SOKO bizarr

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FEUER

„Der arme Mann brennt. Der reiche Mann brennt. Frauen brennen. Kinder brennen.

Hunde und Katzen. Alle brennen.

Feuer macht keine Unterschiede.

Feuer ist gerecht.

Wenn man also ein Feuer legt, dann hilft man eigentlich nur dem Schicksal nach.

Hey, Moment! Gerechtigkeit im Tod hat ja wohl nichts mit dem Schicksal zu tun, könnte man jetzt einwerfen.

Aber auch die Nörgler und Besserwisser brennen.

Alle gleich. Alle Asche am Ende.“

Holger sitzt am Küchentisch und schreibt. Seine Hand saust über das Papier. Der Kugelschreiber schmiert.

„Alles brennt.“

Holger hängen die Haare ins Gesicht. Er hält inne. Starrt auf das Papier. Die Seite ist voll. Holger nimmt das Blatt und legt es auf einen Stapel zu den anderen. Der Stapel ist ziemlich groß. Mindestens 300, 400 Blatt liegen da schon.

Man bekommt eine ungefähre Idee, womit Holger seine Freizeit verbringt.


Irgendwo draußen wartet Melanie auf den Bus. Der Wind pfeift und das kleine Bushäuschen ist an der einen Ecke angekokelt und in der anderen Ecke vollgekackt. Also steht sie lieber draußen im Wind.

Es wird noch – wenn sie Glück hat – etwa eine Viertelstunde dauern, bis sie im Warmen sitzen kann. Bis der Bus – der Lumpensammler – seinem Spitznamen gerecht wird und die letzten Heimkehrer einsammelt.

Und wenn Melanie Pech hat, dann ist irgendwas mit dem klapprigen Scheißding. Dann steht er im Depot. Oder wenn der Fahrer krank ist. Oder was auch immer. Der letzte Bus ist schon oft nicht gekommen. Und wenn doch, dann zu spät. Also wird Melanie noch eine Weile frieren.

Aber so ist das eben, wenn man die gute Landluft dem städtischen Feinstaub vorzieht und preiswerter wohnen will. Für Melanie ist das okay. Sie kriegt ja auch ihren Führerschein nächsten Monat wieder und dann ist die Welt auf dem platten Land wieder schön.

Bis man das nächste Mal eingeladen wird, 30km weg von zu Zuhause, und entweder nichts trinkt oder riskiert, dass man wieder einen Monat Bus fahren darf.

Melanie beschließt, weniger zu trinken.

Irgendwann beschließt sie, gar nichts mehr zu trinken. Denn ihr ist so kalt und der beschissene Bus lässt sich immer noch nicht blicken.

Und obwohl ihre Nase schon fast taub ist vor Kälte, riecht sie jetzt etwas. Etwas, das sich aus dem Pisse-Kokel-Geruch des Bushäuschens schält: Feuer!

Melanie dreht sich um und sieht – gar nicht weit weg – eine alte Scheune, aus der Rauch aufsteigt.

Na toll.

Melanie überlegt, ob sie hingehen soll.

Oder auf den Bus warten.

Menschenleben retten.

Bus.

Harte Entscheidung um die Zeit.

Dann läuft sie doch los.

Netz hat ihr Handy nicht. Aber im Haus neben der Scheune brennt Licht und da wird es ja wohl ein gutes, altmodisches Festnetztelefon geben.

Hoffentlich.

Als Melanie die Scheune erreicht, sieht man die Flammen schon hinter den Fenstern. Also eher Fensterrahmen – denn Glas gibt es hier nicht. Hat es vermutlich auch nie gegeben. Das soll auch richtig so sein, hat ihr Opa mal erzählt, weil dann der Luftzug dafür sorgt, dass das Heu nicht schimmelt über den Winter.

Melanie sieht, dass da dringend Handlungsbedarf ist und klingelt beim Haus.

Klingelt Sturm.

Dann endlich geht die Tür auf. Ein Mann – mit ein, zwei Flecken vom Essen der letzten Tage auf dem Hemd – steht vor ihr.

Ja?

Es brennt!

Wo?

In Ihrer Scheune! Los, los! Feuerwehr rufen!

Der Mann nickt und geht zurück ins Haus. Die Tür geht vor Melanies Nase zu.

