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2.1.4Gen X & Gen Y & Gen Z: Die heutige XYZ-Ära

Fragt man Studierende danach, was heute die größten Schwierigkeiten im Studium sind, so bekommt man meist folgende Antwort: »Hav­ing to sit through a class lecture without being able to check e-mail, surf the Web, or listen to music.« (Barone, 2002, S. 64) Stellt man die gleiche Frage dem Dozenten, erhält man dagegen folgende Antwort: »I would have answered calculus.« (ebd.)

In der heutigen digitalen Ära kommen die Lernenden meist aus den Generation Y und Z (Gen Y/Z) und die Lehrenden (formellen Lernens) aus der Generation X oder den Baby Boomern. Vergleicht man jetzt die Merkmale der Lernenden zu den Zeiten, als die heute Lehrenden selbst noch Studierende waren, mit denen von heute, so fallen mehrere Unterschiede auf |Tab. 4|, die obige Aussagen in ihrer Gegensätzlichkeit nachvollziehbar machen.

|Tab. 4| Merkmale der Studierenden 1969 vs. 2009 (vgl. Black, 2010, S. 94)


Zudem hat sich die Bedeutung der Arbeit als Lebensinhalt in den Generationen geändert |Tab. 5|.

|Tab. 5| Veränderung der Bedeutung der Arbeit als Lebensinhalt


Es ist offensichtlich, dass die so geprägten mentalen Lernmuster und Einstellungen zur Arbeit recht unterschiedlich, bisweilen sogar gegensätzlich sind und eines beidseitigen vorurteilsfreien Verständnisses und eines konstruktiven Dialoges bedürfen, will man gemeinsame Lernprozesse gestalten.

Die Herausforderungen bei der Entwicklung geeigneter Didaktikkonzepte werden im vierten Kapitel näher betrachtet. Um die veränderten Voraussetzungen zur Erstellung solcher Konzepte besser zu verstehen, soll zuvor ein vertiefender Blick auf die wesentlichen Unterschiede im Bereich der Aufmerksamkeit und der Lern- und Leistungserwartung gerichtet werden, um dann im dritten Kapitel die Frage zu beantworten: Wie kommunizieren und lernen digital Lernende? Die sich daraus ergebenden Stärken und Kompetenzprofile werden in den Kapiteln 5.1 und 5.2 dargestellt.

2.2Studien zeigen, digital Lernende haben geringe Aufmerksamkeitsspannen

»Ich habe inzwischen vollkommen die Fähigkeit verloren, einen längeren Artikel zu lesen, ob nun im Internet oder in gedruckter Form. […] Selbst ein Blog-Post von mehr als drei oder vier Absätzen ist mir zu viel.« (Carr, 2010, S. 24)

Dieses Zitat stammt nicht etwa von einem Vertreter der Gen Y/Z, sondern von Bruce Friedman, Pathologe an der University of Michigan Medical School. Er beschreibt damit als Vertreter der älteren Generationen sein verändertes Leseverhalten als Folge digitaler Technologien. Dank seines Reflexionsvermögens konnte er sich dies bewusst machen. Er konnte darüber vertieft nachdenken, die Verlockungen und Veränderungen abwägen und überlegt artikulieren. Kinder und Jugendliche der Gen Y/Z, die seit ihrer Geburt die digitalen Technologien direkt wahrnehmen und mit und in ihnen leben, passen sich automatisch dieser Umwelt an, um schnellstmöglich in ihr zu leben und zu überleben (Kap. 1). Schnelle Technologien gleich schnelle Gehirne und schnelle Gehirne gleich smarte Gehirne? Gibt es dafür wissenschaftliche Evidenzen?

2.2.1Aufmerksamkeit ist der Ausschluss uninteressanter Information

Eine Krankenschwester greift in einem Kühlschrank nach Antibiotika für einen Patienten. Sie liest die Aufschrift, öffnet die Verpackung und verabreicht dem Patienten die vom Arzt verordnete Dosis. Der Patient erhält aber einen neuromuskulären Blocker anstelle des Antibiotikums und stirbt (vgl. Grissinger, 2012). Wie ist dies zu erklären und was empfiehlt der Direktor eines Programms für Fehlermanagement?

