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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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XII.
Nach dem Kampf

Gaspard berief nun rasch seine Genossen zusammen, dankte ihnen für ihre Dienste, vertröstete sie auf bessere Zeiten und befahl ihnen, sich zu zerstreuen, um den verfolgenden Soldaten leichter zu entkommen. Dann begab er sich wieder zu Petit-Pierre, den er noch an derselben Stelle fand, umgeben von dem Marquis von Souday, Bertha und einigen Vendéern, die nicht an ihre eigene Sicherheit denken mochten, ehe sie ihn geborgen wußten.

»Nun, sind sie fort?« fragte Petit-Pierre, als er Gaspard allein zurückkommen sah.

»Ja, sie konnten nichts weiter thun.«

»Die armen Leute!« setzte Petit-Pierre hinzu. »Wie viel Elend steht ihnen bevor! Warum hat mir Gott den Trost versagt, sie an mein Herz zu drücken? Doch ich hätte nicht die Kraft dazu gehabt, sie haben Recht, mich zu verlassen. Es ist zu viel, zweimal im Leben mit dem Tode zu ringen; ich hoffte, daß die Tage von Cherbourg nie wiederkehren würden.

»Jetzt,« sagte Gaspard, »müssen wir auf Ihre Sicherheit bedacht seyn.«

»O, um mich kümmern Sie sich nicht,« erwiderte Petit-Pierre. »Ich bedauere nur, daß mich keine Kugel getroffen. Mein Tod würde Ihnen freilich nicht den Sieg errungen haben, ich weiß es wohl, aber der Kampf wäre doch wenigstens ruhmvoll; was bleibt uns dagegen heute übrig?«

»Wir müssen bessere Zeiten abwarten; Sie haben den Franzosen bewiesen, daß ein muthiges Herz in Ihrer Brust schlägt. Der Muth ist die erste Tugend, die sie von ihren Königen verlangen; sie werden es nicht vergessen, darauf können Sie sich verlassen.«

»Gott gebe es!« sagte Petit-Pierre aufstehend und sich auf Gaspard’s Arm stützend, der den Hügel hinab und querfeldein ging.

Die Truppen, welche das Land nicht kannten, sahen sich genöthigt, auf den gebahnten Wegen zu bleiben. Die kleine Schaar hatte also kein Zusammentreffen mit Streifwachen zu fürchten; insbesondere kam ihr die genaue Ortskenntniß Maître Jacques’ zu Statten, der sie auf einigen sehr wenig bekannten und fast unzugänglichen Pfaden bis in die Nähe der Jaquetmühle führte, ohne einer einzigen dreifarbigen Cocarde zu begegnen.

Unterwegs näherte sich Bertha ihrem Vater und fragte ihn, ob er Michel nicht im Kampfgewühl bemerkt. Aber der alte Edelmann, den der Ausgang des so mühevoll vorbereiteten und so schnell beendeten Aufstandes tief verstimmt hatte, antwortete ihr in sehr harten Ausdrücken, daß seit zwei Tagen Niemand wisse, was aus dem jungen La Logerie geworden; daß er sich wahrscheinlich gefürchtet und auf den zu erwerbenden Ruhm und auf die Verbindung, die der Preis dieses Ruhmes seyn sollte, schmählich verzichtet habe.

Diese Antwort machte Bertha sehr bestürzt. Es versteht sich, daß sie von den Muthmaßungen des Marquis sein Wort glaubte. Aber ihr Herz bebte bei dem einzigen, von ihr für wahrscheinlich gehaltenen Gedanken, daß Michel gefallen oder wenigstens schwer verwundet sey. Sie beschloß daher Erkundigungen einzuziehen, bis sie wissen würde, was aus ihrem Geliebten geworden.

Sie befragte alle Vendéer, die ihr begegneten. Keiner von ihnen hatte Michel gesehen, und Einige von ihnen, durch ihren alten Haß gegen den Vater getrieben, sprachen über den Sohn in eben so heftigen Ausdrücken, wie der Marquis von Souday.

