Tödlicher Crash

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Kapitel 6

Einen Tag später

Kriminalkommissar Michael Leyrhofer war Routinier. Der Tod des Finanzministers war nicht der erste prominente Fall, den er übernommen hatte – oder besser gesagt, zu dem er aufgrund seiner Expertise und seines Know-hows zwangsverpflichtet worden war. Sicher hätte er den Fall auch ablehnen können. Noch war sowieso nicht klar, ob es überhaupt ein Fall war oder doch nur ein Unfall. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sah für ihn alles nach einem Unfalltod aus. Das Auto war dem Rad ausgewichen und in die Baumallee geknallt. Aus. Ende. Das wäre zwar ein Fall für die Versicherung des Autoherstellers, aber sonst nichts. Nur die Tatsache, dass das Fahrzeug dabei beschleunigt hatte, war irritierend. Das gehörte selbstverständlich untersucht. Mit oder ohne Finanzminister als Insassen.

Aber weil es der erste Tote in einem selbstfahrenden Auto war, hatte die Innenministerin Elfriede Haderl angeordnet, dass für den Fall die Kriminalpolizei zuständig sei – insbesondere er, Michael Leyrhofer. Der Kriminalkommissar war nicht nur ein Ermittler mit scharfem Verstand, dem nicht so schnell Details entgingen, er war auch Medienprofi. Leyrhofer wusste ganz genau, welche Informationen in heiklen Fällen nach außen dringen durften und welche er besser verschwieg. Seine Taktiken hatten ihm in der Vergangenheit bereits dabei geholfen, den ein oder anderen Fall aufzuklären. Eine Witwe, die nach außen hin nahezu herzzerreißend um ihren Mann getrauert hatte, hatte ihre Täterschaft etwa dadurch verraten, indem sie Details über den Ort ausplauderte, die nie an die Öffentlichkeit kommuniziert worden waren.

An Kommissar Leyrhofer biss sich aber auch so mancher Journalist die Zähne aus, so wenig Informationen ließ er nach draußen durchsickern, wenn er schlecht gelaunt war. Und schlecht gelaunt – das war er eigentlich immer häufiger in letzter Zeit. Er hatte nur noch wenige Jahre bis zu seiner Pensionierung. Auch wenn er seine Arbeit prinzipiell gern machte, kämpfte er damit, dass die Kriminologie in den vergangenen Jahren nicht gerade einfacher geworden war, um es milde auszudrücken. Der Druck, Fälle rasch aufzuklären, war gestiegen. Und die technischen Mittel, die sie jetzt zur Aufklärung einsetzen mussten, halfen dabei oft nur sehr bedingt, verschlangen aber unendlich viel Zeit und Ressourcen. Und dazu kamen dann auch noch Personaleinsparungen. Nicht nur in der freien Marktwirtschaft wurden Arbeitskräfte wegrationalisiert, sondern auch bei den Behörden.

Leyrhofer hatte sich zwar für sein Alter rasch umgestellt und die technischen Entwicklungen nicht nur akzeptiert, sondern sie auch ausreichend analysiert, um sie für seine Tätigkeiten gewinnbringend einzusetzen. Aber ganz klar war ihm freilich nicht, was da bei den Datenbanken und Programmen im Hintergrund ablief und warum Computer manchmal Ergebnisse ausspuckten, die sich so gar nicht mit seinem Gespür deckten. Ein Gespür, auf das er sich eigentlich immer verlassen konnte. Er war präzise, objektiv, hart, aber gerecht. Kein Computer dieser Welt konnte dies ersetzen.

Der Kriminalkommissar biss gerade in seine Leberkäse-Semmel, als das Telefon klingelte. Von seiner Sekretärin war im Moment weit und breit keine Spur. Er blickte aufs Display. Unbekannte Nummer. Trotzdem hob er, noch an dem Leberkäse kauend, ab. Es könnte ja wichtig sein.

