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Wenn du dich also süchtig nach deinem Telefon fühlst, dann, weil du es bist. Du wirst systematisch zum App-Junkie gemacht, denn das garantiert den Profit. Es ist keine Verschwörung, und es ist kein teuflischer Plan eines größenwahnsinnigen Drahtziehers, es ist der reine kommerzielle Imperativ: Je mehr Zeit du an deinem Handy verbringst, desto mehr bist du Werbung ausgesetzt; je mehr du mit Apps interagierst, desto mehr Informationen übermittelst du; je mehr du teilst, desto genauer kann und wird dein Profil kalibriert. Und mittlerweile sorgt sich sogar GAFATA um dich – wie jeder gute Drogendealer – und unterstützt dich dabei, eine verwaltete, stabile und somit nachhaltige Sucht zu entwickeln. Mit Screentime-Analysen, Achtsamkeitsapps und der gelegentlichen Erinnerung, tief durchzuatmen. Irgendwie ist es liebevoll. Und irgendwie auch heimtückisch.

Und wenn wir sagen, dass du süchtig bist, ist das nicht metaphorisch gemeint. Du wirst im wahrsten Sinne mit deinem eigenen Dopamin narkotisiert. Jedes Mal wenn du eine Nachrichtenmeldung erhältst, ein Update, einen neuen Videoclip oder ein Bild, werden deine Glückssensoren aktiviert, und ein kleines bisschen Rauschmittel wird in deinen Kreislauf ausgeschüttet. Der Grund, warum du nachts dein Handy nicht weglegen kannst, liegt darin, dass es dir körperlich Freude bereitet. Nicht wegen seiner haptischen Qualitäten, sondern weil die Apps dein Gehirn zur Produktion von Hormonen anregen, die sich gut anfühlen. Richtig, wir vereinfachen die ganze Sache ein wenig. Die neurochemischen Prozesse sind natürlich deutlich komplexer als hier dargestellt. Das Prinzip jedoch stimmt: Unsere Smartphones machen körperlich, physiologisch süchtig, weil sie genau mit dieser Absicht entworfen wurden.

EIN BISSCHEN KONTEXT

Bisweilen heißt es, das Internet habe seine Unschuld verloren. Man kann sich darüber streiten, ob und wie »unschuldig« es jemals gewesen ist. Sein unmittelbarer Vorgänger und die Technologie, aus der es entsprungen ist, war das ARPANET. In diesem Akronym steht NET auch für Netz und ARPA für Advanced Research Projects Agency. Diese war Teil des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums und wurde von dort finanziert. Als Forschungsprojekt erhielt »das Netz« 1966 Förderung durch ARPA und ging 1969 zum ersten Mal live. Bis es 1990 abgeschaltet wurde, waren seine grundlegenden Strukturen und sein Modell für Kommunikationsprotokolle in das Netzwerk der Netzwerke übernommen worden, aus denen das Interconnected Network besteht, was wir Internet nennen.

Von seiner militärischen Entstehung abgesehen, kann man sagen, das Internet sei mit guten Absichten und als weitgehend kommerzfreie Zone ins Leben gerufen worden. Noch 1990 betrachtete der Microsoft-Gründer Bill Gates das Internet als reines Interessenthema für Geeks. Von den späten 1980er- bis Mitte der 1990er-Jahre hatte das Internet den Charakter jungfräulicher Jugendlichkeit, eine Zeit, in der es fast vollkommen frei war. Es gab nur wenige Bilder, folglich gab es auch keine Pornos, und es gab keine Handelswerkzeuge, folglich keinen Verkauf. Es bestand vorwiegend aus Leuten, die mittels Hyperlinks textbasierte Artikel teilten, und Nachrichtengruppen, die die neuesten Nachrichten des Tages diskutierten. Dann wurde das Internet von Unternehmen »entdeckt« und brutal kommerzialisiert.

