Die böse Macht

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

5 _______

Das Aufstehen und die morgendliche Haushaltsarbeit waren für Jane viel angenehmer, weil sie Mrs. Dimble bei sich hatte. Mark half ihr häufig, da er aber die Ansicht vertrat – und Jane spürte es immer, auch wenn er es nicht sagte –, es müsse nur »irgendwie getan« werden, Jane mache sich eine Menge unnötiger Arbeit und Männer könnten einen Haushalt mit einem Zehntel des Aufhebens in Ordnung halten, das Frauen davon machten, war Marks Hilfe häufig ein Anlass für Streitereien zwischen ihnen. Mrs. Dimble dagegen machte alles so, wie sie es wollte. Es war ein heller, sonniger Morgen, und als sie sich zum Frühstück in die Küche setzten, fühlte auch Jane sich heiter und aufgeräumt. Während der Nacht hatte sie sich eine bequeme Theorie zurechtgelegt, derzufol-ge allein die Tatsache ihres Besuchs bei Miss Ironwood und der Aussprache mit ihr die Träume wahrscheinlich zum Verschwinden bringen würde. Damit wäre die Episode abgeschlossen. Und nun dachte sie an die aufregende Möglichkeit von Marks neuer Stellung, auf die man sich freuen konnte, und begann, sich Zukunftsbilder auszumalen.

Mrs. Dimble wollte gerne wissen, was Jane in St. Anne’s erlebt hatte und wann sie wieder hinausfahren werde. Auf die erste Frage antwortete Jane ausweichend, und Mrs. Dimble war zu höflich, sie zu bedrängen. Zur zweiten Frage meinte Jane, sie werde Miss Ironwood nicht wieder behelligen und sie lasse sich auch nicht länger von den Träumen behelligen. Sie sagte, sie sei albern gewesen, aber jetzt sei alles in Ordnung. Dann blickte sie auf die Uhr und fragte sich, warum Mrs. Maggs noch nicht erschienen sei.

»Ich fürchte, meine Liebe, Sie haben Ivy Maggs verloren«, sagte Mrs. Dimble. »Habe ich Ihnen nicht erzählt, dass man auch sie auf die Straße gesetzt hat? Ich dachte, es wäre Ihnen klar, dass sie in Zukunft nicht mehr zu Ihnen kommen würde. Sie hat hier in Edgestow keine Bleibe mehr, wissen Sie.«

»Mist!«, sagte Jane und fügte ohne großes Interesse hinzu: »Wissen Sie, was sie jetzt macht?«

»Sie geht nach St. Anne’s.«

»Hat sie dort Freunde?«

»Sie ist mit Cecil und mir in das Landhaus gezogen.«

»Hat sie dort eine Stellung gefunden?«

»Nun ja, ich nehme an, man kann es so nennen.«

Mrs. Dimble ging um elf. Auch sie wollte anscheinend nach St. Anne’s, würde aber vorher noch ihren Mann treffen und mit ihm im Northumberland College zu Mittag essen. Jane ging mit ihr in die Stadt hinunter, um ein paar Einkäufe zu machen, und sie trennten sich am unteren Ende der Market Street. Kurz darauf traf Jane Mr. Curry.

»Haben Sie die Neuigkeit schon gehört, Mrs. Studdock?«, fragte Curry. Er tat immer sehr bedeutsam und hatte stets

einen etwas vertraulichen Ton. An diesem Morgen war beides noch auffälliger als sonst.

»Nein. Was ist passiert?«, sagte Jane.

Sie hielt Mr. Curry für einen aufgeblasenen Trottel und Mark für einen Dummkopf, weil er sich von ihm beeindrucken ließ. Aber sobald Curry zu sprechen begann, zeigte ihr Gesicht alle Verwunderung und Bestürzung, die er sich nur wünschen konnte. Und diesmal waren sie nicht geheuchelt. Er erzählte ihr, dass Mr. Hingest ermordet worden sei, irgendwann während der Nacht oder in den frühen Morgenstunden. Der Leichnam sei neben seinem Wagen in der Potters Lane gefunden worden, mit eingeschlagenem Schädel. Er war auf dem Weg von Belbury nach Edgestow gewesen. Er, Curry, eile gerade ins College zurück, um dem Rektor Bericht zu erstatten, er komme soeben von der Polizei. Offensichtlich hatte Curry sich den Mordfall bereits angeeignet. Die Angelegenheit lag in irgendeinem undefinierbaren Sinne in seinen Händen, und die Verantwortung lastete schwer auf ihm. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Jane dies alles komisch gefunden. Sie entwischte ihm so bald wie möglich und ging zu Blackies, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Sie musste sich hinsetzen.