Sie weiß nicht genau, was das soll. Der Typ muss ihr ja jetzt nicht einen heißen Tee anbieten oder sich auf Knien bedanken. Aber wenigstens aufwärmen wird sie sich ja wohl dürfen.

Wohl nicht. Die Tür ist zu.

Und als Melanie sich umdreht, sieht sie gerade noch ihren Bus.

Schön. Danke.

Melanie klingelt wieder.

Hier draußen ist es sehr, sehr kalt!

Keine Antwort.

Und nochmal klingeln.

Ich erfriere und das ist unfair, weil ich gerade Ihre doofe Scheune gerettet habe. Und wenn nicht die, dann das Haus. Weil die Flammen sicherlich übergreifen werden. Halllloooooooooo?!

Da geht die Tür wieder auf.

Was wollen Sie?

Mich aufwärmen!

Hier?

Ja, weil nebenan ins Feuer setzen, ist mir dann doch zu heiß.

Wer sind Sie denn überhaupt?

Melanie, die wegen Ihres Feuers den letzten Bus verpasst hat. Bitte, gern geschehen.

Und jetzt wollen Sie eine Belohnung?

Nein, ich will nur nicht erfrieren.

Der Mann mustert sie. Von oben bis unten. Aber er lässt sie immer noch nicht rein.

Sie sind ein Arschloch.

Melanie will gerade wieder gehen, da besinnt sich der Kerl.

Okay.

Und sie kann rein. Drinnen sieht es nicht gerade sauber aus. Aber auch nicht komplett eingedreckt. Eben eher so nach „Mann wohnt schon zu lange alleine“.

Aber es ist warm.

Melanie setzt sich an den Tisch.

Der Mann setzt sich auch hin und sagt nichts.

Wohnen Sie hier allein?

Ein kümmerlicher Versuch, ein Gespräch anzufangen, was zu einem heißen Getränk oder einem „Danke“ führen könnte.

Ja.

Der Mann streicht sich die langen Haare aus dem Gesicht.

Früher hatte ich eine Familie. Aber jetzt nicht mehr.

Das tut mir leid.

Warum?

Weil … weil es sich so angehört, als wäre das … naja … etwas Trauriges.

Ja, das ist sehr traurig.

Eben. Sie müssen nicht drüber sprechen. Ich will nicht …

Aber da fängt der Mann auch schon an, zu erzählen. Das hat man jetzt davon, wenn man Konversation machen will, bis die Feuerwehr da ist.

Es war vor drei Jahren. Da war Doreen … meine Frau … und Marcel … mein Sohn … da waren sie hier. Und wir waren eine glückliche Familie.

Hm. Ja. Sowas kommt vor.

Ach, wirklich? Finden Sie?

Na, ich weiß ja nicht, was passiert ist.

Wissen Sie nicht, nein?

Nein. Woher denn? Ich kenne Sie ja nicht.

Der Mann sieht sie seltsam an. Als würde er abwägen, ob Melanie die Wahrheit sagt. Und dann legt er den Kopf schief wie ein alter Hund.

Es gab ein Feuer.

Noch eins?

Ja. Die Scheune war oben ausgebaut. Da war ein Kinderzimmer drin. Man konnte vom ersten Stock aus direkt rübergehen. Ein Durchbruch. Einfach den Flur verlängert. Weil hier im Haus nicht genug Platz war.

Es hat dann da gebrannt?

Ja. Gerade als Doreen Marcel ins Bett bringen wollte. Er war fast 10.

Das tut mir echt leid.

Sollte es auch.

Wieso?

Melanie merkt, dass der Typ vermutlich einen Therapeuten braucht. Sie versucht einen Ausweg:

Was denken Sie, wann die Feuerwehr kommt?

Der Mann zuckt die Achseln. Er wirkt ganz erstaunlich unbeteiligt für jemanden, der gerade zum zweiten Mal ein Feuer neben dem Haus hat.

Doreen ist bei ihm eingeschlafen. Im Bett. Ist oft passiert. Nach so’nem langen Arbeitstag. Da ist Doreen immer sehr müde gewesen. Und weil beide geschlafen haben, haben sie auch nichts bemerkt. Das waren die Gase, hat die Feuerwehr gesagt. Die sind giftig. Man erstickt bei Feuer. Und verbrennt erst hinterher.

Das ist echt übel. Tut mir leid. Wirklich.

Da denkt keiner drüber nach. Der so’n Feuer legt. Dass da Menschen ganz schlimm umkommen.