Bertha war außer sich vor Schmerz. Sie hätte sich ohne einen klaren, handgreiflichen Beweis nicht zu dem Geständnis bewegen lassen, daß sie eine ihrer unwürdige Wahl getroffen, und obschon der Schein gegen Michel war, schöpfte sie aus ihrer glühenden, ungestümer gewordenen Liebe die Kraft, alle Anschuldigungen für Verleumdung zu erklären.

Vor wenigen Augenblicken war ihr Herz zerrissen, ihr Geist verwirrt durch den Gedanken, daß Michel im Kampfe den Tod gefunden – und jetzt war dieser ruhmvolle Tod eine Hoffnung, ein Trost für ihren Schmerz geworden. Sie wollte um jeden Preis die traurige Gewißheit haben: sie wollte nach Duchesne zurückkehren, auf dem Schlachtfeld den Geliebten suchen, wie Edith die Leiche Harolds gesucht, und wenn seine Ehre gerettet, wollte sie ihn an seinen Mördern rächen.

Während sie über die Mittel nachsann, welche sie anwenden könnte, um unter irgend einem Vorwande zurückzubleiben und umzukehren, wurde sie von Aubin Courte-Joie und Trigaud eingeholt. Sie athmete tief auf; wahrscheinlich wollte sie sich der beiden Nachzügler zur Erreichung ihres Zweckes bedienen.

»Meine braven Freunde,« sagte sie, »könnt Ihr mir nicht sagen, was aus Herrn von La Logerie geworden ist?«

»O ja wohl, mein liebes Fräulein,« antwortete Courte-Joie.

»Endlich!« sagte Bertha voll Erwartung. »Nicht wahr, er hat die Division nicht verlassen, wie man behauptet?«

»Doch, er hat sie verlassen,« erwiderte Courte-Joie.

»Wann denn?«

»Am Abend vor dem Treffen bei Maisdon.«

»O mein Gott, mein Gott!« jammerte Bertha. »Wißt Ihr es gewiß.?«

»Ja, ganz gewiß; ich habe gesehen, daß er bei dem Philippskreuz mit Jean Oullier zusammenkam, und wirsind sogar eine Stunde mit ihnen auf dem Wege nach Clisson gegangen.«

»Mit Jean Oullier!« erwiderte Bertha. »O, dann bin ich ruhig. Jean Oullier ist nicht davongelaufen, und wenn Michel bei ihm ist, so hat er nichts gethan, was der Ehre zuwider. – Aber was bedeutet diese plötzliche Annäherung Oullier’s?« dachte sie ganz betroffen, »warum ist er mit Jean Oullier und nicht mit meinem Vater gegangen? – Und Ihr saget,« fragte Bertha weiter, »Ihr saget, daß sie Beide in der Richtung von Clisson fortgegangen sind?«

»Ja, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen,« antwortete Aubin.

»Wisst Ihr, was in der Gegend von Clisson vorgegangen ist?«

»Es ist zu weit von uns, wir können noch nichts Näheres wissen,« erwiderte der Krüppel. »Aber ein Bursche von St. Lumine, der uns vorhin einholte, hatte uns erzählt, man höre seit zehn Uhr Morgens in der Richtung der Sèvre ein heftiges Gewehrfeuer.«

Bertha antwortete nicht, aber ihre Gedanken nahmen einen völligen Umschwung. Sie dachte, Jean Oullier habe Michel aus Haß einem fast sichern Tode entgegengeführt; sie sah im Geiste den jungen Baron verwundet sich selbst überlassen, hilflos auf einer öden Heide liegend; sie hörte seine um Hilfe rufende Stimme.

»Kennt Ihr Jemanden, der mich zu Jean Oullier führen könnte?« fragte sie den Krüppel.

»Heute?«

»Ja, auf der Stelle.«

»Die Straßen sind mit Rothen besetzt,« wandte Courte-Joie ein.

»Wir gehen auf Nebenwegen.«

»Aber es wird bald Nacht.«

»Desto weniger haben wir von den Streifwachen zu fürchten. Verschafft mir einen Führer, ich gehe sonst allein.«

Die beiden Männer sahen einander an.

