Weihnachtsmärchen

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Geld gezeigt und nicht herumgeführt werde und nicht in einer



Menagerie sei und nicht geschlachtet werde, und weder ein



Pferd, noch ein Esel, noch eine Kuh, noch ein Ochs, noch ein



Tiger, noch ein Hund, noch ein Schwein, noch eine Katze, noch



ein Bär sei. Bei jeder neuen Frage, die ihm gestellt wurde, brach



Scrooges Neffe aufs neue in ein Gelächter aus und konnte gar



nicht wieder herauskommen, so daß er vom Sofa aufstehen und



mit den Füßen stampfen mußte. Endlich rief die runde Schwester



mit einem ebenso unauslöschlichen Gelächter:



»Ich habe es, Fred, ich weiß es, ich weiß es.«



»Was ist es?« rief Fred.



»Es ist Onkel Scrooge.«



Und der war es auch. Verwunderung war das al gemeine Gefühl,



obgleich einige meinten, die Frage: »Ist es ein Bär?« hätte mit Ja



beantwortet werden müssen, denn eine verneinende Antwort sei



schon hinreichend gewesen, ihre Gedanken von Scrooge



abzubringen, selbst wenn sie auf dem Wege zu ihm gewesen



wären.



»Nun, er hat uns Freude genug gemacht«, sagte Fred, »und so



wäre es undankbar, nicht auf seine Gesundheit zu trinken. Hier



ist ein Glas Glühwein dazu bereit. Es lebe Onkel Scrooge!«



»Es lebe Onkel Scrooge!« stimmten alle ein.



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»Fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neujahr dem Alten,



sei er, wie er wol e!« sagte Scrooges Neffe. »Er wol te meinen



Wunsch nicht annehmen, aber er sol ihn dennoch haben.«



Dem Onkel Scrooge war es unmerklich so fröhlich und leicht zu



Sinne geworden, daß er der von seiner Gegenwart nichts



ahnenden Gesel schaft ihren Toast erwidert und mit einer



unhörbaren Rede gedankt haben würde, hätte ihm der Geist Zeit



dazu gelassen. Aber alles verschwand im Hauch vom letzten



Wort des Neffen, und Scrooge und der Geist waren schon



wieder unterwegs. Sie gingen weit und sahen viel und besuchten



manchen Herd, aber immer spendeten sie Glück. Der Geist



stand neben Kranken, und sie wurden heiter und hoffend; neben



Wanderern in fernen Ländern, und sie träumten von der Heimat;



neben solchen, die mit dem Leben rangen, und sie harrten



geduldig aus; neben Armen, und sie wurden reich. Im



Armenhaus und im Lazarett, im Kerker und in jedem



Zufluchtsort des Elends, wo der Mensch in seiner kurzen



Zufluchtsort des Elends, wo der Mensch in seiner kurzen



ärmlichen Herrschaft dem Geiste die Tür verschlossen hatte,



spendete er seinen Segen und lehrte Scrooge seine Weise.



Es war eine lange Nacht, wenn es nur eine Nacht war; aber



Scrooge zweifelte daran, denn die Weihnachtsfeiertage schienen



in die Zeit, in der sie miteinander verrannen, zusammengedrängt



zu sein. Es war auch sonderbar, daß der Geist offenbar älter



wurde, während Scrooge äußerlich ganz unverändert blieb.



Scrooge hatte diese Veränderung zwar bemerkt, sprach aber nie



davon, bis sie von einer Kinderweihnachtsgesel schaft



weggingen, wo er bemerkte, daß des Geistes Haar schnel grau



geworden war.



»Ist das Leben der Geister so kurz?« fragte Scrooge.



»Mein Leben ist sehr kurz auf dieser Erde«, sagte der Geist, »es



endet noch in dieser Nacht.«



»In dieser Nacht noch!« rief Scrooge.



