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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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XIV.
Die Bonaimer Heide

Während Bertha sich bemühte, den jungen Baron seiner größentheils durch Erstickung verursachten Ohnmacht zu entreißen, kam Jean Oullier ebenfalls aus dem Kellerloch hervor. Courte-Joie, von Trigaud herausgezogen, folgte ihm.

»Wartet Ihr denn allein dort unten?« fragte Courte-Joie den alten Vendéer, als alle Drei oben waren.

»Ja,« antwortete Jean Oullier.

»Was ist denn aus den Anderen geworden?«

»Sie hatten sich unter die Treppe geflüchtet; die Decke stürzte ein, ehe sie uns einholen konnten.«

»Sie sind also todt?«

»Ich glaube nicht« denn eine Weile nach dem Abmarsch der Soldaten hörten wir sprechen und klopfen. Wir riefen, aber sie haben’s wahrscheinlich nicht gehört.«

»Dann ist’s ein großes Glück, daß wir gekommen sind.«

»Ja wohl, denn ohne eure Hilfe hätten wir die Mauer nicht durchbrechen können, zumal, da der junge Baron nicht zugreifen konnte. Ach! das war ein Stück Arbeit!« sagte Jean Oullier, und warf einen Blick auf Bertha, die den Oberkörper Michel’s auf ihren Schooß genommen und zu ihrer Freude bemerkte, dass der Geliebte die Augen wieder aufschlug.

»Und sie ist noch nicht zu Ende,« sagte Courte-Joie, der nicht wissen konnte, was der alte Vendéer damit meinte, und mit Besorgniß das Erscheinen der Morgenröthe betrachtete.

»Was willst Du damit sagen?« fragte Jean Oullier.

»Ich will damit sagen, daß uns noch zwei Stunden Nacht sehr willkommen gewesen wären; ein Verwundeter, ein Krüppel und ein Frauenzimmer sind auf einem Rückzuge nicht leicht zu manövriren, und überdies werden die gestrigen Sieger heute auf allen Straßen zu finden seyn.«

»Ja wohl, aber ich fühle mich wieder wohl, seitdem ich das brennende Gebäude nicht mehr über meinem Kopfe habe.«

»Du bist erst halb gerettet, armer Jean.«

»Wir wollen unsere Vorkehrungen treffen.«

Jean Oullier durchsuchte nun die Patronentaschen der Todten, nahm alle Patronen heraus, lud sein Gewehr mit derselben Ruhe, als ob er aus die Jagd gehen wollte, und trat auf Bertha und Michel zu.

»Können Sie gehen?« fragte er den jungen Baron, der die Augen wieder geschlossen hatte.

Michel antwortete nicht. Er hatte sich abgewandt, um Bertha nicht anzusehen, denn er erkannte sogleich das Mißliche seiner Lage.

»Können Sie gehen?« wiederholte Bertha, so daß Michel nicht mehr zweifeln konnte, daß die Frage an ihn gerichtet war.

»Ich glaube, ja,« antwortete er.

Seine Wunde war keineswegs gefährlich, eine Kugel hatte ihm den Arm gestreift, ohne den Knochen zu verletzen.

Bertha hatte die Wunde untersucht und seinen Arm in eine aus seinem seidenen Halstuch gemachte Schlinge gelegt.

»Wenn Sie nicht gehen können,« sagte Jean Oullier, »so will ich Sie tragen.«

Der alte Vendéer gab dadurch einen neuen Beweis von seiner Sinnesänderung gegen den jungen La Logerie. Bertha trat auf ihn zu.

»Jean,« sagte sie, »Ihr müßt mir sagen, warum Ihr meinen Verlobten —« sie betonte dieses Wort, »mitgenommen habt. Er hat seinen Posten verlassen, und trotz den Gefahren, die er bestanden, ist er durch seine Abwesenheit in schmählichen Verdacht gekommen.«

»Wenn der Ruf des Herrn von La Logerie durch meine Schuld gelitten hat,« erwiderte Jean Oullier, »so werde ich ihn wieder herstellen.«

»Ihr?« sagte Bertha sehr erstaunt.

»Ja,« antwortete Jean Oullier, »denn ich werde erzählen, wie der junge Mann sich tapfer gehalten hat.«

»Das wollt Ihr wirklich thun?« fragte Bertha.

»Allerdings,« erwiderte der alte Vendéer; und wenn mein Zeugniß nicht genügt, so werde ich mich auf alle Die berufen, an deren Seite er gekämpft hat. Denn jetzt liegt mir daran, daß sein Name geachtet werde.«

»Was höre ich! Du sprichst so, Jean Oullier?«

Der alte Vendéer nickte.

