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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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»Behalten wir es für den Mittag, wenn es Ihnen beliebt, mein Herr.«

»So essen Sie wenigstens die Kirschen; sie würden uns belästigen.«

»Das will ich wohl; doch erlauben Sie mir, daß ich Ihre Kapsel trage, Sie werden leichter marschiren, und in Folge der Gewohnheit dürften meine Beine die Ihrigen müde machen.«

»Ah! Sie bringen mir Glück; mir scheint, ich sehe dort das Vicris hieracioides, das ich seit dem Morgen vergebens suche, und unter Ihrem Fuße, nehmen Sie sich in Acht! das Cerastium aquaticum. Warten Sie, warten Sie! reißen Sie es nicht aus! Oh! Sie sind noch kein Kräuterkenner, mein junger Freund: die eine Pflanze ist in diesem Augenblick zu feucht, um gepflückt zu werden; die andere ist noch nicht genug vorgerückt. Wenn wir diesen Nachmittag um drei Uhr wieder vorüberkommen, nehmen wir das Vicris hieracioides heraus und das Cerastium holen wir in acht Tagen. Uebrigens will ich es auf der Stelle einem mir befreundeten Gelehrten zeigen, den ich um seine Protection für Sie bitten werde. Und nun kommen Sie und führen Sie mich an den vorhin von Ihnen erwähnten Ort, wo Sie schöne Frauenhaare gesehen haben.«

Gilbert ging seinem neuen Bekannten voran; der Greis folgte ihm und Beide verschwanden im Walde.

XLIV.
Herr Jacques

Gilbert, entzückt über das Glück, das ihn in seinen verzweifelten Augenblicken stets eine Stütze finden ließ, ging voran, und wandte sich von Zeit zu Zeit gegen den fremden Mann um, der ihn mit wenigen Worten so gelehrig und geschmeidig gemacht hatte.

Er führte ihn zu seinen Moosen, welche in der That herrliche Frauenhaare waren. Als der Greis davon gesammelt hatte, setzten sie sich wieder in Marsch, um neue Pflanzen aufzusuchen.

Gilbert war in der Botanik viel weiter vorgerückt, als er selbst glaubte. Mitten in den Wäldern geboren, kannte er wie Freundinnen aus der Kinderzeit alle Waldpflanzen; nur kannte er sie unter ihrem gemeinen Namen. Wie er sie so bezeichnete, nannte ihm sein Gefährte dieselben unter ihrem wissenschaftlichen Namen, den Gilbert, wenn er eine Pflanze von derselben Familie fand, zu wiederholen versuchte. Mehrere Male verstümmelte er den griechischen oder lateinischen Namen, Der Fremde setzte ihm denselben auseinander, zeigte ihm den Zusammenhang des Gegenstandes mit diesen erklärten Wörtern und Gilbert lernte so nicht allein den Namen der Pflanze, sondern auch die Bedeutung des griechischen oder lateinischen Wortes, mit dem Plinius, Linné oder Jussieu diese Pflanze getauft.

Von Zeit zu Zeit sagte er:

»Welch ein Unglück, mein Herr, daß ich meine sechs Sous nicht dadurch gewinnen kann, daß ich den ganzen Tag hindurch Botanik mit Ihnen treibe! Ich schwöre Ihnen, ich würde nicht einen Augenblick ausruhen; und ich brauchte nicht einmal sechs Sous; ein Stück Brod wie dasjenige, welches Sie diesen Morgen hatten, würde meinem Appetit für den ganzen Tag genügen. Ich habe aus einer Quelle eben so gutes Wasser getrunken, als in Taverney, und in der letzten Nacht schlief ich am Fuße eines Baumes, wo ich mich niederlegte, besser, als ich es je unter dem Dache eines Schlosses gethan haben würde.«

Der Fremde lächelte.

