So viele Killer: Vier Kriminalromane

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Z serii: Extra Spannung #8
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So viele Killer: Vier Kriminalromane
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Alfred Bekker & Theodor Horschelt & Wolf G. Rahn

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Inhaltsverzeichnis

  Vier Krimis

  Copyright

  Spur in den Abgrund

  Kriminalroman von Theodor Horschelt

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  I

  II

  III

  IV

  V

  VI

  VII

  VIII

  IX

  X

  XI

  XII

  XIII

  Ein Ermordeter taucht unter

  Thriller von Alfred Bekker

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  Die Statue des Todes: N. Y. D. - New York Detectives

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  Die Hauptpersonen des Romans:

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  AMOK-WAHN

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Impressum neobooks

Vier Krimis

Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieses Buch enthält folgende drei Krimis:

Theodor Horschelt: Spur in den Abgrund

Alfred Bekker: Ein Ermordeter taucht unter

Wolf G. Rahn: Die Statue des Todes

Alfred Bekker: Amok-Wahn

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Spur in den Abgrund

Kriminalroman von Theodor Horschelt

Elga, die charmante, junge Frau Colonel Ashburtons, die erst vor wenigen Jahren aus Ungarn nach England geflüchtet war, verschwindet spurlos. Inspector Taggart und sein Adlatus Sergeant Hulbert vom C.I.D., Scotland Yard, wittern s chon bei Aufnahme der Ermittlungen, welche Ausmaße der Fall haben würde — und sie sollen recht behalten. Die Tatsache, dass der Colonel leitender Beamter im Kriegsministerium ist, deutet auf eine mögliche Entführung Mrs. Ashburtons, auch Spionage ist nicht auszuschließen, deshalb wird Major Playford von der Abwehr hinzugezogen. Elgas Verschwinden setzt eine Lawine in Gang: Alte, ungeklärte Fälle erscheinen in neuem Licht und Leute tauchen wieder auf, die schon seit Jahren tot sind — und a m Ende kommt alles anders ...

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

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I

Akte: Todd, Elga, verehelichte Ashburton, geb. am 5.6.33 in Budapest (Ungarn); letzte Anschrift: Western Gardens 23, London S.W.5. Elga Todd wurde am 5.6.1933 in Budapest als Tochter des Ingenieurs Juro Todd und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. v. d. Beretros, geboren. Die Mutter starb bei der Geburt der E. T., der Vater verschwand im März 1935 spurlos. E. T. wurde zuerst im Waisenhaus und später bei einer Wahltante erzogen und arbeitete — eigenen Angaben zufolge — von Februar 1952 bis März 1957 bei der Abteilung V des ungarischen Landwirtschaftsministeriums. Im März 1957 gelang ihr die Flucht nach Österreich, wo sie eine bis dato gerichtlich blockierte Erbschaft übernehmen konnte. Im September 1957 wanderte sie durch Vermittlung des Amtes des UNHCR (UNITED NATIONS HIGH COMMISSIONER FOR REFUGEES: Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinigten Nationen) nach England aus und nahm — seit 15.10. — in London Wohnung, nachdem sie eine Stellung als Schreibkraft beim Anwaltsbüro Goldener, Goldener, Goldener & Merrivielo gefunden hatte. Dort lernte sie Colonel Philip Ashburton (Leiter der Koordinierungsabteilung/Kriegsministerium) kennen. Heirat am 14. April 1958.

Gecleart durch Abwehr; keine verdächtigen Beziehungen; keine Verfehlungen oder Verbrechen.

Am 21. August (Sonntag) verließ Elga Ashburton-Todd gegen dreizehn Uhr dreißig die eheliche Wohnung Western Gardens 23, London S. W. 5, Kensington, um — angeblich — eine in Epsom wohnende Bekannte aufzusuchen (Miss Helen Craigie, 14 King's Cross Walk). Dort traf sie nicht ein. Zuletzt gesehen wurde sie am 23. August (Dienstag) gegen zweiundzwanzig Uhr in der Nähe von Dunster Castle bei Lynhard, Somerset, und zwar beim Besteigen einer schwarzen Limousine (Daimler?). Zeugen: Captain Stanley Benham (Kriegsministerium/Planungsabteilung) und dessen Verlobte Eleanor Peacock (gleichen Amtes).