»Du wolltest mich ja, wie Du sagtest, lieber todt sehen, denn als Trägerin dieses Namens —«

»Ja, so können sich die Dinge ändern, Fräulein Bertha; jetzt ist es mein sehnlicher Wunsch, den jungen Baron als Schwiegersohn meines Herrn zu sehen.«

Jean Oullier sagte dies so tief bewegt, und sah Bertha dabei so traurig an, daß ihr ganz bange zu Muthe ward. Sie dachte an Mary.

Sie wollte den alten Vendéer noch mehr ausfragen, aber der frische Morgenwind trug Hörnerklänge und Trommelwirbel von Clisson herüber.

»Courte-Joie hatte Recht,« sagte Jean Oullier, »die Erklärung, die Sie von mir verlangen, Bertha, will ich Ihnen geben, sobald es die Umstände erlauben, für jetzt müssen wir auf unsere Sicherheit bedacht seyn. – Fort!« setzte er hinzu, nachdem er wieder gelauscht hatte. »Es ist kein Augenblick zu verlieren.«

Er hob Michel auf und gab das Zeichen zur Flucht.

Courte-Joie saß schon wieder auf Trigaud’s Schultern.

»Wohin wenden wir uns?« fragte er.

»Wir müssen den entlegenen Meierhof bei St. Hilaire zu erreichen suchen,« antwortete Jean Oullier, der Michels wankenden Gang fühlte, »der Verwundete kann unmöglich die drei Stunden Weges bis Machecoul gehen.«

»Gut, nach St. Hilaire,« sagte Courte-Joie, seinen zweibeinigen Gaul antreibend.

Michel konnte in Folge seines Blutverlustes nur langsam gehen. Als die Flüchtlinge nur noch einige hundert Schritte von dem Meierhofe entfernt waren, zeigte Trigaud seinem Genossen mit Stolz eine Art Keule, die er unterwegs mit seinem Messer sorgfältig beschnitten und von den Zweigen befreit hatte. Es war ein wilder Apfelbaum vom ziemlicher Dicke, den der Bettler im Obstgarten von La Penissière erkoren hatte, um die im Treffen zu Duchesne zerbrochene Sense zu ersetzen.

Courte-Joie war wüthend; er theilte keineswegs die Befriedigung, mit der sein Gefährte den knotigen Stamm seiner neuen Waffe betastete.

»Der Teufel hole das dumme Vieh!« fluchte er.

»Was gibts denn?« fragte Jean Oullier, der Michel dem Schutze des Fräuleins von Souday überließ und rasch fortging, um Trigaud und Aubin einzuholen.

»Denkt Euch,« setzte Courte-Joie hinzu, »dieser Packesel hier führt die ganze Bande der Rothhosen auf unsere Spur! Verdammt, daß ich’s nicht früher gemerkt habe! Wenn er noch Brotkrumen ausgestreut hätte; aber auf dem ganzen Wege von La Penissière her hat er von seinem Apfelbaum die Blätter und kleinen Zweige abgeschnitten. Die Soldaten haben gewiß bemerkt, dass wir im Schutt gewühlt und können unsere Spur nun leicht verfolgen. O Du Esel!« schimpfte Courte-Joie zum Schluß.

Dabei schlug er den Bettler mit der Faust auf den Kopf; der Koloß aber schien diese harte Kopfnuß nicht mehr zu fühlen, als eine sanfte Liebkosung.

»Das ist fatal!« sagte Jean Oullier nachdenklich, »was ist zu thun? den Meierhof dürfen wir nicht betreten, man würde uns dort fangen, wie in einer Mausfalle.«

»Aber Herr von La Logerie kann durchaus nicht weiter gehen,« wandte Bertha ein, »seht nur wie blaß er ist.«

»Wir wollen uns rechts halten,« sagte Jean Oullier, »wir kommen dann auf die Bonaimer Heide. Dort können wir uns zwischen den Felsen verbergen. Um weniger Spuren zu hinterlassen und schneller fortzukommen, will ich Herrn von La Logerie auf meine Schultern nehmen. Wir wollen hinter einander in einer Reihe gehen; Trigauds Fußstapfen werden die Spuren der Beiden andern bedecken.«

Die Bonaimer Heide, zu welcher sich die Flüchtlinge wandten, liegt etwa eine Stunde Weges von dem Markflecken St. Hilaire. Man muß über die Maine setzen, um dahin zu gelangen. Diese sehr beträchtliche Fläche erstreckt sich im Norden bis Nemouille und Montbert; sie ist sehr zerklüftet und mit vielen Granitfelsen übersäet.

Zu einem der höchsten unter diesen Felsen führte Jean Oullier die kleine Karavane. Dieser Felsen war platt und ruhte auf vier großen Granitblöcken. Zehn bis zwölf Personen hätten darunter Schutz finden können.

