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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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VIII.
Wo der Marquis von Souday Austern fangen will und Picaut auffischt

Bertha, die La Logerie zugleich mit Michel verlassen hatte, war nach zweistündigem Marsch bei ihrem Vater.

Sie fand den Marquis sehr niedergeschlagen und des Einsiedlerlebens in der Erdhöhle, die Maître Jacques für ihn hatte einrichten lassen, völlig überdrüssig.

Wie Michel, aber aus einem rein ritterlichen Gefühl, würde sich der Marquis von Souday nie entschlossen haben, die Vendée zu verlassen, so lange Petit-Pierre sich noch in Gefahr befand; aber als ihm Bertha die wahrscheinliche Abreise des Oberhauptes ihrer Partei anzeigte, entschloß sich der alte Vendéer Edelmann, wenn auch ungern, den Rath des Generals zu befolgen und zum dritten Male in der Fremde zu leben.

Sie verließen daher den Touvoiswald und Maître Jacques, dessen Hand nach dem Verlust von zwei Fingern ziemlich geheilt war, wollte sie bis an die Küste begleiten, um ihnen bei der Einschiffung behilflich zu seyn.

Es war beinahe Mitternacht, als die drei Reisenden, die den Weg nach Machecoul einschlugen, sich oberhalb des Thales von Souday befanden.

Als sie die im Mondlicht schimmernden vier Wetterfahnen des Schlößchens aus dem dunkeln Waldesgrün hervorschauen sahen, konnte der Marquis einen Seufzer nicht unterdrücken.

Bertha hörte den leisen Klageton und näherte sich ihrem Vater.

»Was fehlt Dir, Vater?« fragte sie, »und woran denkst Du?«

»An Vielerlei, mein armes Kind,« antwortete der Marquis, den Kopf schüttelnd.

»Sey nicht traurig, Vater. Du bist noch jung und kräftig, Du wirst dein Haus wiedersehen.«

»Ja,« sagte der Marquis seufzend, »aber meinen treuen Jean Oullier werde ich nicht wiederfinden!«

»Ach!« seufzte Bertha.

»O du armes Haus!« sagte der Marquis, »wir öde scheinst Du mir!«

In der Klage des Marquis war freilich mehr Egoismus als Anhänglichkeit an seinen Diener; aber der arme Oullier würde sie gewiß nicht ohne Rührung angehört haben.

Bertha erwiderte.

»Ich weiß nicht warum, aber ich kann an den Tod unseres armen Freundes noch nicht glauben. Ich beweine ihn zuweilen, aber mich dünkt, daß ich ihn noch mehr beweint hätte, wenn er wirklich todt wäre. Eine geheime Hoffnung, von der ich mir keine Rechenschaft zu geben weiß, trocknet meine Thränen.«

»Mir geht’s auch so,« sagte Maître Jacques, »ich glaube nicht, daß er todt ist.«

»Was soll denn aus ihm geworden seyn?« fragte der Marquis von Souday.

»Das weiß ich nicht,« antwortete Maître Jacques, »aber ich erwarte täglich Nachricht von ihm.«

Der Marquis seufzte wieder. Vielleicht dachte er an das viele Wild, das er in dem prächtigen Hochwalde, den er nie wiederzusehen glaubte, erlegt hatte; vielleicht hatten die von Maître Jacques hingeworfenen Worte die Hoffnung in ihm geweckt, seinen treuen Diener einst wiederzusehen. Diese letzte Vermuthung ist die wahrscheinlichere; denn er bat den Bandenführer wiederholt und dringend, über Oulliers Schicksal genaue Erkundigungen einzuziehen und ihn von dem Resultate in Kenntniß zu setzen.

An der Küste angekommen war der Marquis mit dem von seiner Tochter und Michel entworfenen Einschiffungsplane keineswegs ganz einverstanden. Er fürchtete, die Brigantine könne durch längeres Verweilen in der Bucht von Bourgneuf die Aufmerksamkeit der Wachtschiffe erregen, und er wollte die Flucht Petit-Pierre’s nicht vereiteln. Er wollte sich vielmehr sogleich mit seiner Tochter einschiffen und der Brigantine, welche sie nach England hinüberbringen sollte, vor der Mündung der Loire entgegenfahren.

