Seewölfe Paket 22

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Die Zeit verstrich. Gegen elf Uhr hatte die „Caribian Queen“ die Südwestspitze Haitis hinter sich gelassen und hielt weiterhin Kurs Südsüdwest. Als soeben der Klang der Glocke verstummt war, die das Durchlaufen des Stundenglases verkündete, ertönte aus dem Hauptmars die Stimme von Pedro Ortiz.

„Deck! Mastspitzen achteraus!“

Siri-Tong, Araua und die Männer richteten ihre Blicke sofort nach achtern, und wenig später hatten auch sie mit ihren Kiekern die Mastspitzen entdeckt, die sich wie feine Nadeln aus der See hoben.

Eine halbe Stunde später stellte sich heraus, daß es zwei Zweimastschaluppen waren.

„Der Admiral“, sagte die Rote Korsarin mit grimmiger Miene. „Also doch.“

„Offenbar ist es den Kerlen gelungen, auf der angeschossenen Schaluppe den Vormast erneut zu riggen“, sagte Hasard. „Eine beachtliche Leistung, das muß man ihnen bei objektiver Betrachtung der Dinge lassen.“

„Das klingt ja beinah anerkennend“, sagte sie und war alles andere als entzückt.

„Soll es aber nicht sein“, sagte der Seewolf. „Sie sind auch mir lästig.“

Jean Ribault unkte: „Das kommt noch so weit, daß uns diese Bastarde bis San Blas auf der Pelle sitzen und zuschauen, wie wir an Land gesetzt werden.“

„Hör bloß auf“, sagte Siri-Tong. „Das fehlte noch.“

„Mir drängt sich da ein Vergleich auf“, sagte Ribault. „Wir sind der edle Hirsch, der von Kötern angekläfft wird.“

„Nun übertreibe mal nicht“, sagte Ben Brighton. „So edel sind wir nun auch wieder nicht, und vor allem nicht hochwohlgeboren.“

„Gott bewahre uns davor“, sagte der Franzose. Und so dachten auch die anderen, denn gerade mit den „Durchlauchten“ und „Hochwohlgeborenen“ hatten sie auch zuletzt wieder die übelsten Erfahrungen gemacht.

„Aber der Vergleich trifft in gewissem Sinne schon zu“, sagte der Seewolf. „Wobei das Ärgerliche für uns darin besteht, daß wir keine Initiative ergreifen können. Wenn wir auf unsere Verfolger zudrehen, weichen die uns fast lässig aus.“

„Leider“, sagte die Rote Korsarin. „Aber daran muß sich was ändern. So kann das nicht weitergehen.“

Die Lage zehrte erheblich an ihren Nerven, denn hier war die Situation einmal völlig umgekehrt. Sonst waren es die Schiffe des Bundes der Korsaren, die wie Kletten an Geleitzügen oder Einzelfahrern hingen, bereit, irgendwann in einem günstigen Moment zuzupacken und zu entern. Jetzt aber waren sie das Wild, das von zwei im Grunde völlig lächerlichen Schaluppen gejagt und verfolgt wurde.

Da waren auch die Männer der Crews aufgebracht, vor allem deshalb, weil ihnen die Hände gebunden waren. Wütend blickten sie zu den beiden Zweimastern und stießen Flüche aus.

„Dreck“, sagte der Profos. „Das gefällt mir gar nicht.“

„Mir vielleicht?“ sagte Blacky. „Wir können nichts, aber auch gar nichts gegen so einen Verfolger unternehmen, der schnell und wendig genug ist, auszukneifen, sobald wir versuchen, den Spieß umzudrehen.“

„Schöne Scheiße“, sagte Big Old Shane. „Wie lange wollen die uns noch zum Narren halten?“

Hasard trat zu ihm an die Schmuckbalustrade. Er blieb vorläufig noch gelassen und spöttelte: „Da seht ihr mal, wie das ist, wenn einem jemand auf der Pelle sitzt. Ist das nicht eine lehrreiche Erfahrung für uns, die besagt, nicht nervös zu werden und herumzuzappeln? Übt euch gefälligst in Geduld.“

„Das ist ein schöner Spruch“, sagte Shane grimmig. „Aber es liegt mir nicht, einfach rumzustehen und abzuwarten, was geschieht.“

„Dann laßt euch doch was einfallen, wie wir, den Kerlen die Suppe versalzen können“, sagte der Seewolf.

