Wenn Sie Fliehen Würde

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Wenn Sie Fliehen Würde
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Copyright © 2019 Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Außer durch Genehmigung gemäß U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung des Autors vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt oder in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Dieses Buch ist Fiktion. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind vom Autor frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Einband Image Copyright andreiuc88, unter der Lizenz von Shutterstock.com.

Blake Pierce

Blake Pierce ist der Autor der meistverkauften RILEY PAGE Krimi-Serie, die 13 Bücher umfasst (und weitere in Arbeit). Blake Pierce ist ebenfalls der Autor der MACKENZIE WHITE Krimi-Serie, die neun Bücher umfasst (und weitere in Arbeit); der AVERY BLACK Mystery-Serie, bestehend aus sechs Büchern; der KERI LOCKE Mystery-Serie, bestehend aus fünf Büchern; der Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, bestehend aus drei Büchern (und weitere in Arbeit); der KATE WISE Mystery-Serie, bestehend aus zwei Büchern (und weitere in Arbeit); der spannenden CHLOE FINE Psycho-Thriller-Serie, bestehend aus drei Büchern (und weitere in Arbeit); und der spannenden JESSE HUNT Psycho-Thriller-Serie, bestehend aus drei Büchern (und weitere in Arbeit).

Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt Blake es, von seinen Lesern zu hören. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.

BÜCHER VON BLAKE PIERCE

JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE EHEFRAU (Buch Nr. 1)

DER PERFEKTE BLOCK (Buch Nr. 2)

DAS PERFEKTE HAUS (Buch Nr. 3)

CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Buch Nr. 1)

DES NACHBARS LÜGE (Buch Nr. 2)

SACKGASSE (Buch Nr. 3)

KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Buch Nr. 1)

WENN SIE SÄHE (Buch Nr. 2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Buch Nr. 3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Buch Nr. 4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Buch Nr. 5)

WENN SIE SICH FÜRCHTEN WÜRDE (Buch Nr. 6)

DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Buch 1)

WARTET (Buch 2)

LOCKT (Buch 3)

RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Buch 1)

GEFESSELT (Buch 2)

ERSEHNT (Buch 3)

GEKÖDERT (Buch 4)

GEJAGT (Buch 5)

VERZEHRT (Buch 6)

VERLASSEN (Buch 7)

ERKALTET (Buch 8)

VERFOLGT (Buch 9)

VERLOREN (Buch 10)

BEGRABEN (Buch 11)

ÜBERFAHREN (Buch 12)

GEFANGEN (Buch 13)

RUHEND (Buch 14)

MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Buch 1)

BEVOR ER SIEHT (Buch 2)

BEVOR ER BEGEHRT (Buch 3)

BEVOR ER NIMMT (Buch 4)

BEVOR ER BRAUCHT (Buch 5)

EHE ER FÜHLT (Buch 6)

EHE ER SÜNDIGT (Buch 7)

BEVOR ER JAGT (Buch 8)

VORHER PLÜNDERT ER (Buch 9)

VORHER SEHNT ER SICH (Buch 10)

AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

DAS MOTIV (Buch 1)

LAUF (Buch 2)

VERBORGEN (Buch 3)

GRÜNDE DER ANGST (Buch 4)

RETTE MICH (Buch 5)

ANGST (Buch 6)

KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Buch 1)

EINE SPUR VON MORD (Buch 2)

EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Buch 3)

EINE SPUR VON VERBRECHEN (Buch 4)

EINE SPUR VON HOFFNUNG (Buch 5)

Prolog

An den meisten Tagen arbeitete Karen Hopkins gern von zuhause aus. Sie hielt sich auf Trab, was gut war, denn ihre kleines Web-Optimierungs-Business, das ursprünglich eigentlich nur ein Nebenverdienst hatte sein sollen, war sich zu einem Vollzeitjob geworden – ein Vollzeitjob, der ihr und ihrem Mann Gerald helfen sollte, in zwei oder drei Jahren in Rente zu gehen. Es gab jedoch Tage, an denen die Klienten so verdammt blöd waren, dass sie sich geradezu nach den Jahren, in denen sie einen Vorgesetzten gehabt hatte, zurücksehnte. Viel zu oft wäre es hilfreich gewesen, nervende Klienten an jemanden abgeben zu können, der auf der Karriereleiter über einem saß.