»Heute um Mitternacht. Horch, die Zeit nahet schon.«



Die Glocke schlug drei Viertel auf zwölf



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»Vergib mir, wenn ich nicht recht tue, zu fragen«, sagte jetzt



»Vergib mir, wenn ich nicht recht tue, zu fragen«, sagte jetzt



Scrooge, scharf auf des Geistes Gewand blickend, »aber ich



sehe etwas Seltsames unter deinem Mantel hervorblicken, was



nicht zu dir zu gehören scheint. Ist es ein Fuß oder eine Klaue?«



»Nach dem wenigen Fleisch, was darauf sitzt, könnte es schon



eine Klaue sein«, gab der Geist traurig zur Antwort, und fuhr fort:



»Sieh hier!«



Aus den weiten Falten seines Gewandes hervor erschienen jetzt



zwei Kinder, elend, abgemagert, häßlich und mitleiderregend. Sie



knieten vor dem Geiste nieder und hielten sich festgeklammert an



dem Saum seines Gewandes.



»O Mensch, sieh hier«, rief der Geist. »Sieh hier, sieh hier!«



Es war ein Knabe und ein Mädchen. Fahlen Gesichtes, elend,



zerlumpt und mit wildem, tückischem Blicke; aber doch auch



ängstlich und gedrückt in ihrer Demut. Wo die Schönheit der



Jugend ihre Züge hätte durchleuchten und mit ihren frischesten



Farben kleiden sol en, hatte s ie eine runzlige, abgelebte Hand,



gleich der des Alters, berührt und versehrt. Wo Engel hätten



thronen können, lauerten Teufel mit grimmigem, drohendem



Blick. Keine Veränderung, keine Entwürdigung der Menschheit



in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und



grauenerregende Ungeheuer aufzuweisen.



Entsetzt fuhr Scrooge zurück. Da sie ihm der Geist auf solche



Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne



Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne



Kinder, aber die Worte erstickten ihm von selber, um nicht



teilzuhaben an einer so ungeheuren Lüge.



»Geist, sind das deine Kinder?« Weiter konnte Scrooge nichts



sagen.



»Es sind des Menschen Kinder«, erwiderte der Geist, auf sie



herabschauend.



»Und sie hängen sich an mich, vor mir ihre Väter anklagend.



Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser Knabe ist der



Mangel. Schau sie beide wohl an, und vor al em diesen Knaben;



denn auf seiner Stirn seh' ich geschrieben, was Verhängnis ist,



wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es«, rief der Geist,



seine Hand nach der Stadt ausstreckend.



»Verleumdet alle, die es Euch sagen! Gebt es zu um Eurer



Parteizwecke willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet



das Ende!«



»Haben sie keine Stütze, keinen Zufluchtsort?« rief Scrooge.



»Gibt es keine Gefängnisse?« sagte der Geist, das letztemal die



eigenen Worte von Scrooge gegen ihn gebrauchend. »Gibt es



keine Armenhäuser?«



Die Glocke schlug zwölf.



Scrooge sah sich um nach dem Geiste, aber er war



verschwunden. Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er



sich an die Vorhersagung des alten Jacob Marley und sah, die



Augen erhebend, ein grauenerregendes, tief verhülltes Gespenst



auf sich zukommen, wie ein Nebel auf dem Boden dahinzurollen



pflegt.



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Vierte Strophe



Der letzte Geist



Die Erscheinung kam langsam, feierlich, schweigend auf ihn zu.



Als sie herangekommen war, fiel Scrooge auf die Knie nieder,



denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien



geheimnisvolles Grauen um sich zu verbreiten.



Die Erscheinung war verhüllt in einem schwarzen, weiten Mantel,



der nichts von ihr sehen ließ, als eine ausgestreckte Hand. Wäre



diese nicht gewesen, es wäre einem schwer angekommen, die



Gestalt von der Nacht zu trennen, die sie umgab!



Als sie neben ihm stand, fühlte er, daß s ie groß und stattlich war



und daß ihn ihre geheimnisvolle Gegenwart mit einem feierlichen



Grauen erfüllte. Er wußte weiter nichts, denn der Geist sprach



und bewegte sich nicht.



