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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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X.
Wo Kerkermeister und Gefangener zusammen davonlaufen

Am 4. Juli bei Tagesanbruch wurde auf allen Kirchthürmen der Bezirke Clisson, Montaigu und Machecoul Sturm geläutet.

Die Sturmglocke war der Generalmarsch der Vendéer. Vormals, nämlich in dem großen Kriege, wenn ihre schrillen, unheimlichen Klänge von Dorf zu Dorf gehört wurden, erhob sich die ganze Bevölkerung und eilte dem Feinde entgegen.

Wie viele große Thaten muß diese Bevölkerung vollbracht haben, um vergessen zu machen, daß dieser Feind – Frankreich war!

Im Jahre 1832 hingegen – und dies ist ein Beweis des großen Fortschrittes, den Frankreich seit vierzig Jahren gemacht hat – im Jahre 1832 schien die Sturmglocke ihre Gewalt ganz verloren zu haben. Wenn auch hier und da ein Bauer dem unheilvollen Ruf Folge leistete und den Pflug verließ, um zu dem in der nahen Hecke versteckten Gewehr zu greifen, so pflügten doch die Meisten in der angefangenen Furche ruhig fort und lauschten auf das Zeichen des Aufruhrs mit jener sinnenden Miene, die dem ernsten Gesicht des Vendéer Landmannes so gut steht.

Um zehn Uhr Morgens kam es indeß zum Treffen zwischen den Linientruppen und einer ziemlich starken Schaar von Vendéern. Diese im Dorfe Maisdon stark verschanzte Schaar hielt den gegen sie gerichteten Angriff aus und wich endlich nur der Überzahl ihrer Gegner. Sie zog sich nun in besserer Ordnung zurück, als bei den Vendéern selbst nach einer unbedeutenden Schlappe sonst der Fall zu seyn pflegte.

Wir haben schon darauf hingewiesen, daß nicht mehr ein großes Princip, sondern bloße Hingebung und Aufopferung kämpfte. Wenn wir diesen Krieg in unserer gewohnten Weise beschreiben, so geschieht es in der Hoffnung, aus den erzählten Thatsachen den Schluß zu ziehen, daß der Bürgerkrieg in Frankreich bald unmöglich seyn wird.

Das Beispiel dieser Hingebung gaben einige edle, hochherzige Männer, die sich durch die Vergangenheit ihrer Vater gebunden glaubten und dem alten Wahlspruch: »Noblesse oblige!« Ehre, Vermögen und Leben opferten.

Daher kam es, daß der Rückzug mit so großer Ordnung ausgeführt wurde: die Retirierenden waren nicht mehr ungeschulte Bauern, es waren Herren. Jeder kämpfte nicht nur mit Hingebung sondern mit Stolz, weniger für sich als für Andere.

Von frischen Truppen, die ihnen der General nachschickte, von neuem angegriffen, verloren die Weißen einige Mann bei dem Uebergange über die Marne. Aber als sie den Fluß im Rücken hatten, konnten sie sich auf dem linken Ufer mit den Royalisten von Nantes und mit den Schaaren von Légé und Machecoul vereinigen. Die letztere stand unter dem Befehl des Marquis von Souday.

In Folge dieser Verstärkungen wurde der Effectivbestand dieser unter dem Oberbefehl Gaspard’s stehenden Colonne auf etwa achthundert Mann gebracht.

Um andern Morgen rückten sie gegen Vieille-Vigne, um die Nationalgarde zu entwaffnen; aber auf die Nachricht, daß dieses Städtchen von überlegenen Streitkräften besetzt war, und daß der General überdies zu Aigrefeuille einige Truppen schlagfertig hielt, entschloß sich der Anführer der Vendéer, das Dorf Duchesne anzugreifen, um sich darin festzusetzen.

Die Bauern wurden auf den umliegenden Feldern vertheilt und in dem schon sehr hohen Getreide versteckt; sie befolgten die Taktik ihrer Väter und beunruhigten die Blauen durch ein lebhaftes Gewehrfeuer.

