Im Labyrinth des Kolosseums

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Im Labyrinth des Kolosseums
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Klaus Stefan Freyberger · Christian Zitzl

Im Labyrinth

des Kolosseums

Das größte Amphitheater der Welt

auf dem Prüfstand

Unter Mitarbeit von Christine Ertel (†)


In memoriam Christine Ertel

128 Seiten mit 61 Abbildungen

Titelbild:

Oben: Rom, Kolosseum, Luftaufnahme. Foto. A. Blüher, Rom.

Unten: Photodisc, Vol. 60.

Frontispiz: Rom, Kolosseum, Luftaufnahme. Foto. A. Blüher, Rom.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH, Mainz am Rhein

ISBN 978-3-945751-89-3

Lektorat: Anne Hessinger, Susanne Menten

Gestaltung: Lohse Design, Heppenheim

Gestaltung Titelbild: Lohse Design, Heppenheim

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

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www.na-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

1 Einleitung (K.S.F.)

Forschungsgeschichte

Ziel und methodische Durchführung der Arbeit

Anmerkungen

2 Das Kolosseum in Rom: Bau- und Nutzungsgeschichte (K.S.F.)

Der Aufbau des Außenbaus

Der Aufbau des Innenbaus

Die Verteilung der Sitzplätze

Die Arena und das Untergeschoss

Anmerkungen

3 Bauphasen des Kolosseums: Archäologische Befunde (C.E.)

Ausgrabungen rund um die Meta Sudans

Ausgrabungen in der Arena des Kolosseums

Die Holzabdeckungen in der Arena

Anmerkungen

4 Das Kolosseum im Vergleich mit Bauten in Latium aus dem 1. Jh. v. Chr. (K.S.F.)

Anmerkungen

5 Das Kolosseum im Vergleich mit anderen ausgewählten Amphitheatern (K.S.F.)

Pompeji

Lage und Aufbau

Außenbau

Innenbau

Datierung

Castra Albana (Albano Laziale)

Amphitheater (Phase I)

Lage, Materialien und originaler Bestand

Datierung

Amphitheater (Phase II)

Erweiterungsbauten

Datierung und historischer Kontext

Verona

Lage und Größe des Bauwerks

Außenbau

Fassadenaufbau

Innenbau

Datierung

Arelate (Arles)

Lage und Größe des Bauwerks

Außenbau

Innenbau

Datierung und historischer Kontext

Nemausus (Nîmes)

Lage und Größe des Bauwerks

Außenbau

Innenbau

Datierung

Formvergleich zwischen den Amphitheatern in Arelate und Nemausus

Die Fassaden

Maße und Proportionen der Arkadenbögen

Die Gewölbeformen

Die Datierung der Amphitheater in Arelate und Nemausus und deren zeitliches Verhältnis zum Kolosseum in Rom

Puteoli (Pozzuoli)

Kleines Amphitheater (Bau I)

Lage und Größe des Bauwerks

Außenbau

Innenbau

Datierung

Großes Amphitheater (Bau II)

Lage, Bautechnik und verwendete Materialien

Außenbau

Innenbau

Datierung

Capua (Santa Maria Capua Vetere)

Kleines Amphitheater (Bau I)

Lage, Bautechnik und verwendete Materialien

Erhaltungszustand und Datierung

Großes Amphitheater (Bau II)

Lage, Bautechnik und verwendete Materialien

Außenbau

Innenbau

Datierung und Baugeschichte des Großen Amphitheaters

Funktion des Kleinen und Großen Amphitheaters in Capua

Anmerkungen

 

6 Die Darstellung des Kolosseums auf dem „Bautenrelief“ aus dem Grab der Haterier in Rom (K.S.F.)

Das Amphitheater des Statilius Taurus

Anmerkungen

7 Ein neuer Vorschlag für die Baugeschichte des Kolosseums (C.E. – K.S.F.)

8 Das Kolosseum im Spiegel der antiken literarischen Überlieferung (C.Z.)

Amphitheatrum Caesareum

Amphitheatrum Statilii Tauri

Spectaculum urbanum?