»Ich will Ihr Führer seyn,« sagte Aubin Courte-Joie, »ich bin ja Ihrer Familie vielen Dank schuldig, Fräulein Bertha; und überdies haben Sie mir heute einen Dienst erwiesen, den ich nicht vergessen habe: wären Sie nicht da gewesen, so hätte mich der Nationalgardist mit seinem Bajonnet aufgespießt.«

»Gut, bleibt zurück und erwartet mich auf diesem Kornfelde,« sagte Bertha, »in einer Viertelstunde bin ich bei Euch.«

Courte-Joie und Trigaud legten sich in’s Korn. Bertha, die rasch weiter ging, holte Petit-Pierre und die Vendéer ein, als sie eben in die Jaquetmühle gehen wollten.

Sie ging rasch in das Stübchen, das sie mit ihrer Schwester bewohnte, und vertauschte ihre Kleider gegen Bauerntracht. Als sie wieder herunterkam, fand sie Mary die bei den Verwundeten geblieben war, und ohne ihren Plan mitzutheilen, sagte sie nur, sie möge sich nicht ängstigen, wenn sie erst morgen wieder erschiene.

Dann eilte sie auf dem Wege, den sie gekommen war, zurück.

Wie zurückhaltend sie auch gegen Mary gewesen war, so hatte diese doch gemerkt, was in dem Gemüth ihrer Schwester vorging: sie wußte, daß Michel verschwunden war, und zweifelte nicht, daß Bertha sich so plötzlich entfernte, um ihn zu suchen.

Aber nach dem gestrigen Austritt getraute sich Mary nicht, ihre Schwester zu befragen. Ihre Angst wurde noch größer. Als sie gerufen wurde, um Petit-Pierre, der einen andern Zufluchtsort suchen wollte, zu begleiten, kniete sie nieder und betete inbrünstig, daß ihr Opfer nicht fruchtlos bleibe und daß Gott dem Verlobten ihrer Schwester das Leben und die Ehre erhalte.

XIII.
Was im Schlosse La Penissière blieb

Während die Vendéer zu Duchesne einen fruchtlosen, aber nicht unrühmlichen Kampf bestanden, fochten zweiundvierzig der Ihrigen im Schloßhof La Penissière mit einer Tapferkeit, welche von der Geschichte mit Recht gerühmt wird.

Diese zweiundvierzig Royalisten, welche zu der Division Clisson gehörten, hatten jene Stadt verlassen, um nach dem Marktflecken Cujon zu marschiren und die dortige Nationalgarde zu entwaffnen. Ein furchtbares Gewitter, das über ihren Köpfen losbrach, zwang sie im Schlosse La Penissière ein Obdach zu suchen. Hier wurden sie von einem Bataillon des Linienregiments angegriffen.

La Penissière ist ein altes, einstöckiges Gebäude mit fünfzehn unregelmäßigen Fensteröffnungen. An einer Seite des Wohnhauses ist die Capelle angebaut. Gegen das Thal ist eine von Hecken durchschnittene Wiese, welche durch starke Regengüsse in einen See verwandelt worden war. Ueberdies war das Schloß von einer mit Zinnen versehenen Mauer umgeben.

Sobald der Bataillonschef, der die Truppen befehligte, das Terrain recognoscirt hatte, commandirte er zum Angriff.

Nach einer kurzen Vertheidigung wurde die Mauer verlassen und die Vendéer zogen sich in das Haus zurück, dessen Thür sie schnell verrammelten.

Sie vertheilten sich nun im Erdgeschoß und im ersten Stockwerke. Zwei Hornisten, die oben und unten aufgestellt waren, bliesen während des Kampfes unaufhörlich. Die Vendéer eröffneten nun aus den Fenstern ein so lebhaftes Feuer, daß man sie für weit stärker hielt, als sie wirklich waren.

Es wurden dazu die besten Schützen gewählt. Sie feuerten jede Secunde aus schweren Scheibenbüchsen, die von ihren Cameraden immer wieder frisch geladen und gereicht wurden.