Sie starrte auf eine Email und fragte sich, wie sie auf die dumme Frage ihres Klienten antworten konnte, ohne unhöflich zu erscheinen. Im Moment lief gerade eine ihrer klassischen Playlists auf Spotify – allerdings nicht die Art mit diversen Streichinstrumenten, durch die man das Piano nicht mehr hörte. Sie versuchte gerade, sich an Erik Saties Gymnopedie Nr. 1 zu erfreuen.

Das Schlüsselwort hier war versuchte. Sie war abgelenkt durch die Email und die gelegentlichen Fragen des Mannes im Nebenzimmer, das durch eine Wand vom Arbeitszimmer getrennt war. Das bedeutete, dass er schreien musste, wann immer er eine Frage hatte. Er war freundlich, aber mein Gott, sie begann sich zu wünschen, ihn niemals angerufen zu haben.

„Das ist ein wunderschöner Teppich, den Sie hier haben“, sagte er mit durch die Wand dringender Stimme, durch Erik Satie hindurch und durch ihre Gedanken hinsichtlich dieser verdammten Email. „Ist er orientalisch?“

„Ich glaube schon“, gab Karen über die Schulter zurück. Sie saß mit dem Rücken zum Eingang zum Flur und zum Nebenzimmer, wodurch sie gezwungen war, recht laut zu sprechen.

Sie gab sich Mühe, ihren Tonfall höflich erscheinen zu lassen … sogar fröhlich. Aber es war schwierig. Sie war einfach zu abgelenkt. Diese Email war wichtig. Es handelte sich um einen regelmäßigen Klienten, der ihr in einigen Monaten noch mehr Aufträge bescheren würde. Die Leute jedoch, die sein Unternehmen leiteten, waren augenscheinlich Idioten.

Sie begann, ihre Antwort zu tippen und wählte dabei jedes Wort mit Sorgfalt. Es war nicht leicht, professionell und vernünftig zu klingen, wenn man wütend war und die Intelligenz der Person, an die man schrieb, in Frage stellte. Dieser Umstand war ihr nur allzu bekannt, da es sich hierbei um eine Situation handelte, mit der sie mehrfach im Monat zu tun hatte.

Kaum vier Sekunden später begann der Mann im Nebenzimmer wieder zu rufen. Karen schauderte und wünschte sich erneut, ihn niemals angerufen zu haben. Das Timing war mehr als schlecht. Was zum Teufel hatte sie sich dabei gedacht? Die ganze Sache hätte ohne Weiteres bis zum Wochenende Zeit gehabt.

„Ich sehe mir gerade die Bilder Ihrer Kinder auf dem Kaminsims an. Wie viele haben Sie? Drei?“

„Ja.“

„Wie alt sind sie jetzt?“

Sie musste sich auf die Lippe beißen, um den Mann nicht laut zu verfluchen. Es war wichtig, freundlich zu bleiben. Außerdem wusste sie nicht, ob sie ihn nicht vielleicht noch einmal anrufen musste.

„Oh, sie sind jetzt alle erwachsen – zwanzig, dreiundzwanzig und siebenundzwanzig.“

„Wunderbare Kinder, ohne Frage“, gab er zurück. Dann war er still. Sie hörte, wie er sich im Nebenzimmer bewegte und leise vor sich hin summte. Karen brauchte einen Moment um zu merken, dass er zu der Musik aus ihrem Arbeitszimmer summte; inzwischen lief ein neues Stück von Satie. Sie rollte die Augen und hoffte, dass er jetzt still sein würde. Sicher, sie hatte ihn angerufen, damit er seine Dienstleistung ausführen konnte, aber er nervte sie jetzt schon. Kamen die meisten Dienstleister nicht vorbei und arbeiteten stillschweigend, um dann bezahlt zu werden und zu gehen? Was hatte der Kerl für ein Problem?

„Danke“, schaffte sie zu antworten. Es missfiel ihr, dass er sich die Bilder ihrer Kinder ansah.

Sie senkte den Kopf und befasste sich wieder mit ihrer Email. Allerdings brachte das natürlich nichts. Ihr Besucher schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, ein Gespräch durch die Wand zu führen.

„Wohnen sie hier in der Gegend?“, fragte er.

