Liebe und Eigenständigkeit

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Nicht so positive Verstärkung

Und jetzt zu der wirklich schlechten Nachricht: Was für materielle (Geld oder Lebensmittel) und für symbolische Belohnungen (Noten oder Sternchen) gilt, kann auch auf verbale Belohnungen zutreffen. In vielen Fällen kann es ebenso unheilvolle Auswirkungen haben, wenn man Kinder lobt, wie wenn man ihnen andere Arten von Belohnungen gibt.

Zunächst einmal kann die Bemerkung „Gut gemacht!“ beeinträchtigen, wie gut etwas tatsächlich gemacht wird. Forscher stellen immer wieder fest, dass Menschen, die dafür gelobt werden, eine kreative Aufgabe gut bewältigt zu haben, oft bei der nächsten Aufgabe ins Straucheln geraten. Warum? Erstens, weil das Lob Druck erzeugt, „weiter so“ zu machen, und dieser Druck wirkt als Hemmnis. Zweitens, weil das Interesse der Menschen an dem, was sie tun, nun möglicherweise gesunken ist (weil es jetzt vor allem darum geht, mehr Lob zu bekommen).12 Und drittens, weil sie lieber kein Risiko eingehen – eine Voraussetzung für Kreativität –, wenn sie darüber nachdenken, wie sie dafür sorgen können, dass die positiven Kommentare auch weiterhin kommen.

Auch wenn es nicht um Leistung geht, funktioniert positive Verstärkung nicht besser. Ebenso wie andere Belohnungen und wie Bestrafungen kann sie bestenfalls das Verhalten eines Kindes vorübergehend ändern. So mochten Kinder, die dafür gelobt wurden, jenes unbekannte Getränk zu trinken, es daraufhin viel weniger – genauso wie die Kinder, die materielle Belohnungen dafür bekommen hatten. (Die Forscherin hatte mit diesem Ergebnis übrigens nicht gerechnet: Sie hatte vermutet, Lob würde sich nicht so destruktiv wie andere extrinsische Anreize auswirken.)

Noch beunruhigender ist eine Studie, bei der festgestellt wurde, dass kleine Kinder, die von ihren Eltern oft für Zeichen von Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft gelobt wurden, dazu neigten, im Alltag ein bisschen weniger großzügig und hilfsbereit als andere Kinder zu sein – wiederum ebenso wie Kinder, die materielle Belohnungen bekamen. Jedes Mal, wenn sie „schön geteilt!“ oder „ich bin so stolz auf dich, dass du hilfst“ hörten, ließ ihr Interesse am Teilen oder Helfen ein wenig nach. Sie sahen diese Dinge dann nicht mehr als etwas in sich selbst Wertvolles an, sondern nur als etwas, was sie tun mussten, um noch einmal dieselbe Reaktion von einem Erwachsenen zu bekommen. In diesem Fall waren es die Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft, die zu Mitteln zum Zweck wurden. In anderen Fällen könnte es Malen oder Schwimmen oder Rechnen oder irgendetwas anderes sein, das wir mit positiver Verstärkung belohnen.

Lob zeugt wie andere Belohnungen gewöhnlich davon, dass der Blick auf das Verhalten gerichtet wird – das bereits erwähnte Vermächtnis des Behaviorismus. Wenn wir anfangen, über die Motive nachzudenken, die dem Handeln der Menschen zugrunde liegen, erscheint es plötzlich einleuchtend, dass positive Verstärkung fehlschlagen könnte. Denn wenn wir uns wünschen, dass sich ein Kind zu einem aufrichtig mitfühlenden Menschen entwickelt, genügt es nicht festzustellen, ob das Kind gerade jemandem geholfen hat. Uns sollte auch die Frage nach dem Warum interessieren.

Nehmen wir das Beispiel von Jack: Er teilte sein Spielzeug mit einem Freund in der Hoffnung, dass seine Mutter dies bemerken und ihn mit Lob überschütten würde („Ich finde es wirklich toll, dass du Gregory auch spielen lässt“). Zack dagegen teilte sein Spielzeug mit seinem Freund, ohne zu wissen oder sich dafür zu interessieren, ob seine Mutter das bemerkte. Er tat es einfach deshalb, weil er nicht wollte, dass sein Freund traurig war. Wenn man Kinder lobt, weil sie etwas teilen, werden diese unterschiedlichen Motive meist außer Acht gelassen. Ja, ein solches Lob kann sogar das weniger wünschenswerte Motiv stärken und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Kinder in Zukunft nur noch das Lob im Blick haben.

