Neros Mütter

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JULIA
DIE GEFALLENE PRINZESSIN
Tochter des Bürgerkriegs

Rom, 30. Oktober 39 v. Chr. Ein junger Vater nimmt sein Neugeborenes auf den Arm und drückt es an sein Herz. Was aussieht wie eine spontane Geste, ist ein Ritual. Vor Zeugen erkennt er so das kleine Mädchen als sein Kind an. Er gibt ihr einen Namen – und trennt sich von ihrer Mutter. Sofort, vermutlich noch am selben Tag, vielleicht in derselben Stunde. Der Vater ist Octavian, die Mutter Scribonia, das Kind Julia. Mit ihrer Geburt und der Trennung ihrer Eltern beginnt unsere Geschichte und das Jahrhundert der julisch-claudischen Dynastie.

Julia kam auf dem Palatin zur Welt, einem sagenhaften Hügel zwischen Circus Maximus, dem Forum Romanum und dem Tiber. Mit Bedacht hatte Octavian diesen Platz für seine Residenz gewählt, vermutete man doch gleich nebenan das Haus von Romulus, Roms mythischem ersten König. Der Legende nach soll Romulus die Stadt auf dem Palatin gegründet haben, im Streit mit seinem Zwillingsbruder Remus, der den Nachbarhügel Aventin bevorzugte. Der Bruderzwist entartete, bis Romulus Remus erschlug. So wurde der Palatin Roms erste Adresse und das Nest jener Mythen, auf die sich die Herren des zur Weltmacht strebenden Stadtstaates beriefen. Octavian war einer von ihnen.

Gemeinsam mit Marcus Antonius und Marcus Aemilius Lepidus gehörte Julias Vater zu einem Triumvirat, das als Zweckbündnis konkurrierender Feldherren die Führung an sich gerissen hatte. Im Bürgerkrieg, der Staat und Gesellschaft seit dem Mord an Cäsar im Jahr 44 v. Chr. spaltete, agierten die Triumvirn als unerbittliche Warlords. Vordergründig bekämpften sie die Verteidiger der untergehenden Adelsrepublik, zu denen auch die Mörder Cäsars gehörten. In Wirklichkeit war es ein Kampf um die Alleinherrschaft. Julia wurde also hineingeboren in eine Stadt, die sich im Daueraufruhr befand, als Tochter eines Mannes, der alles daransetzte, sich Rom und Reich zu unterwerfen.

Väterlicherseits stammte Octavians Familie aus den weinbestandenen Hügeln südlich von Rom, war also nicht Teil der Stadtaristokratie und konnte keine bedeutenden Ahnen vorweisen. Mit Geldverleihen wohlhabend geworden, gehörte sie dem Ritterstand an. Octavians Vater machte als erster seiner Sippe Karriere im Staatsdienst, bevor er 59 v. Chr. starb. Er hinterließ seine Frau, zwei Töchter, die beide Octavia hießen, und den jüngsten Sohn Gaius. Um den Vierjährigen kümmerte sich fortan Gaius Julius Cäsar, der Onkel von Gaius’ Mutter und mächtigste Mann von Rom.

Weil der große Feldherr keinen leiblichen Sohn oder Enkel hatte, machte er den Großneffen zu seinem Schützling. Das war eine verbreitete Praxis in römischen Familien, doch der Junge muss Cäsar auch durch seine Persönlichkeit erobert haben. Cäsar führte ihn in die römische Gesellschaft ein, und nahm ihn mit auf einen Feldzug nach Spanien. Gaius erhielt also Gelegenheit, sich zu beweisen, und tatsächlich bestimmte ihn der Großonkel in seinem Testament zu seinem Sohn und Haupterben.