Übliche Vermissten-Fahndungsmaßnahmen eingeleitet am 24. August (jedoch keine öffentliche Suchanzeige); bisher kein Erfolg.

Wendell Strush Inspector C. I. D.

Anlage 1: Niederschrift der Vermisst-Meldung 2: Vernehmungsprotokoll Benham 3: Vernehmungsprotokoll Waynal (Dunster Castle)

*

Die mit einem Haar versehene Warze auf der Nase Heytesburys tanzte, wenn ihr Besitzer sprach, aber niemand lachte darüber, denn der Superintendent — der die Kriminale Untersuchungsabteilung C.I.D. von Scotland Yard vertretungsweise führte — war ein sehr empfindlicher Herr und verstand absolut keinen Spaß.

Taggart, ein eleganter blonder Dreißiger, der mehr einem Playboy als einem KriminalInspector gleichsah, hatte dem Super höflich zugehört, den Inhalt der Akte Ashburton-Todd, Elga, kurz überflogen, und legte sie nun seufzend aus der Hand. Als er den Kopf hob, lächelte ihm die selige Queen Victoria aus dem Ölgemälde, das an der Wand hinter dem Schreibtisch hing, huldvoll zu. Eine Fliege hatte sich auf ihre linke Augenbraue gesetzt und fühlte sich dort sichtlich wohl. Drückende Augusthitze lag in dem großen Raum, und die Strahlen der heißen Sommersonne drangen sogar durch die zugezogenen Vorhänge vorwitzig ein.

Alan Heytesbury konnte Ray Taggart so gut leiden wie dieser ihn. Beider Blicke verfingen sich ineinander. Die Rechte des Inspectors trommelte einen sanften Wirbel auf die Tischplatte, als er hoffnungsvoll sagte:

„Wie ich sehe, ist die Angelegenheit bei Inspector Strush in den besten Händen, Sir.“

„Sie liegt ab sofort in Ihren Händen, mon cher.“ Der Super lächelte grausam und fuhr übertrieben höflich fort: „Strush ist ein guter Mann, zugegeben, kommt aber mit den Gesellschaftskreisen nicht zurecht, die hier ...“ — er klopfte nachdrücklich mit dem Kugelschreiber auf die dünne Akte — „... hereinspielen. Für Sie dagegen, lieber Taggart, wird es eine ganze Reihe von Hürden gar nicht geben, an denen Strush hängengeblieben ist. Außerdem ist ...“

Der Teufel ist dem „lieber Taggart!“, dachte der Inspector böse.

„... da noch etwas: Colonel Ashburton ist ein etwas — hm! — sehr schwieriger Herr. Er scheidet zum 31. Dezember aus dem aktiven Militärdienst aus und soll, dem Vernehmen nach, in die zu diesem Zeitpunkt freiwerdende Planstelle eines Unterstaatssekretärs seines Ministeriums nachrücken. Deshalb legt er Wert darauf, dass nichts an die Öffentlichkeit dringt. Offiziell weilt seine Gattin zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit an der italienischen Riviera. — Wie werden Sie's anpacken?“ Sein Blick blieb an dem gut geschnittenen Gesicht seines Visavis hängen.

„Hm!“ Taggart zuckte die Achseln. „Der schwierige Colonel Ashburton ist achtzehn Jahre älter als seine verschwundene Gattin. Vielleicht hat Strush aufs falsche Pferd gesetzt, als er auf die Kombination Kriegsministerium plus Ungarnflüchtling ist gleich Spionage aufbaute. Vielleicht hat Mrs. Ashburton lediglich geglaubt, die Krampfadern und die schlaffe Haut ihres Eheliebsten nicht länger ertragen zu können ...“

Der Super lief krebsrot an und unterbrach ihn wütend:

„Nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis, Taggart, dass meine Frau vierundzwanzig Jahre jünger ist als ich, und dass meine schlaffen Krampfadern — äh ...“ Weil er sich verheddert hatte, ärgerte er sich, und weil er ärgerlich war, fand er den Faden nicht sofort wieder.

