Redewendungen: Episoden 1999

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Redewendungen: Episoden 1999
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Carsten Both

Redewendungen: Episoden 1999

Oft verwendet, Ursprung unbekannt?! – EPISODE 12 bis 19 (Huf, Fellhaut, Alkohol, Punkt, Pfeffer, Geld, Pflanze, Politik)

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Episode 12: Huftiere

Episode 13: Tierhüllen

Episode 14: Volksdroge Nr. 1

Episode 15: Punkte

Episode 16: Nicht Salz, sondern ...

Episode 17: Das Wichtigste auf dieser Welt

Episode 18: Grünzeug

Episode 19: Politisches Treiben

Episode 20

Impressum neobooks

Episode 12: Huftiere

Verwunderung und Überraschendes drückt die Vermutung „Ich glaub, mich knutscht ein Elch“ aus. Es soll sich um eine skandinavisch angehauchte Variation der Redewendung „Ich glaub/denk, mich tritt ein Pferd“ handeln. Dieser Ausspruch wird aber eher bei einer negativen Verblüffung, der Verärgerung, verwendet, denn ein Pferdetritt ist äußerst schmerzhaft. Wie man bezüglich des Elchs auf einmal auf das Knutschen gekommen ist, konnte ich leider nicht herausfinden. Die verwunderliche deutsche Kino-Titelübersetzung der Komödie „Stripes“ des kanadischen Regisseurs Ivan Reitman, „Ich glaub’, mich knutscht ein Elch!“ (1981), ist aber auf alle Fälle nicht der Weisheit letzter bzw. erster Schluß. Das unwahrscheinliche Elchverhalten ist bereits als Sponti-Spruch der 70er Jahre belegt. Ähnlich verhält es sich mit dem noch früher geprägten tretenden Pferd: Überraschenderweise wurde die US-Komödie „National Lampoon’s Animal House“ (1978) im Deutschen mit „Ich glaub’, mich tritt ein Pferd“ betitelt. Vermutlich, weil dies bereits Ulrich Plenzdorf in seinem Buch „Die neuen Leiden des jungen W.“ (1973) und der damalige Bundesfinanzminister Hans Apel in den Medien gedacht hatten.

Ein Kompliment ist es, wenn man mit jemandem Pferde stehlen könnte. Da besonders in früheren Zeiten der Pferdediebstahl streng geahndet wurde, mußte ein Pferdedieb sich durch besonderen Mut und Verwegenheit auszeichnen. Darüber hinaus mußte er natürlich für seine eventuellen Mittäter absolut zuverlässig sein. Darum steht diese Redewendung heute für eine besondere Freundschaft bzw. eine Person, auf die man sich absolut verlassen und mit der man alles Mögliche unternehmen kann. Der Roßdiebstahl mit guten Freunden ist als bekannte Redensart für das frühe 17. Jahrhundert schriftlich belegt.