»Herr Leyrhofer? Miro Slavic hier, Geschäftsführer von Noofle Austria. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich glaube, ich hätte da eine wichtige Information im Fall Wolfgang Steinrigl für Sie. Können wir uns treffen?«

Der Kommissar war neugierig, was ihm der Autokonzern für Informationen verkaufen wollte. Normalerweise war es eher schwierig, im Zuge von Ermittlungen an Daten zu kommen. Was also trieb den Österreich-Geschäftsführer des US-Konzerns freiwillig zur Polizei? Das konnte nur bedeuten, dass die Erkenntnisse auch dem Autokonzern selbst halfen, wieder in einem besseren Licht dazustehen, und nicht nur der Polizei. Aber woher wusste dieser Mensch eigentlich, dass er – also er, der Kriminalkommissar, für den Fall zuständig war? Das war seines Wissens noch nicht nach außen kommuniziert worden.

»Wann können Sie bei mir im Büro sein?«

»Passt es Ihnen um 16 Uhr?«

Leyrhofer blickte auf die Uhr. Das war in zwei Stunden. Er hatte noch genügend Zeit, um ein paar Recherchen über diesen Slavic anzustellen.

»Kommen Sie, kommen Sie. Ich erwarte Sie in meinem Büro.«

Kapitel 7

Auf Michael Leyrhofers Bürotisch stand ein Foto seiner Familie in jungen Jahren. Frau und Kind hatte er, das Kind war mittlerweile 30 und mit dem Mathematikstudium längst fertig. Zu Hause war weitgehend Ruhe eingekehrt. Ruhe, die der Kommissar abends dringend brauchte nach der ganzen Hektik im Büro. Es war später Nachmittag, aber draußen war es bereits ziemlich düster. Um die Jahreszeit wurde es einfach den ganzen Tag über nicht richtig hell. Das Licht, eine magere 30-Watt-LED-Lampe, im Büro des Kriminalkommissars brannte. Der Kommissar gähnte. Seine Herbstdepression machte sich einmal mehr bemerkbar. Am Abend musste er unbedingt wieder seine Lichtlampe aufstellen. Sie half ihm jeden Winter dabei, seine bleierne Müdigkeit in den Griff zu kriegen. Zusätzlich zum Kaffee selbstverständlich. Leyrhofer machte sich eine Notiz: »Lichtlampe!!!!« Den Zettel heftete er sich in die linke obere Ecke seines Whiteboards. Und zwar genau so, dass er ihn am Abend vor seinem Heimweg noch einmal sehen musste.

Der Kriminalkommissar war gerade mit dem Anheften fertig, als ein dünner, abgemagerter Typ, dem sein Anzug fast um eine ganze Nummer zu groß war, in sein Büro trat. Miro Slavics Wangenknochen stachen hervor und seine Zähne waren leicht gelblich verfärbt. Zahlte Noofle so schlecht, dass sich der Herr keine perfekt sitzende Garderobe leisten konnte? Oder ein Bleaching der Zähne?

»Herr Kriminalkommissar. Es freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Slavic und schüttelte Leyrhofer die Hand. Slavic’ֹs Händedruck war nicht fest, aber auch nicht locker. Manchmal ergab sich daraus schon ein erster Eindruck. Nervöse Menschen, die etwas zu verbergen hatten, drückten hier gerne ein wenig zu fest zu. Oder sie hatten verschwitzte, rutschige Hände und wollten das Händeschütteln schnell hinter sich bringen. Nicht so bei Slavic, der die Hand des Kommissars äußerst ausführlich und obendrein noch selbstbewusst schüttelte.

»Herr Leyrhofer, wir haben im Fall Wolfgang Steinrigl Daten, die wir Ihnen für Ihre Ermittlungen zur Verfügung stellen wollen«, sagte Slavic. Er fackelte also nicht lange herum, sondern brachte den Grund seines Besuchs auf den Punkt.

»Wie Sie bereits wissen, wurde bei dem Crash kein automatischer Notruf vom Wagen abgesetzt, wie es bei unseren Fahrzeugen standardmäßig üblich ist. Wir haben ein paar Anomalien festgestellt, über die wir Sie informieren möchten.«

»Von welchen Anomalien sprechen Sie?« Leyrhofer gab sich kurz angebunden. Er mochte es nicht, wenn ihn jemand so überfiel. Aber natürlich war er neugierig und vielleicht war ja doch etwas Wichtiges dabei. Er beobachtete sein schlaksiges Gegenüber auf jeden Fall ganz genau bei seinen Worten, die dieser bisher äußerst präzise wählte.

