Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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2.2 Einzelfälle

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Bei Tatsachen kann es sich auch um innere Tatsachen handeln.

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Unbeachtlich für die Frage, ob Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung vorliegt, ist die konkrete Formulierung.[123] Aus der Einstufung der Tatsachenbehauptung kann man sich nicht durch Formulierungen wie „ich meine, dass“ oder „angeblich sollen …“[124] stehlen. Umgekehrt kann eine als Tatsachenbehauptung formulierte Äußerung als Wertung einzustufen sein.[125]

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Schlussfolgerungen können – je nach Formulierung und Kontext – Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen sein. Dabei kommt es darauf an, ob die Schlussfolgerung als so zwingend dargestellt wird, dass für ein subjektives Meinen kein Raum vorhanden sei, weswegen sie als objektive Gegebenheit und damit als Tatsache angesehen werden muss.[126] Eine Schlussfolgerung zu Beweggründen oder den Absichten anderer dürfte eher als Meinungsäußerung anzusehen sein.[127]

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Rechtliche Beurteilungen enthalten in aller Regel Meinungsäußerungen.[128] Dies gilt für zivilrechtliche als auch strafrechtliche Einstufungen und auch dann, wenn die Rechtsauffassung einer objektiven Beurteilung nicht standzuhalten vermag.[129] Eine Tatsachenbehauptung liegt dagegen vor, wenn die Äußerung sich nicht auf eine Rechtsauffassung beschränkt, sondern damit zugleich dem Adressaten die Vorstellung von konkreten Vorwürfen vermittelt, die beweismäßig überprüfbar sind.[130]

3. Behaupten und Verbreiten

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Behaupter- und Verbreiterhaftung sind streng voneinander zu unterscheiden. Für Äußerungen Dritter ist der bloße Verbreiter jedenfalls dann nicht haftbar, wenn er sich die Äußerungen des Dritten nicht zu eigen gemacht hat, sich ausreichend von ihr distanziert hat und ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht.[131] Erlegte man der Presse in Fällen der Verbreitung fremder Tatsachenbehauptungen eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung auf, führte dies dazu, dass die lediglich wiedergegebenen Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt wie ein eigener Beitrag zu überprüfen wäre; eine solche Recherchepflicht könnte den Kommunikationsprozess unzulässig einschränken.[132]

3.1 Behaupten

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Ein Behaupten ist eine Aussage über einen anderen, die eine eigene Erkenntnis oder eigene Mitteilung enthält.[133]

3.2 Verbreiten

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Ein Verbreiten kann durch intellektuelles oder technisches Verbreiten erfolgen. Der in der Praxis häufigste Fall des intellektuellen Verbreitens ist die Wiedergabe der Äußerung eines Dritten, bspw. als Zitat. Das technische Verbreiten erfolgt ohne gedankliche Beziehung, bspw. durch den Drucker einer Zeitung oder den Grossisten oder Kioskinhaber. Die zivilrechtliche Haftung technischer Verbreiter unterliegt noch weitergehenden Einschränkungen.[134]

3.3 Sich-zu-eigen-machen, sich distanzieren

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Ob ein Medium sich Fremdäußerungen zu eigen macht, hängt zunächst davon ab, wie die Darstellung vom Durchschnittsempfänger verstanden wird.[135] Ein Zu-eigen-machen liegt regelmäßig vor, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint.[136] Das Zu-eigen-machen kann auch „zwischen den Zeilen“ geschehen[137] oder durch weitere Umstände im Kontext der Berichterstattung erfolgen.[138]

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Liegt der Kontext so, dass das Zitat gewissermaßen nur als Bestätigung der bereits geäußerten (eigenen) Auffassung erscheint, liegt ebenfalls ein Sich-zu-eigen-machen vor.[139] Auch in Haupt- und Zwischenüberschriften kann ein Sich-zu-eigen-machen liegen.