Ein naher Verwandter des Pferdes – der Esel – muß oft für die Beleidigung eines Mitmenschen herhalten („Du/Sie dummer Esel“ oder einfach nur „Du/Sie Esel“). Wer dagegen dasteht wie Buridans Esel, der kann sich zwischen zwei gleichwertigen Alternativen einfach nicht entscheiden, mit der Konsequenz, am Ende keines der beiden gleich guten Angebote anzunehmen. Die Qual der Wahl wird so ausgedrückt. Diese Redewendung ist aus einer Parabel des spätscholastischen Philosophen Johannes Buridan (um 1300 - um 1360) entstanden; die Scholastik war ein Wissenschaftszweig aus dem Mittelalter, der sich auf die antike Philosophie stützte. Der genannte Esel konnte sich zwischen zwei gleich verlockenden Bündeln Heu nicht entscheiden, so daß er schließlich verhungerte. Buridan wollte mit dieser traurigen Geschichte Probleme der Willensfreiheit veranschaulichen, allerdings mit einem Hund als Akteur. Wie der Esel in diese Rolle hineinrutschte, ist nicht ganz geklärt. Es wird vermutet, daß Gegner von Buridan dieses mit negativem Image behaftete Tier in die Anekdote hineingeschummelt haben. Zumindest heißt es heute „dastehen wie Buridans Esel“ und nicht wie „Buridans Hund“. Aber der Esel geschieht ihm eigentlich ganz recht; Buridan hatte nämlich diese schöne Anekdote geklaut und lediglich mit einem anderen Akteur und angepaßter Nahrung versehen. Der italienische Dichter Dante Alighieri (1265-1321) vertrat nämlich schon in seiner „Göttlichen Komödie“ die Meinung, daß ein Mensch zwischen zwei gleich entfernten und gleich verlockenden Speisen eher sterben würde, als daß er bei Willensfreiheit eine davon an die Zähne brächte. Und selbst Dante könnte sich theoretisch beim persischen Philosophen Algazel (1058-1111) bedient haben, der heute als Urheber dieses Gleichnisses gesehen wird – das fundamental auf Aristoteles (384-322 v.Chr.) zurückgeht.

Daß ein Esel als minderintelligent (in Relation zu wem oder was eigentlich?) eingestuft wird, zeigt auch der Ausdruck „sich/jemandem eine Eselsbrücke bauen“. Denn hier wird einer Person mit erheblichem Aufwand eine Aufgabe vereinfacht, die sie ohne diese Hilfe wohl nie gelöst hätte. Plinius der Ältere (um 23-79) hat in seiner „Naturgeschichte“ behauptet, ein Esel würde niemals über eine Brücke gehen, durch deren Planken er das Wasser bzw. den Abgrund sehen könnte. Und so steht es auch noch in Konrad von Megenbergs (1309-1374) um 1350 in Deutsch zusammengestelltem „Buch der Natur“ und in Conrad Gesners (1516-1565) Mitte des 16. Jahrhunderts veröffentlichtem „Tierbuch“. Der Esel wird nach dieser unwissenschaftlichen Annahme also nur durch eine vermeintliche Gefahr abgeschreckt – ein Zeichen für Dummheit. Die extra Brücke für den Esel ist wohl erst zu Beginn der Neuzeit zunächst in Latein („pons asini“) gebaut worden. Der um 1500 lehrende Scotist Petrus Tartaretus hat eine logische Figur als Eselsbrücke bezeichnet. Ein Lateiner muss dann auch die fünfte Proposition aus dem ersten „Elemente“-Buch des griechischen Mathematikers Euklid (um 300 v.Chr.) „pons asinorum“ genannt haben. Interessanterweise soll ausgerechnet der bereits erwähnte Jean Buridan ein bekannter Eselsbrückenbauer für seine dummen Logik-Studenten an der Pariser Uni gewesen sein, ohne den Terminus zu kennen. Heutzutage wird die Bezeichnung „Eselsbrücke“ aber eher im positiven Sinne verwendet und nicht mehr als ein Hilfsmittel für Dumme. Schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts wird der Begriff mit der Vorstellung einer geschickten Gedächtnisstütze verbunden. Oft werden Merksätze oder -verse gebildet, um bestimmte Sachverhalte besser begreifen zu können. Ein solcher Merksatz, und somit Eselsbrücke, ist folgender: Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten. Die Anfangsbuchstaben der einzelnen Wörter sind die Anfangsbuchstaben der Planeten unseres Sonnensystems in der richtigen Reihenfolge (von der Sonne aus gesehen).

