Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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1.7 Abwägung in Einzelfällen

1.7.1 Verdachtsberichterstattung

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Straftaten sind Bestandteil des Zeitgeschehens, dessen Vermittlung zu den Aufgaben der Medien gehört.[238] Das Informationsinteresse verdient im Rahmen der gebotenen Abwägung jedenfalls dann Vorrang, wenn die pressemäßige Sorgfaltspflicht erfüllt ist.[239] Die Presse darf deshalb auch bei Verdacht Vorgänge aufgreifen. Dabei darf die Presse auch solche Tatsachen verbreiten, deren Wahrheitsgehalt im Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht mit Sicherheit feststeht.[240] Dies gilt insbesondere auch bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Hierzu wurden von der Rspr. die Grundsätze der sog. „Verdachtsberichterstattung“ entwickelt. Aber auch außerhalb von Straftaten können die Grundsätze zur Zuverlässigkeit der Verdachtsberichtserstattung auf die Äußerung solcher Verdächte Anwendung finden, die das Ansehen des Betroffenen herabsetzen können.[241] Dabei kann im Einzelfall sogar in einer echten Frage die Äußerung einer Verdachtes liegen.[242] Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung ist zunächst die Beachtung der journalistischen Sorgfaltspflicht. Dabei sind die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfaltspflicht um so höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen der Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird.[243] Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten, also bspw. durch präjudizierende Formulierungen den Eindruck erwecken, der Betroffene sei wegen der vorgeworfenen Handlungen bereits überführt.[244] Deshalb ist auch – sofern bekannt – über entlastende Tatsachen und Argumente zu berichten.[245] In aller Regel, jedenfalls bei schwerwiegenden Vorwürfen, ist dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.[246] Ausnahmen bestehen, wenn etwa der Betroffene sich bereits öffentlich dazu geäußert hat oder wenn eine Gelegenheit zur Stellungnahme sichtlich keinen Erfolg haben würde.[247]

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Ferner muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorhanden sein, die für den Wahrheitsgehalt bei Informationen sprechen.[248] Eine Strafanzeige kann theoretisch jeder erstatten und sie stellt damit in aller Regel noch nicht per se ein aussagekräftiges Indiz dar. Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens bedeutet nur, dass die Staatsanwaltschaft vom Verdacht einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt und aufgrund des Legalitätsprinzips nachforscht (§ 160 StPO). Wird das Ermittlungsverfahren aber durchgeführt, ist dies regelmäßig ein Indiz für einen nicht völlig grundlosen Verdacht. Liegt ein Haftbefehl vor, verstärkt sich der Verdacht, ebenso wenn der Beschuldigte ein – widerrufbares – Geständnis abgelegt hat.

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Von Belang kann auch sein, von wem die Indizien oder eine Identifikation kommen. Teilt z.B. die Polizei oder die Staatsanwaltschaft die Indizien mit, darf die Presse in aller Regel darauf vertrauen, dass sie auf hinreichend sicheren Erkenntnissen beruhen.[249] Verlautbarungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR darf gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden.[250] Auch auf Agenturmeldungen seriöser Nachrichtenagenturen darf vertraut werden, es sei denn, die Agenturmeldung beruht ersichtlich selbst auf Information nicht verlässlicher Dritter (z.B. auf anderen Zeitungsmeldungen).[251]

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Alle diese Aspekte sind in der Gesamtabwägung mit dem Interesse der Öffentlichkeit und der Schwere der in Frage kommenden Straftat abzuwägen.

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Insbesondere die Frage, ob identifizierende Fotos veröffentlicht werden können, hängt von den Umständen des Einzelfalls und ihrer Abwägung ab.[252] Eine namentliche Erwähnung des Betroffenen kommt in Betracht, wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt, z.B., wenn an der Person des Betroffenen aus seiner Funktion, seiner besonderen Persönlichkeit oder seiner Position heraus ein besonderes Interesse besteht.[253] Eine Namensnennung kommt daher in der Regel nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten in Betracht, die die Öffentlichkeit besonders berühren.[254] Aber auch außerhalb schwerer Straftaten kann eine Namensnennung im Rahmen einer Gesamtabwägung zulässig sein.[255] Ein identifizierender ursprünglich rechtmäßiger Artikel kann grundsätzlich auch dann noch in einem Online-Archiv zum Abruf bereitgehalten werden, wenn das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen bei Strafverbüßung berührt wird; dabei fließt in die Abwägung ein, dass die Veröffentlichung ursprünglich zulässig war, die Meldung nur durch gezielte Suche auffindbar ist und erkennen lässt, dass es sich um eine frühere Berichterstattung handelt.[256] Ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht in aller Regel bei einem Zusammenhang von staatlichem Handeln mit strafbaren Verhalten von Amtsträgern[257] oder anderen der Öffentlichkeit zugewandten Organisationen (Kirchen, Religionsgemeinschaften, gemeinnützigen Vereinen), hierbei – je nach Umständen – auch unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität.