»Bei der Untersuchung unserer Software haben wir festgestellt, dass das Fahrzeug bereits ab einem bestimmten Zeitpunkt, rund 15 Minuten vor dem Crash, nicht mehr selbstständig gehandelt hat. Stattdessen wurde es aus der Ferne gesteuert. Von einem Fremden.«

»Was bedeutet das, dass das Auto von einem Fremden gesteuert wurde? Wie ist so etwas überhaupt möglich? Steuert das nicht sowieso der Bordcomputer?«

»Wie soll ich Ihnen das jetzt am einfachsten erklären …? Natürlich wird das Auto von einem Bordcomputer gesteuert. Die einzelnen Komponenten in selbstfahrenden Autos sind aber hochgradig miteinander vernetzt. Das ist notwendig, damit das Auto genau weiß, was es zu tun hat und die Algorithmen selbstständige Entscheidungen treffen können. An dem Tag, an dem es zu dem Crash kam, wurde eine Sicherheitslücke in unserem System gefunden. Das kommt, wie bei jedem System, das mit Computern zu tun hat, hin und wieder vor. Wir bei Noofle tun unser Bestes, die Lücke möglichst rasch und zeitnah zu beheben. Oft dauert es nur einige wenige Stunden, bis ein Problem dieser Art vollständig aus der Welt geschafft ist. Das haben wir auch dieses Mal gemacht, also das Problem behoben.«

»Das heißt, die Lücke ist mittlerweile beseitigt?«

Der Kriminalkommissar war leicht ins Schwitzen gekommen. Er sah in seinem Geiste bereits weitere Insassen selbstfahrender Flexus Alpha im Straßengraben landen.

»Ja. Die Sicherheitslücke wurde gestern von unseren IT—Spezialisten beseitigt. Leider wurde sie beim Crash ausgenützt.«

»Was macht Sie da so sicher?«

»Es ist generell nichts Außergewöhnliches, dass das passiert. In der Fachsprache nennt man das »Zero-Day-Exploit«.

»Zero-Day-Exploit. Noch nie gehört. Das wird mir zu technisch jetzt. Ich glaube, ich ziehe an dieser Stelle am besten einen der Kollegen hinzu, die sich hier besser auskennen. Warten Sie bitte einen Augenblick«, sagte der Kriminalkommissar und forderte Verstärkung an. Michael Leyrhofer konnte zwar Technik selbst gut bedienen, aber verstehen, nein, verstehen tat er das Zeug nicht.

Der Cybersecurity-Experte des Bundeskriminalamts, Erwin Hufnagl, nickte nur mit dem Kopf, als ihm Miro Slavic die Sachlage ausführlich erklärte. Beim Flexus Alpha waren wichtige Komponenten wie Bremsen und Gaspedal mit dem Unterhaltungsprogramm, Radio und den Kameras am Auto gleichermaßen über das Internet miteinander verbunden. Dass dies von Bösewichten ausgenutzt werden konnte und diese Art von Autos damit viel stärker gefährdet war für Angriffe aus der Ferne, war generell bekannt. Drauf hatten Sicherheitsexperten bereits im Jahr 2015 hingewiesen. Von manchen Herstellern waren die Systeme trotzdem so gebaut worden – nur erzählten sie es in der Regel ihren Kunden nicht. Das war auch beim ersten Modell des selbstfahrenden Autos von Noofle so. Diese Trennung der Komponenten umzusetzen, wäre extrem schwierig – und vor allem extrem kostenintensiv gewesen. Dazu gab es auch keine gesetzlichen Regelungen. Zwar gab es von externen IT-Firmen Lösungen dazu, aber diese ließen sich ihr Wissen und Know-how teuer bezahlen. Intern hatte man es bei Noofle noch nicht geschafft, eine entsprechende Lösung zu entwickeln. Der Flexus Alpha war außerdem das erste der Noofle-Autos, das für den Massenmarkt konzipiert worden war. Der Konzern stand dabei nicht nur unter Kosten-, sondern auch unter Zeitdruck. Hufnagl und Slavic vertieften sich bei ihrem Gespräch immer mehr in technische Details. Beim nächsten Modell sollte diese Trennung der Komponenten schon besser funktionieren, versicherte der Noofle Österreich-Geschäftsführer dem Sicherheitsexperten des Bundes.