Maître Jacques, der auf der ganzen Küste Freunde hatte, fand dem Marquis von Souday einen Fischer, der sie für einige Louisdor in seinem Boote an Bord des »Jeune Charles« bringen wollte.

Das Boot war auf dem Strande. Der Marquis und Bertha, von Maître Jacques geführt, täuschten die Wachsamkeit der Küstenwächter und schlüpften in das Boot, welches eine Stunde nachher durch die Flut flott gemacht wurde. Der Fischer und seine beiden Söhne, welche die Bemannung des Bootes bildeten, schifften sich ein und gingen in See.

Da es noch nicht Tag war, so wartete der Marquis nicht bis das Boot auf dem offenen Meere war, um seinen sehr unbequemen Versteck unter dem Halbdeck zu verlassen.

Der Fischer zog nun Erkundigungen ein.

»Das Schiff, welches Sie erwarten, soll also aus der Loire auslaufen?« fragte er.

»Ja,« antwortete der Marquis.

»Zu welcher Stunde sollte es von Nantes abfahren?«

»Zwischen drei und fünf Uhr Früh,« erwiderte Bertha.

Der Fischer beobachtete den Wind.

»Mit diesem Winde,« sagte er, »braucht es nicht mehr als vier Stunden, um zu uns zu kommen. Der Wind kommt aus Südwesten; die Flut ist um drei Uhr hoch gewesen; wir müssen das Schiff gegen acht Uhr sehen. Um unterdessen die Küstenwächter nicht aufmerksam zu machen, wollen wir zum Schein die Netze auswerfen; es ist ein guter Vorwand, vor der Flußmündung zu laviren.«

»Wie, zum Schein?« erwiderte der Marquis. »Ich hoffe, wir wollen wirklich fischen; ich habe mein Leben lang gewünscht, einen Fischfang auf dem Meere mitzumachen. Da mir dieses Jahr die Jagd im Walde von Machecoul verboten ist, so ist der Fischfang ein schöner Ersatz, den ich mir nicht entgehen lassen will.«

Ungeachtet der Gegenvorstellungen Bertha’s, welche fürchtete, ihr Vater könne sich durch seinen hohen Wuchs von Weitem kenntlich machen, fing der Marquis an, den Fischern bei ihrer Arbeit zu helfen. Man warf das Zugnetz aus und zog es eine Zeit lang auf dem Meeresgrunde fort. Der Marquis, der tüchtig mit zugriff, hatte eine wahrhaft kindische Freude, als er die Menge von Steinbutten, Rochen und Schollen betrachtete, die er aus der Tiefe heraufzog.

Er vergaß sogleich seine Sehnsucht, seine Erinnerungen, seine Hoffnungen; er vergaß Souday und den Wald von Machecoul, den Morast von St. Philibert und die große Heide, die Eber, Rehe, Füchse, Hasen, Rebhühner und Schnepfen, um nur noch an die Bewohner des Salzwassers zu denken.

Der Tag brach an. – Bertha, die bis dahin in Gedanken vertieft die leuchtenden Wellen betrachtet hatte, stieg nun auf einen Haufen aufgerollter Taue und betrachtete den Horizont.

Durch den Morgennebel, der an der Flußmündung dichter war als auf dem offenen Meere, bemerkte sie die Mastbäume und das Takelwerk einiger Schiffe, aber keines derselben führte den blauen Wimpel, an welchem man den »Jeune Charles« erkennen sollte. Sie machte den Fischer darauf aufmerksam, aber dieser beruhigte sie mit der Versicherung, daß das Schiff noch nicht die offene See erreicht haben könne.

Der Marquis ließ ihm auch nicht Zeit zu langen Erklärungen; denn er fand so viel Gefallen am Fischfang, daß er zwischen jedem Zuge nur die durchaus nothwendige Zeit ließ, und in diesen wenigen Minuten mußte ihn der alte Seemann in den ersten Elementen der Nautik unterrichten.