* * *

Bisher ist mein Hauptargument gewesen, dass Lob oft kontraproduktiv ist, weil es eine extrinsische Motivation darstellt. Doch nun möchte ich das Konzept des Lobens von einem neuen Blickwinkel aus betrachten. Das Problem ist nicht nur, dass es eine Belohnung ist. Das Problem ist, dass positive Verstärkung ein Beispiel für eine an Bedingungen geknüpfte Erziehung ist.

Denken Sie darüber nach: Was ist das Spiegelbild des Liebesentzugs – dem Versagen von Zuneigung, wenn Kinder etwas tun, was uns nicht gefällt? Es müsste wohl das Bekunden von Zuneigung sein, wenn sie etwas tun, was uns gefällt: das selektive Bekunden bedingter Zuneigung, oft in der expliziten Hoffnung, dieses Verhalten zu verstärken. Lob ist nicht nur etwas anderes als bedingungslose Liebe; es ist ihr genau entgegengesetzt. Dadurch vermittelt man einem Kind: „Du musst nach meiner Pfeife tanzen, damit ich Unterstützung und Freude zum Ausdruck bringe.“

Fürsorgliche Eltern sind aufmerksam und oft (wenn auch nicht immer) beschreiben sie etwas, was das Kind getan hat, und fordern es auf, darüber nachzudenken, was das bedeutet. „Gut gemacht!“ jedoch ist keine Beschreibung, sondern ein Urteil. Und das hat beunruhigende Auswirkungen darauf, wie Kinder unsere Gefühle für sie wahrnehmen. Anstelle von „ich hab dich lieb“ kommt ein Lob vielleicht als „ich hab dich lieb, weil du das und das gut gemacht hast“ an. Dazu ist es gar nicht nötig, dass wir das explizit aussprechen – was natürlich auch fast niemand tut. Es genügt, dass wir es tun – das heißt, dass wir Liebe und Freude nur unter bestimmten Bedingungen äußern. (Umgekehrt findet auch Liebesentzug oft statt, ohne dass die Mutter oder der Vater sagt: „Ich hab dich nicht lieb, weil du das und das nicht gut gemacht hast.“ Doch in beiden Fällen ist die Botschaft ganz eindeutig.)

Als meine Frau und ich vor ein paar Jahren eine Babysitterin suchten, begegneten wir einer jungen Frau, die ihre Erziehungsphilosophie knapp zusammenfasste: „Durch gutes Benehmen gewinnen Kinder meine Aufmerksamkeit.“ Wahrscheinlich wollte sie ihr Konzept einem Erziehungsansatz gegenüberstellen, bei dem es vor allem darum geht, Kinder für schlechtes Verhalten zu tadeln. Doch wir wussten sofort, dass wir sie nicht in der Nähe unserer Kinder haben wollten. Wir wollten nicht, dass unsere Kinder je den Eindruck bekämen, die Aufmerksamkeit der Babysitterin würde in Abhängigkeit davon bemessen, wie sie sich benähmen – mit anderen Worten, dass diese Frau sie nur ansehen und ihnen nur zuhören würde, wenn sie der Ansicht war, sie hätten es verdient.

Dennoch bin ich dieser Frau dankbar dafür, dass sie mir geholfen hat, mir darüber klar zu werden, was genau mir nicht recht war und warum. Auch bin ich froh über die Erkenntnis, zu der mir jemand anders verhalf, eine Frau im Publikum bei einem Vortrag, den ich vor einiger Zeit hielt. Ich kann mich nicht mehr an ihren Namen erinnern oder auch nur daran, in welcher Stadt ich gerade war. Alles, was ich noch weiß, ist, dass sie zu mir kam und sagte, sie habe von der Schule ihres Kindes gerade einen Autoaufkleber bekommen, auf dem stand:

Ich bin stolz auf mein Kind,

das Schüler des Monats ist.