 

Kriminalkommissar Leyrhofer hatte in der Zwischenzeit die Faktenlage analysiert. Ein Unbekannter hatte das Fahrzeug aus der Ferne auf 134 Stundenkilometer beschleunigt, nach links gesteuert und es absichtlich in die Baumallee prallen lassen. Damit lag eindeutig ein Mord vor. Und sehr zu seinem Bedauern fiel der Crash mit einem Schlag ganz eindeutig in seinen Zuständigkeitsbereich. Vor ihm lag jetzt eine Menge harter Arbeit. Er runzelte unbewusst seine Stirn und setzte damit seine Denkermiene auf. Die Frage aller Fragen lautete: Wer, bitte sehr, wollte den österreichischen Finanzminister loswerden?

Kapitel 8

Shenzhen, China.

»Hast du gehört, Bill? Sie wissen bereits alles.« Bill zog genüsslich an seiner Zigarette, denn China war eines der letzten Länder der Welt, in denen man noch nicht als totaler Menschenfeind galt, wenn man rauchte. In Europa und den USA war das Rauchen mittlerweile fast überall verboten.

»Ja, sie wissen, dass jemand den Zero-Day-Exploit ausgenützt hat. Das ist noch nicht viel«, erwiderte Bill.

Die beiden Deutschen, die in einer Produktionsstätte eines anderen Autoherstellers in China beschäftigt waren, hatten das Smartphone des Noofle-Geschäftsführers Miro Slavic angezapft. Das zu veranlassen war ganz einfach gewesen. Bei einem Treffen auf einer großen Automesse vor ein paar Wochen ließen sie ihn via Social Engineering ausspionieren. Das bedeutete, dass sie ihn und seine Gewohnheiten verfolgten, um diese Informationen im Anschluss für ihre Zwecke auszunutzen.

Auf diesem Weg fanden sie etwa heraus, dass Slavic ein Faible für die Beobachtung des Wetters hatte – und welches Handymodell der Österreich-Geschäftsführer von Noofle als Diensthandy verwendete. Bei der Automesse schickten sie Slavic eine hübsche, kurvige Hostess mit Hot-Pants und üppigem Dekolleté an seinen Stand, die ihn in ein Gespräch über die neuesten Wetter-Apps verwickelte. Slavic zeigte der Dame bereitwillig seine Lieblings-App für Wettertrends. Die hübsche Hostess war freilich in Wahrheit Computerprofi und ihre Hostessenfunktion nur eine Tarnung. Brühwarm gab die hübsche Hostess die Informationen über die von Slavic genutzten Apps an die IT-Profis, für die sie den Geschäftsmann ausspioniert hatte, weiter.

Slavic bekam wenige Tage später eine E-Mail, in der ihm vorgeschlagen wurde, ein Update für seine Lieblings-Wetter-App zu installieren, das »extra für Premium-Kunden« entwickelt worden war. Dahinter versteckte sich freilich eine geklonte App, die genauso aussah wie die echte. Nur hatte man damit von außen die Möglichkeit, Gespräche im Raum mitzuhören, indem das Mikrofon aus der Ferne aktiviert wurde. Der Geschäftsführer fiel prompt auf diesen Trick rein. Manchmal war es echt einfach, an gewünschte Informationen zu gelangen. Und Menschen, das wusste jeder Cyberkriminelle, waren nun mal das schwächste Glied in der Kette.