Da unsere Netzhaut nur ein zweidimensionales Abbild unserer Umwelt liefert, muss das Gehirn daraus einen dreidimensionalen Raum kon­struieren. Unser Gehirn wählt dazu jeweils diejenige Interpretation aus, die aufgrund unserer Erfahrung am wahrscheinlichsten ist. Hierbei dient unsere Wahrnehmung nicht nur der Erzeugung eines Abbilds der Umwelt, sondern sie steuert auch unmittelbar unser Verhalten. Dabei werden die Erregungsmuster unserer Sinneswahrnehmung im Gehirn zu subjektiven, individuell äußerst unterschiedlichen Eindrücken weiterverarbeitet: Die bedeutsam erscheinenden Reize bekommen in der Flut von Sinnesreizen Aufmerksamkeit, der Rest wird nicht »gesehen« und geht verloren. (vgl. Mack et al., 2002) Da die bewusste Verarbeitungskapazität des Menschen begrenzt ist, hat sich das Wahrnehmungssystem eng an die Umwelt angepasst: Wir nehmen nur diejenigen Reize bewusst wahr, die uns erfahrungsgemäß wichtig erscheinen. Ein großer Vorteil ist, dass sich der dynamische Bereich der Sensoren schnell an sich verändernde Umgebungsreize anpassen kann. Fehler können u.a. bei der Interpretation der Reizmuster auftreten (bspw. optische Täuschungen) oder bei der erfahrungsvermittelten Auswahl, die uninteressante Information ausschließt.

Für diese uninteressanten, unerwarteten Informationen können wir nahezu blind sein. (vgl. Slavich/Zimbardo, 2013) Deshalb wird dieses Phänomen auch als »Blindheit durch Nicht-Aufmerksamkeit«, als Inattentional Blindness[6] bezeichnet. Eine umfangreiche Übersicht bietet Cathy N. Davidson (2011) in Now You See It – How the Brain Science of Attention Will Transform the Way We Live, Work, and Learn. Wie das letzte Wort im Untertitel andeutet, gibt es beachtliche Auswirkungen dieses Phänomens im Bereich Lernen. Doch auch geübte Experten sind selbst in ihrem Fachbereich »anfällig« für dieses Wahrnehmungsphänomen. (vgl. Drew at al., 2013) Es ist also keine Frage der Altersklasse, der Generationen, der Intelligenz oder der digitalen Technologien.

2.2.2Konzentration ist auf interessante Information fokussierte Aufmerksamkeit

Was glauben Sie: Wie lange können sich Schüler oder Studierende heute konzentrieren? 10 oder 15 Minuten? Diese Angabe findet sich in ­einer Vielzahl didaktischer Literatur. Wissenschaftliche Evidenz, die diese Ansicht bestärkt, gar belegen könnte, fanden Wilson und Korn (2007) in einer ­Literaturstudie hierfür allerdings nicht. Sie erkannten jedoch, dass die meisten Untersuchungen auf bemerkenswert unpräzisen Studien zur Aufmerksamkeit basierten. Eine Studie fand beispielsweise ­heraus, dass das Mitschreiben der Studierenden während der Vorlesung generell zurückgehe. Die Forscher interpretierten diesen offensichtlichen Befund als Evidenz für eine nachlassende Aufmerksamkeit. Wenn dies wahr wäre, so wäre das heutige Hochschulwesen obsolet mangels nicht vorhandener Aufmerksamkeit.

Neuere Studien befassen sich mit der Häufigkeit von Aufmerksamkeitsunterbrechungen in Abhängigkeit von der angewandten didaktischen Methode des Lehrenden. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Länge dieser Unterbrechungen meist eine Minute oder weniger lang sind und dass diese kürzeren Unterbrechungen häufiger auftreten als längere. Zweitens traten die ersten Unterbrechungen nicht etwa nach zehn Minuten auf, sondern nach 30 Sekunden! Am Ende der Vorlesungen traten sie alle zwei Minuten auf. (vgl. Bunce at al., 2010) Was diese Ergebnisse für die klassischen Lehrformate wie Vorlesungen bedeuten, wird im Kapitel 3.3 erläutert.