„Nein“, sagte sie. Sie klang diesmal ziemlich kurzangebunden und abrupt und wandte sogar den Kopf ganz nach rechts, damit er ihr Missfallen hörte. Sie hatte nicht vor, ihm zu erzählen, wo jedes ihrer Kinder lebte. Gott weiß, was für Fragen das nach sich ziehen würde.

„Aha“, meinte er.

Wäre sie nicht durch die Email vor sich so abgelenkt gewesen, hätte sie vielleicht die unheimliche Kälte bemerkt, die auf seine Frage folgte. Es war eine gewichtige Stille, eine, die versprach, dass noch etwas anderes folgen sollte.

„Erwarten Sie heute noch andere Besucher?“

Sie war nicht sicher, warum, doch irgendetwas in dieser Frage beschwor Angst in ihr hinauf. Für einen Fremden war es eine merkwürdige Frage, vor allem von jemandem, den man angestellt hatte, um eine Dienstleistung zu erbringen. Und hatte sie nicht einen Unterton in seiner Frage ausgemacht?

Sie war plötzlich besorgt und wandte sich von ihrem Laptop ab. Irgendetwas schien los zu sein mit ihm. Und jetzt war sie nicht nur genervt von seinen Fragen, sondern sie begann sich zu ängstigen.

„Ein paar Freunde kommen später auf einen Kaffee vorbei“, log sie. „Ich bin mir nicht sicher, wann genau, meistens kommen sie einfach rüber, wenn es ihnen passt.“

Darauf bekam sie keine Antwort, was beängstigender war als alles andere. Langsam rollte Karen auf ihrem Stuhl zurück und stand auf. Sie ging zu dem Eingang herüber, der das Nebenzimmer mit ihrem Arbeitszimmer verband. Sie spähte hinein, um zu sehen, was er tat.

Er war nicht da. Seine Werkzeuge lagen herum, aber er was nicht zu sehen.

Ruf die Polizei…

Der Gedanke hatte sich ganz plötzlich geformt und sie wusste, dass es eine gute Idee war. Allerdings war ihr auch klar, dass sie zu Übertreibungen neigte. Vielleicht war er nach draußen zu seinem Wagen gegangen.

 

Auf keinen Fall, dachte sie. Hast du die Tür sich öffnen und schließen hören? Außerdem war er von Beginn an redselig gewesen. Er hätte dir mitgeteilt, dass er wieder hinaus geht.

Als sie einige Schritte in das Zimmer gemacht hatte, erstarrte sie. „Hey“, sagte sie mit bebender Stimme. „Wo sind Sie?“

Keine Antwort.

Irgendetwas stimmt hier nicht, schrie die Stimme in ihrem Kopf. Ruf die Polizei, jetzt!

Die nackte Angst breitete sich in ihr aus und langsam ging Karen rückwärts aus dem Nebenzimmer. Sie wandte sich wieder nach ihrem Arbeitszimmer um, wo ihr Handy auf dem Schreibtisch lag.

Als sie sich umdrehte, stieß sie mit etwas Hartem zusammen. Für einen Augenblick roch sie Schweiß, hatte aber kaum Zeit, diese Tatsache wirklich zu registrieren.

In diesem Moment wurde etwas um ihren Hals gelegt und fest zugezogen.

Karen Hopkins schlug um sich, kämpfte gegen das, was um ihren Hals lag. Doch je mehr sie kämpfte, desto enger wurde zog sich das Ding zusammen. Es war rau, und je mehr sie sich wehrte, desto tiefer schnitt es in ihre Haut ein. Sie spürte ein dünnes Rinnsal Blut ihre Brust hinunter laufen und bekam keine Luft mehr.

Sie kämpfte trotzdem weiter und versuchte alles in ihrer Macht stehende, den Angreifer in ihr Arbeitszimmer zu ziehen, um an ihr Handy zu kommen. Sie spürte mehr Blut ihren Hals hinunter laufen, nicht viel, noch immer nur ein dünnes Rinnsal. Das Ding um ihren Hals wurde noch enger. Sie war schon fast bei ihrem Schreibtisch, als sie in sich zusammensackte. Alles, was sie sehen konnte, alles, was ihre Augen erblickten, war der Bildschirm des Laptops vor ihr. Dieser weiße Bildschirm, mit einer unfertigen Email, die sie niemals senden würde.