»Mein Freund,« sagte er, »der Winter wird kommen, die Pflanzen werden verdorren, die Quelle wird gefrieren, der Nordwind wird durch die entblätterten Bäume pfeifen statt der sanften Luft, welche das Laubwerk so zart bewegt. Dann brauchen Sie ein Obdach, Kleider, Feuer, und von Ihren sechs Sous täglich hätten Sie nicht ein Zimmer, Holz und Kleider ersparen können.«

Gilbert seufzte, pflückte neue Pflanzen und machte neue Fragen. So liefen sie einen guten Theil des Tages in den Wäldern von Aulnay, von Plessis-Piquet und Clamart-sous-Meudon umher.

Gilbert hatte sich, seiner Gewohnheit gemäß, bereits mit seinem Gefährten auf den Fuß der Vertraulichkeit gesetzt. Der Greis befragte ihn seinerseits mit einer bewunderungswürdigen Gewandtheit; aber mißtrauisch, vorsichtig, furchtsam, offenbarte sich Gilbert so wenig als möglich.

In Chatillon kaufte der Fremde Brod und Milch, wovon er die Hälfte Gilbert anbot, die dieser auch, ohne Schwierigkeiten zu machen, annahm. Dann schlugen Beide den Weg nach Paris ein, damit Gilbert noch am Tage in die Stadt gelangen könnte.

Das Herz des jungen Mannes schlug schon bei dem Gedanken, in Paris zu sein, und er suchte seine Aufregung nicht zu verbergen, als er von den Anhöhen von Vanvres herab Sainte-Genéviève, das Invalidenhotel, Notre-Dame und das unermeßliche Meer von Häusern erblickte, dessen zerstreute Wogen wie eine Fluth die Seiten von Montmartre, Belleville und Ménilmontant peitschen.

»O Paris! Paris!« murmelte er.

»Ja, Paris, ein Haufe von Häusern, ein Schlund von Uebeln,« sprach der Greis. »Auf jedem von den Steinen da unten dürften Sie einen Blutstropfen röthen oder eine Thräne quellen sehen, wenn die Schmerzen, welche diese Mauern umschließen, außen erscheinen könnten.«

Gilbert bewältigte seine Begeisterung, überdies fiel diese Begeisterung bald von selbst.

Sie traten durch die Barrière d’Enfer ein. Die Vorstadt war schmutzig und übelriechend; die Kranken, welche man in das Hospital brachte, wurden auf Tragbahren vorübergeschleppt; halbnackte Kinder spielten im Kothe mit Hunden, Kühen und Schweinen.

Die Stirne von Gilbert verdüsterte sich.

»Sie finden Alles das häßlich, nicht wahr?« sagte der Greis. »Nun, dieses Schauspiel werden Sie bald nicht mehr sehen. Ein Schwein und eine Kuh sind noch ein Reichthum; ein Kind ist noch eine Freude. Was den Koth betrifft, den werden Sie überall und immer finden.«

Gilbert war nicht abgeneigt, Paris unter einer düstereren Farbe zu sehen; er nahm also das Gemälde an, so wie es ihm sein Gefährte machte.

Anfangs weitschweifig in seinen Reden war der Letztere allmählig, und je mehr man gegen den Mittelpunkt der Stadt fortschritt, schweigsam und stumm geworden. Er schien so sorgenvoll, daß Gilbert es nicht wagte, ihn zu fragen, was für ein Garten es wäre, den man durch das Gitter erblickte, wie die Brücke hieße, auf welcher man die Seine passirte. Dieser Garten war der Luxembourg, diese Brücke war der Pont-Neuf. Da man aber immer fortmarschirte und der Fremde die Träumerei bis zur Unruhe trieb, erdreistete sich Gilbert zu sagen:

»Wohnen Sie noch weit von hier, mein Herr?«

»Wir nähern uns,« antwortete der Fremde, den diese Frage offenbar noch verdrießlicher machte.

Sie gingen in der Rue du Four an dem prachtvollen Hotel de Soissons hin, dessen Gebäude die Aussicht und den Haupteingang nach dieser Straße hatten, während sich seine herrliche Gärten gegen die von Grenelle und Deux-Ecus ausdehnten.

Gilbert kam an einer Kirche vorüber, die ihm sehr schön dünkte. Er, blieb einen Augenblick stehen, um sie anzuschauen.