Sie erzählte, sobald sie nach Hause gekommen sei, habe sie sich eine Schere geholt, die untere Hälfte abgeschnitten und die verbliebenen sechs Wörter – also das, was die erste Zeile gewesen war – auf ihr Auto geklebt. Mit ein wenig Einfallsreichtum hatte sie nicht nur der Versuchung widerstanden, ein an Bedingungen geknüpftes Erziehungskonzept zu vertreten, sondern daraus eine Gelegenheit gemacht, die Bedingungslosigkeit des Stolzes, den sie für ihr Kind empfand, zu beteuern.

Ich sollte noch einmal betonen, dass man keine absoluten Aussagen über menschliches Verhalten machen kann. Ob positive Verstärkung schädliche Auswirkungen hat (und wenn ja, wie schädlich), kann von mehreren Faktoren abhängen. Es spielt eine Rolle, wie es gemacht wird: wie das Lob formuliert wird, welcher Ton dabei verwendet wird und ob es unter vier Augen oder vor anderen ausgesprochen wird. Es spielt eine Rolle, wer gelobt wird: Das Alter und Temperament des Kindes und noch weitere Variablen sind zu berücksichtigen. Und es spielt eine Rolle, warum gelobt wird: wofür Kinder gelobt werden und welchen Zweck man beim Loben verfolgt – oder vielmehr, welchen Zweck man in den Augen des Kindes verfolgt. Es ist ein Unterschied, ob man Kinder für etwas beglückwünscht, was einfach nur Ihr Leben einfacher macht (zum Beispiel wenn sie ordentlich essen), oder ob man sie für etwas beglückwünscht, was wirklich eindrucksvoll ist. Es ist ein Unterschied, ob man Freude über blinden Gehorsam (etwa wenn Ihr Kind eine Regel von Ihnen befolgt) oder Freude über eine wirklich durchdachte Frage zum Ausdruck bringt.

Es gibt also Möglichkeiten, die negativen Auswirkungen des Lobens zu minimieren. Doch viel wichtiger ist, dass selbst die besseren Versionen nicht ideal sind. (Aus diesem Grund schlage ich in Kapitel 8 Alternativen zum Loben und nicht etwa andere, vielleicht nicht ganz so schlimme Arten, zu loben, vor.) So stimmt es sicher, dass gegen den Ausdruck spontaner Begeisterung über etwas, was Kinder getan haben, weniger einzuwenden ist als gegen den Einsatz positiver Verstärkung mit dem Zweck, sie zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen. Nur Letzteres ist gezielte Manipulation im Sinne Skinners. Doch das ist keine Garantie dafür, dass Ersteres harmlos ist.

In manchen Fällen dient eine Bemerkung wie „Gut gemacht! Du hast nicht über die Linien gemalt“, oder, an einen Teenager gewandt, „Gut gemacht! Du bist nicht über die durchgezogene Linie gefahren“ vielleicht nur dazu, eine Information mitzuteilen, und fungiert nicht als verbaler Anreiz, das Verhalten zu wiederholen. Doch wie lautet die Information, die hier vermittelt wird? Wir sagen dem Kind nicht nur, was es getan hat; wir sagen ihm, dass wir das, was es getan hat, für gut befinden. Wird es daraus schließen, wir freuten uns gemeinsam mit ihm über seine Leistung? Das wäre der günstigste Fall. Doch aus einem Muster selektiver Verstärkung kann das Kind leicht schließen, dass es nur dann unsere Anerkennung findet, wenn es das tut, was uns gefällt. (Schau, wie begeistert Papa ist, wenn ich den Ball treffe … und nur, wenn ich den Ball treffe.)

 

Daraus wiederum entwickelt sich oft eine an Bedingungen geknüpfte Anerkennung des eigenen Selbst. Die Kette könnte folgendermaßen aussehen: (1) „Ich finde es gut, wie du das und das gemacht hast“ kann für ein Kind klingen wie: (2) „Ich finde dich gut, weil du das und das gemacht hast“, und das wiederum kann implizieren: (3) „Ich finde dich nicht gut, wenn du das und das nicht machst.“ Der letzte Schritt ist, dass das Kind den Eindruck gewinnt: (4) „Ich bin nicht gut, wenn ich das und das nicht mache.“ Wenn Lob von einem an Bedingungen geknüpften Erziehungsstil zeugt, kann es unabhängig von den Motiven des Lobenden und selbst dann, wenn kein gezielter Lenkungsversuch vorliegt, gefährlich sein. Das gilt vor allem dann, wenn unsere positiven Bemerkungen und anderen Ausdrucksarten von Liebe größtenteils für Situationen reserviert sind, in denen das Kind etwas tut, was uns gefällt.

