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Dani Merati

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Eine neue Chance

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Impressum neobooks

Kapitel 1

Köln, 20. Mai 2004

„Verflucht, Jo. Ja! Mach weiter!“

Jo schluckte um den Schwanz in seinen Mund und sah hoch in das attraktive Gesicht seines Geliebten, Schweißperlen auf der Haut, die Züge lustverzerrt. Goldblondes Haar fiel ihm in die Stirn und in seine strahlend blauen Augen. Oliver saß auf dem Bett, bekleidet bis auf seine Hose, die um seine Knöchel hing. Jo kniete nackt auf dem Boden zischen Olivers gespreizten Schenkeln und pumpte mit einer Hand seinen eigenen harten Schaft. Er bewegte seinen Kopf noch ein paar Mal auf und ab, bevor er tief Atem holte und erneut schluckte. Die Eichel stieß in seine Kehle.

„Oh, Jo. So gut.“ Olivers Hände klammerten sch schmerzhaft in seine Haare, hielten ihn fest. Jo unterdrückte eine Grimasse, kämpfte um Luft, während Oliver grob seinen Mund fickte. Dieser grunzte und erstarrte dann, löste seinen harten Griff und spritzte sein Sperma in Jos Kehle. Er schluckte rasch, um nicht einen Tropfen zu verlieren. Seinen eigenen Schwanz weiter pumpend, leckte er Oliver sauber. Er entließ ihn aus seinem Mund und fand seine eigene Erlösung, die auf den Boden tropfte.

Oliver fiel schwer keuchend aufs Bett zurück. Jo lachte und kam hoch, küsste seinen Oberschenkel und bewunderte das Muskelspiel unter der gebräunten Haut. Oliver war intelligent, athletisch, beliebt und lustig, er hatte alles, was er wollte und er bekam alles, was er wollte. Und Jo hatte Oliver, auch wenn das sonst niemand wusste. Er konnte sein Glück immer noch nicht fassen.Jo verschwand in ihrem winzigen Badezimmer und säuberte sich, bevor er mit einem feuchten Lappen zurückkam, um die Sauerei auf den Dielen zu beseitigen. Danach warf er den Putzlappen einfach beiseite, kletterte auf die Matratze, krabbelte über Oliver und stahl sich einen Kuss.

„Ah, igitt nein! Du hast dir den Mund nicht ausgespült. Geh runter von mir!“ Oliver lachte, gab ihm einen harten Klaps auf den Hintern, wich seinem Mund erfolgreich aus und sprang vom Bett.

„Lass‘ gut sein. Du weißt, ich hab‘ keine Zeit dafür. Ich muss in einer Stunde am Flughafen sein! Scheiße, wir haben zu lange getrödelt.“ Oliver zog seine Hose hoch und stolperte ins Bad. Jo seufzte, rollte auf die Seite und versuchte nicht allzu enttäuscht zu sein. Sein Freund war kein begeisterter Küsser oder ein Typ zum Kuscheln oder einer, der den Gefallen erwiderte. Verdammt!

Oliver hatte sich bislang nie ficken lassen und er hatte auch noch nie gekuschelt, nachdem sie Sex gehabt hatten. Aber zumindest lebten sie zusammen, mittlerweile bereits seit zwei Jahren und bald würden sie ihre eigene Bar eröffnen. Es war die erste ernsthafte Beziehung überhaupt, die beide je gehabt hatten. Der Rest würde schon kommen. Ihre Liebe war genug fürs Erste.

Oliver kam aus dem Badezimmer, mit geschniegelten Haaren und seiner Kleidung wieder in Topform und Jo erlaubte sich einen bewundernden Blick, ein dämliches Grinsen im Gesicht. „Verdammt bist du schön, Olli.“ „Halt die Klappe, du Idiot.“

Jo stand auf, ging zu seiner Kommode und holte sich eine Jogginghose heraus. Als er sich bückte, um sie anzuziehen, gab Oliver ihm erneut einen Klaps auf den nackten Hintern, während er seinen Trolley aus der Ecke am Schrank zog. Jo zuckte zusammen und keuchte empört. Oliver lachte und er stimmte schließlich mit ein. Er zog die Hose hoch, schlang seine Arme von hinten um den etwas kleineren Mann und drückte einen Kuss auf dessen Ohr.