Kaum war der Diktator im März 44 v. Chr. unter den Messerstichen seiner Mörder verblutet, da legte Octavian seinen ursprünglichen Familiennamen ab und nannte sich wie sein Adoptivvater: Gaius Julius Cäsar. In der Geschichtsschreibung und also auch hier heißt er Octavian, um ihn von Cäsar zu unterscheiden. Durch die Adoption gehörte er offiziell zu den Juliern, einem Geschlecht, das seine Ursprünge auf die Liebesgöttin Venus zurückführte, auf den Kriegsgott Mars und den trojanischen Kriegshelden Aeneas, der Legende nach Ahnherr von Romulus. Damit nicht genug, hatte Cäsars Ziehsohn die Vergöttlichung seines Großonkels betrieben und durfte sich seither Divi Iuli Filius nennen, was ihm die Aura des Transzendenten verlieh. Der schmächtige 24-Jährige mit den aschblonden Haaren und den stechend hellblauen Augen verfügte über ein außergewöhnliches Charisma, strahlende Intelligenz und einen unbeirrbaren Willen zur Macht. »Der Knabe, der alles seinem Namen verdankt«, wie seine vielen Gegner spotteten, wollte in diesem Namen den ermordeten Familienvorstand rächen und selbst in Rom an die Spitze.

Auf dem Weg nach oben stellte sich Cäsars Zögling vor allem ein Rivale in den Weg: Marcus Antonius, zwei Jahrzehnte älter als Octavian, amtierender Konsul und als Augur Verkünder des aus dem Vogelflug zu lesenden Götterwillens. Antonius war hinter Cäsar die Nummer zwei gewesen, ein erfolgreicher General, vor allem aber ein begnadeter Strippenzieher, schillernd, exzentrisch und skrupellos. Anders als die Octavianer hatten sich die Antonianer den Aufstieg in die führenden Kreise Roms nicht mit Geld erkauft, sondern auf dem Schlachtfeld erkämpft. Seinem jugendlichen Herausforderer Octavian war Marcus Antonius in jeder Hinsicht überlegen – an Macht, an Erfahrung und nicht zuletzt an ökonomischen Mitteln, die durch die Aneignung von Cäsars Vermögen und den Zugriff auf den Staatsschatz gerade noch einmal gewaltig angewachsen waren. Zielstrebig und umsichtig setzte Antonius alles daran, der neue König von Rom zu werden. In Marcus Aemilius Lepidus, einem einflussreichen Weggefährten Cäsars, hatte er einen Verbündeten gefunden.

Im Namen des toten Diktators waren jedoch so viele Soldaten zu Octavian übergelaufen, dass dieser nun den Kampf gegen Antonius aufnehmen konnte. Der junge Mann hielt es wie sein Adoptivvater und zahlte gut. Octavian war der Liebling der Truppe, die von seiner Großzügigkeit geschmeichelt war und mitgerissen von seinem Mut. Doch der Neunzehnjährige wäre der Anführer einer Bande von Freischärlern geblieben, hätte er es nicht geschafft, den römischen Senat hinter sich zu bringen.

Ausgerechnet im glühendsten Verteidiger der alten Republik fand der Erbe des Diktators seinen wichtigsten Verbündeten. Dem Senator Marcus Tullius Cicero kam der jugendliche Hitzkopf gerade recht, um Marcus Antonius auszubremsen. Cäsars Sohn sollte die Republik vor Cäsars Weggefährten retten, das war Ciceros Plan. War Marcus Antonius erst einmal geschlagen, würde man den politisch unerfahrenen Octavian schon unter Kontrolle bringen. Er konnte durchaus weiter von Nutzen sein, als Symbol der Versöhnung mit der Cäsar-Partei, die bei der Plebs großen Anhang hatte. Außerdem gab es ein entscheidendes Argument: Der Senat hatte keine Soldaten. Es war für Cicero ein Leichtes, die Standesgenossen davon zu überzeugen, Octavian ein offizielles Truppenkommando zu erteilen und ihn damit zum General der Republik zu ernennen.

Der aber ließ sich nicht gängeln. Kaum hatte er die erste Schlacht für die sieche Republik geschlagen, da forderte er das Konsulat. Nach geltendem Recht war er für dieses höchste Staatsamt viel zu jung, denn Konsul wurde man normalerweise nicht vor Erreichen des vierzigsten Lebensjahres, nach einer genau vorgeschriebenen Ämterkarriere mit vielen Stationen, von denen Octavian noch nicht einmal die erste absolviert hatte. Im allgemeinen politisch-institutionellen Chaos der Zeit nach Cäsars Ermordung spielte das jedoch keine Rolle mehr. Der Senat musste kapitulieren und anschließend mitansehen, wie Octavian einen Pakt mit seinen Rivalen schloss. Anderthalb Jahre nach Cäsars Tod hatte Rom ein neues Regime: Ab November 43 v. Chr. herrschten die drei konkurrierenden Bündnispartner als Triumvirat.