Kaum hatte Michel diese Zufluchtsstätte erreicht, so sank er zusammen, und würde rücklings zu Boden gefallen seyn, wenn ihn Bertha nicht gehalten hätte. Sie bereitete ihm schnell ein Lager von Heidekraut, und trotz der Gefahr, in welcher die Flüchtlinge schwebten, schlief er sogleich ein.

Trigaud wurde auf den »Dolmen« – so hieß der Felsen – als Schildwache gestellt. Eine rohe Bildsäule auf einem rohen Piedestal erinnerte er durch seine riesige Gestalt an die Druiden, welche vor zweitausend Jahren diesen Altar errichtet hatten. Courte-Joie, der losgeschnallt war, ruhte an der Seite Michel’s. Bertha wollte durchaus bei dem Verwundeten wachen, trotz der körperlichen und geistigen Ermüdung, die den Ereignissen des gestrigen Tages und der vorigen Nacht gefolgt war. Jean Oullier entfernte sich, theils um auf Entdeckungen auszugehen, theils um Lebensmittel zu holen, deren die Flüchtlinge sehr bedürften.

Trigaud hatte sich seit etwa zwei Stunden auf der ihn umgebenden Heide umgeschaut und trotz der Aufmerksamkeit, mit welcher er lauschte, hörte er nur das eintönige Summen der Wespen und Bienen, die aus dem blühenden Heidekraut und Thymian ihre süße Leute holten; die Dünste, welche die Sonne aus der Erde zog, bedeckten die weite, öde Fläche mit röthlichen Tinten, die ringsum herrschende Stille fing an den Herkules auf dem Piedestal in eine Siesta zu wiegen, an welcher die Verdauungsthätigkeit gar keinen Antheil hatte – da fiel plötzlich ein Schuß und entriß ihn dem Halbschlummer, in den er versunken war.

Trigaud bemerkte in der Richtung von St. Hilaire eine kleine weiße Wolke, die von dem Schuß herrührte. Gleich darauf sah er einen aus Leibeskräften fliehenden Mann, der auf den Dolmen zu laufen schien.

Mit einem Sprunge war er von der Felsenplatte hinunter. Bertha, die nicht eingeschlafen war, hatte Courte-Joie schon geweckt.

Trigaud nahm den Krüppel auf den Arm, hob ihn hoch auf, so daß er eine Höhe von zehn Fuß erreichte, und nannte nur den Namen »Jean Oullier«, der auch keiner weiteren Erklärung bedurfte.

Courte-Joie hielt die Hand über die Augen und erkannte nun ebenfalls den alten Vendéer; er bemerkte indeß, daß Jean Oullier nicht gerade auf den Felsen, wo er erwartet würde, sondern seitwärts gegen Montbert zu lief.

 

Ueberdies lief der Vendéer gerade auf einem die Heide durchziehenden Höhenrücken fort, so daß er von seinen Verfolgern aus weiter Ferne gesehen werden konnte.

Jean Oullier war zu erfahren, um leichtsinnig zu handeln: er mußte eine Ursache haben, jenen Weg zu nehmen. Er hatte berechnet, daß er so die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich allein lenken und von der wahrscheinlich verfolgten Spur hinweglocken würde.

Courte-Joie hielt es daher für gerathen in dem Versteck zu bleiben und aufmerksam zu beobachten, was vorgehen würde.

In allen Fällen, wo die Schärfe der Sinne nicht ausreichte und der Verstand gebraucht werden mußte, schenkte Courte-Joie seinem Genossen kein Vertrauen mehr. Er ließ sich auf den Dolmen heben, aber wie klein und winzig seine Figur auch war, so hielt er es doch nicht für gerathen, auf der Felsenplatte aufrecht zu stehen. Er legte sich platt nieder, mit dem Gesicht gegen den Höhenrücken gewandt, auf welchem Jean Oullier sich entfernte.

Bald erschien an der Stelle, wo der Letztere zum Vorschein gekommen war, ein Soldat, dann noch einer, dann ein dritter.

Er zählte nach und nach zwanzig.

Die Soldaten schienen den Flüchtling nicht verfolgen zu wollen: sie vertheilten sich nur auf der Heide, um ihm für den Fall, daß er umzukehren suchte, den Rückzug abzuschneiden.

Diese zweideutige Taktik machte Courte-Joie noch aufmerksamer; denn er vermuthete daß die von dem Felsen aus sichtbaren Soldaten nicht die einzigen waren, die den Vendéer verfolgten.

Der Höhenrücken endigte sich einige tausend Schritte von der Stelle, wo sich Jean Oullier eben jetzt befand, in einer Felsenspitze, die einen Morast überragte. Auf diesen Punkt schien der Krüppel seine ganze Aufmerksamkeit zu richten.

