Neros Mütter

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Julia, Mutter der Dynastie

Julia blieb das einzige leibliche Kind des Augustus. Auf einen direkten männlichen Erben wartete der Prinzeps vergebens, also wurde die Tochter das wichtigste Instrument seiner dynastischen Projekte. Diese konzentrierten sich nicht unbedingt auf einen »Kronprinzen«, der dem Patriarchen als de-facto-Monarch nachfolgen sollte. Eine solche direkte Erbfolge anzustreben, wäre in dieser frühen Phase der Kaiserzeit nicht kommunizierbar gewesen und war wahrscheinlich auch gar nicht Augustus’ Ziel. Vielmehr ging es um die Absicherung der Familie, aber auch des Imperiums, das nicht schon wieder durch einen neuen Bürgerkrieg erschüttert werden sollte. Das Nachfolge-Problem freilich ergab sich mit dem ersten Tag seiner Regentschaft und entwickelte sich mit den Jahren zu einer Obsession.

Ein erstes Verlöbnis der zweijährigen Julia mit einem Sohn von Marcus Antonius war, wie oben beschrieben, schnell aufgelöst worden. Als Augustus’ Tochter mit vierzehn Jahren heiratsfähig geworden war, bestimmte ihr Vater einen neuen Bräutigam. Marcus Claudius Marcellus, der älteste Sohn von Julias Tante Octavia mit dem inzwischen verstorbenen Konsul Gaius Claudius Marcellus aus dem weit verzweigten Clan der Claudier, gehörte seit nunmehr sieben Jahren zum Kreis der Spielgefährten in der Herrscherresidenz. Dass Augustus ihn zu seinem Schwiegersohn erkor – und nicht etwa Livias ältesten Sohn Tiberius –, erklärt sich nur damit, dass der Neffe sein nächster männlicher Verwandter war. Als könne es Augustus nicht schnell genug gehen, ihn mit Julia zu verheiraten, beorderte er den Siebzehnjährigen 25 v. Chr. aus Spanien, wo er an seiner Seite als Offizier erste Erfahrungen sammeln sollte, nach Rom zurück.

Der Prinzeps selbst reiste nicht zur Hochzeit. Sein bester Freund Marcus Agrippa vollzog die Trauung, nichtsahnend, dass er nur vier Jahre später selbst Julias Mann sein würde. Doch vorerst war der wichtigste Gefolgsmann des Prinzeps noch mit Octavias Tochter Claudia Marcella verheiratet und somit Augustus’ Neffe und Marcellus’ Schwager. Die verwirrende Konstellation zeigt bereits, worauf es dem Herrscher ankam: Die Mitglieder seines Clans, zu dem Agrippa als ältester und bester Freund unbedingt gehörte, wurden untereinander verheiratet, um »Eindringlinge« und Einflüsse von außen abzuwehren und die Bindungen innerhalb der Familienfestung auf dem Palatin zu stärken. Augustus wollte die totale Kontrolle über jene Dynastie, die er mit Bedacht konstruierte, um seinem Clan die Macht für die kommenden Generationen zu sichern. Dabei sollte Julia eine zentrale Rolle spielen, als Stammmutter eines großen Julier-Geschlechts mit den geschwisterlichen Ahnen Octavian und Octavia. Ein Plan, der bei manchen Unbehagen auslöste, erinnerte er doch an genau jene hellenistischen Monarchien, die der Prinzeps mit aller Macht als angeblich »unrömisch« bekämpft hatte. »Der Name der Alleinherrschaft war den Römern zwar so verhasst, dass sie ihre Kaiser weder Diktatoren noch Könige noch auf ähnliche Weise benannten«, bemerkt Cassius Dio. »Da aber doch die Obergewalt in ihren Händen ruht, so ist nicht einzusehen, warum man nicht sagen darf, dass sie mit Königen beglückt sind.«

Und wie ein König gerierte sich Augustus, wenn er seinen Neffen und Schwiegersohn in Stellung brachte. Marcellus war von ihm in den Senat befördert worden, obwohl er für die übliche Ämterlaufbahn eigentlich zehn Jahre zu jung war. Er wurde Ädil, ein Amt, das nur ausüben konnte, wer ein großes Privatvermögen für die Veranstaltung öffentlicher Spiele zur Verfügung hatte. Spiele erhöhten die Popularität des Veranstalters, und so zeigten sich Julia und Marcellus als große Spender bei Wagenrennen. Man kann sich vorstellen, wie das designierte »Kronprinzenpaar« das Publikum eroberte, wie es von Gastmahl zu Gastmahl eilte, umjubelt und gefeiert.