Carberry blickte zu ihm auf. „Fällt dir nichts ein, Sir?“ fragte er mißgelaunt.

„Warum immer ich?“ fragte Hasard zurück und grinste.

Die Stimmung sank allmählich auf den Nullpunkt. Das Frühstück, von den vier „Rattenköchen“, wie Carberry sie jetzt nannte, in aller Eile gezaubert, war vergessen, und auch die Mittagsmahlzeit konnte daran nichts mehr ändern. Alle dachten darüber nach, wie man den Admiral und dessen Meute von Kerlen am besten packen konnte. Es mußte doch einen Weg geben. Aber welchen?

3.

Big Old Shane trat an das Backbordschanzkleid des Achterdecks, drehte sich um, lehnte sich dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ja, zum Donnerwetter noch mal“, sagte er grollend. „Das ist aber auch wirklich zu schade.“

„Was denn?“ fragte Ferris.

„Daß du deine Höllenflaschenabschußkanone nicht mit dabei hast.“

„Ach so.“ Der rothaarige Riese kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Ja, da hast du recht. Die Schleudermaschine hätten wir jetzt gut brauchen können. Aber ich kann sie mir ja schließlich auch schlecht unter den Arm klemmen, nicht?“

Wieder warf Shane einen Blick nach achtern. „Sehr witzig. Beim Wassermann und allen Teufeln der Hölle – warum gibt es keine Möglichkeit, mit diesen Hurensöhnen aufzuräumen?“

„Wie wär’s, wenn wir beidrehen und eine Jolle abfieren?“ fragte Roger Brighton.

„Und was willst du damit unternehmen?“ Sein Bruder sah ihn forschend an. „Die Kerle angreifen? Eine Jolle gegen zwei Schaluppen? Unsinn, das ist so ähnlich wie Selbstmord.“

„Und wenn Höllenflaschen an Bord der Jolle wären?“ fragte Roger hartnäckig. „Wäre das auch Unsinn?“

„Bestimmt nicht, aber ich muß die Dinger erst basteln“, sagte Ferris. „Das dauert ein bißchen.“

„Ich hab’ das Warten satt!“ rief Carberry vom Hauptdeck.

„Und ich das Nasebohren“, sagte Matt Davies.

„Ruhe!“ fuhr der Profos ihn an. „Hast du denn überhaupt keinen Benimm, du Prielwurm?“

„Mehr als du.“

Der Profos wollte ihm an den Kragen gehen, aber in diesem Moment trat Big Old Shane an den Niedergang, stemmte die Fäuste in die Seiten und rief: „Na schön! Wenn’s mit Höllenflaschen nicht geht, dann eben anders! Ich möchte ein anderes Experiment versuchen, Leute, wenn’s recht ist!“

„Was denn?“ rief Carberry, der Matt sofort wieder vergaß. „Und womit?“

„Mit meinem Bogen“, antwortete der graubärtige Riese schlicht.

„Donner“, sagte Carberry. „Das haut mal wieder dem Faß den Boden aus. Nichts gegen deinen Bogen und deine Pfeile, aber die Schaluppen sind viel zu weit entfernt, da kannst du nicht rüberlangen, und Batuti schafft das auch nicht.“

„Stimmt, Sir“, sagte der Gambia-Mann breit grinsend. Irgendwie fühlte er sich schon wieder wohler, denn er sah, wie sehr es Shane in den Fingern juckte. „Aber Shane hat was Sonderbares vor, schätze ich.“

„Was Besonderes“, korrigierte Gary Andrews.