»Das ist ein schönes Monument,« sagte er.

»Es ist Saint-Eustache,« sprach der Greis.

Dann schaute er empor und rief:

»Schon acht Uhr! oh! mein Gott! mein Gott! kommen Sie geschwinde, junger Mann, kommen Sie.«

Der Fremde verlängerte seine Schritte. Gilbert folgte ihm.

»Ah! hören Sie,« sprach der Fremde nach einigen Augenblicken eines so kalten Stillschweigens, daß es Gilbert zu beunruhigen anfing, »ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß ich verheirathet bin.«

»Ah!« machte Gilbert.

»Ja, und daß meine Frau, als eine wahre Pariserin, darüber schmähen wird, daß wir so spät zurückkehren. Ueberdies muß ich Ihnen bemerken, daß sie mißtrauisch gegen Fremde ist.«

»Wünschen Sie, daß ich zurückbleibe, mein Herr?« fragte Gilbert, dessen ganze Wärme sich bei diesem Worte plötzlich in Eis verwandelte.

»Nein, nein, mein Freund: ich habe Sie eingeladen zu mir zu kommen, kommen Sie.«

»Ich folge Ihnen,« sagte Gilbert.

»Dort, rechts, hier durch, wir sind an Ort und Stelle.«

Gilbert schlug die Augen auf und las bei den letzten Strahlen des sterbenden Tages an der Ecke des Platzes über dem Laden eines Specereihändlers die Worte:

»Rue Plastrière.«

Der Fremde beschleunigte seinen Gang fortwährend, denn je mehr er sich seinem Hause näherte, desto mehr verdoppelte sich auch die von uns erwähnte fieberhafte Aufregung. Gilbert, der ihn nicht aus dem Auge verlieren wollte, stieß sich in jeder Sekunde bald an Vorübergebenden, bald an den Lasten der Träger, bald an den Deichseln der Wagen, bald an den Gabeln der Karren.

Sein Führer schien ihn gänzlich vergessen zu haben; er ging in kurzem Trab, sichtbar von einem ärgerlichen Gedanken in Anspruch genommen.

Endlich blieb er vor einer Gangthüre stehen, deren oberer Theil vergittert war.

Eine kleine Schnur lief durch ein Loch heraus; der Greis zog an der Schnur und die Thüre öffnete sich; er wandte sich sodann um und sagte, als er Gilbert unentschlossen auf der Schwelle sah:

»Kommen Sie geschwinde.«

Und er schloß die Thüre wieder.

Nachdem er einige Schritte in der Dunkelheit gemacht, stieß Gilbert an die erste Stufe einer steilen, schwarzen Treppe, An die Oertlichkeit gewöhnt, hatte der Greis schon ein Dutzend Stufen überschritten.

Gilbert holte ihn wieder ein, stieg, so lange er stieg, und blieb stehen, als er stehen blieb.

Dies geschah bei einer durch das Reiben abgenutzten Strohmatte, auf einem Ruheplatz woran zwei Thüren.

Der Unbekannte zog an einem Rehfuß, der an einer Vorhangschnur hing, und ein scharfes Glöckchen erklang im Innern eines Zimmers, Dann vernahm man die schleppenden Tritte einer Person in Schlappen, und die Thüre öffnete sich.

Eine Frau von fünfzig bis fünf und fünfzig Jahren erschien auf der Schwelle.

Zwei Stimmen vermischten sich plötzlich, die eine war die des Greises, die andere die der Frau, welche die Thüre geöffnet.

Die eine von diesen Stimmen sagte schüchtern:

»Ist es zu spät, gute Therese?«

Die andere brummte:

 

»Sie lassen uns zu einer schönen Stunde zu Nacht essen, Jacques.«

»Ah! wir werden das Alles wieder gut machen,« antwortete liebevoll der Fremde, während er die Thüre schloß, und aus den Händen von Gilbert die blecherne Kapsel nahm.