Aber selbst diese finstere Zeit wirkt im Vergleich zum heutigen Stand bieder. Denn was wir heute erleben, ist eine monströse Manipulation unseres »freiwilligen Verhaltens«, durch Unternehmen und politische Agitatoren gleichermaßen. Wie gesagt: Auf Facebook bist du das Produkt. Auf Facebook wie auf Weibo, Instagram, QQ. Dass alle diese Plattformen »kostenlos« sind, liegt schlicht daran, dass sie ihre Nutzer monetarisieren. Mit jedem Bild, das du hochlädst, jedem Kommentar, den du postest, jedem Like, jedem Emoji, jeder Interaktion wirst du überwacht. Das Internet und vieles von dem, was du darin findest, ist also kostenlos, aber du bezahlst trotzdem dafür. Du wirst beobachtet. Genauer, intimer und durchdringender, als es je zuvor in der Geschichte möglich war.

[WIR ERLEBEN ORWELL IN EINER GANZ ANDEREN GRÖSSENORDNUNG.]

Du hast bestimmt schon Geschichten von der Überwachung in drakonischen Systemen gehört oder gelesen. Sie existieren bis heute, und viele Menschen haben unter schwerwiegenden Umständen Not, Verlust und Elend in unvorstellbarem Maß zu erleiden. Das wollen wir nicht schmälern, schon gar nicht trivialisieren. Aber keines dieser Überwachungssysteme hat auch nur annähernd so viele persönliche Informationen sammeln können, wie wir ständig freiwillig verschenken. Wir haben innerhalb von zwei Jahrzehnten als Normalität akzeptiert, was kurz zuvor Menschen zutiefst entsetzt hätte. Und nun stell dir vor, was passiert, wenn unser freiwilliges Verhalten und unsere Sucht auf ein Sozialkreditsystem und ein Politikmodell wie das in China treffen – da erleben wir Orwell in einer ganz neuen Größenordnung.

Folglich ist dies die erste entscheidende Frage, die wir an dich und an uns selbst stellen wollen. Es gibt keine simple Antwort auf sie, und jeder, der so tut, als gäbe es sie, lügt dich an oder versteht das Problem nicht: Was passiert hier eigentlich?

Diese so unglaubliche wie erstaunliche Bequemlichkeit, die die Apps und Netzwerke, die Smartphones und Laptops mit sich bringen: Was verlangen sie im Gegenzug? Was muss man für sie aufgeben? Und was macht das mit uns? Ist es gezwungenermaßen von Übel, keine nennenswerte Privatsphäre mehr zu haben? Vielleicht nicht. Vielleicht sind soziale Kohärenz und ein ethischer Kodex tatsächlich vereinbar, selbst in dieser Welt freiwilliger und unfreiwilliger Totalüberwachung. Vielleicht eröffnet sich ein neuer Raum für Individualität und Freiheit, den wir noch nicht erkundet haben, wenn alle alles übereinander wissen?

Und was ist mit der ständigen Bombardierung mit Werbung – aufdringlich, systematisch, zum Kotzen? Ist das ein Problem? Oder lediglich ein geringer Preis, den man für kostenlose unbegrenzte Kommunikation über den gesamten Globus mit Chats, Bildern und Videos eben bezahlen muss? Ist es für mich in Ordnung, wenn jemand über alles, was ich tue, Bescheid weiß, es aufzeichnet und analysiert und dann noch jeden eingetippten Suchbegriff bis hin zum Vokabular meiner streng vertraulichen Nachrichten nutzt? Wo ziehe ich die Grenze? Muss ich eine Grenze ziehen?