»Ich stehe vor dem Geist der zukünftigen Weihnacht?« fragte



Scrooge.



Der Geist antwortete nicht, sondern wies mit der Hand zur Erde



hinab.



»Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, die noch nicht



»Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, die noch nicht



geschehen sind, aber noch geschehen werden?« fuhr Scrooge



fort. »Willst du das, Geist?«



Der obere Teil der Verhüllung bauschte sich auf einen



Augenblick in Falten, als ob der Geist sein Haupt neige; dies war



die einzige Antwort, die Scrooge erhielt.



Obgleich schon so ziemlich an gespenstische Gesellschaft



gewöhnt, bangte Scrooge vor der stummen Erscheinung doch so



sehr, daß seine Knie wankten und er kaum noch stehen konnte,



als er s ich ihr zu folgen bereit machte. Der Geist stand für einen



Augenblick still, als bemerke er die Furcht seines Begleiters und



als wol e er ihm Zeit lassen, sich zu erholen.



Aber Scrooge befand sich dadurch noch schlechter. Ein



fremdes, unbestimmtes Grausen durchbebte ihn bei dem



Gedanken, daß sich hinter diesem schwarzen Schleier



gespenstische Augen fest auf ihn heften könnten, während er,



obgleich er seine Augen aufs äußerste anstrengte, doch nichts



sehen konnte als die gespenstische Hand und eine große,



schwarze Faltenmasse.



»Geist der Zukunft«, rief er, »ich fürchte dich mehr als die



Geister, die ich schon gesehen habe. Aber da ich weiß, daß es



dein Zweck ist, mir Gutes zu tun, und da ich noch zu leben hoffe,



um ein anderer Mensch zu werden, als ich bisher war, bin ich



willens, dich zu begleiten und tue es mit einem dankerfül ten



Herzen. -Willst du nicht zu mir sprechen?«



Herzen. -Willst du nicht zu mir sprechen?«

 



Die Gestalt gab ihm keine Antwort. Die Hand wies gerade vor



ihm hin in die Ferne.



»Führe mich«, bat Scrooge. »Führe mich, die Nacht schwindet



schnel , und die Zeit ist für mich kostbar. Führe mich, Geist.«



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Die Erscheinung bewegte sich ebenso von ihm weg, wie sie auf



ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres



Gewandes, der ihn aufhob und von dannen trug.



Es war kaum, als ob sie in die City träten; eher schien die City



rings um sie her in die Höhe zu wachsen und sie zu umdrängen.



Aber sie waren doch mitten in ihrem Herzen, auf der Börse unter



den Kaufleuten, die geschäftig hin und her eilten, mit dem Geld in



ihren Taschen klimperten, in Gruppen miteinander sprachen,



nach der Uhr sahen und gedankenvoll mit den großen, goldenen



Petschaften an den Uhrketten spielten, wie Scrooge es schon so



oft gesehen hatte.



Der Geist blieb bei einer Gruppe von Kaufleuten stehen, und



Scrooge sah, daß die Hand der Erscheinung darauf hinwies;



daher näherte er sich ihnen, um ihr Gespräch zu belauschen.



»Nein, ich weiß nicht viel davon zu sagen«, sagte ein großer



fetter Mann mit einem ungeheuren Doppelkinn. »Ich weiß nur,



fetter Mann mit einem ungeheuren Doppelkinn. »Ich weiß nur,



daß er tot ist.«



»Wann starb er denn?« fragte ein anderer.



»Vorige Nacht, glaub' ich.«



»Mein Gott, was hat ihm denn gefehlt?« mischte sich ein Dritter



ein, der dabei eine große Prise aus einer sehr großen Dose



nahm. »Ich dachte, der würde nie sterben.«



»Weiß Gott«, sagte der erste und gähnte.



»Was hat er mit seinem Geld angefangen?« fragte ein Herr mit



einem roten Gesicht und einem Auswuchs an der Nasenspitze,



der wie der Lappen eines Truthahns wackelte.



