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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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Nach einer halben Stunde sah er Michel kommen, und zu seinem großen Erstaunen bemerkte er, daß Bertha nicht bei ihm war. Er erkannte Mary und Petit-Pierre.

Er wünschte sich nun doppelt Glück zu seiner List, die der Zufall so bereitwillig unterstützt hatte, und nahm sich vor, diese Gunst des Schicksals zu benutzen.

Es versteht sich, daß er, Michel, Mary und Petit-Pierre nicht aus den Augen ließ, während sie am Ufer blieben und in der Barke zur Insel hinüberfuhren. Als sie endlich nach Nantes zurückgingen, folgte er ihnen so vorsichtig, daß die drei Flüchtlinge auf dem ganzen Wege nichts merkten. Erst an der Ecke des Bouffai-Platzes hatte ihn Michel bemerkt; denn der Mann, der den Flüchtlingen nachschlich, war kein Anderer als Courtin.

Er glaubte nun wirklich den Versteck Petit-Pierre’s gefunden zu haben. Als die drei Flüchtlinge verschwunden waren, ging er rasch an die Gartenthür, nahm ein Stück Kreide aus der Tasche, machte ein Kreuz an der Mauer, und in der Zuversicht, daß er den Fisch im Netz habe, meinte er, er dürfe es nur aufziehen und die Hand ausstrecken, die hunderttausend Francs einzustreichen.

VI.
Wo man sieht, dass sich der General nicht geändert hat

Courtin war sehr aufgeregt. Als die drei Personen, die er verfolgte, hinter der kleinen Pforte verschwunden waren, hatte er, wie einst auf der Heide, als er von Aigrefeuille kam, jene unvergleichlich schöne Vision, er sah eine schimmernde Pyramide von Gold- und Silberstücken.

Diese Pyramide war sogar noch einmal so groß wie das erste Mal; denn sobald er die Beute in seinem Netz sah, war sein erster, sein einziger Gedanke, daß er ein Narr seyn würde, wenn er die schöne Belohnung mit dem Manne von Aigrefeuille theilen wollte; er müsse, meinte er, sehr ungeschickt seyn, wenn er den Fang nicht allein machte.

Er beschloß daher, seinem Vertrauten nichts zu sagen, sondern die Behörden sogleich von der Entdeckung in Kenntniß zu setzen.

Maître Courtin dachte dabei freilich an seinen jungen Herrn, der die Freiheit und vielleicht das Leben einbüßen würde; allein er brachte diese Stimme des Gewissens sogleich zum Schweigen, und um kein neues Reuegefühl aufkommen zu lassen, eilte er zur Präfectur.

Aber kaum hatte er die Ecke des Marktplatzes erreicht, so stieß er gegen einen ihm entgegenkommenden Mann.

Courtin erkannte zu seinem grüßten Erstaunen den Baron La Logerie, den er hinter der mit dem Kreuz bezeichneten kleinen grünen Pforte zurückgelassen zu haben glaubte.

Michel würde seine Bestürzung gewiß bemerkt haben, wenn er nicht selbst sehr zerstreut gewesen wäre. Aber er freute sich, den vermeinten Freund wiederzusehen, denn er hoffte eine Hilfe von ihm.

»Sage mir, Courtin,« begann er, »Du bist über den Marktplatz gekommen?«

»Ja, Herr Baron.«

»Dann, mußt Du einen reißausnehmenden Mann gesehen haben.«

»Nein, Herr Baron.«

»Doch, doch!l er muß Dir begegnet seyn – der Mann schien zu spioniren.«

Maître Courtin wurde bis über die Ohren roth; aber er faßte sich sogleich wieder, und um diese erwünschte Gelegenheit, jeden Verdacht von sich abzuwenden, nicht unbenutzt zu lassen, erwiderte er:

»Ja richtig – vor mir ging ein Mann, der vor jenem grünen Hausthor stehen blieb.«

»Das war er!« sagte Michel, der nur mit dem Gedanken, den Spion zu entdecken, beschäftigt war. »Courtin, Du mußt mir einen Beweis deiner Treue und deines Eifers geben. Wir müssen den Kundschafter durchaus auffinden. Welchen Weg hat er genommen?«

»Ich glaube, durch die erste Gasse dort.«

»Dann komm und folge mir.«

Michel ging rasch in der von Courtin angedeuteten Richtung fort. Dieser folgte ihm und überlegte was zu thun sey.

Er hatte anfangs Lust, seinen jungen Herrn laufen zu lassen und umzukehren, um seinen Vorsatz auszuführen; aber er besann sich rasch eines Andern, und jetzt war er froh, daß er seinem ersten Gefühl nicht gefolgt war.