„Ich liebe dich. Ich werde dich den Sommer über vermissen“, wisperte er und stahl seine Hand in Olivers Anzughose, um den nun schlaffen Schwanz sanft zu streicheln. „Hey.“ Oliver löste sich aus der Umarmung, trat einen Schritt zurück. „Hör auf damit. Es sind nur drei Monate. Ich bin wieder da, ehe du überhaupt merkst, dass ich weg gewesen bin.“ Er zog den Trolley hinter sich her und ging zur Tür. Jo folgte ihm und griff nach seiner Hand, bevor er die Wohnung verlassen konnte.

„Ich wünsche dir einen guten Flug und viel Spaß bei diesem Praktikum. Das wird uns sehr helfen, wenn wir aufmachen. Lass‘ dich ja nicht überreden, dort zu bleiben. Die Eröffnung der Bar ist für den 4. September geplant und dafür brauche ich dich hier.“ Oliver lächelte und drückte Jos Hand. Dann nickte er und zog sich zurück.

„Ich bin viel früher da, das weißt du. Du bist das Beste, das mir je passiert ist. Ich kann gar nicht lange von dir wegbleiben. Bis bald.“ Oliver drehte sich um und verließ die Wohnung. Jo blieb im Türrahmen stehen, bis sein Freund nicht mehr zu sehen war. Seufzend schloss er die Tür und ging in ihr Zuhause. Sein Kopf machte schon Pläne, wie er seinen Geliebten wieder willkommen heißen würde.

***

Köln, 9. August 2004

Das laute Quietschen einer Türangel und das dumpfe Poltern von schweren Stiefeln auf glattem Boden rissen Jo aus einem unruhigen Schlummer. Grelles Sonnenlicht schien von dem Fenster über der Theke in seine Augen und er presste sie wieder fest zusammen. Er stöhnte und rollte sich auf dem schmutzigen Untergrund zur Seite. Seine Hand landete in einer Lache und er tastete blind, bis er die Quelle für die in seiner Nase stechende Flüssigkeit gefunden hatte.

Seine Finger fanden den Flaschenhals und er umklammerte ihn triumphierend, brachte die Flasche an seine Lippen und stürzte den restlichen Inhalt in zwei gierigen Zügen herunter. Er sah nicht einmal nach, was für Zeug es war. Es war ihm egal. Hauptsache alkoholisch. Er brauchte etwas, um den Schmerz in seinem Herzen zu betäuben und nichts anderes zählte.

„Jo! Jo, hallo? Bist du hier, mein Freund?“

Jo zuckte zusammen, das ohrenbetäubende Zuknallen der Tür und Torstens tiefer Bass dröhnten in seinem Schädel. Er zwang seine Augen auf und nahm sein Umfeld in sich auf. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war auf einem Hocker in seiner Bar zu sitzen und den scharfen Schmerz von Olivers Verrat wegzutrinken. Jetzt lag er würdelos auf dem Fußboden eben dieser Bar, umgeben von leeren Bier- und Schnapsflaschen und was immer sonst noch greifbar gewesen war.

„Jo? Was zum Teufel? Oh, Jo.“ Torsten stampfte in den Raum, seine derben Stiefel ließen den Untergrund unter Jos Kopf vibrieren. Jo stöhnte und schlang seine Arme um seinen Schädel, bedeckte sein Gesicht und rollte sich in einen kleinen Ball zusammen. „Verschwinde!“

Der Boden zitterte, erschütterte Jo erneut, als Torstens Knie schwer neben seinem Kopf landeten. Er griff mit beiden Händen nach Jos Armen, schüttelte ihn leicht. „Das werde ich nicht. Komm schon, Knirps, öffne deine Augen und rede mit mir. Was zum Teufel ist los mit dir?“ Der Insiderwitz über die Tatsache, dass er seinen Freund, der mit 1,80 m nicht unbedingt klein war, um Haupteslänge überragte, funktionierte diesmal nicht.

Jo fühlte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, und knirschte mit den Zähnen, um sie zurückzuhalten. In Zeitlupe rollte er auf den Rücken und erlaubte Torsten, ihm die Arme vom Gesicht wegzuziehen. Die Besorgnis, die er in der Miene seines besten Freundes sah brach allerdings seine Beherrschung und er spürte, wie die erste Träne seine Wange hinabrollte. Ärgerlich wischte er sie weg und drückte sich hoch, bis er mit gekreuzten Beinen vor seinem Freund saß.