Die Leute aus Nantes, die mit den Edelleuten Colonne formierten, rüsteten sich zum Angriff auf das Dorf, von welchem die Vendéer durch einen Bach getrennt waren. Die Brücke war Tags vorher zerstört worden, es fanden nur noch einige Balken.

Die in den ersten Häusern des Dorfes verschanzten Soldaten hatten ein Kreuzfeuer eröffnet, welches den Weißen beim Vorrücken auf der Hauptstraße sehr hinderlich war. Zweimal waren die Weißen schon zurückgeworfen worden; aber durch das Beispiel ihrer Führer angeeifert, stürzten sie sich in’s Wasser, wateten durch den kleinen Fluß, griffen die Blauen mit dem Bajonnet an und trieben sie von Haus zu Haus bis an das Ende des Dorfes zurück. Hier aber finden sie ein Bataillon des 44. Linienregiments, welches der General der kleinen Besatzung von Duchesne zu Hilfe geschickt hatte.

Petit-Pierre der sich in der Jaquetmühle befand, hörte das Gewehrfeuer. Er war noch in dem Zimmer, wo wir ihn im vorigen Capitel gesehen. Er war blaß, aber seine Augen funkelten; er ging in fieberhafter Aufregung in der Stube auf und ab. Von Zeit zu Zeit blieb er an der offenen Thür stehen und lauschte auf die rasch aufeinanderfolgenden Schüsse, welche wie ferner Donner von dem leichten Westwinde herübergetragen wurden. Dann strich er mit der Hand über die mit Schweiß bedeckte Stirn, stampfte zornig mit dem Fuße und setzte sich in den Winkel des Camins, gegenüber dem Marquis von Souday, der, nicht minder aufgeregt und ungeduldig als Petit-Pierre von Zeit zu Zeit tief aufseufzte.

Wie der Marquis von Souday, der doch so gern wieder kämpfen wollte, wie in dem großen Kriege, in dieser zuwartenden Unthätigkeit aushielt? Wir wollen es unseren Lesern erklären.

Am dem Tage, wo das Treffen von Maisdon stattgefunden, hatte sich Petit-Pierre seinem Versprechen gemäß angeschickt zu seinen Freunden zu gehen und in ihrer Mitte zu kämpfen. Aber die royalistischen Führer fürchteten die große Verantwortung, die ihnen durch diesen kühnen Muth zufallen würde: der Ausgang dieses Krieges war ja noch sehr ungewiß. Es wurde daher beschlossen, ein starkes Heer zusammenzuziehen, ehe man Petit-Pierre gestattete, seinen Zufluchtsort zu verlassen: er hätte ja in einem unbedeutenden Scharmützel leicht um’s Leben kommen können.

Man machte ihm ehrerbietige, aber dringende Vorstellungen, die aber an seinem festen, unabänderlichen Entschlusse scheiterten.

Die Anführer der Vendéer beriethen sich nun und beschlossen, Petit-Pierre gleichsam gefangen zu halten. Einer von ihnen sollte bei ihm bleiben und ihn nöthigenfalls mit Gewalt hindern, die Mühle zu verlassen.

Der Marquis von Souday, welcher der Berathung beiwohnte, gab sich alle erdenkliche Mühe, die Wahl auf einen seiner Collegen zu lenken er wurde einstimmig zum Hüter ernannt. So befand er sich zu seinem größten Aerger in der Jaquetmühle, und nicht unter den Kämpfenden.

Als die ersten Schüsse in der Mühle gehört wurden, suchte Petit-Pierre den Marquis von Souday zu überreden, sich mit ihm zu den Vendéern zu begeben; aber der alte Edelmann war unerschütterlich, er ließ sich weder durch Drohungen, noch durch Bitten und Versprechungen zur Uebertretung seiner Weisungen bewegen.

Aber trotz dieser entschiedenen Weigerung vermochte der Marquis, der nicht zum Hofmanne geboren war, seinen Aerger nicht zu verhehlen.