Das Gartenhaus hatte offenbar zwei Ausgänge, das konnte Courtin nicht bezweifeln, und da Michel bemerkt hatte, daß er sammt seinen beiden Schutzbefohlenen beobachtet wurde, so mußte Petit-Pierre sich ebenfalls aus der andern Thür geflüchtet haben, um der Beobachtung des Kundschafters zu entgehen.

Der junge Baron kannte höchst wahrscheinlich den geheimen Aufenthalt seiner Geliebten, mit seiner Hilfe konnte daher Courtin seinen Zweck erreichen. Durch Uebereilung konnte er indeß alles vereiteln, er mußte sich mit einiger Geduld waffnen.

Er ging rascher und holte den jungen Baron ein.

»Herr Baron,« sagte er, »Sie müssen vorsichtig seyn. Der Tag bricht an, die Straßen füllen sich; Sie machen Aufsehen mit Ihren beschmutzten, von Thau feuchten Kleidern. Wenn uns Agenten der Behörde begegneten, würde man Sie vielleicht verhaften, und was würde dann Ihre Frau Mutter sagen?«

»Meine Mutter? sie glaubt, ich sey bereits, auf dem Meere —«

»Sie sollten also abreisen?« fragte Courtin mit der unbefangensten Miene von der Welt.

»Allerdings; habe ich Dir’s denn nicht gesagt?«

»Nein, Herr Baron,« antwortete Courtin mit gut erheuchelter Verstimmung. »Ich sehe wohl, daß die Baronin kein Vertrauen zu mir hat, und das thut mir sehr weh – ich habe doch so viel für Sie gethan.«

»Gib Dich zufrieden, Courtin. Die Veränderung deiner Stimmung kam so schnell, so unerwartet, daß wir sie kaum erklären konnten. Wenn ich noch an den Abend denke, wo Du den Sattelgurt meines Pferdes durchschnittest, so begreife ich wirklich nicht, wie Du so gut, so aufmerksam, so treu ergeben werden konntest.«

»Es ist leicht zu erklären, Herr Baron. Damals stand ich für meine politische Meinung ein; jetzt aber, wo ich weiß, daß die Regierung nicht wechselt, sehe ich die Wölfinnen und Chouans nur als die Freunde meines Herrn an und ärgere mich, daß ich so schlecht belohnt werde.«

»Tröste Dich« lieber Courtin,« antwortete Michel, »ich will Dir beweisen, daß ich deine Umkehr zu edleren Gefühlen zu schätzen weiß, und Dir ein Geheimniß anvertrauen, das Du schon geahnt hast. Courtin, die künftige Baronin von La Logerie wird wahrscheinlich nicht die seyn, die Du bis jetzt dafür gehalten —«

»Sie wollen das Fräulein von Souday nicht heirathen?«

»Allerdings, aber meine Frau wird wahrscheinlich nicht Bertha, sondern Mary heißen.«

»Das freut mich. Sie wissen, daß ich mir alle Mühe gegeben habe, es dahin zu bringen; ich würde noch mehr gethan haben, wenn Sie es zugegeben hätten. – Sie haben also Fräulein Mary gesehen?«

»Ja, ich habe sie gesehen, und die wenigen Minuten, die ich bei ihr zugebracht, werden hoffentlich genügt haben, mein Glück zu sichern,« sagte Michel, der sich seiner Freude ganz überließ. »Mußt Du heute wieder nach La Logerie?«

»Sie können leicht denken, Herr Baron, daß ich hier bin, um zu Ihren Befehlen zu stehen,« antwortete Courtin.

»Nun, Du wirst sie selbst sehen, Courtin; denn ich soll sie diesen Abend noch sprechen.«

»Wo denn?«

»Da wo Du mir begegnetest.«

»Das ist ja schön,« erwiderte Courtin, der eben so vergnügt war wie sein junger Gutsherr. »Sie können nicht glauben, wie ich mich freuen werde, Sie endlich nach Ihrem Herzen verheirathet zu sehen. Sie sehen, daß mein Rath gut war. Sie haben die Einwilligung Ihrer Mutter, was fehlt Ihnen also noch?«

Courtin rieb sich schmunzelnd die Hände.