„Er hat mich verlassen, Torsten. Will heiraten. Er will verdammt noch mal heiraten! Scheiße!“ Jo umfasste wieder seinen Kopf, wimmerte und presste seine Handflächen gegen seine Schläfen. Mit einem Kater zu schreien war nicht das Cleverste, aber zumindest lenkte ihn der Schmerz in seinem Schädel von der Pein in seinem Herzen ab.

„Was? Wer? Wovon redest du bitte?“ Torstens starke Finger schlüpften unter Jos und in sein Haar, massierten seine Schläfen. Die Berührung fühlte sich gut an, tröstend und Jo nahm sich einen Moment, es zu genießen, bevor Schmerz und Zorn wieder überhandnahmen. Er drückte Torstens Hände weg und drehte sich, um den Boden abzusuchen. Eine zerknüllte rosa Karte lag aus seiner Reichweite und er krabbelte rüber, schnappte sie und warf sie in Torstens Schoß. Er wollte dieses verdammte Ding nicht mehr anfassen als nötig.

 

Sein Freund öffnete die Karte und Jo sah weg. Sein Blick fiel auf das Chaos um ihn herum. „Herr und Frau Christian von Stetten freuen sich, Ihnen die Verlobung ihrer Tochter, Bettina von Stetten mit Oliver Marquardt verkünden zu dürfen und laden Sie herzlich ... verfluchte Scheiße, Jo. Hast du mit ihm gesprochen, nachdem du das bekommen hast?“ Torstens starke Arme kamen um seine Schultern herum und er vergrub sein Gesicht im Nacken seines besten Freundes. Das Schluchzen ließ sich jetzt nicht mehr länger eindämmen.

„Nur für eine Minute. Er war nicht allein. Aber er sagte, dass es das ist, was er will. Er will diese Tussi heiraten.“ Jo konnte Torsten nicht ansehen, während er Olivers Worte wiederholte, die wenigen, die er über die Lippen bringen konnte. Was in seinem Hals stecken blieb, war der Teil, in dem Oliver gesagt hatte, Bettina sei das Beste, was ihm je passiert wäre. Dasselbe, das er auch immer zu Jo gesagt hatte.

„Dieses verdammte Arschloch!“ Torstens Arme schlossen sich enger um Jos Schultern und er schüttelte den Kopf, zog sich zurück um seinen Freund anzusehen. „Nein! Ich hab‘ dir doch gesagt, er war nicht allein. Er konnte nicht sagen, was wirklich los ist. Das kann nicht richtig sein. Sie zwingen ihn dazu. Vielleicht haben sie das mit uns herausgefunden und benutzen das gegen ihn, damit er ihre Tochter heiratet. Er liebt mich. Er hat mir gesagt, dass er mich liebt!“

Tränen quollen jetzt stetig aus seinen Augen, aber Jo machte sich nicht mehr die Mühe sie zu verbergen, nicht vor Torsten. Sie kannten sich seit dem Kindergarten und waren zusammen durch dick und dünn gegangen. Ein paar Tränen würden seinen besten Freund nicht in die Flucht schlagen. Dessen Hand legte sich an seine Wange und Jo lehnte sich instinktiv in die zarte Berührung, als Torsten seine Tränen wegwischte. „Er hat eine Menge Dinge gesagt, Knirps, doch er hat nie etwas davon getan.“

Torstens sanfte Zurechtweisung war wie eine Faust in den Magen. Die Anschuldigung war nicht neu. Sein Freund hatte Oliver nie leiden können. Jo wischte die Feuchtigkeit von der anderen Wange und löste sich aus der Umarmung. Er versuchte seine Fassung wiederzugewinnen und ignorierte den Schmerz von Torstens Worten. „Was soll ich nur ohne ihn tun?“

„Was du ohne ihn tun wirst?“ Torsten stieß ein barsches Lachen aus. „Das ist ein Witz, oder? Du tust doch die ganze Zeit schon alles ohne ihn. Denk mal nach. Was hat er denn bisher getan? Er hat nie Miete gezahlt. Er hat kein Geld in eure Bar gesteckt und er hat nie einen Finger gerührt, um hier mitzuhelfen! Er war ein Schmarotzer und du bist ohne ihn besser dran!“

Zornig zog sich Jo zurück und taumelte auf die Beine. Sein Schädel dröhnte und der Raum drehte sich bedrohlich. Er stolperte über die leeren Flaschen zu seinen Füßen und knallte in den Tresen. Er klammerte sich an die Kante, stützte sich dagegen und hielt sich so fest er nur konnte. Hektisch versuchte er, seine Übelkeit wegzuschlucken.