Anmerkungen

9 Das Kolosseum – mehr als ein Amphitheater: Evolutionstheorie (C.Z.)

Anmerkungen

10Für immer prägend! (C.Z.)

Glossar (Auswahl)

Verzeichnis der zitierten Literatur

Bildnachweis

Auflösung Autorenkürzel: C. E. = Christine Ertel; C. Z. = Christian Zitzl; K. S. F. = Klaus Stefan Freyberger

Vorwort

„Quamdiu stabit Colysaeus, stabit et Roma.

Quando cadet Colysaeus, cadet et Roma.

Quando cadet Roma, cadet et mundus.“

(Beda Venerabilis)

Solange das Kolosseum steht, besteht auch Rom.

Wenn das Kolosseum fällt, fällt auch Rom.

Wenn Rom fällt, fällt auch die Welt.

Der geneigte Leser wird sich bei der Lektüre des Buches fragen, warum dem Kolosseum in Rom schon wieder eine Publikation gewidmet ist, obwohl dieses Gebäude hinreichend erforscht und bekannt ist. Bei genauerer Betrachtung des Monumentalbaus sind aber formale Kriterien festzustellen, welche die herkömmliche Ansicht über dessen Baugeschichte in Frage stellen. Aus diesem Grund beschlossen die Autoren, sich erneut mit diesem Monument kritisch auseinander zu setzen, indem sie die jüngsten Grabungsberichte, die Bau- und Dekorformen im Vergleich mit anderen Amphitheatern aus der römischen Welt und die schriftliche Überlieferung antiker Autoren unter dem Aspekt der Bau- und Nutzungsgeschichte des Kolosseums analysierten. Entscheidende Anregungen für dieses Vorhaben gab uns Christine Ertel, die durch ihren frühen Tod im Jahr 2015 ihre Beiträge zu dem vorliegenden Werk nicht vollenden konnte. Durch ihre Kommentare und Interpretationen der Grabungsbefunde lieferte sie wertvolle Bausteine für die Zielvorgaben der Untersuchung, in die ihre hinterlassenen Texte in einer ergänzten Fassung eingearbeitet wurden. Dank ihrer Verdienste um die antike Bauforschung ist die vorliegende Publikation Christine Ertel gewidmet, deren sachkundige und zielorientierte Arbeit uns in Zukunft fehlen wird. Für Ratschläge und Hilfestellungen danken wir Heide Behrens, Heinz Beste, Felice Costabile, Mira Fischer, Barbat Gheorghe, Rüdiger Gogräfe, Uta Hassler, Nicolò Masturzo, Günter Reinhart, Nicole Röring, Andreas Scholl und Stephan Zink. Schließlich gebührt unser Dank Annette Nünnerich-Asmus und ihren Mitarbeiterinnen für die reibungslose Zusammenarbeit bei der Herstellung der vorliegenden Publikation.


Klaus Stefan Freyberger
Christian Zitzl München/​Freyung, Juni 2016


Einleitung

Kein antikes Bauwerk in Rom vermag eine so große Faszinationskraft auf die Besucher auszuüben wie das Kolosseum (Abb. 1, 2). Als meistbesuchter Attraktions- und Erinnerungsort im Herzen der Ewigen Stadt wird das Bauwerk bis heute nicht nur von Touristen, sondern auch von Künstlern, Architekten und Altertumswissenschaftlern aus aller Welt aufgesucht.

