Harry in love

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Wie Harry es auch nicht anders erwartet hatte, war von Isabel natürlich keine Spur, als er am Abend gegen elf in einem schneeweißen Anzug, über einem schwarzen Hemd, den Club betrat. Mit leicht gedrückter Stimmung gesellte er sich zu seinen neuen und alten Freunden und stieß mit ihnen feucht fröhlich auf den Sieg des heutigen Tages an.

Alle waren zwischenzeitlich in Hochstimmung, als ganz unverhofft dann plötzlich doch noch Isabel in einem ebenfalls weißen Kleid auf der Treppe, begleitet von Anabel, auftauchte.

„Haben die zwei sich abgesprochen?“, kam es sogleich von Nick. Samuel zuckte mit den Schultern.

Harry war gerade am Abtanzen und bemerkte Isabel somit nicht. Dafür hatten Kathy und Jane Isabel ebenfalls sofort entdeckt und führten die zwei neuen Gäste auch sogleich an den runden Tisch, wo sich neben Nicks Tänzern und der jungen englische Königsfamilie auch Mike, der Inhaber des Clubs, sowie André, der Barkeeper, aufhielten und sich den einen oder anderen Spaß erlaubten. Isabel wurde natürlich auch den Freunden von William und Harry, den Partnern von Kathy und Cindy, Jim und Steve, vorgestellt und nun verstand sie auch, warum Kathy heute bei den Proben so derbe Scherze mit Harry ausgetauscht hatte. Alle kannten sich bereits untereinander. Etwas deplatziert stand Isabel neben Anabel und Jane und nippte an dem ihr gereichten Champagner. Unsicher schaute sie sich in der Diskothek um. Doch sie konnte Harry nicht entdecken. War er wegen ihr fortgeblieben, fragte sich Isabel bedrückt. Irritiert darüber setzte sie sich auf die Couch zu Samuel. „Na, Isa, wie fühlt man sich als Siegerin? Und vor allem, was hat denn Dein Vater dazu gesagt?“

„Er hat sich gefreut, auch wenn ihm der Tanzstil und mein Tanzpartner so überhaupt nicht gefielen. Er hat mir diesbezüglich sogar noch Vorhaltungen gemacht“, gestand Isabel kleinlaut.

„Sag mal, wo lebt Dein Vater eigentlich; hinter dem Mond?!“, beschwerte sich sogleich Samuel.

Isabel musste unweigerlich schmunzeln. „Er ist halt sehr altmodisch.“

„Dein Vater ist nicht altmodisch, Dein Vater ist verklemmt, und zwar bis ganz nach oben hin!“ Alles lachte. Isabel dagegen blickte erneut verunsichert über die angeheiterte Runde.

„Mann, Isa, Du machst ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter, lass Deinen Vater doch labern und feiere stattdessen mit uns Deinen Erfolg!“, bestimmte Anabel einfach mal so. Und noch bevor Isabel irgendetwas dazu sagen konnte, zog Anabel sie auch schon mit auf die Tanzfläche. Natürlich gesellten sich Prinzessin Jane und ihre zwei Freundinnen alsbald dazu. Sie tanzten zu fünft zu der Musik und langsam löste sich auch Isabels Unwohlsein in Luft auf.

Noch völlig von der Musik benommen tanzte sie zurück zu der Sitzgruppe, wo sie unerwartet auf Harry traf. Als sie sah, dass er ebenfalls in Weiß gekleidet war, errötete sie. Doch Harry lächelte sie nur vertraut an und reichte ihr ein neues Champagnerglas. Sie sah atemberaubend schön in ihrem weißen, aber schlichten Kleid aus. „Hallo. Schön, dass Du doch noch kommen konntest. Wie ich sehe, hast Du schon mit meiner Familie und dem restlichen bunten Haufen, der sich meine Freunde nennt, Bekanntschaft gemacht“, begann Harry unverfänglich das Gespräch. Isabel nickte, fühlte sich jedoch sogleich wieder unwohl.

„Magst Du Dich setzen?“, fragte Harry, als er sah, dass Isabel unruhig wurde.

„Nein, danke. Ich steh ganz gerne einmal.“

„Okay. Dann noch einmal von mir: Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Sieg über die Juroren und alle anderen Tanzschulen!“, sagte Harry und stieß mit seinem Glas an Isabels an. Isabel erschrak und wurde prompt erneut knallrot im Gesicht. Harry seufzte, denn er wusste nicht, wie er die Angespanntheit, die sich wieder einmal zwischen ihnen aufzubauen schien, lösen konnte, ohne Isabel zu nahe zu treten. Hilfesuchend blickte er zu Jane herüber.