 

Jede Büchse war mit einem Dutzend Kugeln geladen; die Wirkung war fast so mörderisch wie ein Kartätschenhagel.

Zweimal drangen die Soldaten bis auf zwanzig Schritte vor und zweimal wurden sie zurückgetrieben.

Der Commandant befahl einen neuen Angriff, und während dieser vorbereitet wurde, gingen vier Mann, von einem Maurer begleitet, auf das Schloß zu; sie richteten ihr Augenmerk auf die eine Giebelseite, die kein Fenster hatte und folglich nicht vertheidigt werden konnte. Sobald sie die Mauer erreicht hatten, setzten sie eine Leiter an, stiegen bis zum Dache hinauf, rissen einige Ziegel ab, warfen Zündstoffe hinein und zogen sich zurück. Gleich daraus stieg eine Rauchsäule aus dem Dach empor und die Flammen brachen hervor.

Die Soldaten erhoben ein lautes Geschrei und marschirten wieder gegen die kleine Citadelle, die eine feurige Fahne aufgepflanzt zu haben schien. Die Belagerten hatten den Brand wohl bemerkt, aber sie hatten nicht Zeit, ihn zu löschen; sie beantworteten das Triumphgeschrei der Soldaten durch ein furchtbares Gewehrfeuer, während dessen die Hornisten unaufhörlich bliesen.

Die Meisten hörten, wie ihre Feinde sagten: »Es sind keine Menschen, es sind Teufel, die wir zu bekämpfen haben!« und dieses militärische Lob gab ihnen neuen Kampfesmuth.

Inzwischen hatten die Belagerer einen Zuzug von etwa fünfzig Mann erhalten und der Befehlshaber commandirte zum Sturm. Die Soldaten stürzten mit Ungestüm auf das Schloß zu.

Dieses Mal kamen sie bis an die Thüren, welche sofort von den Sapeurs eingeschlagen wurden. Die Führer der Vendéer ließen nun alle ihre Leute in den ersten Stock hinaufgehen, und während die eine Hälfte der Belagerten immerfort feuerte, riß die andere Hälfte den Fußboden auf, so daß man durch die Zwischenräume der Balken sehen konnte, was im Erdgeschoß vorging. Sobald daher die Soldaten die Barricaden von den Thüren weggeräumt hatten und in das Schloß drangen, wurden sie von einem wohlgezielten, durch die Balken gerichteten Gewehrfeuer empfangen und zum vierten Male zum Rückzuge gezwungen.

Der Bataillonschef befahl nun auch im Erdgeschoß Feuer anzulegen. Trockene Reisbündel wurden nebst einigen brennenden Fackeln durch die Fenster ins Schloß geworfen, und in zehn Minuten hatten die Vendéer das Feuer zugleich über ihren Köpfen und unter ihren Füssen.

Und doch kämpften sie ohne Unterlaß. Durch die aus den Fenstern dringenden Rauchwolken blitzten von Secunde zu Secunde die Schüsse; aber dieses furchtbare Gewehrfeuer schien nur noch die Rache der Verzweiflung, nicht mehr der Vertheidigungskampf; der Untergang der Belagerten schien unvermeidlich.

Der Platz war nicht mehr haltbar. Die Balken waren bereits in Brand gerathen und krachten unter ihren Füßen; die Flammen fingen schon an hier und da durch den Fußboden zu züngeln und jeden Augenblick konnte das Dach über ihren Köpfen oder die Balken unter ihren Füßen einstürzen. Ueberdies wurde der Rauch so stark, daß sie fast erstickten.

Die Anführer faßten den verzweifelten Entschluß, einen Ausfall zu wagen; aber um einige Aussicht auf Erfolg zu bieten, mußte dieser Ausfall, um die Soldaten im Schach zu halten, durch ein Gewehrfeuer gedeckt werden. Sie fragten, wer bereit sey, sich für die Cameraden aufzuopfern. Es boten sich acht an.