„Hab’ ich doch gesagt“, brummte Batuti.

„Hört mal her“, sagte Shane. „Der Langbogen ist aus guter, solider englischer Eibe, wie ihr alle wißt. Die ist besonders biegsam.“

„Aber sie kann auch mal brechen“, meinte Hasard.

„Laß das meine Sorge sein“, sagte Shane. „Also, wenn wir den Bogen fixieren und justieren und ihn dann mit zwei Mann spannen, dann müßten wir weiter als sonst schießen. Ich bin fest davon überzeugt, daß es klappt.“

„Dann los!“ brüllte Carberry. „Nichts wie ran, du altes Walroß!“

„Batuti und ich schaffen normalerweise an die fünfhundert, fünfhundertzwanzig Yards“, erklärte Shane. „Das ist schon eine ganze Menge. Ich will uns nicht selber loben, aber es gehört Kraft dazu, so einen Pfeil so weit zu schießen.“

„Es hat schon zu Zeiten der ‚Golden Hind‘ Kerle gegeben, die fünfhundertsechzig Yards weit geschossen haben“, sagte der Seewolf seelenruhig. „Das ist sogar in den Chroniken festgehalten. Also, mein Alter, du brauchst dich gar nicht so zu brüsten.“

Shanes Augen verengten sich etwas. Er fixierte Hasard. „Sag mal, hast du vor, dich heute mit uns anzulegen?“

„Nein, ich bin nur neugierig, wie du die Schaluppen des Admirals treffen willst.“

„Aye, Sir. Wir schießen also mit zwei Mann, wie ich schon sagte. Außerdem sollten wir gleichzeitig unauffällig Schoten und Brassen schricken, dann verlangsamt sich die Fahrt unserer ‚Queen‘, und die Kerle segeln zunächst mal dichter auf, was den Abstand zwischen uns logischerweise für eine bestimmte Zeit verkürzt.“

„Bis sie’s merken“, sagte Ben trocken.

„Ja, stimmt“, sagte Jean Ribault. „Und genau in dieser Zeit müssen unsere Schützen feuern.“

„Eine feine Sache“, sagte der Seewolf. „Nur braucht ihr dazu längere Pfeile, wenn ich nicht irre.“

Jetzt war es an Shane, seinen Kapitän anzugrinsen. „Bevor ich längere Pfeile schnitze, kann ich auch die Sehne straffer spannen.“

„Ätsch“, sagte Barba und lachte. „Das war gut gebrüllt, Löwe.“

„Nur zu“, sagte Hasard. „Wir freuen uns über jede Initiative.“

„Damit wir diesen Bastard so schnell wie möglich wieder loswerden“, sagte die Rote Korsarin. „Er bringt uns noch von unserem eigentlichen Ziel ab.“

Es waren genug Worte gewechselt worden, die Männer schritten zur Tat. Ferris Tucker und Al Conroy übernahmen den Part, den zwei Yards langen Bogen an der Heckbalustrade zu verankern. Sie versahen ihr Werk rasch und konzentriert und justierten die Waffe senkrecht. Dabei fingen sie die Bogenmitte in einem Querholz der Balustrade mit starken Sehnen ab, aber der Bogen hatte seitwärts und der Höhe nach noch Spielraum, damit man ihn entsprechend richten konnte.

Big Old Shane und Batuti spannten die Bogensehne mit vereinten Kräften straffer als sonst üblich. Das alles geschah natürlich, ohne daß dabei allzuviel Betriebsamkeit gezeigt wurde, damit die Ausguckposten der beiden Verfolger nicht auf das Vorhaben aufmerksam wurden. Die Heckbalustrade der „Caribian Queen“ bot dafür auch gute Deckungsmöglichkeiten.

 

Probehalber spannten Big Old Shane und der Gambia-Mann gemeinsam die Sehne und mußten nun erhebliche Kräfte aufwenden.