Einen eigenen Hausstand hatten Marcellus und Julia wohl nicht, und vermutlich wohnten sie in der weitläufigen Augustus-Residenz auch nicht zusammen. Wenn sie auch in der Öffentlichkeit die Zukunft der Dynastie repräsentierten, waren die beiden Teenager doch noch zu jung, um ein selbständiges Leben zu führen. Marcellus’ Ausbildung war noch nicht abgeschlossen, und Julia dürfte auch als Ehefrau weiter Schulunterricht erhalten haben. Daneben gab es immerhin viel Freizeit für die exklusiven Vergnügungen der Kaiserfamilie. Landpartien, etwa an die Via Flaminia vor den Toren Roms, wo Livia ihren großen Gutshof unterhielt. Oder die Sommerfrische in Anzio, auf der Insel Capri und an der Goldküste der Superreichen am Golf von Neapel. Mit schnellen Pferden und Schiffen, begleitet von Dutzenden Sklaven, kamen die Mitglieder der Herrscherfamilie von Rom innerhalb eines Tages überallhin, wo Augustus seine zahlreichen Villen unterhielt. Wie oft der Herrscher selbst seine Besitztümer in den schönsten Landschaften Italiens genießen konnte, sei dahingestellt. Seine liebste Freizeitbeschäftigung konnte er aber immerhin auch zu Hause pflegen – und er teilte sie mit seiner Tochter.

Sueton zitiert aus einem Brief des Prinzeps an Julia, in dem Augustus den schwindelerregend hohen Einsatz bei einem Würfelspiel erwähnt. Es handelt sich um ein privates Dokument aus dem kaiserlichen Archiv. Augustus schreibt der Tochter: »Ich habe dir 250 Denare geschickt, die ich jedem einzelnen Gast jeweils gegeben habe, wenn sie während des Essens miteinander Würfel par impar (Gerade und Ungerade) spielen wollten.« Der Herrscher war selbst ein notorischer Spieler, der in einem anderen, ebenfalls von Sueton überlieferten Schreiben an Tiberius einräumt, bei einer Partie in der Familie 20.000 Sesterzen verloren zu haben, »aber nur, weil ich maßlos entgegenkommend bin«. 20.000 Sesterzen waren eine gewaltige Summe für ein Spielchen unter Verwandten und Freunden. Aber was heißt »verloren«? Augustus konnte nur gegen sich selbst verlieren, dem Brief an Julia ist ja zu entnehmen, dass die Einsätze auf dem Tisch ausschließlich von ihm stammten. 250 Denare, also 1000 Sesterzen, bedeuteten in etwa den Jahressold eines Legionärs. 20.000 bedeuteten zwanzig Jahresgehälter, also ein ganzes Soldatenleben. Damit zu spielen, konnten sich nur der Erhabene und seine Familie leisten.

Doch alles Geld des reichsten Mannes der Welt, alle Kunst des von ihm engagierten Starmediziners Antonius Musa konnten seinen Schwiegersohn nicht retten. Im Herbst 23 v. Chr. erlag Marcellus völlig überraschend im Alter von erst neunzehn Jahren vermutlich einer Viruserkrankung, die damals viele Menschen hinraffte und von der Augustus selbst gerade erst genesen war. Julias Gatte war der erste »große Tote« des Clans nach Julius Cäsar – entsprechend pompös wurde er zu Grabe getragen. Augustus selbst hielt die Leichenrede und ließ die Asche des Neffen in seinem Mausoleum bestatten. Später widmete er Marcellus eine Bibliothek und das nach ihm benannte, 13 v. Chr. eröffnete Theater am Fuße des Kapitols, mit gut 10.000 Zuschauerplätzen das größte der Stadt. So blieb der früh Verstorbene unvergessen, nicht nur von seiner Mutter Octavia, die zeitlebens Trauerkleidung trug und über den Verlust ihres einzigen Sohnes nie hinwegkam. Über Julias Reaktion ist nichts überliefert, aber man kann sich vorstellen, dass die Sechzehnjährige unter Schock stand. Sie hatte vollkommen unerwartet ihren Cousin und Kinderfreund verloren, mit dem sie als Ehefrau vielleicht erste Liebeserfahrungen machen durfte, wenn auch sicher unter der Aufsicht der Stiefmutter Livia und der Schwiegermutter Octavia.