Vielleicht sind Sie schon Menschen begegnet, die ähnliche Bedenken zum Thema Loben zu haben scheinen, doch möglicherweise erheben sie nur Einspruch dagegen, wie oft wir Kinder loben oder dass Kinder heutzutage nicht viel zu tun brauchen, um ihren Eltern ein „gut gemacht!“ zu entlocken. Gewiss ist an dieser Beobachtung etwas dran. Ja, ich habe schon Eltern auf dem Spielplatz zu ihrem Kleinkind „gut geschaukelt!“ flöten hören. (Du liebe Güte, das liegt an der Schwerkraft!) Dennoch sehe ich diesen Einwand kritisch. Zum einen geht er am Wesentlichen vorbei: Gegen positive Verstärkung ist nicht nur deshalb etwas einzuwenden, weil sie zu häufig und schon für Kleinigkeiten eingesetzt wird. Die Probleme liegen viel tiefer.

Zum anderen trägt diese Kritik das Potential in sich, die Lage noch schlimmer zu machen. Wer verkündet, es sei sinnlos, Kindern für jede Kleinigkeit den Kopf zu tätscheln, fügt meistens hinzu, wir sollten beim Loben selektiver, anspruchsvoller sein – was bedeutet, dass Kinder mehr leisten sollten, um sich unsere Anerkennung zu verdienen. Und das bedeutet natürlich, dass unsere Erziehung noch stärker an Bedingungen geknüpft würde, als sie es bereits ist. Wahrscheinlich haben diese Kritiker Recht mit ihrer Beobachtung, wenn man Kinder ständig lobte, würde das Lob zu einem Hintergrundgeräusch, das von den Kindern kaum mehr wahrgenommen würde. Darauf könnten wir erwidern: Gut! Wenn Lob zeitlich und von der Formulierung her auf die größtmögliche Wirkung ausgelegt ist, müssen wir uns wirklich Sorgen machen. Denn dann ist (zumindest vom Blickwinkel des Kindes aus) die Bedingungslosigkeit unserer Liebe am stärksten gefährdet.

In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts stellte Mary Budd Rowe, eine Forscherin in Florida, bei der Untersuchung verschiedener Unterrichtsmethoden etwas Interessantes fest: Kinder, die von ihren Lehrern oft gelobt wurden, wirkten zaghafter bei ihren Antworten. Sie neigten mehr als andere Kinder dazu, in einem fragenden Tonfall zu antworten („ähm, Photosynthese?“). Sie teilten anderen Schülern seltener ihre Ideen mit und blieben auch nicht so häufig bei einer einmal angefangenen Aufgabe. Außerdem zogen sie eigene Vorschläge oft zurück, sobald der Lehrer anderer Ansicht war.13

Diese Studie bestätigte etwas, was wir auch bei uns zu Hause beobachten können: Das Selbstvertrauen und vielleicht auch das Selbstwertgefühl von Kindern kann in Folge unserer Reaktionen wachsen oder schrumpfen. Kinder richten den Blick im übertragenen und bisweilen auch im wörtlichen Sinne auf uns, um zu sehen, ob wir das, was sie getan haben, gutheißen. (Es ist ein bisschen wie bei Kleinkindern, die sich nach unserer Reaktion richten, wenn sie hinfallen, und an unserem Gesichtsausdruck abzulesen versuchen, ob sie sich wehgetan haben. Wenn wir beunruhigt wirken – „O mein Gott! Schatz, alles in Ordnung mit dir?“ –, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie in Tränen ausbrechen.)