„Aber es müßte gehen“, sagte Shane. „Ja, verdammt noch mal, es klappt.“

Batuti entfernte sich, eilte über das Hauptdeck, verschwand im Vordeck und kehrte grinsend mit einem Bündel Pfeile zurück.

„Pulverpfeile, Sir“, sagte er, als er an Carberry vorbeilief. „Das ist die richtige Ration für unseren Freund.“

„Ha“, sagte der Profos. „Die werden sich schön wundern, wenn sie die Ladungen zwischen die Kiemen kriegen.“

„Bölk nicht so“, sagte Smoky. „Willst du, daß der Admiral uns hört?“

„Der sitzt auf seinen Ohren“, erklärte Carberry. „Der wacht erst auf, wenn ihm der Donner um die Ohren weht. Aber dann ist es zu spät, sage ich dir. Das wird ein Fest.“ Er begann bereits, sich die Hände zu reiben.

Al Conroy hatte unterdessen scharf nachgedacht und wandte sich an die Kameraden auf dem Achterdeck. „Ich schlage vor, das Ding vorn an der Spitze noch ein bißchen zu beschweren“, sagte er, als er einen der Pulverpfeile von Batuti entgegennahm und prüfend in der Hand wog. „Masse plus stärkere Beschleunigung ergibt nämlich noch größere Reichweite.“

„Das leuchtet mir ein“, sagte Ferris Tucker.

„Ich weiß auch schon, wie wir das bewerkstelligen“, sagte Big Old Shane. „Für mich als den ehemaligen Waffenschmied von Arwenack sollte das wohl kein Problem sein, was?“ Sofort begann er, Bleiplättchen flachzuklopfen, die er wie einen Ring um die Spitze jedes Pfeiles legte und mit jeweils zwei Nägeln fixierte, die er wiederum durch das weiche Blei in das Pfeilholz trieb.

Fünf Pfeile wurden auf diese Weise präpariert – dann war es soweit. Die beiden Zweimaster des Admirals segelten zu diesem Zeitpunkt an die tausend Yards entfernt achteraus.

„Anpacken“, sagte Shane zu Batuti. „Wir bescheren den Himmelhunden ein paar heiße Minuten, mein Junge. Hast du auch genüg Zielwasser getrunken?“

„Heißes Wasser mit Rum“, erwiderte der Gambia-Mann grinsend.

„Das dürfte genügen.“

„Und nachher gibt’s eine Extraration“, sagte Siri-Tong.

„Drei Hurras“, sagte Big Old Shane und begann, die Bogensehne zu spannen. „Und jetzt Dampf. Gleich der erste Pfeil muß sitzen.“

Auf Parallelkurs segelten die beiden Zweimastschaluppen des Luis Campos, die eine unterhalb des Kielwassers der „Caribian Queen“, also südlich versetzt, die andere oberhalb und somit nördlich. Sie lagen auf Backbordbug und befanden sich auf Rufweite. An Bord der Schaluppe in Lee – südlich – befand sich der Admiral. Aus schmalen Augen beobachtete er den Zweidecker, und seine Miene war etwas verkniffen.

Bei aller Eitelkeit und Gespreiztheit zählte er zu jener Sorte, die sich nicht so leicht von einem einmal ins Auge gefaßten Ziel abbringen ließ. Er wollte den Zweidecker und die Frau, diese atemberaubende, faszinierende Eurasierin, haben. Ganz davon abgesehen hegte er aber auch Rachegelüste, einmal wegen der Dresche, die er und seine Spießgesellen in der „Schildkröte“ auf Tortuga bezogen hatten, zum anderen wegen des Verlustes der dritten Schaluppe, von der noch zehn Mann hatten geborgen werden können.

Fünf Kerle waren ertrunken oder im Beschuß des Zweideckers tödlich verletzt worden. Auf beiden Schaluppen befanden sich jetzt je zwanzig Mann, und jeweils ein Ausguck stand vorn am Bug und spähte unausgesetzt zum Feind hinüber. Diese beiden Männer hatten den strikten Befehl, ausschließlich das Schiff im Auge zu behalten und jede Kursänderung oder welches Manöver auch immer unverzüglich zu melden.