Wenn 90 Prozent des Internetverkehrs durch 0,1 Prozent aller Webseiten fließen, ist das ein Problem? Wenn alles so gut funktioniert? Denn das ist Teil dieser Realität: Die Dinge funktionieren erstaunlich gut. Der Toaster, den du gestern bestellt hast, kommt tatsächlich heute an. Das Auto, das du auf deinem Handy in Schanghai buchst, steht tatsächlich bereit, genau an dem Ort und zu dem Zeitpunkt, den du erwartest. Die Wohnung, in der du in New York übernachtest, ist echt und für dich bereit, und sie ist bezaubernd. Die Mahlzeit, die du in London bei einem indischen Restaurant bestellst, kommt an und ist köstlich. Immer durch die Nutzung der gleichen drei Apps. Überall auf der Welt. Gibt es also ein Problem? Und ist es mein Problem? Stört mich die Vorherrschaft durch einige wenige sehr gut organisierte, professionell betriebene Organisationen, oder ist es mir eigentlich doch egal? Warum sollte es? Warum sollte es nicht?

Kann es ein freies, vielfältiges, facettenreiches und demokratisches Internet geben? Und wenn das Internet der Ort ist, an dem wir gewohnheitsmäßig unser Leben verbringen, kann es dann immer noch so etwas wie eine demokratische Gesellschaft geben?

Sollte es das? Und wenn ja, warum?

[NACH WEM SIND WIR SÜCHTIG?]

Gutenberg hat es Martin Luther möglich gemacht, seine radikal andersartige Ansicht von Gott und der Kirche Hunderttausenden von Menschen kundzutun, und in der Folge konnten sich Ideen, Wissen und Weisheit verbreiten. Und ja, auch Fehlinformation, Dogma und Propaganda: Wir tun gut daran, uns stets daran zu erinnern. Aber die wesentliche Bewegung war eine von Macht und Kontrolle weg von den wenigen, hin zu den vielen.

Zuckerberg hat Zugriff auf 2,7 Milliarden Nutzer pro Monat. Das sind Köpfe, Herzen, Gefühle, Ausdrücke, Absichten, Sorgen und Freuden – und das nur durch Facebook und seine Ableger wie WhatsApp und Instagram. Gleiches gilt für Tencent mit QQ. Wir haben also nicht nur Grund zu fragen: Wer ist Zuckerberg, und was sind seine Ambitionen – will er zum Beispiel früher oder später Präsident werden? Wir sollten aber auch fragen: Wer steht hinter ihm? Wer sind die zehn, zwölf Leute mit dem größten Einfluss bei Facebook und andernorts im Internet? Wer kontrolliert Weibo und WeChat?

Wenn wir Sklaven unserer digitalen Geräte sind, wer sind dann die Herren hinter diesen Geräten und der Software, die auf ihnen läuft?

Nach wem sind wir süchtig?

Es ist wichtig, denn wir sprechen hier von uns allen als menschliche Wesen. Und mit diesem Buch stellen wir solche Fragen und finden auch ein paar Antworten, die uns als Wesen menschlich machen – jetzt, in dieser Realität, in der wir leben.

ORIENTIERUNGSAUSSAGEN

1.1

»Wir leben in einer neuen Renaissance.«


Trage diesen Wert auf folgenden Achsen ein: A, B, G.

1.2

»Technologische Netzwerke erlauben mehr denn je, fantastische Lösungen zu dringenden Problemen zu finden.«


Trage diesen Wert auf folgenden Achsen ein: D, E, F.

 

1.3

»Bis dato haben wir das Internet viel zu sehr zur Förderung unserer eigenen Versklavung verwendet.«


Trage diesen Wert auf folgenden Achsen ein: A, B, F.

1.4

»Wir unterschätzen drastisch den Wert von Informationen.«


Trage diesen Wert auf folgenden Achsen ein: B, C, G.

ÜBUNGEN FÜR DEN WANDEL

Male dich selbst im Jahre 2045 auf ein Blatt Papier.