»Schön! ein Commissionär,« rief die Alte; »sonst fehlte nichts mehr. Sie können also Ihren Kräuterpack nicht mehr allein tragen. Ein Commissionär für Herrn Jacques! entschuldigen Sie! Herr Jacques wird ein vornehmer Mann.«

»Stille! stille!« erwiederte derjenige, welchen man unter dem Namen Jacques so hart anließ, während er geduldig seine Pflanzen auf dem Kamin ordnete; »ein wenig Ruhe, Therese.«

»Bezahlen Sie ihn wenigstens, und schicken Sie ihn weg, daß wir keinen Spion hier haben.«

Gilbert wurde bleich wie der Tod und sprang nach der Thüre. Jacques hielt ihn zurück.

»Dieser Herr,« sagte er mit einer gewissen Festigkeit, »ist kein Commissionär, und noch weniger ein Spion. Es ist ein Gast, den ich mitbringe.«

Die Arme der Alten fielen an ihren Hüften herab.

»Ein Gast!« rief sie, »das fehlte uns noch.«

»Hören Sie, Therese,« versetzte der Fremde mit einer liebevollen Stimme, in der sich jedoch die Nuance des Willens immer mehr fühlbar machte, »zünden Sie ein Licht an. Ich habe warm und es dürstet uns.«

Die Alte ließ ein Gemurmel hören, das, Anfangs ziemlich laut, immer schwächer wurde.

Dann nahm sie einen Feuerstahl und schlug über einer mit Zunder gefüllten Büchse; die Funken sprangen alsbald und zündeten die ganze Büchse an.

Während der Zeit, welche das Gespräch, das Gemurmel und das darauffolgende Stillschweigen gedauert hatten, war Gilbert unbeweglich, stumm und wie auf den Boden genagelt zwei Schritte von der Thürschwelle geblieben, welche überschritten zu haben er nun aufrichtig bedauerte.

Jacques bemerkte, was der junge Mann litt, und sagte:

»Treten Sie näher, Herr Gilbert, ich bitte Sie.

Um zu sehen, mit wem ihr Gatte mit dieser absichtlichen Höflichkeit sprach, wandte die Alte ihr gelbes, verdrießliches Gesicht um. Gilbert sah es bei den ersten Strahlen des mageren Lichtes, welches man in dem kupfernen Leuchter angezündet hatte.

Dieses runzelige, fleckige und an einzelnen Stellen wie mit Galle infiltrirte Gesicht, dieses Gesicht mit den mehr lebhaften als lebendigen, mit den mehr lüsternen als lebhaften Augen, diese platte Süßigkeit auf gemeinen Zügen ausgebreitet, eine Süßigkeit, welche die Stimme und der Empfang der Alten so sehr Lügen straften, flößten Gilbert mit dem ersten Blicke einen heftigen Widerwillen ein.

Die Alte war ihrerseits weit entfernt, das zarte, bleiche Antlitz, das behutsame Stillschweigen und die Steifheit des jungen Mannes nach ihrem Geschmack zu finden.

»Ich glaube wohl, daß Sie heiß haben, und daß es Sie dürstet, meine Herren,« sagte sie, »in der That, seinen Tag im Schatten der Wälder hinbringen ist ermüdend! sich von Zeit zu Zeit bücken, um eine Pflanze zu pflücken, ist eine Arbeit! Denn der Herr sammelt ohne Zweifel Kräuter? Das ist das Gewerbe von denjenigen, welche keines haben.«

»Dieser Herr,« erwiederte Jacques mit einer Stimme, welche immer mehr Festigkeit gewann, »dieser Herr ist ein guter und rechtschaffener junger Mann, der mir die Ehre seiner Gesellschaft den ganzen Tag gegönnt hat, und meine gute Therese, dessen bin ich sicher, wird ihn wie einen Freund aufnehmen.«

»Es ist nur für zwei da, und nicht für drei,« brummte Therese.

»Ich bin mäßig und er auch,« sagte Jacques.