Die kleine Schaar theilte sich also in zwei Züge. Dreiunddreißig Mann und ein Hornist sollten den Versuch machen, das Ende des Parkes zu erreichen. Dort war nur eine Hecke zu ersteigen. Die übrigen acht Mann mit dem zweiten Hornisten sollten diesen Ausfall decken.

In Folge dieser Anordnungen und während die Zurückbleibenden, von Fenster zu Fenster eilend, ein ziemlich lebhaftes Feuer unterhielten, durchbrachen die Anderen die Mauer der Rückseite des Hauses, und als die Oeffnung gemacht war marschirten sie, den Hornisten voran, im Sturmschritt auf das andere Ende des Gartens zu.

Die Soldaten feuerten auf sie und drangen rasch vor, sie zu umzingeln. Die Vendéer schießen ebenfalls und werfen Alles zurück, was ihnen in den Weg kommt. Als die kleine Schaar über die Hecke stieg, fielen fünf Mann zu Tode getroffen. Die Uebrigen zerstreuten sich auf den überschwemmten Wiesen. Der von drei Kugeln getroffene Hornist hatte keinen Augenblick aufgehört zu blasen.

Die acht im Schlosse zurückgebliebenen Vendéer hielten noch Stand. Jedes mal wenn sich die Soldaten zu nähern suchten, schlug eine mörderische Salve in ihre Reihen.

Dies dauerte noch eine halbe Stunde; der bei den Belagerten zurückgebliebene Hornist blies immerfort mitten unter dem Krachen der Schüsse und dem Prasseln der Flammen, als ob er durch die heiteren kriegerischen Hörnerklänge dem Tode trotz bieten wollte.

Endlich hörte man ein furchtbares Krachen. Zahllose Flämmchen und Funken stiegen auf – die Hörnerklänge schwiegen, das Schießen hörte auf.

Der Fußboden war eingestürzt und die kleine Besatzung ohne Zweifel unter den Trümmern begraben. Nur ein Wunder hätte sie retten können.

So meinten die Soldaten, Sie warfen einen Blick auf die brennenden Trümmer,und da sie keinen Schrei, keinen Klagelaut hörten, der ihnen die Anwesenheit eines dem Tode entronnenen Vendéers verrathen hatte, so entfernten sie sich von der Feuersbrunst, welche Freunden und Feinden gleich verderblich war. Von dem vorhin so belebten Kampfplatz blieben nur noch die brennenden allmälig erlöschenden Trümmer des Meierhofes und einige zerstreut liegende Leichen übrig.

So blieb es bis in die Nacht. Aber um ein Uhr nach Mitternacht schlich ein Mann von ungewöhnlicher Größe hinter den Hecken herbei und kroch auf allen Vieren, wenn er an einen Weg kam, von Zeit zu Zeit stand er still, um die Umgebungen des Meierhofes in Augenschein zu nehmen.

Da er nichts bemerkte, was sein Mißtrauen erregen konnte, so machte er die Runde um das Landgut und betrachtete aufmerksam alle auf seinem Wege liegenden Leichen, dann verschwand er in der Dunkelheit, kam aber, einen andern Mann auf den Schultern tragend und von einer Bäuerin begleitet, nach einer kleinen Weile zurück.

Unsere Leser haben die Drei bereits erkannt: es waren Bertha, Courte-Joie und Trigaud.

Bertha war sehr blaß und ihre gewohnte Entschlossenheit war einer gewissen Geistesverwirrung gewichen.

Von seit zu Zeit eilte sie ihren Führern voraus und Courte-Joie mußte sie zur Vorsicht ermahnen.

Als sie alle Drei auf die von den Soldaten besetzte Wiese traten und die fünfzehn Fensteröffnungen, die rothglühend, Höllenschlunden gleich, aus dem geschwärzten Gemäuer hervorleuchteten, fühlte Bertha ihre Kräfte schwinden. Sie fiel auf die Knie und stammelte einen kaum verständlichen Namen; dann sprang sie auf wie eine Löwin und eilte auf die brennenden Trümmer zu.