Forschungsgeschichte

Unzählige wissenschaftliche Untersuchungen aus den Bereichen der archäologischen, historischen und kunsthistorischen Forschung vermitteln ohne Widerspruch eine einheitliche Vorstellung über den geschichtsträchtigen Monumentalbau. Nach gängiger Meinung ließ Kaiser Vespasian (69–79 n. Chr.) das größte Amphitheater der Antike mit einem Fassungsvermögen von rund 50.000 Zuschauern auf dem Gelände eines trockengelegten Sees errichten. Dabei fällt auf, dass im Fokus der Studien mehr das Geschehen der Gladiatoren- und Tierkämpfe steht als das Bauwerk selbst.1 Erst in jüngerer Zeit rückten das architektonische Rahmenwerk und die Ausstattung des Kolosseums und anderer Amphitheater der römischen Welt in den Vordergrund der Betrachtung. Größere Untersuchungen galten einzelnen Amphitheatern2, die meist in Abhängigkeit von der flavischen Chronologie des Kolosseums in diese oder gar spätere Zeit datiert wurden.3 Kleinere Studien sind auch der Bautechnik und den verwendeten Baumaterialien gewidmet.4 Beschränkten sich die genannten Arbeiten vorwiegend entweder auf einen Bau oder nur wenige Gebäude, so erschienen auch Publikationen, die das Thema der Amphitheater in übergreifender Weise erörterten. Allen voran ist die Arbeit von J.-C. Golvin zu nennen, die bis heute die Grundlage für alle Forschungen zu römischen Amphitheatern liefert.5 Gleich einem Kompendium enthält diese Studie eine Gesamtschau der Monumente von der späten Republik bis in das 3. Jh. n. Chr. Die ausführlichen Beschreibungen der Bauwerke sind für den Leser durch zahlreiche Pläne mit Grund- und Aufrissen sowie mit Längs- und Querschnitten leichter nachvollziehbar. Von großem Verdienst ist auch das Monumentalwerk von G. Tosi, in dem das ganze Material und alle Daten zu den Amphitheatern in Italien vorgelegt sind.6 Eine der jüngsten Untersuchungen zu diesem Thema ist die groß angelegte Arbeit von T. Hufschmid, die den Amphitheatern in Italien und den römischen Provinzen gilt.7 Ausgehend von den Amphitheatern in Augusta Raurica analysiert der Autor nicht nur deren architektonische Befunde und technische Einrichtungen, sondern vergleicht auch diese Bauwerke mit Amphitheatern in Italien, insbesondere mit den Bauten in Rom, Pompeji, Puteoli (Pozzuoli) und Capua (Santa Maria Capua Vetere). Aus der Gegenüberstellung geht hervor, in welcher Weise das paradigmatische Vorbild aus Rom in den Provinzen aufgenommen und auch eigenwillig umgesetzt wurde. Darüber hinaus wird das römische Amphitheater im kulturhistorischen Kontext übergreifend erörtert. K. Welch thematisierte in ihrer Monographie vor allem die Amphitheater in spätrepublikanischer und augusteischer Zeit.8 Dabei hob sie zu Recht die Bedeutung des in der Forschung wenig beachteten Amphitheaters des Statilius Taurus hervor, das zum verbindlichen Leitbild aller folgenden Amphitheater in der römischen Welt wurde.9


Abb. 1: Rom, Kolosseum, Fassade, Nord-West-Ansicht.

Ziel und methodische Durchführung der Arbeit

Trotz der großen Anzahl kritischer Studien wurden die bis heute fest verankerten Vorstellungen über die Baugeschichte des Kolosseums nie in Frage gestellt. Dieser Tatbestand mutet umso merkwürdiger an, da die Bau- und Dekorformen Anhaltspunkte liefern, die auf eine entschieden ältere Entstehungszeit des Gebäudes verweisen. Was für alle Repräsentationsbauten gilt, trifft nämlich auch für Theater und Amphitheater zu: Die Fassade eines flavischen Monuments kann kaum genauso aussehen wie die eines wesentlich älteren Bauwerks, zumal es keine feststehende funktionale Fassadengestaltung gibt. Aus diesem Grund ist zu überprüfen, inwieweit die Datierung des Kolosseums in flavische Zeit ihre Berechtigung hat.

