Geschichte der USA

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2 Das Bemühen um eine innere Erneuerung der Vereinigten Staaten
Triebkräfte und Charakter der „progressivenReformbewegungenProgressivismus BewegungProgressivismus“

Ausgehend von den Reformimpulsen des späten 19. Jahrhunderts, breitete sich nach 1900 eine Aufbruchstimmung in der amerikanischen Öffentlichkeit aus und erfasste beide großen Parteien. Die Einsicht wuchs, dass die soziale Entwicklung hinter der wirtschaftlichen zurückgeblieben war und dass die Prozesse der IndustrialisierungIndustrialisierungProgressivismus und UrbanisierungUrbanisierung nicht länger ihrer Eigendynamik und Eigengesetzlichkeit überlassen werden dürften. Der religiöse Drang, „to make America over again“, blieb ein wichtiger Impuls. In den protestantischen KirchenKirchen fand die Doktrin des Social Gospel großen Anklang, die christliche Grundsätze in allen Bereichen des menschlichen Lebens verwirklichen wollte. Kennzeichnend wurde nun die Verbindung von moralisch-religiösem Erneuerungsstreben und dem Glauben an die Kraft der Rationalität und der wissenschaftlichen Methoden. Den philosophischen Nährboden lieferte der Pragmatismus, wie er von dem HarvardUniversitätenHarvard University-Professor William JamesJames, William und – vor allem auf die Erziehung angewandt – von John DeweyDewey, John vertreten wurde. JamesJames, William lehnte jede Vorherbestimmtheit ab, sei sie calvinistischer, hegelianischer oder marxistischer Art. Er forderte die Menschen auf, die Veränderungen, die sich in einer „offenen“ Welt ständig vollzogen, kreativ und mit Phantasie in eine fortschrittliche Richtung zu lenken. Das harmonierte gut mit dem voluntaristischen, individualistischen Ethos, für das die Vereinigten Staaten als das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ inzwischen schon sprichwörtlich bekannt geworden waren. (In DeutschlandDeutschland veröffentlichte Ludwig Max GoldbergerGoldberger, Ludwig Max 1903 im Anschluss an seine USA-Reise ein Buch unter diesem Titel.) DeweyDewey, John forderte eine UmgestaltungProgressivismusReformbewegungenProgressivismus des öffentlichen Schulwesens der USA im demokratischen Sinne, die es der Jugend ermöglichen sollte, Kritikfähigkeit und selbstständiges Handeln zu erlernen. Auch die Auffassungen von der Bedeutung des Rechts und der Rolle der Richter begannen sich unter dem Einfluss von Juristen wie Roscoe PoundPound, Roscoe und Oliver Wendell HolmesHolmes, Oliver Wendell allmählich zu wandeln. Die an der HarvardUniversitätenHarvard University Law School gelehrte „soziologische Jurisprudenz“ verlangte von dem Richter, sich nicht allein von abstrakten Grundsätzen leiten zu lassen, sondern auch wissenschaftlich gesicherte Fakten (etwa zu den Auswirkungen der Arbeitszeit auf die Gesundheit) bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen. Gestützt wurde eine solche Haltung durch die Arbeiten jüngerer Historiker, allen voran Charles A. BeardBeard, Charles A., der in seinem Buch An Economic Interpretation of the Constitution of the United StatesAn Economic Interpretation of the Constitution of the United States (1913) 1913 nachweisen wollte, dass die amerikanische VerfassungVerfassung das Werk einer kleinen besitzenden Elite von Pflanzern und Kapitalisten gewesen sei, die ihre Macht sichern wollten. Wenn das zutraf, dann durfte man sie nicht länger unkritisch verehren und statisch auslegen, sondern musste ihre Bestimmungen flexibel an die Erfordernisse der Zeit anpassen. Es dauerte allerdings bis in die 1930er Jahre, bevor solche Ideen in der eher konservativen akademischen Welt Allgemeingut wurden. Mit Vernon L. ParringtonParrington, Vernon L. und Frederick J. TurnerTurner, Frederick J. zählte BeardBeard, Charles A. zu den führenden progressiveProgressivismus historians, die den Verlauf der amerikanischen Geschichte als kontinuierlichen Kampf zwischen fortschrittlich-demokratischen und eigennützig-elitären Kräften beschrieben.