»Ich habe nichts davon gehört«, sagte der Mann mit dem fetten



Doppelkinn, und gähnte abermals. »Hat es wahrscheinlich seiner



Firma hinterlassen. Mir hat er's nicht vermacht. Das weiß ich.«



Dieser reizende Scherz wurde mit einem allgemeinen Gelächter



begrüßt.



»Es wird wohl ein sehr billiges Begräbnis werden«, fuhr der



Dicke mit dem Doppelkinn fort; »denn so wahr ich lebe, ich



kenne niemanden, der mitgehen sol te. Wenn wir nun



zusammenträten und freiwillig mitgingen?«



»Ich tue mit, wenn für einen Lunch gesorgt wird«, bemerkte der



Herr mit dem Truthahnlappen an der Nasenspitze. »Aber ich



muß zu essen haben, wenn ich dabei sein soll.«



Ein neues Gelächter.



»Nun, da bin ich doch wohl der Uneigennützigste von euch«,



meinte der erste Sprecher, »denn ich trage nie schwarze



Handschuhe und esse nie Lunch. Aber ich gehe mit, wenn sich



noch andere finden. Wenn ich mir's recht überlege, war ich am



Ende sein vertrautester Freund; denn wir blieben stehen und



sagten einander, wenn wir uns auf der Straße trafen: ›Guten



Morgen, guten Morgen!‹«



Sprecher und Zuhörer gingen fort und mischten sich unter andere



Gruppen.



Scrooge kannte die Leute und sah den Geist mit einem fragenden



Blick an.



Die Erscheinung schwebte weiter und hinaus auf die Straße.



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Ihre Hand wies auf zwei sich begegnende Personen. Und wieder



hörte Scrooge zu, in der Hoffnung, jetzt die Erklärung zu finden.



Denn er kannte auch diese Leute recht gut. Es waren Kaufleute,



sehr reich und von großem Ansehen. Er hatte sich immer



bestrebt, in ihrer Achtung zu bleiben, das heißt in



Geschäftssachen, rein in Geschäftssachen.



»Wie geht's?« sagte der eine.



»Wie geht's Ihnen?« der andere.



»Gut«, erwiderte der erste. »Der alte Knauser ist endlich tot,



wissen Sie es schon?«



»Ich hörte es«, antwortete der zweite. »Es ist kalt heute, nicht



wahr?«



»Wie sich's zu Weihnachten schickt. Sie sind wohl kein



Schlittschuhläufer?«



»Nein, nein. Habe an andere Sachen zu denken. Guten



Morgen!«



Kein Wort weiter. So trafen sie sich, so trennten sie sich.



Scrooge war erst zu staunen geneigt, daß der Geist auf



anscheinend so unbedeutende Gespräche ein Gewicht zu legen



schien; aber sein Gefühl sagte ihm, daß sie eine verborgene



Bedeutung haben müßten, und er zerbrach sich den Kopf,



welcher Art diese sein könnte.



Die Gespräche konnten sich nicht auf den Tod Jacobs, seines



alten Kompagnons, beziehen, denn der gehörte der



Vergangenheit an, und sein Führer war doch der Geist der



Zukunft. Auch konnte er s ich niemanden von den ihn näher



Angehenden vorstellen, auf den er sie hätte beziehen können.



Aber in der Gewißheit, daß für ihn doch eine wichtige Lehre



darin liege, auf wen sie sich auch beziehen möchten, beschloß er,



jedes Wort, das er hörte, und jede Szene, die er sah, treu in



jedes Wort, das er hörte, und jede Szene, die er sah, treu in



seinem Herzen aufzubewahren, und vorzüglich seinen Schatten zu



beobachten, wenn er erschien. Denn er erwartete von dem



Benehmen seines zukünftigen Selbst die noch fehlende



Aufklärung und die Lösung der Rätsel, die ihm jetzt so schwierig



vorkam.