Beim Ausspruch „Der Esel nennt sich immer zuerst“ wird dagegen das treue Lasttier wieder diskriminiert. Die Wendung verspottet unhöfliche Menschen, die sich bei einer Aufzählung zuerst nennen und nicht – so wie es sich gehört! – an letzter Stelle. Analoge Bedeutung hat der Ausspruch „Der Esel geht voran“. Hier wird den anderen nicht der Vortritt gelassen. Wobei man bedenken muß, daß irgend jemand irgendwann den vorangehenden Esel spielen muß, da sonst der Bus ohne seine potentiellen Fahrgäste abfahren wird.

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Episode 13: Tierhüllen

Nachdem ich mich in den vorangegangenen Folgen grundsätzlich mit ganzen, noch lebenden Tieren beschäftigt habe – sieht man einmal von dem Schicksal eines Hundes namens Hopf [vgl. Episode 11] und einer aus Versehen verhungerten Katze [vgl. Episode 10] ab –, werde ich mich nachfolgend mit Teilen von Tieren beschäftigen, denen sich der Mensch durch Aktivitäten bemächtigen muß, bei denen die betroffene Spezies schon mal draufgehen kann. Wer sich also zu der Gemeinde der Veganer zählt – also den oft militanten, sektenhaft übersteigerten Hardcore-Vegetariern, die jegliche Tierprodukte ablehnen, seien es Eier, Milch oder Kleidung mit Tierabstammung (lassen Sie sich von so einem ja nicht in einer Lederjacke erwischen ...!) –, sollte besser nicht weiterlesen.

Zunächst etwas aus der Rubrik vermutlich „Reine Schurwolle“: Wenn man jemandem das Fell über die Ohren zieht, so betrügt man jemanden (Stichwort: Gebrauchtwagenverkäufer), beutet andere aus (Stichwort: Arbeitgeberverbände) bzw. übervorteilt jemanden stark (Stichwort: Finanzminister). Die Redewendung bezieht sich eventuell auf eine Erntevariante der Schafwolle, bei der man das Schaf im Prinzip nicht schert, sondern das Fell am Bauch aufschneidet, um es dann in eins über den Kopf des Tieres abzuziehen. Ich war noch nie auf einer australischen Schaffarm und konnte somit auch nicht solch ausgeklügelte Techniken bestaunen. Ebenso ist mir unbekannt, ob dies überhaupt mit lebenden Tieren machbar ist oder mehr bei der Vollverwertung des ganzen Tieres zur Anwendung kommt. (Wenn Sie mir eine solche natürlich rein wissenschaftliche Bildungsreise finanzieren möchten, so wenden Sie sich bitte an die Geschäftsführung, die die milden Gaben hoffentlich an mich weiterleitet.) Jedenfalls raubt man dem Schaf einen wesentlichen Bestandteil, so daß es danach nackend dasteht bzw. daliegt – durch den Verlust der wärmenden Wolle wird die Ausbeutung visualisiert. Wem dieses Schafbeispiel nicht geheuer ist, der kann alternativ davon ausgehen, daß in dieser Wendung einfach die präferierte Ernteweise eines Jägers bzw. Kürschners aufgegriffen wird, der dem erlegten Pelztier das Fell (möglichst vollständig) über den Kopf – und damit die Ohren – abzuziehen versucht. Während die mutmaßliche Vorgängerversion mit dem Kopf (statt der Ohren) schon im Mittelalter bekannt war, wurde die präzisere Abziehtechnik wohl erst später eingeführt. Als betrügerische Redewendung lässt sich die heutige Ohrenfassung für das 18. Jahrhundert belegen.

