Geschichte der USA

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5 Der Aufstieg der USA zur führenden Industriemacht
Besonderheiten der amerikanischen IndustrialisierungWirtschaftIndustrialisierungGilded Age

Der säkulare wirtschaftliche Wachstums- und Modernisierungsprozess, der die Geschichte der Vereinigten Staaten im Grunde seit ihrer Entstehung bestimmte, trat nach dem Bürgerkrieg in eine neue Phase: Im Innern wurde die Industrie zum beherrschenden Sektor, und im Weltzusammenhang rückten die USA von der Peripherie des kapitalistischen Systems allmählich näher zum Zentrum. Bereits 1851, anlässlich der ersten Weltausstellung in LondonLondon, hatte es ein Kommentator im EconomistEconomist für „so sicher wie die nächste Sonnenfinsternis“ gehalten, dass die USA letztlich EnglandGroßbritannien überflügeln würden. Unter Wissenschaftlern ist immer noch umstritten, ob der BürgerkriegBürgerkrieg diese Entwicklung beschleunigte oder eher etwas verzögerte; im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts brach sie sich jedenfalls stürmisch Bahn. Wenn in diesem Zusammenhang von einem amerikanischen „ExzeptionalismusExzeptionalismus“ gesprochen wird, dann meint das vor allem zwei generelle Trends: Erstens vollzog sich die forcierte IndustrialisierungIndustrialisierungGilded AgeIndustrialisierung in den USA dezentraler und weniger staatlich gelenkt oder reguliert als in fast allen anderen Ländern; es entstand deshalb auch kein bürokratischer Leviathan in Gestalt eines übermächtigen Zentralstaates, der die Freiheit seiner Bürger bedrohen konnte. Zweitens gab es zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und politischer Demokratie zwar erhebliche Spannungen, aber keinen unüberwindlichen Gegensatz. Obwohl die Interessenkonflikte an Zahl und Härte zunahmen, blieb eine Spaltung der Gesellschaft in klar unterscheidbare, sich prinzipiell bekämpfende Klassen aus. Werner SombartsSombart, Werner Frage aus dem Jahr 1906, warum es in den USA keinen Sozialismus gebe, wird heute in erster Linie mit dem Hinweis auf die vielfach fragmentierte, pluralistische Einwanderergesellschaft der Vereinigten Staaten beantwortet. Immer noch im Gespräch ist auch der Erklärungsansatz von SombartsSombart, Werner Kollegen Max WeberWeber, Max, der einen Zusammenhang zwischen den religiös-kulturellen Sprüngen der USA und ihrer WirtschaftsordnungWirtschaft postulierte. Seine 1920 veröffentlichte Schrift „Die protestantische Ethik und der Geist des KapitalismusDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1920)“ entfaltete ähnlich weitreichende Wirkungen wie TurnersTurner, Frederick J. Frontier-TheseFrontier-These. Gewiss spielte aber auch die amerikanische Verfassungstradition eine wichtige Rolle, die den Menschen die Überzeugung vermittelte, alle notwendigen Änderungen und Anpassungen könnten ohne revolutionäre Umwälzungen unter Berufung auf die Prinzipien der UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung und im Rahmen der 1787/88 geschaffenen Ordnung vorgenommen werden. Trotz gelegentlich heftiger Kritik an den Erscheinungsformen des Kapitalismus stand die Verwirklichung eines alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepts in den USA deshalb niemals ernsthaft zur Debatte.

Der seit Beginn des Jahrhunderts bekannte Kreislauf von Aufschwung und Krise, Boom und Bust, setzte sich nach 1865 in noch schnellerer Folge fort. In jedem Jahrzehnt war ein mehr oder minder harter und lang anhaltender wirtschaftlicher Einbruch zu verzeichnen: 1866/67; 1873–1878; 1884–1887; 1893–1897WirtschaftAspekteDepression der 1890er. Die komplexen Ursachen solcher KonjunkturzyklenWirtschaft blieben selbst den gebildeten Zeitgenossen verborgen, und die Panik, mit der Unternehmer und Gläubiger auf wirtschaftliche Schwankungen reagierten, verschlimmerte regelmäßig ihre Folgen. Selbst unter heutigen Wirtschaftshistorikern sind die relative Gewichtung und das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren noch umstritten. Es lässt sich allerdings bereits für diese Zeit eine lebhafte Wechselwirkung zwischen rein inneramerikanischen Investitions-, Produktions- und Konsumentscheidungen und den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen – etwa im Bereich der Rohstoffpreise und der internationalen Kreditbedingungen – beobachten.