»Braver Courtin,« erwiderte Michel gerührt über die Theilnahme des Bauers. »Wo finde ich Dich diesen Abend?«

»Wo Sie wollen.«

»Bist Du nicht auch im Gasthause »Zum Tagesanbruch« eingekehrt?«

»Ja, Herr Baron.«

»Wir bleiben dort den Tag über. Diesen Abend erwartest Du mich, während ich mich zu Mary begebe. Ich komme zu Dir und wir gehen zusammen fort.«

»Aber,« entgegnete Courtin, dessen Plan durch diese Anordnung vereitelt wurde, »aber ich habe einige Geschäfte in der Stadt —«

»Ich will Dich überall begleiten, die Zeit wird mir dann schneller vergehen.«

»Was fällt Ihnen ein, Herr Baron? Ich habe in der Präfectur zu thun, und dahin können Sie nicht mitgehen. Nein, bleiben Sie im Gasthofe und ruhen Sie sich aus. Diesen Abend um zehn Uhr brechen wir auf.«

Courtin wollte sich des jungen Barons für jetzt entledigen. Seit dem frühen Morgen rumorte ihm der Gedanke, die auf Petit-Pierre’s Auslieferung gesetzte Belohnung allein zu verdienen, unaufhörlich im Kopfe, und er wollte Nantes nicht verlassen, ohne zu wissen, wie hoch sich die Summe belief und wie er es anfangen müsse, sie ganz allein einzustreichen.

Michel sah ein, daß Courtin Recht hatte, und nahm Abschied von ihm, um sich in das Gasthaus zu begeben.

Courtin ging sogleich in die Wohnung des Generals und nannte dem Ordonnanz-Unteroffizier seinen Namen. Nach einer Weile wurde er vorgelassen.

Der General war über die Wendung welche die Dinge nahmen, ziemlich unzufrieden. Er hatte seine Vorschläge nach Paris geschickt, fand aber Widerstand bei den Civilbehörden, welche die durch den Belagerungszustand dem Militär zugewiesene Gewalt für sich in Anspruch nahmen und die dadurch verletzte Empfindlichkeit des alten Soldaten hatte eine tiefe Verstimmung zur Folge.

»Was willst Du?« sagte er zu Courtin.

Courtin machte einen möglichst tiefen Bückling.

»Herr General,« antwortete er, »erinnern Sie sich an den Jahrmarkt zu Montaigu?«

»So gut als ob’s gestern gewesen wäre, insbesondere an die darauffolgende Nacht. Es fehlte sehr wenig, so hätte mein Marsch den gewünschten Erfolg gehabt, und ohne den verwünschten Waldhüter, der einen meiner Soldaten verführte, hätte ich den Ausstand in der Geburt erstickt.« – Apropos, wie hieß der Mann?«

»Jean Oullier,« antwortete Courtin.

»Was ist aus ihm geworden?«

Courtin erblaßte.

»Er ist todt,« sagte er.

»Der arme Teufel konnte nichts Besseres thun – und doch ist’s schade um ihn, er war ein braver Kerl.«

 

»Herr General, Sie denken an den, der den Plan vereitelt hat, und wie kommt es, daß Sie den vergessen haben, der Ihnen die Auskunft gab?«

Der General sah Courtin an.

»Weil Jean Oullier ein Soldat, also ein Camerad war, und an solche Leute denkt man immer; die Andern hingegen, nämlich die Spione und Verräther, vergißt man so schnell wie möglich.«

»Dann will ich so frei seyn, Herr General, Ihrem Gedächtniß zu Hilfe zu kommen: ich habe Ihnen den Aufenthalt Petit-Pierre’s entdeckt.«

»So? Und was willst Du heute? Sprich und fasse Dich kurz.«

»Ich will Ihnen denselben Dienst leisten, den ich Ihnen damals leistete.«

»So? Aber die Zeiten haben sich geändert, mein Lieber. Wir sind nicht mehr auf den Feldwegen im Lande Retz, wo ein kleiner Fuß, eine weiße Haut und eine süß flötende Stimme zu den Seltenheiten gehören und daher leicht bemerkt werden. Hier sehen ziemlich alle Frauenzimmer aus wie vornehme Damen. Seit einem Monate sind auch mehr als zwanzig Strolche deiner Art gekommen, uns die Haut des Bären zu verkaufen. Meine Soldaten sind auf den Füßen, wir haben fünf bis sechs Stadtviertel durchsucht, und der Bär ist noch nicht aufgefunden.«

»Herr General, meine Auskunft verdient Glauben, das habe ich Ihnen schon einmal bewiesen.«

»Im Grunde,« sagte der General für sich, »wär’s ein Spaß, wenn ich ganz allein auffände, was der Herr von Paris mit seiner ganzen Rotte von Spionen und Galgengesichtern noch nicht aufgespürt hat. Bist Du deiner Sache gewiß?«

»Binnen vierundzwanzig Stunden kann ich Ihnen sagen, was Sie zu wissen wünschen: die Straße und Hausnummer.«

»Dann komm zu mir.«

»Aber ich möchte doch —«

Courtin stockte.