Campos hatte die Absicht, den ganzen Tag über Fühlung zu halten und in der Nacht dann noch einmal einen Enterversuch zu unternehmen. Zwar war ihm inzwischen klar geworden, daß er die „Caribian Queen“ nicht mal eben so „im Vorbeigehen“ vereinnahmen konnte. Auch wußte er mittlerweile, daß er es mit einem äußerst harten und kampftüchtigen Gegner zu tun hatte. Aber dennoch rechnete er sich Chancen aus, wenn er nach Mitternacht aus dem dunklen Sektor der See heraus schnell und überraschend mit beiden Schaluppen längsseits ging und enterte.

Doch die Umstände waren nicht so vielversprechend und günstig, wie er sich das ausmalte. Mit anderen Worten: Der Einsatz seiner Männer ließ schon jetzt zu wünschen übrig. Sie waren von den beiden Auseinandersetzungen mit dem Gegner entnervt und verbiestert, und irgendwie spürten sie, daß sie sich auch ein drittes Mal die Zähne ausbeißen würden – an der „Chinesenhure“ und ihrem verfluchten Schiff, auf dem sich eine Ansammlung von Teufeln zu befinden schien.

Der Bugausguck in der Schaluppe des Admirals beispielsweise stand da und schlief mit offenen Augen. Was schert mich der Zweidecker, dachte er immer wieder, soll er doch zum Teufel gehen.

Sein Kumpan auf der anderen Schaluppe war auch nicht sehr viel aufmerksamer. Hinzu kam, daß sich zwei seiner Mitstreiter vorn auf der Back in die Haare geraten waren. Sie stritten sich wegen einer Wette herum.

„Und ich hab’ doch gewonnen!“ stieß der eine aus. „Wetten, daß der Wind aus Nordosten anhält, hab’ ich dir gesagt! Und das tut er auch, verdammt noch mal!“

„Er dreht auf Osten!“ rief der andere.

„Ist nicht wahr! Er weht noch immer aus Nordosten!“

„Du bist ein blöder Hund und willst mich an der Nase herumführen!“ zischte der zweite Kerl. „Aber ich kriege einen Silberling von dir, und nicht du von mir!“

„Soweit kommt’s noch, du Geizhals!“

„Wie hast du mich genannt?“

„Einen dummen Sack!“

Gleich prügeln sie sich herum, dachte der Ausguckposten, und mit höhnischem Grinsen sah er ihnen zu, wie sie drohend ihre Fäuste bewegten. Der Schaluppenführer sah zwar auf und begann zu fluchen, aber das schien auch nicht mehr viel zu nutzen. Die beiden Streithähne waren voll in Fahrt und schickten sich an, aufeinander loszugehen.

Inzwischen waren auch die Männer an Bord der Campos-Schaluppe auf die Auseinandersetzung aufmerksam geworden und reckten die Hälse. Der Ausguck im Bug versuchte immer wieder, sich durch Seitenblicke ein Bild von der Lage drüben zu verschaffen.

Mann, die hauen sich gegenseitig die Jacke voll! dachte er.

Der Admiral fuhr hoch. „Was ist da drüben los?“ schrie er. „Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“

„Du Schwein!“ schrie der erste Streithahn. „Dir geb’ ich was aufs Auge, und dann hole ich die Silberlinge aus dir raus, einen nach dem anderen!“

„Du kannst mich kreuzweise!“ brüllte der zweite. „Keine müde Münze kriegst du von mir!“

„Aufhören!“ schrie der Admiral. „Seid ihr verrückt? Ich peitsche euch aus, ihr Hunde!“

Sie schienen es nicht zu hören. Der erste hieb seinem Kumpanen was an die Ohren, und dieser begann zu wanken, quittierte den Ausfall aber mit einem Haken, der ebenfalls traf, und zwar die Bauchgegend des Kerls. Beide fluchten und stöhnten, aber dann brach das Unheil über die Schaluppen her, und die Wette und der Streit und alles andere waren mit einem Schlag vergessen.