Sie stieß mit dem Fuße an einen Todten; sie bückte sich und hob das bleiche Haupt bei den Haaren aus; dann bemerkte sie die übrigen auf der Wiese zerstreut liegenden Todten und lief wie wahnsinnig von einem zum andern.

»Er ist nicht da, Mademoiselle,« sagte Courte-Joie, der ihr gefolgt war. »Um Ihnen den traurigen Anblick zu ersparen, hatte ich Trigaud, der uns vorangegangen ist, den Auftrag gegeben, alle Todten in Augenschein zu nehmen. Er hat Herrn von La Logerie nur ein paarmal gesehen, aber er würde ihn gewiß erkannt haben, wenn er unter den Gefallenen wäre.«

»Ja, Ja, Ihr habt Recht,« sagte Bertha, aus das in Trümmern liegende Gebäude deutend; dort muß er seyn.«

Ehe die beiden Männer sie zurückhalten konnten, war sie an ein Fenster des Erdgeschosses geeilt, sprang behende auf die Brüstung und starrte in das noch glimmende Feuer.

Auf einen Wink Aubins faßte Trigaud das Fräulein von Souday und trug sie auf die Wiese zurück. Bertha leistete keinen Widerstand, denn ein Gedanke, der sie durchzuckte, schien ihre Willenskraft gelähmt zu haben.

»O mein Gott, mein Gott,« lispelte sie kaum vernehmbar, »Du hast mir nicht erlaubt, ihn zu vertheidigen oder mit ihm zu sterben – und nun versagst Du mir sogar den Trost, seine Leiche zu begraben!«

»Wenn’s Gottes Wille ist, Mademoiselle,« sagte Courte-Joie, »so muß man sich darein ergeben.«

»Nein – nie!« erwiderte Bertha in ihrer Verzweiflung.

»Ach! mir ist auch sehr weh um’s Herz,« setzte der Krüppel hinzu, »denn wo Herr von La Logerie ist, da muß auch Jean Oullier seyn.«

Bertha schluchzte; in ihrem selbstsüchtigen Schmerz hatte sie an Jean Oullier nicht gedacht.

»Er ist freilich gestorben, wie er zu sterben wünschte: mit den Waffen in der Hand,« setzte Courte-Joie hinzu, »aber das tröstet mich doch nicht —«

»Ist denn keine Hoffnung mehr?« fragte Bertha, »sind sie nicht auf die eine oder die andere Art entkommen? Kommt, wir wollen suchen.«

Courte-Joie schüttelte den Kopf.

»Das scheint mir sehr schwer; denn wie uns Einer der Dreiunddreißig, die den Ausfall gemacht, erzählt hat, sind fünf von ihnen gefallen.«

»Aber Jean Oullier und Herr von La Logerie waren unter den acht Zurückgebliebenen, entgegnete Bertha.

»Allerdings, und eben deshalb habe ich wenig Hoffnung,« sagte Courte-Joie, auf das öde Gemäuer und die innerhalb desselben lodernde Glut zeigend. »Sehen Sie, es sind nur noch brennende Balken und wankende Mauern übrig. Sie müssen Muth fassen, Mademoiselle; aber es sind Hundert gegen Eins zu wetten, daß Ihr Geliebter und Jean Oullier unter den Trümmern begraben sind.«

»Nein, nein!« rief Bertha aufspringend, »er kann, er darf nicht todt seyn! Gott hat gewiß ein Wunder gethan, wenn’s eines Wunders bedurfte ihn zu retten. Ich will die Trümmer durchsuchen, ich muß ihn haben lebend oder todt! Versteht Ihr mich, Courte-Joie?«

Sie faßte mit ihren zarten weißen Händen einen Balken, dessen verkohltes Ende aus einem Fenster hervorragte, und bot alle ihre Kräfte auf ihn an sich zu ziehen, als ob sie im Stande gewesen wäre, mit diesem Balken die Trümmermasse aufzuheben und zu erkennen, was dann verborgen wäre.