Mitten in diesem Gespräche gab ihm der Fischer zu bedenken, daß sie bei dem Fischen mit dem Schleppnetz gezwungen würden, in die hohe See zu gehen, sie würden sich daher immer weiter von der Küste und von ihrem Beobachtungsposten entfernen. Aber der Marquis wollte sich in seinem Vergnügen durchaus nicht stören lassen.

Der Vormittag verging. Um zehn Uhr hatte sich noch nichts gezeigt. Bertha war sehr unruhig, und auf ihre wiederholten Vorstellungen konnte der sorglose Marquis endlich nicht umhin, zur Rückkehr gegen die Loiremündung seine Zustimmung zu geben.

Er benutzte die veränderte Richtung des Bootes, um sich von dem alten Matrosen zeigen zu lassen, wie man »dicht beim Winde« segeln, d. h. die Segel so stellen könne, daß sie mit dem Kiel einen so kleinen Winkel bilden, wie das Takelwerk gestattet. Während Beide an dem schwierigsten Punkte der Erörterung waren, schrie Bertha laut auf.

Sie bemerkte einige Kabellängen von der Barke ein großes mit vollen Segeln fahrendes Schiff, welches Bertha nicht beachtet hatte, weil es nicht das verabredete Signal führte.

»In Acht genommen!« schrie sie, »ein Schiff kommt auf uns zu!«

Der Fischer sah sich um und erkannte augenblicklich die Gefahr, in der er sich mit seinen Passagieren befand. Er riß dem Marquis das Steuerruder aus der Hand und suchte durch eine rasche Wendung dem Schiffe aus dem Wege zu kommen.

Aber wie rasch er auch manövrirte, so konnte er eine Berührung des Bootes mit dem Schiffe nicht verhindern. Das Segel des Bootes verwickelte sich einen Augenblick mit dem Bugspriet des Schiffes; die Fischerbarke neigte sich auf die Seite, eine Welle schlug ein, und nur der Geschicklichkeit des Fischers gelang es, das Gleichgewicht des Fahrzeuges wieder herzustellen.

»Der Teufel hole den Küstenfahrer!« fluchte der alte Fischer. »Eine Secunde später und wir wären sammt den gefangenen Fischen ins Meer gefallen!«

»Kehrt um!« rief der Marquis. »Wendet das Boot! Ich will an Bord steigen und den Capitän wegen seiner-Grobheit zur Rede stellen.«

»Wie können wir mit unseren zwei armseligen Klüvern und unserer Nußschale die Brigantine einholen!« entgegnete der alte Fischer. »Der Hundsfott hat alle Segel aufgespannt.«

»Es muß der »Jeune Charles« seyn!« rief Bertha und zeigte ihrem Vater einen breiten weißen Streifen am Hintertheil des Schiffes, auf welchem in goldenen Buchstaben der Name »J e u n e  C h a r l e s« stand.

»Wahrhaftig, Du hast Recht, Bertha,« sagte der Marquis. »Wendet, Freund, wendet! Aber wie kommt es, dass er das mit Herrn von La Logerie verabredete Signal nicht führt? Und wie kommt es, daß er gegen Westen segelt, statt der Bucht von Bourgneuf, wo wir warten sollten, zuzusteuern?«

»Vielleicht ist ein Unglück geschehen,« sagte Bertha erblassend.

»Wenn nur Petit-Pierre nichts geschehen ist,« sagte der Marquis.

Bertha bewunderte die Selbstverläugnung ihres Vaters; aber sie dachte: »Wenn nur Michel kein Unglück widerfahren ist!«

 

»Auf jeden Fall,« setzte der Marquis hinzu, »müssen wir wissen, wie wir daran sind.«

Unterdessen hatte der Fischer die kleine Barke schnell gewendet und die Brigantine hatte sich noch nicht weit entfernt.

Der Fischer konnte das Schiff anrufen.

Der Capitän erschien auf dem Verdeck.

»Seyd Ihr der »Jeune Charles« der von Nantes kommt?« fragte der Patron der Barke, indem er beide Hände an den Mund hielt.

»Was kümmerts Dich?« erwiderte der Capitän der Brigantine, den die Gewißheit, den Händen der Justiz entkommen zu seyn keineswegs wieder heiter gestimmt hatte.