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Stellt sich später heraus, dass der Verdacht nicht gerechtfertigt bleibt, so ist die Äußerung im Äußerungszeitpunkt als rechtmäßig anzusehen, falls die pressemäßige Sorgfaltspflicht erfüllt wurde. In diesem Fall kann dem Betroffenen ein von der Rechtsprechung entwickelter „äußerungsrechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch“ dann zustehen, wenn die Beeinträchtigung fortdauert; dieser ist auf eine nachträgliche Mitteilung gerichtet, dass nach Klärung des Sachverhaltes der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werde, eine Richtigstellung kann nicht verlangt werden.[258] Dabei hat der Nachtrag so zu erfolgen, dass er möglichst den gleichen Leserkreis und den gleichen Grad an Aufmerksamkeit erreicht wie die Erstmitteilung.[259]

1.7.2 Persönlichkeitsrecht von Kindern

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Der Persönlichkeitsschutz eines Kindes folgt auch aus dem eigenen Recht des Kindes auf ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit i.S.v. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.[260] Der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, muss deshalb in thematischer und räumlicher Hinsicht umfassender geschützt werden als bei erwachsenen Personen.[261] Eine Regelvermutung eines grundsätzlichen Vorrangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit bei Jugendlichen wäre jedoch zu undifferenziert und besteht deshalb nicht; vielmehr gilt das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung.[262] Dabei sind auch unterhaltende Beiträge durch die Pressefreiheit geschützt, allerdings bedarf es dann in besonderem Maße der Abwägung der kollidierenden Rechtspositionen.[263] Geht es um Situationen elterlicher Hinwendung, erfährt der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Kindes zudem eine Verstärkung durch Art. 6 GG. Ein Schutzbedürfnis besteht nur dort nicht, wo sich Eltern mit ihren Kindern bewusst der Öffentlichkeit zuwenden.[264]

2. Das Recht am Unternehmen

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Das in der Constanze-Entscheidung[265] und der Höllenfeuer-Entscheidung[266] vom BGH entwickelte – subsidiäre – Recht am Unternehmen im Äußerungsrecht ist ein offener Tatbestand. Ebenso wie beim Persönlichkeitsrecht wird die Rechtswidrigkeit einer Äußerung durch die Tatbestandsmäßigkeit des Eingriffs in das Recht beim Gewerbebetrieb nicht indiziert. Infolgedessen kann die Rechtswidrigkeit nach Feststellung der Tatbestandsfähigkeit erst aufgrund einer Güter- und Pflichtenabwägung festgestellt werden.[267]

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Eine aufgrund des § 823 Abs. 1 BGB angreifbare Äußerung gegenüber einem Unternehmen setzt zunächst einen bereits vorhandenen oder noch betriebenen Gewerbebetrieb voraus. Dabei besteht der Unternehmensschutz auch für Freiberufler.[268] Ein Eingriff setzt voraus, dass konkrete Umstände dargelegt werden, die hinreichend belegen, dass mit nachteiligen Folgen der Kritik zu rechnen ist. Zudem wird auch im äußerungsrechtlichen Bereich das Merkmal der Betriebsbezogenheit und dessen Vorgängers, des „unmittelbaren“ Eingriffs, als haftungsbeschränkendes Korrektiv verwendet.[269]

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Bei der Güter- und Pflichtenabwägung ist insbesondere, wenn es um eine wahre Behauptung geht, bei der Annahme einer rechtswidrigen Beeinträchtigung äußerste Zurückhaltung geboten.[270] Je nach Bedeutung der öffentlichen Frage können auch überpointierte oder überspitzte Formen der Darstellung zulässig sein.[271] Ein Gewerbetreibender muss eine der Wahrheit entsprechende Kritik an seinen Leistungen grds. hinnehmen.[272]

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Der Schutz des Rechtes am Unternehmen kann sich konkret in vielen Anwendungsfällen äußern. Darunter fallen z.B. auch Boykott-Aufrufe,[273] der Hinweis auf Gefährlichkeit von Produkten,[274] die höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, ob heimliche Filmaufnahmen in der räumlichen Sphäre eines Unternehmens und/oder deren spätere Ausstrahlung zulässig sind[275] oder andere Formen.