Reformgeist und Reformeifer erreichten zwischen der Jahrhundertwende und dem Kriegseintritt 1917 ihren Höhepunkt. Das ProgressiveProgressivismusReformbewegungenProgressivismus Movement dieser Epoche war keine einheitliche, sondern eine sehr heterogene, in manchem sogar widersprüchliche Bewegung. Hinter den vielen Einzelanstrengungen, mit denen die Defizite und Fehlentwicklungen der industriellenIndustrialisierungProgressivismus Gesellschaft beseitigt werden sollten, standen aber drei gemeinsame Leitideen: Dem republikanischen Erbe entstammte der Gedanke, man müsse dem öffentlichen Interesse Vorrang geben und dem Jefferson’schen Prinzip der Chancengleichheit für alle, das dem Machtanspruch der Monopole und Konzerne geopfert worden war, endlich wieder Geltung verschaffen; zweitens herrschte bei den Reformern weitgehend Einvernehmen darüber, dass die laissez faire-Ideologie nicht ins Extrem getrieben werden durfte und die Regierungen und Parlamente die Pflicht hatten, Missstände zu bekämpfen und Verbesserungen durchzuführen; drittens schließlich teilten die meisten Progressiven die optimistische Überzeugung, Staat und Gesellschaft könnten mit Hilfe von Wissenschaft und Technik effizienter, rationaler und gerechter gestaltet werden. Dies war die Zeit, in der umwälzende Durchbrüche in den Naturwissenschaften und der Medizin erzielt wurden, als die ersten AutomobileIndustrialisierungProgressivismus vom Fließband rollten und als die Brüder OrvilleWright, Orville und Wilbur WrightWright, Wilbur 1903 bei Kitty Hawk an der Küste von North CarolinaNorth Carolina die erste mit einem Motor versehene Flugmaschine aufsteigen ließen. 1908 stellte Wilbur WrightWright, Wilbur mit 110 Metern einen Weltrekord im Höhenflug auf, und ein Jahr später führte Orville WrightWright, Orville seine Künste über dem Tempelhofer Feld bei BerlinBerlin vor. Wenn der Menschheitstraum vom Fliegen in Erfüllung ging, wenn die Technik alle Grenzen des traditionellen Könnens und Machens überschritt, mussten dann nicht auch die Sozialwissenschaften zu einer neuen, besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaften beitragen?

Von seiner sozialen Zusammensetzung her handelte es sich beim ProgressivismusReformbewegungenProgressivismusProgressivismus im Wesentlichen um eine Bewegung der alteingesessenen städtischen Mittel- und Oberschichten. Wie die führende Rolle von Ingenieuren, Verwaltungsfachleuten, Ärzten, Anwälten, Richtern, Professoren und Lehrern dokumentiert, war der Reformschub eng verbunden mit der Professionalisierung und Akademisierung der GesellschaftGesellschaftProgressivismus, die in dieser Zeit zur Entstehung einer auf Expertenwissen basierenden new middle class führten. Besonders stark vertreten waren Angehörige der neuen FrauengenerationFrauen, die über höhere BildungBildungswesen und mehr Freizeit als ihre Vorgängerinnen verfügten und die sich vornehmlich dem sozialen Bereich, dem Erziehungs- und GesundheitswesenGesundheitswesen zuwandten. Die beliebteste Organisationsform blieb die schon von TocquevilleTocqueville, Alexis de gerühmte Association, ein von Staat und Parteien unabhängiger Verein oder Verband. Seit der Depression der 1890er Jahre schossen Hunderte solcher Associations, Leagues, Federations und Clubs wie Pilze aus dem Boden und führten Reformkampagnen für Ziele, die vom sauberen Trinkwasser bis zum Weltfrieden reichten. Daneben gab es in größerer Zahl intellektuelle „Einzelkämpfer“ – Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler –, die Theodore RooseveltRoosevelt, Theodore wegen ihrer scharfen, z.T. überspitzten Sozialkritik mit dem Sammelbegriff der „Schmutzwühler“ (muck-rakermuck-raker) bedachte. Ideologisch tendierten die progressiven Reformer jedoch eher zur Mitte, zum Ausgleich von KlassengegensätzenGesellschaftProgressivismus und zur Versöhnung von Traditionslinien, die sich seit der Revolutionszeit durch die amerikanische Geschichte zogen. Sie wünschten keinen allmächtigen, bürokratischen und paternalistischen Staat, aber sie verlangten, dass die Bundesregierung innenpolitisch aktiver würde und die Einzelstaaten als „Laboratorien der Demokratie“ MitverantwortungReformbewegungenProgressivismusProgressivismus für bessere Lebensbedingungen, mehr Gerechtigkeit und rascheren FortschrittIndustrialisierungProgressivismus übernähmen.