Laut dem Statistic Brain Research Institute (Web.) lag die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne im Jahr 2000 bei zwölf Sekunden. 2012 liegt sie nur noch bei acht Sekunden. Ebenfalls beachtlich: Von 111 Wörtern einer Webseite wurden durchschnittlich nur 49% gelesen, von 593 Wörtern nur noch 28%. Es werden demgemäß kürzere Texte bevorzugt, die zudem noch schneller erfasst werden können. Hinzu tritt das von Prof. Wim Veen untersuchte Zapping |Abb. 18|.


|Abb. 18| Zapping – Prozessieren diskontinuierlicher Information


Unter Zapping versteht man die Fertigkeit, bedeutungsvolles Wissen aus diskontinuierlichen Informationskanälen (audio-visuell und textuell) zu konstruieren. (vgl. Veen, 2003; vgl. Veen/Vrakking, 2006)

Dass das Zapping keine Randerscheinung ist, sondern vielmehr eine ­jahrelang, oft auch jahrzehntelang eingeübte Fertigkeit, sich im digitalen Zeitalter zurecht zu finden, spiegelt sich auch in der Mediennutzung, insbesondere im Second Screen |Abb. 15| wider. Da die Anzahl der Studien, die die Aufmerksamkeitsspanne von Schülern und Studierenden wissenschaftlich untersuchen wollten, sehr übersichtlich ist, wird an dieser Stelle empfohlen, sich die Gruppe der Lernenden, die konkret vor einem sitzt, genauer zu betrachten. Dies umso mehr, da die Lernergruppen immer heterogener werden und so Aussagen zum Durchschnitt nach wie vor mit besonderer Vorsicht zu betrachten sind. In Kapitel 3.3 wird eine bewährte, schnelle und einfache Aufmerksamkeits-/Konzentrationsdiagnostik vorgestellt, durch die sowohl der Lehrende als auch der Lernende eine wissenschaftliche Rückmeldung bekommt, wie es um die individuelle Konzentrationsfähigkeit bestellt ist.

 

2.3Studien zeigen: Gen Y/Gen Z haben höhere Erwartungen an das Leben und Arbeiten

Diese wissenschaftlich fundierte Rückmeldung zum eigenen Konzentrationsvermögen – insbesondere zum Aspekt der Sorgfalt – ist deswegen besonders hilfreich, da die Schüler und Studierenden der Gen Y/Z andere außerschulische und außeruniversitäre Lernerfahrungen in einer zunehmend digitalen Umwelt gesammelt haben und diese erstmal als Erwartungen an das formelle Lernen und Arbeiten stellen. Das Zitat eines Studierenden aus Kapitel 2.1.4 verdeutlicht, dass für Lernende der Gen Y/Z häufig nicht ein Fach oder ein spezielles Thema die eigentliche Schwierigkeit darstellt, sondern der Umstand, dass man in einem Raum ohne Internet sitzt, ohne seine E-Mails checken und ohne seine Musik hören zu können. (vgl. Barone, 2002, S. 64)

Während auf der anderen Seite die Schulen, Hochschulen und Unternehmen noch auf der Suche nach Antworten für den Generationenwandel hin zu Gen Y sind, steht mit Gen Z bereits heute die nächste große Herausforderung für die Lehrenden und für die Personalabteilungen vor der Tür. Die nach 1995 Geborenen verkörpern die erste Generation, die sich eine Welt ohne Internet und Mobiltelefonen, ohne Facebook und Google, ohne mobilem Internet und Twitter kaum mehr vorstellen kann. Die mit diesem Wechsel einhergehenden Veränderungen in puncto Arbeitsweise, Kompetenzen und Prioritäten bieten eine hervorragende Möglichkeit für Bildungs- und Wirtschaftsorganisationen, sich zu modernisieren. Allzu oft konzentriert sich die Mehrzahl der Organisa­tionen bislang jedoch eher darauf, die auf den Arbeitsmarkt drängende Ge­neration den eigenen Werten anzupassen, etablierte mentale Muster einzutrichtern und in der Verhaltenslogik von gestern zu schulen, die bitte nicht hinterfragt werden soll. Was mit Gen Y nicht zuletzt noch wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 und dem Glauben an den optimierten Lebenslauf als goldenes Ticket zum Karriereglück funktionieren mag, wird spätestens heute mit Gen Z nicht mehr ohne Weiteres funktionieren. (vgl. Jacob/Schutz, 2011) Dies ist darin begründet, dass die Gen Z andere Kriterien für die Wahl eines Arbeitsplatzes und Arbeitgebers heranzieht.