Wenn du deine Zeichnung teilen möchtest, kannst du das hier tun: https://twitter.com/C_Peterka

Kapitel 2
Geschätzte Lesezeit: 25 Minuten
Erster Abschnitt: 11 Minuten
Zweiter Abschnitt: 14 Minuten
GAFATA beherrscht die Welt ((Ü1))
GAFATA BEHERRSCHT DIE WELT
VIRTUELLER RAUM UND REALES TERRITORIUM– ZWEI SEITEN DERSELBEN MÜNZE?
DIE DIGITALE UND DIE PHYSISCHE WELT

Als der Begriff »virtuell« in den 1980er-Jahren geläufig wurde, beschrieb er etwas Distinktives und dem Wesen nach Separates von der »echten« Welt. Tatsächlich verstanden die meisten Leute die beiden Welten als komplett inkompatibel: Man tat Dinge entweder »online«, und dann fand die Sache im virtuellen Raum statt, oder man tat sie »im echten Leben«, dann ging es um die physische Welt mit Objekten, Menschen, Tieren, Natur und Gebäuden.

Dem virtuellen Raum wurde tendenziell misstraut, zumindest aber wurde er weniger ernst genommen und auch als minderwertig gegenüber der echten Welt betrachtet: Wenn du jemanden in einer Bar kennenlerntest, war das »normal«, und du warst nicht überrascht, wenn es zu einem zweiten Date kam, ihr eine Weile zusammen ausgingt, euch dann entschlosst, zu heiraten und Kinder zu bekommen, einen Hund anzuschaffen, und glücklich wart bis ans Ende eurer Tage. Wenn du jemanden online kennenlerntest, dann war das eigenartig und tatsächlich auch ziemlich fragwürdig.

Allein an diesem Beispiel kann man sehen, wie sehr sich die Dinge verändert haben: Unser virtueller Raum und unsere reale Welt sind nun ein und dasselbe. Die Unterscheidung ist weitgehend weggefallen, und wir beginnen, unsere Realität als eine Mischung aus einerseits nuklearen Partikeln – der physischen Welt – und Datenpaketen – dem virtuellen Raum – andererseits zu begreifen. Sie sind Teil desselben Universums und im ständigen Zusammenspiel miteinander. Der eine funktioniert nicht wirklich ohne den anderen. Jedenfalls nicht mehr auf eine Art, die wir Menschen des 21. Jahrhunderts als nützlich oder angemessen betrachten würden. Dating, Arbeit, Bankgeschäfte, Kommunikation, Organisation, Geselligkeit, Einkauf, Verkauf, Nachdenken, Trainieren – deine Apps, deine Werkzeuge und Profile sind miteinander verwoben und können nicht voneinander getrennt werden.

Trotzdem denken wir bei »Digitalität« immer noch an einen »virtuellen Raum«: eine Sphäre getrennt von physischen Barrieren und Grenzen, in der Information fast mit Lichtgeschwindigkeit durch Glasfaserleitungen und drahtlose Netzwerke reist und Geografie und Substanz keinerlei Rolle spielen.

Auf gesellschaftlicher Ebene behandeln wir den virtuellen Raum tendenziell noch als eine Art Luxus: als Anhängsel der einen echten Welt und als temporär: Vielleicht ist das nur eine Phase, die wir durchmachen, genauso wie wir uns in einer Phase Faxe zugeschickt haben oder Schulterpolster und Vokuhilas attraktiv fanden. Mit Sicherheit fällt es vielen Menschen auch heute noch schwer, die virtuelle Welt als ebenso wichtig zu empfinden wie die reale Welt.

Beide Wahrnehmungen führen zu schweren Irrtümern und Fehleinschätzungen im Hinblick darauf, wo wir uns heute befinden. Nicht nur ist der virtuelle Raum untrennbar verbunden mit der realen Welt und folglich mindestens genauso wichtig, er ist auch physisch. Er hängt von einer riesigen und teuren Hightech-Infrastruktur ab, verbraucht enorme Mengen Energie und beeinflusst zunehmend das Erleben unseres eigenen physischen Lebens.