Sie sah den Cursor, der immerzu blinkte und auf das nächste Wort wartete.

Aber das würde niemals kommen.

Kapitel eins

Eines der Dinge, die Kate Wise in diesem, ihrem sechsundfünfzigsten Lebensjahr (das sie in einigen Wochen vollendet hatte und somit ihren sechsundfünfzigsten Geburtstag feierte), immer wieder überraschten, war, dass sie sich wieder wie ein unsicherer Teenager fühlte, wann immer sie sich für ein Date zurecht machte. War ihr Make-Up in Ordnung? Oder war es zu viel? Sollte sie ihre Haare dunkler färben, um das Grau zu bekämpfen, das langsam die Oberhand gewann? Sollte sie einen vernünftigen BH tragen, bei dem es vor allem um Bequemlichkeit ging, oder einen, den Alan ihr leicht ausziehen konnte, wenn sie am Ende ihres Dates angelangt waren?

Es war eine schöne Art der Unsicherheit, eine, die sie daran erinnerte, dass sie all dies schon einmal durchlebt hatte. Während ihrer Ehe hatte sie dasselbe empfunden, und zwar das ganze erste Jahr hindurch. Doch jetzt mit Alan, dem ersten Mann, mit dem sie ausging, seit Michael gestorben war, musste sie das Daten ganz neu erlernen.

Mit Alan wurde es schnell leichter. Beide waren sie Mitte Fünfzig, daher war jedes Date von einer Aura der Dringlichkeit umgeben – das unausgesprochene Wissen, dass sie voll in diese Beziehung investieren mussten, wenn sie über den Level des Datens hinausgehen sollte. Trotz einiger Hindernisse hier und da hatten sie bisher allerdings genau das getan – und bisher war es ziemlich unglaublich gewesen.

Beim heutigen Date handelte es sich um ein Dinner und einen Kinofilm, danach wollten sie zurück zu ihr, um dort zusammen die Nacht zu verbringen. Das war noch so ein Vorteil ihres Alters – die Frage bezüglich des Schlafzimmers sollen wir oder sollen wir nicht. Die Antwort der letzten Monate war immer ein einstimmiges Ja gewesen – ein Ja im Anschluss an fast jedes Date (und das war noch etwas, was Kate bezüglich des Datens im Alter von Mitte Fünfzig überraschte).

Während sie sich die Lippen schminkte – nur ganz dezent, so, wie Alan es mochte – erschrak sie durch ein Klopfen an der Haustür. Sie blickte auf die Uhr und sah, dass es erst 18:35 Uhr war, ganze fünfundzwanzig Minuten, bevor sie Alan erwartete.

Sie lächelte bei dem Gedanken, dass er früh dran war. Vielleicht wollte er die Reihenfolge ihres Dates ändern und mit dem Teil im Schlafzimmer beginnen. Es wäre nervig, sich wieder auszuziehen, so kurz nachdem sie sich angezogen hatte – aber es wäre die Mühe wert. Mit einem Lächeln im Gesicht verließ sie ihr Schlafzimmer, durchquerte das Haus und öffnete die Haustür.

Als sie sich plötzlich Melissa gegenüber stehen sah, durchfluteten sie verschiedene Emotionen zugleich: Überraschung, Enttäuschung, und dann Sorge. Melissa hatte den Kinderautositz in der rechten Hand, aus dem die kleine Michelle herausguckte. Ihre Augen suchten die ihrer Großmutter und als sie sie schließlich fanden, strahlte sie und begann, ihre Händchen, deren Finger greifende Bewegungen, machten nach ihr auszustrecken.

„Melissa, hi“, sagte Kate. „Kommt rein, kommt rein.“

Melissa kam dem nach und betrachtete ihre Mutter mit einem prüfenden Blick. „Ach nee. Gehst du aus? Auf ein Date mit Alan?“

„Ja, er kommt in etwa zwanzig Minuten vorbei. Warum, was ist los?“

Dann, als sie sich auf dem Sofa niederließen, bemerkte Kate, dass etwas Melissa Sorgen zu bereiten schien. „Ich hatte gehofft, dass du heute Abend auf Michelle aufpassen könntest.“

„Melissa … das tue ich jederzeit liebend gerne, das weißt du. Aber wie du siehst, habe ich schon etwas vor. Ist … ist alles in Ordnung?“