An sich machte Hingests Tod ihr nichts aus. Sie war ihm nur einmal begegnet und wie Mark der Ansicht, er sei ein unangenehmer alter Mann und ein ziemlicher Snob. Aber die Gewissheit, dass sie in ihrem Traum Zeugin einer wirklichen Mordtat geworden war, zertrümmerte mit einem Schlag alle tröstlichen Vorspiegelungen, mit denen dieser Tag begonnen hatte. Mit schmerzlicher Klarheit wurde ihr bewusst, dass die Sache mit ihren Träumen keineswegs beendet war, sondern gerade erst begann. Unwiderruflich war etwas in das heitere, umfriedete kleine Leben, das sie hatte führen wollen, eingebrochen. Auf allen Seiten öffneten sich Fenster in ungeheure dunkle Landschaften, und sie hatte nicht die Macht, sie zu schließen. Es würde sie um den Verstand bringen, wenn sie allein damit fertig werden müsste. Die andere Alternative war, wieder Miss Ironwood aufzusuchen. Aber dieser Weg schien nur noch tiefer in all diese Dunkelheit hineinzuführen. Das Landhaus in St. Anne’s – diese »Art Gesellschaft« – hatte auch etwas mit der Sache zu tun. Sie wollte da nicht hineingezogen werden. Es war ungerecht. Sie verlangte doch gar nicht viel vom Leben. Sie wollte nur in Ruhe gelassen werden. Und es war so widersinnig! Nach ihrer ganzen bisherigen Überzeugung konnte es solche Dinge nicht wirklich geben.

6 _______

Cosser – der sommersprossige Mann mit dem schmalen schwarzen Schnurrbart – kam auf Mark zu, als dieser die Ausschusssitzung verließ.

»Es gibt etwas zu tun für uns beide«, sagte er. »Wir müssen einen Bericht über Cure Hardy zusammenstellen.«

Mark war sehr erleichtert, etwas zu tun zu bekommen. Aber er fühlte sich ein wenig vor den Kopf gestoßen, denn er hatte Cosser nicht sehr gemocht, als er ihn am Vortag kennen gelernt hatte.

»Soll das heißen«, sagte er, »dass ich nun doch Steele zugeordnet bin?«

»Jawohl«, sagte Cosser.

»Ich frage nur«, sagte Mark, »weil weder er noch Sie besonders erpicht darauf schienen, mich zu bekommen. Ich will mich nicht aufdrängen, wissen Sie. Ich brauche überhaupt nicht im Institut zu bleiben, was das angeht.«

»Nun, wir wollen hier nicht darüber reden«, sagte Cosser. »Kommen Sie mit nach oben.«

Sie standen in der Eingangshalle, und Mark sah Wither in Gedanken versunken auf sie zukommen.

»Wäre es nicht besser, mit ihm zu reden und die ganze Sache zu klären?«, schlug Mark vor. Aber nachdem der Vizedirektor sich ihnen bis auf zehn Fuß genähert hatte, war er in eine andere Richtung abgebogen. Er summte vor sich hin und schien so tief in Gedanken versunken, dass Mark den Augenblick für eine Unterredung ungeeignet fand. Cosser sagte nichts, schien aber genauso zu denken, und so folgte Mark ihm hinauf zu einem Büro im dritten Stock.

»Es geht um das Dorf Cure Hardy«, sagte Cosser, als sie sich gesetzt hatten. »Sehen Sie, sobald die Arbeiten richtig losgehen, wird diese ganze Gegend um den Bragdon-Wald nicht viel mehr als eine Schlammwüste sein. Warum wir ausgerechnet dorthin wollen, weiß der Teufel. Wie dem auch sei, nach dem neuesten Plan soll der Wynd umgeleitet werden. Das alte Flussbett durch Edgestow soll ganz trockengelegt werden.