Gemeinsam tauchten sie die Stadt in ein Blutbad. Die alte politische Kaste aus Patriziern und republikanischen Senatoren sollte eliminiert werden, eine »schwarze Liste« von angeblichen Staatsfeinden mit den Namen von dreihundert Senatoren und zweitausend Rittern kursierte. Gnadenlos war die Jagd auf diese Männer, viele wurden umgebracht, ihre Vermögen konfisziert. Eiskalt vernichteten Octavian, Antonius und Lepidus die Opposition, also quasi alle, die zuvor einflussreicher und vermögender gewesen waren als die Triumvirn selbst. Cassius Dio hat das Gemetzel plastisch beschrieben: »Viele wurden in ihren Häusern, viele auf den Straßen, auf öffentlichen Plätzen und bei den Tempeln ermordet. Ihre Köpfe wurden (…) zur Schau ausgestellt, und ihre Leiber teils am Ort der Ermordung liegen gelassen und von Hunden und Vögeln aufgezehrt, teils in den Fluss geworfen.«

So erging es auch Cicero. Octavian rührte für seinen Mentor keinen Finger, als Antonius’ Häscher ausschwärmten und den großen Intellektuellen töteten. Ciceros Haupt und seine rechte Hand wurden an der Rednertribüne des Forums aufgesteckt, als Menetekel für den Untergang der alten Elite und die Entschlossenheit der neuen Machthaber. Die Führungselite Roms zerfleischte sich selbst; die Folge war eine ungeheure Umwälzung an der Staatsspitze: Die Triumvirn konfiszierten die Besitztümer der Getöteten, besteuerten Grundbesitz und Mieten und beschenkten ihre Offiziere mit Landgütern und Ämtern. Dabei versuchten sie, sich gegenseitig zu übertreffen, um die eigene Position bei ihren Truppen zu stärken. Viele machte der Krieg wohlhabend, seine drei Feldherrn aber machte er unermesslich reich.

Im Sommer 42 v. Chr. ging es in den Osten, wo Brutus und die anderen Cäsar-Mörder sich mit ihren Truppen verschanzt hatten. In der zwei Wochen dauernden Schlacht der 200.000 bei Philippi in Nordwestgriechenland wurden die Republikaner vernichtend geschlagen. Die besiegten Anführer nahmen sich das Leben, und mit ihrem Tod hatte Octavian seinen Adoptivvater gerächt. Zwei Jahre später teilten die Triumvirn in Brundisium (Brindisi) das Reich untereinander auf. Octavian wurde der Westen zugeschlagen, Antonius der Osten mit Griechenland, Lepidus Afrika. Doch dieser Dritte im Bunde wurde bald von seinen beiden Amtskollegen ausgebootet und musste sich ins Privatleben zurückziehen. Der Showdown um die Macht lief zwischen Antonius und Octavian. Ein Jahrzehnt lang hielten sie mit Friedensschwüren und Feindseligkeiten das Reich in Atem, bis am Ende der alleinige Sieger feststand.

 

Heiratspolitik eines Emporkömmlings

Bei seinem Aufstieg hatte sich Octavian nicht nur auf militärische Gewalt und den Rückhalt in Truppe und Volk verlassen. Beharrlich und berechnend heiratete sich der Außenseiter Stufe um Stufe in die römische Upperclass hinein, mal mit, mal ohne Einverständnis von Marcus Antonius. Eine erste Verlobung mit der Tochter eines einflussreichen Senators löste er, um 41 v. Chr., um die vierzehnjährige Antonius-Stieftochter Clodia zu heiraten. Doch bald schickte er sie »unangetastet«, also noch als Jungfrau, zurück in ihre Familie und heiratete 40 v. Chr. Scribonia. Im selben Jahr nahm Marcus Antonius Octavians ältere Schwester Octavia zur Frau. Die beiden Triumvirn waren nun verschwägert, mit Octavia als Unterpfand für den Pakt von Brindisi und Scribonia als Garantin für den Frieden mit Sextus Pompeius.