Melissa zuckte mit den Schultern. „Ich glaube schon. Ich weiß nicht. In letzter Zeit ist Terry so merkwürdig. Eigentlich seitdem wir solche Angst um Michelles Gesundheit hatten. Er scheint manchmal ganz weit weg zu sein, weißt du? In den letzten Tagen ist es schlimmer geworden, und ich weiß einfach nicht, warum.“

„Das heißt, ihr beiden braucht etwas Zeit für euch? Ein Date?“

Melissa verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Nein. Wir müssen einfach miteinander sprechen. Eine lange, ernsthafte Unterhaltung. Vielleicht schreien wir uns auch an. So weit weg er auch manchmal scheint, wir sind uns einig, dass wir nicht in Michelles Gegenwart laut werden.“

„Misshandelt er dich?“

„Nein, darum geht es nicht.“

Kate blickte hinab auf den Kindersitz und nahm Michelle behutsam heraus. „Lissa, du hättest anrufen und mich vorwarnen sollen.“

„Das habe ich. Ich habe angerufen, vor ungefähr einer Stunde. Aber es hat ein paar Mal geklingelt und dann sprang der Anrufbeantworter an.“

„Ach, Mist. Ich hatte mein Handy auf lautlos gestellt, als ich vorhin beim Zahnarzt war und dann vergessen, den Klingelton wieder laut zu stellen. Tut mir leid.“

„Nein, mir tut es leid. Ich bitte dich so kurzfristig sehr ungern darum, wenn du offensichtlich schon etwas vorhast. Aber … ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Tut mir leid, wenn du das Gefühl hast, dass ich dich ausnutze, aber du bist … du bist alles, was ich habe, Mom. In letzter Zeit jedoch scheinst du ein neues Leben zu beginnen. Du hast Alan und deinen Halb-Job beim FBI. Ich fühle mich, als ob du mich vergisst … dass Michelle und ich für dich vor allem eine Belastung sind.“

Diese Worte zu hören brach Kate das Herz. Sie setzte Michelle auf ihren Schoß, hielt ihre kleinen Hände und ließ sie auf ihrem Knie hin und her hüpfen.

„Ich habe dich nicht vergessen“, sagte Kate. „Wenn überhaupt, so versuche ich, mich selbst wieder zu entdecken. Durch die Arbeit, durch Alan… und auch durch dich und Michelle. Ihr wart noch nie eine Belastung für mich.“

„Tut mir leid. Ich hätte nicht herkommen sollen, nachdem du nicht ans Telefon gegangen bist. Wir können es auch verschieben, vielleicht passt es in ein paar Tagen … klingt das besser?“

„Nein“, entgegnete Kate. „Heute Abend. Unterhaltet euch heute Abend.“

„Aber dein Date …“

„Alan wird es schon verstehen. Er ist ja selbst ganz vernarrt in Michelle.“

„Mom … bist du sicher?“

„Absolut.“

Sie beugte sich vor und umarmte Melissa. Michelle wand sich auf ihrem Schoß und streckte eine Hand aus, um die Haare ihrer Großmutter zu greifen. „Ich habe mir auch solche Sorgen gemacht, als Michelle all das im Krankenhaus durchgemachte“, sagte sie, während sie sich noch in den Armen lagen. „Vielleicht hat Terry es einfach nicht verarbeitet. Gib ihm die Chance, sich zu erklären. Und wenn er dir Probleme macht, erinnere ihn daran, dass deine Mutter eine Waffe hat.“

Melissa lachte und sie lösten sich aus der Umarmung. Auch Michelle lachte und klatschte in ihre kleinen, speckigen Händchen.

„Richte Alan bitte aus, dass es mir leid tut“, sagte Melissa.

„Das mache ich. Und wenn es nicht so läuft heute Abend, dann sag Bescheid. Du bist jederzeit willkommen, hier zu bleiben, wenn du mal eine Pause von allem brauchst.“

Melissa nickte und gab Michelle ein Küsschen auf den Kopf. „Sei brav zu Omi, okay?“

Michelle erwiderte nichts; sie schlug gerade auf die Knöpfe an Kates Hemd ein. Kate blickte Melissa nach, als sie das Haus verließ. Sie konnte sehen, wie aufgewühlt sie war. Kate fragte sich, ob die Dinge zuhause schlimmer standen, als Melissa angedeutet hatte.