»Hm!« grunzte Trigaud plötzlich.

»Was gibt’s?« fragte Courte-Joie.

»Rothosen,« antwortete der Bettler, indem er mit dem Finger auf eine Stelle des Morastes zeigte.

Courte-Joie schaute in der angedeuteten Richtung und sah mitten im Schilf einen Gewehrlauf glänzen; dann kam ein Soldat zum Vorschein, und wie vorher auf der Heide, folgten ihm etwa zwanzig Cameraden.

Courte-Joie sah, daß sie sich, wie Jäger auf dem Anstande, im Schilf versteckten. Das Wild, dem sie nachstellten, war Jean Oullier.

Wenn der alte Vendéer den Felsabhang hinunterstieg, so mußte er unfehlbar in den ihm gestellten Hinterhalt fallen. Es war keine Minute zu verlieren, ihn zu warnen.

Courte-Joie nahm seine Flinte und schoß sie ab, wobei er jedoch die Vorsicht brauchte, die Mündung des Laufes in das Heidekraut hinter dem Dolmen zu halten. Dann schaute er wieder aufmerksam nach dem Höhenrücken hinüber.

Jean Oullier hatte den Signalschuß gehört und den Knall der kleinen Doppelflinte erkannt. Er täuschte sich keinen Augenblick über die Gründe, die seinen Freund zwangen, das Incognito, welches er ihnen mit so großer Mühe bewahrte, aufzugeben. Er machte rasch eine Wendung, und statt auf den Felsenabhang und den Morast zuzugehen, eilte er die Höhe herunter: wahrscheinlich hatte er einen Plan erdacht, den er in Ausführung bringen wollte.

Er lief so schnell, daß er in einigen Minuten bei seinen Freunden seyn konnte.

Aber wie vorsichtig auch Courte-Joie gewesen war, um den Pulverrauch den Blicken der Soldaten zu entziehen, so hatten diese doch die Richtung des Schusses genau erkannt, und die aus der Heide vereinigten sich hinter Jean Oullier mit denen aus dem Morast, um sich zu berathen und Befehle zu erwarten.

Courte-Joie sah sich um, beobachtete jeden Punkt des Horizontes, hob einen mit Speichel befeuchteten Finger in die Höhe, um zu ermitteln, von welcher Seite der Wind kam. Der Wind kam von den Soldaten her. Aubin betastete nun sorgfältig das Heidekraut, um sich zu überzeugen, ob es in der heißen Sonne gehörig getrocknet sey.

»Was macht Ihr da? fragte Bertha, die ebenfalls scharf beobachtet hatte und die dringende Gefahr wohl er- konnte.

»Was ich mache,« antwortete der Krüppel, »oder vielmehr was ich machen will, mein liebes Fräulein? Ich will ein Johannisfeuer anzünden, und Sie werden sich diesen Abend, wenn Sie, wie ich hoffe, in Sicherheit sind, rühmen können, selten ein solches gesehen zu haben.«

Er reichte dem Bettler nun einige Stückchen brennenden Zunders, welche dieser in rasch ausgerauftes trockenes Gras steckte. Ein Grasbündel war durch den kräftigen Athem des Kolosses bald in Brand geblasen; die übrigen wurden ebenfalls angezündet und in Entfernungen von je zehn Schritten auf einer hundert Schritte langen Strecke im Heidekraut vertheilt.

Als Trigaud eben das letzte brennende Bündel legte, kam Jean Oullier zum Dolmen.

»Auf!« rief der alte Vendéer schon von weitem, »ich habe keine zehn Minuten Vorsprung.«

»Das glaube ich wohl; aber das Feuer, das bald auflodern wird, gibt uns mindestens zwanzig Minuten Vorsprung, antwortete Courte-Joie, indem er auf ein Dutzend Rauchsäulen zeigte, die aus den knatternden Stechginster- und Heidebüschen aufstiegen.

»Das Feuer wird sich nicht schnell genug ausbreiten, und vielleicht nicht stark genug seyn« sagte Jean Oullier. »Ueberdies,« setzte er in die Luft schauend hinzu, »wird der Wind die Flammen in der Richtung treiben, die wir nehmen.«

»Ja wohl, Jean,« erwiderte Courte-Joie frohlockend, »aber mit den Flammen wird der Wind uns auch den Rauch nachtreiben. Und darauf zähle ich. Der Rauch wird ihnen verbergen, wie viel wir sind und wohin wir uns wenden.«

»Ach, Courte-Joie,« sagte Jean Oullier für sich, »wenn Du Füße hättest, Du wärest ein capitaler Wilddieb geworden!«

Und ohne noch ein Wort zu sagen, hob er Michel auf seine Schultern, obgleich der Verwundete behauptete, er sey stark genug zu gehen und dem Vendéer keine überflüssige Last aufbürden wollte.