Augustus ließ sich Zeit mit der Wahl eines neuen Schwiegersohns. Erst zwei Jahre später – Julia war inzwischen achtzehn Jahre alt – entschied er sich für seinen besten Freund: Marcus Vipsanius Agrippa. Mit 42 Jahren war Agrippa so alt wie der Prinzeps selbst und seinerseits mit Marcellus’ Schwester Marcella verheiratet, mit der er mindestens eine Tochter hatte. Doch das war kein Hindernisgrund für die umstandslose Auflösung der Ehe. Auf Anweisung von Augustus und mit Zustimmung seiner Schwester Octavia wurden die Karten neu gemischt. Marcella bekam ihren Stiefbruder Iullus Antonius, den Sohn von Fulvia und Marcus Antonius, als nächsten Gatten zugewiesen, und Agrippa heiratete sich mit Julia weiter nach ganz oben. Der ewige zweite Mann hinter dem Prinzeps war endgültig in der ersten Reihe angekommen.

Als homo novus (neuer Mann) besaß Agrippa keine Vorfahren, mit denen er Eindruck schinden und Ämter beanspruchen konnte. Sein Vater war zwar ein Ritter gewesen, doch stammte er nicht aus Rom und konnte weder eine Göttin als mythische Ur-Mutter vorweisen wie die Julier, noch eine fünfhundertjährige Senatsgeschichte wie die Claudier. Dennoch war, abgesehen von Livia, vermutlich kein anderer Mensch enger mit Augustus verbunden. Den Aufstieg zur Alleinherrschaft hatte der Prinzeps Schritt für Schritt mit diesem Jugendfreund absolviert. Ohne Marcus Agrippa wäre aus Octavian wohl niemals Augustus geworden.

Von Maecenas, dem anderen engen Freund des Herrschers, ist durch Cassius Dio der Ratschlag überliefert: »Du hast den Mann derart hochkommen lassen, dass du ihn entweder zu deinem Schwiegersohn machen oder ihn aus dem Weg räumen musst.« In Wirklichkeit hatte Agrippa Octavian den Weg geebnet, ohne ihm jemals selbst in die Quere zu kommen. Die sakralcharismatische Seite der Macht schien ihn nicht zu interessieren, er begnügte sich mit einer Rolle als Stellvertreter und Statthalter, dabei war Agrippa fast so reich wie Augustus und annähernd ebenso populär. Wenn Augustus über Monate oder sogar Jahre außerhalb Italiens weilte, vertrat ihn Agrippa zuverlässig in Rom. Der Prinzeps kümmerte sich um den Senat, seine rechte Hand pflegte die Bindung zum Militär.

Die beiden Freunde bildeten eine äußerst effiziente Doppelspitze. Als Flottenkommandant hatte Agrippa die wichtigen See-Siege über Sextus Pompeius und über Antonius und Kleopatra errungen, wofür der Prinzeps ihm eine goldene Krone verlieh, die sein Admiral bei öffentlichen Veranstaltungen tragen durfte. Die akribische Vorbereitung der großen Seeschlachten gegen die ärgsten Feinde des Duos verrät einiges über Agrippas Qualitäten als großer Stratege. Nördlich von Neapel wurde ein ganzer Wald abgeholzt und zu Schiffen verarbeitet, die auf dem Lago d’Averno zu einer Probeschlacht auffuhren. Von dem See hatte Agrippa bis zum nahegelegenen Meer eigens einen Kanal bauen lassen.

 

Wasser war Agrippas Element und sein Erfolgsgeheimnis. Als Verwaltungschef der Hauptstadt begann Agrippa 40 v. Chr. mit der Optimierung der Wasserversorgung, die er nach Octavians Machtübernahme vollendete. Er ließ vier Aquädukte modernisieren, zudem Aqua Julia und das immer noch funktionierende Aqua Virgo neu erbauen – und zahlte alles aus eigener Tasche. Zusätzlich spendierte er der Stadt siebenhundert Wasserbecken, hundertdreißig Zisternen, fünfhundert Brunnen und eine spektakuläre Thermenanlage. Er richtete den Posten eines Wasser-Verantwortlichen ein und stellte zweihundert Sklaven für die Instandhaltung der Infrastruktur zur Verfügung. Als die Trinkwasserversorgung garantiert war, kümmerte sich Agrippa um das Getreide. Am Fuße der Augustus-Residenz ließ er neue Lagerhallen bauen, die noch gut erhaltenen Horrea Agrippiana. Brot und Wasser also, aber auch die Spiele kamen nicht zu kurz. Der Circus Maximus wurde mit einer neuen Runden-Zähluhr ausgestattet, deren Delphin-Figuren an die siegreichen Seeschlachten erinnerten. Zudem ließ Agrippa einen Tempel für alle Götter errichten – das Pantheon. Kaiser Hadrian baute es später um, ehrte aber in der Giebelinschrift den Gründer.