Kapitel 9

19.30 Uhr. Stefanie Laudon stieg aus der alten Straßenbahn mit den knarrenden Holzböden aus, die wie jeden Tag im Winter massiv überheizt war. Sie war mit Meggie Winter und Paul Mond zum gemeinsamen Abendessen verabredet. Gerade als sie ihre Stiefeln auf die Straße setzte, vibrierte ihr Smartphone in der Tasche ihres Wintermantels. Schon wieder hatte sie eine Push-Nachricht mit Neuigkeiten rund um den Tod Steinrigls zugeschickt bekommen. Dafür habe ich jetzt keine Zeit, dachte sich die Journalistin. Zum Lokal waren es nur noch wenige Schritte. Auf dem Weg vibrierte ihr Smartphone noch einmal. »Bin schon da!«, schickte ihr Meggie per WhatsApp-Message. Stefanie las die Nachricht aber nicht mehr, denn wenige Sekunden später öffnete sie bereits die Tür des Wirtshauses im 7. Bezirk. Das Amerlingbeisl lag nur 15 Minuten von ihrer Wohnung entfernt und dort trafen sich die drei nicht zum ersten Mal. Es war nicht nur bequem, sondern es gab auch gutes Essen, das allen dreien schmeckte. Vor allem Paul hatte gerne sein Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat und ein gekühltes Augustiner Bräu dazu. Das gab es dort genauso wie die vegetarischen Falafel mit Humus, die Stefanie so liebte. Auch für Meggie würde sich dort wieder etwas finden. Sie aß jedes Mal etwas anderes.

»Hey«, sagte Meggie zur Begrüßung. Sie stand auf und umarmte Stefanie kurz, aber wenig innig. »Da bist du ja.«

»Hey, meine Süße. Ja, du weißt ja, wie das ist. Die Redaktion wollte in letzter Minute noch einen neuen Einstieg für die Geschichte. Und dann hat auch noch einer meiner Interviewpartner angerufen, kurz bevor ich gehen wollte. Das hab ich besonders gerne. Vor allem, wenn er dann auch noch ewig redet und nicht aufhört«, erwiderte Stefanie.

»Du Arme«, sagte Meggie. Der leicht ironische Klang in ihrer Stimme war auch Stefanie nicht entgangen. Freute sich ihre Freundin etwa, wenn sie quälende Überstunden im Büro absolvieren musste, die fix zu ihrem Alltag bei der Tageszeitung gehörten?

»Und wie war dein Tag so?«, fragte Stefanie zögernd und leicht desinteressiert. Sie wusste, dass Meggie sich jetzt wieder bei ihr ausheulen würde.

»Ich habe heute einen Tierpsychologen interviewt. Es ging schon wieder um die Beziehungen zwischen Hund und Mensch. Mein Radiosender wollte ein weiteres Mal so eine Tiergeschichte von mir. Die verkaufen sich einfach besser als meine sonstigen Beiträge. Hunde, Katzen, Meerschweinchen. Es scheint mir, als würden sich die Menschen für nichts anderes interessieren«, erklärte Meggie. Sie war frustriert, weil es bei ihr als freie Journalistin derzeit nicht so lief, wie sie es geplant hatte. Zwar hatte sie ihre Situation freiwillig gewählt. Aber statt Aufträge zu Themen, die sie interessierten, bekam sie seit rund einem halben Jahr nur solche rein, die ihr so ganz und gar nicht am Herzen lagen. Sie konnte sich ihre Interviewpartner zwar selbst aussuchen, aber wenn man für ein Thema so absolut keine Leidenschaft mitbrachte, war das nur der halbe Spaß. Das hatte sie sich als Freischaffende einfach ganz anders vorgestellt.

»Uh«, antwortete Stefanie kurz und knapp. Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Sie kannte die Misere, in der sich ihre Freundin befand, schon. Und das Leben als freie Journalistin hatte eben nicht nur Vorteile.

In derselben Minute ging die Tür auf und mit einem kühlen Luftzug von draußen, der daran erinnerte, dass es stockdunkel und eisig kalt war, kam ihr gemeinsamer Freund Paul herein. Die dunklen Augen des IT-Technikers blitzten auf, als er Stefanie sah. Stefanie bemerkte seine Freude nicht, für sie war Paul nichts als ein guter Freund. Aber einer, mit dem man eine Menge Spaß haben konnte. Und der ihr immer wieder lustige Hackergeschichten aus dem Wiener Hackerspace Metalab erzählte.