Petit-Pierre, der seine Ungeduld wieder in der oben erwähnten Weise zu erkennen gab, blieb vor ihm stehen und sagte:

»Herr Marquis, es scheint mir, daß Sie meine Gesellschaft nicht sehr unterhaltend finden?«

»O!« war die kurze Antwort des Marquis, der sich vergebens bemühte, diesem Tone den Ausdruck tiefer Entrüstung zu geben.

»Ja wohl,« setzte Petit-Pierre hinzu, denn er hatte seine Gründe, das einmal angefangene Gespräch weiter zu spinnen, »ich finde, daß Sie sich für den Ihnen anvertrauten Ehrenposten keineswegs dankbar zeigen.«

»Im Gegentheil,« erwiderte der Marquis, »ich weiß diese Ehre vollkommen zu schätzen, aber —«

»Aha, es ist ein Aber dabei?« sagte Petit-Pierre, der entschlossen schien, in diesem Punkte die ganze Meinung des alten Edelmannes kennen zu lernen.

»Es ist ja in allen Dingen ein Aber,« erwiderte der Marquis.

»Lassen Sie das Ihrige hören.«

»Ich bedauere, daß ich nicht, während ich mich des Vertrauens meiner Cameraden würdig zeige, zugleich mein Blut für Sie vergießen kann, wie es Jene wahrscheinlich jetzt vergießen.«

Petit-Pierre seufzte.

»Und gewiß,« sagte er, »wird Ihre Abwesenheit von Ihren Freunden sehr bedauert: Sie hätten durch Ihre bewährte Erfahrung und Ihren erprobten Muth sehr nützlich seyn können.«

Der Marquis warf sich in die Brust.

»Ja, ja,« sagte er, »ich glaube auch, daß man mich sehr vermissen wird.«

»Gewiß; aber wollen Sie mir erlauben, lieber Marquis, daß ich Ihnen aufrichtig sage, was ich denke?«

»Ich bitte darum.»

»Ich glaube, daß man Ihnen und mir nicht recht traut.«

»Das ist unmöglich!«

»Warten Sie nur; Sie wissen nicht, in welcher Hinsicht. Unsere Freunde werden gedacht haben: Eine Frau belästigt uns auf unseren Märschen; auf einem Rückzuge müssen wir um sie besorgt seyn, und die zu ihrem Schutze nöthigen Truppen können nützlicher verwendet werden. Man wollte nicht glauben, daß es mir gelungen sey, die Schwäche dieses Körpers zu überwinden und daß ich den Muth habe, das einmal begonnene Werk zu vollenden. Warum sollte man das, was man von mir gedacht hat, nicht auch von Ihnen denken?«

»Von mir!« eiferte der Marquis, über diese Vermuthung höchst entrüstet, »ich glaube doch genügende Beweise meines Muthes und meiner Erfahrung gegeben zu haben.«

»Jedermann kennt Ihren Muth und Ihre Hingebung, lieber Marquis; aber vielleicht hat man in Anbetracht Ihres Alters vermuthet, die Körperkraft entspreche nicht mehr der Energie des Geistes.«

»Das ist zu arg!« tobte der Marquis. »Es ist ja seit fünfzehn Jahren kein Tag vergangen, ohne daß ich sechs bis acht, zuweilen sogar zehn bis zwölf Stunden zu Pferde gesessen! Meine Haare sind weiß, aber ich kenne keine Ermüdung. Sehen Sie nur, was ich noch kann.«

Er faßte den Schämel, auf welchem er gesessen, und schlug damit so heftig an den Caminsims, daß er den Schämel zerbrach und das Simswerk stark beschädigte.

Dann hob er das in seiner Hand gebliebene Schämelbein hoch empor und setzte hinzu:

»Sind Viele unter unseren jungen Zierbengeln, die das können?«

»Ich zweifle ja nicht im mindesten daran, lieber Marquis,« erwiderte Petit-Pierre, »ich finde auch, daß die Herren sehr Unrecht hatten, Sie wie einen Invaliden zu behandeln.«

 

»Wie einen Invaliden! Mordieu!« fluchte der Marquis, der immer mehr in Zorn gerieth und ganz vergaß, daß er sich in Gesellschaft einer Respectsperson befand. »Ich – ein Invalide! Ich werde den Herren diesen Abend erklären, daß ich diesen Dienst, der sich nicht für einen Edelmann, sondern für einen Kerkermeister ziemt, nicht länger versehen will.«

»Das läßt sich hören,« sagte Petit-Pierre.