Agrippa ließ Taten sprechen, darüber hinaus ist wenig über ihn bekannt. Die antiken Chronisten konzentrierten sich auf die Lichtgestalt Augustus, aber auch die moderne Geschichtsschreibung sah in ihm eher eine Art Handlanger als einen echten Partner. Ein Loblied dichtete immerhin der Tiberius-Freund Velleius Paterculus: »Agrippa war ein Mann von höchst nobler, tatkräftiger Wesensart, dem weder Strapazen noch Nachtwachen oder Gefahren etwas anhaben konnten. Er verstand sich aufs Gehorchen, aber nur einem einzigen gegenüber; allen anderen wollte er unbedingt die Befehle geben.«

Für Augustus waren Agrippas enorme Kenntnisse über Militär, Infrastruktur und Verwaltung und seine Popularität immer von größtem Nutzen gewesen, sie hätten sich allerdings auch als Gefahr entpuppen können, im Falle eines Konflikts mit seinem Admiral und »Premierminister«. Als der Prinzeps 23 v. Chr. schwer erkrankt mit dem Tod gerungen hatte, verfügte er, dass nicht der damals noch lebende Schwiegersohn Marcellus, sondern der alte Waffenbruder sein Nachfolger sein sollte. Was lag also näher, als das Freundschaftsband noch enger zu knüpfen und Agrippa, der in der Herrscherresidenz über ein – so gut wie nie benutztes – Gästeapartment verfügte, öffentlich und endgültig zu einem Teil der Familie zu machen? Zur Eheschließung 21 v. Chr. erschien Augustus allerdings wieder nicht, er war unabkömmlich auf außenpolitischer Mission. Für ihn zählte nur, mit wem Julia verheiratet war, und nicht, wie.

Julia kannte den 24 Jahre älteren Agrippa von Kindesbeinen an, für sie muss er vertraut wie ein Onkel gewesen sein, als Freund des Vaters aber auch eine Autoritätsperson. Doch ihr Respekt könnte zumindest anfangs dadurch gemildert worden sein, dass es ihm an Herkunft und Bildung mangelte. Marcellus war ein Claudier mit julischem Blut gewesen und die Prinzessin Julia als Enkeltochter des vergöttlichten Cäsar aufgewachsen. Agrippa aber hatte sein Leben mehr in Feldlagern und auf Kriegsschiffen als in luxuriösen Palästen verbracht. Die Erfindungen der Ingenieure interessierten ihn mehr als die Ergüsse von Literaten. Zudem war er kein blühender Jüngling wie Marcellus. Die erhaltenen Porträtbüsten zeigen einen Mann mit markanten, etwas groben Gesichtszügen, niedriger Stirn und starkem Kinn. Äußerlich das Gegenteil des feinnervigen Augustus.

Die Ehe zwischen Julia und Agrippa wurde zügig vollzogen. Im Jahr nach der Hochzeit kam Sohn Gaius als erstes Kind zur Welt. Danach riss es nicht ab: Drei Söhne und zwei Töchter wurden in der neun Jahre währenden Verbindung geboren, Augustus war also mit ausreichend Enkeln und Erben versorgt. Die Geburt des sehnlich erwarteten Stammhalters Gaius 20 v. Chr. erlebte der Prinzeps allerdings nicht mit. Er befand sich wieder einmal auf Reisen, zunächst auf Sizilien und dann, mit Livia, im Osten des Reiches. Erst im Sommer 19 v. Chr. kehrten sie zurück.

Am Anfang ihrer Ehe erlebte Julia ihren Mann also als Stellvertreter des Vaters in Rom, während sie gewissermaßen Livias Rolle übernahm. Wie lange genau, ist nicht bekannt, denn weder wurden präzise Daten für Eheschließung und die Geburt von Gaius überliefert noch der genaue Tag oder Monat von Agrippas Abreise gegen Ende des Jahres 20 v. Chr. nach Gallien. Er reiste weiter nach Spanien, bevor er Ende 19 v. Chr. nach Rom zurückkehrte, wo er die tribunicia potestas erhielt, eine für fünf Jahre gültige Vollmacht, die ihn offiziell zu Augustus’ Stellvertreter beförderte. Im Jahr darauf wurde ihm auch das imperium proconsulare (Befehlsgewalt) über die östlichen Provinzen übergeben. Augustus und seine rechte Hand waren über Jahre damit beschäftigt, Unruhen an den Außengrenzen des Imperiums niederzuschlagen und die eigenen Legionäre zu disziplinieren. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Julia ihren Mann bei dessen ersten Auslandseinsätzen nach der Eheschließung begleitete. Sie muss also mindestens ein Jahr lang ohne ihn in Rom verbracht haben. Die Tochter Julia wurde dort 19 oder 18 v. Chr. geboren, ebenso Lucius, der 17 v. Chr. zur Welt kam.