Beide Ausgucks hatten nicht bemerkt, daß man inzwischen dem Zweidecker aufzusegeln begann, weil bei diesem die Segel nicht mehr voll zogen. Sie killten zwar noch nicht, waren jedoch so gestellt, daß sich ihre Vortriebskraft beträchtlich verminderte. Und jetzt, in diesem Moment, stieg der erste Pulverpfeil von Big Old Shane und Batuti vom Heck der „Caribian Queen“ auf und senkte sich im wahrsten Sinne des Wortes aus heiterem Himmel auf die Schaluppe von Luis Campos.

Der Pfeil sauste fast senkrecht von oben zwischen Vormast und Großmast nach unten, durchschlug ein Stück gewachstes Segeltuch, mit der die Mittschiffsluke abgedeckt war, und explodierte im mittleren Laderaum. Campos selbst und ein paar andere Kerle hatten lediglich etwas Huschendes gesehen, und bevor sie begriffen, um was es sich handelte, war die Hölle los.

Die Detonation ließ die Schaluppe erzittern, ein Feuerblitz schoß aus der Luke hoch, und eine fette Qualmwolke stieg auf. Die Männer brüllten und fluchten durcheinander, rempelten sich gegenseitig an und stolperten über ihre eigenen Füße. Ein dicker Kerl, der auf den Namen El Gordo hörte, wurde glatt umgerissen und landete mit hörbarem Krachen und Poltern auf den Planken.

„Dämonen!“ schrie einer von ihnen. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“

„Ja, hier spukt’s!“ brüllte ein anderer.

Die entsetzte Überraschung war im Explodieren der Pulverladung vollkommen. Die Kerle glaubten tatsächlich an ein Werk des Teufels, und für kurze Zeit war die Wuhling total. Verblüfft blickten auch die Männer der zweiten Schaluppe zu Campos’ Zweimaster, und fragende Rufe wehten zum Admiral und dessen Meute hinüber.

„Was ist los?“

„Was ist passiert? Was hat das zu bedeuten?“

Campos, El Gordo und die anderen waren inzwischen wie gelähmt und richteten ihre starren, entgeisterten Blicke auf die noch qualmende Luke.

„Das ist die Rache der Wasserdämonen“, murmelte einer von ihnen.

„Hör mit diesem dämlichen Quatsch auf!“ fuhr der Admiral ihn an. „Wer glaubt denn an so was? Wir …“

Weiter gelangte er nicht, denn genau in diesem Moment huschte das Unheil erneut heran. Ein zweiter Pfeil raste zischend und qualmend auf den Zweimaster nieder und verschwand im Laderaum.

„Nein!“ brüllte der Admiral. „Aufhören!“

Dann explodierte auch dieser Pfeil, und wieder herrschte Zustand. Die Kerle stießen die übelsten Verwünschungen aus, und El Gordo rammte den ihm am nächsten Stehenden die Ellenbogen in den Leib, so daß es dieses Mal sie waren, nicht er, die zu Boden gingen.

Inzwischen war es Luis Campos, der als erster begriff, was sich abspielte. Er ballte die Hände zu Fäusten und zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. Ja, jetzt sah er es: Mit einem Blick voraus zur „Caribian Queen“ erkannte er, daß sie ihr aufgesegelt waren. Gleichzeitig gewahrte er auch, daß an ihrem Heck etwas in die Luft aufstieg – ein Pfeil, der in einer Kurve in den Himmel raste, seinen Scheitelpunkt erreichte und sich dann wieder senkte.

„Hölle!“ Mit diesem Aufschrei und einem einzigen Satz war Campos bei seinem Rudergänger, stieß ihn zur Seite, legte Ruder und fiel mit der Schaluppe ab. Sehr schnell gehorchte sie dem Manöver und drehte den Bug nach Südwesten. Fast glaubte Campos, aufatmen zu dürfen. Und doch gab es keinen Grund dafür.