»Ich habe Leute für Euch am Bord,« rief ihm der Fischer zu.

»Vermuthlich wieder Commissionäre? Wenn Du mir Leute von gleichem Caliber wie diese Nacht bringst, Du alter Austernfänger, so bohre ich Dich in den Grund, ehe Du an meinen Bord kommst.«

»Nein, es sind Passagiere. Erwartet Ihr denn keine Passagiere?«

»Ich erwarte nichts als guten Wind, um das Cap Finisterre zu umsegeln.

»Laßt mich doch anlegen!« bat der Fischer auf Berthas Zureden.

Der Capitän des »Jeune Charles« beobachtete das Meer. Da er zwischen der Küste und seinem Schiffe nichts bemerkte, was seine Besorgnisse hätte rechtfertigen können, und da er überdies gern wissen wollte, ob es vielleicht dieselben Passagiere wären, deren Einschiffung der Zweck seiner Fahrt war, so willigte er in das Verlangen des Fischers; er ließ sogleich die oberen Segel einziehen und manövrirte so, daß das Schiff nur langsam fuhr.

Bald war der »Jeune Charles« der Barke so nahe, daß man dieser ein Tau zuwerfen und sie unter das Backbord der Brigantine ziehen konnte.

»Nun, was gibts?« fragte der Capitän, sich zu der Barke hinabneigend.

»Ersuchen Sie Herrn von La Logerie, auf’s Verdeck zu kommen,« sagte Bertha.

»Herr von La Logerie ist nicht an meinem Bord,« erwiderte der Capitän.

»Aber Sie haben doch wenigstens zwei Damen an Bord,« fragte Bertha mit zitternder Stimme.

»Damen,« antwortete der Capitän, »habe ich keine, außer einem schwarzen Halunken, der unten mit Eisen an den Füßen wettert und flucht, daß die Fässer zittern, an denen er festgekettet ist.«

»Mein Gott,« sagte Bertha schaudernd, »wissen Sie, ob den Personen, die Sie an Bord nehmen sollten, etwa ein- Unglück begegnet ist?«

»Mein hübsches Mamsellchen,« erwiderte der Capitän, »Sie würden mir einen großen Gefallen thun, wenn Sie mir die Geschichte erklären könnten; denn der Teufel hole mich, wenn ich klug daraus werde. Gestern Abend kamen zwei Leute, und Beide brachten ganz verschiedene Befehle von Herrn von La Logerie: der Eine sagte, ich sollte auf der Stelle die Anker lichten, der Andere verlangte, ich sollte bleiben und warten. Der Eine war ein ehrbarer Landmann, ich glaube, er ist sogar Maire; er wies mir eine dreifarbige Schärpe. Und dieser war’s, der den Befehl zur Abfahrt brachte. Der Andere, der mich zurückhalten wollte, war ein vormaliger Galeerensträfling. Ich glaubte natürlich das, was der Erstere sagte, zumal da ich hierbei am wenigsten zu fürchten hatte – und ich segelte ab.«

»O mein Gott, mein Gott!« sagte Bertha. »Courtin ist da gewesen. Es muß Herrn von La Logerie ein Unglück begegnet seyn.«

»Wollen Sie den Kerl sehen?« fragte der Capitän.

»Welchen?« fragte der Marquis.

»Den, der unten in Eisen sitzt. Vielleicht kennen Sie ihn, und dann wird sich die Sache aufklären, obgleich es jetzt nichts mehr nützen kann.«

»Es ist wahr,« sagte der Marquis, »zur Abreise wird’s zu spät seyn; aber wir können wenigstens unsere Freunde retten. Zeigen Sie uns den Mann.«

Der Capitän gab einen Befehl und Joseph Picaut wurde sogleich aufs Verdeck geführt. Er war noch gebunden und gefesselt; aber sobald er die heimatliche Küste der Vendée erblickte, vergaß er seine Fesseln und ohne die Entfernung und die Unmöglichkeit des Schwimmens zu bedenken, machte er eine Bewegung, um seinen Hütern zu entspringen und sich ins Meer zu stürzen.