Die Wirtschaftskrisen verursachten enorme soziale Härten, aber sie konnten den Wachstumstrend stets nur kurzfristig bremsen. Die Dynamik der IndustrialisierungIndustrialisierungGilded AgeIndustrialisierung lässt sich am besten an der starken Zunahme der gesamten Arbeiterschaft (work force) und an der dramatischen Verschiebung vom Agrar- zum Industriesektor ablesen: Die Zahl der Arbeitskräfte in der Industrie und anderen nichtagrarischen Berufen betrug 1870 ca. 6 Millionen (bei einer arbeitsfähigen Bevölkerung von knapp 13 Millionen); 1900 waren dagegen (bei einer auf etwa 30 Millionen Menschen gestiegenen ArbeiterschaftArbeiter) schon mehr als 18 Millionen Amerikaner im industriellen Sektor tätig; 1910 zählten 37,5 Millionen Menschen zur work force, von denen mehr als zwei Drittel (25,7 Millionen) im industriellen Sektor arbeiteten. In den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts zeigten alle volkswirtschaftlich relevanten Indikatoren steil nach oben: Der Wert der produzierten Güter stieg von ca. 3 Mrd. Dollar 1870 auf über 13 Mrd. Dollar 1900; das Bruttosozialprodukt verdreifachte sich zwischen 1869 und 1896; das Nationalvermögen wuchs von 1860 bis 1900 um 550 Prozent, das Pro-Kopf-Einkommen von 1860 bis 1890 um 150 Prozent, das Nettoeinkommen der IndustriearbeiterIndustrialisierungGilded AgeArbeiter im selben Zeitraum um 50 Prozent; die Produktivität pro Kopf und Arbeitsstunde konnte gegen Ende des Jahrhunderts im Durchschnitt jedes Jahr um ein Prozent erhöht werden; und der Wert aller Exporte kletterte von 234 Millionen Dollar 1865 auf 2,5 Mrd. Dollar 1900, wobei ab 1896 regelmäßig Exportüberschüsse erzielt wurden. An der Wende zum 20. Jahrhundert war LondonLondon zwar immer noch das Handels- und Finanzzentrum der Welt; in Bezug auf die Industrieproduktion hatten die USA aber bereits GroßbritannienGroßbritannien und das – ebenfalls rasch aufstrebende – Deutsche Reich hinter sich gelassen. Aus der überwiegend agrarischen Union war eine führende IndustrieWirtschaftIndustrialisierungGilded Age- und Exportnation geworden; das traditionelle Schuldnerland USA führte nun selbst Kapital aus und war auf dem besten Weg, zum Gläubigerland zu werden.

Die Bedingungsfaktoren der wirtschaftlichenWirtschaft Expansion

Nach dem BürgerkriegBürgerkrieg setzte wieder starkes BevölkerungswachstumBevölkerungsentwicklung ein, hervorgerufen durch eine sehr hohe Geburtenrate in Verbindung mit der „zweiten Welle“ der MasseneinwanderungEinwanderungGilded Age. Zwischen 1870 und 1890 schnellte die Einwohnerzahl der USA von 40 auf über 60 Millionen Einwohner empor, wobei knapp ein Drittel des Zuwachses auf das Konto der Immigration ging. Die großen Schifffahrtslinien boten immer billigere Atlantikpassagen an, und in den USA lockten wie eh und je günstiges Farmland, hohe Löhne, politische Freiheit und religiöse Toleranz. Die FreiheitsstatueFreiheitsstatue des französischenFrankreichBeziehungen bis 1919 Bildhauers Frédéric Auguste BartholdyBartholdy, Frédéric Auguste, die 1886 im Hafen von New YorkNew York City eingeweiht wurde, verkörperte die Hoffnung, dass die USA ein „offenes“ Land und eine Zufluchtsstätte für die Armen, Unterdrückten und Ausgestoßenen der Welt bleiben würden. Die monumentale Figur der Liberty war ein Geschenk der Französischen Republik an die USA, das die traditionelle Freundschaft der beiden Länder seit dem UnabhängigkeitskriegUnabhängigkeitskrieg bekräftigen sollte. In das Innere des Sockels der Statue wurde das Gedicht der jüdischenJuden Einwanderin Emma LazarusLazarus, Emma, „The New Colossus“, eingraviert:

Give me your tired, your poor,

your huddled masses

yearning to breathe free,

The wretched refuse

of your teeming shore,

Send these, the homeless,

tempest-tost to me,

I lift my lamp

beside the golden door!

Die Depression der 1890erWirtschaft Jahre bewirkte dann aber einen vorübergehenden starken Rückgang der Immigration und dokumentierte damit den engen Zusammenhang zwischen Wirtschaftslage und Zuwanderung. NativismusNativismus und Fremdenfeindlichkeit, die im Jahrzehnt zuvor wieder aufgeflammt waren, veranlassten die Bundesregierung nun, die Kontrolle und Regulierung der EinwanderungEinwanderungsgesetze zu übernehmen. 1891 schloss der Kongress erstmals bestimmte Gruppen wie Geisteskranke, völlig Mittellose, wegen Verbrechen oder schwerer Vergehen Vorbestrafte und Träger ansteckender Krankheiten von der Einreise aus; 1892 wurde auf Ellis IslandEllis Island (Einwanderungsbehörde) vor dem „goldenen Tor“ nach ManhattanManhattan eine Durchgangsstation eingerichtet, die von nun an fast alle EinwanderungswilligenEinwanderungsgesetze aus Europa passieren mussten.


Abb. 12: Hester Street in New York, 1903

Im Zeitraum von 1865 bis 1890 waren die Herkunftsländer der Neuankömmlinge noch dieselben wie vor dem Krieg, aber zahlenmäßig übertrafen die DeutschenEinwanderungEthnienDeutsche (zu denen ab 1871 auch Elsass-Lothringer und andere Minderheiten des Kaiserreichs gerechnet wurden) nun deutlich IrenEinwanderungEthnienIren, BritenGroßbritannien und SkandinavierEinwanderungEthnienSkandinavier. Vom Beginn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich insgesamt 5,5 Millionen von ihnen in den Vereinigten Staaten nieder, die damit gut 90 Prozent aller auswanderungswilligen Deutschen absorbierten. Der Anteil der FrauenFrauen an der deutschen USA-Immigration lag bei erstaunlich hohen 40 Prozent. Die DeutschenEinwanderungEthnienDeutsche siedelten vorwiegend als Farmer und Handwerker im Mittleren WestenMittlerer Westen, während die meisten IrenEinwanderungEthnienIren in den großen Städten der Ostküste als Industriearbeiter ihr Glück versuchten. Regional bedeutsam war die Immigration von Asiaten an der Westküste, wo in den großen Städten die ersten ChinatownsAsian Americans entstanden und wo sich die JapanerEinwanderungEthnienJapaner im Umkreis der Städte auf Gemüse- und Obstanbau spezialisierten. Der wichtigste ökonomische Beitrag der Immigration in dieser Phase bestand sicher darin, die Westgebiete mit Siedlern zu füllen, die sowohl Produzenten als auch Konsumenten waren, und die Industrie mit – für amerikanische Verhältnisse – billigen Arbeitskräften zu versorgen. Während 1870 nur ein Drittel aller IndustriearbeiterArbeiter nicht in den USA geboren war, lag der Ausländeranteil 1900 bei 60 Prozent. Die Kombination von hoher Geburtenrate und Masseneinwanderung bescherte den Vereinigten Staaten zudem eine jugendlich-dynamische Bevölkerung und förderte die Mobilität und Verstädterung: 1900 lebten bereits 40 Prozent der Amerikaner in Städten, Millionen US-Bürger wechselten nicht nur einmal, sondern mehrfach den Wohnsitz, und der Zusammenschluss von New YorkNew York City City mit Brooklyn, Staten Island und Teilen von Queens ließ 1898 die erste Metropole von nunmehr über 3 Millionen Einwohnern entstehen. Städte waren nicht nur Produktionszentren und Märkte, sondern sie kurbelten selbst durch die Vergabe öffentlicher Aufträge die WirtschaftWirtschaft an.