»Diesen Dienst,« setzte der Marquis, rasch im Zimmer aufs und abgehend, hinzu, »diesen Dienst, den ich seit zwei Stunden zu allen Teufeln gewünscht habe!«

»Wirklich?«

»Und morgen werde ich ihnen zeigen, was ein Invalide ist.«

»Ach! lieber Marquis,« entgegnete Petit-Pierre traurig, »auf morgen dürfen Sie nicht zählen!«

»Warum nicht?«

»Sie haben’s ja gehört: die Erhebung ist nicht allgemein, wie wir hofften. Wer weiß, ob die Schüsse, die wir hören, nicht die letzten sind, die unsere Fahne begrüßen.«

»Hm! hm!« murrte der Marquis mit dem Ingrimm eines Bulldog, der in seine Kette beißt.

In diesem Augenblicke wurde das Gespräch durch einen aus dem Garten kommenden Ruf unterbrochen. Petit-Pierre und der Marquis eilten an dir Thür; sie bemerkten Bertha, welche draußen auf der Lauer gestanden und einen verwundeten Bauer, der sich kaum aufrecht halten konnte, in die Mühle führte.

Mary und Rosine waren bereits herbeigeeilt.

Der Verwundete war ein junger Bauer von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren; eine Kugel hatte ihm die Schulter zerschmettert.

Petit-Pierre eilte auf ihn zu und setzte ihn auf einen Stuhl, wo er in Ohnmacht fiel.

»Ich bitte Sie,« sagte der Marquis, »ziehen Sie sich zurück! meine Töchter werden den armen Teufel verbinden – ich werde helfen —«

»Warum soll ich mich zurückziehen?« fragte Petit-Pierre.

»Weil nicht Jedermann den Anblick einer Wunde ertragen kann; kurz, ich fürchte, daß Sie zu tief ergriffen werden —«

»Da irren Sie sich eben so wie die Anderen. Glauben Sie denn, ich hätte keinen Muth?«

Als sich Mary und Bertha anschickten, den Verwundeten zu verbinden, setzte Petit-Pierre hinzu:

»Rühren Sie den braven jungen Menschen nicht an! Ich, ich allein werde seine Wunde verbinden.«

Er nahm eine Schere, schnitt den Aermel des Vendéers der Länge nach auf, befreite die Wunde von dem durch das erstarrte Blut anklebenden Stoffe, wusch sie aus, legte Charpie darauf und umwickelte die Schulter mit Binden.

Der Verwundete schlug die Augen auf und kam wieder zur Besinnung.

»Was gibt’s Neues?« fragte der Marquis, der seine Ungeduld nicht länger zu bezähmen vermochte.

»Ach!« sagte der Verwundete, »unsere Leute, die anfangs gesiegt hatten, sind zurückgeworfen worden.«

Petit-Pierre, der während der ganzen Operation die Farbe nicht gewechselt hatte, wurde so blaß wie die Leinwand des Verbandes.

Als er den Verband mit der letzten Stecknadel befestigt hatte, faßte er den Marquis beim Arm und zog ihn zur Thüre hin.

»Marquis,« sagte er, »Sie müssen es wissen, Sie haben ja die Blauen in dem großen Kriege gesehen, was thut man, wenn das Vaterland in Gefahr ist?«

»Jedermann greift zu den Waffen,« erwiderte der Marquis.