„Du liegst falsch! Er hat getan, was er konnte. Er war beschäftigt, hat aber immer versucht zu helfen. Doch sein Studium ... er hatte einfach keine Zeit!“ Jo hörte, wie Torsten auf die Beine kam und dann zu ihm rüberstampfte. Er lehnte sich neben ihn an den Tresen und seufzte schwer. Jo schloss seine Augen, wollte das Mitleid nicht sehen, das sich hinter dem ironischen Lächeln versteckte.

„Oh ja, richtig. Sein berühmtes Studium. Du und ich, wir wissen beide, dass er nicht studiert hat. So viel Zeit, wie er angeblich mit lernen verbracht hat, hätte er Bestnoten schreiben müssen. Doch er hat stattdessen kaum einen Test bestanden.“

Die nächste Faust landete einen Volltreffer in seinem Magen. Die Unterstellung, dass Oliver seine Tutoren gefickt hatte, war nicht neu und Jo musste schwer schlucken. Er hatte ihn selbst schon verdächtigt gehabt, aber Oliver hatte es vehement abgestritten und Jo glaubte ihm, weil er es glauben wollte. Diese Anschuldigung jetzt wieder von Torsten zu hören, schürte seinen Zorn noch mehr.

„Hör auf! Du warst nicht dabei, du weißt gar nichts darüber. Warum hasst du ihn so sehr?“ Jo sackte über dem Tresen zusammen, legte seinen Kopf auf seine Unterarme, blockierte das grelle Sonnenlicht und presste seine schmerzenden Augen fest zu.

„Ich kann nicht anders, Jo. Ich hasse, was er dir antut. Scheiße Jo, ihr habt jeden Tag miteinander telefoniert! Wieso hat er diese Hochzeit nicht einmal erwähnt, oder überhaupt, dass er sich mit jemand anderem trifft?“ Das Knistern von Papier, das zusammengeknüllt wurde, klang ohrenbetäubend in Jos Ohren und fixierte seinen Blick auf diese verfluchte Einladung. „Du gibst und gibst und es kommt nichts zurück von ihm! Nichts, außer Kummer. Er quetscht das Leben aus dir heraus! Kannst du das nicht sehen? Du bist ohne ihn besser dran!“

Jo zuckte von der Theke hoch, die ruckartige Bewegung ließ gleißenden Schmerz durch seinen Kopf schießen. Er ging auf Torsten los, voller Zorn über dessen Selbstgerechtigkeit. Seinen Geliebten zu verteidigen war die natürlichste Sache der Welt und irgendwie rechtfertigte er sich auch selbst damit.

„Nein! Sie zwingen ihn dazu. Das weiß ich. Er ... ich bin nichts ohne ihn!“ Frustriert fuchtelte Jo mit den Armen, fegte dabei leere und angegangene Flaschen vom Rand der Theke. Sie landeten mit einem Krachen auf dem harten Boden, Glassplitter und Alkohol spritzten gegen den Tresen und seine Beine.

Torsten packte ihn an den Oberarmen, schüttelte ihn kräftig. Jo stolperte, aber sein Freund zog ihn nah an sich heran, sein Gesicht nur wenige Zentimer von Jos entfernt. Torstens Augen glänzten und er war vor Wut rot angelaufen. Jo hatte ihn noch nie so zornig gesehen.

„Nichts ohne ihn? Du bist ein Mann, verflucht nochmal! Mit einem Geschäft zu führen. Eine Menge Menschen verlassen sich auf dich, mein Freund. Was ist mit dem Bauteam, die den Umbau durchgeführt haben? Sebastian und seine Leute erwarten, dafür bezahlt zu werden. Die Kellner und Barkeeper, die du eingestellt hast. Die erwarten Arbeit.“ Torsten rüttelte ihn erneut, sanfter diesmal, bevor er ihn in eine harte Umarmung zog. „Du bist der Chef, Jo. Du! Also reiß dich zusammen und benimm dich auch endlich wie einer.“

Jo drückte sein Gesicht an Torstens Brust und schüttelte seinen Kopf. „Ich weiß, aber Oliver ...“ „Du brauchst ihn nicht“ Die Arme schlossen sich wieder fester um ihn, ehe er ihn losließ.