Zudem ist schwer vorstellbar, dass ein Monumentalbau wie das Kolosseum ausgerechnet an die Stelle eines Sees gesetzt worden sein soll. Kein Architekt würde jemals versuchen, ein solches Areal als Baugrund zu wählen, wenn andere Bauplätze zur Verfügung stehen. Ein See hinterlässt, auch wenn er trockengelegt ist, einen weit schlechteren Baugrund als ein von vornherein trockenes Gelände. Man hätte die Fundamente aus opus caementicium auf einen Pfahlrost setzen und immer mit hohem Grundwasser rechnen müssen. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Angaben antiker Autoren, die sich auf den künstlichen See, das stagnum, beziehen, einer anderen Erklärung bedürfen.

Angesichts dieser Ungereimtheiten setzten sich die beiden Autoren in der vorliegenden Arbeit das Ziel, das herkömmliche Bild über die Bau- und Nutzungsgeschichte des Kolosseums kritisch zu überprüfen. Dabei wurden die Befunde der Grabungen im Bereich des Kolosseums und der Meta Sudans, die Bau- und Dekorformen unter Berücksichtigung technischer Kriterien, aufschlussreiche Bildwerke des Kolosseums sowie die Bauinschriften und die schriftlichen Zeugnisse antiker Autoren zu diesem Bauwerk eingehend analysiert. Eine ausführliche Konfrontation mit anderen Amphitheatern dient dazu, die Chronologie des stadtrömischen Monumentalbaus zu präzisieren. Da im Rahmen dieser Studie nur eine begrenzte Auswahl von Vergleichsbeispielen herangezogen werden kann, wurden signifikante, für die Zielvorgaben der Arbeit aussagekräftige Bauwerke ausgewählt. Aus der Vernetzung und Gesamtschau aller Fakten ergaben sich inhaltliche Aspekte, die das herkömmliche Wissen über die Baugeschichte des Kolosseums in ein neues Licht stellen. Wenn auch die Resultate von hypothetischem Charakter sind, so zeigen sie doch das größte Amphitheater der Antike in einem erweiterten historischen Kontext, der Anregungen zu zukünftigen Untersuchungen mit neuen Aufgabenstellungen geben soll.


Abb. 2: Rom, Kolosseum, Zuschauerraum mit Arena.

1

Beispiele dafür liefern die Studien von Hönle – Henze 1981, 13–84 und Connolly 2003, 66–151.

2

Coarelli – Franzoni 1972, passim.

3

Ein besonders prekärer Fall ist die domitianische Datierung der Amphitheater in Arelate und Nemausus: Lugli 1964/​1965, 145–199.

4

Fincker 1994, 185–207; Fincker 1999, 265–275.

5

 

Golvin 1988, passim.

6

Tosi 2003, passim.

7

Hufschmid 2009, passim.

8

Welch 2007, passim.

9

Ebd., 108–127.