„Ausnahmen bestätigen die Regel!“, warf Taggart — die Situation ausnützend — sanft ein. „Well, werde zusehen, was sich tun lässt. Eine Bitte, Sir: Ich brauche eine offizielle Anordnung des Innenministers an das C.I.D., den Fall Ashburton zu bearbeiten ...“

„In goldenem Rahmen, wie?“

„Nee!“, grinste der Inspector. „Hier in meiner Tasche. Dann darf ich im gesamten Gebiet des Vereinigten Königreiches nach Herzenslust amtswandeln, ohne erst die lieben Kollegen von den Stadt- und Grafschaftspolizeibehörden kniefällig um Erlaubnis bitten oder zuziehen zu müssen.“

„Nonsens!“, schnaubte der Super. „Der Innenminister wird mich auslachen, wenn ich eine entsprechende Bitte ...“

„Dann mag sich Seine Lordschaft selbst mit dem Fall beschäftigen, Sir! Ich habe nicht die Absicht, eine Indiskretion zu riskieren und auch noch die Verantwortung dafür zu tragen.“

„Herr! Sie machen die Ausführung einer dienstlichen Anordnung von der Erfüllung gewisser Bedingungen abhängig! Dergleichen ist bei New Scotland Yard ohne Beispiel. — Gehorchen Sie, Herr! Gehorchen Sie!, habe ich gesagt oder ich werde ein Dienst-Strafverfahren gegen Sie einleiten!“

„Aye, aye, Sir!“ Taggart hatte sich blitzschnell erhoben und hielt gelassen den blitzenden Blicken seines Vorgesetzten stand. „Gleichzeitig bitte ich, Sir, mir ehebaldigst eine persönliche Meldung beim Deputy Assistant Commissioner zu ermöglichen. Inhalt: Beschwerde meiner Wenigkeit über Superintendent Heytesbury.“

„Inspector Taggart — was erdreisten Sie sich!“ Der Super war einem Schlaganfall nahe.

„Pardon, Sir — von ,Erdreisten' kann wohl nicht die Rede sein, denn ich nehme lediglich korrekt meine Rechte wahr, wie Sie auch. Falls ich die Situation falsch sehe, erbitte ich gehorsamst eine entsprechende Belehrung.“

„Gut — Sie — werden — Ihren — Wunsch — erfüllt — sehen ...!“, steckte der hohe Beamte um, denn Taggarts Wunsch war absolut berechtigt. — „Noch etwas: Sie sind von allen anderen Aufgaben freigestellt. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Abtreten!“

„Sehr wohl, Sir! Inspector Taggart meldet sich ab!“

*

Mit seinen eins achtundsechzig wirkte Sergeant Hulbert dem Inspector gegenüber unscheinbar und farblos. Er hatte Geheimratsecken und das Aussehen eines mittleren Bankbeamten. Außerdem war er zehn Jahre älter als Taggart, und um Klassen bescheidener gekleidet, denn er lebte vom Gehalt, Taggart dagegen im Wesentlichen von den Zinsen seines Vermögens. — Chris Hulbert sah auf, als sein Vorgesetzter schwungvoll das Büro betrat, und fragte grinsend: „Haben Sie etwa wieder den Direktor geärgert, Sir? Sie sehen nämlich so glücklich und zufrieden aus. Einmal wird das mit dem Super und Ihnen ein schmähliches Ende nehmen, wenn ich mir diese freimütige Bemerkung gestatten darf!“ Er rieb sich blitzschnell die Hände. „Was ist los, Sir? Ein neuer Leckerbissen in der Austernschüssel?“

 

„So ähnlich, Chris!“ Taggart nahm seufzend Platz. „Sollen uns als Babysitter betätigen. Leider ist das Baby bereits in den Brunnen gefallen ...“

Hulbert hörte seinem Inspector schweigend zu und sagte erst, als Taggart seinen Bericht beendet hatte, unbewegt:

„Sieht fast so aus, als wolle Heytesbury uns reinlegen! — Da geht also die Gattin eines Ministerialbeamten stiften und wird ausgerechnet von einem Hilfsarbeiter des gleichen Ministeriums zuletzt gesehen. Man könnte — goddam! — auf die charmantesten Überlegungen kommen. Außerdem ist Inspector Strush eher von übermorgen als von vorgestern. Wo er die Waffen gestreckt hat, ist auch für Sie nicht viel zu holen, Sir, was Sie mir gefälligst nicht als Respektlosigkeit anzukreiden die Güte besitzen wollen. Darf ich Vorschläge machen?“

„Was denn sonst?“ Taggart, der seinem Adlatus voll und ganz recht gab, nickte düster.