ReformanliegenReformbewegungenProgressivismus und ReformerfolgeGesellschaftProgressivismus

Den wichtigsten Anstoß zu der Reformbewegung lieferten zweifellos die unhaltbaren Zustände in den rasant wachsenden Städten der USA. Zwischen 1870 und 1910 stieg die BevölkerungBevölkerungsentwicklung in Städten über 2500 Einwohnern insgesamt von 25 auf 45 Prozent, aber im NordostenNordosten lebten 1910 bereits zwei Drittel der Menschen in Städten. New YorkNew York City zählte um diese Zeit ca. 4,8 Millionen, ChicagoChicago 2,2 Millionen und PhiladelphiaPhiladelphia 1,55 Millionen Einwohner. Hier wie in DetroitDetroit, Cleveland und BostonBoston waren über 70 Prozent der Einwohner Immigranten oder deren direkte Nachkommen. Ab 1918 überstieg die Zahl der Stadtbewohner diejenige der Landbewohner. Auf der „Habenseite“ dieses UrbanisierungsprozessesUrbanisierung standen große, weltweit bewunderte Leistungen: Architekten und Ingenieure der Chicago School wetteiferten mit ihren Kollegen in New York darum, der modernen Stadt eine unverwechselbare Skyline-Silhouette zu geben (in Chicago, wo 1885 mit dem 10-stöckigen Home Insurance Building der erste skyscraper errichtet worden war, konzipierten und verwirklichten Louis SullivanSullivan, Louis und Frank Lloyd WrightWright, Frank Lloyd einen eigenen amerikanischen Baustil; New York setzte 1913 mit dem 55-stöckigen Woolworth Building neue Maßstäbe für den „Wolkenkratzer“-Bau); auf dem Gebiet des öffentlichen Massenverkehrs waren die amerikanischen Städte mit ihren elektrischen Straßenbahnen und U-Bahnen (die erste Linie in New York wurde 1904 eröffnet) weltweit führend; auch die elektrische Straßenbeleuchtung und das Telefon setzten sich hier schneller durch als überall sonst auf der Welt; und es entstanden riesige vorbildliche Grünanlagen wie der Central Park in ManhattanManhattan, Forest Park in St. LouisSt. Louis, Missouri und der Golden Gate Park in San FranciscoSan Francisco. Andererseits wurden weite BereicheGesellschaftProgressivismusIndustrialisierungProgressivismus wie das GesundheitsGesundheitswesen- und SozialwesenSozialwesen, um das sich in Europa der Staat oder die kommunale BürokratieRegierungssystemBürokratie kümmerten, vernachlässigt. Hier fanden die ReformerProgressivismusReformbewegungenProgressivismus, die ihre Augen nicht mehr vor den Problemen der städtischen Massen verschlossen, wie sie beispielweise der Journalist Jacob RiisRiis, Jacob in seinem Fotoessay How the Other Half Lives präsentierte, ein weites Betätigungsfeld.

 

FrauenFrauenReformenArbeiterFrauenProgressivismus leisteten einen maßgeblichen Beitrag zum Ausbau der sozialenGesellschaftProgressivismus Dienste, wenn sie diese nicht vielerorts überhaupt erst einrichteten. Zentrale Bedeutung erlangte die Settlement-BewegungSettlement-Bewegung, deren Initiatorin Jane AddamsAddams, Jane in den 1890er Jahren von ChicagoChicago aus die englische Idee der städtischen Sozialstationen propagierte. Dem Modell des Londoner Toynbee House folgend, wurde ihr Hull House in Chicago zum Vorbild für über 400 Settlement Houses in amerikanischen Städten. Gut 60 Prozent der dort freiwillig tätigen SozialarbeiterArbeiterProgressivismus waren FrauenArbeiterFrauenFrauenProgressivismus, die häufig führende Positionen innehatten. Von diesen Settlements strahlten ReformimpulseReformbewegungenProgressivismus in viele Richtungen aus, angefangen beim Bau von Kindergärten und Spielplätzen über Verbesserungen in den Wohnungen und am Arbeitsplatz bis hin zum Kampf gegen die KinderarbeitKinderarbeit in FabrikenIndustrialisierungProgressivismus. Im Zentrum standen BemühungenProgressivismus um GesundheitsfürsorgeGesundheitswesen und Hygiene in den ArmenviertelnArbeiterProgressivismus sowie um Qualitäts- und Reinheitskontrollen von Wasser und Lebensmitteln, für die auch Lobbies wie die National Consumers’ LeagueNational Consumers’ League zu Felde zogen.