Dies geschah am Steuerbord, so daß die unter dem Backbord befindlichen Passagiere nichts sehen konnten; aber sie hörten oben am Bord des »Jeune Charles« ein Gepolter und Geschrei. Der Fischer ruderte seine Barke etwas seitwärts, und man bemerkte Joseph, der sich gegen vier Matrosen wehrte.

»Laßt mich über Bord springen!« rief der Gefangene, »ich will lieber sogleich sterben, als in diesem Schiffe verfaulen.«

Es wäre ihm vielleicht gelungen seinen Vorsatz auszuführen, wenn er nicht den Marquis von Souday und Bertha, die bestürzt zusahen, erkannt hätte.

»Ha! der Herr Marquis! – Fräulein Bertha! Ich bin Joseph Picaut. Sie werden mich gewiß retten; denn der schuftige Capitän hat mich so behandelt, weil ich gethan, was mir Herr von La Logerie aufgetragen hatte. Der Schurke Courtin hat mit seinen Lügen das ganze Unglück verschuldet.«

»Sagen Sie, wie sich die Sache verhält,« fragte der Capitän, »es wäre mir lieb, wenn Sie mir den Menschen vom Halse schafften, denn ich reise weder nach Cayenne noch nach Botany-Bai.«

»Ach, es ist Alles wahr,« erwiderte Bertha. »Ich weiß nicht, aus welchem Grunde der Maire von La Logerie Ihnen den Befehl gebracht hat, in See zu gehen; aber dieser Mann hat gewiß die Wahrheit gesagt.«

»Dann laßt ihn los,« befahl der Capitän, »er mag sich hängen lassen, wo er will. – Jetzt sagen Sie, was wollen Sie thun? Kommen Sie an Bord oder nicht? Reisen Sie oder bleiben Sie? Passagiergeld haben Sie nicht zu zahlen, denn ich habe meine Bezahlung voraus bekommen, und zur Beruhigung meines Gewissens möchte ich schon Jemand mitnehmen.«

»Capitän,« sagte Bertha, »wäre es denn nicht möglich, wieder in den Fluß einzulaufen und die Abfahrt, die in der vergangenen Nacht stattfinden sollte, auf die nächste Nacht zu verschieben?«

»Unmöglich!« antwortete der Capitän, die Achseln zuckend, »wir würden mit den Zollwächtern und mit der Sicherheitspolizei eine Katzbalgerei bekommen. Nein, aufgeschoben ist so gut wie aufgehoben. Aber wenn Sie an meinem Bord nach England hinüberfahren wollten, so stehe ich zu Diensten, und es wird Ihnen nichts kosten.«

Der Marquis sah seine Tochter an; aber sie schüttelte den Kopf.

»Wir danken Ihnen, Capitän,« antwortete der Marquis, »es ist unmöglich.«

»Dann wollen wir uns trennen,« sagte der Capitän. »Aber vorher erlauben Sie mir, Sie um eine Gefälligkeit zu ersuchen. Ich will Ihnen eine quittierte Factur einhändigen, welche Sie gefälligst für mich berichtigen wollen; den Betrag Ihrer Factur können Sie bei dieser Gelegenheit auch eintreiben.«

»Ich werde es mit Vergnügen thun, Capitän,« erwiderte der Marquis.

»Dann lassen Sie dem Schurken, der uns diese Nacht gefoppt hat, hundert Hiebe mit einem möglichst dicken Tauende geben.«

»Es soll geschehen,« sagte der Marquis.

»Ja, wenn er’s noch aushalten kann, nachdem er bezahlt hat, was er mir schuldig ist,« sagte eine Stimme.

Und zugleich hörte man einen schweren Körper in’s Wasser fallen. Gleich darauf tauchte der Kopf Picaut’s auf, und der Chouan schwamm rasch auf die Barke zu.

Der Chouan hatte vermuthlich gefürchtet, ein unerwarteter Zwischenfall könne seine gezwungene Anwesenheit am Bord des »Jeune Charles« auf unbestimmte Zeit verlängern, und sobald er seiner Fesseln entledigt war, hatte er den ersten unbewachten Moment benutzt, über Bord zu springen.