Jane schmunzelte. „Ich will ja nicht gemein sein, aber ich würde schon ganz gerne noch einmal alle drei Tänze sehen wollen …“

„Au ja!“, kam es sogleich von Jim und Steve, die leider heute beim Wettkampf nicht mit dabei sein konnten, da sie arbeiten mussten.

Harry schluckte nervös und sah unsicher zu Isabel herüber. Isabel schien ebenfalls noch mit sich zu ringen. Doch noch ehe Harry eine Reaktion von Isabel abwarten konnte, wurde er auch schon selbst von Kathy und Cindy auf die leer gewordene Tanzfläche gezogen. Wo er sich gerade noch so fix seines Jacketts entledigten konnte, während Toni, der DJ, ein paar einleitende Worte zu der nun folgenden Vorführung zum Besten gab. Denn kaum hatte dieser das Mikro aus der Hand gelegt, ertönten auch schon die ersten Takte und schnell waren die fünf wieder in ihrem Element. Das Lied war noch gar nicht richtig zu Ende, als auch schon Cindy, Michael, Kathy und Ralph die Tanzfläche verließen und stattdessen Isabel zu Harry herüberschubsten. Isabel blickte völlig durch den Wind zu ihrer Freundin. Doch auch sie feuerte Isabel und Harry bereits an, als auch schon das nächste Lied anlief. Gezwungenermaßen ergab sich Isabel ihrem Schicksal und tanzte mit Harry im Freestyle-Duo. Wie schon so oft war die Disco wieder einmal nur noch ein reiner Hexenkessel. Doch umso näher das Ende des zweiten Liedes kam, umso nervöser wurde Isabel. Sie hatte das Gefühl, dass jeden Moment ihr Herz aus ihrem Brustkorb springen müsste, so sehr schlug es ihr gegen die Rippen. Es war schon regelrecht schmerzhaft!

Harry sah Isabel an, dass sie heftig mit sich selbst kämpfte. Und kaum war das Lied vorbei, sah es so aus, als wollte Isabel schleunigst die Tanzfläche wieder verlassen. Doch Harry war schneller, er stellte sich hinter sie und berührte genauso zärtlich wie am Nachmittag Isabels Hals, so dass ihr Kopf an seiner Schulter zum Liegen kam. Er konnte unter seinen Fingern ihren unruhigen Puls fühlen. Seiner schlug genauso heftig. Der Flamenco setzte mit einem kleinen Vorspiel ein und Harry nutzte dies, um ganz langsam von Isabels Kinn über ihren Hals hinüber zu ihrem rechten Arm zu wandern, um dann weiter zu ihrer Hand zu gelangen, die er in seine nahm und Isabel mit einem heftigen Ruck zu sich herumdrehte, um dann, als nun die Melodie anschwoll, mit ihr den erotischen Tanz vom Nachmittag zu wiederholen. Wie in Trance folgte Isabel abermals Harrys Schritten und ließ sich von ihm überallhin führen. Als der Flamenco im Tango endete und Isabel gerade vom Boden wieder heraufkam und ihre Hand erneut über Harrys Bein gleiten ließ, riss Harry Isabel, nachdem er sie in einem letzten Halbkreis von sich gestoßen hatte, an sich heran und sogleich landeten seine Lippen sehnsüchtig auf ihren.

Isabel war völlig perplex und brauchte einige Sekunden, bis sie begriff, was Harry da gerade tat. Prompt landete ihre Hand in seinem Gesicht. Genauso verschreckt wie Harry war, rannte Isabel von der Tanzfläche. Doch sie kam nicht weit, denn bereits einige Meter später hatte ein anderer Prinz ihren Arm gegriffen und zog Isabel zur Seite. Apathisch starrte Isabel in das Gesicht von Prinz William. „War das eben wirklich nötig? Ich glaube, die Ohrfeige hat mein Bruder nicht verdient! Okay, es war nicht ganz korrekt von ihm, Sie so zu überfallen. Aber wissen Sie eigentlich, wie sehr mein Bruder wegen Ihnen leidet?!“ Isabel senkte betrübt den Kopf, sie wusste nicht, was sie jetzt machen sollte. Unweigerlich traten ihr die Tränen in die Augen, die sie auch nicht in der Lage war zurückzuhalten. William reichte ihr ein Taschentuch. „Beruhigen Sie sich wieder, es ist doch gar nichts passiert. Ich wollte Ihnen nur einmal meine eigene Meinung dazu sagen und finde, dass es an der Zeit ist, dass Sie und mein Bruder endlich ein klärendes Gespräch führen sollten; wenn Sie nichts dagegen haben, wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt!“ Entsetzt blickte Isabel wieder auf. Sie spürte jedoch instinktiv, dass Prinz William keine Widerrede duldete. Er zeigte auf eine Tür hinter Isabel. „Darf ich bitten? Nach Ihnen!“