Der jüngste Sohn von Cäsars großem Widersacher (und Schwiegersohn) Pompeius Magnus war der hartnäckigste Gegner von Octavian und Marcus Antonius. Mit seiner Flotte kontrollierte Sextus weite Zonen des Tyrrhenischen Meeres und namentlich Sizilien, die Kornkammer Roms. Immer wieder blockierte er die Versorgung der Hauptstadt und löste Hungersnöte aus, die für die Machthaber politisch brisant wurden. Also übernahm Octavians Freund Maecenas den Auftrag, dem mächtigen Seefahrer ein Friedensangebot zu unterbreiten und bei ihm um seine Schwägerin Scribonia zu werben.

Scribonia war einige Jahre älter als Octavian. Sie entstammte einer einflussreichen Familie, war bereits mit zwei Konsuln verheiratet gewesen und hatte aus diesen vorhergegangenen Verbindungen zwei Kinder. Ihre somit erwiesene Fruchtbarkeit, ihre Abstammung vom legendären Hannibal-Bezwinger Scipio Africanus und ihre Verbindungen in tonangebende Kreise der Republik machten sie zu einer attraktiven Partie. Ausschlaggebend aber war die Verwandtschaft mit Sextus. Der gefürchtete »Pirat« ließ sich seine Einwilligung teuer bezahlen – und zündelte weiter, bis er im September 36 v. Chr. von Octavians engstem Gefährten Marcus Agrippa vernichtend geschlagen wurde.

Über die Ehe zwischen Octavian und Scribonia ist nicht mehr bekannt als ihr Anfang und ihr Ende. Als Scheidungsgrund gibt Sueton widersprüchliche Motive an, die offenbar aus mindestens zwei verschiedenen Quellen stammen. Einmal zitiert er aus einem Schreiben des Octavian, dieser habe sich »durch und durch angeekelt« von Scribonias »verkommenem Charakter« gefühlt, dann wieder heißt es, die Gattin habe sich allzu laut über eine Geliebte ihres Mannes beklagt.

Doch in Wirklichkeit ging es gar nicht darum, ob Scribonia zu verlottert war oder zu sittenstreng. Nach geltendem Recht musste Octavian ohnehin kein Motiv für die Trennung angeben. Sich scheiden zu lassen, war noch unkomplizierter als zu heiraten, weshalb die römische Oberschicht eine Art Ehe-Schach spielte: Indem man das Band zu einer Familie zerschnitt, konnte man neue Verbindungen zu einem anderen, womöglich noch wichtigeren Clan knüpfen. Die Trennung ging dabei durchaus nicht nur vom Mann aus, sondern auch von der Familie der Frau. Ehen waren kaum verbrämte Zeitverträge, von denen niemand erwartete, dass sie ein Leben lang hielten. Scribonia hatte ausgedient, weil Octavian etwas Besseres gefunden hatte: eine Frau, die seinen Aufstieg weiterbeförderte.

An seinem 24. Geburtstag am 23. September 39 v. Chr. hatte Octavian die neunzehnjährige Livia kennengelernt, Tochter des Senators Livius Drusus Claudianus und ebenso gutaussehend wie temperamentvoll. In ihrem jugendlichen Alter hatte sie schon viel erlebt und durchgemacht. Ihr Vater hatte sich im Bürgerkrieg der Partei der Cäsar-Mörder angeschlossen und sich nach der Niederlage bei Philippi das Leben genommen. Livia war damals schon mit ihrem entfernten Verwandten Tiberius Claudius Nero verheiratet, 27 Jahre älter als sie. Das Paar hatte einen dreijährigen Sohn, der nach seinem Vater ebenfalls Tiberius hieß – und erwartete bereits das nächste Kind. Das alles kümmerte den bei aller Verliebtheit berechnenden Octavian ebenso wenig wie die Tatsache, dass seine eigene, hochschwangere Frau Scribonia kurz vor der Niederkunft stand. Livia war eine Claudierin und damit allererste Wahl. Also musste er sie haben, und zwar sofort.