Professor Christian Scholz schrieb 2003, dass »Babyboomer, Generation X und Generation Y […] weder in ihrer Lebenseinstellung von vornherein positiv oder negativ zu bewerten [sind], noch sind sie auf bestimmte Altersgruppen zu beschränken. […] Was uns allerdings weiterhilft, ist die Tatsache, dass den drei Wertesystemen jeweils spezifische Entwürfe für die Lebensgestaltung zugrundeliegen.« (Scholz, 2003, S. 139)

Für die heutigen Hochschulabsolventen der Gen Y sind bei der Suche nach dem Traumberuf andere Kriterien entscheidend als noch für ihre Eltern. Sei es bei den zugrunde liegenden Werten oder bei deren Priorisierung. Fest steht, dass Gen Y – und mehr noch Gen Z – sich von den anderen Generationen unterscheidet.

Mitte 2009 erschien ein vielbeachteter Artikel von Hewlett et al., welcher die Ergebnisse von zwei Studien, über 30 Fokusgruppen sowie 40 qualitativen Interviews zusammenfasst. Die Ergebnisse bieten einen Zugang zu den Karriereambitionen und -erwartungen von Absolventen der Gen Y in den USA. Eine der Beobachtungen war dabei, dass sich Gen Y und die Baby Boomer bei ihrer Wertebasis anscheinend verblüffend ­ähnlich sind. (vgl. Hewlett et al., 2009.) Mit dem Unterschied jedoch, dass Gen Y sich heute bereits bei der Suche nach einem Arbeitsplatz viel stärker von ihren Überzeugungen leiten lässt als es ihre Eltern taten.

Gen Y legt zum Beispiel besonderen Wert auf die Möglichkeit, im Laufe einer Karriere vielfältige Erfahrungen machen zu können, auf Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit und Gemeinnutzen als Kerninteressen des eigenen Arbeitgebers, flexible Arbeitsbedingungen, eine gute Work-Life-Balance sowie die Möglichkeit, in vielfältigen, multikulturellen Teams zu arbeiten. (vgl. ebd., S. 73) Besonders auffallend ist, dass ­Gehalt und Boni anscheinend nicht (mehr) ausschlaggebende Kriterien dafür sind, sich für oder gegen einen Job zu entscheiden: »Finally, Gen Ys and Boomers share a sense that financial gain is not the right reason to join or stick with an employer.« (Hewlett et al., 2009, S. 74)

Für Gen Y ist Arbeit und Karriere mehr als bloßes Geldverdienen. Stattdessen wollen die Nachwuchskräfte aus Gen Y auch im Berufsleben zu einer Gemeinschaft gehören, die einen echten Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Kurzum: Sie wollen ihre Potenziale entfalten und sich für eine Sache einsetzen, von deren Sinn sie überzeugt sind. Hier sprechen die Studien für eine Entwicklung weg von Profit und hin zu Purpose. Insbesondere für Gen Y spricht Scholz von der Suche nach »eine[r] solide[n] Ich-Aktien-Mischung aus Karriere-Aktien und Sinn-Aktien« (Scholz, 2003, S. 150).

Die Frage nach dem Sinn in Schule, Hochschule und Beruf stellt die Gen Z noch intensiver und konsequenter im Großen wie in jeder einzelnen Lern- oder Arbeitseinheit: »Wo liegt der Sinn, dies oder das auswendig zu lernen? Wo?« Ist der Sinn nicht erkennbar oder wird der Sinn von den Lehrenden nicht hinreichend erklärt – »dies ist klausurrelevant« –, wechseln die meisten Gen Z-Gehirne oft recht zügig und kurzfristig auf einen anderen Informationskanal |Abb. 18| (Kap. 2.2) oder Gen Y zu einem anderen Arbeitgeber.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Gen Y/Z viele Werte mit den Baby Boomern teilen, aber konsequenter und zügiger als ihre Gen X-Eltern den Lernkanal oder Arbeitgeber wechseln, wenn die Sinnhaftigkeit nicht ersichtlich ist oder nicht beantwortet wird. Allzu oft wird gerade bei dieser Sinnfrage in der heutigen Leistungsgesellschaft der Aspekt und die Bedeutung der Leistung für das Lernen und Arbeiten nicht angeführt. Und: Ja, Konzentration ist möglich, wenn der Lernkanal u.a. über die Sinnfrage, Leistungsaspekte und alle Methoden, die dies konstruktiv unterstützen, interessant dargestellt wird.

2.4Leistung ? Ja, schon – aber!