»Was?« fragte der General.

»Man hat von einer Belohnung gesprochen und ich wünschte —«

»Ja, richtig,« sagte der General, indem er Courtin mit tiefer Verachtung ansah, »ich hatte vergessen, daß Du, obschon Beamter, auch an Dich selbst denkst.—«

»Man muß wohl an sich selbst denken, Herr General; denn Unsereins wird immer sobald wie möglich vergessen.—«

»Und das Geld, das Ihr bekommt, muss bei Euch die Stelle des öffentlichen Dankes vertreten. Es ist im Grunde ganz folgerichtig: Du gibst nicht, Du verkaufst, verschacherst. Du handelst mit Menschenfleisch und bist mit den Andern zu Markte gekommen.«

»Ganz recht, Herr Generals vom Profit muß der Mensch leben – ich mache ein Geschäft und ich schäme mich dessen nicht.—«

»Gut; aber Du hast Dich nicht mehr an mich zu wenden. Man hat von Paris einen Herrn hierher geschickt, um dieses Geschäft abzuschließen. Wenn Du den Fang gemacht hast, so mußt Du Dich wegen der Ablieferung an ihn wenden.«

»Soll geschehen, Herr General. Aber finden Sie nicht, daß ich für den ersten guten Dienst eine Belohnung verdient habe?«

»Wenn Du glaubst, daß ich Dir etwas schuldig bin, so werde ich’s zahlen. Laß hören.—«

»Ich verlange nicht viel —«

»Dann sprich.«

»Nennen Sie mir die Summe, die für die Auslieferung Petit-Pierre’s ausgesetzt ist.«

»Fünfzigtausend Francs vermuthlich, ich habe mich nicht darum gekümmert.«

»Fünfzigtausend Francs!« erwiderte Courtin, betroffen zurücktretend. »Das ist sehr wenig.«

»Du hast Recht, es ist nicht der Mühe werth, für eine solche Kleinigkeit zum Verräther zu werden. Doch wende Dich an die, deren Geschäft es ist. Wir sind ausgeglichen, nicht wahr? Also Packe Dich fort. Adieu!«

Der General fuhr in seiner durch Courtin’s Ankunft unterbrochenen Arbeit fort, ohne die Abschiedskratzfüße des Maire von La Logerie zu beachten.

Courtins Freude war bedeutend herabgestimmt. Er zweifelte keineswegs, daß der General die für Petit-Pierre’s Auslieferung ausgesetzte Summe genau kannte, und konnte die Aeußeruug desselben mit dem Versprechen des Unbekannten von Aigrefeuille nur durch die Vermuthung daß der Letztere der Agent der Regierung sey, in Einklang bringen. Er verzichtete daher auf den Vorsatz, ohne ihn etwas zu unternehmen, und beschloß, ohne die gehörige Vorsicht außer Acht zu lassen, ihn von dem Vorgefallenen schleunigst in Kenntniß zu setzen.

Bisher war der Mann immer ungerufen zu Courtin gekommen. Aber der Letztere hatte eine Adresse erhalten, an die er schreiben sollte, falls er ihm etwas Wichtiges zu melden hätte.

Courtin schrieb nicht, er ging selbst. Mit einiger Mühe entdeckte er in dem elendesten Stadtviertel, in einer schmutzigem feuchten Sackgasse, mitten unter Trödelbuden einen kleinen Kaufladen, wo er der erhaltenen Weisung zufolge nach einem Herrn Hyacinthe fragte. Man führte ihn eine Art von Hühnerleiter hinauf, in ein Zimmer, welches weit sauberer und wohnlicher war, als man nach dem Aeußern dieses elenden Häuschens erwarten konnte.

Courtin fand hier den Mann von Aigrefeuille, von dem er weit freundlicher empfangen wurde, als von dem General. Er hatte eine lange Unterredung mit ihm.

VII.
Wo Courtin noch einmal in seiner Erwartung getäuscht wird

Fand Michel den Tag schon lang, so konnte Courtin den Abend kaum erwarten. Er hütete sich wohl, auf dem Marktplatz und den angrenzenden Straßen zu erscheinen, aber er konnte nicht unterlassen, sich in den Umgebungen herumzutreiben.