Wie bereits oben ausgeführt, werden Smartphones so entworfen, dass sie uns süchtig machen, nicht nur psychologisch – das auch –, sondern auch körperlich über die ausgelöste Produktion biochemischer Stoffe, von denen wir mehr wollen: die klassische Definition einer körperlichen Sucht. Hier ein Beispiel: Allein die Tatsache, dass wir netzwerkgebundene Geräte nutzen, ändert schon unser Denken. Die Art, wie wir sie nutzen, ändert es zusätzlich. Die Idee, dass man, egal wo auf der Welt, ständig verbunden sein kann, ohne dass das irgendeinen Einfluss auf unsere körperliche Verfassung hätte, ist offensichtlich naiv. Unsere Hormone, unser Herzschlag, unser Puls, unsere Haltung, unsere Körpertemperatur, unsere Transpiration – alles ist direkt und messbar mit unserem Leben im virtuellen Raum verbunden.

Auf der einen Seite wandern wir durch die analoge Welt mit gesenktem Haupt, den Blick auf ein kleines Display gerichtet und unsere Daumen im Zustand dauernder Erregung. Auf der anderen Seite sagt uns dasselbe Gerät, wann wir Sport machen sollten, um unser tägliches Ziel zu erreichen, oder was heute zu Abend gegessen werden sollte, damit unsere Ernährung ausgeglichen bleibt, oder sogar, wann wir von ihm eine kurze Auszeit nehmen sollten.

[DU BIST EIN KNOTENPUNKT IM NETZWERK.]

Auch unser körperliches, analoges Wohlbefinden ist also in den virtuellen Raum eingebunden. Im Moment sind wir über unsere Laptops und Tablets damit verknüpft, hauptsächlich aber durch unsere Smartphones. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir uns über Implantate direkt verbinden. Während wir dies schreiben, geht der serielle Unternehmer Elon Musk zum ersten Mal mit seinem Start-up Neuralink nach zwei Jahren geheimer Forschung an die Öffentlichkeit. Dort wird auf die Entwicklung drahtloser implantierter Geräte hingearbeitet, die dein Gehirn direkt mit dem Netzwerk verbinden, mit der ausdrücklichen Absicht, menschliche und maschinelle Intelligenz »in Symbiose« zu bringen. Du bist ein Knotenpunkt im Netzwerk.

Erstaunlich, wie wenig wir aufgefordert, geschweige denn gezwungen werden, über die notwendige physische Infrastruktur nachzudenken. Denk mal darüber nach. Dafür, dass es dir möglich ist, in Echtzeit mittels Zoom zu kommunizieren oder den Weg zum nächsten Thai-Lokal zu finden oder Essen von deinem Lieblingsinder nach Hause zu bestellen, während du People Are Awesome-Videos auf YouTube schaust, müssen Datenmasten aufgestellt sein, Glasfaserkabel, Router, Zwischenschaltstellen, Primärschaltstellen, Satelliten und Abertonnen von Datenspeichern irgendwo auf der Welt betrieben werden.

Dieses »Irgendwo« ist einer von vielen physischen Orten. Millionen von Servern müssen miteinander verbunden sein, betrieben, gekühlt und gesichert werden, um das, was wir am Internet lieben und hassen, möglich zu machen. Facebook hat allein 2018 weltweit 15 Datenzentren betrieben. Diese reichen in der Größe von der Fläche mehrerer Fußballfelder bis hin zu einem ersten elfstöckigen Zentrum in Singapur nur für Server.

Von alldem hören wir meist nichts, zumindest kaum etwas. Für eine BBC-Doku über Facebook von 2019 wurde dem ersten Kamerateam überhaupt Zutritt zum Hauptdatenzentrum in Menlo Park, Kalifornien, gestattet. Als Kind wird man in der Schule mit zur Feuerwehr genommen, um die schicken roten Feuerwehrautos zu bestaunen, oder man besucht das Klärwerk, um sich anzugucken, was mit dem erledigten Geschäft passiert, nachdem man die Spülung gedrückt hat. Wenn man Glück hat, besucht man einen Bauernhof oder vielleicht sogar eine Schokoladenfabrik oder ein Atomkraftwerk. Wird man jedoch jemals in ein Datenzentrum mitgenommen? Natürlich erschließt sich visuell nicht besonders viel von dem, was dort passiert, aber allein das Ausmaß dieser Installationen und die strukturellen Überlegungen, die in sie einfließen, sind schon erstaunlich.