 

Wenn jemand die bzw. seine Felle weg-, fort- oder davonschwimmen sieht, so ist dies kein gutes Zeichen, denn diese Person sieht alle Hoffnungen zerrinnen. Diese Redewendung hat ihren Ursprung bei den Lohgerbern, die früher ihre pflanzlich gegerbten Felle im fließenden Stadtbach wässerten. Bei Unachtsamkeit konnte es schon einmal passieren, daß die Felle im Wasser davontrieben und nur mühsam, wenn überhaupt, wieder ans Ufer geholt werden konnten. In der deutschen Literatur ist diese Gerber-Panne zumindest seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Heute nicht mehr gebräuchlich ist die Formulierung „Betrübt sein/aussehen“ bzw. „ein Gesicht machen wie ein Lohgerber, dem die Felle weggeschwommen sind.“, wie sie etwa Friedrich Spielhagen (1829-1911) im Roman „Hammer und Amboß“ (1869) verwendete. Theodor Fontane (1819-1898) ließ im Roman „Frau Jenny Treibel“ (1892) über Alternativen im „Sprach- und Bilderschatze deutscher Nation“ sagen: „Alle Wendungen, die wir als Ausdruck für Verstimmungen und Betrübnisse haben, haben einen ausgesprochenen Unterschichtscharakter, und ich finde da zunächst nur noch den Lohgerber, dem die Felle weggeschwommen.“

Kommen wir nun zu einer Redewendung, die eine meiner Lieblingsbeschäftigungen nett umschreibt: Auf der Bärenhaut liegen heißt nämlich faulenzen. Der Ursprung dieser Wendung ist bei den alten Germanen zu suchen. Diese sollen nach einer etwas überspitzten Passage aus dem Werk „Germania“ (um 100) des römischen Geschichtsschreibers Publius Cornelius Tacitus (um 55 - um 120), wenn sie nicht gerade Krieg führten oder jagen mußten, am liebsten faul auf Fellen herumgelungert und großzügig alle Arbeit den Frauen überlassen haben. Das waren noch Zeiten! Am berühmt-berüchtigten Fleiß des deutschen Mannes sind also nicht unsere unkultivierten Vorfahren schuld, dieser Unsinn kann nichts mit Abstammung zu tun haben und muß uns in der Neuzeit selber eingefallen sein. Nur dem Staatswesen und seinen Bediensteten – und mir – ist es lange Zeit gelungen, sich von solchen Zumutungen freizuhalten. Es müssen Humanisten gewesen sein, die das Bärenhautliegen im 16. Jahrhundert in die deutsche Sprache und Amtsstuben einführten, schon weil Tacitus in der Faulheitspassage überhaupt keine Bärenhaut erwähnt hatte. Im 17. Jahrhundert war das Soldatenschimpfwort „Bärenhäuter“ für einen Mann geläufig, der lieber auf der eigenen und der Tierhaut lag, anstatt zu kämpfen. Vom faulen Nichtstuer hat auch die Erzählung „Der erste Beernhäuter“ (1670) ihre Heldenbezeichnung; in anderen Werken wie „Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch“ (1668) und „Der seltzame Springinsfeld“ (1670) prägte Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622-1676) ferner die Formulierung „(müßig) auf der faulen Bärenhaut liegen“, welche er „Bernhaut“ oder „Beerenhaut“ drucken ließ. Ohne „faul“ ist die abwertende Müßiggang-Wendung für das 18. Jahrhundert belegt. Allgemein bekannt wurde das angeblich germanische Bärenhautliegen wohl spätestens im 19. Jahrhundert, nachdem im studentischen Sauflied „Tacitus und die alten Deutschen“ ausdrücklich behauptet wurde, daß die alten Deutschen bei Trinkgelagen auf Bärenhäuten lagen – unter zweifelhafter Berufung auf den vermeintlichen Zeugen Tacitus.