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Beim Medium Rundfunk, insbesondere bei Live-Sendungen, ist zu berücksichtigen, dass dieses besonders als „Markt der Meinungen“ fungiert. Der BGH hat deshalb entschieden, dass die ohne Distanzierung erfolgte Ausstrahlung von Äußerungen Dritter noch nicht ohne weiteres bedeute, der Rundfunk identifiziere sich mit ihnen.[140] Dies gilt insbesondere, wenn konträre Auffassungen formal gegenüber gestellt werden. Allerdings kann eine Anmoderation oder eine durch den Beitrag entstehende Gesamttendenz wiederum zum Sich-zu-eigen-machen führen.[141]

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Auch bei Interviews liegt in der Regel kein Zu-eigen-machen der Äußerungen des Interviewten vor.[142] Ebenso reicht die eindeutige Kennzeichnung als gekürzter Fremdbericht für eine Distanzierung im Rahmen der Verbreitung in einer Presseschau aus.[143]

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Das Sich-distanzieren kann auf verschiedene Arten erfolgen. Nicht ausreichen wird es in der Regel, wenn die Äußerung durch leichte Relativierungen etwa in der Form „soweit ich weiß …“ oder „ich nehme an …“[144] oder durch Einschübe wie „… soll“ oder „… soll angeblich …“[145] erfolgt. Letzteres gilt insbesondere für die Äußerung von Gerüchten. Eine sich-zu-eigen-gemachte Behauptung kann auch nicht dadurch zur Verbreitung „umformuliert“ werden, indem man sie gewissermaßen einem – gegebenenfalls sogar anonymisierten – Dritten „in die Schuhe schiebt“, etwa durch die Formulierung „Es wird behauptet, dass …“.[146] Eine fehlende Distanzierung kann auch vorliegen, wenn die Drittäußerung als alleinige Grundlage eines Beitrages verwertet wird und ihre Darstellung den Eindruck erweckt, die Angaben in der Drittäußerung träfen zu.[147] Demgegenüber kann ein erfolgreiches Sich-distanzieren unter Umständen durch das Setzen der Fremdäußerung in Anführungszeichen erfolgen.[148] Bei schwerwiegenden Vorwürfen wird von den Gerichten oft verlangt, die Gegenansicht gegenüber zu stellen.[149]

II. Die Verletzung von Rechten Dritter durch die Wortberichterstattung
1. Persönlichkeitsrechte
1.1 Die Rechtsgrundlagen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

1.1.1 Deutsches Recht

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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird als eigenständiges Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet.[150] Es ist ein sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB. Nach h.M. handelt es sich um ein Rahmenrecht, dessen rechtswidrige Verletzung nur auf der Grundlage einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung festgestellt werden kann.[151]

1.1.2 Art. 8 EMRK

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Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Der Begriff „Privatleben“ beinhalte nach Meinung des EGMR eine Reihe von Aspekten, die sich auf die Identität einer Person beziehen, wie etwa den Namen der Person[152] oder die physische und sittliche Integrität einer Person.[153] Allerdings ist der Schutz des Privatlebens mit der nach Art. 10 der Konvention garantierten freien Meinungsäußerung zu einem Ausgleich zu bringen.[154] Damit ist festzuhalten, dass auch im Anwendungsbereich der EMRK eine Abwägung der verschiedenen Menschenrechte miteinander stattfindet, grds. ähnlich dem deutschen Recht.[155]

1.2 Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

1.2.1 Natürliche Personen/postmortales Persönlichkeitsrecht

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Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind alle natürlichen Personen. Dies gilt unabhängig vom Bewusstsein der Persönlichkeit, mithin auch für Kleinkinder oder Geschäftsunfähige.[156] Mit dem Tode erlöschen die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts grds. und wirken danach nur in ihrem (Teil-)Element des Fortwirkens der Menschenwürde i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG fort.[157] Gegenstand ist der allgemeine Achtungsanspruch, der davor schützt, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Daneben wird auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert geschützt.[158] Dieser postmortale Schutz der ideellen Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist auch nicht wie das Recht am eigenen Bild (§ 22 S. 3 KUG) auf 10 Jahre nach dem Tod der Person begrenzt.[159] Die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts erlöschen jedoch nach 10 Jahren.[160] Ein Angehöriger kann wegen der Veröffentlichung über einen Verstorbenen nur vorgehen, wenn dadurch unmittelbar sein eigenes Persönlichkeitsrecht tangiert wird.[161]

1.2.2 Juristische Personen

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Juristische Personen können sich auch auf den Persönlichkeitsschutz berufen. Der Schutz ist jedoch schwächer ausgeprägt. Er gilt für die juristische Person nur, wenn und soweit er sich aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und den ihr zugewiesenen Funktionen ergibt.[162]

1.3 Einzelne Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann vielgestaltige Ausprägungen haben.


der Schutz vor Indiskretion in den verschiedenen Sphären des täglichen Lebens (Intimsphäre, Privatsphäre, Sozialsphäre, Öffentlichkeitssphäre);
der Schutz vor der Unwahrheit;
der Schutz von Ehre und Ruf;
das Resozialisierungsinteresse eines Straftäters.