Loben führt dazu, dass Kinder weniger in der Lage oder bereit sind, Stolz auf ihre eigenen Leistungen zu empfinden – oder zu entscheiden, was überhaupt eine Leistung ist. In extremen Fällen können sie „süchtig“ nach Lob werden und auch als Erwachsene noch von der Bestätigung anderer abhängig sein, überglücklich oder niedergeschlagen sein, je nachdem, ob ihr Partner, ihr Chef oder jemand anders, den sie als Autorität ansehen, ihnen sagt, sie hätten etwas gut gemacht oder nicht.

Alle kleinen Kinder haben ein tiefes Bedürfnis nach der Anerkennung ihrer Eltern. Das ist der Grund, weshalb Lob kurzfristig oft „funktioniert“, um sie dazu zu bewegen, das zu tun, was wir wollen. Doch wir haben die Verantwortung, ihre Abhängigkeit nicht um unserer eigenen Bequemlichkeit willen auszunutzen – und genau das tun wir, wenn wir sie demonstrativ anlächeln und etwas sagen wie: „Ich finde es wirklich toll, wie schnell du dich heute Morgen für die Schule fertig gemacht hast!“ Es kann sein, dass sich Kinder durch diese „mit Zuckerguss überzogene Kontrolle“14 manipuliert fühlen, auch wenn sie nicht recht erklären können warum. Doch unabhängig davon, ob sie es durchschauen und sich dagegen auflehnen oder nicht, hat diese Methode etwas entschieden Unangenehmes. Im Grunde ist sie nicht viel anders, als ob Sie warten würden, bis Ihr Kind Durst bekommt, und ihm nur Wasser gäben, wenn es etwas täte, was Ihr Leben ein bisschen leichter macht.

Zudem lässt positive Verstärkung oft einen Teufelskreis entstehen, der an den erinnert, der beim Liebesentzug zu beobachten ist: Je mehr wir loben, umso mehr wächst das Bedürfnis unserer Kinder nach Lob. Sie wirken unsicher, sehnen sich danach, dass wir ihnen noch einmal den Kopf tätscheln; wir tun es und ihr Verlangen steigert sich noch. Carol Dweck, Psychologin an der Columbia University, hat Voruntersuchungen angestellt, die vielleicht erklären können, was hier geschieht. Wenn wir Bemerkungen äußern, die „eine bedingte Anerkennung andeuten (und dadurch vermutlich das Gefühl eines nur bedingten Wertes aufkommen lassen)“, beginnen kleine Kinder, Zeichen von Hilflosigkeit zu zeigen. Positive Verstärkung ist eine Form bedingter Liebe, und Dweck argumentiert, es sei nicht nur eine bestimmte Eigenschaft oder ein Verhalten, das wir nur unter gewissen Bedingungen akzeptierten. Vielmehr sehe das Kind sein „ganzes Selbst“ nur dann als gut an, wenn es den Eltern gefällt. Dies ist eine wirksame Art, das Selbstwertgefühl zu untergraben. Je öfter wir „gut gemacht!“ sagen, umso schlechter wird das Selbstwertgefühl des Kindes und umso mehr Lob braucht es.15

Natürlich sollte uns das skeptisch hinsichtlich der Behauptung machen, Lob sei in Ordnung, weil Kinder offenbar danach verlangten. Wenn Sie Geld verdienen müssen und der einzige verfügbare Job aus sich ständig wiederholender, stumpfsinniger Plackerei besteht, nehmen Sie ihn vielleicht als letzten Ausweg an. Doch das bedeutet nicht, dass Sie eine solche Arbeit gutheißen. Es heißt nur, dass man das nimmt, was man bekommen kann. Was Kinder wirklich brauchen, ist Liebe ohne Bedingungen. Doch wenn alles, was ihnen angeboten wird – als einzige Alternative zu Kritik oder Missachtung – Anerkennung ist, die auf dem beruht, was sie getan haben, saugen sie die auf und verlangen vielleicht mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit nach mehr. Manche Eltern, die in ihrer Kindheit zu wenig bedingungslose Liebe bekommen haben, diagnostizieren dieses Problem traurigerweise falsch und glauben, es habe ihnen an Lob gefehlt. Dann überschütten sie ihre Kinder mit „gut gemacht!“ und sorgen so dafür, dass wieder eine Generation nicht das bekommt, was sie wirklich braucht.