„Okay.“ Torsten schob Jo ein Stück weg, lehnte sich zurück und hielt die zerknitterte Einladungskarte hoch. „Die Hochzeit ist am 16. August? Das ist mehr als zwei Wochen, bevor wir eröffnen. Diese Einladung ist für dich, plus einem Gast. Also komme ich mit dir. Wir fliegen nach Berlin, reden mit ihm, schauen, ob er es ernst meint oder nicht. Wenn er gezwungen wird, schnappen wir ihn uns und bringen ihn nachhause.“

Jos Kopf kam so schnell hoch, um seinen Freund anzusehen, dass alles vor seinen Augen verschwamm. Er konnte das nicht allein regeln, aber mit Torstens Hilfe? Aufgeregt versuchte er Worte zu finden, um ihm zu danken, doch Torsten unterbrach ihn.

„Aber wenn diese Hochzeit das ist, was er wirklich will, musst du ihn gehen lassen. Wir schauen zu, wie er sich an die Kette legen lässt, wir wünschen ihm alles Gute und dann werden wir wieder hierherkommen und eröffnen diese Bar ohne ihn, kapiert?“

Dankbare Tränen rannen über Jos Wangen. Er nickte schnell, eine Bewegung, die ihm sein pochender Schädel übelnahm. Natürlich verstand er. Er würde sich seinen Mann zurückholen. Er lachte mit neu gewonnenem Enthusiasmus, stolperte vorwärts und griff nach einer offenen Flasche Bier, die noch auf der Theke stand. Bevor er sie jedoch an seine Lippen bringen konnte, nahm Torsten sie ihm aus der Hand.

„Vergiss das ganz schnell. Du hattest mehr als genug! Sieh dich doch mal um!“ Sein Freund holte mit einem Arm aus, zeigte auf das Chaos, das den gesamten Hauptraum der Bar einnahm. „Na komm‘, lass uns diesen Dreck beseitigen.“

Torsten gab Jo einen Klaps auf den Rücken und wandte sich dann um. Der Raum drehte sich wieder vor Jos Augen, als er seinem Freund folgte. Nach nur einem Schritt wurde das Schaukeln so schlimm, dass er sein Gleichgewicht verlor. Er taumelte vorwärts und kotzte auf seine Füße und den Boden.

Sekunden später war Torsten da, hielt ihn fest und rieb ihm übers Rückgrat. Jos Kehle brannte und Tränen rollten ungehemmt über seine Wangen. So hatte er sich noch nie gehen lassen. Als sein Magen nur noch krampfte, nachdem er dessen Inhalt von sich gegeben hatte, führte ihn Torsten zu einem Sofa an einer Wand. Er half ihm sich hinzulegen und schob ein Kissen unter seinen Kopf.

„Ich sag‘ dir, was wir tun. Du bleibst hier liegen und schläfst deinen Rausch aus, okay? Ich bring‘ dir ein Glas Wasser und dann mach‘ ich sauber.“ Torsten saß auf der Sofakante und strich ihm über die Haare. Jo hatte keine Energie ihm zu antworten, er konnte nicht mal mehr nicken. Stattdessen lag er da, lauschte der tiefen Stimme seines besten Freundes und genoss die sanften Berührungen.

***

Köln, 5. September 2006

Jo verschloss hinter dem letzten Kunden die Tür. Endlich. Der heutige Tag, oder eher die Nacht war äußerst erfolgreich gewesen, was sich in seinen schmerzenden Füßen, Kopf, ach verdammt in seinem gesamten Körper bemerkbar machte.

„Das war ganz schön heavy. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin total fertig.“ Jo checkte alle Schlösser und stellte die Außenbeleuchtung ab. Die Party war vorbei, die Bar geschlossen. Er lehnte sich geschafft an die Tür, um Torsten anzusehen. Er war der Letzte seiner Angestellten, der noch da war und arbeitete. Das Meiste hatten sie schon erledigt und es gab nur noch Kleinigkeiten, die getan werden mussten. Gott sei Dank!

Torsten grinste und entfernte die restlichen Flaschen und Gläser vom Tresen. „Klar, aber es hat sich gelohnt. Ich hab‘ dir doch gesagt, die Leute lieben eine geile Party.“ Er zwinkerte, als er nach hinten eilte, um den Abfall zu entsorgen und die letzten Gläser zu spülen.

Jo stöhnte und stieß sich von der Tür ab, folgte Torsten in die Küche. „Die Hälfte der Gäste hatte nicht mal eine Ahnung, was gefeiert wurde.“ „Spielt doch keine Rolle. Sie sind gekommen, hatten Spaß und sie haben eine Menge Geld verpulvert!“ Torstens Stimme klang gedämpft über das Rauschen von Wasser. Jo kam durch die Schwingtür und gesellte sich zu ihm.