Die Familie seiner künftigen Frau war uralter Senatsadel und den aufstrebenden Juliern gesellschaftlich überlegen. Die Claudier beriefen sich auf Appius Claudius, der 495 v. Chr. Konsul gewesen war und auf den im Laufe der Jahrhunderte noch 27 claudische Konsule folgten. An diesem Clan kam in Rom niemand vorbei. Cäsars Adoptivsohn hatte die Familie bekämpft, besiegen konnte er sie nicht. Also war die eheliche Verbindung und die Gründung eines neuen julisch-claudischen Familienzweigs die beste Lösung. Dass die Verwandten seiner neuen Frau als Zugehörige einer winzigen Kaste von Alteingesessenen unbeugsame Verfechter republikanischen Prinzipien waren, störte Octavian überhaupt nicht. Es kam ihm sogar entgegen, denn so konnte er sich im Kampf um die Macht gegen den monarchistischen Antonius als einziger Bewahrer der alten Werte gerieren. Die Liebe des jungen Triumvirn zu der schönen Patrizierin war also große Politik.

Am 17. Januar 38 v. Chr. waren die beiden schon verheiratet. Die kleine Julia war noch keine drei Monate alt und ihre Stiefmutter Livia im sechsten Monat von ihrem Noch-Ehemann schwanger. Aber auch das war kein Problem: Livias Noch-Ehemann begleitete die Schwangere sogar zur Trauung mit Octavian. Paradoxerweise war die Hochzeit seiner Ex-Frau für den Verlassenen ein Glückstag, denn der Verzicht auf Livia befreite den Vater ihrer Kinder aus einer ziemlich ausweglosen Lage.

Einst hoher Staatsbeamter und Flottenkommandant, hatte der Claudier Tiberius Nero den Zenit seiner Karriere überschritten und war nun auf die Gunst des Octavian angewiesen. Alles hatte er versucht, um dessen Aufstieg zu verhindern, sogar eine Miliz aus neapolitanischen Sklaven aufgestellt und sich mit Scribonias Verwandtem Sextus verbündet. Am Ende suchte er Schutz bei Marcus Antonius, doch als auch der sich mit Octavian verbrüderte, war der treue Staatsdiener gesellschaftlich ein toter Mann. In totaler Isolation und wachsender Angst verbrachte er seine Tage, als sich ihm unerwartet doch noch die Aussicht auf einen komfortablen Ruhestand eröffnete – indem er seine Ehefrau an den verliebten Sieger abtrat.

Auch das Hochzeitsmahl richtete er für Livia und Octavian aus. Cassius Dio überliefert, wie einer der zur Unterhaltung der Gäste angeheuerten, nackten Sklaven-Knaben dabei für eine etwas peinliche Szene sorgte. Als er die Braut neben Octavian liegen sah, rief der Junge mit gespieltem Entsetzen Livia zu: »Was treibst du hier, Gebieterin? Dein Gemahl ist ja dort!« Unter allgemeinem Gelächter wies er auf den abseits liegenden Tiberius Nero. Die Anekdote ist auch deshalb interessant, weil sie die Anwesenheit unbekleideter Jungen bei der Hochzeits-Festgesellschaft verbürgt. Ausdrücklich erklärt Cassius Dio, die »schwatzhaften Knaben« seien als »nackte Augenweide« für die Damen angeheuert worden. Zumindest in ihrer Brautzeit war Livia also alles andere als prüde. Erst später wurde sie zur Ikone der Sittsamkeit, als Gegenbild zur »ägyptischen Hure« – Antonius’ Geliebter Kleopatra.

Propagandaschlacht um die Frauen

Octavian und sein großer Rivale entstammten nicht nur zwei unterschiedlichen Generationen, sie verkörperten auch vollkommen gegensätzliche Lebensentwürfe und Herrschaftsmodelle. Cäsars Adoptivsohn berief sich auf die alten republikanischen Institutionen, während Antonius sich an den hellenistischen Monarchien orientierte, wo die Könige sich nicht vor einem Senat rechtfertigen mussten. Auf sein Betreiben war ihm im Vertrag von Brundisium 40 v. Chr. der reiche Osten zugeschlagen worden, namentlich Griechenland und Ägypten. So pendelte Antonius zwischen Athen und Alexandria, während Octavian von Rom aus den Westen regierte. Ausgestattet mit diesem Heimvorteil war es für den Jüngeren ein Leichtes, den Wettstreit um die Alleinherrschaft im Reich zu einem Kulturkampf der zivilisierten westlichen Welt gegen den angeblich rückständig-tyrannischen Osten zu stilisieren. Dass dabei auch die Position der Frauen eine Rolle spielte, sollte für Julias späteres Schicksal entscheidend sein.