Als die Haustür ins Schloss fiel, blickte Kate auf Michelle herunter und lächelte sie breit an. Michelle lächelte genauso strahlend zurück und versuchte, nach der Nase ihrer Großmutter zu greifen.

„Geht es Mommy gut zuhause?“, fragte Kate sie. „Kommen Mommy und Daddy miteinander aus?“

Michelle ergriff Kates Nase, drückte zu und erinnerte Kate somit an ihre großmütterlichen Pflichten. Kate grinste und streckte ihre Zunge aus, und kam zu dem Schluss, dass auf Michelle aufzupassen genauso ein Date sein konnte.

* * *

Als Kate fünfzehn Minuten später Alan die Tür öffnete, blickte er zugleich glücklich und verwirrt drein. Seine Augen waren lebendig und funkelten, wie immer, wenn er Kate sah. Dann sah er das zehn Monate alte Baby auf ihrem Arm und seine Augen verengten sich. Trotzdem lächelte er … Kate hatte kurz zuvor nicht gelogen, als sie Melissa gesagt hatte, dass Alan das Baby fast so sehr liebte wie Kate es tat.

„Ich glaube, sie ist noch etwas zu jung, um das dritte Rad am Wagen zu sein“, meinte Alan.

„Ich weiß. Also, Alan … es tut mir leid. Aber es hat eine Planänderung gegeben… in der letzten halben Stunde. Melissa und Terry haben Probleme. Terry ist sehr distanziert und verhält sich merkwürdig. Sie müssen sich aussprechen …“

Alan zuckte mit den Schultern. „Darf ich trotzdem herein kommen?“

„Natürlich.“

Er küsste sie beide – erst Kate auf die Lippen und dann Melissa auf die Stirn – und trat dann ein. Kate ging sofort das Herz auf. Wie immer sah er gut aus. Für ihr Date hatte er sich in Schale geschmissen, aber dabei nicht übertrieben. Er schaffte es immer, sich so zu kleiden, dass er ohne Weiteres sowohl in eine Cocktail-Bar am Strand als auch in ein schickes Restaurant in der City passte.

„Meinst du, die beiden bekommen es wieder hin?“, fragte Alan.

„Ich glaube schon. Ich glaube, die Sorge um Michelles Gesundheit hat Terry mehr mitgenommen, als er erwartet hat. Das holt ihn jetzt ein und ich habe den Eindruck, dass die ganze Sache ihre Ehe beeinträchtigt.“

„Das ist übel“, meinte Alan und breitete seine Arme nach Michelle aus. Sofort reckte sie sich ihm entgegen. Während er mit ihr kuschelte und sie ihm auf die Wange haute, betrachtete er Kate zwar nicht mit Sorge, aber doch mit etwas, was dem nicht allzu fern lag.

„Hat sie nicht einmal angerufen?“, fragte er.

„Sie hat es versucht und … verdammt. Ich habe das Handy immer noch leise gestellt. Seit dem Zahnarzt, wo ich zur Untersuchung war.“

Sie nahm das Handy aus ihrer Handtasche und drehte die Lautstärke des Klingeltons wieder hoch. Sie sah sofort, dass Melissa sie tatsächlich vor einer Stunde und zwanzig Minuten versucht hatte anzurufen.

„Weißt du, wir können unser Date auch hier haben“, meinte er. „Wir könnten beim Thai etwas zu essen bestellen und einen Film gucken. Und das Ende des Dates könnte genau dasselbe sein.“

Kate nickte und lächelte, aber ihre Aufmerksamkeit galt noch immer ihrem Handy. Sie hatten einen weiteren Anruf verpasst. Und von dieser Nummer war gleich zweimal angerufen worden. Beim zweiten Mal war auch eine Nachricht hinterlassen worden.

Es war ein Anruf aus Washington DC gewesen – von Director Duran.

„Kate?“

Sie blinzelte und blickte von ihrem Handy auf. Das Gefühl, sie habe sich bei etwas Verbotenem erwischen lassen, missfiel ihr.

„Alles in Ordnung?“

„Ja… es ist nur… die Arbeit hat auch angerufen. Vor ungefähr drei Stunden.“

„Dann ruf zurück“, sagte Alan. Spielerisch tanzte er mit Michelle, und obwohl er ein fröhliches Gesicht aufgesetzt hatte, spürte sie die Irritation dahinter. Ihr war jedoch bewusst, dass er sie umso mehr drängen würde; zurückzurufen, wenn sie dem nicht nachkam.