»Ja, ja, das ist gut. Ich kenne diese Mäßigkeit. Ich erkläre Ihnen, daß nicht genug Brod im Haus ist, um Ihre doppelte Mäßigkeit zu füttern, und daß ich nicht drei Treppen hinabsteigen werde, um zu holen, Ueberdies hat der Bäcker zu dieser Stunde geschlossen.«

»Dann werde ich hinabgehen,« versetzte Jacques die Stirne faltend. »Oeffnen Sie mir die Thüre, Therese.«

»Aber . . .«

»Ich will es!«

»Es ist gut! es ist gut!« sagte die Alte brummelnd, gab jedoch dem entschiedenen Tone nach, zu dem ihr Widerstand stufenweise Jacques gebracht hatte, »Bin ich nicht da, um mich in alle Ihre Launen zu fügen?  . . . Man wird genug an dem haben, was sich findet. Kommen Sie zum Abendbrod.«

»Setzen Sie sich an meine Seite,« sagte Jacques zu Gilbert, indem er ihn zu einem Tischchen im Nebenzimmer führte, auf welchem bei zwei Gedecken zwei zusammengerollte und das eine mit einem rothen Band, das andere mit einem weißen Band umwickelte Servietten den Platz von jedem der Gebieter des Hauses bezeichneten.

Dieses kleine viereckige Zimmer hatte eine blaßblaue Tapete mit weißen Zeichnungen.

Zwei große Landkarten zierten die Wände. Die übrige Ausstattung bestand aus sechs Stühlen von Kirschbaumholz mit Strohsitzen, dem fraglichen Tische und einem mit geflickten Strümpfen gefüllten Korb.

Gilbert setzte sich, die Alte stellte einen Teller vor ihn, brachte ihm ein durch den Dienst verbrauchtes Besteck und fügte diesen Geräthschaften einen sorgfältig gescheuerten zinnernen Becher bei.

»Sie gehen nicht hinab?« fragte Jacques seine Frau.

»Es ist unnöthig,« erwiederte sie mit einem mürrischen Tone, der den Groll andeutete, welchen sie gegen Jacques wegen des Sieges bewahrte, den er über sie davongetragen; »es ist unnöthig, ich habe ein halbes Brod im Schranke gefunden. Somit haben wir ungefähr anderthalb Pfund, und das ist hinreichend.«

»Während sie so sprach, stellte sie die Suppe auf den Tisch.

Jacques wurde zuerst bedient, dann Gilbert, die Alte aß aus der Suppenschüssel.

Alle drei hatten großen Appetit; ganz eingeschüchtert durch den hauswirthschaftlichen Streit, zu dem er Anlaß gegeben, legte Gilbert dem seinigen alle erdenkliche Zügel an. Er hatte jedoch zuerst die Suppe gegessen.

Die Alte warf auf seinen frühzeitig leeren Teller einen ganz zornigen Blick.

»Wer ist heute gekommen?« fragte Jacques, um den Gedanken von Therese eine andere Richtung zu geben.

»Oh!« erwiederte diese, »wie gewöhnlich die ganze Erde. Sie hatten Frau von Boufflers ihre vier Hefte, Madame d’Escars ihre zwei Arien, Frau. von Penthièvre ein Quartett mit Begleitung versprochen. Die Einen sind selbst gekommen, die Andern haben geschickt. Aber der Herr sammelte Kräuter, und da man nicht zugleich belustigen und arbeiten kann, so mußten die Damen ihre Musik entbehren.«

Jacques sagte kein Wort, zum großen Erstaunen von Gilbert, welcher erwartete, er würde ihn ärgerlich werden sehen. Da er aber diesmal allein im Spiel war, veränderte er sein Gesicht nicht im mindesten.

Auf die Suppe folgte ein kleines Stück Ochsenfleisch, welches auf einem Fayenceplättchen aufgetragen wurde, das ganz von der Schärfe der Messer gestreift war.

Jacques legte Gilbert ziemlich bescheiden vor, denn er war unter dem Auge von Therese, dann nahm er für sich ungefähr ein ähnliches Stück und reichte die Platte der Hausfrau.

Diese nahm das Brod und schnitt ein Stück für Gilbert ab.