 

Durch den Bevölkerungszuwachs und die verkehrsmäßige Erschließung des Kontinents kam nun erst die Tatsache voll zum Tragen, dass die USA über einen riesigen BinnenmarktWirtschaft verfügten, der – anders als in Europa – nicht durch politische Grenzen und Zollschranken behindert wurde. In diesem nationalen Markt standen natürliche Ressourcen wie Land, Bodenschätze und Holz praktisch unbegrenzt zur Verfügung. So ergänzten sich beispielsweise die Kohlevorkommen in den AllegheniesAlleghenies auf ideale Weise mit den Eisenerzfunden im Gebiet des Lake Superior, und beides zusammen wurde zur Grundlage der Eisen- und Stahlindustrie in PittsburghPittsburgh, Cleveland und DetroitDetroit. Im Zuge der weltweiten Abkehr von der Freihandelspolitik, die sich seit den 1870er Jahren vollzog, schützten auch die USA ihre Industrien durch hohe Zölle gegen die ausländische Konkurrenz. Diese Zölle sorgten für viel innenpolitischen Zündstoff und beschworen auch erste Handelskonflikte, etwa mit dem Deutschen ReichDeutschlandBeziehungen zu Deutschland vor 1949Vor dem Ersten Weltkrieg, herauf. Sie erfüllten aber ihren Zweck, den industriellen Wachstumsprozess abzusichern und zu beschleunigen.

Da die Löhne in den USA trotz der Masseneinwanderung relativ hoch blieben, ließ der Anreiz niemals nach, Arbeitskräfte durch Maschinen und neue Technologien einzusparen. Das Bemühen um wissenschaftliche Effizienz verkörperte wohl am besten Frederick W. TaylorTaylor, Frederick W., der als Ingenieur in einer Stahlfabrik in den 1880er Jahren begann, Arbeitsvorgänge in einzelne Bewegungen zu zerlegen und jeden Handgriff mit der Stoppuhr zu messen. Auf diesem „TaylorismusTaylorismus“ konnte dann die moderne Fließband- und AkkordarbeitWirtschaft aufbauen. Der Rationalisierungsdruck führte dazu, dass Erfindungen und organisatorische Verbesserungen schneller als in anderen Industrieländern in die Praxis umgesetzt und verwertet wurden. Der hohe Stellenwert, den die Amerikaner dem BildungswesenBildungswesen und der praxisorientierten Forschung zuerkannten, erklärt sich ebenfalls zumindest teilweise aus ökonomischenFinanzwesen1860–1918 Notwendigkeiten und Zwängen. Zur Dynamik des Wachstums trugen nicht zuletzt vermehrte Investitionen aus dem Ausland und eine steigende Sparrate in den USA selbst bei. Der größte Teil des gesparten Geldes (12 Mrd. Dollar 1900 im Vergleich zu 1 Mrd. Dollar 1860) wurde nun im Industriesektor angelegt. Gleichzeitig verfeinerte sich die Technik des Investierens durch die Entstehung privater Großbanken und eines öffentlichen Kapitalmarktes an der New Yorker Börse. Das Geld- und Kreditsystem der USA blieb aber trotz der im BürgerkriegBürgerkrieg durchgeführten Reformen die Achillesferse der wirtschaftlichen Entwicklung. Erst 1914 wurde mit dem Federal Reserve SystemFinanzwesen1860–1918 eine – immer noch recht dezentrale und beschränkt handlungsfähige – bundesstaatliche Kontroll- und Steuerungsinstanz eingerichtet.