Zuletzt etwas Versöhnliches, damit ich nicht tatsächlich Opfer eines Terroranschlags einer militanten Splittergruppe der Veganer werde – wie übrigens schon so mancher Bio-Fleischer (!). Bei der Redewendung „Das geht auf keine Kuhhaut“ muß nämlich das Tier eigentlich nicht geschlachtet werden, obwohl sich eine abgezogene und ausgebreitete Kuhhaut sicherlich besser beschreiben ließe; leider wurde das in diesem Fall auch wieder gemacht, aber von diesem Akteur konnte man auch nichts anderes erwarten. Die Wendung geht nämlich auf den mittelalterlichen Aberglauben zurück, daß der Teufel – dessen Wirken ich übrigens schon einmal in einer gesonderten Folge gewürdigt habe [vgl. Episode 2] – einem kurz vor dem Ableben Stehenden dessen Sündenregister auf einem aus Kuhhaut gefertigten Pergament vorhält. Und da die Haut einer ausgewachsenen Kuh relativ groß ist, vor allem in Relation zu den früher eigentlich zur Pergamentfertigung verwendeten Häuten von Schafen und Kälbern, zeugt es von besonders großer Schlechtigkeit, wenn noch nicht mal alle Sünden auf diesem überdimensionierten Blatt Platz finden! Das ursprüngliche Märchen war wohl um 1200 von einem Priester gegen das Schwatzen in der Kirche unters Volk gebracht worden: Der Teufel schreibt angeblich alles auf Pergament mit, das bei großer Geschwätzigkeit entsprechend größer ausfällt. In der Kirchenkunst des späten Mittelalters mußten natürlich insbesondere schwatzende Weiber abgebildet werden, die einen mitschreibenden Teufel (über)forderten. Heute drückt man mit dieser Redewendung seine große Empörung aus, z.B. über die Frechheiten oder Gemeinheiten bestimmter Personen. Die Ungeheuerlichkeit ist so unfaßbar groß und unbeschreiblich, daß selbst eine so große Schreibfläche wie die Kuhhaut nicht ausreicht, sie der Nachwelt in Worten zu hinterlassen. Seit dem 17. Jahrhundert ist dieser Empörungssatz belegt, nachdem das zu kleine Kuh-Pergament schon längere Zeit redensartlich für zu viel stand.

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Episode 14: Volksdroge Nr. 1

Ich hoffe, Sie denken bei der Volksdroge Nr. 1 nicht fälschlicherweise an Heroin oder Kokain, sondern an die in der Realität gefährlichste, weitverbreitetste – wenn auch gesellschaftlich nicht nur akzeptierte, sondern als „Kulturgut“ gefeierte – Droge – den Alkohol. Als beliebtestes Rausch- bzw. Realitätsentrinnungsmittel der Nation der Dichter und Denker, deren kulturelles Schaffen im Ausland so trefflich durch die Ballermänner- und -frauen auf einer bekannten Ferieninsel (beinahe 17. Bundesland!) repräsentiert wird, erscheint der Alkohol und seine Folgewirkungen natürlich auch in einer Unzahl von Redewendungen, von denen hier nur einige wenige behandelt werden können.

Vielleicht genehmigen Sie sich beim Lesen dieser Zeilen ja auch gerade ein alkoholisches Getränk, wobei sicherlich bei den kultivierten Lesern und Leserinnen edlere Getränke dieser Art, wie z.B. erlesene Weine, überwiegen, anstatt des primitiven Dosenbiers, mit dem man sich so kosteneffizient die Hucke vollsaufen kann. Die besagte „Hucke“ steht für „Rücken“ oder „Buckel“ bzw. eine „Rückentragelast“ und meint im übertragenen Sinne, daß man so viel getrunken hat, daß man sehr schwer daran zu tragen hat bzw. es schon problematisch ist, sich mit der vollen Hucke zu erheben. Der einst auch für einen Rückentragekorb oder ein Bündel (eines Hausierers) stehende spätmittelhochdeutsche Hucke-Begriff ist im Zusammenhang mit dem Betrinken wahrscheinlich erst im 20. Jahrhundert in die deutsche Sprache eingegangen, während andere Vollhucke-Redewendungen schon viel früher üblich geworden sind. Für diesen Zustand des Vollseins hat natürlich eine Trinkernation, wie unsere, diverse veranschaulichende Ausdrücke parat: Man ist dann voll bis zum Eichstrich, voll wie eine Strandhaubitze, ... wie ein Eimer, ... wie ein Hamster oder einfach nur blau: Dieser Ausdruck geht wohl auf die ältere Redewendung „Es wird einem blau vor Augen“ zurück. Angesprochen ist hierbei der bei Schwindelgefühlen mit eventuell folgender Ohnmacht kurzzeitig entstehende blaue Schleier vor den Augen. Und da der Rauschzustand u.a. von gewissen Schwindelgefühlen begleitet wird, kam man zum Blausein als Bezeichnung für den Zustand der Trunkenheit. Heutzutage verwendet man übrigens bei Schwindelgefühlen eher die gesteigerte Version „Es wird einem schwarz vor Augen“, während sich im Zusammenhang mit der Trunkenheit die Farbe Blau gehalten hat. Ein anderer Erklärungsansatz zum Blausein geht von einer Anspielung auf die bläuliche Färbung der Nase eines Trinkers aus. Jedenfalls gibt es zum Thema Blausein wieder diverse ergänzende Erläuterungen: Blau sein wie ein Veilchen, ... wie ein Eckhaus, ... wie (zehn)tausend Mann, ... wie eine Frostbeule, usw.