»Auch die Frauen?«

»Ja, auch die Frauen, auch die Greise, die Kinder.«

»Marquis, heute wird die weiße Fahne sinken, um sich vielleicht nie wieder aufzurichten. Verurtheilen Sie mich zur Unthätigkeit? Soll ich nur eitle, ohnmächtige Wünsche für Ihren Sieg hegen?«

»Bedenken Sie doch,« entgegnete der Marquis, »wenn Sie von einer Kugel getroffen würden —«

»Glauben Sie denn, die Sache meines Sohnes werde gefährdet, wenn man meine blutigen, von Kugeln durchlöcherten Kleider auf eine Pike steckte und unseren Bataillonen vorantrüge?«

»O nein,« sagte der Marquis begeistert, »ich würde das alte Heimatland verwünschen, wenn sich bei diesem Anblicke die Steine nicht rührten!«

»So kommen Sie mit mir. Kommen Sie, wir wollen zu den Kämpfern eilen.«

»Aber,« erwiderte der Marquis mit weniger Entschlossenheit, als er den früheren Vorstellungen entgegengesetzt hatte, als ob er über den Gedanken, daß man ihn als Invaliden betrachtete, den erhaltenen Befehl vergessen hatte, »aber ich habe vergessen, Sie nicht fortzulassen —«

»Ich entbinde Sie Ihres Versprechens,« sagte Petit-Pierre entschlossen. »Ich kenne Ihren Muth und befehle Ihnen mir zu folgen. Kommen Sie also, Marquis. Wenn’s noch Zeit ist, werden wir den Sieg in unsere Reihen zurückführen; wenn’s zu spät ist, können wir wenigstens mit unseren Freunden sterben!«

Petit-Pierre eilte, von Bertha und dem Marquis gefolgt, über den Hof und durch den Garten.

Der alte Edelmann glaubte, um den Schein zu retten, seine Bitten und Vorstellungen von Zeit zu Zeit erneuern zu müssen; im Grunde aber freute er sich über die Wendung, welche die Dinge nahmen.

Mary und Rosine blieben in der Mühle, um den Verwundeten zu pflegen.

XI.
Das Schlachtfeld

Die Jaquetmühle ist etwa eine Stunde Weges von dem Dorfe Duchesne. Petit-Pierre lief, der Richtung des Gewehrfeuers folgend, so rasch, daß ihm der Marquis kaum folgen und mit großer Mühe einige Vorsicht empfehlen konnte, als sie dem Kampfplatze näher kamen; er wäre sonst blindlings mitten unter die Soldaten gelaufen.

Man umging die Tirailleurlinie und wandte sich seitwärts durch die Weingärten. So kamen Petit-Pierre und seine Begleiter in den Rücken des Vendéerheeres, welches wirklich das am Morgen gewonnene Terrain wieder verloren hatte und von den Blauen weit diesseits des Dorfes Duchesne zurückgeworfen worden war.

Als Petit-Pierre athemlos, mit fliegenden Haaren den Hügel erstieg, auf welchem das Hauptheer der Vendéer stand, wurde er von diesen mit lautem Jubel begrüßt.

Gaspard, der, von seinen Offizieren umgeben, wie ein Soldat feuerte, sah sich um und bemerkte Petit-Pierre, Bertha und den Marquis, der im raschen Laufe den Hut verloren hatte und sich mit entblößtem Haupte näherte.

»So hält also der Marquis von Souday sein Versprechen!« rief ihm der erzürnte Oberbefehlshaber entgegen.

»Von einem armen Invaliden wie ich,« antwortete der Marquis gereizt, »muß man nichts Unmögliches verlangen.

Petit-Pierre trat vor und sagte mit Würde:

»Souday ist mir, wie Sie, Gehorsam schuldig. Ich nehme die Ausübung dieses Rechtes selten in Anspruch; aber heute glaubte ich es thun zu müssen. Ich frage Sie daher als meinen Stellvertreter: wie stehen unsere Sachen?« Gaspard schüttelte den Kopf und erwiderte mit einer Niedergeschlagenheit, die nichts Gutes verkündete:

»Die Blauen sind uns überlegen und meine Eilboten melden mir jeden Augenblick, daß neue Zuzüge ankommen.«

»Gut,« sagte Petit-Pierre in höchst erregter Stimmung, »dann wird Frankreich aus dem Munde vieler Feinde erfahren, wie wir gefallen sind!«