Sehen Sie, hier ist Shillingbridge, zehn Meilen nördlich der Stadt. Dort wird der Fluss umgeleitet und durch einen Kanal im Osten um Edgestow herumgeführt, hier, wo die blaue Linie verläuft. Dort unten mündet er dann wieder in das alte Flussbett.«

»Damit wird die Universität kaum einverstanden sein«, sagte Mark. »Was wäre Edgestow ohne den Fluss?«

»Die Universität haben wir in der Hand«, sagte Cosser. »Seien Sie unbesorgt. Und damit haben wir auch gar nichts zu tun. Die Sache ist die, dass der neue Wynd direkt durch Cure Hardy fließen wird. Nun sehen Sie sich einmal die Höhenlinien an. Cure Hardy liegt in einem engen kleinen Tal. Wie? Ach, Sie sind schon dort gewesen? Umso besser. Ich selbst kenne diese Gegend nicht. Also, der Gedanke war, am südlichen Talausgang einen Damm zu errichten und einen großen See aufzustauen. Als zweitwichtigste Stadt des Landes wird Edgestow eine neue Wasserversorgung brauchen.«

»Und was geschieht mit Cure Hardy?«

»Das ist ein weiterer Vorteil. Wir bauen vier Meilen weiter – da drüben, an der Bahnlinie – ein neues Musterdorf. Es wird Jules Hardy oder Wither Hardy heißen.«

»Wissen Sie, das wird einen höllischen Stunk geben, wenn Sie mich fragen. Cure Hardy ist berühmt. Es ist eine Sehenswürdigkeit. Da gibt es ein Spital aus dem sechzehnten Jahrhundert und eine normannische Kirche und all so was.«

»Genau. Und hier liegt unsere Aufgabe. Wir müssen einen Bericht über Cure Hardy verfassen. Morgen fahren wir hinaus und sehen uns einmal um, aber den größten Teil des Berichts können wir heute schon schreiben. Das dürfte nicht weiter schwierig sein. Wenn es eine Sehenswürdigkeit ist, können Sie sich darauf verlassen, dass es unhygienisch ist. Das ist der erste Punkt, den wir herausstreichen müssen. Dann müssen wir ein paar Tatsachen über die Bevölkerung herausfinden. Sie besteht wahrscheinlich zum überwiegenden Teil aus den beiden höchst unerwünschten Elementen – kleinen Rentnern und Landarbeitern.«

»Der kleine Rentner ist ein schlechtes Element, darin gebe ich Ihnen Recht«, sagte Mark. »Aber ich denke, über die Landarbeiter lässt sich streiten.«

»Das Institut hält nichts von ihnen. In einer durchgeplanten Gesellschaft stellen sie immer ein rückständiges und sehr widerspenstiges Element dar. Wir halten nicht viel von englischer Landwirtschaft. Sie sehen also, wir brauchen nur ein paar Fakten zu überprüfen. Davon abgesehen schreibt sich der Bericht beinahe von selbst.«

Mark schwieg einen Augenblick. »Das ist kein Problem«, sagte er, »aber bevor ich damit anfange, möchte ich gern et-was Genaueres über meine Position wissen. Sollte ich nicht mit Steele sprechen? Ich habe keine große Lust, mit der Arbeit in dieser Abteilung anzufangen, wenn er mich nicht haben will.«

 

»Das würde ich nicht tun«, sagte Cosser.

»Warum nicht?«

»Nun, zum einen kann Steele nichts gegen Sie machen, wenn der VD Sie unterstützt, wie er es einstweilen zu tun scheint. Zum anderen ist Steele ein ziemlich gefährlicher Mann. Wenn Sie einfach ruhig Ihre Arbeit tun, könnte er sich mit der Zeit an Sie gewöhnen. Aber wenn Sie hingehen und mit ihm reden, könnten Sie Krach bekommen. Und dann ist da noch etwas.« Cosser machte eine Pause, rieb nachdenklich seine Nase und fuhr fort: »Unter uns gesagt, ich glaube nicht, dass es in dieser Abteilung noch lange so weitergehen kann wie bisher.«

Mark hatte in Bracton bereits genug Erfahrungen gesammelt, um zu verstehen, was damit gemeint war. Cosser hoffte, Steele ganz aus der Abteilung verdrängen zu können. Mark glaubte, die ganze Situation zu durchschauen. Steele war gefährlich, solange er auf seinem Posten saß, aber das konnte sich bald ändern.