Dann eilte er dem Bettler nach, der den Krüppel bereits auf seinen Schultern fortschleppte.

»Nimm das Fräulein bei der Hand, Jean,« rief Courte-Joie dem Vendéer zu; sie halte die andere Hand auf die Augen und ziehe recht viel Luft in die Lunge ein, denn in zehn Minuten werden wir weder gut sehen noch frei athmen.«

Diese von Aubin gesetzte kurze Frist war noch nicht verstrichen, so hatten sich die einzelnen Rauchsäulen zu einer etwa dreihundert Schritte breiten brennenden Fläche vereinigt, während die rasch fortkriechenden Flammen hinter ihnen prasselten.

»Siehst Du genug, um uns zu führen?« fragte Jean Oullier den Krüppel, »denn die Hauptsache ist, daß wir keinen falschen Weg nehmen und uns nicht trennen.«

»Wir haben keinen andern Führer als den Ranch; wenn wir ihm folgen, kommen wir in Sicherheit. Ihr müßt nur Trigaud nicht aus den Augen lassen.«

»Vorwärts! « mahnte Jean Oullier, denn er kannte den Werth der Zeit und faßte sich kurz.

Er schritt rüstig fort, denn er schien den Verwundeten eben so leicht zu tragen, wie Trigaud den Krüppel trug.

So ging’s eine Viertelstunde, ohne daß die Flüchtlinge aus den Rauchwolken kamen, die ihnen der mit staunenswerther Schnelligkeit sich ausbreitende Heidebrand nachschickte.

Nur von Zeit zu Zeit fragte Jean Oullier die halb erstickte Bertha: »Können Sie noch athmen?«

Sie antwortete dann mit einem kaum hörbaren »Ja.«

Um Michel kümmerte er sich gar nicht; wenn er selbst glücklich entkam, war ja auch der Verwundete gerettet.

Plötzlich trat Trigaud, der von Courte-Joie gelenkt, gar nicht auf den Weg achtete, einen Schritt zurück. Er hatte in ein tiefes Wasser getreten, das er in dem dichten Rauch nicht sehen konnte. Das Wasser hatte ihm bis ans Knie gereicht.

Courte-Joie sagte frohlockend:

»Da sind wir! Der Rauch hat uns so sicher hierher geführt, wie der beste Jagdhund. – Du verstehst mich doch, Jean?«

»Ja wohl, aber wie sollen wir zu der Insel hinüber kommen?«

»Wir haben ja Trigaud bei uns.«

»Aber werden die Soldaten, wenn sie uns nicht finden, die List nicht merken?«

»Ja wohl, wenn sie uns nicht fänden; aber sie werden uns finden.«

»Erkläre Dich deutlicher«

»Sie wissen nicht, wie viel wir sind; wir bringen das Fräulein und unsern Verwundeten in Sicherheit. Dann thun wir, als ob wir den rechten Weg verfehlt hätten und gegen unsern Willen an den Teich gekommen wären; und wir Drei, Du, Trigaud, und ich, beweisen durch einige Schüsse, daß sie uns vorhin gesehen. Wir flüchten uns dann in den Genethonwald; in der Nacht können wir dann leicht herauskommen, das Fräulein und den Verwundeten zu holen.«

»Aber die, armen jungen Leute haben keine Lebensmittel —«

»Bah!« erwiderte Courte-Joie, »man stirbt nicht, wenn man vierundzwanzig Stunden fastet.«

»Gut, es sey,« sagte der alte Vendéer etwas beschämt, »die gestrige Nacht muß mir das Gehirn aus dem Gleichgewichte gebracht haben, ich würde sonst auch daran gedacht haben.«

»Setzt Euch keiner fruchtlosen Gefahr aus,« sagte Bertha, die sich im Grunde freute, mit dem Geliebten allein seyn zu können.

»Fürchten Sie nichts,« antwortete Jean Oullier.

Trigaud nahm sogleich den jungen Baron auf den Arm, ohne den Krüppel abzusetzen, denn er würde zu viel Zeit damit verloren haben, und ging ins Wasser.

So ging er fort, bis ihm das Wasser an den Leib reichte und da es noch tiefer wurde, hob er den Verwundeten hoch empor, so daß Michel nöthigenfalls von Courte-Joie im Gleichgewicht gehalten wurde.

Aber das Wasser ging dem Koloß nur bis an die Brust; er kam glücklich an eine etwa zwölf Quadratfuß große Insel, die auf dem Wasserspiegel des Teiches wie ein großes Entennest aussah.