Vertraute die Augustustochter ihre Kinder Ammen an oder stillte sie selbst, wie es die Sitte von den römischen Aristokratinnen verlangte? Mit der Muttermilch sollten den Babys traditionell die alten Tugenden der romanitas verabreicht werden. Die Frau des älteren Cato, so ging das Gerücht, habe aus diesem Grund sogar die Kinder ihrer Sklaven an ihre eigene Brust gelegt. Doch ob sie stillte oder nicht – Julia war nun vor allem das Gravitätszentrum der Gesellschaft. Sie durfte ihren Reichtum in vollen Zügen genießen: kostbaren Schmuck, aufwendige Frisuren, Gastmähler und die Anregungen der römischen Kulturszene.

Sie führte nun ihren eigenen Haushalt, und was für einen: Bei Arbeiten zur Uferbefestigung des Tibers wurden 1879 die Reste einer luxuriösen Villa unweit einer von Agrippa erbauten Brücke entdeckt, dem Vorgängerbau des heutigen Ponte Sisto. Der erfolgreichste Admiral des Mittelmeeres hatte seine »Villa Farnesina«, in der er mit Julia und den Kindern lebte, am Ufer des Flussgottes Tiberinus errichtet. In einem der raffinierten Laubengänge ließ er seinen Sieg über Antonius in der Seeschlacht von Actium verewigen. Weil die Fresken auffällige Ähnlichkeiten mit jenen im Augustus-Palast aufweisen, vermuten Archäologen, dass sie aus derselben Werkstatt stammen.

Das gilt beispielsweise für die nahezu vollständig im römischen Nationalmuseum Palazzo Massimo erhaltene Wandbemalung eines eleganten triclinium, in dem das Paar ausgesuchte Gäste zum Abendessen empfing. Auf schwarzem Grund (dem der Rauch der Kerzen und Öllampen nichts anhaben konnte), ranken sich bis ins Detail naturgetreue Weingirlanden, spazieren luftzarte Göttinnen, lauern Fabeltiere und tanzen deftige Erotik versprühende Bacchanten. Auch die Schlafzimmer sind von großer Raffinesse, mit ihren Gipsreliefs voller leichtbekleideter Göttinnen und den pastellfarbenen Szenen, die junge Frauen bei der Toilette zeigen. Die dabei eingesetzten Parfumflakons und Cremetiegel dürften auch zu Julias Inventar gehört haben, ebenso wie die fein gedrechselten Toilettenhocker und die ärmellosen Tuniken aus feinster Seide. Die Frauen tragen Schmuck auch im Haus – Perlenschnüre im Haar und an den Handgelenken, Colliers und Ohrringe. Julia wird ähnlich ausgesehen haben. Ob sie auch in derart leichte, nur mit einem Hauch von Lederband zusammengehaltene Sandalen schlüpfte?

Sicher verfügte sie, wie alle Matronen der Oberschicht, über ein eigenes Schlafzimmer. Vielleicht war es jener hellgrundige Raum, an dem Augustus als Götterbote Merkur in der Stuckdecke verewigt ist. Und Agrippa nächtigte womöglich in einem rot grundierten Zimmer, auf dessen Bildern amazonenhafte Wesen Löwen füttern und Paare Zärtlichkeiten austauschen. »Natürlich befindet sich in deinem Haus (…) an irgendeinem Ort ein kleines Bild, das verschiedene Arten von Koitus und Stellungen beim Liebesspiel darstellt«, schreibt Ovid an Augustus – und das galt wohl auch für dessen besten Freund und Schwiegersohn.