»Gestern hatte ich den Eindruck«, sagte Mark, »dass Sie und Steele ziemlich gut miteinander auskommen.«

»Hier kommt es darauf an, nie mit jemandem zu streiten«, sagte Cosser. »Auch ich selbst hasse Streitigkeiten und kann mit jedem zurechtkommen – solange die Arbeit getan wird.«

»Natürlich«, sagte Mark. »Übrigens, wenn wir morgen nach Cure Hardy fahren, könnte ich die Nacht zu Hause in Edgestow verbringen.«

Für Mark hing viel von der Antwort auf diese Bemerkung ab. Er konnte daran erkennen, ob Cosser tatsächlich sein Vorgesetzter war. Wenn Cosser sagte: »Das können Sie nicht machen«, dann wusste er wenigstens, woran er war. Wenn Cosser sagte, er könne auf Mark nicht verzichten — noch besser. Oder Cosser könnte antworten, er solle den Vizedirektor fragen. Auch dann wäre Mark sich seiner Position sicherer gewesen. Aber Cosser sagte bloß »oh« und ließ Mark im Zweifel, ob man sich gar nicht abmelden musste oder ob er als Institutsmitglied noch nicht hinreichend etabliert war, als dass seine Abwesenheit von Bedeutung gewesen wäre. Dann begannen sie mit der Arbeit an ihrem Bericht.

Er beschäftigte sie den Rest des Tages, sodass Cosser und er verspätet und ohne sich umgezogen zu haben zum Abendessen kamen. Das versetzte Mark in eine höchst angenehme Stimmung. Und auch das Essen schmeckte ihm. Obgleich er unter Männern war, die er noch nie gesehen hatte, kam es ihm nach ein paar Minuten so vor, als kenne er sie alle, und er nahm ungezwungen am Tischgespräch teil. Er geriet mit ihnen ins Fachsimpeln.

»Wie hübsch!«, dachte Mark, als der Wagen am nächsten Morgen bei Duke’s Eaton die Hauptstraße verließ und auf einer holperigen kleinen Landstraße in das lang gestreckte Tal fuhr, in dem Cure Hardy lag. Mark war im Allgemeinen nicht sehr empfänglich für Schönheit, aber Jane und seine Liebe zu ihr hatten ihn in dieser Hinsicht bereits ein wenig wachgerüttelt. Vielleicht machte der sonnige Wintermorgen einen so starken Eindruck auf ihn, weil niemand ihn gelehrt hatte, so etwas als besonders schön zu betrachten, und er daher ganz unmittelbar auf seine Sinne wirken konnte. Erde und Himmel waren wie frisch gewaschen, die braunen Felder waren richtiggehend appetitlich, und die Wiesen auf den Hügelkuppen sahen aus wie die gestutzte Mähne eines Pferdes. Der Himmel schien weiter entfernt zu sein als sonst, doch auch klarer, sodass die Ränder der langen, schmalen Wolkenstreifen (schieferfarben vor blassem Blau) so scharf waren wie auf einem Scherenschnitt. Jede kleine Baumgruppe war schwarz und struppig wie eine Bürste, und als der Wagen in Cure Hardy hielt und der Motor abgeschaltet war, war die Stille vom Krächzen der Krähen erfüllt, die zu rufen schienen: »Wart! Wart!«

»Machen einen schrecklichen Lärm, diese Vögel«, sagte Cosser. »Haben Sie die Karte? Gut, dann also los.« Er ging sofort an die Arbeit.