3. Beleidigungstatbestände

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Die strafrechtlichen Beleidigungstatbestände sind Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Über diese Vorschrift begründen sie auch im Äußerungsrecht Ansprüche. Schon wenn der objektive Tatbestand eines strafrechtlichen Beleidigungsdeliktes erfüllt ist, können Unterlassungs- und Widerrufsansprüche bestehen, da diese ein schuldhaftes Handeln nicht voraussetzen. Für Geldentschädigungsansprüche (Erfordernis des schweren Verschuldens) und Schadensersatzansprüche kommt es auf die schuldhafte Verwirklichung des Deliktes an.

 

4. Kreditgefährdung

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§ 824 BGB begründet Ansprüche bei der Behauptung oder Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonst wie Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen. Die Vorschrift ist gegenüber dem Schutz des Rechtes des Unternehmens vorrangig, soweit es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen handelt.[276] Zu betonen ist aber, dass der Kern der Aussage zu ermitteln ist.[277] Die Unwahrheit folgt nicht aus einer unbedeutenden Übertreibung oder dem Weglassen von Nebensächlichkeiten.[278]

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Die Beweislast trägt grds. der Kläger. Die Kreditgefährdung oder Rufgefährdung muss nicht tatsächlich eingetreten sein. Es genügt die Eignung zur Kredit- oder Rufgefährdung.[279]

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Mittelbare Beeinträchtigungen oder Reflexwirkungen reichen nicht aus.[280] Der Anspruchsteller muss individuell und unmittelbar betroffen sein. Die Kredit- oder Rufbeeinträchtigung muss durch die Kritik selbst drohen. Dies liegt z.B. nicht vor, wenn erst die Reaktion des Betroffenen auf die Kritik zu der Kredit- oder Rufgefährdung führt.[281]

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Verschulden liegt gem. § 824 Abs. 1 letzter HS BGB nicht erst beim Dolus directus, sondern schon bei Fahrlässigkeit vor. Das Verschulden muss sich nach h.M. sowohl auf die Unwahrheit wie auch auf das Merkmal des Behauptens bzw. des Verbreitens beziehen, ebenso auf die Eignung zur Rufgefährdung.[282]

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Gem. § 824 Abs. 2 BGB besteht keine Schadensersatzpflicht, wenn die Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt ist und er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Im Einzelnen ist bei dieser Vorschrift vieles strittig.[283] Die Vorschrift kann als Rechtfertigungsgrund angesehen werden,[284] ähnlich § 193 StGB, für den neben dem § 824 Abs. 2 BGB kein Raum mehr ist. Strittig ist auch, ob § 824 Abs. 2 BGB eingreifen kann, wenn dem Behauptenden die Unwahrheit der Mitteilung schuldhaft unbekannt ist.[285] Nach h.M. findet § 824 Abs. 2 BGB keine Anwendung, wenn der Mitteilende die Unwahrheit billigend in Kauf nimmt (Dolus eventualis).[286]

III. Rechtswidrigkeit und Verschulden

1. Maßstäbe der Rechtswidrigkeit

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Im Äußerungsrecht wird durch die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit nicht ohne weiteres indiziert. Vielmehr ist eine Äußerung dann als rechtmäßig zu behandeln, wenn der Mitteilende alle Sorgfaltsregeln beachtet hat.[287] Die Frage der Rechtswidrigkeit wird ferner dadurch beeinflusst, dass die Schutzgüter Persönlichkeitsrecht und Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wegen ihrer generalklauselartigen Weite als offene Tatbestände angesehen werden. Das bedeutet, dass über die Rechtswidrigkeit erst aufgrund einer situationsbezogenen Güter- und Interessenabwägung entschieden wird.

2. Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB

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Angesichts der Möglichkeit der subjektiven Rechtfertigung durch Beachtung journalistischer Sorgfaltspflichten und die Notwendigkeit einer Güterabwägung hat die gerichtliche Praxis die Vorschrift des § 193 StGB in den Hintergrund gerückt. Dies allerdings zu Unrecht. Denn bei § 193 StGB als auch ein im Zivilrecht geltender Rechtfertigungsgrund[288] handelt es sich gerade um eine Norm, über die die Grundrechte wirken. Nach § 193 StGB können Äußerungen gerechtfertigt sein, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgen. Auch hier müssen die wahrgenommenen mit den verletzten Interessen abgewogen werden. Im Äußerungsrecht ist das berechtigte Interesse das Informationsinteresse, also das Interesse des Mitteilungsempfängers, informiert zu werden.[289]