Wachstum und Expansion wurden schließlich durch das generelle Meinungsklima des späten 19. Jahrhunderts gefördert. Der für die USA seit langem charakteristische Fortschrittsoptimismus, den der BürgerkriegBürgerkrieg nur vorübergehend hatte dämpfen können und der auch nach WirtschaftskrisenWirtschaft immer wieder schnell zurückkehrte, fand Rückhalt in modernen Evolutionstheorien, wie sie die Engländer Charles DarwinDarwin, Charles und Herbert SpencerSpencer, Herbert vertraten. In den USA popularisierte vor allem der YaleUniversitätenYale University-Professor William GrahamGraham, Billy SumnerSumner, William Graham „sozialdarwinistischeSozialdarwinismus“ Ideen von einem naturgesetzlichen Fortschrittsprozess menschlicher Gesellschaften, der durch Anpassung, Vererbung und Auslese gesteuert wird. Nach SumnerSumner, William Graham war dem Wohl der Zivilisation am besten gedient, wenn der Staat die starken, zur Machtausübung und zur Übernahme von Verantwortung befähigten Individuen gewähren ließ und ihre Rechte, speziell das Eigentumsrecht, schützte. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit verband sich diese Philosophie mit traditionellen Vorstellungen von individueller Freiheit und begrenzter Regierung; der Gedanke, Regierungen und Parlamente hätten nicht viel mehr zu tun, als dem „freien Spiel der Kräfte“ Raum zu schaffen, diente zur Rechtfertigung des laissez faire-KapitalismusWirtschaftAspektelaissez faire-Kapitalismus, der sich in den USA um diese Zeit besonders vehement durchsetzte.

Bis zum BürgerkriegBürgerkrieg hatten die Einzelstaaten das WirtschaftslebenWirtschaft in ihrem jeweiligen Bereich kontrolliert und reguliert. Ihr Einfluss ging aber in dem Maße zurück, wie die wirtschaftlichen Aktivitäten die Grenzen von Staaten und Regionen zu überwinden begannen. Die BundesregierungGewaltenteilungUnion war vorerst weder zur nationalen Wirtschaftsregulierung befähigt, noch hielt man sie für berechtigt, eine solche Aufgabe zu erfüllen. Von ihr wurde allenfalls erwartet, dass sie die WirtschaftWirtschaft durch Subventionen und Zölle stimulierte und dass sie durch die Verhinderung von Monopolen für Chancengleichheit sorgte. Auf diese Weise entstand im föderativen System der USA gewissermaßen eine „staatsfreie“ Sphäre, in der die Unternehmer unbehindert von gesetzlichen Vorschriften und parlamentarischer Kontrolle schalten und walten konnten. Juristen und Richter des Supreme CourtSupreme Court förderten diese Tendenz mit der Doktrin des dual federalismGewaltenteilungUniondual federalism, derzufolge Bundesregierung und Staatenregierungen in getrennten Sphären operierten, zwischen denen eine breite Zone gesellschaftlicher Eigenverantwortlichkeit lag. Nur sehr langsam gewann die Überzeugung an Boden, dass die Bundesregierung diese „Lücke“ füllen müsse, um den Missbrauch privater Macht zu verhindern.