Schon auf der Börse sah er sich nach seinem Selbst um; aber ein



anderer stand in seiner gewohnten Ecke, und obgleich die Uhr



die Stunde zeigte, wo er gewöhnlich dort war, bemerkte er sich



doch auch nicht unter den Scharen, die sich durch den Eingang



hereindrängten. Das überraschte ihn indessen um so 55



weniger, als er schon lange daran gedacht hatte, sein Geschäft



aufzugeben; und nun glaubte und hoffte er, in diesen



Erscheinungen schon die einstige Verwirklichung seines Planes zu



erblicken.



Regungslos und schwarz stand neben ihm das Gespenst mit



seiner starr ausgestreckten Hand. Als er wieder von seiner



nachdenklichen Stellung aufblickte, glaubte er (nach der Richtung



der Hand zu urteilen), daß sich die unsichtbaren Augen fest auf



ihn hefteten. Bei diesem Gedanken überlief ihn ein kalter



Schauer.



Sie verließen darauf die geschäftige Umgebung und gingen in



einen abgelegenen Teil der Stadt, wo Scrooge nie vorher



gewesen war, dessen Lage und schlechten Ruf er aber kannte.



Die Straßen waren schmutzig und eng, die Läden und Häuser



Die Straßen waren schmutzig und eng, die Läden und Häuser



ärmlich, die Menschen halbnackt, betrunken, barfuß, häßlich.



Gäßchen und Torwege strömten, wie ebenso viele Kloaken,



abscheuerregende Gerüche und Schmutz und Menschen in die



Straßen, und das ganze Viertel schien erfül t von Verbrechen,



Unrat und Elend.



In einem der tiefsten Winkel dieses Zufluchtsorts der Sünde und



des Verbrechens befand sich ein niedriger, dunkler Laden unter



einem Wetterdach, in dem Eisen, Lumpen, Flaschen, Knochen



und Fleischabfälle verkauft wurden.



Auf dem Fußboden lag ein Haufen verrosteter Schlüssel, Nägel,



Ketten, Türangeln, Feilen, Wagen, Gewichte und altes Eisen aller



Art. Geheimnisse, die zu enträtseln wenige verlangen würden,



entstanden und verbargen sich in Bergen widerlicher Lumpen,



Massen verdorbenen Fettes und ganzen Beinhäusern von



Knochen. Mitten unter seinen Waren saß neben einem aus alten



Kacheln zusammengesetzten Ofen ein grauhaariger, fast



siebzigjähriger Schelm, der sich vor der Kälte draußen durch



einen bauschigen Vorhang von allerlei, auf eine Leine gehängten



Lumpen geschützt hatte und seine Pfeife voll Behagen rauchte.



Scrooge und die Erscheinung traten neben diesen Mann, als eine



Frau mit einem schweren Bündel in den Laden schlich. Kaum



war sie eingetreten, als ihr eine zweite Frau, auch mit einem



Bündel, folgte, und dieser dicht auf den Fersen ein Mann in



Bündel, folgte, und dieser dicht auf den Fersen ein Mann in



einem alten, schwarzen, abgetragenen Anzug, der nicht weniger



vor dem Anblick der beiden erschrak, als diese voreinander



erschrocken waren.



Nach einigen Augenblicken wortlosen Staunens, an dem sich der



Alte mit der Pfeife beteiligt hatte, brachen sie al e drei in ein



lautes Gelächter aus.



»Schau an, die Putzfrau ist die erste«, rief die zuerst eingetreten



war. »Schau an, die Waschfrau ist die zweite, und der Sargträger



ist der dritte. He, Joe, das ist ein Glücksfal ! Wir treffen uns hier



alle drei, ohne daß wir uns verabredet haben.«



»Ihr hättet euch an keinem bessern Ort treffen können«, sagte



der alte Joe, die Pfeife aus dem Mund nehmend. »Kommt in den



Salon. Ihr habt schon lange freien Zutritt dort, das wißt Ihr ja,



und die anderen zwei sind auch keine Fremden. Wartet, bis ich



die Ladentür zugemacht habe. Oh, wie sie knarrt! Ich glaube, es



gibt kein so rostiges Stück Eisen in dem ganzen Laden, als die



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Türangeln; und ich weiß, es gibt keine so alten Knochen hier, wie



meine. Haha, wir passen zu unserm Geschäft. Kommt in den



Salon!«



Der Salon war der Raum hinter dem Lumpenvorhang. Der Alte



kratzte das Feuer mit einem alten Rouleaustab zusammen, schob



den Docht seiner qualmigen Lampe, denn es war Abend, mit



den Docht seiner qualmigen Lampe, denn es war Abend, mit



dem Pfeifenstiel in die Höhe und steckte diese dann wieder in



den Mund.