Dieses Stück war so winzig, daß Jacques darüber erröthete; erwartete, bis Therese ihn und sich selbst bedient hatte, nahm dann das Brod wieder aus ihren Händen und sagte zu Gilbert:

»Sie werden sich Ihr Brod selbst abschneiden, mein guter Freund, und ich bitte, schneiden Sie es nach Ihrem Hunger; das Brod muß nur denjenigen, welche es verderben, zugemessen werden.«

Einen Augenblick hernach erschienen grüne Bohnen mit Butter geschmelzt.

»Sehen Sie, wie grün sie sind,« sprach Jacques, »es sind von unsern eingemachten; man ißt sie vortrefflich hier.«

Und er reichte Gilbert die Platte.

»Ich danke,« erwiederte dieser, »ich habe gut gespeist und keinen Hunger mehr.«

»Der Herr ist nicht Ihrer Ansicht über meine Eingemachten,« versetzte Therese spitzig; »es wären ihm ohne Zweifel frische Bohnen lieber, aber das sind frühe Gemüse, welche sich mit unserer Börse nicht bezahlen lassen.«

»Nein, Madame,« entgegnete Gilbert, »ich finde sie im Gegentheil sehr appetitlich und ich würde sie gern essen, aber ich nehme immer nur von einer Platte.«

»Und Sie trinken Wasser?« sagte Jacques, indem er ihm die Flasche bot.

»Immer, mein Herr.«

Jacques goß sich eine Fingerhut voll lautern Wein ein.

»Nun, meine Frau,« sagte er, indem er die Flasche wieder auf den Tisch stellte, »nun bitte ich Sie, diesem jungen Menschen ein Lager zu bereiten, er muß sehr müde sein.«

Therese ließ ihre Gabel fallen und heftete ihre Augen ganz bestürzt auf ihren Gatten.

»Ein Lager! sind Sie verrückt? Sie bringen Jemand zum Schlafen! Sie wollen ihn wohl in Ihrem Bett schlafen lassen? In der That, er verliert den Kopf  . . . Sie werden also fortan eine Pension halten? Dann zählen Sie nicht mehr auf mich; suchen Sie eine Köchin und eine Magd; es ist genug, die Ihrige zu sein, man braucht nicht auch noch die von Andern zu werden.«

»Therese,« antwortete Jacques mit seinem ernsten, festen Tone, »Therese, ich bitte, hören Sie mich an, liebe Freundin: es ist nur für eine Nacht. Dieser junge Mann hat nie einen Fuß in die Straßen von Paris gesetzt; er kommt hierher unter meiner Führung. Ich will nicht, daß er im Wirthshause schläft, ich will nicht, und müßte er mein Bett nehmen, wie Sie sagen.«

Nach dieser zweiten Offenbarung seines Willens wartete der Greis.

Therese, welche ihn aufmerksam angeschaut hatte und während er sprach jede Muskel seines Gesichtes studirte, schien zu begreifen, daß in diesem Augenblick kein Streit möglich war, und veränderte plötzlich ihre Taktik.

Sie wäre gescheitert, wenn sie hartnäckig gegen Gilbert gekämpft hätte, und fing an, für ihn zu kämpfen: es war allerdings eine Verbündete, von der sich jeder Verrath erwarten ließ.

»Da Sie dieser junge Mensch hierher begleitet hat,« sagte sie, »so müssen Sie ihn wohl gut kennen, und es ist besser, er bleibt bei uns. Ich mache ihm ein Bett in Ihrem Cabinet.«

»Nein, nein,« erwiederte Jacques lebhaft; »ein Cabinet ist kein Ort, wo man schläft. Man kann diese Papiere anzünden.«

»Ein schönes Unglück!« murmelte Therese.