Konzentration und Konsolidierung der WirtschaftWirtschaft

Während das Denken der meisten Menschen noch dem Ideal einer republikanischen Gesellschaft von Kleinproduzenten verhaftet war, vollzogen sich in der amerikanischen WirtschaftWirtschaft tief greifende qualitative Veränderungen, die heute mit Begriffen wie economies of scaleWirtschaftAspekte und corporate consolidationWirtschaftAspektecorporate consolidation beschrieben werden. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstand eine big businessWirtschaftAspektebig business economy, in der große Konzerne den Ton angaben und die Regeln des Wettbewerbs aufstellten. Auslöser waren die vielfach chaotischen Zustände, die infolge des (bis zur Jahrhundertwende) insgesamt sinkenden Preisniveaus und des ständigen Wechsels von Überangebot und Mangel auf den Märkten herrschten. Nur große Gesellschaften (corporations) waren unter diesen Umständen in der Lage, die jeweils neuesten Maschinen anzuschaffen und sie voll auszulasten. Zugleich profitierten sie am meisten von Preisnachlässen bei Rohstoffeinkäufen und von Transportrabatten. Dieses Streben nach dem richtigen Maßstab wirtschaftlichen Handelns (economies of scaleWirtschaftAspekte) wurde ergänzt durch das Bemühen der Unternehmer, selbst für die Stabilität und Berechenbarkeit des Marktgeschehens zu sorgen. Ein erster Schritt zur „Ordnung“ und „Konsolidierung“ des Marktes waren informelle Absprachen zwischen konkurrierenden Gesellschaften, die vor allem Produktionsquoten und Preise betrafen. Solche Kartelle (pools) erwiesen sich jedoch als extrem krisenanfällig, und sie wurden zudem 1887 vom Kongress im Rahmen des Interstate Commerce ActWirtschaftAspekteInterstate Commerce Act (1887)Interstate Commerce Act (1887) als Wettbewerbshindernisse verboten. Unterdessen hatten Unternehmer wie John D. RockefellerRockefeller, John D. und Gustavus SwiftSwift, Gustavus jedoch bereits geeignetere Organisationsformen gefunden. Sie nutzten dabei die Rechtsform des trustWirtschaftAspekteTrusts aus, die es erlaubte, mehrere Gesellschaften einem zentralen Management zu unterstellen. Eine Fortentwicklung des Trust stellte die Dachgesellschaft (holding company) dar, in die alle Anteilseigner der beteiligten Gesellschaften ihren Aktienbesitz einbringen konnten. Die Voraussetzung hierfür schuf das Parlament von New JerseyNew Jersey, als es 1888 den dort inkorporierten Gesellschaften die Genehmigung erteilte, Besitz in anderen Staaten zu erwerben. Durch Zusammenschlüsse (mergers) gelang es nun, ganze Produktionsbereiche wie etwa die ErdölverarbeitungErdöl zusammenzufassen („horizontale Integration“) oder einen Wirtschaftszweig in seiner Gesamtheit von der Rohstoffgewinnung bis zur Vermarktung des Endprodukts („vertikale Integration“) zu kontrollieren. Bis zur Jahrhundertwende entstanden auf diese Weise etwa 300 große Konzerne in Form von Trusts und Holdings mit jeweils über 10 Millionen Dollar Eigenkapital.

Der EisenbahnbauWirtschaftEisenbahn2. Hälfte 19.Jh. brachte die ersten Wirtschaftsmagnaten oder „industriellen Raubritter“ (robber baronsRobber Barons) wie Cornelius VanderbiltVanderbilt, Cornelius hervor, der bis zu seinem Tode 1877 die Verkehrsverbindungen zwischen New YorkNew York, den Großen Seen und dem Mittleren WestenMittlerer Westen monopolisierte. Die Krise der 1890er Jahre, in der viele Bahngesellschaften zusammenbrachen, löste einen neuen Konzentrationsschub aus. Als Sanierer sprang der New Yorker Bankier John Pierpont MorganMorgan, John Pierpont ein, der sich bei der Gelegenheit maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik der neuen Bahngesellschaften sicherte. Das Bankhaus Morgan & Co.Morgan & Co. wurde zur Inkarnation des Machtstrebens einer Finanzelite in der New Yorker Wall StreetWall Street, die über ihre Beauftragten in den Vorständen vieler Gesellschaften und durch ihre guten politischen Beziehungen das gesamte Wirtschaftsgeschehen mitbestimmte. In der Eisen- und Stahlindustrie dominierte Andrew CarnegieCarnegie, Andrew, der im Alter von 13 Jahren aus SchottlandSchottland eingewandert war und sein erstes Geld als Hilfsarbeiter in einer Textilfabrik verdient hatte. 1901 verkaufte er seine Carnegie Steel Co.Carnegie Steel Co. für die damals unvorstellbar hohe Summe von 492 Millionen Dollar an MorganMorgan, John Pierpont, der das Unternehmen mit anderen Stahlbetrieben zum ersten Milliarde-Dollar-Konzern, der United States Steel CorporationUS Steel Corporation, zusammenfügte. Auch hinsichtlich der Belegschaft von 168.000 stieß US Steel in eine neue wirtschaftliche Dimension vor. Von dem Erlös, den CarnegieCarnegie, Andrew für sein Unternehmen erzielte, behielt er selbst 225 Millionen Dollar, der Rest ging an seine Manager. Eine ähnliche Rolle wie CarnegieCarnegie, Andrew in der Eisen- und Stahlbranche spielten John D. RockefellerRockefeller, John D. in der ErdölindustrieErdöl (Standard Oil of New JerseyStandard Oil of New JerseyNew Jersey) und Gustavus SwiftSwift, Gustavus in der Fleisch- und Nahrungsmittelindustrie; in der Elektrobranche legten George WestinghouseWestinghouse, George, Thomas A. EdisonEdison, Thomas A. und Alexander G. BellBell, Alexander G. mit ihren Erfindungen das Fundament für drei mächtige Konzerne: Westinghouse ElectricWestinghouse Electric, General ElectricGeneral Electric und American Telephone & TelegraphAmerican Telephone & Telegraph Co. (AT&T). Da die Elektrizität um diese Zeit das Kerosin als Beleuchtungsmittel ablöste, schien das Erdöl an Bedeutung zu verlieren. Wenig später wurde das „schwarze Gold“ aber zum Grundstoff der chemischen Industrie, in der die hugenottische Familie Du Pont de Nemours aus DelawareDelaware den Ton angab, und zum Ausgangsprodukt von Benzin, das im beginnenden Automobilzeitalter (1903 gründete Henry FordFord, Henry seine Motor CompanyFord Motor Co. in DetroitDetroit) höchste Bedeutung erlangte.