„Oh ja. Das haben sie. Vielleicht sollten wir das jedes Jahr so halten? Immer am Eröffnungsdatum?“ Jo lehnte sich an die Spüle, beobachtete seinen besten Freund bei der Arbeit. Seine geschickten Hände machten kurzen Prozess mit den restlichen Gläsern. Bevor Jo sich versah, beugte sich Torsten nach vorne und zog den Stöpsel aus dem Becken, damit das Wasser ablaufen konnte.

Er hielt ein Stöhnen zurück, drehte sich um und stützte sich auf einer Arbeitsplatte ab. Er schloss seine Augen, um sich davon abzuhalten, Torstens Arsch in der engen Jeans zu bewundern. Verdammt! Sie waren Freunde seit dem Sandkasten. Was war nur los mit ihm? Wie konnte es sein, dass er nie registriert hatte, wie attraktiv sein bester Freund eigentlich war? Das ganze Desaster mit Oliver vor zwei Jahren erschien ihm auf einmal so unwirklich. Die Gefühle die er für dieses Arschloch gehegt hatte, ließen sich nicht im Ansatz mit denen vergleichen, die seit ungefähr einem Jahr für Torsten in ihm schwelten. Und in der Zeit seine Hände bei sich zu behalten war die reinste Folter gewesen.

„Oh ja, das ist eine gute Idee! Wir führen eine richtige Tradition ein, und bevor du es merkst, wird das „OJ‘s“ eine Legende sein!“ Torstens tiefe Stimme und das fröhliche Lachen vibrierten durch Jos Zellen, setzten sie in Brand. Er schüttelte seinen Kopf, um die unangebrachten Gedanken loszuwerden. Peinlich berührt durch das Anschwellen seiner Erektion stieß er sich von dem Tisch ab und machte sich auf den Weg zum Hinterausgang.

„Wir sollten uns aber nicht übernehmen!“, meinte er kurz angebunden. Ja, Jo, übernimm dich nicht, indem du deinem bisexuellen besten Freund hinterher hechelst. Das endet nur in einer Katastrophe, siehe Oliver. Sofort schämte er sich seiner Gedanken. Torsten war nicht mal ansatzweise mit diesem Bastard zu vergleichen.

Er erreichte die Hintertür und drehte sich, um sicherzugehen, dass sein Freund ihm gefolgt war. Zu seiner Überraschung war dieser dicht hinter ihm, drängte ihn regelrecht in eine Ecke. Er konnte den leicht erdigen Geruch riechen, der von ihm ausging und die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, versengte ihn. Ohne sich dessen bewusst zu sein, leckte er sich über die Lippen, nicht in der Lage den Blick von Torstens Lächeln abzuwenden. Er konnte nur noch daran denken, wie es wäre, diesen vollen Mund zu küssen, seine Zunge über das weiche Fleisch gleiten zu lassen. Wie er wohl schmeckte. Gott, er wollte es unbedingt herausfinden.

 

„Warum nicht? In großen Dimensionen zu träumen ist nichts Schlechtes. Du wolltest aus diesem Ort hier was Tolles machen und verdammt noch mal, das hast du auch! Etwas Besonderes, wo Leute jeglicher Herkunft und sexueller Ausrichtung hinkommen und sich sofort zuhause fühlen. Du wolltest die größte und beste Bar in Köln betreiben, erinnerst du dich?“

Torsten stützte seine Arme an beiden Seiten von Jos Kopf ab und dieser stöhnte und ließ sich gegen die Wand sinken. Die Versuchung war zu groß, wenn er seine Augen nicht schloss, würde er sich nie beherrschen können. Er würde sich erneut zum Narren machen, wie damals nach Olivers Hochzeit.

Sie waren nach der Zeremonie in einen angesagten Gayclub in Berlin gegangen und er hatte sich wieder einmal so betrunken, dass er nicht mehr stehen konnte. Er hatte sich Torsten an den Hals geschmissen, ihn geküsst und angefleht ihn zu ficken. Torstens Zurückweisung in dieser Nacht schmerzte immer noch. Er konnte sich nicht mehr an viel erinnern, aber er war sich hundertprozentig sicher, das er davon keine Wiederholung wollte.