Wie? Das war Brandstiftung?

Ja.

Haben sie den Täter gekriegt?

Nein.

Scheiße.

Ja, das ist noch zusätzlich schlimm. Wenn man weiß, dass der noch frei rumläuft.

Tut mir leid. Kann ich einen Tee kriegen oder so?

Aber der Mann reagiert nicht. Er starrt Melanie einfach weiter an.

Darf ich mir selber einen Tee machen? Der funktioniert doch, der Wasserkocher? Ja?

Der Mann starrt einfach nur. Und Melanie steht auf und füllt den Kocher.

Wissen Sie, warum ich nicht verbrannt bin?

Nein.

Weil ich auch geschlafen habe. Hier oben. Und ich bin erst geweckt worden, als es geklingelt hat. Da müssen Doreen und Marcel schon tot gewesen sein.

Ja, schrecklich. Haben Sie Teebeutel?

Der Mann zeigt nur auf eine Blechdose. Melanie sieht nach und findet Tee. Jetzt wird doch noch alles gut.

 

Mich hat eine junge Frau raus geklingelt. Und sie hat geschrien. Und gesagt, dass ich löschen muss.

Hm. Ja, wäre vielleicht keine schlechte Idee. Sie haben doch sicher einen Schlauch. Ich mein ja nur, damit noch was da ist, wenn die Feuerwehr kommt. Warum kommt die nicht?

Weil ich sie nicht angerufen habe.

Was?!

Ich habe das Feuer schon abgestellt.

Melanie weiß jetzt, dass sie nicht warten wird, bis das Teewasser fertig ist. Sie weiß, dass sie – wenn sie sich beeilt und den Daumen raushält – sicher jemanden findet, der sie bis zum nächsten Ort mitnimmt. Denn das hier … das ist ihr dann wirklich zu krank.

Die junge Frau hat gesagt, dass sie mir geholfen hat. Dass ich die Scheune rette. Und dass sie eine Belohnung will.

Belohnung?

Ja. Geld. Ich habe ihr fast 500 Euro gegeben. Alles, was ich im Haus hatte.

Der Mann steht auf. Er geht zur Tür. Gerade als Melanie gehen will. Er verstellt ihr den Weg.

Hinterher hat die Polizei gesagt, was wirklich passiert ist. Dass die zu zweit warten.

Wer denn?

Sie sind auch nicht alleine, oder?

Doch! Und ich gehe jetzt!

Er hat die Scheune angezündet und sie hat mich gewarnt. Das war die Masche. So haben die sich durchs Land geschlagen. Hier’n kleines Feuer und ne Belohnung. Und da. Und dann wieder woanders.

Das ist total krank.

Ja. Finde ich auch.

Ich möchte jetzt an die frische Luft.

Warten Sie noch. Ich muss ihnen noch sagen, wie ich damit umgehe.

Wie gehen Sie damit um?

Ich will Rache. Für meine Familie. Ist schon klar, dass die beiden vor drei Jahren nicht gewusst haben, dass meine Familie da oben schläft. In Scheunen schläft ja meistens keiner. Aber das war halt bei uns so.

Bitte, kann ich gehen?

Nein. Weil ich ihnen jetzt meinen Plan erkläre.

Ich will Ihren Plan nicht wissen!

Der Mann öffnet einen Schrank neben der Tür. Darin steht eine Propangasflasche, daran angeschlossen ein Kupferrohr, das in der Wand zur Scheune verschwindet.

Hier kann ich das Feuer in der Scheune anschalten. Und ausschalten. Das brennt dann wie lauter kleine Feuerzeuge. Ist ganz einfach. Nur ein Rohr mit Löchern.

Wie? Das Feuer ist nur Show? Da brennt’s gar nicht?

Nein. Jetzt nicht mehr. Ich hab den Hahn zugedreht.

Und was soll das?

Ich warte. Dass die wieder kommen.

Wer? Die Leute, die damals …? Warum sollen die wiederkommen?

Weil Verbrecher immer wiederkommen. Das weiß ich aus dem Fernsehen.

Wenn das ein Brandstifter-Pärchen war, dann kommen die doch nicht, wenn es schon brennt!

Vielleicht doch. Sie sind doch gekommen.

Ich wollte Ihnen helfen!

Hat die Frau damals auch gesagt.

Ich habe Ihr blödes, selbst gemachtes Feuer von der Straße aus gesehen.