„Beginnen wir im Hause Colonel Ashburtons, Sir, und teilen wir uns die Arbeit; Sie sprechen offiziell mit dem gramgebeugten Gatten, ich verhandle inoffiziell mit dem weiblichen Personal.“ Der Sergeant sah Taggart aufmunternd an und spitzte dabei die Lippen wie zum Kuss.

„Einverstanden!“, nickte der Inspector sauersüß. Gedankenvoll fügte er hinzu:

„Jammerschade, Chris, dass Sie bei uns versauern, welch vollendeten Heiratsschwindler hätten Sie abgegeben!“

„Ich bin eben ein Naturtalent!“, sekundierte der Sergeant geschmeichelt. „Wenn Sie wie ein griechischer Apoll des zwanzigsten Jahrhunderts daherkommen, denken die Mädchen: Ein Don Juan, gefährlicher noch als die H-Bombe, während sie sich bei meinem Anblick sagen: Der trostlose Gartenzwerg meint es ehrlich, sonst würde er gar nicht den Mut aufbringen, mit einer Klassefrau meiner Art zu liebäugeln!“

„Leider haben die armen Mädchen Unrecht!“, seufzte Taggart. „Sei dem, wie ihm wolle: Beide werden eines Tages in die Falle gehen — der Gartenzwerg und der Don Juan ...“

„Der Herr behüte uns!“, kommentierte Hulbert entsetzt.

*

Nach dem Abendessen fuhr Taggart in seinem schwarzen Cisitalia nach Kensington und bog dort in eine stille Villenstraße ein. Suchend fuhr er am Bordstein entlang, bis er Nummer dreiundzwanzig Western Gardens gefunden hatte und dicht vor dem Portal stoppte. Von Big Ben hallten acht Glockenschläge herüber, als er auf den Klingelknopf über dem schlichten Schild: „Philip Ashburton“ drückte.

Ein baumlanger, knochiger Kerl öffnete und fragte nach den Wünschen des Besuchers.

Ehemaliger Berufs-Unteroffizier, überlegte der Inspector taxierend und sagte freundlich, er komme auf Empfehlung von Mr. Heytesbury und wünsche Colonel Ashburton zu sprechen.

Der Diener nickte schweigend und führte den Besucher durch eine kleine Empfangshalle, die mit dicken Teppichen ausgelegt war, in ein feudales Herrenzimmer.

„Der Colonel wird gleich zu Ihrer Verfügung stehen, Sir“, sagte der Diener unbewegt. „Bitte Platz zu nehmen.“

Das Zimmer war nicht nur luxuriös, sondern auch mit sicherem Geschmack eingerichtet. Der Fußboden war von einem weinroten Teppich völlig verdeckt. In der Fensterecke stand ein Teakholzschreibtisch und dahinter ein mächtiger Ledersessel, in der anderen eine Gruppe von fünf gleichen Clubsesseln. Die Mauer dahinter war als Bücherwand ausgebaut. Nach interessierter Besichtigung taxierte Taggart den Wert der Einrichtung auf etwa zweitausendfünfhundert Pfund und den der Bücher auf die gleiche Summe.

Das Ticken einer kostbaren Standuhr war das einzige Geräusch im Raum.

Nach einigen Minuten näherten sich auf dem Korridor energische Schritte, die Tür wurde aufgerissen, ein schlanker, breitschultriger Mann im bequemen Hausanzug trat ein, ging zum Schreibtisch, wo sich der Inspector höflich erhoben hatte, und blieb breitbeinig stehen.

„Ich bin Colonel Ashburton“, sagte er barsch, während er Taggart durch sein randloses Monokel scharf fixierte. „Sie kommen vom Yard? Was ist los? Was wollen Sie?“

Taggart stellte sich vor und deutete kurz an, dass er von Inspector Strush „den bewussten Fall“ übernommen habe.

„Ja?“, sagte der Colonel vage und fuhr böse fort: „Es war höchste Zeit, dass der hirnlose Trottel Strush die Angelegenheit abgegeben hat ...“