Antonius hatte einen Ruf als vitaler, hedonistischer Lebemann. Seine Frauengeschichten boten ein beliebtes Thema für den römischen Klatsch, seine üppige Hofhaltung wurde bewundert und beneidet. Seine Familie berief sich darauf, von dem griechischen Kraftprotz Herkules abzustammen, und der kräftige, etwas stiernackige General erschien wie die Reinkarnation dieses mythischen Helden. Als persönlichen Schutzpatron hatte er sich den in Griechenland populären Dionysos ausgesucht, den Gott des Weines und der Feste. In seinem Namen veranstaltete er prächtige Gelage und nicht selten trat Antonius dabei selbst als Gott der Genüsse auf, mit Weinlaub im Haar, umgeben von Flöten spielenden Knaben und tanzenden Mädchen.

Ganz anders Octavian. Er behauptete, die Cäsar-Mörder und den mächtigen Sextus mit Unterstützung von Apollo besiegt zu haben, dem asketisch-strahlenden Gott der Weissagung, der Künste und der Bogenschützen. Mit Bedacht hatte er diesen Bannerträger des Lichts, der sittlichen Reinheit und Mäßigung gewählt und gebärdete sich selbst als dessen irdische Inkarnation. So trat er bei mindestens einem Festmahl, von Antonius scharf kritisiert, als Apollo geschminkt und verkleidet auf. Mit Frömmigkeit hatte das wenig zu tun, dafür umso mehr mit Machtideologie. Apollo war der Gegenspieler des Dionysos, dem Liebling des Ostens, von dem das neue Rom sich absetzen wollte. Der mythische Bezugsrahmen diente also offenkundig dazu, die Unterschiede herauszustreichen. Unter dem Schutz des Lichtgottes suchte Octavian nicht nur den gegnerischen Bacchanten Antonius heim, sondern auch dessen Frauen. Zweimal führte Octavian explizit Krieg gegen sie, zuerst gegen Fulvia und schließlich gegen Kleopatra.

Fulvia war von 46 bis 40 v. Chr. die zweite Ehefrau des gleichaltrigen Marcus Antonius und hatte mit ihm zwei Söhne, Antyllus und Iullus. Zeitweise war sie auch Schwiegermutter von Octavian, als dieser mit ihrer blutjungen Tochter Clodia aus einer Verbindung vor Antonius verheiratet war. Die vermögende Römerin war selbstbewusst, ungewöhnlich tatkräftig und politisch engagiert. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie in Abwesenheit ihres Mannes fast alle seine Aufgaben übernahm. Umgekehrt stellte Antonius seine Gattin auf ein Podest: Er ließ Münzen mit ihrem Konterfei prägen, eine Ehre, die Fulvia in Rom als erster Nicht-Göttin zuteilwurde. Das Paar verstieß auch damit gegen das ungeschriebene Gesetz der römischen Gesellschaft, nach dem Ehefrauen im Schatten ihrer Männer bleiben mussten. Grund genug für Antonius’ Gegner, ihn zum Liebediener weiblicher Herrschsucht zu degradieren und Fulvia als machtgieriges, grausames Mannweib zu desavouieren.

Noch zweihundert Jahre später inspirierte Fulvia den Chronisten Cassius Dio zu einer vermutlich frei erfundenen Schreckensszene. Cassius beschreibt, wie Antonius’ Frau den Kopf des getöteten Cicero malträtiert, indem sie ihn bespuckt und die Zunge mit ihrer Haarnadel durchsticht. Während des Bürgerkriegs sei Fulvia zeitweise die wahre Herrin von Rom gewesen: »Sie riss die Zügel der Verwaltung an sich, so dass Senat und Volk nichts gegen ihren Willen zu tun vermochten.« Antonius’ Ehefrau habe sogar eigenmächtig den Befehl zur Besetzung der Stadt Praeneste erteilt – in Wirklichkeit war sie vor Octavian dorthin geflüchtet. Vermutlich beruft sich Cassius hier genauso auf die augusteische Propaganda wie der 40 n. Chr. geborene Martial.