 

„Einen Moment“, sagte sie und ging in die Küche, von wo aus sie Director Duran zurückrief.

Es klingelte nur zweimal, bevor der Anruf entgegen genommen wurde. Selbst bei so einem einfachen Wort wie „hallo“ klang Duran wütend.

„Kate, da sind Sie ja. Wo haben Sie gesteckt?“

„Mein Telefon war leise gestellt, tut mir leid. Ist alles in Ordnung?“

„Nun ja, seitdem ich Sie auch beim letzten Versuch nicht zu fassen bekommen habe, bin ich hier die Wände hochgegangen.“

„Weshalb?“

„Es geht um einen Fall in Illinois – zwei Morde, die etwas miteinander zu tun zu haben scheinen, doch es gibt keine handfeste Verbindung. Das Police Department vor Ort ist ratlos, und das FBI-Büro in Chicago hat darauf hingewiesen, dass Sie sich in der Gegend auskennen… aufgrund des Fielding-Falls, den Sie 2002 gelöst haben. Sie sagten, sie würden natürlich gern ihre eigenen Agents damit betrauen, baten aber, dass Sie sich des Falls annehmen. Sie sind geradezu aufgeregt bei der Vorstellung, Sie wieder bei sich zu haben.“

„Wann?“

„Ich möchte, dass Sie noch heute Abend im Flugzeug sitzen. So sind Sie und DeMarco morgen schon ganz früh vor Ort.“

„Welche Details sind bisher bekannt?“

„Das, was ich habe, kann ich Ihnen schicken. Aber es kommen noch immer neue Informationen herein. Polizeiberichte, die der Gerichtsmedizin, all so etwas. Kann ich auf Sie zählen?“

Kate blickte zu Alan herüber, der noch immer mit Michelle tanzte. Sie knuffte ihn in die Nase und auf den Mund, während er ihr einen Bob-Dylan-Song vorsang. Wenn sie den Fall annahm, würde sie Melissa anrufen und ihr sagen müssen, dass sie auf Michelle nicht aufpassen konnte. Nicht heute Abend. Und die Pläne mit Alan musste sie auch absagen.

„Was, wenn ich nicht kann?“, fragte sie Duran.

„Dann gebe ich es an das Büro in Chicago zurück. Ich bin jedoch der Meinung, dass Sie perfekt zu dem Fall passen. Ich erwarte nur, dass Sie ein paar Spuren finden und die Sache ins Rollen bringen. Danach können die Agents vor Ort übernehmen.“

„Kann ich kurz darüber nachdenken?“

„Kate, ich brauche jetzt eine Antwort. Ich muss dem dortigen Police Department und dem Chicago FBI-Büro sagen, wo sie stehen.“

Im Herzen war ihr klar, was sie wollte. Sie wollte den Fall übernehmen. Ganz dringend wollte sie den Fall übernehmen. Und wenn sie das zur Egoistin machte… dann… ja, na und? Die Familie an erster Stelle zu setzen und sich selbst die Möglichkeit zu versagen, ein eigenes Leben zu führen, das war auch nicht das Wahre. Wenn sie diese Gelegenheit nicht wahrnahm, nur um in letzter Minute auf ihre Enkelin aufzupassen, dann würde sie sowohl gegen Melissa als auch gegen Michelle einen Groll hegen. Es tat weh, sich diese Tatsache einzugestehen, aber es war nun einmal die ungeschorene Wahrheit.

„Ja, in Ordnung, ich bin dabei. Haben Sie schon Flugdaten für mich?“

„Darum kümmert sich DeMarco“, sagte Duran. „Sie wird sich in Kürze mit Ihnen in Verbindung setzen.“

Kate beendete das Gespräch. Ihr Blick glitt zu Alan und Michelle. Sein angespannter Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er das Gespräch mit angehört hatte.

„Wann reist du ab?“, fragte er.