Während er sich weiter in ärgerlichen Ausrufen und beleidigenden Anspielungen erging, betrachtete Taggart sein Visavis in aller Ruhe. Colonel Ashburton war ein großer, auffällig gut gewachsener Mann und machte ganz den Eindruck, als sei mit ihm nicht gut Kirschen essen. Er hatte ein schmales, aristokratisches Gesicht, das durch das kantige, gekerbte Kinn wie eine aggressive Drohung wirkte. Sein Mund war rasiermesserdünn, seine Brauen hatten die gleiche Farbe wie das ergraute Bürstenhaar, und unter ihnen lagen harte Augen tief in den Höhlen. Wenn er sich aufregte — und im Augenblick regte er sich auf — arbeiteten die kräftigen Backenmuskeln unter der straffen, blau rasierten Haut. Sein Anzug bestand aus einer grauen Flanellhose und einer dunkelblauen Rauchjoppe. Darunter trug er ein reinweißes Seidenhemd mit steifem Kragen und einer 0ld-Harrow-Krawatte. Die langen Arme hingen ruhig und diszipliniert am Körper herab und endeten in edel geformten Händen, auf deren Rücken schwarzer Flaum wucherte. Die überraschend kleinen Füße staken in Mokassins teuerster Qualität.

„Anstatt mir meine Frau wiederzubringen, legt der Narr die Hände in den Schoß und dreht Däumchen“, bellte Ashburton ärgerlich. „Und dabei habe ich im Augenblick eine langwierige Aufgabe zu erledigen, die — ich darf es wohl sagen — von historischer Bedeutung ist. Leute vom Schlage eines Strush sollte man in kochendem Teer baden und anschließend aufhängen.“

Alles in allem hatte Taggart den Eindruck, einer ungewöhnlichen Persönlichkeit gegenüberzustehen, die in jeder Hinsicht den Durchschnitt weit überragte. Wenn der Colonel von seiner Arbeit als von einer historisch bedeutsamen sprach, so war das keine Prahlerei, sondern schlichte Tatsache, die auszusprechen er sich nicht scheute, weil er es in seiner tiefverwurzelten arroganten Selbstsicherheit für ausgeschlossen hielt, von irgendjemandem missverstanden zu werden.

„Pardon, Sir“, warf Taggart scharf ein, „ich ersuche Sie dringend, sich zu mäßigen. Inspector Strush ist alles andere als ein Narr — sondern, ganz im Gegenteil, ein ungewöhnlich fähiger Beamter. Narren kann man nämlich beim C.I.D. so wenig brauchen wie beim Kriegsministerium. Sie sollten sich schämen, über einen Abwesenden so hart zu urteilen, der sich gegen Ihre Vorwürfe nicht verteidigen kann und dessen Arbeit Sie gar nicht zu würdigen verstehen.“

„Wie ... bitte?“, fragte Ashburton im Ton ungläubigen Erstaunens. „Sie wagen es tatsächlich, mir in meinem eigenen Hause Vorhaltungen zu machen?“

„Wie würden Sie sich verhalten, Sir, wenn ich in meiner Wohnung in Ihrer Gegenwart einen Ihrer Kameraden vom Kriegsministerium als hirnlosen Narren qualifizieren würde?“

Ashburton ließ die Frage offen. „Streiten wir uns nicht!“, befahl er finster. „Sagen Sie lieber klar und deutlich — und so kurz wie möglich — was Sie von mir wollen. Alle Aufklärungen, die ich geben konnte, habe ich bereits Ihrem ...“ — er unterdrückte gerade noch rechtzeitig eine beleidigende Äußerung — „... Kollegen Strush gemacht. Sie vergeuden also nur Ihre und meine Zeit.“

„Erlauben Sie, dass ich anderer Meinung bin“, wandte Taggart unerschüttert ein. „Ich nehme an, dass ich Platz nehmen darf ...“ Er setzte sich ganz einfach neben die Bücherwand, zog sorgfältig die Bügelfalten seiner gutsitzenden Hose hoch und präsentierte dem Offizier sein Zigarettenetui.

Ashburton ließ sich tatsächlich überrumpeln. Er nahm ebenfalls Platz, bediente sich und zündete seine Zigarette an dem ihm höflich hingehaltenen Feuerzeug des Inspectors an. Er nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch durch die Nase aus und sagte, ehe Taggart seinerseits das Wort ergreifen konnte:

„Unsere Ehe ist glücklich; ich habe meine Frau sozusagen auf Händen getragen. Elga hat sich tadelsfrei in den Rahmen eingefügt, den ich ihr bieten konnte. Von einem Liebhaber kann nicht die Rede sein, ebenso wenig von einer Verbindung zu ausländischen Agentengruppen. Außer Helen Chilten in Epsom besitzt sie keinerlei intime Freunde. Für Miss Chilten lege ich die Hand ins Feuer. Ich kenne sie wesentlich länger als meine Frau. Am Tag ihres Verschwindens war Elga ruhig und gelassen, wie an allen Tagen unserer Ehe. Schlussfolgerung: Sie muss einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein! Wenn sie nicht mehr am Leben wäre, würde mich das tief treffen, aber nicht umbringen. Das Schlimmste ist die Ungewissheit. Ich muss Gewissheit haben ...“ — er beugte sich vor, riss die Augen auf und brüllte den Inspector an: „Ich muss Gewissheit haben, Taggart, haben Sie verstanden? Und Ihre Pflicht ist es, mir diese Gewissheit unverzüglich zu verschaffen! Klar?“

„Soweit Lautstärke mein Begriffsvermögen schärft, durchaus“, parierte der Inspector eisig, dem Colonel Ashburton von Sekunde zu Sekunde unsympathischer wurde. Du bist genau der Mann, bei dem sich eine Frau im siebten Himmel fühlt!, dachte er verächtlich. Höchstwahrscheinlich hat eure Putzfrau von Elgas Psyche mehr mitbekommen, als du arroganter Pinkel! „Ihre Mitteilungen bedeuten für mich immerhin eine gewisse Klärung“, sagte er unbewegt, „aber Ihrer Schlussfolgerung kann ich mich nicht anschließen. Am 21. August ist Ihre Gattin verschwunden, zweieinhalb Tage später wurde sie in Somerset gesehen, und verwunderlicherweise ausgerechnet von einem Manne, der nicht nur — wie Sie — Offizier, sondern auch noch im gleichen Ministerium beschäftigt ist.“

„Das ist doch reiner Zufall!“

„Wir Kriminalisten glauben nicht an Zufall! Captain Benham hat ausgesagt, er habe sich zusammen mit seiner Braut auf der Fahrt von Lynhead nach Minehead verirrt, und dann zu allem Unglück eine Autopanne gehabt. Ihre Gattin sei aus Richtung Dunster Castle eilig zur Bezirksstraße vorgegangen, dort in eine wartende schwarze Daimler-Limousine eingestiegen und mit dieser weitergefahren. Er, Benham, habe durchaus gewusst, dass Mrs. Elga vermisst werde, und hätte sofort die Verfolgung des Daimlers aufgenommen, wenn ihn nicht der Motorschaden seines eigenen Wagens daran gehindert hätte. Das von Captain Benham geschilderte Verhalten Ihrer Gattin deutet ganz und gar nicht auf ein Verbrechen hin, sondern vielmehr darauf, dass sie sich in jeder Hinsicht im Besitz ihrer Handlungs- und Entschlussfreiheit befand.“

Ashburton ließ sich nicht überzeugen. Er runzelte drohend die Stirn und versetzte heftig:

„Sie faseln, Mann! Ich kenne tausend Möglichkeiten, Elgas Verhalten auch eine andere Deutung zu geben. Vielleicht hat man sie hypnotisiert, vielleicht stand sie unter dem Eindruck einer enthemmenden Droge, vielleicht auch hat man sie erpresst — wenn ich mir auch keinen Grund dafür denken kann. Die wohlfeilste Lösung allerdings wäre, dass Benham gar nicht Elga gesehen hat, sondern eine Frau, die ihr in Figur und Bewegungen ähnelte. Bedenken Sie, Inspector, dass es eine düstere Neumondnacht war, in der der Captain selbst bei der geringen Entfernung von etwa fünfunddreißig Metern sehr leicht einer Täuschung zum Opfer gefallen sein kann. So dürfte — nein, so muss es ganz einfach gewesen sein! Sofern Sie sich die Mühe genommen haben, die Akte sorgfältig zu studieren, wird Ihnen aufgefallen sein, dass Hammond Waynal, der Besitzer von Dunster Castle, energisch abgestritten hat, Elga zu kennen und sie bei sich zu Besuch gehabt zu haben, dass er aber etwa zu der Zeit, zu der Benham seine Beobachtung gemacht haben will, von einer Dame — hm! — verlassen worden sei, deren Namen er als Gentleman selbstverständlich nicht nennen, aber dafür auf Ehrenwort versichern könne, dass es sich nicht um Elga Ashburton, geborene Todd, gehandelt habe.