Als der Abend kam, begab sich Courtin, der das Stelldichein Michel’s und Mary’s nicht vergessen hatte, wieder in das Gasthaus.

Er fand hier Michel, der ihn mit Sehnsucht erwartete.

»Courtin,« rief ihm der junge Baron zu, »es freut mich, daß ich Dich finde. Ich habe den Mann entdeckt, der uns diese Nacht verfolgt hat.«

»Was sagen Sie?« erwiderte Courtin, unwillkürlich zurücktretend.

»Ich habe ihn entdeckt, sage ich Dir,« wiederholte der junge Mann.

»Wer ist’s denn?« fragte Courtin.

»Ein Mensch, dem ich vertrauen zu können glaubte, dem Du an meiner Stelle auch dein Vertrauen geschenkt haben würdest – Joseph Picaut.«

»Joseph Picaut!« wiederholte Courtin mit erheucheltem Erstaunen.

»Ja.«

»Wo haben Sie ihn denn angetroffen?«

»In diesem Gasthofe, lieber Courtin, wo er Stallknecht ist, oder sich wenigstens dafür ausgibt.«

»Wie konnte er Ihnen denn nachschleichen? Sie haben ihm doch Ihr Geheimniß nicht anvertraut?« eiferte Courtin. »Jugend und Unbesonnenheit gehen doch immer Hand in Hand! Einem Galeerensträfling so wichtige Geheimnisse anzuvertrauen!«

»Eben deshalb vertraute ich ihm. Du weißt ja, weshalb er im Bagno gewesen ist.«

»Ja wohl, weil er ein Straßenräuber gewesen ist.«

»Allerdings, aber es war in Kriegszeiten. Doch das thut jetzt nichts zur Sache; genug, ich gab ihm einen Auftrag.«

»Wenn ich Sie fragte, was für einen Auftrag,« sagte Courtin, »so würden Sie glauben, ich sey neugierig; aber ich frage nur aus Theilnahme.«

»Ich habe gar keine Ursache Dir’s zu verschweigen. Ich beauftragte Picaut, dem Capitän des »Jeune Charles« anzuzeigen, daß ich um drei Uhr Früh am Bord seyn würde. Man hat weder den Mann noch das Pferd wiedergesehen. – Apropos,« setzte Michel lachend hinzu, »es war dein Gaul, den ich aus deinem Stall genommen hatte, um nach Nantes zu reiten.«

»So, mein Gaul ist also —«

»Wahrscheinlich verloren, lieber Courtin.«

»Wenn er nicht in den Stall zurückgelaufen ist, setzte Courtin hinzu, der ungeachtet der goldenen Aussichten, die sich ihm eröffneten, an die zwanzig Pistolen, die sein Klepper werth war, mit Schmerzen dachte.

»Ich wollte Dir sagen, daß Joseph Picaut, wenn er uns wirklich verfolgt hat, in der Nähe sich herumtreiben muß.«

»Was sollte er damit bezwecken?« fragte Courtin. »Hätte er Sie ausliefern wollen, so wäre ja nichts leichter gewesen, als Gendarmen hierher zu schicken und Sie wegführen zu lassen.«

Michel schüttelte den Kopf.

»Was, Sie glauben’s nicht?«

»Nein, Courtin. Auf mich hat er’s nicht abgesehen, um meinetwillen hat er uns gestern nicht belauert.«

»Warum nicht?«

»Weil auf meine Auslieferung kein hoher Preis gesetzt ist; es wäre nicht der Mühe werth mich zu verrathen.«

»Wem mag es denn gegolten haben?« fragte der heimtückische Bauer mit aller Arglosigkeit, die er seinem Gesicht zu geben vermochte.

»Einem Vendéerchef, den ich gern mit mir zugleich retten möchte,« antwortete Michel, der jetzt merkte, wo Courtin hinaus wollte, ihn aber doch gern in sein Geheimniß zog, um ihn nöthigenfalls als Werkzeug zu benützen.

»Sollte er den Aufenthalt des Vendéers entdeckt haben?« sagte Courtin. »Das wäre ein Unglück!«

»Nein, er hat zum Glück nur den ersten Kreis überschritten; aber ich fürchte, daß ihm ein zweiter Versuch besser gelingen wird, als der erste.«

»Was könnte er denn unternehmen?«

»Wenn er uns diesen Abend belauschte, würde er wohl sehen, daß ich mit Mary eine Zusammenkunft habe.«

»Wahrhaftig, da haben Sie Recht, Herr Baron.«

»Ich bin auch nicht ganz ruhig,« sagte Michel.