Diese Ausprägungen können terminologisch variieren oder sich überschneiden.

 

1.4 Erforderlichkeit einer Abwägung

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Wie bereits ausgeführt muss die Reichweite des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit schutzwürdigen Interessen des Berichterstattenden oder der Allgemeinheit aus Meinungsäußerungs-, Presse- und Kunstfreiheit abgewogen werden. Dabei reicht der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber Wortberichterstattung und Bildberichterstattung grundsätzlich verschieden weit; während die Veröffentlichung eines Bildes einer Person grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, ist dies bei personenbezogenen Wortberichten nicht ohne weiteres der Fall.[165] Es bedeutet einen ungleich stärkeren Eingriff in die persönliche Sphäre, wenn jemand das Erscheinungsbild einer Person in einer Lichtbildaufnahme fixiert, es sich so verfügbar macht und der Allgemeinheit vorführt.[166] Eine Wortberichterstattung ist bei vergleichbaren Themen zwar nicht stets in weiterem Umfang zulässig als eine Bildberichterstattung; es ist in solchen Fällen aber einer Frage der einzelfallbezogenen Beurteilung, ob eine Wort- oder die sie begleitende Bildberichterstattung die schwerwiegenderen Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts mit sich bringt.[167] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet dagegen keinen Schutz davor, überhaupt in einem Wortbeitrag individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten.[168]

1.5 Die Freiheit der Meinungsäußerung und ihre Grenzen bei der Abwägung im Einzelfall (Schmähkritik, Formalbeleidigung, Menschenwürde)

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Die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit sind eng auszulegen. Der Persönlichkeitsschutz genießt nur Vorrang, wenn sich die Äußerung als Schmähkritik, reine Formalbeleidigung oder Angriff auf die Menschenwürde darstellt oder sonst die Einzelfallabwägung bei schwer wiegenden persönlichen Vorwürfen zu einer Verletzung führt.[169]

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Eine Schmähkritik liegt vor, wenn die persönliche Kränkung und Herabsetzung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt und es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern um die Diffamierung des Betroffenen geht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.[170] Der Begriff der Schmähkritik ist dabei eng auszulegen[171] und im Übrigen eher auf die sog. Privatfehde beschränkt.[172] Dient der Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht die Vermutung für die Zulässigkeit.[173] Das gilt auch für eine der Wahrheit entsprechende Kritik an Gewerbetreibenden.[174] Zum anderen ist kein Raum dort für Schmähkritik, wo eine sachverhaltsmäßige Grundlage noch vorhanden ist, auf die sich die Äußerung bezieht.[175] Regelmäßig müssen auch Anlass und Kontext der Äußerung berücksichtigt werden.[176] Schließlich darf das Werturteil umso schärfer sein und um so eher herabsetzenden Charakter haben, je stärker der Angegriffene von sich aus „Anlass“ zu einer derartigen Reaktion gegeben hat.[177]

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Als nicht von der Meinungsäußerung geschützt gilt auch die reine Formalbeleidigung.[178] Es liegt auf der Hand, dass solche reinen Formalbeleidigungen i.d.R. keine sachverhaltsmäßige Grundlage haben und dabei bewusst eine Diffamierung im Vordergrund steht. Aber dies ist nicht zwingend. Die Schmähabsicht wird durch Formalbeleidigung lediglich, aber eben auch indiziert.

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Es bleibt die Frage, ob Meinungsäußerungen in Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unzulässig sein können, auch wenn sie keine Schmähkritik darstellen. Dies haben BVerfG und BGH in Einzelfällen bejaht.[179]

1.6 Tatsachenbehauptungen

1.6.1 Grundsätzliches zum Schutzumfang

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Wie dargetan fallen Tatsachenbehauptungen nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG heraus. Allerdings ist eine unwahre Tatsachenbehauptung nach ständiger Rechtsprechung nicht geeignet, der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsbildung zu dienen.[180] Als Konsequenz ist es sinnvoll zu unterscheiden: Liegt eine unwahre Tatsachenbehauptung, eine im Zeitpunkt der Äußerung nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptung oder eine wahre, aber ehrenrührige Tatsachenbehauptung vor?

