

Das Erwachsenenschutzrecht will schutzbedürftigen Menschen, die an einem Schwächezustand leiden, nötigenfalls gegen ihren Willen helfen. Das gesamte Verfahren ist hoheitlich geprägt und sieht u. a. auch Zwang vor,[51] wenngleich Massnahmen durchaus auch von der betroffenen Person beantragt werden können.[52] Die gesamte staatliche Tätigkeit wird aber in aller Regel als Eingriff wahrgenommen.[53] Dementsprechend ist die behördliche Tätigkeit im Erwachsenenschutz der Eingriffsverwaltung zuzuordnen.

19

Wichtig ist die Kategorisierung in Bezug auf das Legalitätsprinzip, das bei der Leistungsverwaltung z. T. weniger streng gehandhabt werden kann, so beim Umfang der möglichen und zulässigen Handlungsformen, welche bei den Leistungen etwas breiter sind sowie beim Widerruf belastender Verfügungen, der z.T. leichter möglich ist als bei begünstigenden.[54]

20

Hinzu kommt, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde hoheitlich auftritt, was ebenfalls ein typischer Hinweis auf Verwaltungsrecht ist. Die Behörde handelt einseitig aufgrund eines Subordinationsverhältnisses zu den Rechtsunterworfenen.[55] Dazu passen die im Zivilgesetzbuch hierfür verankerte Offizialmaxime und Untersuchungsmaxime gemäss Art. 446 ZGB.

21

Betrachtet man die Ausstattung der Beistandschaften, so kann daraus durchaus auch ein verwaltungsrechtlicher Charakter abgeleitet werden, und zwar in Bezug auf den Inhalt der Massnahme, aber auch in Bezug auf ihre Erscheinung durch den eingesetzten Beistand. Dies gilt massgeblich auch bezüglich der auf begleitende Unterstützung ausgerichtete Begleitbeistandschaft: Die Unterscheidungskriterien zwischen Beratungsdienstleistungen im Rahmen der freiwilligen Beratung der dem Verwaltungsrecht zugeordneten Sozialhilfe und derjenigen durch einen Begleitbeistand sind kaum zu erkennen.[56] Hinzu kommt, dass der (private und professionelle) Beistand gegen aussen in aller Regel auch das Gemeinwesen vertritt und als Repräsentant des Staates im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung erscheint. Dies zeigen auch die Entlassungsgründe gemäss Art. 423 Ziff. 2 ZGB, die nicht ausschliesslich die Handlungskompetenz in Bezug auf die Beistandschaft anbelangen, sondern auch die Zahlungsunfähigkeit oder unehrenhaften Lebenswandel[57] betreffen können. Neben diesen Aspekten lassen aber auch die nicht dispositiven Pflichten des Beistandes gemäss Art. 405 ff. ZGB, die Beschwerdemöglichkeiten der schutzbedürftigen Person gemäss Art. 419 ZGB sowie die aufsichtsrechtlichen Instrumente gemäss Art. 415 ZGB und der Haftung gemäss Art. 454 ZGB darauf schliessen, dass auch das Verhältnis von Beistandsperson zu verbeiständeter Person im Erwachsenenschutz massgeblich dem Verwaltungsrecht zuzuordnen ist, welches analog anzuwenden ist,[58] auch wenn die herrschende Lehre und Rechtsprechung das Verhältnis schwerpunktmässig dem Privatrecht zuordnet.[59] Diese schwerpunktmässige Zuordnung hat im Unterschied zu derjenigen zur Eingriffs- oder Leistungsverwaltung keine wesentliche praktische Auswirkung, weil die Folgen der Zuordnung weitgehend im Zivilgesetzbuch geregelt sind.[60]