Die strenge Livia gab für die Gerüchteküche allerhöchstens in der Rolle als Chef-Intrigantin etwas her. Umso beliebter war Julia, die Tochter des Halbgottes und Frau seines kraftstrotzenden Generalissimo. Das Flachrelief auf der Ara Pacis, dem 9. v. Chr. mit großem Pomp eingeweihten Friedensaltar des Augustus, vermittelt einen Eindruck von ihrer Erscheinung. Auf dem langen Zug von Angehörigen des Prinzeps ist Julia hinter ihrem Mann Marcus Agrippa zu sehen. Ihr Erstgeborener Gaius hält sich an der Toga des Vaters fest und dreht sich lächelnd zur Mutter um. Es ist eine innige Familienszene, in der Julia als hochgewachsene, etwas üppige, vielleicht wieder einmal schwangere junge Frau erscheint. Sie hat ein schönes Gesicht mit sinnlich geschwungenen Lippen, großen Augen, einer langen, geraden Nase. Kein Zweifel, die Tochter des Prinzeps war an Agrippas Seite voll erblüht zu einer selbstbewusst-aristokratisch auftretenden, attraktiven Frau.

Über sie zerriss sich toute Rome das Maul. In welchem Ausmaß, das lassen einige viel zitierte Anekdoten erahnen, die Macrobius in seinen Saturnalia ausbreitet. Es handelt sich dabei um fiktive Gespräche der Teilnehmer an einem Gastmahl nach dem Vorbild von Platons Symposium. Macrobius lebte um das Jahr 400, rund vierhundert Jahre nach Julia. Was er über die Prinzessin schreibt, ist also keineswegs der Augenzeugenbericht eines Zeitgenossen, allerdings bezieht er sich offenbar auf den augusteischen Autor Domitius Marsus. Der Mangel an anderem Material macht die Saturnalia trotz ihrer unsicheren Authentizität bis heute zur wertvollen Quelle für die Beschreibung von Julias Persönlichkeit. Überliefert wird das Bild einer mondänen, kultivierten und sehr belesenen Frau.

Macrobius macht sich einen Spaß daraus, Augustus und Julia liebevoll miteinander streiten zu lassen. Dabei fährt die Tochter dem besorgten Vater ständig über den Mund: Sie ist eindeutig schlagfertiger, eine Mischung aus unverfrorener Göre und ironischer Grande Dame. Einmal sieht Augustus sie in einem gewagten Kleid, verkneift sich aber zunächst jede Bemerkung. Erst als sie am darauffolgenden Tag sehr hochgeschlossen erscheint, lobt er sie ausdrücklich: »Wie viel besser dieses Gewand doch zur Tochter des Augustus passt!« Julia entgegnet: »Gestern habe ich mich für meinen Mann angezogen, heute für meinen Vater.« (Hodie enim me patris oculis ornavi, heri viri.) An anderer Stelle mahnt Augustus, sie solle sich ein Beispiel an ihrer Stiefmutter Livia nehmen. Die gehe, wie es sich gehöre, in Begleitung würdiger älterer Herren zum Gladiatorenspektakel – und nicht, wie Julia, mit »jungen, lüsternen Männern«. Macrobius lässt die Tochter kühl antworten: »Aber die werden doch mit mir alt.«

Einem ähnlichen Muster folgt jene Anekdote, in der »ein Freund« Julia rät, dem guten Beispiel ihres Vaters nachzukommen, der einen betont einfachen Lebensstil zelebriere. Auch hier folgt die Retourkutsche: »Der vergisst, dass er Cäsar ist. Aber ich vergesse nicht, dass ich Cäsars Tochter bin.« (Ille obliviscitur Caesarem se esse: ego memini me Caesaris filiam.) Das Ganze gipfelt in der Behauptung, Augustus habe die Tochter verdächtigt, ihrem Mann »Kuckuckskinder« untergeschoben zu haben, sich aber geschämt, als er feststellen musste, wie ähnlich seine Enkel dem Agrippa waren. Julia habe dazu leichthin gesagt: »Ich nehme nur Fahrgäste, wenn das Schiff beladen ist.« (Numquam enim nisi navi plena tollo vectorem.)

Das klingt wie ein kleiner Schlagabtausch aus einem mimus, jener schon beschriebenen deftigen, unter den Römern so beliebten Komödie, bei er es vorzugsweise um lasterhafte Frauen und deren erotische Abenteuer ging. In solch satirischem Geist hat Microbius die Saturnalia wohl auch verfasst. Denn es wäre eine absurde Vorstellung, dass sich die einzige Tochter des Augustus damit brüstet, ausschließlich während ihrer Schwangerschaften außereheliche Liebschaften zu unterhalten, weil sie als »beladenes Schiff« keine Konsequenzen zu befürchten habe. Eine ziemlich obszöne Männerphantasie um eine junge Frau, die von ihrem Vater zur Gebärmaschine der Dynastie ausersehen war.