Der Dichter zitiert Augustus als Verfasser von obszönen Versen, in denen es um Fulvia geht. Antonius’ Frau habe ihn aufgefordert, mit ihr zu schlafen, wenn er einen Krieg verhindern wolle: »Aut futue, aut pugnemus!« Und weil er, Octavian, nicht gewollt habe, sei es im Winter 41/40 v. Chr. zur Schlacht um Perusia (Perugia) gekommen. Pure Phantasie, vordergründig ging es um die Landverteilung für Veteranen und eigentlich um die Macht in Rom. Antonius weilte wieder einmal im Osten, während sein Bruder und Fulvia in einer erbitterten Schlacht seine Sache vertraten. Octavians Soldaten sollen Fulvias Namen auf ihre Wurfgeschosse geritzt haben, wie sie das sonst nur mit denen der feindlichen Heerführer taten. Unter den Zivilisten und Gefolgsleuten von Antonius richtete Octavian nach der Schlacht ein Blutbad an – ließ seine Feindin Fulvia und deren Kinder jedoch ziehen. Nicht nur auf dem Weg zur Alleinherrschaft bildete Perusia einen Meilenstein. Zum ersten Mal hatte ein römischer Feldherr Krieg gegen eine Frau geführt.

 

Bald danach starb Fulvia. Während sie für ihn kämpfte, hatte ihr Mann seine Geliebte geschwängert: die ägyptische Königin Kleopatra. 40 v. Chr. brachte die Pharaonin aus griechischmakedonischem Geschlecht die Zwillinge Alexander Helios und Kleopatra Selene zur Welt. Antonius war da schon mit Octavia verheiratet, einer der beiden älteren Schwestern von Octavian, mit dem er vorübergehend wieder Frieden geschlossen hatte. An der Seite seiner dritten, erheblich jüngeren Ehefrau schien Antonius zunächst Kleopatra vergessen und ein neues Leben beginnen zu wollen. Ein Leben an der Seite einer römischen matrona aus bester Familie, wie es einem der beiden mächtigsten Männer im Reich entsprach.

Mit Octavia zog er nach Athen, wo 39 v. Chr. die ältere Antonia (die spätere Großmutter Neros väterlicherseits) geboren wurde. Doch bereits zwei Jahre später, als Octavia mit der jüngeren Antonia (später Mutter des Claudius, Großmutter des Caligula und Urgroßmutter Neros mütterlicherseits) schwanger war, schickte Antonius seine Frau nach Rom zurück. Er selbst zog wieder zu Kleopatra nach Alexandria. Antonius hatte sich nicht nur für diese Frau entschieden, sondern auch für den Osten. Endgültig. Im Mai 32 v. Chr. schickte er seinen Scheidebrief an Octavia nach Rom.

Nun entfesselte Octavian seine Propagandaschlacht. Julius Cäsar hatte seinerzeit ebenfalls ein Verhältnis mit Kleopatra gehabt und sogar zeitweise in Rom mit ihr gelebt, jedoch niemals seine rechtmäßige, römische Ehefrau für sie verstoßen. Auch die Vaterschaft für den 47. v. Chr. geborenen gemeinsamen Sohn Caesarion hatte Cäsar nicht anerkannt. Ganz anders Antonius, der die noble Römerin Octavia für die ägyptische Huren-Königin (Plinius d. Ältere), das fatale monstrum (Horaz) verlassen hatte, der luxuria statt Sittsamkeit gewählt hatte und dafür den Untergang Roms nicht nur in Kauf nahm, sondern zu seinem erklärten Ziel machte.

»Wie sollte auch einer, der schwelgt wie ein König und in weibischer Üppigkeit schmachtet, noch einer männlichen Gesinnung und Handlung fähig sein?« Cassius Dio zitiert hier aus einer vermutlich von ihm ausgeschmückten Rede Octavians vor dem Senat, deren Quintessenz jedoch authentisch sein dürfte. Antonius sei »von dem verruchten Weib verhext«, er sei »verblüht und zum Weibe geworden. Sein Geist ist erschöpft und verheert«. Kleopatra habe ihn derart zu ihrem Sklaven gemacht, dass er sie »Königin« und »Gebieterin« nenne. Die Pharaonin lasse sich in einer Sänfte tragen, während ihr der römische General zu Fuß folgen müsse, als sei er einer ihrer Eunuchen.