Hat die Frau auch gesagt. Dass sie zufällig vorbeigekommen ist.

Ich habe auf den Bus gewartet! Und der ist weggefahren, weil ich Ihre Scheiß-Scheune retten wollte!

Sie wollten eine Belohnung.

Ich wollte einen Tee! Sind Sie irre?!

Ich bin nicht verrückt. Ich will Rache.

Lassen Sie mich jetzt sofort gehen!

Wo ist ihr Freund? Wartet der draußen?

Melanie zittert. Sie ist am Ende der Welt mit einem Irren eingeschlossen. Ein Irrer mit einem erstaunlichen Verständnis für Pyrotechnik. Was soll sie machen? Das Logikprogramm hat sie durch. Also hilft vielleicht bluffen.

Mein Freund ist im Auto. Der holt mich ab.

Ich hab’s doch gewusst.

Mit einem schiefen Lächeln drückt der Mann ihr jetzt einen Elektroschocker gegen den Hals. Melanie spürt, wie sich alle Muskeln ihres Körpers gleichzeitig verkrampfen und ihre Blase sich entleert.

Sie bricht zuckend zusammen. Ihr wird Schwarz vor Augen.


Die kalte Luft weckt Melanie auf. Sie ist in einem dunklen Raum. Vielleicht die Scheune?

Und ihr tut alles weh. Wenigstens hat sie die vollgepisste Hose nicht mehr an. Aber das ist auf den zweiten Blick auch kein gutes Zeichen.

Melanie ist nackt! Verdammte Kacke!

Und sie ist an ein Bettgestell aus Metall gefesselt.

Kaum haben sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, sieht sie Holger. Sie weiß jetzt, dass der Mann Holger heißt, weil er sich vorstellt.

Ich bin Holger. Ich war der Mann von Doreen und der Vater von Marcel.

Und mit diesen Worten wirft er das Streichholz. Und jetzt weiß Melanie auch, woher der fiese Geruch kommt: Benzin!

Hitze hüllt sie ein. Die Schmerzen werden unerträglich.

Doch was fast noch schlimmer ist, ist der Lichtschein.

Sekunden bevor Melanie stirbt, erkennt sie an der Wand reihenweise Jacken und Mäntel. Und darunter Eimer mit verkohlten Knochen.

Sind es 10? Oder mehr?

Melanie begreift, dass sie nicht das erste Opfer von Holger ist – und sicher nicht das letzte sein wird.

Holger weiß das auch. Aber hinterher fühlt er sich immer ein wenig besser.

Und selbst wenn er diesmal wieder die Falsche erwischt hat – eines Tages lockt er mit seiner Falle die richtigen Täter an. Da ist Holger sich ganz sicher.

So sicher, wie das Feuer Gerechtigkeit schafft …


PINGUINE

Auf Pinguine würde Alex nie schießen.

Auf keinen Fall!

Die sind niedlich. Sehr sogar, findet Alex. Und da macht er gerne eine Ausnahme. Wobei es eigentlich Quatsch ist, meint Alex. Pinguine wären zwar die perfekten Ziele. Langsam und watschelig und irre leicht zu treffen. Aber wann und wie sollte sich denn ein Pinguin auf sein Grundstück verirren? Mitten in der Pampa von Hessen? Dort, wo die Karten von TOM-TOM seit gefühlten 25 Jahren nicht aktualisiert wurden. Weil … warum? Was soll sich hier ändern? Hier werden keine neuen Straßen gebaut. Auch Vorfahrt oder Tempolimit ändern sich nicht. 100km/h auf der Landstraße und immer geradeaus. So findet man Alex auch. Wenn man will. Einfach der Landstraße folgen. Bis zum Tor. Aber reingehen sollte man lieber nicht. Sonst passiert das, was mit Frederik und Harald passiert ist.

Alex hatte mal im Internet etwas gelesen über solche Leute. „Moderne Schatzsucher“ nennen sie sich. Und sie haben kein Holzbein und keine Augenklappe und sie orientieren sich auch nicht nach einer Karte, wo irgendwo ein großes, schwarzes Kreuz eingezeichnet ist.

Sie haben GPS.

Und Funktionsjacken.