 

Doch wenn Macrobius noch Jahrhunderte später Julias Liebschaften thematisiert, so hat der Klatsch um ihre Abenteuer offenbar Generationen überdauert. Die schöne junge Frau kam ins Gerede, weil sie in so krassem Kontrast zum zelebrierten, staatstragenden Puritanismus ihres Vaters und ihrer Stiefmutter stand. Der erhabene Asket Augustus, der treue Agrippa und das Partygirl Julia, diese Konstellation wäre auch für heutige Medien reizvoll. Ihr wurden Liebhaber en masse angedichtet, dabei hätte sie zu all den Affären, die man ihr nachsagte, wohl kaum Gelegenheit gehabt. Auch in Agrippas Abwesenheit gab es in Rom genügend Augen und Arme, die seine Frau Tag und Nacht kontrollierten. Wo hätte sie ihre angeblichen Liebhaber ungestört treffen können? Sicher nicht in der Villa Farnesina oder im Kaiserpalast, aber auch nicht in anderen Häusern der Aristokratie. Der Prinzeps selbst wies einen gewissen Lucius Vinicius zurecht, als dieser vornehme und allgemein geachtete junge Römer Julia einmal in ihrem Ferienhaus in Baiae besuchen wollte. So etwas gehöre sich nicht, ließ Augustus Vinicius ausrichten. Wann sich die Episode ereignete, ob vor, zwischen oder während Julias Ehen, ist nicht bekannt. Aber sie beweist, dass der Herrscher alles tat, um seine Tochter abzuschirmen.

Agrippa zu betrügen, wäre also gar nicht so einfach für Julia gewesen. Und doch stellt Tacitus den Senator Sempronius Gracchus, Nachfahre des Hannibal-Besiegers Scipio und der Gracchen-Mutter Cornelia, als langjährigen Geliebten der Augustus-Tochter an den Pranger. Ausgestattet »mit einem beweglichen Geist« und einer »bösartigen Redegewandtheit«, habe er Julia während ihrer Ehe mit Marcus Agrippa verführt. Man kann sich kaum vorstellen, dass Augustus nicht eingegriffen hätte. Auch die Behauptung, Julia habe sich an ihren Stiefbruder Tiberius herangemacht, scheint angesichts des späteren, vergeblichen Widerstands beider gegen ihre Zwangsverheiratung nicht mehr als üble Nachrede zu sein.

Agrippa und Augustus zogen das Band zwischen sich noch enger. Kaum hatte Julia 17 v. Chr. ihr drittes Kind Lucius geboren, da wurde der kleine Junge gemeinsam mit seinem dreijährigen Bruder Gaius von Augustus adoptiert, laut Sueton »im Hause ihres Vaters Agrippa in der altertümlichen juristischen Form des Kaufes«. Die Kinder trugen fortan den Beinamen Cäsar. Alles an diesem Vorgang war ungewöhnlich, angefangen mit der Adoption von Kleinkindern. Üblicherweise nahmen Aristokraten halbwüchsige Verwandte an, damit das Erbe in der Familie blieb. Als Enkel von Augustus aber wären Gaius und Lucius ohnehin Erben gewesen. Ganz offensichtlich wollte der Großvater sie noch näher an sich heranholen und ihre Erziehung übernehmen. Ihre Adoption konnte nicht rückgängig gemacht werden, deshalb war es eine große Geste von Agrippa, auf seine Söhne zu verzichten. Agrippa aber tat, was er zeitlebens getan hatte: Er trat einen Schritt hinter dem Freund zurück. Mit dem offiziellen Verzicht auf seine Vaterschaft tilgte er von seinen Söhnen den Makel, von einem Aufsteiger abzustammen, und machte sie zu Juliern. Augustus aber bekam, was er seit dem Tod von Marcellus vermisst hatte, nämlich gleich zwei julische »Kronprinzen«. Der Weg für die Nachfolge schien geebnet, die Herrschaft des Clans gesichert. Auf Augustus sollte Agrippa folgen, auf Agrippa seine Söhne. Als Julia und ihr Mann im Frühjahr 16 auf Mission in den Osten reisten, ließen sie ihre drei Kleinen Gaius, Julia minor und Lucius in der Obhut von Augustus und Livia. Mindestens zweieinhalb Jahre lang, vielleicht bis Oktober 14, wahrscheinlich bis Frühjahr 13, sahen sie die Kinder nicht wieder.