»Das kann Ihr Ernst nicht seyn, Madame.«

»Hier bin ich nicht Madame, hier bin ich Soldat, Befehlshaber. Lassen Sie also, ohne sich um mich zu kümmern, Ihre Tirailleurlinien vorrücken und das Feuer verdoppeln.«

»Ja, aber vor Allem zurück —«

»Wer zurück?«

»Sie – um des Himmels willen!«

»Was fällt Ihnen ein? Vorwärts wollen Sie sagen!«

Petit-Pierre entriß Gaspard den Degen, steckte seinen Hut auf die Spitze der Klinge und rief, auf das Dorf zueilend:

»Wer mich liebt, folge mir! Gaspard machte einen erfolglosen Versuch ihn zurückzuhalten, indem er ihn mit beiden Armen umfaßte; aber der gewandte Petit-Pierre entschlüpfte ihm und lief weiter gegen die Häuser, aus denen die Blauen, welche die Bewegung der Vendéer bemerkten, mit verdoppelter Heftigkeit feuerten.

Bei dem Anblicke der Gefahr, in welcher Petit-Pierre schwebte, stürmten die Vendéer in Masse vorwärts, um ihm eine Schutzwehr gegen die feindlichen Kugeln zu bilden. Sie drangen so rasch und ungestüm vor, daß sie in einigen Sekunden zum zweiten Male den Bach überschritten und mitten im Dorfe die Blauen angriffen.

Aus dem Zusammenstoß wurde sofort ein furchtbares Handgemenge. Gaspard, der nur an Petit-Pierres Rettung dachte, holte ihn ein, ergriff ihn und führte ihn mitten unter seine Leute zurück. Aber in dem Augenblicke, als er sich selbst vergaß, um das kostbare Leben, das ihm die Vorsehung anvertraut, zu schützen, schlug ein hinter einer Hausecke versteckter Soldat sein Gewehr auf ihn an.

Es wäre um den Oberbefehlshaber der Vendéer geschehen gewesen, wenn der Marquis die drohende Gefahr nicht bemerkt hätte. Er sprang auf die Seite und schlug in dem Augenblicke, als der Schuß krachte, den Gewehrlauf in die Höhe.

Die Kugel schlug in einen Schornstein.

Der ergrimmte Soldat wandte sich nun gegen den Marquis von Souday und wollte ihn mit dem Bayonnete niederstoßen; aber dieser wich dem Stoße durch eine rasche Seitenbewegung aus und schlug eine Pistole auf den Soldaten an, als ihm eine zweite Kugel die Waffe in der Hand zerschmetterte.

»Es thut nichts,« sagte der Marquis gelassen, indem er seinen Säbel zog und den Soldaten niederschlug, »die blanke Waffe ist mir lieber.«

Dann wandte er sich, frohlockend seinen Säbel schwenkend, zu dem Oberbefehlshaber:

»Nun, Gaspard, was sagst Du zu dem Invaliden?«

Bertha hatte sich den Petit-Pierre nacheilenden Vendéern ebenfalls angeschlossen; aber sie achtete weit weniger auf die Soldaten als auf das, was um sie vorging. Sie suchte Michel; sie gab sich alle Mühe, ihn in dem Gewirre von Menschen und Pferden zu erkennen.

Die Soldaten, von dem raschen, ungestümen Angriffe überrumpelt, waren Schritt vor Schritt zurückgewichen. Die Nationalgarde von Vieille-Vigne, die an dem Kampfe theilgenommen, hatte sich zurückgezogen. Der Kampfplatz war mit Todten besäet.

Als die Blauen das Feuer der in den umliegenden Weinbergen und Gärten zerstreuten Insurgenten nicht mehr beantworteten, zog Maître Jacques die unter seinem Befehle stehenden Plänkler zusammen, führte sie durch eine Seitengasse und fiel den Soldaten in die Flanke.

Diese hielten den Angriff muthig aus und machten in der Hauptstraße Front gegen die neuen Feinde. Bald fingen die Vendéer sogar an zu wanken; die Blauen waren wieder im Vortheile, und da die Colonne in der Hitze des Angriffs zu weit vordrang, so sah sich Maître Jacques mit einem halben Dutzend seiner »Kaninchen,« unter denen Aubin Courte-Joie und Trigaud, von seiner Truppe abgeschnitten.