All das weiß Alex nur so am Rande. Es hat ihn nie interessiert. Bis zu dem Tag, wo er in seiner kleinen, gemütlichen Küche saß und sich gerade einen frischen Tee aufgegossen hatte. „Sanfter Ausklang“ stand auf dem Beutel und ein lächelndes Bärchen war abgebildet. Die Mischung soll beruhigen und entspannen. Das kann bei Alex nie schaden. Denn Alex ist ein Choleriker. So wie sein Vater. Bei dem haben auch immer alle gesagt, dass ihn eines Tages noch der Schlag treffen wird, wenn er sich immer so schnell aufregt. Wenn er diesen roten Kopf bekommen hat und die Adern seitlich am Hals dick wie Regenwürmer wurden.

„Du hast hohen Blutdruck! Das bringt dich noch um!“

Es war dann aber doch eine Bandsäge. Aber das ist eine Geschichte, über die Alex nicht gerne spricht. Weil es ihn daran erinnert, dass er diese unschöne Eigenschaft – oder sollte man Charakterzug sagen? – von seinem Vater geerbt hat. Sonst wäre die Sache mit der Bandsäge wohl auch gar nicht erst passiert. Aber Schwamm drüber.

Alex will nicht davon sprechen und wem sollte er es auch erzählen?

Er lebt hier alleine. Schon ziemlich lange. Seit Monika damals gegangen ist, kann er sich nicht mehr durchringen, es nochmal zu versuchen. Zweisamkeit abgehakt. Macht unterm Strich mehr Ärger als es einem bringt.

„Hau doch ab, du Schlampe!“, hatte Alex damals noch – es war wieder ein Wutanfall – auf ihre Sachen geschrieben. Mit einem roten Edding.

„Hau doch ab, du Schlampe!“ auf jedes Kleid.

Auf jeden Pullover und jeden Schlüpfer.

Falls sie doch nochmal zurückkommt und ihr Zeug holen will.

Das hat Monika nie gemacht. Wahrscheinlich auch nie vorgehabt. Aber Alex wollte sichergehen: „Falls sie kommt … dann wird sie schon sehen.“

Wie gesagt: Sie kam nie mehr.

Alex hatte also seinen Tee mit dem niedlichen Bärchenbild geschlürft, als er die beiden Gestalten sah. In ihren knallgelben Funktions-Arschteuer-Atmungsaktiv-Jacken.

So im Nachhinein hätte ihm das schon einen Hinweis geben können.

Gelb. Knallgelb.

Welche Einbrecher ziehen sich schon so an? Und kommen tagsüber quer über den Rasen gelaufen?

Das ist wohl schon ungewöhnlich. Aber woher sollte Alex das wissen? Es waren – verdammt nochmal – seine ersten Einbrecher. Also mutmaßlichen Einbrecher.

Er war jedenfalls total aufgeregt. Und erschrocken. Nicht unbedingt in der Reihenfolge.

Alex stand am Fenster, hinter den Vorhängen, und spähte hinaus. Die beiden gelben Hansel staksten über seine Beete. Achteten darauf, dass nichts kaputt ging von dem Salat. Oder wollten sie nur keine Fußabdrücke hinterlassen?

Alex traute denen alles zu.

Auch, dass sie ihn umbringen wollten.

Nicht nur beklauen.

Auch abschlachten.

Wär ja einfach. Wer sollte denn hier seine Schreie hören? Der nächste Nachbar war über drei Kilometer weit weg. Und schwerhörig. Falls den nicht auch schon jemand abgeschlachtet hatte. Oder er an Altersschwäche gestorben war. Alex hatte seinen Nachbarn jedenfalls schon über ein Jahr nicht mehr gesehen.

Alex wusste in diesem Augenblick, dass es eine Frage von „die oder ich„“ war. Sowas weiß man einfach. Da muss es keine Anhaltspunkte geben oder dieses ganze Zeug, nach dem einen die Polizei oder der Richter später fragen würde.

Scheiß auf Beweggründe!

Alex wollte leben! Und zwar nicht, weil es besonders toll war. Sein Leben. Eher im Gegenteil. Aber das Leben – so dachte Alex sich später beim Bierchen – das Leben ist kostbar. Man hat nur eins. Vermutlich.

Scheiß auf Reinkarnation!

Harald und Frederick waren inzwischen hinten auf der Wiese. Irgendwann war das mal Monikas Kräutergarten gewesen. Aber jetzt nur noch kniehoher Dschungel.