 

Die Unternehmer von VanderbiltVanderbilt, Cornelius über MorganMorgan, John Pierpont bis FordFord, Henry handelten nach den Grundsätzen von Sparsamkeit, Effizienz und zentralisiertem Management, und sie verbanden Organisationstalent und Erfindungsreichtum mit Cleverness und entschlossener, zuweilen rücksichtsloser Härte im Geschäftsleben. Die patriarchalische, gewerkschaftsfeindliche Einstellung dieser Repräsentanten der industriellen „Gründergeneration“ der USA war ebenso typisch wie ihr Wunsch, den eigenen Namen durch philanthropisches Engagement oder künstlerisch-wissenschaftliches Mäzenatentum zu verewigen. Davon zeugen noch heute u.a. die Morgan LibraryMorgan Library, New York in New YorkNew York City, die VanderbiltUniversitätenVanderbilt University University in Nashville, TennesseeNashville, Tennessee, das Carnegie Endowment for International PeaceCarnegie Endowment for International Peace, die Rockefeller FoundationRockefeller Foundation und die Ford FoundationFord Foundation.

Der ökonomischeWirtschaft Konzentrationsprozess und die Monopolbildung in den verschiedenen Branchen riefen wachsende öffentliche Kritik hervor. Auf diese Stimmung reagierte der Kongress mit dem Interstate Commerce ActWirtschaftAspekteInterstate Commerce Act (1887)Interstate Commerce Act (1887), der erstmals eine unabhängige staatliche Aufsichtsbehörde, die Interstate Commerce CommissionWirtschaftAspekteInterstate Commerce CommissionInterstate Commerce Commission, für das Verkehrswesen schuf. Drei Jahre später, 1890, folgte der Sherman Antitrust ActWirtschaftAspekteSherman Antitrust Act (1890)Sherman Antitrust Act (1890), der aber schon im Gesetzgebungsverfahren verwässert wurde. Wenn die Gerichte seine Bestimmungen anwendeten, dann paradoxerweise viel seltener gegen Konzerne als gegen GewerkschaftenGewerkschaften, deren Streiks sie als illegale Behinderung der Wirtschafts- und Handelsfreiheit im Sinne des Gesetzes betrachteten. Einen neuen Anlauf zur Kontrolle der von vielen Amerikanern als schier grenzenlos und bedrohlich empfundenen Unternehmermacht wagte der Kongress erst nach der Jahrhundertwende im Zeichen der progressivenProgressivismus ReformbewegungReformbewegungenProgressivismus. Aus der Rückschau betrachtet, waren die Befürchtungen der Konzern-Gegner wenn nicht unbegründet, so doch stark übertrieben, denn in einer WirtschaftWirtschaft, die sich ständig im Umbruch befand, konnten selbst die erfolgreichsten Unternehmer Konkurrenz und Wettbewerb nicht auf Dauer ausschalten. Ihre illusorische Jagd nach Monopolstellungen trieb einen Konzentrationsprozess voran, der keineswegs nur Nachteile hatte, sondern auch für mehr Ordnung in den Marktbeziehungen sorgte und die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie insgesamt erhöhte.