»Was fällt Ihnen ein?« eiferte Courte-Joie. »Das übersteigt ja Ihre und meine, ja selbst Trigaud’s Kräfte! Ueberdies würde man uns bei der Arbeit stören, die Soldaten werden gewiß wieder kommen, wenn’s Tag wird, und sie dürfen uns hier nicht finden. Wir müssen fort. Kommen Sie Mademoiselle, um des Himmels willen, kommen Sie!«

»Gehet nur, wenn Ihr wollt,« antwortete Bertha mit einem Tone, der keinen Widerspruch zuließ. »Ich bleibe.«

»Sie bleiben?« erwiderte Courte-Joie bestürzt.

»Ja, ich bleibe! Wenn die Soldaten wiederkommen, werden sie gewiss die Trümmer durchsuchen. Ich will dem Commandanten zu Füssen fallen; meine Thränen, meine Bitten werden gewiß nicht fruchtlos bleiben, er wird seinen Leuten erlauben, mir behilflich zu seyn, und ich werde ihn gewiss finden!«

»Das dürfen Sie nicht, Mademoiselle; die Rothhosen werden Sie als die Tochter des Marquis von Souday erkennen; Sie werden gefangen genommen vielleicht gar erschossen! Kommen Sie, der Tag wird bald anbrechen. Wenn’s seyn muß,« setzte Courte-Joie, dem wirklich bange wurde, hinzu, »wenn’s seyn muß, verspreche ich Ihnen, Sie in der nächsten Nacht wieder hierher zu begleiten.«

»Nein, nein! ich gehe nicht fort,« antwortete Bertha, »eines innere Stimme sagt mir, dass er mich ruft, daß er meiner bedarf –«

Und als sie sah, dass Trigaud auf einen Wink Aubins vortrat, um sie zu ergreifen, sprang sie wieder aus die Fensterbrüstung und setzte hinzu:

»Wenn Ihr mir noch einen Schritt näher kommt, so stürze ich mich in diese Glut!«

Courte-Joie sah wohl, daß mit Gewalt nichts von Bertha zu erlangen war; er wollte es mit Bitten versuchen, als ihm Trigaud, der noch mit ausgebreiteten Armen dastand, «Stillschweigen zuwinkte.

Courte-Joie der die außerordentliche Sinneneschärfe des Bettlers aus Erfahrung kannte, gehorchte ihm.

Trigaud lauschte.

»Kommen die Soldaten zurück?« fragte Courte-Joie.

»Nein, die Soldaten sind’s nicht.« antwortete Trigaud.

Er machte den Gurt los, mit welchem der Krüppel wie gewöhnlich auf seinen Schultern festgeschnallt war, setzte ihn ab und warf sich glatt aus die Erde.

Bertha sah sich nach dem Bettler um, ohne ihren Posten zu verlassen. Ohne zu wissen warum, war sie in athemloser Spannung, ihr Herz schlug fast hörbar.

»Hörst Du denn etwas Ungewöhnliches?« fragte Courte-Joie.

»Ja,« antwortete Trigaud, und winkte den anderen Beiden, ebenfalls zu lauschen.

Trigaud war bekanntlich sehr wortkarg.

Courte-Joie neigte sich zur Erde.

Bertha sprang vom Fenster herunter und bückte sich ebenfalls; aber kaum hatte sie das Ohr eine Secunde auf den Erdboden gehalten, so richtete sie sich schnell aus und sagte frohlockend:

»Sie leben! sie leben! – mein Gott, ich danke Dir!«

 

»Wir wollen nicht zu früh hoffen,« sagte Courte-Joie, »ich höre wirklich ein dumpfes Geräusch, das mitten aus den Trümmern zu kommen scheint; aber es waren acht, und wer gibt uns die Versicherung, daß dieses Geräusch von den Beiden, die wir suchen, herkommt?«

»Meine Ahnung sagt es mir, Aubin – meine Ahnung, die mir nicht erlaubt hat, euren Bitten nachzugehen und mich zu entfernen. Ich sage Euch, sie sind’s! sie haben sich in einen Keller geflüchtet, und setzt sind sie durch die aufgehäuften Trümmer eingesperrt.«

»Das ist möglich,« sagte Courte-Joie kleinlaut.