Die ReformerGesellschaftProgressivismusReformbewegungenProgressivismus sahen ein, dass die drängenden Probleme nur gelöst werden konnten, wenn es gelang, die Regierungen und Verwaltungen der Städte durchsichtiger und leistungsfähiger zu machen. Statt auf die Improvisation und das Patronagewesen der „Bosse“ und ihrer „politischen Maschinen“ zu vertrauen, setzten sie sich ein für direkt gewählte, allen Einwohnern verantwortliche Bürgermeister, fachlich qualifizierte City-Manager und unabhängige Expertenkommissionen. Lebenswichtige Dienste wie die Wasser- und Abwasserversorgung, Gas, Elektrizität und städtischer Nahverkehr sollten ihrer Ansicht nach in öffentlichen Besitz übergehen oder zumindest unter kommunale Kontrolle gestellt werden. Auf der Ebene der Einzelstaaten strebten die ReformerProgressivismusGesellschaftProgressivismusReformbewegungenProgressivismus Verfassungsänderungen an, die den Bürgern mehr unmittelbare Mitsprache sichern sollten, insbesondere in der Form von Volksbegehren, Referendum und Abwahl (recall) von Parlamentariern oder Amtsinhabern während der Legislaturperiode. Die Parteien mussten ihrer Ansicht nach von privaten Klubs zu öffentlichen Einrichtungen umgeformt werden, die ihre Kandidaten nicht hinter verschlossenen Türen, sondern in offenen Vorwahlen (direct primaries) aufstellten. Auf nationaler Ebene galt es, Verfassungszusätze zu erreichen, die eine progressiveProgressivismus Einkommenssteuer zuließen sowie das FrauenwahlrechtWahlrechtFrauen und die Direktwahl der Senatoren festschrieben. Letzteres gelang 1913 mit dem 17. Amendment, während die FrauenFrauenWahlrecht wegen des Widerstands in den konservativen Südstaaten und im Kongress bis 1920 warten mussten, bevor das 19. Amendment Wahlrechtseinschränkungen auf Grund des Geschlechts vollends beseitigte.

Unter dem Druck progressiverProgressivismusReformbewegungenProgressivismus OrganisationenGesellschaftProgressivismus rafften sich die Staatenparlamente in dieser Periode zu den ersten, noch recht bescheidenen Sozialgesetzen auf. Sie beschlossen Unfall- und Altersrenten, verfügten schärfere Sicherheitsvorschriften für FabrikenIndustrialisierungProgressivismus und Bergwerke, setzten Höchstarbeitszeiten und MindestlöhneArbeiterProgressivismus in der Industrie fest und gewährten FrauenFrauenArbeitArbeiterFrauenFrauenProgressivismus und Jugendlichen besonderen Schutz. Führend auf vielen dieser Gebiete wurde der Staat WisconsinWisconsin unter seinem republikanischen Gouverneur Robert M. („Fighting Bob“) LaFolletteLaFollette, Robert M., der später als Senator nach WashingtonWashington, D.C. ging. Ein weiterer Reformschwerpunkt war das BildungsBildungswesen- und Erziehungswesen. Hier drängten die Progressiven vor allem auf die gesetzliche Verankerung der Schulpflicht, die Ausrichtung der Lehrpläne an den Erfordernissen der Berufspraxis und die Öffnung der Colleges und UniversitätenUniversitäten für begabte Schülerinnen und Schüler aus allen Bevölkerungsschichten. Insbesondere die Fortschritte in der KoedukationBildungswesen konnten sich sehen lassen, denn 1920 stellten FrauenFrauenArbeitArbeiterFrauenFrauenProgressivismus bereits fast die Hälfte aller College-Absolventen, wobei allerdings vor allem die Eliteuniversitäten geschlechtergetrennt blieben. Neben den öffentlichen Schulen gab es eine Vielzahl privater BildungseinrichtungenBildungswesen, die dazu beitrugen, dass sich der Prozess der Professionalisierung in den USA staatsferner und offener vollzog als in den meisten europäischen Ländern. Stärker als bis dahin üblich wurden nun die Regierungen für „moralische“ ReformenReformbewegungenProgressivismusGesellschaftProgressivismus und ein besseres soziales Milieu verantwortlich gemacht. Die 1893 gegründete, von den protestantischen KirchenKirchen unterstützte Anti-Saloon LeagueAnti-Saloon League erreichte mit ihren Kampagnen, dass bis 1915 fast alle Staaten die Prostitution gesetzlich untersagten. Hauptziel blieb das Verbot des Alkoholkonsums, der angeblich nicht nur die Moral, sondern auch die Volksgesundheit gefährdete. Dieser Kreuzzug schien 1919 gewonnen, als der 18. Verfassungszusatz die bundesweite ProhibitionProhibition einführte.