„Ich habe eine Menge gesagt und getan, mein Freund. Ich will mich nicht mal an die Hälfte erinnern.“ Torsten lachte leise und strich mit seinem Daumen über Jos Unterlippe. Überrascht öffnete er seine Augen und starrte in Torstens. „Ach komm, es war doch nicht alles schlecht.“ Jo schluckte schwer und zuckte mit den Achseln, unsicher, worüber sie jetzt eigentlich sprachen.

„Ich hab‘ auch eine Menge Mist geredet, weißt du? Kannst du dich noch erinnern, was ich in der Nacht gesagt habe, als Oliver geheiratet hat? Nachdem du mich geküsst hast?“ Jo runzelte die Stirn, schüttelte seinen Kopf und drückte sanft gegen Torstens Brust. Er konnte es nicht ertragen, ihm so nah zu sein.

„Ich war betrunken. Dumm. Ich hab dir doch schon mehrfach gesagt, dass es mir leidtut.“ Torsten lehnte sich in Jos Hände, ließ sich nicht wegschieben. Ließ Jo nicht aus seinen Armen.

„Ja, ich weiß, was du mir versichert hast. Aber ich spreche gerade über mich. Erinnerst du dich, was ich gesagt habe?“ Eine von Torstens Händen glitt von der Wand auf Jos Schulter, drückte sie behutsam. Er runzelte erneut die Stirn und schüttelte den Kopf, die Augen nicht von dem intensiven Blick in Torstens Augen abwendend.

„Ich sagte, dass du, falls du mich jemals wieder so küsst, es auch besser so meinst.“ Torstens Hand fuhr von seiner Schulter zum Nacken, umfing diesen sanft. „Nun, ich könnte falsch liegen, und wenn dem so ist, sag’s einfach, doch ...“ Sein Freund zuckte die Achseln und nahm seine andere Hand von der Wand, um sie auf Jos Brust zu legen. Er rieb in kleinen Kreisen darüber, glitt dann über den Bauch, ehe er die offensichtliche Beule hinter Jos Jeans umfasste.

„Aber ich denke, dass du es jetzt so meinst, wie es sein sollte, hab ich recht?“ Torsten grinste und drückte vorsichtig zu, bevor er näher kam, seinen Kopf zurücklegte und in Jos Augen starrte.

Jo stieß ein raues Keuchen aus, griff nach seinem Freund und küsste ihn hart. Torstens Mund öffnete sich für ihn und Jos Zunge drang ein, lernte seinen Geschmack, seine Weichheit und Hitze. Ihre Zähne klackten aneinander und ihre Zungen duellierten sich. Torsten drängte sich an ihn, als wolle er in ihn reinkriechen und Jo lachte begeistert. Er konnte sein Glück gar nicht fassen. Was er gebraucht hatte, war die ganze Zeit direkt vor ihm gewesen und er konnte nicht verstehen, wie blind er gewesen war. Doch jetzt sah er es klar und deutlich und er würde es nie wieder loslassen.

***

Köln, 3. August 2012

Jo schob das letzte Glas in die riesige Industriespülmaschine, schloss die Tür und drückte den Knopf, der das Teil zum Leben bringen würde. „Okay, fertig! Endlich. Wie spät ist es eigentlich?“

Torsten band die letzten Müllsäcke an der Hintertür zu, bevor er hinter ihm auftauchte. Er drängte sich an Jos Rücken, schlang seine Arme um ihn und hielt sein Handgelenk vor Jos Gesicht, zeigte ihm seine neue Uhr. Die Worte „Spielzeit“ waren in großen roten Buchstaben zu lesen. Die Zeiger erklärten, dass es beinahe fünf Uhr morgens war. Verdammt, es war spät!

Torstens Erektion presste sich gegen Jos Oberschenkel und er grinste, verflocht seine Finger mit denen seines Mannes. „Die Arbeit ist getan, mein Schatz. Jetzt ist Spielzeit.“ Torsten lachte. „Oh ja. Lass uns nachhause verschwinden. Da können wir spielen, bis wir beide umfallen.“ Sein Mann zog ihn mit sich und sie gingen gemeinsam zum Hinterausgang. Sie griffen nach den Müllbeuteln und schlossen ab.