Die Schatzsucher liefen herum. Starrten auf ihre kleinen GPS-Geräte und packten dann eine Schaufel aus.

Aha!

Falls Alex vorher noch irgendwelche Bedenken gehabt hatte – jetzt nicht mehr. Spätestens jetzt nicht mehr.

Schaufeln sind für viele Dinge gut. Fürs Grabschaufeln. Fürs Köpferunterhacken, wie bei den Zombieserien und sie sind in den richtigen Händen Waffen. Ziemlich gute Waffen. Mit den scharfen Kanten am Rand. Okay. Jetzt nicht so gute Waffen wie Alex‘ Armbrust. Aber ganz okay im Nahkampf.

Scheiß auf Nahkampf.

Harald merkte erst, das Frederik tot war, als er ihn was fragen wollte. Und in dem Moment, als er den Bolzen im Auge seines Freundes stecken sah, da erwischte es auch ihn. Alex musste kichern. Wenn es stimmte, dass sich die letzten Bilder vor dem Tod irgendwie auf der Netzhaut einbrennen, dann würde man bei Frederik und Harald nur noch etwas Kleines, Rundes, Spitzes erkennen, das sich mit über 100km/h näherte.

Alex kicherte weiter. Das war vermutlich das Adrenalin, das einen durchspült, wenn man gerade dem Tod von der Schippe gehüpft ist.

 

„Schippe. Hi, hi, hi.“

Alex konnte gar nicht mehr aufhören, zu kichern.


Später – es muss locker eine Woche später gewesen sein – da las Alex dann eine ganze Menge im Internet. Über „Geocaching“ und die sogenannten Schätze, die man da so sucht, anschaut und wieder verbuddelt. Über die nutzlosen Sachen, die da drin sind, in diesen kleinen Keksdosen. Und über die Freude, die so ein Hobby in der freien Natur einem machen kann.

Mal abgesehen von Harald und Frederick.

Alex ist jetzt nicht der Typ, der Fehler zugibt. Also nicht gerne. Und wenn – dann macht es ihn wütend. Da hilft auch der Tee mit den knuddeligen Bärchen nichts mehr.

Also hat Alex beschlossen, dass Frederik und Harald keine Fehler waren. Wenn hier überhaupt einer einen Fehler gemacht hat, dann ja wohl die beiden Idioten in ihren verschissenen, gelben Jacken. Schließlich ist das hier ein Privatgrundstück!

Und in Amerika hätte Alex hier sogar Tretminen legen können. Um sich zu schützen. Und er hätte einen ganzen Schrank voller schwerer Feuerwaffen.

Das wär was! Amerika!

Ist aber leider Hessen. In Deutschland.

Also muss die Armbrust reichen.

Trotzdem fragte sich Alex eine ganze Weile, wie zum Teufel die beiden Deppen ausgerechnet bei ihm auf der Wiese gelandet waren?

Er grub an der Stelle, wo die beiden zuerst gestanden, dann später gelegen hatten und jetzt auch verscharrt sind.

Alex musste dazu die beiden Kadaver sogar extra nochmal rausholen. Um genau nachzusehen, wo denn nun der dämliche „Schatz“ versteckt ist. Wär ja zu und zu bekloppt, wenn da nun jede Woche irgendwelche Penner kämen und auf seinem privaten schönen Land rumlaufen wollten.

Aber da war kein Schatz.

Wie sich später herausstellte, war es vielmehr ein Tippfehler in der Datenbank im Internet. Ja, es gab wirklich eine Datenbank. Und die Koordinaten von Alex‘ Grund und Boden waren offensichtlich aus Versehen da reingeraten.

Ein Skandal!

Fand zumindest Alex. Und sicherlich wäre das sehr einfach zu lösen gewesen – eine Mail an die Website und auf den Fehler aufmerksam machen. Fertig.

Aber Alex scheute die Registrierung. Er mag es nicht, wenn man ihm dann Werbung schickt. Und schon gar nicht mag er die Idee, dass irgendwelche verblödeten Nerds dann wussten, wo er wohnt, wie er heißt und vielleicht auch noch welche Pornos er sich ansieht.

Alex ergreift eine andere – mindestens so wirkungsvolle Maßnahme: Er kauft sich eine neue, bessere Armbrust. Zur Sicherheit.

Eine mit patentiertem Kreuz-Recurve-Rollen-System. Da wird die Sehne an vier Stellen gleichzeitig gestrafft. Das erhöht Schlagkraft und Präzision.