»Hey, Paul, sollen wir dir gleich dein Wiener Schnitzel bestellen?«, scherzte Stefanie.

»Und ich dir deine Falafel?«

Küsschen links, Küsschen rechts.

Meggie sah, wie gut sich die beiden verstanden und wie vertraut sie miteinander umgingen. Obwohl sie alle drei Freunde waren, fühlte sie sich ein wenig wie das fünfte Rad am Wagen. So, als ob sie nicht dazugehörte. In ihrer Brust wurde es eng. Ihre Wangen färbten sich leicht rosig. Neid. Dann nahm sie sich zusammen und versuchte es ebenfalls mit einem Scherz: »Hallo, Paul, ich sehe, dein Iron-Maiden-T-Shirt ist wieder frisch gewaschen?«

Paul konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Bei ihrem letzten Dreier-Treffen hatte er ein T-Shirt des Musicals »Phantom der Oper« getragen, das er aus London mitgebracht hatte. Heavy Metal und Musicals – das musste sich nicht wirklich ausschließen. Gute Musik war einfach gute Musik. Und seine Begeisterung für Musicals hatte er erst viel später entdeckt. Trotzdem machte er in der Regel keinen großen Hehl aus seinem Faible für Musicals. Wenn ihn sogar die Mädels damit neckten, wie er beim letzten Treffen hatte feststellen müssen. Damals hatte er nämlich gerade alle seine sonstigen T-Shirts, von denen des Hackerkongresses angefangen bis zu seinen Oberteilen mit dem Aufdruck seiner Lieblingsbands, in der Waschmaschine gehabt, so dass er notgedrungen das Musical-Hemd wählte. Seine Hoffnung, das würde niemandem auffallen, hatte sich nicht erfüllt. Sowohl Stefanie als auch Meggie zogen ihn auch jetzt, Monate später, noch regelmäßig damit auf.

Paul setzte sich neben Meggie an den Vierertisch, so dass er direkt Stefanie gegenübersaß und ihr in die Augen schauen konnte. Er liebte es, Stefanie dabei zu beobachten, wie sie sich regelmäßig durch ihre blonden Haare fuhr und einzelne Strähnen in ihren Fingern eindrehte.

»Erzähl mal, Paul, was gibt es Neues?«

»Nichts. Ich kann es noch immer nicht ganz glauben, dass Steinrigl tot ist. Dieses fiese neoliberale Kapitalistenschwein! Was der unserer Abteilung angetan hat! Jetzt im Winter ist es zwar nicht mehr so schlimm, aber ich bin noch immer halb blind von den fehlenden Vorhängen.«

»Ach ja, die Vorhänge. Du hattest erzählt, dass sie die einfach abmontiert haben im Sommer?«

»Aus Einsparungsgründen, ja. Weil diese ein paarmal im Jahr verpflichtend gewaschen werden müssen. Und das war der Firma auf einmal zu teuer, weil die finanziellen Erleichterungen nach der Steinrigl-Reform plötzlich weggefallen sind.«

»Ach kommt, lasst uns über was anderes reden als über diesen langweiligen Steinrigl«, versuchte Meggie, vom Thema abzulenken. Sie interessierte sich nicht wahnsinnig für Politik, wogegen Paul und Stefanie, wenn sie einmal damit angefangen hatten, stundenlang über Ungerechtigkeiten von Politikern ablästern konnten.

»Aber das mit den Vorhängen, das zeigt so schön in der Praxis, wie sich schlechte Wirtschaftspolitik auswirken kann. Ich meine – in einer IT-Abteilung die Vorhänge wegzurationalisieren ist ja wohl das Dümmste, was man sich ausdenken kann!«

»Fast so dumm, wie wenn man in einer Bäckerei plötzlich die Bleche in den Backöfen entfernen würde, ja.«

»Dabei weiß doch jedes kleine Kind, dass sich Sonnenlicht und Computerbildschirme nicht vertragen!«

»Ja, Paul. Komm, bestell jetzt mal dein Augustiner Bräu!« Stefanie versuchte Meggie zuliebe, den IT-Techniker ein wenig von seiner Nörgelei über Steinrigl runterzuholen. Zwar hatte auch sie den Finanzminister alles andere als gern gehabt, aber der Fall erinnerte sie derzeit zu sehr an ihre Arbeit. Und gerade der wollte sie mit den beiden ein Weilchen entfliehen.