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Auch das Bedürfnis, einfach unterhalten zu werden, ist als legitimes Interesse anerkannt.[290] Dies wurde bereits im Caroline I-Urteil ausdrücklich anerkannt.[291] Allerdings ist erlaubt, dass bei der Abwägung berücksichtigt wird, ob die Äußerung lediglich das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigt.[292]

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§ 193 StGB kann auch dann eingreifen, wenn sich eine aufgestellte Tatsachenbehauptung nachträglich als unwahr erweist. In diesem Fall ist bei der Prüfung der Wahrnehmung berechtigter Interessen die Wahrheit zu unterstellen und hypothetisch zu fragen, ob der Mitteilende berechtigte Interessen wahrgenommen hätte, wenn der Wahrheitsbeweis gelungen wäre.[293] Berechtigte Interessen setzen jedoch voraus, dass der Mitteilende die journalistische Sorgfaltspflicht beachtet hat.

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Die sonstigen in § 193 StGB genannten Fälle sind lediglich Beispielsfälle für berechtigte Interessen. Sie besitzen insoweit keine eigenständige Bedeutung.

3. Journalistische Sorgfaltspflicht

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Die journalistische Sorgfaltspflicht ist konkretisiert in den gesetzlichen Grundlagen für die einzelnen Medien, z.B. Landespressegesetz, Rundfunkstaatsverträge, Landesmediengesetze, Gesetze für die einzelnen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder Mediendienste Staatsvertrag. Es ist grds. ein strenger Maßstab anzulegen.[294] Allerdings würde eine Überspannung den verfassungsrechtlich geschützten Kommunikationsprozess zu sehr einschränken.[295] Es ist ausreichend, dass sie angesichts der Umstände des Falles vernünftigerweise in Betracht kommenden Recherchen hinreichend gründlich durchgeführt worden sind.[296] Was dies im Einzelnen bedeutet, hängt von den verschiedensten Faktoren ab. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zu nicht erweislichen Tatsachenbehauptungen und der Verdachtsberichterstattung verwiesen werden.

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Bei Äußerungen Dritter ist zu differenzieren. Wurde eine Tatsachenbehauptung zu einer Meldung von einer anerkannten Nachrichtenagentur geliefert, besteht in aller Regel keine Verpflichtung zur Nachrecherche.[297] Etwas anderes kann gelten, wenn die Agenturmeldung selber Ungewissheit wiedergibt. Bezieht sich die Agenturmeldung wiederum auf ein anderes Medium (z.B. eine Zeitungsmeldung), so reicht dies i.d.R. nicht aus, die journalistische Sorgfaltspflicht als erfüllt anzusehen.[298] Dies mag wiederum einzuschränken sein, wenn es sich um eine besonders seriös anerkannte Medienquelle handelt.[299] Das vorgenannte „Agentur-Privileg“ gilt jedoch nicht für Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die nicht durch eine Tatsachenbehauptung, sondern infolge fehlerhafter Abwägung der verschiedenene Rechtsgüter entstehen, z.B. bei einer unzulässigen Namensnennung eines Straftäters.[300] Strittig ist auch, ob die Sorgfaltspflichten geringer anzusetzen sind, wenn der Betroffene Erstveröffentlichungen in Medien, die unter Umständen auch schon länger zurückliegen, nicht widersprochen hat.[301] Ansonsten darf sich die Presse auf als zuverlässig anzusehende Informationsquellen verlassen, wie etwa Staatsanwaltschaften,[302] Polizei, Gerichte oder Behörden. Das gilt unbedingt hinsichtlich der Richtigkeit von mitgeteilten Tatsachen. Aber auch das Vertrauen in die Richtigkeit der rechtlichen Abwägungsentscheidung kann geschützt sein, beispielsweise indem – bei nachträglicher Erkenntnis in die Fehlerhaftigkeit der Abwägung – die Wiederholungsgefahr entfallen kann.[303]

An ihre Grenzen stößt die journalistische Sorgfaltspflicht, wenn keine Aufklärungsmöglichkeiten zu erwarten sind oder zumutbare Rechercheansätze nicht mehr bestehen. Ist neben einem Dementi ein Mehr an Information durch eine Rückfrage beim Betroffenen nicht zu erwarten, ist sie nicht erforderlich.[304] Dies gilt auch, wenn der Betroffene schon ausführlich zu Wort gekommen ist oder Stellung genommen hat.[305]