Maître Jacques rief die wenigen bei ihm gebliebenen Chouans zusammen, lehnte sich, um den Rücken zu decken, an ein im Bau begriffenes Haus, und schickte sich an, sein Leben so theuer als möglich zu verkaufen.

Courte-Joie, der mit einer kleinen Doppelflinte bewaffnet war, feuerte unaufhörlich auf die Soldaten; jede seiner Kugeln streckte einen Mann nieder. Trigaud hatte die Hände frei, denn der Krüppel war auf seinen Schultern mit einem Gurt festgeschnallt; der Koloß handhabte mit großer Geschicklichkeit eine gerade geschmiedete Sense, die er zugleich als Lanze und als Säbel gebrauchte.

Als der Bettler eben einen von Courte-Joie verwundeten Gendarm völlig niedergeschlagen hatte, erhob sich ein lautes Triumphgeschrei aus den Reihen der Soldaten, und Maître Jacques und seine Leute bemerkten eine Amazone, welche die Blauen unter lautem Jubel mitten durch das Kampfgewühl führten.

Es war Bertha, die sich beständig nach Michel umgesehen, und sich zu weit vorwärts gewagt hatte; die Soldaten hatten sie gefangen genommen.

Durch ihre Kleider getäuscht, glaubten sie die Herzogin von Berry gefangen zu haben; daher ihr lauter Jubel.

Maître Jacques täuschte sich ebenfalls. Um den Irrthum, den er einige Tage zuvor in dem Touvoiswalde begangen, wieder gut zu machen, gab er seinen Leuten einen Wink. Diese verließen ihre abwehrende Stellung, drangen ungestüm vor und stürzten sich in die breite Lücke, welche die Sense des riesigen Bettlers vor ihnen machte. So drangen sie bis zu der Gefangenen vor, befreiten sie und nahmen sie in ihre Mitte.

Die erbitterten Soldaten stürmten nun auf Maître Jacques ein, der schnell seinen Platz an dem Eckhaus wieder eingenommen hatte, und die kleine Gruppe wurde der Mittelpunkt, gegen den sich fünfundzwanzig Bayonnete und die aus diesem Kreise krachenden Schüsse richteten.

Schon waren zwei Vendéer schwer verwundet niedergesunken. Maître Jacques, dem eine Kugel die rechte Hand zerschmettert hatte, konnte nicht mehr schießen und mußte den Säbel in die linke Hand nehmen. Courte-Joie hatte seine Patronen verschossen, und Trigaud’s Sense war fast der einzige Schutz, der den vier noch lebenden Vendéern übrig blieb; ein bis dahin allerdings wirksamer Schutz, denn die Sense hatte solche Verheerungen unter den Soldaten angerichtet, daß sich diese nicht mehr in die Nähe des kolossalen Bettlers wagten.

 

Aber Trigaud, der nach einem Reiter stieß, traf nicht und zerbrach seine Sense an einem Stein, der Koloß, durch den heftigen Fehlstoß fortgerissen, sank auf die Knie; der Gurt, mit welchem Aubin festgeschnallt war, zerriss, und der Krüppel fiel mitten in den Kreis.

Ein lautes Hurrahrufen folgte diesem Unfalle, der den riesigen Bettler seinen Feinden überlieferte, und schon hob ein Nationalgardist sein Bayonnet, um den Krüppel zu durchbohren, als Bertha ein Pistol aus ihrem Gürtel zog und den Nationalgardisten durch einen wohlgezielten Schuß zu Boden streckte.

Trigaud sprang mit einer von dem Koloß nicht zu erwartenden Behendigkeit auf; die Gefahr, in welcher Courte-Joie schwebte, verdoppelte seine Kraft. Mit dem Sensenstiel schlug er einen Soldaten nieder, zerbrach einem Anderen die Rippen, nahm seinen Freund auf den Arm, wie eine Amme ihren Säugling aufnimmt, und trug ihn zu Bertha und Maître Jacques, die sich an die Wand lehnten und überdies unter dem Baugerüste einigen Schutz fanden.