Die kleine Insel war ganz mit Rohr bewachsen.

Trigaud setzte Michel ab und holte Bertha, die er ebenfalls im Rohr niedersetzte.

»Legen Sie sich mitten im Rohr nieder!« rief Jean Oullier den beiden jungen Leuten vom Ufer zu, »richten Sie das niedergetretene Rohr wieder auf und ich verspreche Ihnen, dass man Sie hier nicht suchen wird.«

»Gut,« antwortete Bertha. »Jetzt sorgt nur für eure Sicherheit Freunde!«

XV.
Wo das Haus Aubin Courte-Joie und Comp. die von der Gesellschaftsfirma übernommenen Verbindlichkeiten erfüllt

Es war Zeit, daß die drei Chouans mit ihren Geschäften am Ufer des Teiches zu Ende waren; die Flammen eilten ihnen, vom Winde getrieben, mit staunenswerther Schnelligkeit nach, wie goldfarbene Vögel über die blühenden Spitzen des Heidekrautes und der Stechginster hinwegeilend, als ob sie erst die dünnen Stengel verzehren wollten, bevor sie bis zu den Wurzeln drangen. Der Heidebrand verbreitete sich auf allen Seiten um die Flüchtlinge, der Rauch wurde immer dicker, das Flammenmeer brauste wie der Ocean, dessen Brandung an die nicht sehr ferne Küste schlug.

Aber Jean Oullier und Trigaud liefen noch schneller als der Heidebrand, und sie waren bald außer dem Bereich der Flammen.

Sie wandten sich links und kamen an einen Punkt des weiten Thalgrundes, wo sie ziemlich frei waren von den dichten Wolken, welche glücklicherweise ihre Anzahl, die Richtung ihrer Flucht und die Kriegslist, welche Michel und Bertha in Sicherheit gebracht, den Blicken ihrer Verfolger entzogen hatten.

»Jetzt müssen wir kriechen,« sagte Jean Oullier, »die Soldaten dürfen uns nicht sehen, ehe wir wissen, was sie thun und wohin sie sich wenden.«

Der Koloß bückte sich, um auf allen Vieren weiter zu kriechen. Es war ein Glück für ihn, denn kaum hatten seine Hände die Erde berührt, so pfiff eine Kugel über ihm hinweg: er wäre ohne diese Vorsicht in die Brust getroffen wurden.

»Diable!« sagte Courte-Joie, »Du hast da einen guten Rath gegeben, Jean!»

»Sie haben unsere List gemerkt,» sagte Jean Oullier, »sie umzingeln uns – von dieser Seite wenigstens.«

Man bemerkte wirklich eine Reihe von Soldaten, die etwa hundert Schritte von einander, von dem Dolmenfelsen her, wie Schützen in einem Treibjagen aufgestellt, das Wiedererscheinen der Vendéer erwarteten.

»Brechen wir durch?« fragte Courte-Joie.

»Es ist meine Meinung,« sagte Jean Oullier, »aber warte – ich will eine Lücke machen.«

Der Vendéer schlug, ohne sich aufzurichten sein Gewehr an und feuerte auf den Soldaten, der seine Muskete wieder lud.

Der Soldat, in die Brust getroffen, taumelte und fiel zu Boden.

Jean Oullier schlug nun auf den nächsten an und schoß ihn ebenfalls nieder.

»Bravo, Jean!« rief ihm Aubin zu. »Ein famoser Doppelschuß!«

»Jetzt vorwärts!« gebot Jean Oullier, indem er mit der Behendigkeit eines Panthers aufsprang, »wir wollen uns etwas zerstreuen, um den Kugeln, die uns nachgeschickt werden, kein zu großes Ziel zu bieten.«

 

Der Vendéer hatte Recht.

Die drei Freunde hatten sich kaum zehn Schritte entfernt so fielen sechs bis acht Schüsse, und eine Kugel riß von Trigaud’s Keule einen Splitter ab.

Zum Glück für die Flüchtlinge hatten die herbeieilenden Soldaten mit unsicherer, von dem raschen Laufe zitternder Hand geschossen; aber sie versperrten ihnen doch den Weg und schwerlich konnten Jean Oullier und seine beiden Genossen die Reihe durchbrechen, ohne einen Kampf zu bestehen.

Jean Oullier wandte sich etwas seitwärts. Als er eben eine kleine Schlucht betreten wollte, sah er oben am Rande derselben einen Czako, und ein Soldat erwartete ihn mit gefälltem Bajonnet.

Der Vendéer hatte nicht Zeit gehabt, sein Gewehr wieder zu laden; aber er berechnete, daß sein Gegner, der ihm nur das Bajonnet vorhielt, wahrscheinlich in derselben Lage sey. Er zog sein Messer, nahm es zwischen die Zähne und lief auf den Hohlweg zu.