Viele Eltern haben mir gesagt, es sei hart, diese Erklärungen zu hören, besonders beim ersten Mal. Es ist schon schlimm genug, wenn jemand andeutet, dass Sie bei Ihren Kindern vielleicht etwas falsch machen, doch es ist noch schlimmer, gesagt zu bekommen, dass genau das, was man richtig zu machen glaubte und worauf man bisher stolz war – etwa darauf, die eigenen Kinder zu loben, damit sie ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln –, in Wirklichkeit vielleicht mehr Schaden als Nutzen anrichtet.

Manche Leute erwidern darauf: „Was ist die Alternative?“ Das ist eine sehr vernünftige Frage, sofern wir uns mit Alternativen zum ganzen Konzept einer an Bedingungen geknüpften Erziehung befassen (wie ich es später tun werde), statt nur oberflächliche Änderungen dessen, was wir zu Kindern sagen – eine neue, verbesserte Version des Lobens –, anzustreben.

Manche Leute fühlen sich bei diesen Gedanken unbehaglich und machen nervöse Witzchen: „Haha. Dann kann ich Ihnen wohl nicht sagen, dass mir Ihr Buch gefallen hat, weil ich Sie dadurch ja loben würde. Hahaha.“16 Das ist verständlich. Es dauert eine Weile, bis man eine neue Vorstellung akzeptieren kann, vor allem eine, die uns veranlasst, vieles von dem, was wir bisher getan haben und wovon wir ausgegangen sind, zu überdenken. Wir müssen uns an das neue Konzept gewöhnen, es ausprobieren und während der Übergangsphase kann sich unser Unbehagen auf vielerlei Weise Ausdruck verschaffen.

Manche Leute fragen sich, ob das bedeutet, dass sie schlechte Eltern seien, weil sie sich lange auf Liebesentzug und positive Verstärkung verlassen haben (selbst wenn sie diese Bezeichnungen nie verwendet haben). In den meisten Fällen ist es jedoch einfach so, dass niemand ihnen bisher die Möglichkeit aufgezeigt hat, die Dinge so zu sehen, oder ihnen Beweise präsentiert hat, die Zweifel aufkommen lassen an all den ständigen unkritischen Ratschlägen, unsere Kinder öfter zu loben oder Auszeiten zu verhängen.

Manche Leute allerdings fragen weder nach Alternativen, noch versuchen sie, lustig zu sein, noch machen sie sich Sorgen. Stattdessen tun sie diese Kritik ab und weisen (mit einer gewissen Berechtigung) darauf hin, dass wir mit unseren Kindern viel Schlimmeres tun könnten, als Enthusiasmus über das, was sie getan haben, zum Ausdruck zu bringen. In der Tat wird Kindern jeden Tag viel Schlimmeres angetan. Jedoch ist das keine gute Grundlage für einen Vergleich – jedenfalls nicht für Menschen, die die besten Eltern sein wollen, die sie sein können. Wichtig ist, dass wir etwas Besseres tun können.

Die Kontroverse zum Thema Selbstwertgefühl

Liebesentzug und positive Verstärkung können eine Reihe beunruhigender Folgen haben, von einem Gefühl der Hilflosigkeit bis hin zu einer mangelnden Bereitschaft, anderen zu helfen, und (wenn die Kinder erwachsen sind) von der Angst, verlassen zu werden, bis hin zu einem Groll gegenüber ihren Eltern. Doch die Auswirkung, die sich durch die in diesem und dem vorigen Kapitel zusammengefassten Forschungsergebnisse hindurchzieht, hat damit zu tun, wie sich Menschen, die einer an Bedingungen geknüpften Erziehung ausgesetzt waren, selbst einschätzen.

Die übliche Bezeichnung dafür ist Selbstwertgefühl, was im Lauf der letzten Jahrzehnte zu einer Art Schlagwort geworden ist. Bevor ich dieses Kapitel abschließe, möchte ich ein paar Seiten dafür aufwenden, dieses Konzept zu analysieren, weil es für den an Bedingungen geknüpften Erziehungsansatz wichtig ist. Etliche Leute aus den Bereichen Psychologie und Pädagogik, ganz besonders jene, die mit dem, was als Selbsthilfebewegung bezeichnet wird, zu tun haben, scheinen zu glauben, ein starkes Selbstwertgefühl sei gut, ein geringes sei schlecht, und wenn man den Grad des Selbstwertgefühls bei jemandem steigere, führe das automatisch zu einer Reihe positiver Auswirkungen: akademischen Leistungen, konstruktiven Lebensentscheidungen und so weiter. Auf der anderen Seite ist Selbstwertgefühl zum Blitzableiter für Gesellschaftskonservative geworden, zum Kürzel für alles, was sie als Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft und besonders unseren Schulen ansehen.