Zwei Stunden lang wanderten sie durch das Dorf und sahen mit eigenen Augen all die Missstände und Anachronismen, die sie zerstören wollten. Sie sahen den widerspenstigen und rückständigen Landarbeiter und hörten seine Ansichten über das Wetter. Sie begegneten dem verschwenderisch unterstützten Armen in der Gestalt eines alten Mannes, der über den Hof des Spitals schlurfte, um einen Kessel zu füllen, und beobachteten eine Rentnerin (um das Maß voll zu machen, hatte sie einen fetten alten Hund bei sich) in ernstem Gespräch mit dem Postboten. Das gab Mark das Gefühl, in den Ferien zu sein, denn nur in Ferienzeiten war er je in ein englisches Dorf gekommen. Aus diesem Grund machte es ihm Spaß. Es entging ihm nicht, dass das Gesicht des rückständigen Landarbeiters um einiges interessanter war als das Cossers und seine Stimme dem Ohr viel angenehmer. Die Ähnlichkeit zwischen der Rentnerin und Tante Gilly (wann hatte er das letzte Mal an sie gedacht? Lieber Himmel, das lag lange zurück …) machte ihm klar, wie es möglich war, eine solche Person zu mögen. All das beeinflusste jedoch nicht im Geringsten seine soziologischen Überzeugungen. Selbst wenn er nichts mit Belbury zu tun und keinerlei Ehrgeiz gehabt hätte, wäre es nicht anders gewesen, denn seine Erziehung hatte dazu geführt, dass ihm Gelesenes und Geschriebenes wirklicher vorkamen als die Dinge, die er sah. Statistiken über Landarbeiter waren das Wesentliche: jeder wirkliche Grabenmacher, Pflüger oder Melker war nur ein Schatten. Obgleich es ihm selbst niemals aufgefallen war, vermied er nach Möglichkeit in seiner Arbeit Worte wie Mann oder Frau. Er zog es vor, über Berufsgruppen, Elemente, Klassen, Populationen und dergleichen zu schreiben, denn auf seine Art glaubte er so fest wie jeder Mystiker an die übergeordnete Wirklichkeit der Dinge, die man nicht sehen kann. Dennoch konnte er nicht umhin, dieses Dorf zu mögen. Als er gegen ein Uhr Cosser überredete, im Wirtshaus einzukehren, sagte er es sogar. Sie hatten beide Sandwiches mitgebracht, aber Mark hatte Lust auf ein Bier. In der Gaststube war es sehr warm und ziemlich dunkel, denn das Fenster war klein. Zwei Arbeiter (zweifellos widerspenstig und rückständig) saßen vor irdenen Krügen und aßen dicke Stullen, und ein dritter lehnte an der Theke und unterhielt sich mit dem Wirt.

»Für mich kein Bier, danke«, sagte Cosser. »Und wir wollen lieber nicht zu lange hier herumhängen. Was haben Sie gesagt?«

»Ich habe gesagt, dass ein Ort wie dieser an einem schönen Tag doch recht reizvoll ist, trotz all seiner offensichtlichen Mängel.«

»Ja, es ist in der Tat ein schöner Tag. Ein bisschen Sonnenschein ist wirklich gut für die Gesundheit.«

»Ich dachte an den Ort.«

»Sie meinen dies hier?«, sagte Cosser mit einem Blick durch den Raum. »Ich dachte, das wäre gerade das, was wir loswerden wollen. Kein Licht, keine Luft. Ich selbst habe für Alkohol nicht viel übrig – Sie sollten mal den Miller-Report lesen –, aber wenn die Leute sich unbedingt stimulieren müssen, dann sollte das wenigstens in einer hygienischeren Form geschehen.«

»Ich glaube nicht, dass es nur um das Stimulieren geht«, sagte Mark und blickte in seinen Bierkrug. Die ganze Situation erinnerte ihn an lang zurückliegende Wirtshausge-spräche – an Gelächter und Diskussionen während seiner

Studentenzeit. Irgendwie hatte man sich damals leichter angefreundet. Er fragte sich, was aus der ganzen Truppe wohl geworden war – aus Carey und Wadsden und aus Denniston, der beinahe seinen eigenen Lehrstuhl bekommen hätte.