Das Kolosseum in Rom:
Bau- und Nutzungs­geschichte
Der Aufbau des Außenbaus

Das von Kaiser Vespasian in Auftrag gegebene Amphitheater ist ein freistehender Hochbau, der auf einem Plateau aus Pflastersteinen, der platea, aufragt (vgl. Abb. 1, 2, 3). Die viergeschossige Fassade von 49 m Höhe besteht weitgehend aus großen Quaderblöcken aus Travertin, einem Kalkstein, der bis heute im Anienetal bei Tivoli gewonnen wird. Jedes der drei unteren Geschosse verfügt über 80 Arkaden, die durch Pfeiler mit vorgelegten Halbsäulen eingerahmt sind. Diese drei Geschosse gliedern sich von unten nach oben in eine dorisch-tuskanische, eine ionische und eine korinthische Ordnung (Abb. 4 – 7). Dieselbe Abfolge der drei Ordnungen ist an der Außenfassade des Marcellus-Theaters in Rom feststellbar, das aber im Aufbau der Gebälke vom Kolosseum abweicht (vgl. Abb. 12). Schlichte und ausgewogene Proportionen zeichnen die äußere Fassade des zuletzt genannten Bauwerks aus. Die aus drei Faszien und einem Krönungsglied bestehenden Archivolten liegen auf profilierten Kämpfergesimsen auf. Besitzen die Halbsäulen der dorisierenden Ordnung Basen und schmale Plinthen (vgl. Abb. 7), so ragen die Halbsäulen der zweiten und dritten Ordnung auf hohen Piedestalen empor (vgl. Abb. 3, 6). Alle drei Ordnungen haben ein schlichtes Epistyl ionischer Prägung: Ein Architrav mit drei Faszien und einem Krönungsglied, ein zurückspringender Fries mit glatter und nicht verzierter Oberfläche sowie ein profiliertes Gesims bilden den Aufbau. Ein Zahnschnitt über dem Gesims der dritten Ordnung leitet zum vierten Geschoss über, das sich im Aufbau der Fassade von den drei unteren Geschossen gänzlich unterscheidet (vgl. Abb. 3). Schmale Pilaster gliedern die Wand in 80 Felder, die im Wechsel mit einem Fenster durchbrochen und einem Bronzeschild versehen waren. Im obersten Drittel der aufgehenden Wand verlaufen in jedem Feld drei mit Löchern ausgestattete Konsolen, die in der Anzahl und Position der Löcher mit den Konsolen des Kranzgesimses korrespondieren. In diesen Öffnungen steckten hölzerne Masten, die mali, an denen die Sonnensegel, die vela befestigt waren.10 Bei diesen handelt es sich um ein monumentales, in mehrere Segmente unterteiltes Tuch, das dem Publikum als Schutz vor Sonne und Regen diente. Das Auf- und Einziehen der Sonnensegel oblag Spezialeinheiten der Marine, die in Misenum im Golf von Neapel stationiert waren. Zeigen die ersten drei Geschosse im Aufbau der Fassade, dem Schnitt und der Größe der Steinquader ein homogenes Erscheinungsbild, so weicht von diesem das vierte Geschoss gänzlich ab (vgl. Abb. 3 – 7). Nicht nur der Fassadenaufbau, auch die Steinblöcke mit ihren kleineren Ausmaßen und verschiedenen Größen unterscheiden sich diametral von der Außenfassade der drei unteren Stockwerke. Das oberste Geschoss erlitt durch einen Blitzeinschlag im frühen 3. Jh. n. Chr. einen schweren Schaden, der eine umfangreiche Restaurierung nach sich zog, wobei man sich aber bei der Wiederherstellung dieses Abschnitts mit großer Wahrscheinlichkeit am Vorbild des Vorgängerbaus aus flavischer Zeit orientierte.


Abb. 3: Rom, Kolosseum, Fassade.

Von den 80 Arkadenbögen weisen 76 über ihrer Archivolte eine in die Steinmauer eingravierte Zahl auf, um dem Publikum einen geregelten Zugang in das Innere des Bauwerks zu gewährleisten (CIL VI 32263) (vgl. Abb. 4). Der Besucher konnte nur das Portal passieren, dessen Nummer auf der Eintrittsmarke angegeben war. Die beiden Haupteingänge auf der von Norden nach Süden ausgerichteten Querachse besaßen keine Nummern, da sie nur für politische Würdenträger zugänglich waren (Abb. 8). Gemäß ihrem Stellenwert hatten die beiden Portale die Form eines prächtigen Torbaus, eines Propylons, auf dessen Attika eine bronzene Quadriga aufragte. Darüber hinaus war das Tonnengewölbe über den Eingängen mit Stuck verziert. Um das Amphitheater verlief eine mit Travertin-Platten gepflasterte und von Travertin-Pfeilern eingefasste Fläche. Die Pfeiler, von denen sich bis heute vier an der Ostseite befinden, dienten als Absperrung. Auf diese Bestimmung verweisen die paarweise an der Innenseite der Pfeiler angebrachten Löcher, in denen Bügel aus Metall steckten. Diese dienten als Halterung für Balken, die das Areal des gesamten Bauwerks absperrten.11 Das vollständige Areal war umfangen von einer zweigeschossigen Portikus, von der spärliche Überreste am Fuß des Mons Oppius erhalten sind.