Meiner Ansicht nach sind beide Positionen problematisch. Vor ein paar Jahren habe ich mich recht umfassend mit der vorliegenden Forschung beschäftigt17 und etwas überrascht festgestellt, dass ein höheres Selbstwertgefühl nicht immer von besseren Ergebnissen begleitet ist, und selbst wenn dies der Fall ist, bedeutet dies nicht, dass es die besseren Ergebnisse hervorgerufen hätte.

Allerdings bringt mich das nicht in das Feld derjenigen, die vom ganzen Konzept des Selbstwertgefühls nichts halten. Manche sind dieser Ansicht, weil sie glauben, wenn Kinder im Grunde mit sich selbst zufrieden seien, hätten sie keine Motivation, irgendetwas zu leisten. Wenn ihre Aufmerksamkeit auf den Wert dessen, wer sie sind, statt auf das, was sie tun, gerichtet sei, würden sie wahrscheinlich nicht viel leisten. Man müsse unzufrieden sein, um etwas zu lernen oder herzustellen. Wer es zu etwas bringen will, muss leiden.

 

Diese Behauptung beruht auf mehreren falschen Prämissen, die ich in Kapitel 5 näher erläutern werde. Im Moment möchte ich aber nur auf Folgendes aufmerksam machen: Zwar behaupten viele Kritiker, ein höheres Selbstwertgefühl habe keinerlei positive Auswirkungen, jedoch liegt der Kern ihrer Argumentation darin, dass Selbstwertgefühl einfach etwas Schlechtes sei, unabhängig von seiner Wirkung. Für sie ist der schlimmste Begriff, den sie sich vorstellen können, Wohlfühlpädagogik, was andeutet, dass sie offenbar glauben, mit sich selbst zufrieden zu sein habe etwas zutiefst Suspektes an sich. Knapp unter der Oberfläche ihrer Polemik lauert die Angst, Kinder könnten sich zufrieden fühlen, ohne sich das Recht verdient zu haben, so zu empfinden. Hier haben wir die Welt der Tatsachen verlassen und sind durch die Hintertür in das Reich der moralistischen Grundüberzeugungen eingetreten. Dies ist ein Ort puritanischer Inbrunst, wo Menschen nur im Schweiße ihres Angesichts essen dürfen und Kinder keine gute Meinung von sich selbst haben dürfen, wenn sie nicht eine greifbare Leistung vorweisen können.

Mit anderen Worten, die Konservativen richten sich eigentlich gegen ein bedingungsloses Selbstwertgefühl. Jedoch erkennen Forscher gerade, dass eben diese Dimension entscheidend ist, um die Lebensqualität von Menschen einschätzen zu können. Wenn wir uns für die psychische Gesundheit eines Menschen interessieren, ist die entscheidende Frage vielleicht nicht die, wie viel Selbstwertgefühl er besitzt. Vielmehr kommt es darauf an, wie stark sein Selbstwertgefühl je nachdem, was in seinem Leben geschieht – etwa wie erfolgreich er ist oder was andere von ihm denken –, schwankt. Das wirkliche Problem besteht gar nicht darin, dass jemand ein zu geringes Selbstwertgefühl hat („Ich hab das Gefühl, nicht viel wert zu sein“), sondern dass sein Selbstwertgefühl zu sehr an Bedingungen geknüpft ist („Ich hab nur dann das Gefühl, etwas wert zu sein, wenn …“).18