Während er damit beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene



Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit kokettierender



Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Knie



und sah die beiden andern herausfordernd an.



»Nun, was ist dabei, was ist schon dabei, Mrs. Dilber ?jeder hat



das Recht, für sich zu sorgen. Und er tat es immer.«



»Das ist wahr«, sagte die Waschfrau. »Keiner tat es eifriger.«



»Na, warum gafft Ihr da einander an, als hättet Ihr Bange, wer



der Schlauere sei? Wir wol en doch nicht einander die Augen



aushacken, denk' ich.«



»Nein, gewiß nicht«, sagten Mrs. Dilber und der Mann wie aus



einem Munde.



»Wir wol en es nicht hoffen.«



»Na, gut denn«, rief die Frau, »das ist genug! Wem schadet's,



wenn wir so ein paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer



Leiche gewiß nicht.«



»Nein, gewiß nicht«, lachte Mrs. Dilber.



»Wenn er sie noch nach dem Tode behalten wollte, wie ein alter



Geizhals«, fuhr die Frau fort, »warum war er nicht besser zu



seinen Lebzeiten? Wäre er's gewesen, dann hätte er auch



jemanden um s ich gehabt, als er starb, statt daß er



mutterseelenallein seinen letzten Atem fahren lassen mußte.«



»Es ist das wahrste Wort, das je gesprochen wurde«, bestätigte



Mrs. Dilber.



»Es ist ein Gottesgericht.«



»Ich wünschte, es wäre ein bißchen schwerer ausgefallen«,



meinte die Frau,



»und es wär's auch, verlaßt euch drauf, wenn ich hätte mehr



bekommen können.



Mach das Bündel auf, Joe, und sag mir, was es wert ist. Sprich



dreist heraus. Ich fürchte mich nicht, die erste zu sein, noch es



die hier sehen zu lassen. Wir wußten ganz gut, daß wir für uns



sorgten, ehe wir uns hier trafen. Das ist keine Sünde. Mach das



Bündel auf, Joe.«



Aber die Galanterie ihrer Freunde wollte das nicht erlauben; und



der Mann in dem abgetragenen schwarzen Rock brachte seine



Beute zuerst. Es war nicht viel los damit: ein oder zwei



Petschafte, ein silberner Bleistift, ein Paar Hemdknöpfe und eine



Brosche von geringem Wert: das war al es. Die Gegenstände



Brosche von geringem Wert: das war al es. Die Gegenstände



wurden von dem alten Joe untersucht und geschätzt, worauf er



die Summe, die er für das einzelne bezahlen wollte, an die Wand

 



schrieb und zusammenrechnete, als er fand, daß nichts mehr



nachkam.



»Das ist Eure Rechnung«, sagte Joe, »und ich gebe keinen



Sixpence mehr und sol te ich in Stücke gehauen werden. Wer



kommt jetzt?«



Mrs. Dilber war die nächste. Sie hatte Bett- und Handtücher,



einige Kleidungsstücke, zwei altmodische silberne Teelöffel, eine



Zuckerzange und 57



einige Paar Stiefel. Ihre Rechnung wurde von Joe auf dieselbe



Weise an die Wand geschrieben.



»Damen gebe ich immer zuviel. Es ist meine Schwäche, und ich



richte mich damit zugrunde », sagte der alte Joe. »Hier ist Eure



Rechnung. Wol tet Ihr einen Pfennig mehr dafür haben und es



darauf ankommen lassen, so täte es mir leid, so nobel gewesen



zu sein, und ich zöge Euch eine halbe Krone ab.«



»Und nun mach mein Bündel auf, Joe«, drängte die erste.