Einige Schritte von dem Soldaten stand er still und schlug sein Gewehr auf den Soldaten an.

Was er erwartet hatte, traf ein. Der Soldat hielt das Gewehr für geladen und warf sich auf die Erde. Jean Oullier nahm nun schnell einen Anlauf, sprang über den Soldaten hinweg und lief durch den Hohlweg.

Trigaud war nicht minder glücklich; eine Kugel streifte ihm zwar die Schulter und riß noch einen Fetzen mehr in seine zerlumpten Kleider, aber er überschritt doch mit seinem Kameraden Courte-Joie ohne weiteres Hindernis die Linie.

Die beiden Flüchtlinge – Trigaud ist nur als Lastthier anzusehen – eilten nun auf einen und denselben Punkt zu, so daß sie in fünf Minuten mit einander sprechen konnten.

»Es geht gut,« rief Jean Oullier dem Krüppel zu.

»Geht gut!« antwortete Courte-Joie, »wenn wir von den Kugeln der Rothhosen nicht zerschossen werden, so sehen wir in zwanzig Minuten die Felder und sobald wir hinter der ersten Hecke sind, holen sie uns, nicht mehr ein. Es war ein schlechter Gedanke, Jean, uns auf die Heide zu flüchten.«

»Nun, wir sind ja bald geborgen und die beiden jungen Leute sind in ihrem Versteck mehr in Sicherheit als in dem dichtesten Walde. Du bist doch nicht verwundet?«

»Nein. Aber Du, Trigaud, scheinst etwas zu zucken.«

Der Riese zeigte die schadhafte Stelle an seiner Keule; diese Beschädigung seiner mit so großer Sorgfalt zugestutzten Waffe schien ihn weit mehr zu kümmern, als der Streifschuß an der Schulter.

»Ah! da sind die Felder!« frohlockte Courte-Joie.

Die Flüchtlinge bemerkten wirklich in einer Entfernung von etwa tausend Schritten das schon halbreife Getreide, welches zwischen den grünen Hecken wogte.

»Wir könnten uns wohl ein bisschen ausruhen,« sagte Courte-Joie der zu bemerken glaubte, daß Trigaud müde wurde.

»Ja wohl,« erwiderte Jean Oullier, »ich will geschwind mein Gewehr wieder laden; Du kannst Dich unterdessen umsehen.«

Jean Oullier lud seine Büchse und Courte-Joie sah sich nach allen Seiten um.

»O! mille tonnerres!« rief der Krüppel, als der alte Vendéer eben die zweite Kugel in den Lauf geschoben hatte.

»Was gibt’s denn?« fragte Jean Oullier sich umsehend.

»Vorwärts, vorwärts! Ich sehe noch nichts, aber ich höre ein Geräusch, das nichts Gutes verkündet.«

»O weh!« sagte Jean Oullier, »man schickt uns Cavallerie nach. Geschwind, Du Faulthier!« rief er dem Bettler zu.

Trigaud fing an zu schnauben, wie ein Stier, theils um dem Vendéer zu antworten, theils um seine Lunge zu erleichtern, und schritt über einen im Wege liegenden großen Stein hinweg.

Ein Schmerzensruf Oulliers hielt ihn in seinem schnellen Laufe auf.

»Was fehlt Dir denn?« fragte Courte-Joie den alten Vendéer, der sich auf seinen Gewehrlauf stützte und ein Bein aufhob.

»Nichts, nichts,« sagte Jean Oullier, »kümmert Euch nicht um mich.«

Dann versuchte er weiter zu gehen, aber er konnte nicht, er stöhnte laut und mußte sich niedersetzen.

»Ohne Dich gehen wir nicht weiter,« sagte Courte-Joie. »Sage doch, was fehlt Dir?«

»Nichts, sage ich Dir.«

»Bist Du verwundet?«

»Ach, wenn doch der Knocheneinrichter von Montbert da wäre!« sagte Jean Oullier,

»Was sagst Du?« fragte Courte-Joie, der ihn nicht verstanden hatte.

»Ich habe in ein Loch getreten, und mir den Fuß ausgesetzt oder verrenkt – ich kann keinen Schritt weiter gehen.«

»Trigaud muß Dich auf eine Schulter und mich auf die andere nehmen.«

»Das geht nicht; Ihr werdet nicht bis an die Hecken kommen.«

»Aber wenn wir Dich zurücklassen, so machen sie Dich todt, armer Jean.«

»Das ist wohl möglich,« erwiderte der Vendéer, »aber ehe ich sterbe, werde ich mehr als Einem den Garaus machen. Sieh nur, dort kommt schon Einer.«

Ein junger Husarenoffizier, der besser beritten war als die Andern, erschien auf einer kleinen Anhöhe, etwa dreihundert Schritte von den Flüchtlingen.