C. Die Bildberichterstattung

I. Das Recht am eigenen Bild als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

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Das in §§ 22 ff. KUG gewährleistete Recht am eigenen Bild ist eine einfach gesetzliche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Gegenüber Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stellen die §§ 22, 23 KUG leges speciales dar.[306] Das KUG sieht (mit Ausnahme des § 37 f. KUG) keine eigenen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen vor, so dass für Unterlassungs-, Geldentschädigungs- und Schadensersatzansprüche auf § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 BGB bzw. i.V.m. § 249 ff. BGB zurückgegriffen werden muss.[307] Der durch das Recht am eigenen Bild skizzierte Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts räumt grds. allein dem Abgebildeten die Befugnis ein, darüber zu befinden, ob und in welcher Weise er sich in der Öffentlichkeit darstellt oder dargestellt wird.[308] Nicht zu verwechseln ist dies mit dem Wunsch des Abgebildeten, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte. Darauf besteht kein Anspruch.[309] Die erforderliche Abwägung der Verfassungsgüter auf den verschiedenen Ebenen gewährleisten die als verfassungsgemäß angesehenen[310] §§ 22, 23 KUG durch ein abgestuftes Schutzkonzept. Die Rechtsprechung des BVerfG und der ordentlichen Zivilgerichte hat nach dem Caroline-Urteil des EGMR vom 24.6.2004 eine gewisse Akzentverschiebung erfahren.[311]

II. Begriff des Bildnisses

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Unter einem Bildnis i.S.d. § 22 KUG ist die Darstellung der Person in ihrer wirklichen, dem Leben entsprechenden Erscheinung zu verstehen. Abgebildet werden muss also ein erkennbar wiedergegebener Mensch. Demgegenüber kennt das KUG auch den Begriff des Bildes,[312] dessen Schutz nicht Gegenstand des Gesetzes ist. Beispielsweise wird die Abbildung einer Person, die nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder einer sonstigen Örtlichkeit erscheint[313] oder Abbildung von Personen, die an Versammlungen, Aufzügen oder ähnlichen Vorgängen teilnehmen[314] nicht als Bildnisse, sondern lediglich als Bilder bezeichnet. Sie nehmen deshalb am Schutz des § 22 KUG nicht teil. Strittig ist die begriffliche Einbeziehung von Leichenfotos.[315]

III. Erkennbarkeit

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Der Begriff des Bildnisses setzt die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus. Sie ergibt sich i.d.R. aus den Gesichtszügen; dies schließt aber nicht aus, dass trotz deren Nichterkennbarkeit andere Merkmale die Person erkennbar machen,[316] z.B. der Zusammenhang mit früheren Veröffentlichungen,[317] Umstände aus dem Kontexttext oder aus der Bildunterzeile (Nennung einer konkreten Adresse oder einer besonderen Funktion des Abgebildeten), weitere Fotos im Kontext (z.B. Abbildung des Wohnhauses), Erwähnung des Namens im Begleittext,[318] Anfangsbuchstabe des Familiennamens oder Beruf des Abgebildeten.[319] Es genügt die Erkennbarkeit innerhalb eines Bekanntenkreises.[320] Allerdings kann das Vorwissen des Bekanntenkreises nicht unberücksichtigt bleiben.[321] Hat dieser Kreis beispielsweise davon Kenntnis, dass gegen den Betroffenen strafrechtlich ermittelt wird, kann auch die Erkennbarkeit für diesen Kreis infolge eines Bildnisses in Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die Ermittlungen nicht entscheidend sein.[322] Der Abgebildete muss nicht nachweisen, tatsächlich von Dritten erkannt worden zu sein.[323] Allerdings kann die Tatsache, dass er tatsächlich (nur) aufgrund des Bildnisses bzw. dessen Kontextes erkannt worden ist, ein Indiz für die Erkennbarkeit bilden.[324]

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Die Erkennbarkeit kann durch technische Hilfsmittel verhindert werden. (Z.B. Augenbalken oder „Pixelizing“). Dies muss so sorgfältig geschehen, dass die Gesichtszüge wirklich nicht identifizierbar werden.[325] Auch der Gebrauch eines Doppelgängers ändert nichts an der Erkennbarkeit des Verkörperten, wenn der Eindruck erweckt wird, bei dem Double oder Doppelgänger handelt es sich um den Prominenten selbst.[326] Dies kann auch gelten, wenn nicht die Gesichtszüge, sondern die Begleitumstände auf den Verkörperten hinweisen.[327] Auch eine karikierende Darstellung kann zur Erkennbarkeit führen.[328]