Wie ein Häufchen Elend betrat Isabel den angrenzenden Raum. Es war das Büro des Inhabers des Clubs. „Setzen Sie sich, mein Bruder kommt sicherlich gleich.“

Völlig eingeschüchtert setzte sich Isabel auf den Sessel neben dem kleinen Beistelltischen. Währenddessen hatte sich Prinz William den Stuhl vor dem Schreibtisch gegriffen und setzte sich rittlings darauf. Er hatte seine Arme auf die Lehne gelegt und sah – eigentlich recht einfühlsam – zu Isabel herüber. „Warum sind Sie eigentlich so schlecht auf meinen Bruder zu sprechen; was hat er Ihnen getan?“, begann William ein einleitendes Gespräch. Doch bevor er darauf eine Antwort erhielt, polterte Harry aufgebracht ins Zimmer.

„Isabel?!“ Abrupt sahen Isabel und William zu Harry herüber. „Wills?“, fragte Harry leicht irritiert.

„Ich denke, es wird Zeit, dass ihr zwei Euch einmal aussprecht“, sagte William, ehe er sich erhob und den Stuhl wieder zurück an seinen Platz vor dem Schreibtisch stellte.

„Was, jetzt; und hier?!“, kam es ungläubig von Harry. Er sah unweigerlich zu Isabel herüber und konnte ihr an der Nasenspitze ansehen, dass sie geweint hatte und sich hundeelend fühlte.

„Ja, jetzt und hier. Sonst wird das in diesem Jahrhundert nichts mehr!“

Harry schluckte schwer an seiner aufkeimenden Wut. „Dir ist doch klar, dass Du mit dieser Aktion alles kaputt machst, oder?“ William schwieg beharrlich. „Na wunderbar, danke!“, kam es kalt von Harry.

„Brüderchen, man hat mich damals zu meinem Glück zwingen müssen, und so wie es scheint, muss man dies auch bei Euch nun tun“, war alles, was William noch sagte, ehe er ging und die Tür hinter sich schloss. Harry seufzte und fuhr sich aufgebracht mit den Händen durch die Haare. Vergeblich nach den richtigen Worten suchend lehnte er sich an die Tür, steckte die Hände in die Hosentaschen und schloss die Augen.

„Isabel, bitte entschuldige das Benehmen meines Bruders. Er hatte kein Recht sich hier einzumischen! Und bitte verzeih auch die Aktion eben auf der Tanzfläche. Ich weiß selbst nicht, was da grad in mich gefahren ist, Dich vor allen Leuten zu küssen! Es tut mir leid.“

 

Als daraufhin weiterhin Stille herrschte, sah Harry traurig zu Isabel herüber. Sie saß noch immer völlig eingeschüchtert in dem Sessel und schaute auf ihre verschränkten Hände in ihrem Schoß. „Isabel, Du musst mir glauben: Als ich Dich heute Abend hierher eingeladen habe, wollte ich nichts anderes, als mit Dir auf den gewonnenen Wettkampf anstoßen. Ich wollte Dir einfach ganz relaxt zeigen, dass ich auch ganz nett sein kann. Des Weiteren hatte ich natürlich im Hinterkopf, Dich so weit zu kriegen, dass Du zu einem völlig lockeren Gespräch mit mir bereit wärst. Doch das kann ich mir jetzt sicherlich abschminken … Ich bin ja auch selbst schuld daran! Ich kann verstehen, wenn Du jetzt noch wütender auf mich bist, als Du es eh schon warst. Und wenn Du verlangst, dass ich Dir aus dem Weg und vor allem aus dem Blickfeld gehen soll, ist dies Dein gutes Recht! Ich werde mich natürlich daran halten. Du brauchst auch nicht fluchtartig einen Raum verlassen, wenn ich versehentlich diesen auch betreten sollte. Denn ich werde mich dann zurückziehen. – Isabel, es tut mir leid, dass Du wegen mir all diesem Ärger und Stress ausgesetzt warst! Ich wünsche Dir für Dein weiteres Leben alles Gute und viel Erfolg bei der Betreuung Deiner sechs kleinen Ziehkinder.“ Danach ging Harry, ohne sich noch einmal zu Isabel umzudrehen. Er sah somit nicht, wie Isabel sich abrupt aufsetzte und völlig verdutzt zu Harry herübersah. Woher wusste er, dass sie sechs Kinder zu betreuen hatte??? Sicherlich nicht von seinem Onkel …