Jean Oullier setzte den Gewehrkolben an die Schulter und schoß.

Der junge Offizier breitete die Arme aus und fiel rücklings vom Pferde.

Jean Oullier lud rasch sein Gewehr wieder.

»Du kannst also nicht gehen?« fragte Courte-Joie.

»Ich kann vielleicht zehn oder fünfzehn Schritte forthinken, aber was kann’s nützen?«

»Dann halt, Trigaud!«

»Ihr werdet doch nicht so toll seyn!« entgegnete Jean Oullier.

»Allerdings! Wo Du stirbst, Alter, sterben wir auch; aber wie Du sagst, werden wir zuvor Einige vom Pferde blasen.«

»Nein, nein, Courte-Joie! Ihr dürfet nicht bleiben, Ihr müßt für die beiden jungen Leute sorgen, die wir drüben zurückgelassen haben. Aber was machst Du denn, Trigaud?« fragte Jean Oullier, den Riesen betrachtend, der in eine Schlucht gegangen war und einen Granitblock aufhob.

»Zürne nicht,« sagte Courte-Joie, »er verliert seine Zeit nicht.«

»Hierher!« rief Trigaud und zeigte eine Vertiefung die das Wasser unter dem Stein gerissen und die er durch das Aufheben des letzteren entdeckt hatte.

»Wahrhaftig, er hat Recht! Heute ist er pfiffig wie ein Affe. – Hierher, Jean, schlüpfe geschwind hinein!« Jean Oullier schleppte sich bis zu den beiden Genossen und schlüpfte in die Höhle, in welcher ihm das Wasser bis an die Knie reichte. Dann wälzte Trigaud den Stein wieder an seinen Platz, doch so, daß der alte Vendéer hinlänglich Luft und Licht hatte.

Kaum war er damit fertig, so erschienen die Reiter auf der Anhöhe, und nachdem sie sich überzeugt hatten, daß der junge Offizier wirklich todt war, setzten sie den Flüchtlingen im raschen Galopp nach.

Es war indeß nicht alle Hoffnung verloren; Trigaud und Courte-Joie, die Einzigen, mit denen wir’s jetzt zu thun haben, waren kaum fünfzig Schritte von einer Hecke entfernt. Diese bot ihnen eine sichere Zuflucht, da die Infanteristen, sich auf die Reiter verlassend, die Verfolgung der Flüchtlinge aufgegeben zu haben schienen. Aber ein vortrefflich berittener Unteroffizier der Husaren verfolgte sie so nahe, daß Courte-Joie schon den heißen Athem des Pferdes an seiner Schultern fühlte.

Der Unteroffizier, der dieser Jagd ein Ende machen wollte, hob sich im Sattel und hieb mit dem Säbel so heftig auf den Krüppel ein, daß er ihn unfehlbar den Kopf gespaltet hätte, wenn sich das Pferd, das der Reiter nicht kurz genug im Zügel hielt, nicht links gewandt hätte, während Trigaud instincmäßig rechts auswich. Der Säbel verfehlte daher sein Ziel und streifte nur den Arm Aubin’s.

»Front gemacht!» rief Courte-Joie dem Bettler zu, als ob er ein Manöver commandirt hatte.

Trigaud drehte sich, als ob er Springfedern an den Füßen gehabt hätte.

Das vorbei jagende Pferd stieß ihn, aber ohne ihn aus dein Gleichgewichte zu bringen.

Aber in demselben Augenblicke schoß Aubin einen Lauf seiner Doppelflinte ab, und der Unteroffizier stürzte vom Pferde.

»Eins!» zählte Trigaud, den die drohende Gefahr ungewöhnlich redselig machte.

Inzwischen waren die andern Husaren näher gekommen. Die beiden Vendéer hörten mitten in dem Galoppe der Pferde, wie die Carabiner und Pistolen gespannt wurden. Aber sie hatten in zwei Secunden gesehen, welchen Vortheil sie aus den Ortsverhältnissen ziehen konnten.

Sie waren am Ende der Heide, einige Schritte von einem Kreuzweg welcher, wie alle Kreuzwege in der Vendéer und Bretagne, ein steinernes Kreuz hatte. Dieses konnte einen auf die Dauer freilich ungenügenden Schutz bieten. Rechts waren die ersten Hecken der Felder, aber zu diesen hatten ihnen drei oder vier Husaren den Weg abgeschnitten; vor ihnen floß die Maine, die den Flüchtigen auch keine Sicherheit bieten konnte, denn das jenseitige Ufer bestand aus senkrechten Felsen.