Dann sprach sie laut:

»Also im Vorzimmer, vor dem Speiseschrank?«

»Ebenso wenig.«

»Dann sehe ich trotz unseres beiderseitigen guten Willens, daß es unmöglich sein wird: denn ohne Ihr Zimmer zu nehmen, oder das meinige  . . .«

»Mir scheint, Therese, Sie suchen nicht gut.«

»Ich?«

»Allerdings, Sie. Haben wir nicht die Mansarde?«

»Den Speicher, wollen Sie sagen?«

»Nein, es ist kein Speicher, sondern ein zwar etwas mansardenartiges Cabinet, aber gesund, mit einer Aussicht auf herrliche Gärten, was sich in Paris selten findet.«

»Oh! gleichviel, mein Herr,« versetzte Gilbert, »und wäre es auch ein Speicher, ich würde mich immer noch glücklich schätzen, das schwöre ich Ihnen.«

»Keines Weg, keines Wegs,« versetzte Therese. »Ich breite dort meine Wäsche aus.«

»Dieser junge Mann wird nichts verderben, Therese. Nicht wahr, mein Freund, Sie wachen darüber, daß der Wäsche dieser guten Hausfrau kein Unfall widerfährt. Wir sind arm, und jeder Verlust ist schwer für uns.«

»Oh! seien Sie unbesorgt, mein Herr.«

Jacques stand auf, näherte sich Therese und sprach:

»Liebe Freundin, ich will nicht, daß dieser junge Mensch in das Verderben geräth. Paris ist ein gefährlicher Ort, hier werden wir ihn überwachen.«

»Sie geben also eine Erziehung? Ihr Zögling wird also Kostgeld bezahlen?«

»Nein, aber ich stehe Ihnen dafür, daß er Sie nichts kosten wird. Was die Wohnung betrifft, da sie uns beinahe unnütz ist, so können wir ihm diese Wohlthat zukommen lassen.«

»Wie sich doch alle Faullenzer verstehen!« murmelte Therese die Achseln zuckend.

»Mein Herr,« sprach Gilbert, mehr müde als sein Wirth dieses Streites, welcher Fuß für Fuß für eine Gastfreundschaft stattfand, die ihn demüthigte; »ich habe nie Jemand belästigt und werde nicht bei Ihnen anfangen, der Sie so gut gegen mich gewesen sind; erlauben Sie mir also, daß ich mich entferne. Ich habe in der Gegend der Brücke, über die wir gekommen sind, Bäume bemerkt, unter welchen Bänke stehen. Ich versichere Sie, ich werde sehr gut auf einer von diesen Bänken schlafen.«

»Ja, damit Sie die Wache als einen Vagabunden verhaftet.«

»Was er auch ist,« sagte leise Therese, welche den Tisch abdeckte.

»Kommen Sie, kommen Sie, junger Mann,« sprach Jacques, »es ist oben, so viel ich mich erinnere, ein guter Strohsack: das ist immer noch besser als eine Bank; und da Sie sich mit einer Bank begnügen würden  . . .«

»Oh! mein Herr, ich habe immer nur auf Strohsäcken geschlafen,« sagte Gilbert, und fügte dann auf diese Wahrheit durch eine kleine Lüge zurückkommend bei: »die Wolle erhitzt mich zu sehr.«

Jacques versetzte lächelnd:

»Das Stroh erfrischt in der That, nehmen Sie vom Tische ein Stümpchen Licht und folgen Sie mir.«

 

Therese schaute nicht einmal mehr nach Jacques.

Sie stieß einen Seufzer aus, denn sie war besiegt.

Gilbert stand ernst auf und folgte seinem Beschützer.

Als er durch das Vorzimmer kam, sah Gilbert einen Wasserständer.

»Mein Herr,« sagte er, »ist das Wasser theuer in Paris?«

»Nein, mein Freund, aber wäre es auch theuer, so sind doch das Wasser und das Brod zwei Dinge, welche der Mensch dem Menschen, der sie verlangt, nicht zu verweigern befugt ist.«

»Oh! in Taverney kostete das Wasser nichts und der Luxus des Armen ist die Reinlichkeit.«

»Nehmen Sie, mein Freund, nehmen Sie,« sprach Jacques, indem er mit dem Finger Gilbert ein großes Gefäß von Fayence bezeichnete.

Und er ging dem jungen Mann voran, nicht wenig darüber erstaunt, daß er bei einem Kinde dieses Alters alle Festigkeit des Volkes mit allen Instinkten der Aristokratie gepaart fand.