1.6.2 Unwahre Tatsachenbehauptungen

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Bei unwahren Tatsachenbehauptungen genießt der Persönlichkeitsschutz uneingeschränkt Vorrang, ohne dass es auf eine Güter- und Interessenabwägung ankäme.[181] Es ist ferner allerdings erforderlich, dass durch die Unwahrheit auch das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt wird;[182] ansonsten liegt eine nicht angreifbare sog. „wertneutrale Falschmeldung“ vor.[183]

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Die Fallkonstellation einer unwahren Tatsachenbehauptung existiert in vielen Facetten. So liegt etwa eine unwahre Tatsachenbehauptung vor, wenn eine Zeitschrift auf einen Beitrag hinweist, in dem eine prominente Person „exklusiv“ zum ersten Mal über bestimmte Themen aus ihrem Privatleben spricht, falls diese Person überhaupt kein Gespräch mit einem Reporter dieser Zeitschrift geführt hat.[184] Des Weiteren kann in einem Fehlzitat oder einem verfälschten Wiedergabe einer Äußerung eine unrichtige Tatsachenbehauptung liegen.[185] Auch eine verdeckte Tatsachenbehauptung kann eine unwahre Tatsachenbehauptung sein und unterliegt dann den identischen Rechtsfolgen.

1.6.3 Nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptungen, Beweislast, pressemäßige Sorgfaltspflicht

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Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG liegen nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits zum Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht.[186] Alle übrigen Tatsachenbehauptungen, also auch zunächst nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug, genießen den Grundrechtsschutz. Dies gilt auch und gerade dann, wenn sie sich später als unwahr herausstellen.[187] Der Wahrheitsgehalt fällt dann aber bei der Abwägung ins Gewicht, wobei jedoch bedacht werden muss, dass die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiss ist und sich erst als Ergebnis während eines Diskussionsprozesses oder auch einer gerichtlichen Klärung herausstellt. Würde angesichts dieses Umstands die nachträglich als unwahr erkannte Äußerung stets mit Sanktionen belegt werden dürfen, so stünde zu befürchten, dass der grds. gewollte Kommunikationsprozess litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden könnten.[188] In der Abwägung kann die Nichterweislichkeit einer Tatsache z.B. dann hinzunehmen sein, wenn es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage handelt[189] oder wenn der Äußernde auf ein vorangegangenes Verhalten des Betroffenen reagiert.[190] Die vom BVerfG gedeckte Rechtsprechung hat sich in diesen Fällen dadurch geholfen, dass sie demjenigen, der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Sorgfaltspflichten auferlegt. Diese richten sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten und sind etwa für die Medien strenger als für die Privatleute.[191]

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Sind die Sorgfaltspflichten eingehalten, stellt sich aber später die Unwahrheit der Äußerung heraus, ist die Äußerung als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so dass weder eine Wiederholungsgefahr noch i.d.R. eine Erstbegehungsgefahr gegeben ist. Besteht die auf konkreten Anhaltspunkten beruhende Gefahr, dass die Äußerung trotz besserer Erkenntnis in der Zwischenzeit aufrecht erhalten wird, besteht im Ausnahmefall Erstbegehungsgefahr.[192] Teilt das Medium hingegen mit, dass es nun, nachdem sich die Unwahrheit trotz sorgfaltsgemäßer Recherche nachteilig herausgestellt hat, an der Äußerung nicht mehr festhält, so wird i.d.R. keine Erstbegehungsgefahr bestehen. Wirkt die Beeinträchtigung des von der Äußerung Betroffenen nach Feststellung der Unwahrheit fort, ist ein Richtigstellungsanspruch nicht ausgeschlossen.[193] Allerdings darf dies nur für Einzelfälle besonders schwerwiegender Beeinträchtigungen gelten.