Nationale Politik in der Reformära

Nach der Jahrhundertwende wurde die ReformbewegungReformbewegungenProgressivismus zu einem politischen Faktor, dem die nationalen Parteien und der Kongress Rechnung tragen mussten. Zum Erstaunen vieler Reformer entwickelte gerade Präsident Theodore RooseveltRoosevelt, Theodore trotz seines martialischen Gehabes immer mehr Sympathien für ihre Ideen und Anliegen. Obwohl er im Rahmen seiner Politik des Square Deal, des „gerechten Ausgleichs“ zwischen Unternehmern, GewerkschaftenGewerkschaften und Regierung, viele Kompromisse schloss, half er doch mit, einige wichtige progressiveProgressivismus Forderungen zu verwirklichen. Gelegentlich bedurfte es dazu eines emotionalen Anstoßes: So drängte er den Kongress zur Verabschiedung von Hygienestandards für Lebensmittel, nachdem er Upton SinclairsSinclair, Upton schockierende Beschreibung der Zustände in den Schlachthöfen von ChicagoChicago (The JungleThe Jungle (1906), 1906) gelesen hatte. Weit stärker als alle seine Vorgänger suchte RooseveltRoosevelt, Theodore den direkten Kontakt zu den Mitbürgern. Die verschiedenen Reformprojekte boten ihm Gelegenheit, das Weiße Haus gezielt als „Predigtkanzel“ (bully pulpit) zu nutzen, von der aus er politische und moralische Lehren verkündete. Besonders am Herzen lag dem passionierten Jäger „Teddy“ Roosevelt der Natur- und Landschaftsschutz, zu dessen Förderung er mehr als 125 Millionen acres Bundesland als national forests deklarierte und 1908 einen ersten nationalen Kongress einberief. Damit gab er einer Bewegung Auftrieb, deren Anfänge in die 1860er und 1870er Jahre zurückreichten, als LincolnLincoln, Abraham ein Schutzabkommen für das kalifornische Yosemite-Tal unterzeichnet und GrantGrant, Ulysses S. das Yellowstone-Gebiet zum ersten NationalparkNationalparks der USA erklärt hatte. Auf Initiative des Naturforschers John MuirMuir, John war es 1890 gelungen, auch YosemiteYosemite National Park und andere kalifornische Schutzgebiete in das System der Nationalparks aufzunehmen. Beginnend mit dem Forest Reserve ActForest Reserve Act (1891) von 1891 wurden dann immer mehr Waldgebiete der unregulierten kommerziellen Nutzung entzogen. Im Unterschied zu Muir verstand sich Roosevelt jedoch nicht als preservationist, dem in erster Linie an der Unberührtheit der Natur lag, sondern als conservationist, der die wirtschaftliche Nutzung der public domain befürwortete, solange dies behutsam und im öffentlichen Interesse geschah. Deshalb unterstützte er auch Gesetze wie den Newlands Reclamation ActNewlands Reclamation Act (1902) von 1902, der Erträge aus dem Verkauf von Bundesland für Bewässerungsmaßnahmen in trockenen Regionen bereitstellte.