„Fahr du vor, Schatz. Ich bin direkt hinter dir.“ Jo nahm Torstens Beutel und neigte seinen Kopf, um ihn zu küssen. Sein Mann lächelte, zog sich zurück und beugte sich über seine Maschine, um den Helm vom Lenker zu lösen. Der hochgereckte Hintern war zu unwiderstehlich für Jo und er gab ihm einen deftigen Klaps darauf, bevor er zum Müllcontainer eilte. „Diesem Arsch würde ich überallhin folgen. Ich seh‘ dich zuhause, Schatz!“

Torsten stieg auf sein Motorrad und ließ den Motor dröhnen. Er wartete, bis Jo in seinen Wagen geklettert war, und rollte dann vom Parkplatz mit Jo dicht hinter ihm. Er war immer nervös, wenn sein Mann die Maschine fuhr, obwohl Torsten ein umsichtiger Fahrer war. Die Kölner Straßen lagen noch verlassen vor ihnen, bis auf die Müllabfuhr war kaum Verkehr.

An der letzten Straßenkreuzung vor ihrem Haus änderte sich das schlagartig. Ein großer Hummer, der nach Jos Meinung auf deutschen Straßen nichts zu suchen hatte, fuhr dicht hinter ihm auf, berührte beinahe seine Stoßstange. Jo ignorierte die Provokation und folgte Torsten über die Kreuzung, sobald die Ampel grün zeigte.

Der schwere Geländewagen blieb an ihm dran, fuhr erneut viel zu dicht auf und blendete ihn wiederholt mit seinen Scheinwerfern. Jo bremste ab, hoffte, dass der Idiot den Hinweis kapierte und zurückblieb, doch stattdessen drückte der Arsch auf die Hupe und fuhr noch näher auf. Jo gab Torsten ein Lichtsignal, forderte ihn auf an die Seite zu fahren, aber es war zu spät.

Der Fahrer des Hummers wechselte in die andere Spur, gab Gas und raste wie ein Irrer an Jo vorbei. Entsetzt beobachtete Jo, wie sich der schwere Wagen vor ihn setzte, dabei Torstens Maschine tuschierte, die er offenbar nicht wahrgenommen hatte. Das Motorrad sprang aus der Fahrspur, rutschte über den Seitenstreifen und knallte in die Leitplanke.

„Nein! Oh bitte, Gott, nein!“ Jo hatte keine Ahnung, ob er die Worte laut schrie oder nicht. Es spielte keine Rolle. Er musste zu seinem Mann.

Jo trat auf die Bremse. Kreischend kam sein Auto zum Stehen und er dachte gerade noch rechtzeitig daran, die Handbremse anzuziehen, bevor er seinen Sicherheitsgurt öffnete und aus dem Fahrzeug stolperte. Er rannte über den Asphalt, kletterte über die verbogene Leitplanke, um zu der reglosen Gestalt seines Mannes zu gelangen. Dessen Beine waren unnatürlich verdreht und sein rechter Arm war unter dem Vorderrad der Maschine eingeklemmt. Jo fiel auf die Knie neben ihm, entfernte äußerst vorsichtig den Helm und legte Torstens Kopf in seinen Schoß.

„Torsten! Schatz, kannst du mich hören? Torsten, bleib‘ bei mir, hörst du? Komm‘ schon, mach die Augen auf. Sieh‘ mich an, verdammt!“ Torsten schien ihn anzulächeln, als er mit zusammengebissenen Zähnen nach Luft schnappte, während sein Körper heftig in Jos Armen zitterte. Er drückte Jos Hand, sagte aber kein Wort. „Verflucht, Schatz. Rede mit mir!“, wisperte er an der Wange seines Mannes.

Einen Augenblick später flatterten Torstens Augenlider und schlossen sich. Seine Finger verloren ihren Griff um Jos Hand. Der stockende Atem und das Zittern hörten auf und sein Leib wurde schlaff. Alles, was Jo tun konnte, war dazuknien, seinen Mann festhalten, bis der Rettungswagen eintraf und die Rettungssanitäter ihn wegzogen.

Ihre Ankunft erschreckte ihn. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie bereits hier hockten oder wer überhaupt den Notruf getätigt hatte. Alles, was er wahrgenommen hatte, war nur sein eigener rasender Herzschlag, der ihm in den Ohren rauschte. Hilflos sah er zu, wie die Sanitäter seinen Mann auf eine Trage luden und ihn von Kopf bis Fuß zudeckten. Halb bekam er mit, dass sie ihn untersuchten, aber seine Aufmerksamkeit galt der Bahre, wo sein Mann lag. Sein toter Mann.Taub vor Unglauben schloss er seine Augen und sein Herz, hoffte, dass er den Schmerz ausschließen konnte, von dem er wusste, dass er nie mehr vergehen würde.