Der Fischer und der Marquis reichten ihm die Hand, und mit ihrer Hilfe stieg er in die Barke.

»Herr Marquis,« sagte Joseph, als er in Sicherheit war, »sagen Sie doch dem alten Pottfisch dort oben, daß das Brandmal auf meiner Schulter mein Ehrenzeichen ist.«

»Es ist wahr, Capitän,« sagte der Marquis, »dieser Bauer ist unter dem Kaiserreich zu dieser entehrenden Strafe verurtheilt worden, weil er, nach unseren Ansichten wenigstens, seine Pflicht gethan hatte. Ich kann seine Handlungsweise freilich nicht ganz billigen; aber ich versichere, daß er die Strafe, die Sie ihm zugedacht, keineswegs verdiente.«

»Nun, dann ist ja Alles in der Ordnung,« sagte der Capitän. »Zum ersten – zum zweiten und zum – dritten! Sie wollen also nicht an Bord kommen?«

»Nein, Capitän, wir danken.«

»Dann glückliche Reise!«

Der Capitän ließ das Tau schießen, das die kleine Barke hielt, die Brigantine spannte alle Segel wieder auf und entfernte sich, die Barke zurücklassend.

Während der alte Fischer manövrirte, um zur Küste zurückzukehren, beriethen sich der Marquis und Bertha. Ungeachtet der Erklärungen, die ihm Picaut gegeben – und diese Erklärungen waren kurz, da der Chouan und Courtin sich nur wenige Augenblicke gesehen hatten – konnten sie nicht begreifen, in welcher Absicht der Maire von La Logerie so gehandelt; aber sein Benehmen erschien ihnen doch äußerst verdächtig, und wie sehr Bertha seine aufopfernde Treue und Anhänglichkeit rühmte, so vermuthete der Marquis hinter diesem bis jetzt unerklärlichen Benehmen einen für Michel’s Sicherheit und für das Leben ihrer Freunde gefährlichen Plan.

Picaut erklärte ganz offen, er sinne nur noch auf Rache, und wenn ihm der Marquis von Souday eben sowohl zum Behuf seiner Verkleidung, als zum Ersatz für seine im Handgemenge zerrissenen Kleider einen Matrosenanzug geben wollte, so würde er sich sogleich nach Nantes begeben.

Der Marquis von Souday, der für Petit-Pierre eine Gefahr fürchtete, wollte ebenfalls in die Stadt eilen; aber Bertha beredete ihn zum Aufschub dieses Vorsatzes, bis sie über die noch räthselhaften Vorgänge genügende Aufklärung erhalten haben würden; denn sie zweifelte nicht, daß Michel, in der Erwartung, sie in La Logerie zu finden, sogleich nach der Vereitelung seiner Flucht dahin zurückgekehrt sey.

Der Fischer setzte seine Passagiere unweit Pornic an’s Land. Picaut, dem der eine Sohn des Patrons seine Jacke und seinen getheerten Hut überlassen hatte, eilte landeinwärts, in der Richtung von Nantes. Aber ehe er den Marquis verließ, ersuchte er ihn, Maître Jacques von seinem Abenteuer in Kenntniß zu setzen, denn er zweifelte nicht, daß der Bandenführer gemeinsame Sache mit ihm machen werde, Rache an Courtin zu nehmen.

Er kam gegen neun Uhr Abends in Nantes an. Er begab sich natürlich sogleich in das Gasthaus, um seinen Posten wieder einzunehmen; aber die durch die Verhältnisse gebotene Vorsicht setzte ihn in den Stand, die Unterredung Courtins mit dem Manne von Aigrefeuille theilweise zu belauschen und das Geld – oder vielmehr die Banknoten zu sehen, die Courtin erst nach ihrer Umwechselung in Gold als vollgültig betrachtete.

Der Marquis konnte mit Bertha, wie ungeduldig diese auch war, erst nach Einbruch der Nacht die Wanderung antreten. Auf dem Wege nach dem Touvoiswalde dachte der alte Edelmann mit tiefer Betrübniß, daß sich der vergnügte Vormittag wohl nicht mehr wiederholen werde, da ein langes Verborgen halten in der Erdhöhle nothwendig schien.