»Ich will Ihnen einen Rath geben. Nehmen Sie mich diesen Abend mit. Wenn ich merke, daß Sie verfolgt werden so pfeife ich, und Sie machen sich aus dem Staube.«

»Aber Du?«

Courtin fing an zu lachen.

»O, ich habe nichts zu fürchten; meine politische Meinung ist bekannt, und als Maire kann ich immerhin schlechte Bekanntschaften haben.«

»Jedes Unglück hat doch seinen Nutzen!« lachte Michel. »Wie viel Uhr ist es?«

»Es schlägt eben neun.«

»Dann komm, Courtin.«

»Sie nehmen mich also mit?«

»Allerdings.«

Courtin nahm seinen Hut, Michel den seinigen, und Beide begaben sich schnell an die Straßenecke, wo sie einander begegnet waren.

Rechts war der Marktplatz, links die Gasse, in welcher sich die mit dem Kreuz bezeichnete Pforte befand.

»Bleib hier,« sagte Michel. »Ich bin am andern Ende dieser Gasse. Ich weiß noch nicht, von welcher Seite Mary kommen wird. Wenn sie von dieser Seite kommt, so führe sie zu mir; wenn sie von der andern Seite kommt, so nähere Dich, um uns nöthigenfalls beizustehen.«

»Gut, es soll Alles geschehen, wie Sie wünschen,« sagte Courtin.

Er blieb auf dem ihm angewiesenen Posten.

Courtin frohlockte. Sein Plan war vollständig gelungen: er mußte auf die eine oder andere Art mit Mary in Berührung kommen. Mary war die Vertraute Petit-Pierre’s das wußte er. Er wollte ihr nachschleichen, wenn sie Michel verlassen würde, und er zweifelte nicht, daß sie sich gerades Weges zu der Prinzessin zurückbegeben und dadurch den Versteck derselben verrathen würde.

Es schlug halb zehn. Courtin hörte leichte Schritte. Er ging diesen Fußtritten entgegen. Er erkannte Mary in einer Bäuerin, die ein mit einem Tuch umwickeltes kleines Paket trug.

Mary schien nicht weiter gehen zu wollen, als sie einen Mann sah, der die Straße zu bewachen schien. Aber Courtin trat auf sie zu und gab sich zu erkennen.

»Es ist gut, Fräulein Mary,« erwiderte er auf ihre freudige Ueberraschung. »Aber mich suchen Sie doch nicht, sondern den Herrn Baron? Er ist dort – er erwartet Sie.«

Er zeigte auf das andere Ende der Straße.

Mary nickte ihm dankend zu und ging rasch weiter.

Courtin setzte sich auf einen Eckstein, um das Ende der voraussichtlich langen Unterredung zu erwarten. Er konnte die beiden jungen Leute beobachten und zugleich von seinem künftigen Glücke träumen. Seine Beute konnte ihm kaum noch entgehen. Mary hatte ihm ja ein Ende des Fadens, der in das Labyrinth führte, in die Hand gegeben, und er hoffte, daß der Faden dieses Mal nicht reißen werde.

Aber er hatte nicht Zeit, auf die goldenen Wolken seiner Phantasie große Luftschlösser zu bauen, denn die beiden jungen Leute wechselten nur einige Worte und kamen auf ihn zu.

»Die Sache scheint sehr leicht zu gehen,« sagte Courtin für sich, »fast zu leicht!«

Der junge Baron führte seine Braut am Arme; in der Hand trug er das Päckchen, welches Courtin in der Hand des Fräuleins gesehen hatte.

Michel gab ihm einen Wink.

Courtin folgte den beiden Liebenden in sehr geringer Entfernung. Bald wurde der ehrenwerthe Maire jedoch etwas unruhig. Die beiden jungen Leute gingen nicht in die obere Stadt, wo Courtin den Versteck vermuthete, sondern wandten sich der Loire zu.

Courtin beobachtete alle ihre Bewegungen mit großer Besorgniß; aber bald vermuthete er, Mary habe in diesem Stadttheile Geschäfte, und Michel begleite sie. Seine Unruhe wurde indeß größer, als die beiden jungen Leute in das Gasthaus »Zum Tagesanbruch« gingen.

Er konnte sich nun nicht mehr halten. Er eilte dem jungen Baron nach.

»Was gibt’s denn?« fragte Courtin.

»Weiter nichts, als daß ich der glücklichste Mensch auf der Welt bin,« antwortete der junge Baron.