„Das ist im Vergleich, als ob Sie einen Apfel mit einem Skalpell schneiden oder ihn an die Wand werfen.“, hat der der Verkäufer gesagt. Alex hat das nie so ganz verstanden. Aber er hat das Ding gekauft. Weil’s das Teuerste und Beste im Laden war. Man gönnt sich ja sonst nix. Und teuer muss gut sein. Ein Leitfaden, mit dem Alex immer gut gefahren ist bisher. Auch beim Wein. Da hat er keine Ahnung von – aber wenn man die teuerste Pulle nimmt, stimmt es schon.

Warum soll das nicht auch bei Waffen funktionieren?


Die Nachmittage sind lang. Wenn man eine neue Armbrust hat. Wenn nichts passiert. Wenn man am Fenster hockt und den kleinen Schwärmen von Fliegen zuschaut, die über dem Gras tanzen. Wenn längst nicht genug Krähen vorbeikommen, um in der Übung für bewegliche Ziele zu bleiben. Wenn das Teewasser dauernd kalt wird.

Alex fühlt sich jetzt zwar sicher. Aber Sicherheit ist manchmal auch sehr, sehr öde.

Einmal kam einer von diesen affigen Familienvans vorbei. Diese „Platz für 27 Kinder, drei Bollerwagen und die Oma“-Dinger aus der Werbung. Wo die Monitore fürs Kinderberuhigungsprogramm gleich fest in die Kopfstützen eingebaut sind. Und natürlich hybrid. Man liebt ja die Umwelt.

Echte Umweltliebe wäre es, weniger hässliche Kinder zu produzieren, meint Alex. Aber ihn fragt ja keiner.

Und eigentlich wollen die Leute nur nach dem Weg fragen. Weil ihnen ihr Navi abgekackt war – vermutlich, weil die doofen Sprösslinge die Batterie mit ihren Disneyfilmen leergenuckelt hatten.

Alex hat keine Wegbeschreibung für die Leute. Aber eine ganze Menge Bolzen. Stahlspitze mit Carbon-Korpus. Die hat er er gleich im 100er-Karton gekauft und muss die dann später nicht mühsam aus den Leichen herauspopeln. Wenn die erst einmal fest im Knochen stecken … das braucht man wirklich nicht.

Nicht bei der Hitze.


Die Einsamkeit ist nie schlimm gewesen. Alex ist einer von denen, die immer nur doof aus der Wäsche gucken. Wenn jemand so Sachen fragt, wie „Hast du wirklich nie woanders gelebt? Nie in der Stadt? Immer auf dem Dorf?“

Alex grinst dann nur. Und sagt „Warum sollte ich?“

Einsamkeit ist ja eigentlich nur Zeit mit einem zu verbringen, den man liebt. Und Alex ist mit sich glücklich. Er braucht nichts weiter. Andere Leute schon mal gar nicht.

Die ganzen Jahre war das so. Nur er. Sein Elternhaus. Und die Natur drum herum. Das pure Glück.

Na, schön … vielleicht gepaart mit ein wenig Paranoia hier und da. Aber im Großen und Ganzen: Glück.

Leider merkt Alex, dass das jetzt vorbei ist. Jetzt, wo er weiß, wie prickelnd und aufregend Besucher sein können. Jetzt vermisst er sie plötzlich.

Mit bloßem Rumsitzen und Warten lässt sich an dem Zustand nicht viel ändern. Aber vielleicht durch das Internet …

Alex überwindet seine Abscheu vor der Welt da draußen. Vor den anonymen Regierungsbehörden und Spinnern, die einen da digital belästigen könnten, und meldet sich an. Auf der Geocaching-Seite mit dem Tippfehler.

Alex schreibt noch ein, zwei Kommentare über „den tollen, geheimnisvollen Schatz“ auf seinem Acker. Und trägt noch drei, vier weitere Caches ein. Alle verstreut auf seinem Grundstück – und alle wunderbar von der Küche aus zu beobachten.

Urplötzlich ist das kleine Flecken Nirgendwo im Hessischen Outback eine Art Disneyland für Schatzsucher in Funktionsjacken. Theoretisch.

Praktisch wartet hier Alex mit seiner Armbrust.

Und die Ernte ist reich.