»Wieso bekomme ich bloß eine 2,7? Wo ich doch ein ganzes Wochenende für meine Seminararbeit aufgewendet habe?« Das ganze Wochenende! – Ein Leistungsnachweis muss zwar erbracht werden, das sehen selbst gering motivierte Studierende ein. Aber! Zu groß sollte der Aufwand nicht sein. Ein schnelles Ergebnis muss her. Y und Z haben viele andere Dinge zu tun. Richtig ist, dass durch die Modularisierung an den Hochschulen und durch die Überfrachtung der Lehrpläne viele Aufgaben anstehen, die manche Studierende bzw. Schülerinnen und Schüler überfordern. Deshalb ist Planung und Organisation vonnöten, die auch Teil der Leistungshandlung sind. Falsch ist, zu denken, dass ohne Anstrengung Belohnung zu haben sei. Nur: Was ist eigentlich Leistung?

Das ist nicht einfach zu beantworten, da sowohl in Politik und Wirtschaft als auch in Schule und Hochschule viel von Leistung die Rede ist, aber kaum etwas darüber gesagt wird, was genau unter Leistung zu verstehen ist, und welche Leistung den Generationen Y und Z abverlangt werden soll, kann und darf.

Oft gehört: »Die junge Generation ist wenig belastbar, verwöhnt und undiszipliniert.« Ähnliches konnte man bereits auf babylonischen Tontafeln lesen. Im Vergleich zu früher kommt heute der Vorwurf hinzu, die Generation Y und speziell Z bestehe aus Smartphone-Junkies und dummgesurften Autisten (vgl. Raab, 2012), deren Hirn zwischen 1 und 0 versickert. – Es ist also nichts Neues, wenn sich auch heute die Älteren über die Jüngeren mokieren, die andere Sozialisationsbedingungen vorfanden, dadurch einen anderen Lebensstil aufweisen und andere Vorstellungen von Lebensführung entwickeln. Dazu gehört auch ein verändertes Leistungsverhalten, was nicht heißen soll, dass Y und Z nichts zu leisten imstande sind, im Gegenteil: Der Generation Y Bequemlichkeit vorzuwerfen, verkennt ihre Leistungsbereitschaft, nur die Auffassung von Leistung hat sich gewandelt. Der Begriff Leistung selbst ist ohnehin sehr unpräzise. Wie sollte er dann über die Jahrzehnte gleich bleiben?

Vor einigen Jahren kam der Begriff Slacker auf (engl. slack, »lustlos«, »schlaff«), der zunächst eine Person mit geringer Leistungs- und Anpassungsbereitschaft in Schule oder Job meinte, er war damit negativ konnotiert.


Inzwischen wird unter Slacker allgemein ein unkonventionell lebender Mensch verstanden, dem Selbstverwirklichung wichtiger ist als die Erfüllung der von der Gesellschaft vorgegebenen Leistungsnormen. Damit sind für ihn auch Karriere und Statussymbole unbedeutend.

Diese Haltung trifft allerdings nicht generell auf die Generationen Y und Z zu, zeigt aber einen hoffähig gewordenen Trend auf, der im Kontext von Konsumverzicht, Teilen, Downsizing im Sinne eines »wohltemperierten Habens« (Peter Sloterdijk), also des maßvollen Umgangs mit Besitz, von Couchsurfing und LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) zu sehen ist. Daneben gibt es in der Generation Y einen Großteil, dem das konventionelle Leistungsprinzip und das damit verbundene Besitzstreben wichtig ist.

Erstaunen muss, dass, wenn man in Seminaren Studierende auf das Thema Leistung anspricht, sie Leistung synonym mit Leistungsdruck setzen. Nicht weil sie Leistung generell ablehnen, sondern weil sie mit dem tradierten Leistungsethos weniger anfangen können. Dies belegt die These der Soziologie, dass Leistungsunterschiede nicht nur aus einer verschiedenen genetisch-biologischen Leistungsausstattung erwachsen, sondern auch aus verschiedenen Herkunfts- und sozialen Entwicklungsbedingungen sowie aus generationstypischen Verhaltensformen. Diese Leistungsunterschiede sind nicht streng festgelegt, sondern werden in der Entwicklung, in der Erziehung, in der Ausbildung, in der Lebenserfahrung allgemein beeinflusst und modifiziert.