»Wie so?«

»Geschwind – geschwind, hilf mir zwei Pferde satteln!«

»Wie, zwei Pferde?«

 

»Ja.«

»Führen Sie denn das Fräulein nicht nach Hause?«

»Nein, Courtin, ich gehe mit ihr fort.«

»Wohin denn?«

»Nach La Banlœuvre, wo wir uns über die Mittel zu unserer gemeinsamen Flucht berathen wollen.«

»Und Fräulein Mary verläßt —«

Courtin stockte; er sah ein, daß er zu weit ging.

Aber Michel war zu glücklich, um mißtrauisch zu seyn.

»Fräulein Mary verläßt Niemanden, lieber Courtin; wir schicken Bertha an ihre Stelle. Ich kann ihr doch nicht sagen, daß ich sie nicht liebe.«

»Wer soll"s ihr denn sagen?«

»Kümmere Dich nicht darum, Courtin. Jemand hat sich dazu erboten. Geschwind, wir wollen zwei Pferde satteln!«

»Haben Sie denn Pferde hier?«

»Nein, ich selbst habe keine Pferde hier. Aber es stehen hier Pferde bereit für Personen, welche, wie wir, im Interesse der Sache reisen müssen.«

Michel schob Courtin in den Pferdestall.

Zwei Pferde, welche sich den Hafer wohlschmecken ließen, schienen für die beiden, jungen Leute bereit zu stehen.

Als Michel eben das eine der beiden Pferde sattelte, kam der Wirth mit Mary.

»Ich komme aus dem Süden und gehe nach Rosny,« sagte Michel zu ihm.

Courtin hörte das Losungswort, kannte aber dessen Bedeutung nicht.

»Es ist gut,« antwortete der Wirth, seine Zustimmung durch Kopfnicken zu erkennen gebend.

Da Courtin mit seiner Arbeit noch zurück war, so half ihm der Wirth.

»Aber warum gehen Sie denn nach Banlœuvre und nicht nach La Logerie?« fragte Courtin, der noch einen Versuch machen wollte. »Sie haben’s doch gewiß nicht schlecht gehabt in der Meierei?«

Michel sah Mary fragend an.

»O nein! nein!« sagte Mary, »nicht nach La Logerie! Bedenken Sie doch, lieber Freund, daß Bertha dorthin kommen wird, um etwas über Sie zu erfahren, und ich will sie nicht sehen, ehe die bewußte Person mit ihr gesprochen. Es ist mir, als ob ich ihren Anblick nicht ertragen könnte.«

Als der Name Bertha zum zweiten Male genannt wurde, hob Courtin den Kopf wie ein Pferd, das die Trompete hört.

»Ja, Mademoiselle hat Recht,« sagte er, »gehen Sie nicht nach La Logerie.«

»Ich habe nur ein Bedenken, liebe Mary« sagte Michel, »wer soll unserer Schwester den Brief überbringen, der sie nach Nantes ruft?«

»Ein Bote ist ja leicht zu finden,« versetzte Courtin, »wenn Sie sonst Niemand haben, Herr Baron, so will ich den Brief besorgen.«

Michel zögerte; er fürchtete, wie Mary, Zeuge zu seyn von den ersten Ausbrüchen der leidenschaftlichen Gefühle Bertha’s. Aber Mary nickte ihm zu.

»Also nach Banlœuvre!« sagte Michel und übergab dem Maire den Brief. »Wenn Du uns etwas zu sagen hast, Courtin, so weißt Du uns zu finden.«

»Ach, arme Bertha!« sagte Mary, ihr Pferd besteigend, »nie werde ich mich über mein Glück trösten!«

Michel bestieg nun ebenfalls sein Pferd. Beide winkten dem Wirth ein freundliches Lebewohl zu; Michel empfahl dem Maire noch einmal die Besorgung des Briefes, und Beide ritten in raschem Trabe davon.

Am Ende der Rousseaubrücke hätten sie beinahe einen Mann überritten, der ungeachtet der warmen Jahreszeit in einen Mantel gehüllt war und sein Gesicht bedeckte.

Diese düstere Erscheinung erschreckte den jungen Baron, der sein Pferd antrieb und Mary ebenfalls zur Eile mahnte.

In einiger Entfernung sah sich Michel um. Der Mann stand still und schaute ihnen nach.

»Er beobachtet uns,« sagte Michel, der eine Gefahr ahnte.

Der Mann verlor sie aus dem Gesicht und ging der Stadt zu.

Vor dem Gasthause stand er still und bemerkte einen Mann, der im Hofe bei dem Licht der Laterne einen Brief las.

Er trat näher. Der Briefleser sah sich um.