Der Aufbau des Innenbaus (vgl. Abb. 2)

Der heutige Eingang liegt an der Südseite der Querachse (Abb. 8, 9). Wenn auch der aktuelle Erhaltungszustand der cavea und des Untergeschosses der Arena den originalen Zustand verunklärt, so lässt sich dennoch das System der Zugänge und der inneren Wege weitgehend rekonstruieren. Den vier Ordnungen des Außenbaus entsprechen im Inneren die vier Ränge, die maeniana (Abb. 10). Diese sind durch breite Umlaufe voneinander getrennt, an deren hangaufwärts zur cavea gerichteten Seite Mauern, die praecinctiones oder baltei, verlaufen. Die beiden Haupteingänge auf der Querachse, die nur politische Würdenträger passieren konnten, führten zu zwei Tribünen, die heute nicht mehr erhalten sind. Alle anderen Eingänge, die an der Fassade nummeriert waren, führten in radial postierte Korridore, die in allen vier Sektoren symmetrisch zueinander angeordnet sind. Die Korridore wurden von vier umlaufenden überwölbten Gängen, den ambulatoria, durchschnitten, von denen aus die Besucher zu den Sitzplätzen auf den vier Rängen gelangten. Der erste Rang, die Tribüne oder das Podium, bestand aus breiten Stufen, auf denen die für die Honoratioren reservierten Sitze, die subsellia, befestigt waren. Eine kurze Rampe, die vom innersten ambulatorium ihren Anfang nahm, gewährte einen direkten Zugang zu diesen Plätzen. Da diese unmittelbar an die Arena grenzten, mussten die ersten Reihen der Tribüne aus Sicherheitsgründen mit einer hohen Absperrung rund um die Arena versehen werden. Einst verlief zwischen der Tribünenwand und der Arena ein überdachter Gang, von dem sich vierundzwanzig mit wasserdichtem Putz ausgekleidete Nischen öffneten. In diesem Bereich befand sich ein komplexes Zu- und Abflusssystem des Wassers, das nahelegt, dass diese Nischen ursprünglich zu einer Latrinenanlage gehörten. Der zweite Rang der cavea, das maenianum primum, verfügte über acht marmorne Stufen, die über den dritten Umgang erreichbar waren. Weitere Rampen, die steiler als die unteren und seitenverkehrt zu diesen angeordnet sind, führten in den dritten Rang, das maenianum secundum. Dieses war in zwei Abschnitte, das maenianum imum und das maenianum summum, unterteilt, in denen sich die meisten Sitzplätze befanden. Von diesem Rang aus führten Treppen in den obersten Rang, der in der Höhe dem vierten Geschoss der geschlossenen Außenfassade entspricht und nach seinen Sitzstufen aus Holz als das maenianum summum in ligneis bezeichnet wird. Vor der untersten Sitzstufe öffnete sich ein Ring von 80 marmornen Säulen zur cavea hin. Einige der erhaltenen Kapitelle, die in einem Depot aufbewahrt sind, lassen sich aufgrund ihrer stilistischen Formgebung in das frühe 3. Jh. n. Chr. datieren und sind aus diesem Grund der großen Restaurierungsphase in severischer Zeit zuzuschreiben. Der ausgeklügelte Aufbau und die funktionale Verbindung von Rampen, Treppen und Ring-Gängen ermöglichten einen raschen Zugang und ein ebenso zügiges Verlassen des Amphitheaters. Die Einhaltung der nach sozialen Schichten bestimmten Sitzordnung war durch die Nummerierung der Eingänge, der Ränge und der Sitzplätze des Bauwerks und durch die entsprechenden Zahlen auf den Eintrittsmarken geregelt.


Abb. 4: Rom, Kolosseum, Fassade, erstes Geschoss, Eingang LII mit dorisierenden Kapitellen und ionischem Gebälk.


Abb. 5: Rom, Kolosseum, Fassade, zweites Geschoss mit ionischer Ordnung.


Abb. 6: Rom, Kolosseum, Fassade, drittes Geschoss mit korinthischer Ordnung.


Abb. 7: Rom, Kolosseum, Fassade, erstes Geschoss, Halbsäule mit Basis und Plinthe.