Dabei stellt sich die Frage: Welchen Stellenwert hat Leistung? Im Sport etwa ist Leistung (abgesehen von unmenschlichen Übersteigerungen) nach wie vor positiv angesehen. Ebenso fordern Unternehmen ihren Mitarbeitern immer mehr ab und Führungskräfte schmücken sich gern mit markigen Statements, wenn es um Leistung geht. So schrieb Swisscom-Chef Carsten Schloter in einem Fragebogen:

»Was ich mag: Leistung, die auf Willen, Anstrengung, Überwindung und Leiden beruht. Was ich nicht mag: Leistung als solche dargestellt, die jedoch vor allem auf Glück und Zufall aufbaut.« (Pöhner/Teuwsen, 2013)

Dies ist in der Sache richtig, aber das Maß scheint dabei von größter Bedeutung, denn Schloter ist offenbar an diesem Anspruch gescheitert. Der Manager beging im Sommer 2013 Selbstmord.

Auf der einen Seite wird Leistung überhöht, auf der anderen Seite als wachsende Zumutung abgelehnt. Leistung hat offenbar ein ambivalentes Image, gerade deshalb, weil Leistung assoziiert wird mit Härte und Disziplin. Das Prinzip der leistungsgerechten Verteilung ist mehr als eine westlich-kapitalistische Ideologie, die als Wirtschaftsdarwinismus gescholten wird. Auch in anderen Kulturen kommt eine Organisation nicht ohne klar definierte Ziele, funktionierende Kontrolle und stabile Strukturen aus. Wie jedoch die Ziele erreicht werden, wie kontrolliert wird und wie Strukturen geschaffen werden, mag kulturrelativ sein und soll auch so sein. Nicht die Ethnie ist der Maßstab, die Sache macht Erfordernisse deutlich. Gerade wenn man als Dozent oder Dozentin mit Studierenden unterschiedlicher kultureller Herkunft zu tun hat, wird man unterschiedliches Leistungsverhalten feststellen. Mit anderen Worten: Das Leistungsniveau bei einer bestimmten Klasse von Aufgaben kann sich von einer Kultur zur anderen deutlich unterscheiden, es hängt von der kulturellen Vorschrift ab, was wann zu lernen ist und was gekonnt werden muss. Dennoch bleibt unbestritten: Ohne Leistung gibt es kein Leben, denn ohne die Fähigkeit, Leistung zu vollbringen, wäre der Mensch nicht imstande zu leben.

Vor diesem kurz skizzierten Hintergrund ist eines evident: Leistung muss sowohl entideologisiert als auch kulturübergreifend verstanden und folglich wertfrei betrachtet werden. Dies kann nur geschehen, wenn Leistung aus anthropologischer Perspektive verstanden wird: Es gehört zum Menschen, etwas leisten und etwas bewirken zu wollen. Dieses Bedürfnis nach Leistung ist ein zentrales menschliches Anliegen, das einerseits aus dem psychischen Spannungsgefälle und den entsprechenden Wegen zur Spannungsverminderung resultiert und andererseits die Selbsthervorbringung und ein Verhältnis zu sich selbst ermöglicht.

 

Der Erziehungswissenschaftler Felix v. Cube argumentiert in seinem Buch Lust an Leistung vorwiegend auf der Grundlage der Verhaltensbiologie:

»Gewiss kann man oft unterschiedlicher Meinung darüber sein, was als Leistung angesehen oder bewertet werden soll, die unterschiedlichen Auffassungen beziehen sich jedoch immer auf die Bewertung von Leistung, nie auf den Zusammenhang, dass höhere Leistung auch höheren Lohn verdient.« (v. Cube, 2002, S. 107)

Unabweisbar bleibt für v. Cube, dass Leistung »der Lebensqualität des Individuums, insbesondere der Anerkennung« (ebd., S. 123) dient. Dieser Zusammenhang ist höchst bedeutsam, begründet er doch das Zustandekommen von Selbstbewusstsein. Denn Selbstbewusstsein beruht auf ­Anerkennung, Anerkennung dessen, was jemand kann. Diese Könnerschaft entsteht durch Leistung, diese wiederum führt zu Selbstbewusstsein und wird Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses, der Identität des Menschen. Er gelangt zu einer realistischen Einschätzung seiner selbst nur dann, wenn er sich an den Objektivationen seiner Leistungen orientieren kann. Entscheidend ist dabei nicht die jeweilige Höchstleistung, sondern die Erfahrung, etwas aus eigenem Antrieb schaffen zu können. Somit ist Leistung eine nur »formale Kategorie«, die »in ihrem Bedeutungsinhalt vom jeweiligen Funktionszusammenhang abhängig ist, in dem sie relevant wird« (Braun, 1977, S. 190). – Fazit: Leistung ist von fundamentaler Bedeutung für das Leben des Einzelnen, für seine Chancen der Selbstverwirklichung und insofern für sein Glück.

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