Während Aubin Courte-Joie auf dem Steinpflaster gelegen und sich in seiner Todesangst nach Hilfe umgesehen: hatte, war ihm ein Haufen Steine aufgefallen, welche die Maurer auf das Gerüst gelegt hatten.

»Treten Sie in die Hausthür,« sagte er zu Bertha, sobald er sich auf Trigauds Arm bei ihr befand, »vielleicht kann ich Ihnen den mir eben erwiesenen Dienst erwiedern. Und Du, Trigaud, laß ihrer so Viele wie möglich herankommen.«

Ungeachtet seines beschränkten Verstandes begriff Trigaud, was sein Genosse von ihm erwartete; denn er brach in ein lautes unheimliches Gelächter aus, welches fast wie ein Trompetenstoß klang.

Die Soldaten, welche die drei Chouans ohne Waffen sahen, und die Amazone, die sie noch immer für die Herzogin von Berry hielten, um jeden Preis in ihre Gewalt bekommen wollten, drangen rasch vor und forderten sie auf, sich zu ergeben.

Aber in dem Augenblicke als sie unter das Baugerüst traten, sprang Trigaud, der seinen Freund neben Bertha abgesetzt hatte, unter der Hausthür hervor, faßte mit beiden Händen einen der Ständer, die das ganze Gerüst hielten, und riß ihn mit einem gewaltigen Ruck aus der Erde.

Sogleich kippten die Bretter um, und die daraufliegenden Steine fielen auf die den Bettler umringenden Soldaten.

Inzwischen hatten die von Gaspard und dem Marquis von Souday geführten Leute aus Nantes mit verzweifelter Anstrengung die Blauen bis aufs Feld zurückgedrängt. Die Letzteren stellten sich hier wieder in Schlachtordnung auf, und waren bei ihrer größeren Stärke und besseren Bewaffnung entschieden im Vortheil.

Als die Vendéer eben einen tollkühnen Angriff wagen wollten, näherte sich Maître Jacques, der trotz seiner Wunde den Kampfplatz nicht verlassen hatte, dem Oberbefehlshaber Gaspard und flüsterte ihm einige Worte zu. Dieser gab, trotz den Bitten und Befehlen Petit-Pierre’s, sogleich den Befehl zum Rückzuge und nahm seine frühere Stellung jenseits des Dorfes wieder ein.

Petit-Pierre war höchst aufgebracht und verlangte Erklärungen, die ihm Gaspard erst gab, als er Halt kommandirt hatte.

»Wir haben jetzt fünf- bis sechstausend Mann um uns,« sagte er, »wir sind kaum sechshundert stark, die Ehre der Fahne ist gerettet, mehr konnten wir nicht thun.«

»Wissen Sie das gewiß?« fragte Petit-Pierre.

»Ueberzeugen Sie sich selbst,« antwortete Gaspard und führte den jungen Bauer auf eine Anhöhe.

Er zeigte ihm die von allen Seiten anrückenden dunkeln Massen mit den in der untergehenden Sonne funkelnden Bajonneten, und machte ihn auf die Signalhörner und Trommelwirbel aufmerksam.

»Sie sehen,« setzte Gaspard hinzu, »in weniger als einer Stunde sind wir völlig umzingelt, und unsern braven Leuten bleibt, wenn sie an den Gefängnissen Louis Philipps keinen Gefallen finden, nichts übrig, als sich niedermetzeln zu lassen.«

Petit-Pierre starrte einige Augenblicke schweigend und düster vor sich hin; er konnte nicht verkennen, daß Gaspard Recht hatte; aber seine Hoffnungen, die ihn noch vor wenigen Minuten so kühn und kampfesmuthig gemacht hatten, waren nun dahin. Er wurde nun wieder ein schwaches Weib, und der tapfere Held, der weder Feuer noch Schwert gefürchtet, setzte sich auf einen Stein und fing an zu weinen; er verschmähte in seinem tiefen Schmerz, seine Thränen zu verbergen.