„Das weiß ich noch nicht. DeMarco kümmert sich um die Flüge. Irgendwann heute Abend. Alan … es tut mir leid.“

Er sagte nichts und blickte weg, als er sich mit Michelle auf dem Sofa niederließ. „Es ist nun einmal, wie es ist“, sagte er schließlich. „Fühl dich nicht schlecht deshalb … ich habe hier ein ziemlich heißes Date.“

„Sei nicht albern, Alan. Ich rufe Melissa an und erkläre es ihr.“

„Nein. Wenn die beiden eine Pause brauchen, dann sollen sie sie haben. Wie du weißt, bin ich durchaus in der Lage, auf die Kleine hier aufzupassen.“

„Alan, darum kann ich dich nun wirklich nicht bitten!“

„Und das würdest du auch nie tun. Und genau deshalb biete ich mich freiwillig an.“

Kate kam zum Sofa herüber und setzte sich. Sie ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken. „Weißt du eigentlich, wie unglaublich du bist?“

Er zuckte die Schultern. „Weißt du es denn?“

„Wie meinst du das?“, fragte sie, da sie den Ärger in seinem Tonfall hörte.

„Ich meine diese Sache mit dir und deiner Arbeit. Es sollte eine gelegentliche Sache sein, richtig? Und in aller Fairness muss ich sagen, dass es bisher auch so war. Aber wenn die Arbeit ruft, ist alles andere egal. Sie verlangen, dass du alles stehen und liegen lässt und sofort angerannt kommst, wann immer sie dich anrufen.“

„Das ist nun einmal Teil des Jobs.“

„Ein Job, von dem du vor zwei Jahren pensioniert wurdest. Vermisst du ihn wirklich so sehr?“

„Alan … das ist nicht fair.“

„Vielleicht nicht. Ich behaupte nicht, dass ich nachvollziehen kann, welche Anziehungskraft dieser Job auf dich ausübt. Aber ich stehe in derselben Ecke wie Melissa und Michelle. Das, was ich gewillt bin hinzunehmen, hat seine Grenzen.“

„Wenn es dir so wichtig ist, dann werde ich diesen Job nicht annehmen. Ich werde Duran anrufen und—“

„Nein. Du musst ihn annehmen. Ich möchte nicht, dass du es später an mir oder deiner Tochter auslässt, wenn du diese Gelegenheit vorüber ziehen lässt. Deshalb geh, nimm ihn an. Aber lass dir von jemandem, der sich mehr und mehr in dich verliebt, gesagt sein, dass du dich auf einige ernsthafte Gespräche gefasst machen musst, wenn du zurück bist. Mit mir, mit deiner Tochter, und vielleicht auch mit dir selbst.“

Kates erste Reaktion darauf war Ärger und Ablehnung. Doch vielleicht hatte er recht. Hatte sie nicht schließlich gerade eben noch festgestellt, dass ihre Entscheidung an Egoismus grenzte? In drei Wochen wurde sie sechsundfünfzig. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, hinsichtlich ihres Jobs einige Grenzen zu ziehen. Und wenn das bedeutete, dass ihre kleine, spezielle Vereinbarung mit Duran zum einem Ende kam, dann war das eben so.

„Alan … ich möchte, dass du ehrlich zu mir bist. Wenn ich diesen Fall übernehme und das eine Belastung für unsere Beziehung bedeutet …“

„Nein, das tut es nicht. Nicht diesmal. Aber ich weiß nicht, wie lange ich das in Zukunft noch mitmachen kann.“

Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, jedoch klingelte in diesem Augenblick ihr Telefon und unterbrach sie. Sie blickte auf das Display und sah, dass es Kristen DeMarco war, die junge Frau, die seit einem Jahr ihr Partner und bei diesem kleinen beruflichen Experiment mit dem FBI immer an ihrer Seite war.

„Das ist DeMarco“, sagte Kate. „Ich brauche die Flugdaten.“

„Schon in Ordnung“, sagte Alan, „du brauchst dafür nicht mein Einverständnis.“

Was sie nicht sagte, jedoch dachte, war: Warum habe ich dann das Gefühl, dass ich es dennoch brauche?

Es war keine Frage, mit der sie sich im Moment auseinander setzen wollte. Und, wie sie es während der letzten Monate schon so oft getan hatte, wenn sie sich solchen Fragen gegenüber sah, wendete sie ihre Aufmerksamkeit der Arbeit zu. Mit einem leichten Schuldgefühl nahm sie das Gespräch entgegen.

„Hey, DeMarco. Wie läuft’s?“