Denn der dritte Pulverpfeil, der von Big Old Shane und Batuti abgefeuert worden war, war dieses Mal für die andere Schaluppe bestimmt, auf der man die beiden Explosionen an Bord der Admiralsschaluppe zwar gehört hatte, sie aber nach wie vor nicht zu deuten wußte. Während diese Kerle noch zu ihrem Anführer und dessen Mannschaft blickten, zischte der Pfeil in die Back ihrer Schaluppe und flog dort mit einem heftigen Knall auseinander.

„Nein!“ Einer der beiden Kerle, die sich vorher miteinander gestritten hatten, schrie es und stürzte nach achtern. Sein Kumpan folgte ihm. Aber der Ausguck hüpfte brüllend herum, weil ihm etwas glühend Heißes ans Bein geflogen war.

„Abfallen!“ brüllte Campos zu seiner Schaluppe Nummer zwei hinüber. „Raus aus der Schußrichtung, ihr Idioten! Das sind Pfeile!“

Pfeile? Erst jetzt begriff der Schaluppenführer, was los war. Er wollte das Ruder packen und das Manöver nachvollziehen, das der Admiral gerade durchführte, aber er hatte nicht die geringste Chance, dadurch Pfeil vier zu entgehen.

Der nämlich surrte gerade von der Sehne des Eibenbogens. Dieses Mal handelte es sich um einen Brandpfeil. Er näherte sich mit hoher Geschwindigkeit und traf mit geradezu unheimlicher Präzision sein Ziel. Er schlug in den Großmast der Schaluppe zwei, blieb stecken und brachte das Holz zum Schwelen und Kokeln.

„Es brennt!“ schrie einer der Streithähne.

„Hilfe, ich bin verwundet!“ brüllte der Ausguck, der immer noch Schwierigkeiten mit seinem Bein hatte.

Aber jetzt raste schon wieder ein Pulverpfeil vom Heck der „Caribian Queen“ auf die Schaluppe zwei zu. Er stieß auf ihren achteren Bereich hinunter und explodierte genau neben dem Rudergänger.

Ein gellender Schrei wehte über die See. Die Explosion hieb den Kerl um. Augenblicklich lief die Schaluppe aus dem Ruder und schoß in den Wind. Ja, sie drehte nach Luv hoch, statt abzufallen, und das Geschrei und das Fluchen an Bord wollte nicht mehr aufhören.

„Ihr blöden Hunde!“ brüllte Campos zu ihnen hinüber. „Bringt euch in Sicherheit!“

Campos hatte beim Abfallen unterdessen halsen lassen und gab Fersengeld nach Osten. So entfernte er sich rasch wieder aus der gefährlichen Nähe des Zweideckers, die Pfeile konnten ihn nicht mehr erreichen.

 

„Pützen her!“ schrie er. „Wasser schöpfen! Schüttet es in den Laderaum! Beeilung! Wird’s bald?“

Allmählich kehrte die Disziplin an Bord zurück, und die Kerle führten seine Befehle aus. Es zischte im Laderaum, als das Wasser in das entstandene Feuer klatschte. Ein scharfer, beißender Geruch breitete sich aus.

Auf der Schaluppe zwei herrschte unterdessen nach wie vor schlimmster Zustand. Keiner wußte, was er tun sollte. Das Schicksal, das den Rudergänger getroffen hatte, setzte den anderen zu, so hartgesotten sie auch waren. Er war schwer verletzt und wälzte sich in seinem Blut. Seine Schreie waren furchtbar. Der Schaluppenführer versuchte, etwas für ihn zu tun, aber er sah, daß jede Hilfe zu spät kam.

Der Ausguck war im Bug zusammengesunken und hielt sich das schmerzende Bein.

„Santa Madre de Dios“, murmelte er. „Heilige Mutter Gottes – jetzt kommen sie.“ Er blickte zur „Caribian Queen“, und seine Augen weiteren sich in namenlosem Entsetzen.