Joe kniete nieder, um bequemer das Bündel öffnen zu können,



und nachdem er viele viele Knoten aufgemacht hatte, zog er eine



große schwere Rol e von einem dunklen Stoff heraus.



»Was ist das?« staunte Joe. »Bettgardinen!«



»Ja«, rief das Weib lachend und sich vorbeugend.



»Bettgardinen!«



»Ihr wol t doch nicht sagen, Ihr hättet sie heruntergenommen,



wie er dort lag?«



sagte Joe.



»Ih, freilich«, sagte das Weib. »Warum auch nicht?«



»Ihr seid geboren, Euer Glück zu machen, und Ihr werdet's



auch.«



»Ich werde doch wahrhaftig meine Hand nicht leer einstecken,



wenn ich sie nur auszustrecken brauche, um was zu kriegen, um



so eines Mannes willen, wie der war. Wahrhaftig nicht, Joe«,



antwortete das Weib ruhig. »Laß kein Öl auf die Bettdecken



tropfen.«



»Seine Bettdecke?« fragte Joe.



»Von wem soll sie denn sonst sein?« entgegnete das Weib. »Er



wird auch ohne die nicht frieren, das behaupte ich.«



»Er starb doch nicht etwa an etwas Ansteckendem?« fragte der



alte Joe bedenklich, seine Beschäftigung unterbrechend und sie



anblickend.



anblickend.



»Das braucht Ihr nicht zu befürchten«, antwortete die Frau. »Ich



hatte ihn nicht so lieb, daß ich dann bei ihm geblieben wäre um



solcher Lumpen wil en. Ha, Ihr könnt durch das Hemd gucken,



bis Euch Eure Augen weh tun: Ihr findet kein Loch darin und



keine dünne Stelle. Es ist das beste, was er hatte, und sein ist's



auch. Sie hätten's verdorben, wenn ich nicht gewesen wäre.«



»Was meint Ihr mit Verderben?« fragte der alte Joe.



»Nun, ihm das Hemd in das Grab mitgeben, was sonst?«



erwiderte die Frau lachend. »Es war da einer dumm genug, es



ihm anzuziehen, aber ich zog's ihm wieder aus. Wenn Kattun zu



so etwas nicht gut genug ist, weiß ich nicht, zu was er sonst gut



wäre. Er steht einer Leiche ebensogut. Er kann nicht häßlicher



aussehen, als er darin aussah.«



Scrooge hörte das Gespräch mit Grausen an. Wie sie da um



ihren Raub herum in dem kärglichen Lampenlicht des Alten



saßen, betrachtete er sie mit einem Ekel und einem Abscheu, der



nicht größer hätte sein können, wenn es scheußliche Dämonen



gewesen wären, die um die Leiche selbst feilschten.



»Ha, ha!« lachte dieselbe Frau, als der alte Joe, einen alten



flanellnen Geldbeutel herauslangte und jedem den Preis des



Raubes auf den Fußboden hinzählte. »Das ist das Ende von der



Geschichte, seht Ihr! Er scheuchte jeden von sich, solange er



lebte, um uns zu nützen, da er tot ist! Hahaha!«



lebte, um uns zu nützen, da er tot ist! Hahaha!«



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»Geist«, sagte Scrooge, vom Fuß bis zum Scheitel zitternd. »Ich



verstehe dich.



Das Los dieses Unglücklichen könnte das meinige sein. Mein



Leben geht jetzt auf dieses Ziel zu. Gnädiger Himmel, was ist



das?«



Er fuhr entsetzt zurück, denn die Szene hatte sich verändert, und



er stand dicht vor einem Bett, einem einsamen, unverhängten



Bett, in dem unter einer groben Decke etwas Verhülltes lag, das,



obgleich stumm, in einer grauenerregenden Sprache verkündete,



was es war.