Antonius wehrte sich vergebens gegen diesen Rufmord. Sueton zitiert aus einem empörten Brief an seinen Ex-Schwager: »Was hat deine Haltung verändert? Dass ich bei der Königin schlafe? Sie ist meine Frau. Habe ich jetzt damit begonnen oder vor neun Jahren? Und schläfst du denn nur bei (Livia) Drusilla? Du bist so obenauf, dass du, wenn du diesen Brief liest, bei Tertulla, bei Terentia, Rufilla, Salvia Titisenia oder gleich bei allen geschlafen hast. Kommt es darauf an, wo und mit wem man es treibt?«

Octavians außereheliche sexuelle Beziehungen wurden als Ausweis seiner Virilität interpretiert. Als Römer mit einer fremden Regentin an deren Hof zu leben und sich damit implizit dieser Frau zu unterwerfen, war jedoch etwas völlig anderes. Antonius stellte damit seine Männlichkeit und seine romanitas in Frage. Per Gesetz war die Ehe eines römischen Senators mit einer Nicht-Römerin ungültig. Octavian sorgte dafür, dass Antonius’ Beziehung zur ägyptischen Königin als Vaterlandsverrat wahrgenommen wurde.

Er beschwor das Schreckensbild einer Basílissa (Königin) herauf, die Rom genauso unterjochen wolle, wie ihren vornehmen römischen Geliebten. Im Ältestenrat las der Triumvir den erschrockenen Senatoren aus dem angeblichen Testament des Antonius eine lange Liste der Ungeheuerlichkeiten vor. Erstens habe Antonius Kleopatras Sohn Caesarion als Cäsars Kind anerkannt. Ein leibhaftiger Cäsar-Spross in Ägypten, das bedeutete eine Bedrohung für den Staat! Was würde geschehen, wenn er nach Rom käme, um Ansprüche zu erheben? Zweitens sei verfügt, dass Antonius’ Nachwuchs aus dem Konkubinat mit Kleopatra sein Vermögen miterben solle, zum Schaden der ehelichen Kinder mit Octavia. Drittens wolle er selbst in der hellenistischen Metropole Alexandria bestattet werden. Vor allem diese Verfügung erschien als unerhörtes Sakrileg. Am Ende sollte wohl auch noch die Hauptstadt des Reiches von Rom an den Nil verlegt werden! Die Römer waren empört, der Senat erklärte Kleopatra den Krieg.

In der Seeschlacht von Actium, vor der griechischen Westküste, bezwang Octavians Freund und General Marcus Agrippa 31. v. Chr. die griechisch-ägyptische Flotte, im Jahr darauf wurde auch noch Ägypten erobert. Antonius und Kleopatra waren geschlagen und nahmen sich das Leben, Caesarion, der siebzehnjährige außereheliche Sohn von Gaius Julius Cäsar und offizielle Mitregent seiner Mutter, wurde auf Befehl des Siegers hingerichtet, ebenso der gleichaltrige Antyllus, der als ältester Sohn von Antonius und Fulvia mit dem Vater nach Ägypten gezogen war. Als Kind war Antyllus zeitweise mit Julia verlobt gewesen, als es den Vätern des »Paares« politisch opportun erschien. Doch nun ließ ihn Octavian als potenziellen Erben und Rächer von Antonius aus dem Weg räumen und sich selbst als siegreicher Verteidiger der römischen Republik feiern. Während seine Hofdichter für Antonius nur Verachtung übrighatten, fanden sie für Kleopatra Anerkennung. »Kein niedriges Weib«, lobte sie Horaz. »Äußerlich gelassen und stark fasste sie die schrecklichen Schlangen, um dunkles Gift zu trinken mit ihrem Leib.« Selbstmord mit Giftschlangen – das verschaffte der Königin denn doch Respekt in den Augen der Römer. Dass Octavian sich ihren ungeheuren Staatsschatz einverleiben konnte, dürfte die Erinnerung an Kleopatra zusätzlich vergoldet haben.