Nahm Agrippa Julia mit auf die Reise, um sie dem Gerede in der Hauptstadt zu entziehen oder gar eine Beziehung zu Sempronius Gracchus zu unterbinden? In diesem Fall hätte er sicherlich das Plazet von Augustus gehabt. Wahrscheinlicher aber ist, dass er Julia zur Unterstützung brauchte. Weibliche Begleitung bei der Mission eines Regenten war nicht ungewöhnlich. Bereits Octavia war Antonius in den Osten gefolgt, und Livia reiste über Jahre mit Augustus. Zweifellos verlieh Julia der auctoritas Agrippas durch ihre Anwesenheit noch mehr Gewicht, schließlich war sie die Tochter des Prinzeps und wurde wie eine Göttin verehrt und gefeiert. Auf Zypern und auf Lesbos errichtete man ihr Statuen, in Ephesos wurde sie zur Reinkarnation der Venus verklärt, in Judäa wurde eine Stadt (Betsaida am See Genezareth) nach ihr benannt. Münzen wurden geprägt, die sie mit Gaius und Lucius zeigen, als Stammmutter des glorreichen Julier-Geschlechts. In den griechisch geprägten Provinzen erfuhr Julia also eine ganz neue Dimension des Herrscherkults, bei dem auch weibliche Angehörige des Monarchen parareligiöse Verehrung genossen. Dergleichen gab es in Rom nicht. Zwar hatte Augustus seiner Gattin Livia und seiner Schwester Octavia je einen Porticus gewidmet und mit der sacrosanctitas jede Schmähung gegen sie einer Majestätsbeleidigung gleichgestellt. Doch das war nichts verglichen mit der »Vergöttlichung«, die Julia im Osten zuteilwurde. Da ging es nicht um Disziplin, Sittsamkeit und fast soldatische Pflichterfüllung, dort durfte sie sich als Königin fühlen, ganz ohne die »Konkurrenz« der Stiefmutter Livia. Auch Agrippa bekam seinen Teil: Der jüdische König Herodes benannte seinen Enkel nach ihm.

Auf Lesbos oder in Athen kam 14 v. Chr. Vipsania Agrippina zur Welt, das vierte Kind von Julia und Marcus Agrippa. Eine Zeitlang blieb Julia ohne Agrippa auf der Insel. Sie reiste ihm dann im Nordwesten der heutigen Türkei entgegen und geriet bei dem Versuch, in der Nähe von Troja nachts den Fluss Skamander (heute Karamenderes Çayı) zu durchqueren, in Lebensgefahr. Vielleicht lag Troja tatsächlich auf dem Weg zu Agrippas Aufenthaltsort, womöglich wollte sich Julia aber auch bewusst an jenen Ort begeben, aus dem der Sage nach Aeneas, der Stammvater der Julier, nach Italien geflohen war. Sie stammte aus einer Welt, in der Herkunft alles bedeutete, also war die Reise zu den eigenen, mythisch verklärten Wurzeln naheliegend. Die Bewohner von Troja ahnten nichts von Julias Besuch und von der Gefahr, in der sie schwebte. Dafür, dass sie der Augustustochter, die sich nur mit Mühe und Not aus dem Fluss retten konnte, nicht geholfen hatten, belegte Agrippa später die ganze Provinz mit einer Strafsteuer.

Ohne ihre Männer konnte ein Aufenthalt im Ausland und das Reisen für die Frauen des Herrscherhauses beschwerlich sein. Insofern dürfte die Rückkehr nach Rom für Julia eine Erleichterung gewesen sein. Doch in der Kapitale erwarteten sie neue Pflichten und alte Einschränkungen: Wieder musste sie hinter Livia zurückstehen, wieder wurde sie von Agrippa allein gelassen, der zu neuen Missionen aufbrach und im Winter 13/12 v. Chr. schwer erkrankt zurückkehrte. Von dieser Krankheit sollte sich die Nummer zwei im Reich nicht mehr erholen. Julia war mit dem fünften gemeinsamen Kind schwanger, als der beste Freund und mächtige Stellvertreter des Augustus im April 12 v. Chr. starb. Als Ort des Todes wird Kampanien angegeben, wo Agrippa in Boscotrecase nahe Neapel eine Villa besaß. Offenbar hatte der Generalissimo sich aus Rom dorthin zurückgezogen, um schneller zu gesunden. War Julia bei ihm, als er starb? Sicher muss sie beim feierlichen Leichenzug ihres zweiten Ehemannes anwesend gewesen sein, hochschwanger, umgeben von ihren kleinen Kindern, das Bild einer königlichen Witwe von 27 Jahren.

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