So essenziell diese digitale Infrastruktur für unsere Existenz ist – nicht nur die Datenzentren für ein soziales Netzwerk, auch die Masten, die Kabel, die Router, die Schnittstellen, das alles –, wem gehört sie? Wer stellt sie her? Wer kontrolliert sie? Wer entscheidet, was reindarf und was rauskommt und was nicht? Welche Daten werden überwacht, welche abgefangen, welche gespeichert? Mit wessen Einwilligung? Wo? Für wie lange?

In dem Moment, in dem wir diese Fragen stellen, begreifen wir, wie komplex und unklar die Situation ist. Weißt du, wer welche Teile der digitalen Infrastruktur in deinem Land besitzt? Ist es der Staat? Oder sind es private Unternehmen, die deiner Regierung eine Lizenzierungsgebühr bezahlen? Ist es eine Public-private-Partnership? Falls private Unternehmen involviert sind – was sehr wahrscheinlich ist –, wem gehören diese dann? Wer sind die Aktionäre? Und sollten sie sich überhaupt in privatem Besitz befinden? Oder sollten sie den Teilhabern, der gesamten Community gehören? Wer ist in diesem Kontext die Community? Man kann Anteile oder Teilnutzungsrechte an Containerschiffen kaufen, kann man dann auch in einen Abschnitt Datenkabel investieren?

Und wie wichtig all das ist, wurde wieder deutlich, als wir die Notizen für dieses Buch zusammenstellten. Im Mai 2019 erließ die US-Regierung Sanktionen gegen den chinesischen Tech-Riesen Huawei unter Bezugnahme auf Sicherheitsrisiken, die es nicht erlauben, dass Huawei Infrastruktur für 5G-Mobilnetzwerke in den USA installiert. Auch in Großbritannien wurde große Sorge öffentlich in Bezug auf die Einbeziehung der Firma in die Pläne der Regierung zur Implementierung von 5G. Es mag die Vermutung naheliegen, dass sowohl in den USA als auch in Großbritannien die Kontroverse hauptsächlich politisch motiviert war, aber auch das wäre nicht möglich, wenn nicht immense Macht in der physischen Dateninfrastruktur gebündelt läge. Wenn man die Infrastruktur kontrolliert, kontrolliert man das Netzwerk. Wenn man das Netzwerk kontrolliert, kann man uns kontrollieren.

[WENN DU DAS NETZWERK KONTROLLIEREN KANNST, KANNST DU UNS KONTROLLIEREN.]

Es gibt noch einen dritten Aspekt, der deutlich die physische Infrastruktur und die digitale Plattform-Ebene verknüpft. Es geht um das Betriebssystem (Operating System). Ob Laptop, Smartphone oder Herd: Jedes digitale Gerät braucht ein Betriebssystem. Gehört hast du sicher von Android, iOS, Windows oder OSX. Aber auch ein Drucker braucht ein OS oder eine Eieruhr, ein Smart Home und auch eine Parkuhr. Wenn es ein digitales Ding ist, das sich mit dem Netzwerk verbindet, hat es ein Betriebssystem, selbst wenn es sich dabei um ein winziges mit nur wenigen Zeilen Code handelt.

Wenn Google also plötzlich keine Erlaubnis mehr hat, sein mobiles Betriebssystem Android auf Huawei-Smartphones zu installieren, weil sich die USA im Handelskrieg mit China befinden, aber dein Huawei-Smartphone ausschließlich mit Android funktioniert, dann wirst du als Nutzer defunktionalisiert. Vielleicht funktioniert die alte Version deines Betriebssystems sogar noch eine Zeit lang, aber du kannst keine Aktualisierungen herunterladen, weil dem OS-Entwickler – laut Regierungserlass – nicht gestattet wird, sie dir zur Verfügung zu stellen. Du magst dich mehr oder weniger für Politik interessieren, aber die Politik hat dich soeben eingeholt.