In manchen Kreisen gilt es ja sogar als schick und männlich (emanzipierte Frauen ziehen aber langsam nach), wenn man saufen kann wie ein Bürstenbinder, ... wie ein Loch, ... wie eine Senke, ... wie ein Schwamm, ... wie ein Kapuziner, ... wie ein Pferd, etc. Nur der Bürstenbinder bedarf einer Erklärung: Dieser fast ausgestorbene Handwerker gilt schon seit jeher als trinkfest, aufgrund einer sprachlichen Fehlannahme. Das frühneuhochdeutsche Verb „bürsten“ stand im übertragenen Sinne auch für „viel trinken“ bzw. „zechen“. Und wer viel Ahnung von Bürsten hat, weil er sie herstellt und vertreibt, der mußte doch mindestens genauso viel Ahnung vom Bürsten im Sinne von „saufen“ haben, so die neuzeitliche Logik. Die redensartliche Diffamierung des Bürstenbinders als Säufer deutete Johann Fischart (1546/47-1591) im „Trunken Gespräch“ seiner „Geschichtklitterung“ (1575) an. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622-1676) nannte in „Trutz Simplex“ (1670) Redewendung und Problematik beim Namen: Darneben beflisse ich mich aufs höchste, alle meine Weibliche Sitten auszumustern, und hingegen Mannliche anzunehmen; ich lernte mit Fleiß fluchen wie ein anderer Soldat, und darneben Sauffen wie ein Bürstenbinder, ...“

Ich möchte hier aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als wenn ich mich darüber lustig machen würde, daß manche Personen ihr Leben halt nur im Suff ertragen können. In den meisten Fällen kann ich dies voll und ganz nachvollziehen!

Außerdem gelingt es mir schon deshalb nicht völlig, mich von dem grölenden, biersaufenden Pöbel abzuheben, weil ich ab und zu auch nicht abgeneigt bin, einen zu zwitschern. (Natürlich nur zur Bewußtseinserweiterung, die es mir u.a. ermöglicht, Texte wie diesen zu verfassen.) Entweder bezieht sich diese Wendung explizit auf das Trinken eines Gläschens Zwetschgenschnaps, mit oder ohne entsprechend geräuschvollem Ausschlürfen des Schnapsglases, oder das Zwitschern soll eher auf die ausgelassene, lustige Stimmung eines sich Betrinkenden hinweisen, der schon mal ohne Vorwarnung wie ein Vogel draufloszwitschern kann. So genau weiß man dies nicht. Die zweite Variante scheint die wahrscheinlichere zu sein. Zumindest soll das Zwitschern schon im vorigen Jahrhundert als Bezeichnung des (gemäßigten) Alkoholkonsums verwendet worden sein; speziell für Berlin ist dieser Trink-Begriff für das Jahr 1880 belegt.