»Wenn sie in einem unterirdischen Gange sind, so muß dieser einen Ausweg haben; wenn sie in einem Keller sind, so muß ein Kellerloch vorhanden seyn. Wir müssen sie auffinden, und wenn wir in die Erde graben müßten, um zu ihnen zu gelangen.«

Bertha machte nun die Runde um das Haus, und schob in ihrer überreizten Stimmung die an der Mauer liegenden Balken, Steine und Ziegel zur Seite.

Plötzlich schrie sie laut auf.

Trigaud und Courte-Joie eilten herbei; der Erstere voranlaufend, der Andere auf seinen Stelzfüßen nachhumpelnd.

»Höret!« sagte Bertha frohlockend.

An der Stelle, wo sie stehen geblieben war, hörte man in der That ganz deutlich ein dumpfes, aber anhaltendes Getöse, wie von einem Werkzeuge, mit weichem regelmäßig an die Grundmauer des Gebäudes geschlagen wurde.

»Hier müssen wir suchen,« sagte Bertha, auf eine längs der Mauer aufgehäufte Trümmermasse zeigend.

Trigaud legte Hand an’s Werk; er räumte zuerst ein Stück Dach, welches an der Mauer hinuntergeglitten war, und dann einige von dem Einsturz eines Fensters herrührende Steine weg. Endlich, nach vielen Beweisen seiner gewaltigen Kraft, wurde eine Oeffnung, durch welche sie die Arbeit der Verschütteten hörten, zu Tage gefördert.

Bertha wollte durch diese Oeffnung schlüpfen aber Trigaud hielt sie zurück. Er schnallte den Gurt, mit welchem Courte-Joie gewöhnlich auf seinen Schultern festgehalten wurde, um den Leib des Letzteren, und ließ ihn durch das Kellerloch hinab.

Trigaud und Bertha hielten den Athem an.

Man hörte Courte-Joie, der mit den Arbeitern sprach.

Nach einer kleinen Weile gab er durch ein Zeichen zu erkennen, daß ihn Trigaud wieder aufziehen solle.

Trigaud gehorchte mit der Schnelligkeit einer gut geschmierten Maschine.

»Sie leben, nicht wahr?« fragte Bertha in athemloser Spannung.

»Ja, Mademoiselle,« antwortete Courte-Joie, »aber gehen Sie um des Himmels willen nicht hinunter. Die Verschütteten sind nicht in dem Keller, zu welchem dieses Loch führt, sondern in einer Art Nische; die Oeffnung, durch die sie eingedrungen sind, ist verschüttet, man muß die Mauer durchbrechen, um zu ihnen zu gelangen, und ich fürchte, daß bei dieser Arbeit ein Theil des schon schadhaften Gewölbes einstürzen wird. Trigaud wird vielleicht etwas ausrichten.«

Bertha kniete nieder und fing an zu beten.

Courte-Joie stieg wieder in den Keller hinunter Trigaud folgte ihm.

Nach etwa zehn Minuten hörte Bertha ein lautes Getöse von einstürzenden Steinen. Sie schrie laut auf vor Angst und eilte an das Kellerloch Sie bemerkte, daß Trigaud, der wieder herauskam, einen zu beiden Seiten schlaff herabhängenden Körper auf den Schultern trug. Das bleiche Gesicht ruhte auf der Brust des Bettlers.

Sie erkannte Michel.

»Er ist todt! Mein Gott, er ist todt!« rief sie entsetzt.

»Nein, nein!« antwortete unten im Keller die Stimme Oullier’s, »er ist nicht todt!«

Bertha eilte nun auf Trigaud zu, nahm ihm den bewußtlosen jungen Baron ab und legte ihn auf den Rasen. Er lebte – sie fühlte es an den Schlägen seines Herzens.

Sie tauchte ihr Tuch in eine Pfütze und benetzte damit seine Stirne, um ihn wieder zur Besinnung zu bringen.