Der von Roosevelt selbst vorgeschlagene Nachfolger William H. TaftTaft, William Howard versuchte ab 1909, den Reformkurs beizubehalten und sich als Monopolgegner (trust buster) zu profilieren. In seiner Amtszeit wurde ein von FrauenFrauenProgressivismus geleitetes Children’s Bureau eingerichtet, das den Kampf gegen die immer noch weit verbreitete KinderarbeitArbeiterProgressivismusKinderarbeit koordinieren sollte. TaftTaft, William Howard besaß jedoch wenig persönliche Ausstrahlung und definierte die Befugnisse der Bundesregierung wieder sehr eng und zurückhaltend. Auf diese Weise verdarb er es sich mit den Reformern in der RepublikanischenRepublikanische Partei Partei, die unter Führung von Robert LaFolletteLaFollette, Robert M. eine eigene Organisation aufbauten. Als LaFollette im Wahlkampf von 1912 erkrankte, sprang Theodore RooseveltRoosevelt, Theodore zur allgemeinen Überraschung in die Bresche und ließ sich zum Präsidentschaftskandidaten der Progressive PartyProgressive Party küren. Diese Spaltung im Lager der Republikaner kam jedoch einem anderen Progressiven zugute, dem demokratischen Gouverneur von New JerseyNew Jersey, Thomas Woodrow WilsonWilson, Woodrow. Der gebürtige Virginier setzte sich gegen TaftTaft, William Howard und Roosevelt durch und zog 1913 als erster Südstaatler seit dem BürgerkriegBürgerkrieg ins Weiße Haus ein.

In seiner ersten Amtszeit löste WilsonWilson, Woodrow eine Reihe von ReformversprechenFinanzwesen1860–1918 ein, die er während des Wahlkampfes gemacht hatte. An eine Zerschlagung der großen Konzerne war im Ernst zwar nicht mehr zu denken, aber die wirksame Aufsicht der Bundesregierung musste nach Meinung des Präsidenten den Missbrauch wirtschaftlicher Macht verhindern. Der Clayton Anti-Trust ActWirtschaftAspekteClayton Anti-Trust Act (1914)Finanzwesen1860–1918Clayton Anti-Trust Act (1914) von 1914 richtete die Federal Trade CommissionWirtschaftAspekteFederal Trade CommissionFederal Trade Commission ein, die unfaire HandelspraktikenWirtschaft unterbinden und kleinere Konkurrenten vor ruinösem Wettbewerb schützen sollte. Außerdem bestimmte das Gesetz, dass Anti-Trust-Vorschriften nicht länger gegen GewerkschaftenGewerkschaften angewendet werden durften. Drastische ZollsenkungenWirtschaftAspekteZollpolitik kamen den Verbrauchern zugute, weil billige Importwaren ins Land strömten und die amerikanischen Unternehmen mit ihren Preisen heruntergehen mussten. Der Rückgang der Zolleinnahmen wurde durch eine Einkommensteuer ausgeglichen, die der Kongress nach Verabschiedung des 16. AmendmentsAmendments 1913 erstmals erheben durfte (1895 hatte der Supreme CourtSupreme Court eine Einkommensteuer als verfassungswidrig bezeichnet). Diese Steuer war zwar abgestuft, aber keineswegs dazu gedacht, Einkommen oder Besitz umzuverteilen. Dagegen ließ eine 1916 im Schatten des Weltkrieges durchgeführte Steuerreform erstmals die Tendenz erkennen, die großen Unternehmen und die Besitzenden zu Gunsten der weniger wohlhabenden Schichten zur Ader zu lassen. Die Farmer erhielten Krediterleichterungen durch den Federal Farm Loan ActFederal Farm Loan Act, und den EisenbahnernEisenbahn20.Jh. wurden im Adamson Act derAdamson Act (1916) Acht-Stunden-Tag und Lohnerhöhungen zugestanden, als sie 1916 mit Generalstreik drohten. Seit 1913 existierte auch endlich ein – immer noch recht lockeres – Zentralbanksystem auf der Grundlage des Federal Reserve ActFederal Reserve Act, der vorsah, dass die zwölf Distriktbanken gemeinsam über den Federal Reserve BoardFederal Reserve Board in New YorkNew York City den Geldumlauf und die Zinshöhe beeinflussen konnten. Hierbei hatten europäische Vorbilder und speziell das deutsche Modell der Reichsbank Pate gestanden.

 

Im Wahlkampf von 1916 sagte WilsonWilson, Woodrow die Fortführung der Reformpolitik zu, doch als die USA 1917 unter seiner Führung in den Krieg eintraten, ging die progressiveProgressivismus Ära im Wesentlichen zu Ende. Der Präsident setzte nun auf eine enge Zusammenarbeit von Regierung und Unternehmern, von der er sich eine maximale Produktionsleistung versprach, und auch die meisten Reformer stellten ihre Wünsche hinter das Ziel einer erfolgreichen Kriegführung zurück.