Andere Beschreibungen des Alkoholkonsums knüpfen an verklausulierte anatomische Details an: Wenn man sich einen hinter die Binde kippt oder gießt, ist damit der „Binder“ bzw. „Schlips“ gemeint. Und hinter diesem Männerhalstuch lag der Hals, in den man alles reinkippte. Diese Wendung, die um 1850 aufgekommen sein soll, ist also – wider den ersten Eindruck – gerade für Männer ausgelegt! Etwa für Wilhelm Busch (1832-1908), der einer „Tante“ per Brief gestand, „fast zwei ganze Gläser Portwein hinter die Binde gegoßen“ zu haben. Bei der Redewendung „sich den Kanal vollaufen lassen“ steht der Kanal für den Verdauungsweg vom Mund über die Speiseröhre bis hin zum Magen. Und wenn man als Folge dann einen in der Krone hat, so steht die besagte Krone nicht für den feudalen Kopfschmuck, sondern einfach im übertragenen Sinne für den Kopf, dessen potentiell vorhandener Inhalt ja bekanntlich durch den Alkohol vorübergehend negative Beeinflussung erfährt.

Kommen wir nun zum Tag nach dem ausgiebigen Drogenkonsum, der, außer so mancher Vaterschaftsklage und/oder HIV-Infektion, i.d.R. auch bewirkt, daß der Säufer einen Kater hat. Wenn Sie glauben, in dieser Redewendung hätten wir es ganz sicher mit der männlichen Ausführung einer Katze [vgl. Episode 10] zu tun, so liegen sie vermutlich (so genau weiß man dies schon wieder nicht) völlig falsch. Das Wort „Kater“ soll in diesem Zusammenhang seinen Ursprung in Sachsen haben, also der Region, die sich heutzutage „Freistaat“ nennt und nach der Eingemeindung 1990 offiziell zur Bundesrepublik gehört. Es hat sich vermutlich aus der vulgären sächsischen Ausspracheform des Wortes „Katarrh“ (= einfache Schleimhautentzündung) entwickelt. In der Volkssprache bedeutet dies soviel wie „Schnupfen“, „Kopfweh“ und „Unwohlsein“. Insbesondere die beiden letzten Bedeutungen passen also ganz genau zu dem Zustand nach einer ergiebigen Alkoholisierung. Erst später soll, vor allem in Regionen, in denen diese merkwürdige volkstümliche Aussprache nicht verständlich war (also im gesamten Rest der Welt), der „Kater“ aus Unkenntnis der sächsischen Sprachgewohnheiten mit der männlichen Katze gleichgesetzt und scherzhaft für den Zustand nach ausgiebigem Alkoholgenuß verwendet worden sein. Gleichwohl sollen es zuerst Leipziger Studenten gewesen sein, die Mitte des 19. Jahrhunderts die bei ihnen öfter aufgetretene leichte Alkoholvergiftung als Kater bezeichneten. So hat also die Volksgruppe, deren eigenwillige sprachliche Auslegung des Deutschen das Leben auf diesem Planeten um einiges lustiger macht, unbewußt die Grundlagen zu diesem heute allgemein gebräuchlichen Terminus gelegt – zumindest nach dieser Theorie des Ursprungs dieser Redewendung. Alle konkurrierenden Ansätze, die den Alkohol-Kater meist dennoch aus dem Katzenbegriff herzuleiten versuchen, sind aber weniger plausibel. Um so plausibler sind hingegen das Katerfrühstück, das zur Bekämpfung der alkoholischen Folgewirkungen beitragen soll, oder die Katerstimmung, welche man als recht ernüchternd beschreiben kann, denn auch seelisch und körperlich muß man für ein ordentliches Besäufnis i.d.R. schon einen gewissen Preis zahlen.

 

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