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Bei Nichterweislichkeit der Wahrheit legt die Rechtsprechung dem Äußernden darüber hinaus eine (erweiterte) Darlegungslast auf, dass er mit seinen Recherchen die strenge Sorgfaltspflicht erfüllt hat und ihn dazu anhält, Belegtatsachen für seine Behauptungen anzugeben.[194] Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts gegen einzuwenden, wenn die Anforderungen an die Darlegungslast nicht zu Lasten der Meinungsfreiheit überspannt werden.[195] Insbesondere darf auch das Redaktionsgeheimnis nicht ausgehöhlt werden; ist ein Presseorgan deswegen an der Benennung eines Informanten gehindert, ist lediglich zu verlangen, dass wenigstens nähere Umstände vorgetragen werden, aus denen auf die Richtigkeit der Information geschlossen werden kann.[196]

1.6.4 Persönlichkeitsbeeinträchtigende wahre Tatsachenbehauptungen

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Bei wahren Tatsachen muss eine Einzelfallabwägung zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz erfolgen, wobei das Abwägungsergebnis von der Frage abhängt, in welcher Sphäre die Äußerung den Betroffenen berührt. Dabei werden – mit etwas unterschiedlicher Terminologie – die Intimsphäre, die Privatsphäre, die Sozialsphäre und die Öffentlichkeitssphäre unterschieden. Die Äußerung ist grds. nur dann rechtswidrig, wenn sie die Intim- oder Privatsphäre betrifft und – soweit die Privatsphäre betroffen ist – sich in der Abwägung nicht durch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit rechtfertigen lässt.

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Die Intimsphäre umfasst den letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit.[197] Der Schutz der Intimsphäre wird grds. als absolut angesehen.[198] Dazu gehören insbesondere Vorgänge aus dem Sexualbereich[199] sowie nicht wahrnehmbare körperliche Gebrechen oder gesundheitliche Zustände (z.B. HIV-Infektion und Ergebnisse medizinischer Untersuchungen).[200] Intime Gespräche sind ebenfalls geschützt, auch dann wenn sie am Arbeitsplatz geführt werden.[201] Juristische Personen haben keine Intimsphäre.[202] Schwierig kann die Abgrenzung zur Privatsphäre sein. Die Zuordnung hängt maßgeblich davon ab, inwieweit auf Einzelheiten eingegangen wird. So trifft der bloße Hinweis auf ehebrecherische Beziehungen im Allgemeinen nur die Privatsphäre.[203] Auch kann die – wahrheitsgemäße – Berichterstattung über das Bestehen einer sexuellen Beziehung zweier Prominenter nicht die Intimsphäre betreffen, es sei denn, es werden wiederum intime Details dieser sexuellen Beziehung geschildert. Aus der Intimsphäre rührende Vorgänge können eine soziale Dimension erlangen. So z.B., wenn aus einer intimen Beziehung ein Kind hervorgeht und die Frage diskutiert wird, wer der Vater ist. Vertreten wird aber auch, dass die Vaterschaftsfrage Gegenstand der Privatsphäre sei.[204]

 

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Der Schutz von Intimsphäre oder auch Privatsphäre versagen, wenn die Betroffenen ihre Intim- oder Privatsphäre selbst öffentlich ausgebreitet haben. Der Schutz entfällt – jedenfalls teilweise –,[205] wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden,[206] etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt[207] oder sich in die Öffentlichkeit drängt.[208] Gleiches kann für die Intimsphäre gelten, z.B. für die Veröffentlichung von Nacktfotos.[209]

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Die Privatsphäre umfasst den Bereich, zu dem andere nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Der Schutzbereich ist räumlich, thematisch und zeitlich bestimmt.[210] Er umfasst insbesondere den häuslichen und familiären Bereich. Bsp. sind etwa die Auseinandersetzung mit sich selbst in Tagebüchern,[211] die vertrauliche Kommunikation unter Eheleuten,[212] den Bereich der Sexualität,[213] sozial von der Norm abweichendes Verhalten,[214] Krankheiten, sofern sie nicht ohne weiteres öffentlich sind[215] sowie in der Regel religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt dabei auch die Vertraulichkeit privaten E-Mail-Verkehrs; allerdings ist die Veröffentlichung rechtswidriger beschaffter oder erlangter Informationen von der Meinungsfreiheit der Presse umfasst und Gegenstand der Abwägung.[216] Dabei kommt es dann maßgeblich auf den Zweck der angegriffenen Äußerung und auf das Mittel an, z.B. ob es sich um einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt.[217]

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Die Privatsphäre ist nicht absolut geschützt. Die Veröffentlichung ist zulässig, wenn eine alle Umstände des konkreten Falles berücksichtigende Interessenabwägung ergibt, dass das Informationsinteresse gegenüber den persönlichen Belangen des Betroffenen überwiegt.[218] In dieser Interessenabwägung können die verschiedensten Punkte einzubeziehen sein, z.B. die soziale Stellung des Betroffenen oder das öffentliche Interesse an den Lebensumständen eines Stars. So vermittelt das Persönlichkeitsrecht seinem Träger gerade keinen Anspruch darauf, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist.[219] Es gewährleistet insbesondere nicht, dass der Einzelne nur so dargestellt und nur dann Gegenstand öffentlicher Berichterstattung werden kann, wenn und wie er es wünscht.[220]