»Nun, dazu kann ich nicht viel sagen«, meinte Cosser, »Ernährungswissenschaft ist nicht mein Fach. Da müssen Sie Stock fragen.«

»Ich denke nicht so sehr an diesen Pub«, sagte Mark, »sondern an das ganze Dorf. Natürlich haben Sie Recht: solche Dinge müssen verschwinden. Aber es hatte auch seine angenehmen Seiten. Wir werden Acht geben müssen, dass das neue Dorf das alte wirklich in allen Bereichen übertrifft – nicht bloß in der Effizienz.«

»Ah, Architektur und so«, sagte Cosser. »Nun, das ist kaum mein Fachgebiet, wissen Sie. Das ist mehr etwas für Leute wie Wither. Sind Sie fertig?«

Ganz plötzlich überkam Mark die Erkenntnis, was für ein schrecklicher Langweiler dieser Mann war, und im selben Augenblick war er das N.I.C.E. entsetzlich leid. Aber er hielt sich vor Augen, dass man nicht erwarten könne, sofort in den interessanten Kreis aufgenommen zu werden; später würde es schon besser werden. Außerdem hatte er noch nicht alle Brücken hinter sich abgebrochen. Vielleicht würde er den ganzen Krempel hinwerfen und in ein, zwei Tagen zum College zurückkehren. Aber noch nicht sofort. Es schien nur vernünftig, noch eine Weile auszuharren und zu sehen, wie die Dinge sich entwickelten.

Auf der Rückfahrt setzte Cosser ihn in der Nähe des Bahnhofs von Edgestow ab, und während Mark zu Fuß nach Hause ging, überlegte er, was er Jane über Belbury erzählen würde. Es wäre falsch zu sagen, er denke sich bewusst eine Lüge aus. Als er sich vorstellte, wie er die Wohnung betrat und in Janes fragendes Gesicht blickte, hörte er unwillkürlich, wie seine eigene Stimme die Grundzüge von Belbury amüsant und selbstbewusst schilderte. Diese imaginäre Rede vertrieb nach und nach die wirklichen Erfahrungen, die er dort gemacht hatte, aus seinem Bewusstsein. Jene wirklichen Erfahrungen, die Befürchtungen und das Unbehagen verstärkten sogar noch sein Verlangen, in den Augen seiner Frau eine gute Figur zu machen. Beinahe unbewusst hatte er beschlossen, die Sache mit Cure Hardy nicht zu erwähnen; Jane hatte etwas übrig für alte Gebäude und dergleichen. So stand Jane – die gerade die Vorhänge zuzog –, als sie die Tür gehen hörte und sich umdrehte, einem ziemlich unbeschwerten und aufgekratzten Mark gegenüber. Ja, er sei fast sicher, dass er die Stellung bekommen habe. Die Gehaltsfrage sei noch nicht endgültig geklärt, aber er werde sich morgen darum kümmern. Es sei ein komischer Ort, aber das werde er ihr alles später erklären. Er habe auch bereits die richtigen Leute getroffen. Wither und Miss Hardcastle seien die entscheidenden Personen. »Ich muss dir von dieser Hardcastle erzählen«, sagte er. »Das ist eine unglaubliche Frau.«

Jane musste sehr viel schneller als Mark entscheiden, was sie ihm sagen würde und was nicht. Und sie beschloss, nichts von den Träumen und ihrem Besuch in St. Anne’s zu erzählen. Männer konnten Frauen, mit denen etwas nicht stimmte, nicht leiden, schon gar nicht, wenn es dabei um seltsame, ungewöhnliche Dinge ging. Es fiel ihr nicht schwer, bei ihrer Entscheidung zu bleiben, denn Mark war von seinen eigenen Geschichten so in Anspruch genommen, dass er ihr keine Fragen stellte. Was er sagte, konnte sie allerdings nicht recht überzeugen, weil alle Einzelheiten unbestimmt blieben. Sehr bald schon unterbrach sie ihn mit scharfer, ängstlicher Stimme (sie hatte keine Ahnung, wie zuwider ihm dieser Tonfall war): »Mark, du hast doch nicht etwa deinen Lehrstuhl am Bracton College aufgegeben?« Er sagte Nein, natürlich nicht, und redete weiter. Sie hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie wusste, dass er manchmal hochfliegende Pläne hatte, und etwas in seinem Gesicht sagte ihr, dass er während seiner Abwesenheit viel mehr getrunken hatte als gewöhnlich. Und so stellte das Vogelmännchen den ganzen Abend lang sein Gefieder zur Schau, und das Vogelweibchen spielte seine Rolle, stellte Fragen, lachte und heuchelte mehr Interesse, als es empfand. Beide waren jung, und wenn auch keiner den anderen sehr innig liebte, so wollte doch jeder bewundert sein.