Wenn Sie sich das alles selbst vor Augen geführt und überlegt hätten, wäre das ganze idiotische Fragespiel vermieden worden, das uns beide nur unnütz aufgehalten hat!“

Ebenso wortlos wie seelenruhig erhob sich der C.I.D.-Beamte. Er nickte verabschiedend, wandte sich auf dem Absatz um und schritt zur Tür.

„Halt!“, zischte Ashburton mit nur mühsam bewahrter Fassung. „Wo gehen Sie denn hin?“

Taggart wandte sich um und erwiderte in gleichem Ton:

„Ich enthebe Sie lediglich der Notwendigkeit, weiterhin an einen Idioten Ihre Zeit zu verschwenden! Guten Abend!“

„So seien Sie doch kein Frosch, Mann!“ Mit einem plötzlichen Ruck hob der Colonel den Kopf und sah Taggart verblüfft, wie unter einer plötzlichen Eingebung mit jäh erwachendem Interesse an. „Unter Männern braucht man doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen! Da fällt mir übrigens ein — sind Sie mit Commodore Taggart verwandt?“

„George Taggart ist mein Vetter; der einzige Sohn des ältesten Bruders meines Vaters.“

„So!“, stammelte der Colonel ehrlich verblüfft. „Demnach wären Sie der Sohn von Admiral Taggart ...?“

„Sehr richtig, Sir! Ein wahres Glück, dass mein Vater im Krieg geblieben ist; die Erkenntnis, einen Idioten in die Welt gesetzt zu haben, würde ihn vermutlich tief betrüben.“

Mit einem Sprung stand Ashburton neben Taggart und streckte ihm die Hand entgegen.

„Legen Sie die Worte eines angstgefolterten Ehemannes nicht auf die Goldwaage, ich bitte Sie erneut darum. Und außerdem bitte ich Sie hiermit in aller Form um Entschuldigung ...“

Mit den Worten: „Entschuldigung angenommen!“, schlug Taggart ein. Freilich dachte er dabei: Aus dir spricht nicht nur der angstgefolterte Ehemann! Zugleich war ihm klar, dass es nicht seine Aufgabe sein konnte, einen Mann von fünfundvierzig Jahren umzuerziehen.

Mit heimlichem Schmunzeln bemerkte er, dass ihn der Colonel plötzlich für voll nahm. Ashburton bot seinem Besucher eine Erfrischung an, und von da ab bewegte sich das Gespräch in einer geradezu gelösten Atmosphäre, die allein die Basis für eingehendere Detailfragen bilden konnte, auf die es Taggart von Anfang an angekommen war.

Behutsam holte der erfahrene Kriminalist aus seinem Visavis Mosaikstein um Mosaikstein heraus, sodass er sich am Ende ein anschauliches Bild des Menschen Elga Ashburton machen konnte, das Bild einer jungen, bereits durch alle Höhen und Tiefen des Lebens gegangenen, energischen und selbstsicheren Frau, die Fehler und Vorzüge wie jeder andere Mensch besaß, die aber der Liebe ihres Mannes sicher sein durfte und sich — vor allem! — lebensklug dem feudalen Rahmen angepasst hatte, den ihr Vermögen, Herkommen, Erziehung und Stellung ihres Gatten gaben. Dass es diesem selbst freilich immer möglich gewesen war, Elga in allem und jedem Genüge zu tun, wagte der Inspector mit Fug und Recht zu bezweifeln, aber nicht auszusprechen.

„Mit einem Wort“, zog Taggart das Fazit, „den Gedanken, dass Mrs. Elga Sie aus eigenem Entschluss verlassen hat — etwa um mit einem anderen Manne durchzubrennen — können wir fallen lassen. Jetzt noch eine wichtige Frage, die Sie mir bitte nicht übel nehmen wollen.“ Er sah Ashburton fest ins Gesicht und machte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Bewegung des Geldzählens. „Wie steht es bei Mrs. Elga damit? Ist sie sparsam, oder gibt sie viel Geld aus, oder hat sie gar nicht die richtige innere Beziehung zu dem schnöden Mammon?“

„Sie ist mit ihrem — allerdings reichlich bemessenen — Wirtschaftsgeld bisher immer gut durchgekommen“, antwortete der Colonel ohne Zögern. „Was ihre privaten Bedürfnisse betrifft, so weiß ich nicht Bescheid.“

„Wie bitte? Haben Sie Ihr etwa kein Taschengeld ausgesetzt?“