»Sie sind’s?« sagte Courtin. »Wahrhaftig, Sie wären beinahe zu früh gekommen! Sie hätten mich in einer Gesellschaft gefunden, die Ihnen nicht behagt haben würde.«

»Wer sind denn die beiden jungen Leute, die mich an der Brücke beinahe überritten hätten?«

»Es ist eben die Gesellschaft, in der ich war.«

»Nun, was gibt’s Neues?«

»Gutes und Schlechtes, aber doch mehr Gutes als Schlechtes.«

»Ist’s diesen Abend?«

»Nein, noch nicht. Es ist aufgeschoben.«

»Vereitelt, wollt Ihr sagen, ungeschickter Mensch!«

Courtin lächelte.

»Es ist wahr,« sagte er, »seit gestern habe ich Unglück. Aber Eile mit Weile. Ich habe heute zwar noch nichts erreicht, aber ich möchte den heutigen Tag doch nicht für zwanzigtausend Livres geben.«

»So! seyd Ihr eurer Sache gewiß?«

»Ja, ich habe schon etwas, was uns von großem Nutzen seyn kann,« erwiderte Courtin, auf den eben erbrochenen Brief zeigend.

»Ein Billet?«

»Ja, ein Billet.«

»Was steht darin?« sagte der Mann im Mantel und streckte die Hand aus, um das Billet zu nehmen.

»Nicht doch, wir lesen es mit einander. Aber ich behalte es, denn ich habe es abzugeben.«

»Laßt sehen,« sagte der Mann.

Beide traten an die Laterne und lasen:

»Kommen Sie so geschwind als möglich zu mir. Das Losungswort kennen Sie.

»Ihr wohlgeneigter
Petit-Pierre.«

»An wen ist der Brief?«

»An das Fräulein Bertha von Souday.

»Der Name steht weder aus dem Umschlage noch im Briefe.«

»Weil ein Brief verloren gehen kann.«

»Ihr habt Recht. Ihr seyd also beauftragt, diesen Brief abzugeben?«

»Ja.«

Der Mann warf noch einen Blick auf den Brief.

»Es ist wirklich ihre Handschrift,« sagte er. »Ach, wenn ich bei Euch geblieben wäre, so hätten wir sie jetzt!«

»Was liegt Ihnen daran, wenn sie Ihnen ausgeliefert wird?«

»Ihr habt Recht. Wann sehe ich Euch wieder?«

»Uebermorgen zu St. Philibert; es ist die Hälfte von Nantes nach meinem Wohnorte.«

»Dieses Mal bemühe ich mich aber nicht umsonst.«

»Ich verspreche es Ihnen.«

»Ich erwarte, daß Ihr Wort haltet. Seht, das Geld ist bereit.«

Der Mann öffnete seine Brieftasche und zeigte seinem Helfershelfer ein Päckchen Banknoten, welches wohl hunderttausend Francs enthalten mochte.

»O, Papier! sagte Courtin.

»Ja wohl, Papier, aber es steht der Name  G a r a t  darauf und die Unterschrift ist gut.«

»Mag seyn,« erwiderte Courtin, »aber Gold ist mir lieber.«

»Nun, Ihr sollt in Gold bezahlt werden,« tröstete der Mann im Mantel, indem er die Brieftasche wieder einsteckte und den Mantel fest zusammenzog.

Wenn die Beiden nicht so sehr in ihr Gespräch vertieft gewesen wären, so würden sie bemerkt haben, daß ein Bauer, der mit Hilfe eines Karrens auf die Mauer geklettert war, sie seit einigen Minuten belauschte und die Banknoten mit lüsternem Blick ansah, als ob er sagen wollte, daß er an Courtin’s Stelle nicht so wählig seyn und sich mit der Unterschrift »Garat« gern begnügen würde.

»Also übermorgen in St. Philibert,« wiederholte der Mann im Mantel.

»Ja, übermorgen.«

»Zu welcher Stunde?«

»Gegen Abend.«

»Nehmen wir sieben Uhr. Wer zuerst kommt, erwartet den Anderen.«

»Und Sie bringen das Geld mit?«

»Ja, und zwar Gold. Ihr hofft also, daß wir das Geschäft übermorgen abschließen werden?«

»Warum nicht? Wir wollen immer hoffen, es kostet ja nichts.«

»Uebermorgen um sieben Uhr in St. Philibert,« sagte der Bauer für sich und glitt von der Mauer auf die Straße hinab. »Wir werden uns einfinden.«

Dann setzte er grinsend hinzu:

»Wenn man gebrandmarkt ist, muß man sein Brandmal auch verdienen.«