»Defunktionalisieren« klingt vielleicht ein wenig unangenehm, aber nicht wirklich schlimm. Ernsthaft? Wenn alles, was du den ganzen Tag machst – kommunizieren, arbeiten, spielen –, von deinem Gerät abhängt und dein Gerät nicht mehr funktioniert, wie kümmerst du dich dann um deine täglichen Angelegenheiten? Wie funktionierst du? Das ist keine triviale Angelegenheit. Sie ist ernst. Und sehr wesentlich.

Die Frage, welches Betriebssystem man wählen sollte, war früher nur für Nerds von Interesse. Was funktioniert am besten mit deinen anderen Geräten? Welches Interface gefällt dir am besten? Oder auch, welches Firmenethos entspricht dir am meisten? Jetzt musst du dich eventuell auf Grundlage der politischen Situation entscheiden: Für welches OS bekomme ich am ehesten Erlaubnis? Und dabei sollen wir uns in einer freien Marktwirtschaft befinden. Nicht in einem totalitären Regime, in irgendeiner fernen Zukunft.

 

Worauf wir noch nicht näher eingegangen sind, ist die Frage der Energie. Die meisten Wissenschaftler sind sich inzwischen einig, dass einer der Hauptgründe für die Klimakrise unser Energieverbrauch ist. Es gibt auch andere Faktoren, darüber wollen wir hier jedoch nicht sprechen, auch nicht darüber, dass es nachhaltige Energiequellen für alle auf dem Planeten gibt, jetzt und in Zukunft. Worüber wir an dieser Stelle sprechen wollen, ist die Bedeutung von Energie für unsere digitale Funktionalität und, in der Folge, für unsere Fähigkeit, überhaupt zu funktionieren.

[ES IST NICHT ÜBERRASCHEND, DASS GOOGLE ANFÄNGT, SICH MIT ENERGIEERZEUGUNG ZU BESCHÄFTIGEN.]

Vielleicht ist es nicht überraschend, dass Google anfängt, sich mit Energiegewinnung zu beschäftigen. Nicht nur als Energieanbieter, sondern um den eigenen Bedarf zu decken und seine Stellung als Datenunternehmen zu festigen. Apple konnte im September 2018 mitteilen, dass alle Operationen mit 100 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden. Damit gemeint sind der riesige UFO-förmige Apple-Park-Gebäudekomplex in Cupertino, Kalifornien, und die vielen anderen Datenzentren. Die benötigte Energie erzeugt Apple zu einem großen Teil selbst, hauptsächlich über Solarinstallationen auf dem Dach des Hauptquartiers mit einem Output von 17 Megawatt – die zurzeit mächtigste Solardachanlage der Welt.

Jeff Bezos, der CEO von Amazon, und Bill Gates, Gründer und früherer CEO von Microsoft, sind Investoren in Malta. Nicht der kleine Staat im Mittelmeer ist gemeint, sondern ein Start-up, das aus X entwickelt wurde, dem experimentellen Zweig von Alphabet, der Firma, in deren Besitz sich Google befindet. Malta erforscht die Möglichkeiten, Energie aus erneuerbaren Quellen durch Erhitzen geschmolzenen Salzes zu speichern. Dies könnte enorm nützlich werden, denn eine der größten Herausforderungen bei der Erezeugung von Solarenergie, über die Kalifornien reichlich verfügt, sind immer noch lokale Speicher. Sollte sich dieses Vorhaben also als erfolgreich erweisen, wird dies ein weiterer Schritt in Richtung der Sicherung einer stetigen Energieversorgung sein.

Wir denken eigentlich nicht sofort an Apple, Amazon oder Microsoft als Energiekonzerne. Sie sind allerdings alle schon in Energieunternehmen involviert, entweder direkt oder indirekt.

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