Wütend betrat Isabel die Wohnung ihrer Eltern. Es war kurz nach eins und ihre Eltern schliefen bereits. Doch das war Isabel egal. Sie machte mit Absicht viel Radau, dass ihre Mutter auch ja zu ihr kommen würde. Und so war es dann auch: „Kind, Dein Vater schläft! Willst Du ihn wecken? Sei doch bitte etwas leiser!“

„Nein, ich werde nicht leiser sein! Was hast Du Dir dabei gedacht, mit dem Prinzen gemeinsame Sache zu machen?“, schrie es regelrecht aus Isabel heraus.

Lindsay brauchte einen Moment, ehe sie begriff, was ihre Tochter ihr gerade an den Kopf geworfen hatte. Jedoch tat sie so, als ob sie von nichts wüsste: „Isabel, wovon sprichst Du? Ich kann Dir leider nicht folgen.“

„Oh! Das glaube ich Dir nicht! Prinz Harry hat mir vor nicht ganz einer Stunde viel Glück bei der Betreuung von sechs Kindern gewünscht! Und er kann diese Zahl nur von einer einzigen Person haben, und zwar von Dir!“ Lindsay seufzte. „Mum, wenn mir nicht so viel an den Kindern läge und sie mir leid täten, wegen des ständigen Hin und Her, weißt Du, was ich dann am liebsten machen würde??? Ich würde alles hinschmeißen und Dir und der dämlichen Königsfamilie den Rücken kehren! Dann könntet ihr zusehen, wie ihr Euren kleinen Kindergarten aufrechterhalten würdet! Aber ich kann es einfach nicht!!! Und das ist so unfair!“, japste Isabel unter Tränen, ehe sie sich auf ihr Bett warf und anfing bitterlich zu weinen. Lindsay gesellte sich zu ihrer Tochter, strich ihr beruhigend über den Rücken und erzählte ihr nebenbei die Geschichte, wie sie und Prinz Harry ins Geschäft gekommen waren. Dabei betonte Isabels Mutter immer wieder, dass der Kindergarten rein gar nichts, aber auch wirklich, rein gar nichts mit Harrys Brief und ihrem früheren Benehmen dem Prinzen gegenüber zu tun hatte. Isabel war zwar nicht wirklich davon überzeugt, hatte sich aber so weit wieder beruhigt, dass sie ihrer Mutter, die für sie auch wie eine gute Freundin war, anvertraute, was in dieser Nacht im Club vorgefallen ist.

Lindsay fing sogleich an zu schmunzeln. „Weißt Du, Isa, ich glaube, der Prinz ist bis über beide Ohren in Dich verliebt!“

Isabel entglitten prompt die Gesichtszüge und sie sah ihre Mutter verständnislos an. Lindsay nickte bestätigend. Daraufhin verdrehte Isabel die Augen und seufzte tief und anhaltend. Verwirrt strich sie sich mit den Händen durchs Haar und starrte apathisch an die Zimmerdecke. In ihrem Inneren hatte sie dies bereits geahnt, wollte es aber nicht wahrhaben; zumal ihr Herz seit neuestem selbst ein Eigenleben zu haben schien und sich ebenfalls dem Prinzen gegenüber hingezogen fühlte. Isabel war damit völlig überfordert.

Dies spürte sogar ihre Mutter und so fragte sie: „Und wie sieht es bei Dir aus? Wie steht es mit Dir? Kann es sein, dass Du auch etwas für den Prinzen empfindest, was nicht mit Wut oder gar Hass zu tun hat?“ Unweigerlich fing Isabel erneut an zu weinen und wollte sich auch nicht wieder beruhigen. Lindsay ließ ihre Tochter allein. Es würde wahrscheinlich die ganze Nacht so gehen, bis sich Isabel beruhigt hatte und sich eventuell darüber Gedanken machen würde, wie sie zu dem Prinzen tatsächlich stand. Doch in einem war sich Lindsay ganz sicher: Von Hass wäre dort nicht die geringste Spur …

Kapitel 7

Euer Hoheit,

ich bin so erzogen worden, dass man auf Briefe, die man erhält, antwortet. Ich bin Ihnen somit noch eine Antwort schuldig:

Als Erstes möchte ich mich dafür entschuldigen, dass die Antwort so lange auf sich hat warten lassen; doch es ist verdammt schwierig auf einen Brief zu antworten, der nur eine einzige Frage beinhaltet. Und noch schwieriger ist es, genau auf diese eine Antwort zu geben! – Auch jetzt weiß ich noch nicht, was ich darauf erwidern soll.