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Die Sozialsphäre umfasst die nach außen in Erscheinung tretende Sphäre der Person, in der das Verhalten von dieser Person von jedermann wahrgenommen werden kann, es aber nicht bewusst der Öffentlichkeit zugewendet ist. Darunter fällt bspw. die berufliche oder politische Betätigung einer Person[221] oder die Betätigung in einer sozialen Gemeinschaft auf öffentlichen Straßen.

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Ist die Sozialsphäre berührt, so kommt dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ein grds. Vorrang zu; wer sich im Wirtschaftsleben oder bspw. in der (Verbands-)Politik betätigt, muss sich in weitem Umfang der Kritik aussetzen.[222] Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird bei der Mitteilung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht.[223] Das Persönlichkeitsrecht verleiht keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es genehm ist.[224] Darüber hinaus bleibt eine Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht versagt, wenn sich der Grundrechtsträger in freier Entscheidung gerade der Medienöffentlichkeit aussetzt, z.B. in dem er öffentliche Veranstaltungen besucht, die erkennbar auf ein großes, öffentliches Interesse stoßen; die Medien dürfen auch – daran anknüpfend – kommentierende Bemerkungen knüpfen.[225] Ein Recht, in selbst gewählter Anonymität zu bleiben, besteht demgegenüber nicht.[226] Auch Straftaten und strafrechtliche Ermittlungsverfahren gehören zur Sozialsphäre. Letztlich muss auch hier eine Einzelabwägung stattfinden, wenn auch viel dafür spricht, dass berechtigte Interessen der Öffentlichkeit den Persönlichkeitsschutz in der Regel überwiegen werden. Straftaten gehören zum Zeitgesehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist; bei der Abwägung verdient für die tageaktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang.[227] Insbesondere bei schweren Gewaltverbrechen ist daher ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Informationsinteresse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen.[228] Aber auch ein an sich geringes Interesse der Öffentlichkeit über leichte Verfehlungen kann im Einzelfall durch Besonderheiten, etwa in der Person des Täters oder des Tathergangs aufgewogen werden.[229] Zudem kann zu berücksichtigen sein, dass die Geringfügigkeit eines Tatvorwurfs zugleich geeignet sein kann, die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu mindern.[230] Auch kann der Umstand von Bedeutung sein, dass die wahre Tatsache – möglicherweise aufgrund einer breiten Presseberichterstattung – bereits der Öffentlichkeit bekannt ist, so dass das Gewicht ihrer Weiterverbreitung durch das angegriffene Medium gegenüber dem Ersteingriff gemindert ist.[231] Gleichzeitig kann aber der Verweis auf Parallelveröffentlichungen das vom Betroffenen angegriffene Medium nicht generell entlasten.[232] Anders mag es aber z.B. bei Stigmatisierung, Ausgrenzung oder Prangerwirkung sein[233] oder Gefährdung der Resozialisierung eines Straftäters.[234] Zwar gewinnt mit zeitlicher Distanz zur Straftat das Resozialisierungsinteresse zunehmende Bedeutung; einen uneingeschränkten Anspruch, mit der Tat „allein gelassen zu werden“ erwächst aber nicht; maßgeblich bleiben die konkreten Umstände des Einzelfalls.[235] Auch nach Strafverbüßung eines Straftäters bleibt es aber für ein Online-Archiv grds. zulässig, einen Alt-Beitrag, in dem der Straftäter ursprünglich rechtmäßig namentlich genannt war zum Abruf bereit zu halten.[236] Ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit besteht nicht nur über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse anhand der unveränderten Originalberichte in den Medien zu recherchieren.[237]

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Schließlich besteht die Öffentlichkeitssphäre, in der das Verhalten des Betroffenen von jedermann Kenntnis genommen werden kann oder sogar Kenntnis genommen werden soll. Hier besteht in aller Regel kein persönlichkeitsrechtlicher Schutz. Typisches Bsp. ist das öffentliche Auftreten von Politikern oder Künstlern.