»Du hast ja recht, Stefanie. Ein Bierchen in Ehren kann keiner verwehren.«

Wenig später prosteten die drei sich zu. Paul mit seinem Augustiner Bräu, Stefanie mit einem Bio-Zwickl aus der Flasche und Meggie mit ihrem Glas Rotwein.

»Auf unsere Freundschaft!«

Klirr. Klirr. Klirr.

Meggie lehnte sich zurück, als Stefanie und Paul ein Gespräch über neue Arten von Computerschädlingen begannen. Die Verschlüsselungstrojaner, die bereits vor Jahren zum ersten Mal aufgetaucht waren, waren mittlerweile so perfektioniert worden, dass Menschen nicht einmal etwas installieren mussten, um sich die Dinger einzufangen.

»Ich mache derzeit kaum etwas anderes, als Backups einzuspielen«, klagte Paul.

Meggie begann, mit ihren Fingern am Tisch zu klopfen, und winkte der Kellnerin. Es musste schleunigst noch ein Glas Rotwein her, anders konnte sie dieses Gesprächsthema einfach nicht ertragen. Sie beobachtete Paul und Stefanie, die so vertieft ins Gespräch waren, dass sie ihre Unruhe nicht bemerkten. Paul war schon süß, dachte sich Meggie, aber er hatte nur Augen für Stefanie. Und die interessierte sich so überhaupt nicht für ihn! Aber egal, was sie, Meggie, sagte, Paul stieg einfach nicht darauf ein. Nach dem dritten Glas Rotwein – sie hatte noch nicht einmal etwas zu essen bestellt – und einer wortkargen Zeit am Tisch verabschiedete sich Meggie schließlich.

 

»Ich muss morgen früh raus«, lautete ihre Ausrede. Eine klassische Notlüge. Denn als freie Journalistin konnte sie es sich im Gegensatz zu den anderen beiden tatsächlich selbst aussuchen, wann sie aufstand. »Interview um 9«, fügte sie daher noch hinzu, um glaubwürdiger zu wirken.

»Uh, hoffentlich nicht wieder einen Tierpsychologen«, sagte Stefanie.

Was eigentlich nett und witzig gemeint war, kam bei Meggie ganz und gar nicht so an. Sie fühlte sich von ihrer Freundin verraten. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Das unangenehme Gefühl, in der Situation eigentlich nur gestört zu haben, verstärkte sich einmal mehr.

»Haha, nein«, sagte Meggie und überspielte ihren Frust.

»Mach’s gut, meine Süße«, sagte Stefanie zum Abschied und umarmte sie. Meggie ließ sich drücken. Sie fühlte sich sogar echt an, diese Umarmung. Aber sie konnte ihre Gefühle – eine Mischung aus Frust, weil Paul in Stefanie verknallt war, und Neid, weil Stefanie am Ende trotz all der Einschränkungen doch den viel besseren Job von ihnen beiden hatte – nicht unterdrücken und riss sich relativ rasch los. Nicht, dass dann auch noch ein schlechtes Gewissen dazukam …

»Bye, bye, ihr beiden. Trinkt noch einen auf mich!«

Als die Tür aufging, kam einmal mehr ein kalter Luftzug von draußen herein. Paul fragte Stefanie: »Ist dir kalt? Soll ich uns einen Schnaps bestellen zum Aufwärmen?«

»Ach, lass uns doch erst mal was essen.«

»Falafel mit Humus?«

»Wiener Schnitzel?«

Beide mussten lachen, als sie die Kellnerin herbeiwinkten.

»Auf einen lustigen Abend!«

»Den werden wir noch haben …«