In meinem Kopf herrscht ein totales Chaos, an dem Sie Mitschuld tragen und wenn ich könnte, würde auch ich gerne die Zeit noch einmal zurückdrehen. Doch sicherlich zu einem anderen Zeitpunkt hin als Sie es sich wünschten. Verständlich; glaube ich …?!

Ich bin die letzten Tage, wie die letzten Wochen, noch einmal gedanklich zurückgegangen. Es haben sich in dieser Zeit in meinem Leben so viele Dinge ereignet, dass ich die ganze Tragweite noch überhaupt nicht realisiert habe. Ob das je der Fall sein wird, weiß ich nicht. Vielleicht würde ich auch viel lieber gerne alles wieder nur verdrängen. Meine Mutter sagt jedoch, dass dies nichts bringt und mein Vater ist eh der festen Überzeugung, dass man sich allem im Leben kampfbereit stellen muss!

Leichter gesagt als getan.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob ich überhaupt die Reste meiner Spieluhr wieder zurückhaben möchte, denn sie würden mich doch eh nur tagtäglich schmerzlich an den Verlust derer erinnern …

Was soll ich auch mit einer kaputten Spieluhr? Also, machen Sie damit, was Sie wollen.

Am besten, Sie schmeißen sie weg und irgendwelche Erinnerungen an mich gleich mit!

I. C.

P.S.: Sie haben neulich gesagt, dass ich einen Raum nicht mehr verlassen muss, wenn Sie ihn betreten, da Sie dann gehen. Ich denke, es wird nicht mehr passieren, dass sich unsere Wege kreuzen. Denn dort, wo Sie sich standesgemäß bewegen, habe ich nichts zu suchen …

Verdammt!

Jetzt habe ich am Ende doch noch eine Bitte an Sie: Könnten Sie es vielleicht einrichten, mittwochs nicht bei Nick aufzukreuzen? Sie nehmen mir sonst das Einzige, was mir noch eine Freude macht!

Danke.

Harrys Kopf war gänzlich leer, nachdem er Isabels Zeilen das erste Mal gelesen hatte. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Er wusste zwar, dass Isabels Worte nach der letzten Aktion in der Disco nicht nett ausfallen würden. Aber mit solch einer Kälte hatte er nicht gerechnet. Erst eine halbe Stunde später setzte er ein zweites Mal an, den Brief zu lesen, brach jedoch nach dem ersten Absatz bereits wieder ab und holte tief Luft, ihm war zum Heulen zumute. Just in dem Moment klingelte es an der Haustür. Von Schwindel benommen ging er zur Tür. Er wusste, wer davor stand. Es war Jane, die er telefonisch gebeten hatte vorbeizukommen, als er gerade den Brief von dem Boten in Empfang nahm. Kaum hatte Harry die Tür geöffnet und in Janes fragendes Gesicht gesehen, brach er weinend zusammen. Jane seufzte, denn sie hatte innig gehofft, dass sich Isabel, trotz des Kussüberfalls und der darauffolgenden Aktion ihres Mannes, für Harry entscheiden würde. Sie kannte Harrys Zeilen an Isabel und traute sich deshalb nun kaum, ihn jetzt nach dem Inhalt von Isabels Brief zu fragen. Schweigend und tröstend zugleich nahm Jane Harry in den Arm und führte ihn zurück auf die Couch in der Wohnstube, wo sie sich beinahe auf Isabels Zeilen gesetzt hätte. Sie reichte Harry ein Taschentuch und atmete noch einmal tief durch, ehe sie sich den verfassten Brief durchlas; es war nur ein einziges Blatt. Als sie fertig war, sah sie Harry völlig entgeistert an, unfähig irgendetwas sagen zu können. Harry musste unweigerlich bittersüß lächeln. „Mir ging es genauso!“

„Ja, man hat das Gefühl, den Brief einer völlig fremden Person in den Händen zu halten. Sagtest Du nicht etwas davon, dass sie Dir zwischenzeitlich freundlich gesonnen war?!“, fragte Jane noch immer ungläubig.