Das Zimmer war sehr dunkel, zu dunkel, um etwas sicher



erkennen zu können, obgleich sich Scrooge, einem geheimen



Gefühl folgend, voll Begier umsah, um zu wissen, was für ein



Zimmer es sei. Ein bleiches Licht, das von draußen



hereinströmte, fiel gerade aufs Bett; und auf diesem, geplündert



und beraubt, unbewacht und unbeweint, lag die Leiche dieses



Mannes.



Scrooge blickte die Erscheinung an. Ihre regungslose Hand wies



auf das Haupt des Leichnams. Die Decke war so sorglos



zurechtgelegt, daß das geringste Verschieben, die leiseste



Berührung von Scrooges Fingern das Antlitz enthüllt hätte. Er



dachte daran, empfand, wie leicht es geschehen könnte, und



sehnte sich, es zu tun; aber er hatte ebensowenig die Kraft, die



Hülle wegzuziehen, wie den Geist von seiner Seite zu entlassen.



Oh, kalter, starrer, schrecklicher Tod, hier richte deinen Altar auf



und umgib ihn mit den Schrecken, über die du verfügst, denn



dies ist dein Reich! Aber dem geliebten und verehrten Haupt



kannst du kein Haar krümmen, von ihm kannst du keinen Zug



widerlich machen. Auch wenn die Hand schwer ist und



herabsinkt, wenn man sie fallen läßt, auch wenn das Herz und



der Puls schweigen; die Hand war offen und barmherzig, das



Herz war offen und warm und gut und der Puls ein menschlicher.



Töte, Schatten, töte! Und sieh, wie seine guten Taten aus der



Todeswunde hervorströmen, um in der Welt ein unsterbliches



Leben auszusäen!



Es war nicht etwa eine Stimme, die diese Worte in Scrooges



Ohren flüsterte, aber doch hörte er sie, während er auf das Bett



starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder erweckt



werden könnte, was würde wohl sein erster Gedanke sein? Nur



Geiz, Hartherzigkeit, habgierige Sorge. - Ein schönes Ende



haben sie ihm bereitet!



Er lag in dem düstern leeren Haus, und kein Mann, kein Weib,



kein Kind war da, um zu sagen: »Er war gütig gegen mich in dem



und in jenem, und dieses einen gütigen Wortes gedenkend will



ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten



ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten



nagten und raschelten unter dem Kamin. Was sie in dem



Gemach des Todes wol ten und warum sie so unruhig waren,



wagte Scrooge nicht auszudenken.



»Geist«, sagte er, »dies ist ein schrecklicher Ort. Wenn ich ihn



verlasse, werde ich nicht seine Lehre vergessen, glaube mir. Laß



uns gehen.«



Immer noch wies der Geist mit regungslosem Finger auf das



Haupt der Leiche.



»Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und ich täte es, wenn



ich könnte.



Aber ich habe die Kraft nicht dazu, Geist. Ich habe die Kraft



nicht dazu.«



Wieder schien ihn der Geist anzublicken.



59



»Wenn irgend jemand in der Stadt ist, der bei dieses Mannes



Tod etwas fühlt«, bat Scrooge ganz erschüttert, »so zeige mir



ihn, Geist, ich flehe dich an.«



Die Erscheinung breitete ihren dunklen Mantel einen Augenblick



vor ihm aus wie einen Fittich; und wie s ie ihn wieder wegzog,



sah er ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren



sah er ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren



Kindern befand.



Sie wartete auf jemandes Kommen in ängstlicher Hoffnung, denn



sie ging im Zimmer auf und ab, erschrak bei jedem Geräusch,



sah zum Fenster hinaus, blickte nach der Uhr, versuchte



umsonst, sich zu beschäftigen und konnte kaum die Stimmen der



spielenden Kinder ertragen.



Endlich vernahm s ie das langersehnte Klopfen an der Haustür,



und als sie hinausgehen wol te, kam ihr der Gatte entgegen. Sein



Gesicht war abgehärmt und bekümmert, obgleich er noch jung



war!