Im Laufe der nächsten zwei Monate kommen viele. Sieben Männer. Drei Frauen. Zwei Hunde und ein Kind.

Alles Volltreffer. Direkt zwischen die Augen. Bei dem ersten Hund musste Alex kurz seine moralischen Maßstäbe prüfen: Sind Tiere nicht grundsätzlich unschuldig? Versaut es einem das Karma? Darf man sowas?

Alex kam zu dem Schluss: „Ja, darf man. Was betreten die auch Privatgelände?“

Und so drückte Alex ab. Er schießt auf jeden.

Nur nicht auf Pinguine. Da bleibt Alex sich treu.


Nach einer Weile kommen aber leider keine neuen Eindringlinge mehr.

Alex fühlt, wie er nervös wird. Wie die Unruhe auch vom Bärchen-Tee nicht mehr zu bändigen ist. Ein Jäger ist nur ein Jäger, wenn er auch jagt.

Aber die Scheiß-Beute bleibt weg.

Die Erklärung ist dann ziemlich einfach. Als Alex sich mal wieder in die Geocaching-Seite einloggt, sind alle Daten seines Grundstücks gelöscht.

Laut Administrator-Kommentar, weil keine Feedbacks gekommen sind. Weil es sich offenbar um Karteileichen handelt oder um Einträge eines Trolls.

Wieder was gelernt über die seltsame Welt der Hobby-Schatzsucher. Wenn es da keine Bewertungen gibt, ist man raus. Schlimmer als bei Amazon.

Alex ist ratlos. Und weiter unzufrieden. Es fing gerade an, Spaß zu machen. Und jetzt? Dass man aufhören soll, wenn es am Schönsten ist … das hat sich ein Vollidiot ausgedacht.

Alex überlegt schon, dass er vielleicht unter einem anderen Usernamen neue Schätze posten sollte, als er das gelobte Land entdeckt. Und es ist keine 40km entfernt. Drei Caches! Auf einem Acker!

Alex steigt in seinen Wagen – packt genug Munition ein, Tarnkleidung und eine Thermoskanne Tee.

Und sein kleiner Ausflug wird belohnt! Alex liegt erst seit zwei Stunden hinter einer Hecke, als der Erste auftaucht. Diesmal in Rot. Bodo in einer knallroten Jacke.

Alex visiert ihn an. Und seine Hände zittern zum ersten Mal. Vor Freude.

Warum hat er das nicht gleich so gemacht? Warum ist er überhaupt das Risiko eingegangen, eine Fährte zu seinem eigenen Grund und Boden zu legen? Wie hoch das Risiko ist, hat er erst begriffen, als er diese beiden Streifenpolizisten verbuddeln musste. Natürlich werden manche Schatzsucher auch von ihrer Schatzsucherfamilie als vermisst gemeldet! Natürlich werden die gesucht – von irgendwem.

Und natürlich ist es viel, viel einfacher die echten Schätze zu benutzen, die andere Deppen eingegraben haben. Wie die Krokodile die Wasserstellen. Kein Krokodil hat schließlich jemals selbst einen Teich gebuddelt.

Alex blickt wieder durchs sein Visier. Da ist immer noch Bodo mit der roten Funktionsjacke. Starrt auf sein GPS und freut sich.

Alex entdeckt, dass Bodo ziemlich fett ist. Und auf den zweiten Blick erkennt Alex, dass das gar keine Wampe ist, die man da sieht – das ist ein Tragetuch! So‘n Hippie-Öko-Fair-Trade-Baumwolle-Dingsbums. Sowas womit linkswählende Bildungsbürger ihren Nachwuchs durch die Gegend schleppen. Um die Hände frei zu haben. Fürs Schatzsuchen.

Alex wägt kurz ab: Erst den Vater, dann den Säugling? Oder umgekehrt? Was wäre spannender? Alex vermutet, dass das Baby aus der Entfernung sauschlecht zu treffen ist – wenn der Vater erst mal am Boden liegt.

Also den Wurm zuerst.

Alex‘ Finger krümmt sich am Abzug. Er stößt nochmal kurz vom Bärchen-Tee auf und dann kontrolliert er seine Atmung.


Genau so geht der perfekte Schuss! Wenn die Beute nicht einmal mehr begreift, was passiert ist. So als würde man im Zimmer das Licht ohne Vorwarnung ausschalten.

Zack und dunkel.

Kaum Blut. Aber reichlich Fleisch.

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