„Das waren Samuels Worte …“

„Und Dein Gefühl!“, unterbrach Jane sogleich ihren Schwager wieder. „Und wenn ich daran denke, dass sie sogar zur Siegesfeier in den Club gekommen war, kann ich kaum glauben, dass diese Worte von ihr stammen sollen??? – Ich meine, William hat echt Mist gebaut und ich habe ihm diesbezüglich auch schon gehörig den Kopf gewaschen!“

„Ich weiß, er traut sich kaum mehr in Deine Nähe.“

Jane errötete und räusperte sich. „Trotzdem ist die Heftigkeit ihrer Worte nicht ganz nachvollziehbar. Oder hast Du uns irgendetwas verschwiegen, das zwischen Euch vorgefallen ist?“

„Nein! Es hat mit der Spieluhr angefangen und endete mit dem Kuss“, gab Harry, wütend auf sich selbst, von sich.

„Oh Harry, es tut mir so leid! Ich habe es mir so für Dich gewünscht, und es sah ja auch ganz so aus, als hätte es klappen können; zumal, sie ist echt niedlich! Und das von einer Frau zu hören, soll was heißen …“

Harry grinste. „Danke, dass wir uns wenigstens in dem Punkt einmal einig sind.“ Unweigerlich musste auch Jane schmunzeln.

Harry seufzte. Jane nahm ihn daraufhin gleich wieder in den Arm.

Nach einer Weile fragte Jane: „Willst Du etwas auf ihren Brief erwidern?“

Harry lachte bitter auf. „Was soll ich denn darauf antworten? Das ‚Nein, ich will von Dir nichts mehr hören, geschweige denn sehen oder lesen‘ ist doch offensichtlich!“

„Ach Mann!“, seufzte nun Jane. „Trotzdem sind ihre Worte Dir gegenüber ungerecht!“

„Wenn sie wenigstens irgendein Wort an mich verschwendet hätte! Ich kann ihr ja noch nicht einmal böse oder auf sie wütend sein …“

„Stimmt! Das hat sie geschickt gemacht: Eine Rückantwort ist sozusagen erst gar nicht möglich“, stellte Jane nun sogar fasziniert fest.

„Hätte ich sie doch nur nicht geküsst!!!“, waren Harrys nächste vorwurfsvolle Worte.

„Ach, mach Dich nicht verrückt! Nicht Du bist daran schuld, sondern einzig und allein Dein Bruder!“ Zweifelnd blickte Harry seine Schwägerin an. „Wenn sich William nicht eingemischt hätte, wäre Isabel zwar wegen des Kusses verwirrt gewesen, aber ich denke, ihr Herz hätte trotzdem für Dich geschlagen.“

„Da bin ich mir nicht so sicher, denn ihre Backpfeife war ziemlich heftig“, gestand Harry kleinlaut. „Ich glaube eher, es waren einfach zu viele unangenehme Vorfälle für Isabel, dass sie sich gegen mich entschieden hat. Ich bin ja selbst schuld! Und doch würde ich gerne die Zeit noch einmal ein klein wenig zurückstellen und noch einmal ganz von vorn anfangen wollen …“

„Tja, dann wäre eventuell noch alles möglich. Doch leider kannst Du die Zeit nicht zurückstellen. Sie stand irgendwie von Anfang an für Euch unter einem schlechten Stern.“

„Wie aufbauend!“, sagte Harry sarkastisch.

„Entschuldige, aber es ist doch so!“, verteidigte sich Jane.

„Hast ja Recht, kleine Schwägerin“, gestand sich Harry ein, wenn auch schweren Herzens.

„Meinst Du, Du kannst trotzdem übermorgen bei der Eröffnung des neuen Kinderkrankenhauses teilnehmen? Und dabei auch noch freundlich lächeln?“

„Oh Schreck! Stimmt, Dienstag war ja noch was … Ich werde es wohl müssen, auch wenn mich irgendwie alles ganz automatisch wieder an Isabel erinnern wird; vor allem die kleinen Kinder!“

„Und wenn Du einmal mit Elisabeth darüber sprichst? Vielleicht hat sie ja Verständnis und Du brauchst nicht mitzukommen?!“, überlegte Jane.

„Daran glaubst Du doch wohl selbst nicht?! Granny ist nun einmal so gestrickt, dass die Monarchie und das Repräsentieren vor allen privaten und vor allem sentimentalen Anwandlungen stehen! Außerdem hat doch Granny nichts von den Liebeswirren ihres Enkels mitbekommen.“

 

„Oh doch, das hat sie! Wenn auch eher im Nachhinein“, berichtigte Jane ihren Schwager. Fragend hob Harry eine Augenbrauche. Jane räusperte sich, ehe sie antwortete: „Durch William.“ Noch immer fragend hob Harry nun auch noch die zweite Augenbraue. „Ich sagte doch, dass ich William den Kopf gewaschen habe …“

„Darf ich erfahren, was Du getan oder zu ihm gesagt hast, dass er sich schützend hinter Elisabeths Rockzipfel versteckt? So kenne ich mein großes Brüderchen ja gar nicht!“, stellte Harry schon fast amüsiert fest.