Edward Deci und Richard Ryan, zwei in der Forschung tätige Psychologen, die die Wichtigkeit dieser Unterscheidung betont haben, räumen ein, dass selbst Menschen mit etwas, was dem „wahren“ – oder bedingungslosen – Selbstwertgefühl nahe kommt, „sich wahrscheinlich freuen, wenn ihnen etwas gelingt, und enttäuscht sind, wenn etwas misslingt. Doch ihr Gefühl des eigenen Werts würde nicht in Abhängigkeit von ihren Leistungen schwanken, daher würden sie sich nicht als etwas Besseres oder als überlegen fühlen, wenn sie Erfolg haben, oder deprimiert und wertlos, wenn sie versagen.“19

Diese extreme Schwankung ist nur eine der Folgen davon, das eigene Selbstwertgefühl darauf zu stützen, ob eine Reihe von Erwartungen – seien es die anderer Leute oder die eigenen – erfüllt werden oder nicht. Eine ganz aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein an Bedingungen geknüpftes Selbstwertgefühl bei Hochschulstudenten mit „einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, zu trinken, um soziale Anerkennung zu erreichen und soziale Ausgrenzung zu vermeiden“, verbunden ist. Andere Forschungsarbeiten stellen einen Zusammenhang zu Ängstlichkeit, Feindseligkeit und einer defensiven Grundhaltung her. Solche Menschen neigen dazu, um sich zu schlagen, wenn ihr Selbstwertgefühl bedroht ist, was regelmäßig geschehen kann. Ebenso kann es sein, dass sie an Depressionen leiden und sich in selbstzerstörerisches Verhalten flüchten. Wenn sie sich nur wohlfühlen, wenn sie glauben, gut auszusehen, können sie anfällig für Essstörungen sein.20

Im Gegensatz dazu stellt sich heraus, dass ein bedingungsloses Selbstwertgefühl – eben das, worüber man sich in manchen Kreisen lustig macht – das beste Ziel ist, das man anstreben kann.21 Menschen, die in der Regel nicht glauben, ihr Wert hinge von ihrer Leistung ab, neigen eher dazu, Misserfolge nur als vorübergehende Rückschläge anzusehen, als Probleme, die man lösen kann. Auch neigen sie offenbar weniger zu Ängsten oder Depressionen.22 Und noch etwas: Sie neigen auch weniger dazu, sich Sorgen um das Thema Selbstwertgefühl zu machen! Viel Zeit mit der Überlegung zu verbringen, wie gut man wohl ist, oder mit dem gezielten Versuch, sein Selbstwertgefühl zu steigern, funktioniert meist nicht besonders gut und ist auch ein schlechtes Zeichen. Es weist auf andere Probleme hin – speziell darauf, dass das Selbstwertgefühl verletzlich und an Bedingungen geknüpft ist. „Ein Paradox des Selbstwertgefühls: Wenn man es braucht, hat man es nicht, und wenn man es hat, braucht man es nicht.“23

Was bringt Menschen dazu, diesen unglücklichen Zustand eines an Bedingungen geknüpften Selbstwertgefühls zu entwickeln? Welche Umstände führen dazu, dass sie sich selbst nur für gut halten, wenn…? Eine wahrscheinliche Ursache ist Wettbewerb: eine Situation, in der jemand nur dann Erfolg haben kann, wenn andere versagen, und wo der Ruhm nur für den Sieger reserviert wird. Das ist eine ausgezeichnete Methode, um den Glauben von Menschen an sich selbst zu untergraben und zu lehren, man sei nur dann etwas wert, wenn man triumphiert.24 Es gibt auch Grund zu der Annahme, dass ein an Bedingungen geknüpftes Selbstwertgefühl die Folge eines Erziehungsstils sein kann, bei dem Kinder zu stark kontrolliert werden, wie ich im folgenden Kapitel erläutern werde.

Vor allem jedoch scheint ein an Bedingungen geknüpftes Selbstwertgefühl daher zu rühren, dass man von anderen nur unter gewissen Bedingungen anerkannt wird. Dies führt uns wieder dahin zurück, womit wir angefangen haben: Wenn Kinder das Gefühl haben, von ihren Eltern nur unter bestimmten Bedingungen geliebt zu werden – ein Gefühl, das typischerweise durch die Verwendung von Methoden des Liebesentzugs und der positiven Verstärkung hervorgerufen wird –, fällt es ihnen sehr schwer, sich selbst anzunehmen. Und von da an geht alles bergab.