Im Bereich von Wissenschaft und BildungBildungswesen fanden die USA nach dem BürgerkriegBürgerkrieg Anschluss an den europäischen Standard, der um diese Zeit mehr und mehr von den deutschen UniversitätenUniversitäten bestimmt wurde. Der interkulturelle Austausch zwischen den USA und DeutschlandDeutschlandBeziehungen zu Deutschland vor 1949Vor dem Ersten Weltkrieg hatte schon am Ende der napoleonischen Kriege eingesetzt, als – beginnend mit George TicknorTicknor, George, Edward EverettEverett, Edward, Joseph CogswellCogswell, Joseph und George BancroftBancroft, George – eine wachsende Zahl von Amerikanern an den Universitäten von BerlinBerlin, GöttingenGöttingen, MünchenMünchen, LeipzigLeipzig, HeidelbergHeidelberg, HalleHalle und BonnBonn studierte. Die Gründung der University of MichiganUniversitätenUniversity of Michigan in Ann ArborAnn Arbor, Michigan durch Henry Philipp TappanTappan, Henry Philipp markierte 1852 den ersten Versuch, das höhere amerikanische BildungswesenBildungswesen im Sinne deutscher Ideale der akademischen Lehr- und Lernfreiheit und der Einheit von Forschung und Lehre umzuformen. Weitere Bemühungen folgten, als der Kongress im Krieg durch den Morrill Act die Errichtung von einzelstaatlichen Universitäten erleichterte und als industrielle Geldgeber im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs, den der NordostenNordosten und der Mittlere WestenWesten nach dem Sieg der Union erlebten, öffentliche und private Bildungseinrichtungen förderten. Während bis dahin die Vorbereitung auf den Beruf im Zentrum der Bestrebungen amerikanischer Colleges und Universitäten gestanden hatte, wurden nun die wissenschaftliche Forschung und die Persönlichkeitsbildung als höchste Ziele proklamiert. Das galt auch für die Hochschulen, die FrauenFrauenBildung aufnahmen oder sich auf die akademische Ausbildung von Studentinnen spezialisierten wie die zur Gruppe der Seven Sisters gehörenden Radcliffe, Smith, Vassar und Bryn Mawr Colleges. Am ausgeprägtesten war der deutsche Einfluss an der New Yorker CornellUniversitätenCornell University, Ithaca, New York University, an der Johns HopkinsUniversitätenJohns Hopkins University University in BaltimoreBaltimore und an der University of ChicagoUniversitätenUniversity of ChicagoChicago, deren Graduiertenseminare neue Maßstäbe für das Studium in den USA setzten. Das traf auf die Naturwissenschaften ebenso zu wie auf die Geisteswissenschaften: So bildete etwa der Historiker Herbert B. AdamsAdams, Herbert B., der in Heidelberg promoviert worden war, an der Johns Hopkins University eine ganze Generation amerikanischer Geschichtsforscher aus und gehörte darüber hinaus zu den Mitbegründern der American Historical AssociationAmerican Historical Association. An allen drei Universitäten lehrten auch deutsche Professoren, die ihrerseits halfen, zusätzliche Kontakte zwischen Studenten und Dozenten diesseits und jenseits des Atlantiks zu knüpfen. Aufs Ganze gesehen erfolgte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten keine kritiklose Übernahme, sondern eine kreative Anverwandlung des auf Wilhelm von HumboldtHumboldt, Wilhelm v. zurückgehenden deutschen Universitätsmodells an die amerikanischen Verhältnisse, die sich durch das Vorherrschen des demokratischen Geistes und durch das FrontierFrontier-Erlebnis doch erheblich von denen im gerade geeinten Deutschen KaiserreichDeutschlandBeziehungen zu Deutschland vor 1949Vor dem Ersten Weltkrieg unterschieden. Zweifellos wurden in diesen Jahrzehnten die Grundlagen für die Spitzenstellung geschaffen, die amerikanische Universitäten im 20. Jahrhundert in nahezu allen Wissensbereichen eroberten.