Jane wurde knallrot. „Nun ja, sagen wir mal so, als ich sah, wie Du hektisch in Mikes Büro gerannt bist und William stattdessen herauskam, dachte ich mir noch nichts. Als Du jedoch kurz darauf wieder mit betrübter Miene von dannen zogst und gerade einmal zwei Minuten später Isabel auch aus dem Zimmer kam und ebenfalls sang und klanglos ging, war mir klar, dass irgendetwas vorgefallen sein musste, woran mein lieber Herr Mann ebenfalls beteiligt war. Auf dem Heimweg habe ich ihn dann zur Rede gestellt und da erzählte er mir ganz lapidar, dass er sich Isabel gegriffen hätte, damit Du und sie, ihr Euch einmal in Ruhe, unterhalten könntet. Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen und bin natürlich prompt aus der Haut gefahren und habe ihn recht derbe angeschrien, was ihm einfallen würde, sich in die Sache mit einzumischen. Daraufhin erwähnte er nur, dass ich dies doch auch schon die ganze Zeit täte und dass es bei ihm und mir damals ja auch so war, dass man uns zu unserem Glück ein wenig zwingen musste. Da ist mir dann gänzlich die Hutschnur gerissen und ich habe ihm eine geklebt.“

„Du hast was?!“, fragte Harry verdutzt.

„Du hast schon richtig gehört! William glaubte auch, sich verguckt zu haben, aber seine rote, schmerzende Wange bestätigte ihm den Vorfall. Natürlich wurde er dann auch wütend und brach einen Streit vom Zaun, den er nicht gewinnen konnte! Seither ist zwischen uns Funkstille. Sobald er auch nur den Mund bezüglich dieses heiklen Themas öffnet, geht die Diskussion von vorne los und eine Vase und ein Teller sind dabei bereits zu Bruch gegangen“, gestand Jane kleinlaut. „Diese habe ich versucht, ihm an den Kopf zu werfen. Denn William hat oder besser gesagt will nicht verstehen, worin der Unterschied zwischen meiner und seiner Einmischung in Eure Sache ist.“

„Jane!“, rief Harry aufgebracht. „Du setzt doch jetzt nicht etwa Deine Beziehung nur wegen mir aufs Spiel??? Jane, bitte komm wieder von Deinem kleinen Vulkan herunter und vertrage Dich mit Deinem Mann! Du hast doch selbst gesagt, dass Isabels und mein Aufeinandertreffen unter keinem guten Stern stand. Es hat halt einfach nicht sein sollen! Doch daran darf auf keinen Fall Deine Ehe zerbrechen!!!“ Jane nagte schuldbewusst an ihrer Unterlippe. Harry seufzte.

„Was soll ich denn aber machen? William hat mich einfach so wütend gemacht!“, gab Jane leicht verzweifelt von sich.

Harry zog seine Schwägerin spontan in seine Arme und nun war sie es, die weinte. Harry schüttelte verwirrt den Kopf. Da wollten ihm die zwei Menschen, die ihm am wichtigsten waren, helfen glücklich zu werden und setzten dabei ihre eigene Beziehung aufs Spiel. „Jane, beruhige Dich wieder. Ich muss Dir nämlich etwas erzählen.“ Jane schniefte und versuchte wieder Herr ihrer Gefühle zu werden. Unsicher sah sie zu Harry auf. „William war gestern Abend bei mir und wollte sich bei mir entschuldigen. Granny hat ihm wohl seinen Fehler verdeutlicht und er hat nun auch verstanden, warum Du so sauer auf ihn bist. Des Weiteren hat er mich gefragt, ob ich wüsste, was er machen kann, damit Du ihm wieder verzeihst“, erzählte Harry.

Jane schluckte. „Und was hast Du ihm geraten?“

„Nichts. Ich habe gesagt, dass ich zwar seine Entschuldigung annehme, ihm aber nicht helfen kann, da er durch seinen selbst fabrizierten Schlamassel allein durch muss. Sonst wäre es ja nur eine halbe Entschuldigung Dir gegenüber.“

Jane seufzte. „Dieses Jahr fängt ja fürchterlich an …“

Harry grinste. „Hey, das wird schon wieder. Und um mich macht Euch bitte keine Sorgen, es kommt zwar jetzt eine schwierige Zeit auf mich zu; mit viel, viel Liebeskummer, aber auch dieser wird wieder vergehen. Denn der einzige Wermutstropfen, der mir Gott sei Dank noch bleibt, ist nun einmal der, dass ich mit Isabel ja nie zusammen war! Es klappte schon von vornherein nicht. Auch wenn ich ihre dunkelgrünen Augen wohl mein Leben lang nicht mehr vergessen werde und ihre weichen Lippen auch nicht!“, schwärmte Harry schweren Herzens.

Jane grinste. Harry wurde daraufhin knallrot.

„Ja, das Grün ihrer Augen ist mir auch sofort aufgefallen! William hat, als wir uns damals kennen gelernt haben, immer gesagt: Man kann in meinem Gesicht lesen wie in einem Buch. Ich habe erst jetzt verstanden, was er damit meinte. Isabels Blick spricht auch mehr als Bände. – Oh Harry, ich vermisse so entsetzlich zwei hellblaue Augen, die mich verliebt ansehen!“, gestand Jane reumütig.

Prompt fing Harry an zu lachen. „Dann lass Wills diese Nacht wieder im Ehebett schlafen …“

„Hab ich übertrieben?“

„Vielleicht ein wenig. Aber ich glaube, Wills hat das einfach mal gebraucht.“

„Meinst Du?“

„Bestimmt!“

Jane drückte ihrem Schwager spontan einen Kuss auf die Wange. Harry schmunzelte. „Na los, fahr schon nach Hause!“

„Und ich kann Dich wirklich alleine lassen?“, fragte Jane, gefangen zwischen zwei Stühlen. Harry nickte zuversichtlich. Jane seufzte.

„Du kannst doch auch nichts daran ändern, dass Isabel sich gegen mich entschieden hat. Sie war vielleicht doch nicht meine Traumfrau? Äußerlich sicherlich. Aber ist es nicht viel wichtiger, dass es hier drinnen stimmt?“, stellte Harry offen in den Raum und zeigte auf sein Herz.

Erneut seufzend sahen sich Harry und Jane an und fingen daraufhin prompt an zu lachen.

Harry drückte seiner Schwägerin einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass Du gekommen bist.“

„Na schön, dann gehe ich jetzt wieder. Aber wenn was ist, ruf an, ja?!“ Harry nickte und brachte Jane noch bis zur Tür.

Mit gemischten Gefühlen hielt Jane direkt vor ihrer Stadtwohnung an. Sie brauchte ganze zehn Minuten, um aus dem Auto zu steigen. Ihr war schlecht, denn erst jetzt wurde ihr bewusst, was sie angestellt hatte: William hatte zwar einen Fehler gemacht; doch machte sie nicht auch ständig irgendwelche Fehler? Und selbst Elisabeth war nie so streng mit ihr, wenn sie sich wieder einmal entgegen dem Protokoll benommen hatte, wie sie sich nunmehr gegenüber ihrem Mann verhielt. Und trotzdem musste er sie noch genauso doll lieben wie sie es tat; wenn er sogar schon Elisabeth und Harry um Rat bat?! Sich an diesen Gedanken klammernd, stieg Jane die Treppen zu ihrem Appartement hinauf. Dort angekommen, war die Wohnungstür halb geöffnet. Unsicher, ob sie nach dem Sicherheitspersonal rufen oder einfach in die Wohnung gehen sollte, entschied sich Jane trotz alledem für Letzteres. Sofort wurde ihr bewusst, dass hier kein Einbruch vorlag. Denn den sonst dunklen Korridor erhellten eine Reihe Teelichter, die auf dem Dielenboden zu einem Pfeil, der nach rechts zeigte, angeordnet waren.

Jane legte ihre Jacke ab und folgte dem Wegweiser.

Rechterhand befand sich ihr Arbeitszimmer. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Der Raum war mit lauter roten Rosen übersät. An der Decke hing ein großer roter herzförmiger, mit Helium gefüllter Luftballon und an seiner Strippe hing ein grüner Umschlag. Jane öffnete diesen: So wie Deine Lieblingsblumen, hast auch Du ein paar Dornen. Nur ein guter Gärtner weiß, wie man mit diesen zarten Pflänzchen umgeht, um nicht gestochen zu werden. – Ich war diese Woche kein guter Gärtner und habe somit statt Rosen Disteln gesät. – Bitte folge dem Pfeil.